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Full text of "Die Musik 13Jg, 1Q, Bd.49, 1913-1914"

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DIEMUSIK 



HALBMONATSSCHRIFT MIT BILDERN UND NOTEN 



HERAUSGEGEBEN VON KAPELLMEISTER 

BERNHARD SCHUSTER 



DREIZEHNTER JAHRGANG 

ERSTER QUARTALSBAND 

BAND XLIX 




VERLEGT BEI SCHUSTER & LOEFFLER 
BERLIN UND LEIPZIG 

1913—1914 

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INHALT 



Selte 

Max A rend, ErgSnzungen und Berichtigungen zu Wotquenne's Thematischem Ver- 

zeichnis der Gluckschen Werke 288 

Adolf Beyschlag, Uber Irrlehren in der Ornamentik der Musik 104 

Henri de Curzon, Gr6try 270 

Erich Freund, „Boris Godunow", musikalisches Volksdrama in vier Aufziigen von 

M. P. Moussorgsky. Deutsche Urauffuhrung am Stadttheater in Breslau . . 220 
Martin Frey, Die Hauptkadenz im Wandel der Zeiten. Ein Beitrag zur Harmonie- 

lehre 217 

Johannes H. Hatzfeld, Franz Witt. Ein Gedenkblatt zu seinem 25. Todestage . 286 

Richard Hohenemser, Cherubini's „Wassertrager a 131 

Edgar Istel, Verdi und Shakespeare (Macbeth; Briefe uber Konig Lear; Othello; 

Falstaff ) • 27. 67 

— Die Not der Buhnenkomponisten 359 

Julius Kapp, Paganini in Paris und London 207 

Robert Konta, Aufruf zur Grundung einer Organisation von Komponisten ernster 

dramatischer Werke 222 

La Mara, Eine Nachlese ungedruckter Wagner-Briefe 355 

Willy von Moellendorff, Aus Frosch- und Vogelperspektive. Gedanken eines 

Schaffenden. Ill 153 

Maurice Moszkowski, Uber kritische Neuausgaben von Musikwerken 259 

Jos6 Vianna da Motta, Taschenpartituren Verdi'scher Werke 162 

Wilibald Nagel, Vom Ausdrucke des Nationalen in der Musik . . 323 

Walter Niemann, Jean Sibelius und die finnische Musik 195 

Josef Schink, Die neue Orgel in der Jahrhunderthalle zu Breslau 155 

Max Schneider, Das 2. kleine Bach-Fest in Eisenach 110 

Richard Specht, Verdi's dramatische Technik 50 

— Gustav Mahler als Operndirektor 340 

Max Unger, Briefe Beethovens an Carl Bernard, E.T. A. Hoffmann, S. A. Steiner &Co. 

und Anton Schindler. Verbesserte Abdrucke 147 

Adolf Weilimann, Verdi 3 

Friedrich Wellmann, Beethoven und Bremen 278 

Hermann Wetzel, Der Kongrefi fur Asthetik und allgemeine Kunstwissenschaften 

zu Berlin 158 



Revue der Revueen 113.163.225.290 

Besprechungen (Bucher und Musikalien) 119. 169. 229. 294. 362 

Anmerkungen zu unseren Beilagen 64. 128. 192. 256. 320. 384 

( ~\-\i'\i\](* Original from 

Uiu:.:u:!::v^iUC>yii UNIVERSITY OF MICHIGAN 

269017 



INHALT 



Seite 

Antwerpen 300 

Basel 300 

Berlin 63. 123. 234. 300. 365 

Braunschweig . . . 176. 365 

Bremen 176. 301 

Breslau 235. 365 

BrGssel 301 

Budapest 366 

Dessau 301 

Dresden . . . 176. 301. 366 

DOsseldorf 235 

Elberfeld 235 

Frankfurt a. M. . . 176. 236 

Graz 177. 367 



Kritik (Oper) 

Seite 

Halle a. S 177. 367 

Hamburg 178. 236. 302. 367 
Hannover .... 179. 368 

Johannesburg 302 

Karlsruhe .... 179. 368 
Koln .... 179. 303. 368 
KOnigsberg i. Pr. . . . 236 

Kopenhagen 369 

Leipzig 303. 369 

Luzern 180 

Magdeburg 237 

Mainz 180. 369 

Mannheim 237 



Seite 

Moskau 180 

MQnchen 180. 237. 304. 369 

NQrnberg 181 

Paris 237. 369 

Prag 238. 370 

Riga 181 

St. Petersburg .... 181 

Schwerin 304 

StraOburg i. E 238 

Stuttgart 304 

Weimar 304 

Wien 239 

Wiesbaden 240 

ZGrich 370 



Seite 

Aachen 305 

Amsterdam 370 

Baden-Baden 305 

Basel 306 

Berlin 123. 181. 240. 306. 370 

Braunschweig 377 

Bremen 187. 312 

Breslau . . .126. 250. 377 

BrQssel 312 

Dresden . 187. 250. 312. 377 

DOsseldorf 251 

Elberfeld 251 

Essen 313 

Frankfurt a. M. 187. 251. 

313. 378 
Genf 313 



Kritik (Konzert) 

Seite 

Graz 188 

Halle a. S 188. 378 

Hamburg . . 188. 251. 314 
Hannover .... 188. 379 

Heidelberg 314 

Johannesburg 314 

Karlsruhe .... 188. 379 

Kassel 314 

K61n .... 252. 315. 379 
Kftnigsberg i. Pr. ... 252 

Kopenhagen 380 

Leipzig 315. 380 

London 189. 316 

Luzern 190 

Magdeburg 253 

Mainz 190 

Mannheim 253 



Seite 

Moskau 190 

MQnchen 127. 191. 253. 

318. 380 

NQrnberg 381 

Paris 254. 382 

Prag 254 

Riga 191 

St. Petersburg 382 

Schwerin i. M 319 

Sondershausen .... 128 

StraOburg i. E 255 

Stuttgart 319 

Weimar 319 

Wien 255. 383 

Wiesbaden .... 128. 256 
ZQrich 191. 384 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



DIE MUSIK 

HALBMONATSSCHRIFT MIT 
BILDERN UND NOTEN 
HER AUSGEGEBEN VON 

KAPELLMEISTER 
BERNHARD SCHUSTER 



1 VERDI-HEFT 




HEFT 1 . ERSTES OKTOBER-HEFT 
13. JAHRGANG 1913/1914 

VERLEGT BEI 
SCHUSTERS LOEFFLER- BERLIN W 






Olio in al from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



. . . Wenn die Kiinstler des Nordens und des Siidens ver- 
schiedene Tendenzen haben, so sollen sie eben verschiedene 
Tendenzen haben. Alle sollten einzig und allein den ihrer 
Nation eigentiimlichen Charakter behaupten, wie Wagner so 

richtig sagte . . . 

Verdi 
(in einem Brief an Hans von Bfilow) 



INHALT DES 1. OKTOBER-HEFTES 



ADOLF WEISSMANN: Verdi (geb. 10. Oktober 1813) I: Rimem- 
branze II: Der Italiener III: Der Weltbfirger 

EDGAR ISTEL: Verdi und Shakespeare („Macbeth«; Briefe 
fiber w K6nig Lear 14 ; „Othello"; w Falstaff*) 1: „Macbeth" II: 
Verdi's Briefe fiber „K6nig Lear* 

RICHARD SPECHT: Verdi's dramatiscbe Technik 

KRITIK (Oper): Berlin 

ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

KUNSTBEILAGEN: Giuseppe Verdi, nach einer Photographie; 
Verdi-Bfiste von Giulio Monteverde; Verdi, nach einer Photo- 
graphie aus den letzten Lebensjahren; Verdi auf dem Toten- 
bett; Vier Verdi-Karikaturen von Melchiorre Ddlfico; Geburts- 
haus in Roncole; Verdi's Geburtsurkunde; Verdi's Landsitz 
in Sant' Agata; Garten in Sant' Agata; Teatro Verdi in 
Busseto; Eine Seite aus der Originalpartitur des „Rigo- 
letto"; Eine Seite aus der Originalpartitur der „ATda"; Fak- 
simile eines Briefes von Verdi 

NACHRICHTEN: Neue Opera, Opernrepertoire, Konzerte, 
Verdiana, Tageschronik, Totenschau, Verschiedenes, Aus dem 
Verlag 

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DIE MUSIK erscheint monatlich zweimal. 
Abonnementspreis far das Quartal 4 Mk. 
Abonnementspreis fOrdenJahrgang 15Mk, 
Preis des einzelnen Heftes t Mk. Viertel- 
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Generalvertretung fQr Frankreich, 
Belgien und En gland: Albert Gutmann, 

Paris, 106 Boulevard Saint-Germain 

Alleinige buchhflndlerische Vertretung fQr 

England und Kolonieen: 

Breitkopf & HIrtel, London, 

54 Great Marlborough Street 

fQr A m e r i k a: Breitkopf & Hirtel,NewYork 
fQr Frankreich: Costallat & Co., Paris 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



VERDI 

(10. OKTOBER 1813 BIS 27. JANUAR 1901) 
VON DR. ADOLF WEISSMANN IN BERLIN 



Rimembranze 

Denkst du noch daran, caro Giovanni, wie wir in Florenz, durch 
strenge Pflichten nicht gebunden, nur durch die Liebe zu allem 
Schonen vereint, unsere Zeit zwischen Dante, Manzoni und der 
italienischen Oper teilten? Ich sog in jenen Jahren fruhester EmpKng- 
lichkeit, da den Studenten sonst leicht Biicherstaub und Bierstubendunst 
fur ein kiinftiges Brotstudium miirbe machen, den erfrischenden Hauch 
italienischen Lebens, italienischer Kunst ein. Von Verdi'schen Melodieen 
und den lauen Abendluften umspielt, zogen wir aus dem Teatro Pagliano, 
aus dem Politeama in jene kleine Osteria nahe den Cascine, liefien den 
Klang zu Worten werden, tauschten Gedanken und Erkenntnisse aus und 
kehrten mahlich durch die einschlummernde Firenze in unser kleines 
Studentenasyl zuruck. Dort suchtest du mich am nachsten Tage auf, und 
wir durchlebten noch einmal am Klavier den Rausch des verklungenen 
Abends. 

Den immer noch Welthungrigen, Freiheitsdurstigen halten Scholle, 
Schaffenslust, Zwang. Was ich damals empfangen, ist mit einer dicken 
Schicht andersgearteter Erfahrung bedeckt. Doch nun, im giinstigen Augen- 
blick, da es gilt, eurem Verdi zu seinem Ehrentage ein Blatt zu widmen, 
baut Sehnsucht, starker denn je, Brucken zur Vergangenheit. Und es trifft 
sich gut, dafi alle spSteren MischklSnge jenen italienischen Naturklang nicht 
zu iibertonen vermochten. Gerade der lOOjahrige Verdi findet uns bereit, 
ihm zu lauschen. Mit einer Freude, die keine noch so starke BewuBtheit, 
kein noch 60 heikler Kunstverstand ihm triiben kann, stattet der Deutsche 
dem grofien und immer grofieren italienischen Meister seine Dankesschuld ab* 

Der Italiener 

Italienische Musik! Die Mundwinkel des gelehrten (oder ungelehrten) 
deutschen Musikers verziehen sich zu einem geringschatzigen Lacheln. Die 
Zeiten, da man von jenseits der Alpen musikalische Lehren empfing, sind 
historisch geworden. Palestrina, Marcello, die Florentiner: man pflegt die 
einen, man ehrt die anderen, weil man den Stil um seiner selbst willen 
liebt. Das 18. Jahrhundert hat es uns angetan: Pergolesi's „La serva 
padrona", Cimarosa's „I1 matrimonio segreto" schauen uns naiv an, ohne 
das Zwerchfell zu erschuttern. Im Anfang des 19. Jahrhunderts erscheinen 
die glanzenden Gestirne Rossini, Bellini, Donizetti. Wieviel von ihnen 
erreicht unser Ohr, spricht zu unserer Phantasie? Bellini's „Norma a , von 



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DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 



Richard Wagner huldvollst begonnert, gedeiht noch auf dcutschem Boden. 
Von Donizetti haben sich „Die Regimentstochter", der „Don Pasquale", 
aL'elisire d'amore" aus der Sintflut gerettet. Noch bejubelt man Rossini's 
mit einer reichen Erbschaft von Kalauern ausgestatteten ,Barbier a . Sehen 
wir nicht, daB das Ernste verklingt und nur das Komische dauert? Wo 
der Italiener Ernst macht, belachelt der Deutsche den tonenden Unsinn der 
reinen Melodie. Und ein Italiener, der das friihzeitig ahnte, steht mit 
gefurchter Stirn abseits: Gasparo Spontini. Er legte dem ersten Napoleon 
seine napoleonisch gedachte Musik zu FiiBen, um als Generalmusikdirektor 
in Koniglich PreuBischen Diensten zu enden. Nein, nicht zu enden. Denn 
mit tiefster Verachtung fur die Koniglich PreuBische Musik verschied er 
auf romanischer Erde. Spontini hatte zu viel dramatisches Gewissen und 
zu wenig Natur. Er schwor die leichte italienische Mache ab, bekannte 
sich zu Gluck, arbeitete schwer und verblutete am Zwiespalt seines Geistes. 
Solche Mitstrebende sieht der beginnende Verdi um sich, auf solche 
Vorgfinger schaut er zuriick. Der geistreiche Epikuraer Rossini hangt 
seine Lyra 1829 auf, um in der Welt, in der man sich nicht langweilt, 
dezennienlang genuBreich zu leben und als echter Pariser 1868 zu sterben. 
Italien und die Kunst galten ihm weniger als jenem genialen Bellini, den 
ein zarter Korper zu wehmiitiger Kantilene stimmte und zu fruhem Tode 
verurteilte. Donizetti nur lebt und schafft noch zugleich, auch er ein 
gliicklicher Kantilenenerfinder, doch ohne die eigenste Pragung, iiberdies 
vom geistigen Tode bedroht. Hier also fehlte die physische, dort die 
geistige Kraft, die italienische Oper zu retten. Wollte sie fortschreiten, 
dann hatte sie den Pakt mit der Wahrheit zu erneuern. Wie hatte sie 
ihn uberhaupt nur losen konnen? Vergifit man schon die bahnbrechende 
italienische Renaissancebewegung fur das Musikdrama, wie war's moglich, 
daB je der reine Gesang abirrte und selbstherrlich jede andere Rucksicht 
verdrMngte? Klafft nicht ein Widerspruch zwischen der eingeborenen 
Dramatik des Italieners, die im Wortdrama Wirklichkeitsausdruck bis zur 
Ubertreibung erstrebt, und diesem dauernden Kniefall vor dem bel canto, 
der jeden Unsinn zu rechtfertigen scheint? Dort sucht ein Sterbender 
jede Phase seines (natiirlichen oder unnaturlichen) Hinscheidens glaubhaft 
zu machen, will er uns keine von den Verzerrungen des verendenden 
Korpers ersparen, hier schleppt sich der zu Tode Getroffene an die Rampe, 
um mit dem Aufgebot seiner frischen Krafte eine Arie von langstem Atem 
in das Parterre zu schmettern. Der Widerspruch, der in der Tat unlosbar 
scheint, laBt sich erklaren. Auch hier, in der Oper, die nur dem reinen 
Gesang zu dienen scheint, herrscht, so seltsam es klingt, Wahrheitsdrang. 
Nur wendet er sich einseitig dem lyrischen Ausdruck zu. Auch dieser 
wird ubertrieben, da er iiber das am starksten erregende Instrument, iiber 
die menschliche Stimme verfugt. DaB diese, ihrer Kunst bewuBt, durch 



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WEISSMANN: VERDI 



Triumphe verwohnt, sich mehr und mehr in den Vordergrund schob, wer 
begreift es nicht? Aber nur der Nichtitaliener kann annehmen, daB die 
Stimme sich ganzlich vom Ausdruck loslosen durfte, um sich und der 
eigenen Fertigkeit zu dienen. In der Nachahmung durch Fremde biiflte 
die Kantilene ihren Ausdruckswert ein, gewann die Koloratur die Oberhand. 
Der Italiener aber lieB sich solche Leidenschaftslosigkeit nicht gefallen und 
vergotterte in seinen prime donne und primi uomini mit den Stimmheroen 
zugleich die Ausdruckskiinstler. 

Aber die lyrische Einseitigkeit entbehrte des Gegengewichtes drama- 
tischer Kraft und Wahrheit. Sie wurde der italienischen Oper von Giu- 
seppe Verdi geschenkt, der an korperlicher und geistiger Gesundheit, an 
Gewissenhaftigkeit, an Sammlung alle Genannten ubertraf. Ein Drang zur 
Vervollkommnung gebiert einen LauterungsprozeB, der ein ganzes und sehr 
langes Leben umspannt, dem vom Wahrheitsdrang Gefolterten nicht Rast 
gibt und schlieBlich Italien noch einmal zur Mitherrscherin im Reiche der 
Oper macht. 

Die Kraft stammt aus dem italienischen Volkstum, aus dem des 
tatigen Nordens. Nicht allzu weit ist Piemont, dem Italien seine tapfersten, 
widerstandsfahigsten Soldaten dankt. „Meine Jugend war schwer", sagte 
der mit Worten sehr sparsame Verdi einmal. Aber auch ohne die Schule 
des Leidens war seinem Gesicht ein diisterer Zug ausgepragt. Wir be- 
wundern am Italiener gewohnlich die kindliche Naivitat, die uns auch seine 
Schwachen liebenswiirdig vergoldet. Wir sehen im Theater, in der Oper 
zumal, eine eminent gesellschaftliche Kunst, die ihren Vertretern gesell- 
schaftliche Talente spendet. Verdi aber bleibt sein Leben lang ein groBer 
Einsamer. Er hat den unbezwinglichen Drang, sich mitzuteilen. Aber 
nur als Prophet. Der hohen Sendung bewuBt, entfernt er den Chor der 
Schwatzer, um hemmungslos zur Masse zu sprechen. Er besitzt die groBe 
Naivitat, die dem Theatermann unentbehrlich ist; aber auch das MiBtrauen 
in den Menschen als Individuum, das in ihm gekraftigt wurde durch das 
Jahr 1840, da er als doppelt Unglucklicher, im Leben und auf der Biihne, 
des Zuspruchs bedurfte und doch allein blieb. Er drohte zusammen- 
zubrechen. Doch „mit einem guten Panzer von Gleichmut und Uber- 
zeugung bewaffnet", raflfte er sich auf. w Solitudine e studio: ecco la 
mia vita." 

Die Einsamkeit glauben wir ihm also trotz den Ausbriichen der Leiden- 
schaft, die sein Erscheinen iiberall hervorrief. Sie steigerte das Selbst- 
vertrauen des Kiinstlers, ohne sein Einsamkeitsbediirfnis zu mindern. 
Glauben wir ihm auch das Studium? Glauben wir es, meine ich, dem 
ersten Verdi? ,Ich wiirde lugen," sagte er, w wenn ich behauptete, daB ich 
in meiner Jugend nicht lange und ernste Studien gemacht habe. Gerade 
darum fiihle ich meine Hand stark genug, die Note zu biegen, wie ich es 



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6 DIE MUS1K XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

wiinsche, und sicher genug, urn gewohnlich die Wirkungen zu erreichen, 
die ich beabsichtige." So sprach er, wenn man sein Konnen verdachtigte; 
aber mit nicht geringerer Entschiedenheit lehnte er alle Sezierungsversuche 
am lebendigen Kunstwerk, alles Forschen nach den Einzelheiten der Kon- 
struktion als Selbstzweck ab. Und in der Tat: was wir an Verdi bewundern, 
ist seine Natur. Danken wir einem gutigen Geschick, daD unsere 
gebenedeite Kultur sie ungebrochen liefi. Diese hatte freilich nie die Kraft 
gehabt, eine solche Natur zu brechen. Seine Kultur war anders geartet als 
die unsere; sie kam zu sp2t, den Stamm zu knicken oder zu entwurzeln; 
doch friih genug, ihm die Reize eines Altersfruhlings zu schenken. 

Der Knabe, 1813 in dem Ortchen Roncole geboren, wachst als Natur- 
kind auf. Anregungen kann ihm nur die Landschaft spenden, die Korper 
und Nerven stahlt. Aber jener vagierende Geiger Baistrocchi lafit ihn 
aufhorchen und lauscht ihm selbst: „In dem Knaben steckt ein Musiker. 
LaCt ihn nicht verkummern." Wenig geschieht sonst, ihn dem herkomm- 
lichen Analphabetentum zu entreiflen. Ein diinner Firnis von Latein tut 
der geistigen Unberiihrtheit keinen Abbruch. Aber die Orgel von Roncole, 
jene von Busseto weiC von den weltlichen Melodieen, zu denen sie sich 
hergeben mufi, befremdet zu erzahlen, wie das kranke Spinett, dem der 
junge Bauer vorher seine Phantasieen anvertraut hatte. Und sein guter 
Genius Barezzi, sonst gewiC kein Genius, regt mit seiner Society filarmonica 
die fruhreife Einbildungskraft an. Das ist alles. Denn das biBchen Kontra- 
punkt, das ihm Provesi antunchte, ist so belanglos, daD der Unterricht von 
neuem einsetzen muB. Der Neunzehnjahrige, der ein ganzes Kapital reiner 
Musik in sich aufgespeichert hat, aber sonst jeder angelernten Weisheit 
bar ist, der nichts von der grofien Welt gesehen, erfahren hat, kann 
in Mailand nicht einmal den AnschluD an die Konservatoriumskultur mit 
ihrer alleinseligmachenden kontrapunktischen Bettelsuppe erreichen. La 
forza del destino schiebt ihn auf ein Nebengeleis. Das Naturkind fallt dem 
Theaterkapellmeister Lavigna in die Hande. Hier, abseits von der breiten 
HeerstraDe, saugen sein unbeirrbarer, durch nichts getrubter Sinn fur das 
Wirkliche, seine Leidenschaft, seine Sinnlichkeit auf, was ihnen den Weg 
zur Masse ebnen kann. Der Biihneninstinkt fafit sofort die Bedeutung 
glanzender Finales. Aber auch die Ehrfurcht vor der Vergangenheit wird 
ihm anerzogen. Nein, nicht anerzogen; denn sein Kindergemiit, sein 
religioser Sinn beugt sich selbst vor ihr. Nicht nur die weltliche, auch 
die geistliche Musik, auch die Mehrstimmigkeit, auch die Fuge fesselt ihn. 
Doch fiber alien thront Mozarts „Don Giovanni", den der Maestro nicht 
mude wird mit ihm durchzugehen. Ein Menschenalter erst war's, daO er 
in die Welt geklungen. Hier klingt er an. 

Das, nur das ist das Fundament, auf dem Verdi's Werk ruht. Nichts 
von Bildung, nichts von Literatur beschwert diesen rustikalen Geist, in 



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jc r x:u::!::yViUC>^!i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



WEISSMANN: VERDI 



dera es singt, ohne UnterlaB. Aber in die geistige Liicke flieBt breit und 
machtig der Strom patriotischer Empfindungen, die durch das Ungliick des 
geknechteten Vaterlandes geweckt und genahrt werden. 

Es bedarf nur eines Funkens, urn in einer solchen Natur gliihenden 
Theaterbrand zu entfachen. Fur den Funken sorgt der Impresario Merelli. 
Wir aber verweilen mehr als bei solchen Tatsachen (die jeder geniigsame 
Deutsche verdiinnt und in italienisch-deutsche Phraseologie getaucht aus 
der schlechten, unwurdigen Lebensabschreibung Carlo Perinello's entnehmen 
kann) bei dem ele*nentaren Anprall dieser Natur und des Theaters als einer 
Merkwurdigkeit ohnegleichen. 

Die naive Inbrunst, mit der Verdi auf das Theater zielt, verrMt sich 
zunMchst in der Wahl seiner Textdichter. Solera und Piave hatten lSngere 
Zeit fur den Maestro dichterische Nichtswiirdigkeiten zu begehen. Piave, 
von poetischen Bedenken unbelasteter als Solera, trug die Sklavenketten 
leichter als dieser. Verdi wShlte die Stoffe meist selbst, wie sie ihn packten, 
und forderte nun rucksichtslos nicht Poesie, nicht Logik, sondern Situationen, 
die der niedere Theaterinstinkt der Bediensteten ihm willig hergab. So 
war's und blieb's lange Zeit, Widerspruch wurde nicht geduldet. GewiD 
ein einziger Fall. Mochte auch oft der Musiker sich als den Allein- 
herrscher in der Oper betrachtet haben, solche Riicksichtslosigkeit, solche 
Wahllosigkeit war nie und nirgends zu finden. Wer aber unserem Verdi 
hier Untreue gegen sich selbst, Mangel an kiinstlerischer Ehrlichkeit, 
bewuflte Entwiirdigung der Poesie fur die Zwecke des Theaters vorwarf, 
den durfte er von Rechts wegen als einen Verleumder bezeichnen. Man 
begreift den Zorn oder besser das HohnlScheln des Asthetikers Hanslick 
uber die Verballhornung Schillers, Shakespeare's, Byron's. Hatte der geist- 
reiche Kritiker — einer fur viele und Mindere — je die Neigung besessen, 
in des Schaffenden Seele zu schauen, den Schaffensprozefl nachzuleben, dann 
ware es ihm leicht gefallen, die Kluft zwischen dem ersten Verdi, den er ver- 
lachte, und dem zweiten, den er hochschStzte, zu uberbriicken. Nein, der 
gSnzlich unliterarische, kulturlose, doch von gliihender Liebe zum Theater 
beseelte Maestro konnte damals nicht anders. Der Schrei nach der Wirkung 
entwurdigte den Italiener nicht. Solcher Wunsch konnte sich mit dem hochsten 
Idealismus vertragen. Er war die Bedingung des Erfolges. Ihn konnte der 
Theatermusiker, der fur das Publikum schrieb, auch spfiter nie preisgeben. 
Dafi er in den Dichterwerken, die er fur sich^bearbeiten lieB, zunachst nur 
instinktiv die Reize des Stoffes spiirte, wer kann es ihm verargen? Das 
Wesentliche war da: echte Leidenschaft trieb ihn, verliefi ihn nicht von 
der ersten bis zur letzten Note. Sie farbte auch die Mittel, iiber die er 
als Musiker gebot. Sie hiefl ihn von der Lehre alles ausscheiden, was der 
Theatermusik zuwider war. Denn „l'opera b l'opera, e la sinfonia b la 
sinfonia", dekretierte er nicht tiefsinnig, aber kurz und bundig. Harte 



( ^f\i\t\]t* Original from 

Uc r x:u::!::y^iUC>yii UNIVERSITY OF MICHIGAN 



8 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

Trivialitat des Wortes, Nachhall gewisser Verdfscher Musik. Was ist in 
ihr Trivialitat? Nichts als KraftiiberschuB. Genau wie der Selbstherrscher, 
der seine Textdichter demiitigte, nicht Feinheiten, nicht Zwischenstufen, 
nicht Seelenentwickelung kannte, so standen sich in seiner Musik die 
beiden Tongeschlechter scharf und unvermittelt gegeniiber. Dieser undurch- 
kreuzten Diatonik paart sich die motivisch gerichtete Rhythmik, schneidend, 
bestimmt, aber nur skizzenhaft und darum triebkraftig. Der Musiker 
ist zu ziel-, zu instinktsicher, um je nach harmonisch Interessantem zu 
jagen; er sagt minder trivial, aber wahr, dafl solche Jagd nach interessanten 
Ubergangen nur den Strom, das Ungestiim des Gedankens hemme (seliges 
Ungestiim des Gedankens!); seine Ausdrucksehrlichkeit also verpflichtet ihn 
hier zum Diatonischen, wie sie seinen Rhythmus sich oft mit dem Tanzrhythmus 
mischen, in ihn iibergehen laCt. Ist's dann kokette Salonmusik? GewiB nicht. 
Sie atmet die ruvidezza, die Rauheit des Bauerischen, den Wahrheitsdrang des 
Theatermusikers, der nichts Unentschiedenes, Nebelhaftes duldet. Als Selbst- 
herrlicher, als Eigener schaltet er auch fiber die stolze Kiinstlerschar, die ihm 
Rossini, Bellini, Donizetti als zu erwerbendes Erbe zuriickgelassen haben. 
Sucht er, von der Liebe zum unterdruckten Italien getrieben, zunachst die 
Hauptwirkung im Kollektivgesang, in jenen Choren, die wie Sprichworter 
von Mund zu Munde fliegen und ihn zum gefeierten, geliebten „maestro della 
rivoluzione" stempeln, so weifl er in der Solokantilene, in Cavatine, Duetti, 
Terzetti nicht immer gleichwertige, aber doch oft ergreifende Urmusik zu 
schafifen. Er fiihlt die Liebe als starkes Stimulans des Opernkomponisten, 
fiihlt sie in sich und laCt sie Ausdruck werden. Aber die ruvidezza, die 
Ehrlichkeit gestattet ihm nicht, bei der herkommlichen Verwendung der 
menschlichen Stimme stillzustehen; er erhoht seine Forderungen, er 
zwingt sie zur hochsten Leistungsfahigkeit um der Wirkung willen. Durch 
die Stimmen wird der Kern des Dramas gekiindet; noch kennzeichnen 
sie nicht iiberall die Menschen, die auch im Text dem Geschehnis zuliebe 
oft im Dunkel bleiben. Aber die gegensatzlichen Charaktere heben sich 
scharf ab; das Rezitativ hat Beschwingtheit. Alles, das Geschmack- 
volle wie das Geschmacklose, das Kraft- wie das TrSnenvolle, stoCt sich 
hart im Raume, ist mehr zusammengeflickt als -gefugt. Das Orchester, 
meist Fiillsel, hat bis zum UberdruC akkordlich „Ja a zu sagen. Doch 
gibt es Augenblicke, wo es sich zusammenreifit und mit verletzendem Blech 
sein Kornchen zur Wahrheit beitragt. Alfrescotechnik, aus Konnen und 
Halbkdnnen, aus Nichtkonnen und Nichtanderskonnen seltsam gemischt. 
So ware der beginnende Verdi zu bestimmen. Hat er uns aber nicht 
schon uberholt? Denn dieser Verdi gehort noch halb zu den Vielschreibern, 
den Notenverschwendern der verflossenen Generation und leidet erst splter 
am retardierenden Gewissen der gegenwirtigen. So verhaltnismaOig lang 
der Weg vom Ohr zum Gehirn ist, so kurz zunachst der Weg vom Kopf 



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WEISSMANN: VERDI 9 

zur Feder. „Per scrivere bene occorre poter scrivere rapidamente, quasi 
d'un fiato . ." Die Skizze vom Grobsten zu befreien, auffiihrungsfahig zu 
machen, bleibt der Nachtragsarbeit vorbehalten. Die Zeit wird kommen, 
wo schon die Skizze dem priifenden Auge mehr Schaden enthiillt und die 
Nachpriifung mehr Aufwand fordert. Aber Verdi's kiinstlerische Ehrlich- 
keit geht so weit, dafi er sich nicht scheut, vor den Augen Europas den 
Theaterinstinkt von alien Schlacken zu reinigen. Wahrend der Jubel der 
Masse ihn noch tragt und sein Werk als Losung an andere Buhnen weiter- 
gibt, ist er sich der Schwachen eben dieses Werkes schon bewufit ge- 
worden, und sein kategorischer Imperativ hat ihm iiber die rasche Selbst- 
erkenntnis zugerufen: weiter und besser. Jede seiner Opera zeigt die 
Spur von Einkehr und Besserung. Aber die Italiener sind andere Horer 
als wir. Sie halten sich an die grofien Momente und plaudern iiber die 
toten hinweg. Das Lebenswerk des Meisters iiberschauend, halten wir 
uns bei den musikalischen Rekrutendiensten des jungen Maestro fur die 
Religion, den Humor, fiir Italien, fiir oder wider Victor Hugo, Schiller, 
Voltaire, Shakespeare, Byron nicht auf; mifiachten seinen „Oberto*, ver- 
gessen seine verungliickte komische Oper „Un giorno di regno", bewundern 
in der biblischen Oper „Nabucco a nur die herzbewegende Klage der Juden, 
einen Chor, der aus Genieland stammt; bemerken kiihl die „Lombardi ft , 
erinnern uns, im „Ernani" in einem Wust von Unertraglichem machtvolle 
Ensembles gehort zu haben, beschleunigen das Tempo iiber „I due Foscari", 
w Giovanna d'Arco", „Alzira tt , „Attila a , „Macbeth tt , „I Masnadieri 44 (Die 
Rauber), „ll Corsaro", „La battaglia di Legnano 44 hinweg, beobachten in 
„Luisa Miller 44 kaum das Aufleuchten neuer Ausdruckskraft im Orchester, 
belacheln eben noch den wildromantisch-naiven „Stiffelio a : da zwingt uns 
das Dreigestirn w Rigoletto a , W II Trovatore 44 , w La Traviata 44 zu einem langen 
Halt, Von 1839 bis 1851 nichts als Reinigungsarbeit. Hier ist sie, wenn 
nicht vollendet, doch so weit gediehen, dafi der Genialitat kein ernster 
Widerspruch mehr standhalt. Von Marz 1851 also bis Marz 1853 geschieht 
das fiir unsere Zeit Unerhorte, daC drei Opern von verschiedener Haltung, 
doch von gleicher Promptheit in Entwurf und Wurf, das Schaffen eines 
Meisters fiir Europa mit Blitzlicht erhellen. 

Die erste in dieser Reihe, ^Rigoletto 44 , ist zugleich diejenige, die vor 
unsern gescharften Sinnen am wenigsten von ihrem Zeitwert einbiiDt. 
Damit, dafi Charakteristisches, Musikalisch-Dramatisches, Reinmusikalisches, 
dafi Vornehmes und Vulgares sich innig beriihren, haben wir uns abge- 
funden. Weder die festlich galoppierenden Sexten, noch die gossenhaften 
M2nnerch6re, noch das limonadenhafte PensionsmSdchen Gilda, noch der 
leicht hingehauchte Schwerenoter konnen uns dauernd verstimmen. w La 
Maledizione* 4 nimmt uns mit. Des Dramas Anfang und Ende ist Rigoletto. 
So sehr, dafi ganz gegen die Absicht des Komponisten Kunstler, die mit 



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10 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

dem Musikdrama, mit dem Verismo gewachsen waren, ihn ehrgeizig stets 
von neuem beleuchten. Dieser Narr, der dienstfertige Kuppler des Herzogs, 
zwingt uns zum Mitgefiihl, wenn er in seinem Kinde, seinem einzigen 
cchten Besitz getroffen, zusammenbricht. Wir Menschen einer neuen 
Generation spiiren in den Mienen des Rigoletto alle Zeichen des Galgen- 
humors, des Kampfes zwischen Komik und Tragik auf; wollen auch im 
Habitus, im scbleppenden kriecbenden Gang, in der geduckten Haltung, 
in der Betonung des Wortes die starkste Illusion. Und warum? Weil 
keine Naturwahrheit des Spiels je dem Rhythmus, dem Charakter dieser 
erzwahren Musik wehe tun kann. Man braucbt nur an das Duett zwischen 
Rigoletto und Sparafucile, an des Narren Selbstgesprache zu denken, und 
man hat den neuen Verdi der treffsicheren Einzelcharakteristik. Konnten 
wir aber in den verflossenen Akten zuweilen iiberlegen lacheln, der dritte 
Akt wird uns, in alien seinen Werten verwirklicht, stets das Blut stocken 
machen. Verdi selbst gestand, er werde nie Besseres schaffen als das 
w Rigoletto"quartett. Vor ihm erklarte auch Victor Hugo seine Niederlage. 
Ein solches Nebeneinander von Stimmen, von denen jede zugleich der 
Schonheit und der Wahrheit dient, ward nie vorher gehort. Der Konner 
Verdi triumphierte mit dem Genie. Aber er konnte mindestens so laut 
triumphieren, wenn er auf sein Orchester wies. Mord und Sturm ergeben 
eine ganz neue Melodie. Hort ihr die Chromatik, zu der sich der 
leidenschaftliche Diatoniker urn des Ausdrucks willen entschlossen hat? 
Diese Takte des Chors, der mit geschlossenem Munde das sparsame 
Orchester ergfinzt, sind von bescheidener Schlagfertigkeit. Wir ahnen den 
kiinftigen Meister schildernder, doch stets leidenschaftdurchgluhter Musik. 
Vor dem .Trovatore" wiinschen wir uns die Unschuld der ersten 
Kindheit zuruck. Nicht ohne Zwang konnen wir ihn vorurteilslos be- 
trachten. AbgegrifFene ScheidemCinze iiberall. Jedes Zitat aus dieser Oper 
verletzt uns. Das Festumrissene, das Sangbare ist ihr zum Verhangnis 
geworden, weil die Gedankenlosigkeit es herabzieht. Ware es nur die 
Gedankenlosigkeit! Aber da ist ein Riickfall ins Kolportagehafte, der 
selbst nach einem Streifzug durch die Theatermusik, auch durch die 
Verdi'sche, peinlich beriihrt. Es ist fiir den Kulturmenschen nicht leicht, 
wohl iiberhaupt nicht moglich, alle Einzelheiten des von Cammarano her- 
gerichteten spanischen Schauermarchens jederzeit zu beherrschen. Ja, der 
Nebel darf sich mit Fug dariiber breiten; er entzieht uns keine Charaktere 
und laBt nur die Ereignisse schwach hindurchschimmern. Aber aus dem 
Nebel steigt klar die Figur der Azucena auf. Horen wir ihr zu. Je 
williger wir ihr unsere gekrankten Sinne zuwenden, desto versohnlicher 
sind wir fur Verdi gestimmt. Das Fremdartige, das Malerische, HaB, Ent- 
setzen, Mutterliebe rufen alle Kraft des Rhythmikers, des Melodikers, des 
Instrumentators auf; und der grandiose vierte Akt entlaCt uns halb bekehrt. 



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WEISSMANN: VERDI 11 

So rechtfertigen wir vor uns selbst, was wir in seinem Fluge durch die 
Welt langst nicht mehr aufhalten konnen. 

Von der Kraftgenialitat, von der Schauerromantik, von der Ent- 
fesselung aller Naturkrafte im „Trovatore a zur Veredelung der Halbwelt- 
lerin Marie Duplessis durch „Traviata a ist ein Sprung, kein Schritt. Aber 
wphrend eben noch Verdi's Phantasie durch die Flammen des Scheiter- 
haufens, durch Rachedurst und Kindermord in Aufruhr geriet, tauchte er 
schon die Feder ein, um dem Elan seines Theaterblutes und zugleich seiner 
Giite zu folgen und die Entsiihnung durch die Liebe zu verherrlichen. Wir 
konnen begreifen, dafi der Mensch und Kiinstler an dem einen Werk die 
Revanche fiir das andere nahm. 46 Tage trennen das Erscheinen des 
„Trovatore" von dem der „Traviata*. Man weiB, welche siifien Schauer 
Dumas' „Kameliendame* Anfang der fiinfzigerjahre erregte; und es versteht 
sich von selbst, dafi auch Verdi bald zu den Glaubigen zahlte. Aber seine 
„Traviata a wird in Venedig ebenso leidenschaftlich niedergezischf, wie in 
Rom sein „Trovatore" gefeiert worden war. Die Italiener, an tonendes 
Pathos, an Ubertreibung und Unwahrscheinlichkeit gewohnt, stofien sich am 
Realismus des StofFes. Die Schwindsucht einer Kokotte auf der Biihne! 
Es ist interessant, unser seelisches Verhaltnis zu „Traviata a mit dem der 
Zeitgenossen zu vergleichen. Der Realismus der Oper hat sich fiir uns so 
stark abgeschwacht, daft wir nur den Ton der Liebe und der Ruhrseligkeit 
erklingen horen; oft iiberzeugt, oft mitgenommen, zuweilen durch das Nicht- 
wahlerische des musikalischen Gewandes erniichtert. Denn weder Mon- 
daines noch Demimondaines stimmen im Grunde zu Verdi's w ruvidezza**. 

Noch hatte sich die Erregung jener, die in der Biihne eine moralische 
Anstalt sehen, nicht beruhigt — man bedenke, in 20 Jahren — , als Bizet's 
„Carmen a die Sittlichkeitsprediger in Harnisch brachte. Seitdem ist es 
ublich geworden, die beiden Werke einzig wegen der Weitherzigkeit der 
Titelheldin als stoffverwandt nebeneinander zu stellen; aber die Epidermis 
hat sich gliicklicherweise durch andere Erfahrungen langst so verdickt, daO 
fiir die Entriistung kein Raum mehr ist. Doch den Abstand, nicht die Ver- 
wandtschaft zwischen beiden Opera zu betrachten, ist aus gewissen Griinden 
nicht ohne Reiz. Da hier polygame Liebe anderswohin zielt als dort, da sie 
sich hier aufzuheben, dort in aller Freiheit zu behaupten trachtet, so muC 
in der „Traviata a der Schwerpunkt naturgemaC nach der Richtung der Lyrik, 
in „ Carmen" nach der Seite der Naturwahrheit geriickt werden. Aber trotz 
alledem wird das Auseinanderstreben zweier Genies in der Stoffbehandlung 
ihre verschiedene Art kennzeichnen. Bizet ist Kulturmusiker. Er hatte 
nicht nur mit der regelrechten Konservatoriumsbildung zugleich das gesamte 
Handwerkszeug des Zunftmusikanten erworben; er war nicht nur im Hin- 
blick auf die deutsche Musik herangewachsen; in ihm lebte neben dem 
geborenen Theatermann, neben dem erfindungsreichen Musiker ein an 



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12 DIE MUSIK XIII. 1: I. OKTOBERHEFT 1913 

Geschmack und Begabung hochstehender Literat. Nichts von Schnell- 
fertigkeit ist in seinem Schaffen zu bemerken. Technik und Gedanke 
bekampfen sich nicht; sie durchdringen sich. Riicksicht auf logische und 
psychologiscbe Entwickelung verlangsamt den Schritt der Ausfuhrung. In 
„ Carmen" erreicht er mit iibermenschlicher Anstrengung einen Gipfel. Hier 
schliefien Natur und Kultur ein Biindnis, wie es sich fester nicht denken 
laCt. Soweit Menschliches, Seelisches, soweit Charaktere und Handlungen 
durch die geschlossene Nummer, durch ein symphonisches Orchester, durch 
GleichmaB in Zeichnung und Farbe in rausikalischen Ausdruck zu fassen 
sind, hier ist es ohne Rest getan; und selbst die Lyrik mit ihrem leisen 
Schimmer von Unpersonlichkeit scheint durch einen iiberlegenen, sicheren 
Geschmack von jedem stiOlichen Beiklang befreit. War „Carmen a Gipfel 
und wurde sie — zunachst durch den friihen Tod des Meisters — ein Zeugnis 
hochster Selbstopferung, so blieb fur den Naturmusiker Verdi „Traviata" 
nur Stufe zu hoherem Aufstieg. Weiter an Jahren, war er doch noch nicht 
so reif an Geist; besaB er den kostlichen Schatz ungebrochener Kraft und 
Kindlichkeit. Diese siegte auch in der „Traviata tt iiber den Realismus, der 
nur selten und nur im Sinne des fuhlenden Herzens hervorbrach. Wir 
empfinden als starkes Erregungsmittel die Klage der Geigen, deren fein- 
sinnigen Gebrauch wir anerkennen; lassen uns von dem Zwiestimmungs- 
Duett Alfreds und Violetta's, von dem Tranenlacheln des liebenden Weibes, 
von ihrem musikalisch gesteigerten Ende einen Augenblick wirklich riihren. 
Aber all das hindert uns nicht, den Koloraturgesang der Violetta nur teil- 
weise ausdruckstief, die Ergiisse Vater Germont's schal, das Auseinander- 
fallen von Wahrem und Riihrseligem, von Noblem und Unedlem storend 
zu finden. 

Nach solchen drei KraftauBerungen ware fur den Weltruhm wenig mehr 
zu tun. Urn so ungestiimer dringt Verdi's Selbstkritik auf Verfeinerung des 
Dramas. Der Urmusiker sucht Hebel des Wachstums und richtet den Blick 
auf den glanzvoll hochstrebenden Meyerbeer, von dem er, was Wirkung ist, 
instinktiv geahnt, was Steigerung und Entwickelung ist, mit sicherer Technik 
durchgefiihrt sieht. Buhnenblutsverwandtschaft treibt ihn zu ihm. Aber 
er mahnt sich selbst zur Hut. Die grofie Oper ist ihm die lange Oper. 
„Lang aber ist gleichbedeutend mit langweilig; und das langweilige Genre", 
sagt er nicht ganz neu, doch als echter Italiener, „ist das schlimmste von 
allem". Meyerbeer, glaubt er, hat die Klippe wenn nicht immer, doch 
meist gliicklich umschifft. Er selbst will sich nicht an lange, allzu ver- 
zweigte Texte binden, die der StoOkraft des musikalischen Gedankens 
schaden. Nun steht fur einige Jahre nicht sein selbstqualerisches, allzu 
zwitterhaftes Schaffen, sondern sein fortschreitendes Denken im Mittelpunkt. 
Was kummern uns seine w Vespri Siciliani* 1 , was sein aus Schillers w Fiesco a 
geschopfter w Simon Boccanegra"? Schon zwingt ihn die zunehmende 



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WEISSMANN: VERDI 13 

Erkenntnis, den unseligen „Stiffelio" in „Aroldo a umzuschweiBen. Hilft 
nichts; der bleibt eine zweifach verwachsene MiBgeburt. Welche Dinge 
aber damals Verdi in seinem Hirn walzte, verrSt uns der Briefwechsel mit 
Antonio So mm a. 1 ) Shakespeare's „Lear", den er liest, riittelt ihn machtig. 
Er dringt in die feinsten Verastelungen des Dramas, lafit vereinfachen und 
feilen, baut das Geriist und — schreckt doch davor zuriick, sich mit der 
Gewalt des Wortes zu messen. Wird der „Lear a beiseitegeschoben, so 
fordert ihn doch etwas anderes zur Tat auf: ein Scribe'scher Text 
w Gustave III** , den Auber schon fur sich gepfliickt hat, soil noch einmal 
fur ihn umgeschaffen, nein, nachgezeichnet werden. Hier ist er der Sorge 
urn die unmittelbare Wirkung ledig. Aber Somma's Dichterskrupel gestatten 
ihm nicht, seinen Namen auf das Libretto zu setzen. Dabei hat Verdi den 
getreuen Diener hier anders gezwackt als jene Armen im Geiste Solera, Piave, 
Cammarano; der Vers ist nicht mehr nur ein Notbehelf, eine Fortbewegungs- 
maschine der Musik, er soil seinen Eigenwert haben, soil klingen und etwas 
bedeuten; selbstverstandlich unter alien jenen Bedingungen, die Verdi immer 
noch und immer dringlicher stellte, als da waren: Klarheit der Charaktere, 
der Ereignisse, der Entwickelung, und, als Garstoff, rastlose Leidenschaft. 
Renato, Amelia, Riccardo, Oscar, Ulrica, ihr alle seid Zeugen dafiir, 
dafi Kopfarbeit in Naturgewalt iibergegangen ist. Doppelte Sensationsaffare, 
wie fast jede von der Zensur bedraute, vom Publikum bejubelte Opef 
Verdi's, hat dieser in den Konigsmord miindende „Ballo in Maschera** die 
Obrigkeit besonders auf den Fersen. Aber der Starrsinn Verdi's lafit ihn 
ohne ernstere Verstiimmelungen aus diesem Zweikampf hervorgehen. Denn 
ob Schweden, ob Amerika der Schauplatz, das braucht den gottlich un- 
bekiimmerten Italiener noch nicht zu scheren. Der hochdramatische, wenn 
auch immer noch hinkende Text hat seinen Mann gefunden. Frische 
ist da, noch stets bereit, sich in derbes Zupacken zu verwandeln; aber 
auch Feinheit ist da und die Kunst, Themen in klangvollem Kontrapunkt 
sich umarmen zu lassen wie in der Ouvertiire, in gewissen vielsagenden 
Rezitativen. Das Verschworerthema ein Fugatothema von leitmotivischer 
Pragung. Ulrica stammt aus der Familie der Zigeunerinnen und hat 
mit der Dusterkeit der Azucena auch ihre Schlagkraft geerbt. Des Pagen 
Oscar Munterkeit, in frisch-frohlichen Rhythmen ausgesprochen, ist nicht 
ohne weltmHnnischen Zug. Amelia, Ulrica und Riccardo finden sich im 
Terzett zusammen; aber in die Nahe der Katastrophe hetzt die Dreistim- 
migkeit durch den Mund Amelias, Riccardos, Renatos. Und doch singt 
dieser, ein echter Bariton, die Prachtromanze: „Eri tu che macchiavi . . . a 
Wo die Gefahren sich haufen, wie in der Ballszene, gibt es einen Triumph 
ohnegleichen: der anmutigste mondaine Tanz, vielfaltige erregte, ja listige 
Wechselrede, Meuchelmord, das alles verkettet sich. Und bleibt doch, 

') Vgl. Seite 34 ff. dieses Heftes. Red. 



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14 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

vielleicht zu sehr, ballo in maschera. Wir belauschen die Verdi-Oper in 
dem Augcnblick, wo sie den Bruch mit der Vergangenbeit vollziehen will, 
aber noch Sirene genug ist, uns mit den stSrksten Reizen zu locken. 

Wahrend vor dem inneren Ohr, vor dem geistigen Auge alle diese 
Genietaten aufsteigen, will manche bittere Erinnerung sie uns vergallen. 
Wir deaken an verruchte Bastardauffuhrungen dieser nationalen Werke. 
Wo haben wir sie in Deutschland unverfalscht gehort? Etwa auf unseren 
standigen Opernbiihnen, wo Sinnvolles und Unsinniges im schmierigen 
Kostiim einer Afterubersetzung Lachsalven herausfordern wurde, wenn 
man das Wort verstande; wo das Phlegma und die Angst vor Tollkuhnheit 
den Kapellmeister nur zu oft hemmen; wo in alien Satteln gerechte, und 
darum in diesem unsichere Sanger der Kantilene, dem Rezitativ Blut, 
Wesen und Stil rauben? Um gerecht zu sein: der Sprachenwirrwarr'wird 
zuweilen beseitigt; Gastspiele werden uns gespendet; Caruso vergeistigt 
selbst den Duca di Mantova und darf „La donna g mobile" vor dem 
jubelnden Hause viermal wiederholen; der Bariton Battistini zaubert uns 
mit ewig schmiegsamem Metall und schauspielerischer Unschuld Je gioie 
d'un tempo" zuriick. Doch nur die Stagione IMOt das Fremdnationale zu 
kurzem, aber aufschluGreichem Dasein aufleben. Ensemble und Kapell- 
meister, sie miissen in einer Sprache schwatzen, in einem Feuer brennen. 

Ich war in Italien Zuschauer, oft mehr als Zuschauer in Dutzend- 
auffiihrungen. Am Pult steht ein Mannchen, kein Vigna; ein Nichts. 
Aber wie der seinen Verdi zuckend erlebt und weitergibt! Wie der dem 
Rhythmus dieser Musik nicht entrinnen kann! Und die Leute, poveri, 
schlimmer als Nichts. Aber sie spielten, entflammt, Verdi. Auf der Biihne 
bescheidene Stimmen, verschlissene Dekorationen. Aber wie griff das 
ineinander, wie ruhrte, schiittelte es micb, uns alle! Nichts weiter als die 
Macht einer nationalen Musik, in ihrem Kern iibertragen, hatte das 
dramatische Wunder vollbracht. Keine Regie, kein Biihnenbild kann es 
hier schaffen. Diese Musik kennt dank ihrer Urkraft und Bildhaftigkeit 
das Geheimnis der unmittelbaren Doppelwirkung auf Ohr und Auge. 
Gliickt sie, dann diirfen auch Spielleiter und Dekorationsmaler urns Nach- 
wort bitten. 

Also Verdi der Italiener. 

Der Weltburger 

Und er blieb Italiener. 

Die groCe Nervenkrise der Welt hebt an. Der „volkische* Richard 
Wagner droht mit seinen Hydrakopfen den Damm fremden Volkstums zu 
durchbrechen. Auch dort, wo die Nummer kraft eingeborener Lust am 
musikalischen Zitat Ewigkeitsrechte zu haben schien, in Italien beginnt man 
zu fiebern. Das 50jahrige Naturkind Verdi, kernstark und selbstsicher, 



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WEISSMANN: VERDI 15 

mit dem Wort stets dem Ton nacbhinkend, hat im folgerichtigen seelischen 
Heranreifen seine ruvidezza langst abgeschliffen ; aber wenn jedes Naturkind 
vor Wissen und Schrifttum den Hut zieht, so muCte dieses nach Stutz- 
punkten in der Literatur suchen, die Best&tigung seiner Innenentwickelung 
durch sie wunschen. Stimmt er den medizinisch-musikalischen Unter- 
suchungen des ihm freundscbaftlich ergebenen kunstverstandigen Dott. Cesare 
Vigna lebhaft zu, hangt er an dem Dichter Maffei, so mochte er sein 
musikalisch Fleisch und Blut in einem Schriftwerk wiederfinden. Er kann 
einen Augenblick stutzen, doch vom zehrenden Wagner-Fieber nicht er- 
griffen werden. „Deutsch in der Musik sein wollen", sagt er, „heiflt so viel, 
wie zur Gotik in der Baukunst zurtickkehren wollen." Da offnet sich ihm 
in Alessandro Manzoni der Ausblick in echt italienische Gegend. Seine 
Verehrung fur den Verfasser der „Promessi sposi* grenzt an glfiubige An- 
betung. Sein Roman ist ihm nicht nur »das bedeutendste Buch seiner 
Zeit, sondern eines der bedeutendsten Bucher, die je aus einem mensch- 
lichen Hirn geflossen sind . . . Denn vor allem ist's ein wahres Buch, 
so wahr wie die Wahrheit. Ach! wenn die Kunstler doch dieses Wahre 
einmal begreifen wollten, dann gfibe es keine Zukunfts- und Vergangen- 
heitsmusiker, keine veristischen, realistischen, idealistischen Maler, keine 
klassischen und romantischen Dichter mehr, sondern nur wahre Dichter, 
wahre Maler, wahre Musiker." In Manzoni also findet der Musiker sein 
Fleisch und Blut wieder; in diesem Kenner der italienischen Volksseele, 
die er liebevoll, ohne Diinkel betrachtet, der italienischen Volkssprache, 
die er in fliissigen und einprfigsamen Ausdruck bannt; in dem fein 
ironischen Schilderer des Don Abbondio, der kleinen, prachtigen, gefiihls- 
starken Leute von engem Gesichtskreis, der Landschaft um den Comer 
See. Wieder, in der kritischsten aller Zeiten, erklart Verdi: w Ich bin der 
Italiener, ich kann nicht anders." Aber aus dieser literarischen, italienischen 
Hilfsquelle, die hemmungslos in sein Inneres stromt, entnimmt er Be- 
stitigung und Berichtigung der eigenen Seelenkunde; sie wird ihn fahig 
machen, was in der Charakteristik noch skizzenhaft und uneben ist, unbe* 
schadet seines Ur-Instinkts kunstlerisch befriedigender auszufuhren. Und 
so wird der Zeitgeist den Italianismo, der begrenzt schien, dem Weltburger- 
tum annShern — , ohne die naturliche Scheidewand zwischen den Volkern 
niederzureifien. 

Die Musik, Kunst der Leidenschaft, verlangt nach Verdi's eigenen 
Worten Jugendlichkeit der Sinne, kochendes Blut, Vollkraft des Lebens, um 
der Wirkung auf die Seelen gewiO zu sein. Hat er das vergessen? Nein, 
er traut sie sich zu, er ist nicht zaghaft geworden. Denn wo Kraftnatur 
aus dem eigenen Bediirfnis heraus und darum sparsam und schrittweise 
nahrhafte Bildungssafte einsaugt, spottet sie auch des Naturgesetzes. Und 
doch verlangsamt sich das Tempo des Schaffens. Gereinigte Melodie flieBt 



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16 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

bedachtiger als plebejische. Aber sie ist 1862 noch stark genug, urn jn „La 
forza del destino", einer dem Verhangnis w Piave" verfallenen, im Keim 
verfehlten, von der Kritik abgelehnten Oper, die Massen zu bezwingen. 
Wissen wir in der Tat vieles, was sich dem beriihmten Duett an Fiille des 
Klangs, an Warme des Ausdrucks, an breit ausladendem Gedanken wiirdig 
anreiht? Das Weltbiirgerliche aufiert sich nun schon darin, daD der 
Maestro immer haufiger in fremdem Auftrag arbeitet. Der Instinkt als 
Lohndiener bewahrt sich nicht. Auch Verdi hat seine seelischen Schwache- 
anfalle. Wer Wirkung in die Breite will, kann nicht miirrisch zuriickweisen, 
wo er ergiebiges Erdreich zu spiiren glaubt. Fast iiberall noch sehnt man 
sich trotz alledem nach der italienischen, nach derVerdi-Oper; am starksten 
immer in Paris. Von dort aus winkt man ihm auch jetzt zu. 

Das Ergebnis sich kreuzender Gedanken ist „Don Carlos'", 1867 an 
der Pariser Op6ra aufgefiihrt. Mehr ein menschliches, als ein kiinstlerisches 
Dokument. Ein Beweis dafiir, wie selbst ein Verdi, aus seiner Bahn ge- 
worfen, einen Augenblick schwankt. Er laOt sich von Land und Leuten, 
von Dingen iibermannen, die er sonst beherrschte, die er aber hier als 
force majeure empfindet. Hat er sie hingenommen, dann sucht der Wahr- 
heitsfanatiker, der gewissenhafte Kiinstler mit ihnen im Vertragswege aus- 
zukommen. Verdi halt lange Texte fur schadlich ; wir wissen das. Hier 
beugt er sich den Forderungen der grofien Oper und lafit sich fiinf Akte 
gefallen. Er laCt sie sich gefallen. Der Beherrscher seiner Textdichter 
verzichtet auf einen Teil seiner Macht. Grund: zwei Schriftsteller von 
Namen, wie M6ry und Du Locle, Schriftsteller dazu des Landes, das ihn 
zu Gaste geladen, kann er nicht vor den Kopf stofien. (An sich neigt er 
bereits zu einer gleicheren Verteilung der Befugnisse.) Den Stoff hat ja 
Verdi selbst gewahlt; seine Schillerverehrung aber, die im Dramatiker 
begreiflich ist, hat ihn hier geblendet. Uncharakteristisches, Redseliges 
ist mehr Hemmschuh, als einem Opernlibretto forderlich. Anderes folgt 
daraus: fiinf unplastische Akte, aus der Unplastik auseinandergezogen, 
sollen sich in bildhafte Musik auflosen. Der Boden, dem er Frucht 
entlocken will, ist zahe. Gut denn, denkt er, ich werde experimentieren. 
Vielleicht tut der Zwang, dem Melodischen als Urgrund der Wirkung zu 
entsagen, dem technisch reiferen Kiinstler gut. Das Rezitativ darf kraftiger 
gedeihen. Sagte er nicht einmal selbst, daD er lange Rezitative mittel- 
mSDiger Lyrik vorziehe? Ein kurzer Blick auf Meyerbeer und Wagner. 
Das Orchester wird reicher, verzweigter, die Ausstattung wird prunkvoll sein. 
Ein Novum fur Verdi. Immer bisher hat er in der Musik das Primare, 
Zwingende gesehen, nie von dem Sekundaren einen nennenswerten Zuwachs 
an Effekt erwartet. Hier tut er's. Hier schreibt er das Finale des dritten 
Aktes im Hinblick auf Pomp und Glanz. Ein Aufeinanderschichten von 
drohnenden Effekten. Himmel und Erde spielen ihre Triimpfe aus. 



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WEISSMANN: VERDI 17 

Man will iiber diesen „Don Carlos" hinweggehen. Nicht Verdi. Er 
hat hier gekampft; er liebt dieses Kind seiner Phantasie, gerade, weil es 
nicht im Buhnensonnenschein lebt. Von der Hohe seiner Erkenntnis und 
seines Weltruhms scheint es ihm den Kiinstler zu beschamen und seinen 
Nachrubm zu scbmalern, wenn ein starker Bruchteil seines Schaffens nicht 
lebensfahig ist. Dieser „Don Carlos" wird dem Italiener Ghislanzoni an- 
vertraut, ja, auch einmal auf ein Mindestmafl von vier Akten gebracht. Man 
konnte nun, aller organischen Fehler ungeachtet, die Reize dieses Biihnen- 
stiefkindes gerechter schatzen: seine Tiefenlyrik, die zu dem „Dormird 
sol nel manto mio regal" Philipp II. aufsteigt; seinen wenn auch trageren, 
doch besser abgewogenen Schritt; seinen dunklen Unterton. Aber es bleibt 
ein wenig flugellahm, wird mit achtungsvollem GruB abgefunden. 

„Man muC nicht nur Melodiker sein ... In der Musik gibt's etwas 
Hoheres als Melodie, etwas Hoheres als Harmonie: es gibt die Musik. 
Das wird dir ratselhaft erscheinen." Der „ATda a -Komponist spricht's. 1871. 
Merken wir, was da vorgegangen ist? Das Wagner-Fieber hat in Italien den 
Glauben an die gute italienische Musik erschuttert. Sollte auch Verdi . . . 

Er hat dieses Modetreiben aufmerksam verfolgt. Noch aufmerksamer 
den Kern der Fortschrittsbewegung ergriindet. Und er schreibt ^Aida". 
Fur den Khedive. Aber so sehr im Einklang mit seiner innersten kiinst- 
lerischen Cberzeugung, dafi er dem Werk die unmittelbare Wirkung auch 
ohne seine personliche Anwesenheit zutraut. 

Noch einmal und seit langer Zeit am starksten macht „AYda" staunen. 
Wo kurz vorher Flackern, Schwanken, Selbstqual herrschte, ist absolute 
Sicherheit eingetreten, hat eine Innenentwickelung zur Hohe getrieben. 
Dieses Werk des nun fast Sechzigjahrigen ist ein neues Wunder an Reife 
und Frische, aber zugleich das entschiedene Bekenntnis des Italieners. 
Schon scheint es, als ob das Zusammenwirken von Gelehrsamkeit und 
Reimkunst textliches Stuckwerk und darum ein dramatisches Hindernis 
schaffen solle. Aber zu sehr ist Verdi wieder er selbst geworden, um 
nicht beides zugleich, sein Volkstum und sein verfeinertes Eigenwesen, 
durchsetzen zu konnen. Der Kiinstler Verdi schopft aus dem im tiefsten 
Grunde leidenden Menschen: die Poesie des Schmerzes wird seine Musik 
tragen. Aida, Radames, Amneris — auf alien lastet ein Verhangnis. Doch 
eines, in dem Liebesglut die Dusterkeit mit Farbe sattigt. Dem Leiden- 
schaftlichen vermahlt sich das Malerische; diesem mischt sich das Glanzende. 
Nicht umsonst hat Verdi in dem .Carlos* -Labyrinth geachzt. Er hat sich so 
sein Gleichmafi, einen erhohten, veredelten Stil im Wahren errungen. 

Das von Ghislanzoni in italienische Verse iibertragene Textbuch 
fremder Herkunft ist von Verdi selbst bereichert worden: die Urteilsszene 
und das Finale mit seiner Zweiteilung der Biihne bestehen durch ihn, Der 
Meister mit dem Scharfblick fur Wirkung hat hier den entscheidenden 

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18 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

Kontrast zwischen Tempel und Liebestod, zwischen Heiligem und Mensch- 
lichem, Unabanderlichem und Verganglichem geschaffen. Das Szenische 
an sich hat ihn gereizt; aber niemand sieht die Vorgange anders als inner- 
lich. Der festliche AnlaC, die Eroffnung des Suezkanals, hat auch sonst 
noch die Haltung der Musik bestimmt; am wirksamsten im glanzvollen 
Finale des zweiten Aktes. Aber merkwiirdig! Auch hier ist alle Leerheit 
der groOen Oper iiberwunden, der Glanz Quaderstein des Dramas geworden, 
Starres beginnt sich in Bewegliches zu wandeln. Die gleiche Beherr- 
schung im Malerischen. Hier hatte ein spielerischer Geist Exotiksport 
treiben konnen; der dramatische Komponist ist bescheidener, greift zu 
Floten und Harfe, spendet sparsam Reichtiimer, und die Vision von Alt- 
agypten, mit zarten Tinten, fremden Intervallen angedeutet und durch einen 
neuzeitlichen Geschmack gemeistert, steigt vor uns auf. Und welche anderen 
Bundesgenossen findet das Drama selbst, das fur den dritten Akt alle 
Energieen aufgesammelt hat! Schon das Vorspiel will nichts weiter sein 
als Zeuge des neuen Verdi'schen Wortes: „Das Orchester ist schon, wenn 
es etwas bedeutet." Wir finden das Symphonische, die Zweiteilung der 
Geigen, die Gedrungenheit der Form in dem Vorzimmer dieser Herrlich- 
keit jetzt natiirlicher denn je; und auch sonst bleibt trotz Pharaonenprunk, 
agyptischen Tanzen, trotz Schlachtszenen und Kriegsdrommeten das Orchester 
iiberall nur Diener des Ausdrucks; es darf traumen, wimmern, flehen, grollen, 
sich iiber Verrat entsetzen. Und doch gehort die Allmacht der Stimme, 
der hier verschwenderisch gehuldigt wird. Sie ist hochstes Erregungs- 
mittel. Das bedeutsame Orchester, die gesteigerte Rede enthalten sich 
jeden Ubereifers, jeder Worterlauterung; die Formen kommen sich ent- 
gegen, um dem singenden Menschen den Raum nicht zu beengen. Ein 
jeder von ihnen ist reich bedacht; „Jugendlichkeit der Sinne, Kochen des 
Blutes" hat ihnen bliihendes Leben eingehaucht. 

Die Oper von 1871, mit ehrfiirch tiger Bewunderung betrachtet, eilt 
von Kairo iiber Mailand siegreich durch Europa. Der Meister selbst glaubt 
in schwerer Zeit sein Testament niedergeschrieben zu haben und spinnt sich 
ein. „Vom Morgen bis Abend bin ich in den Feldern, in den Waldern, 
mitten unter den Bauern, den Tieren, doch unter den besten von ihnen, 
den VierfiiBlera." Den sich selbst verneinenden Landsleuten hat er nichts 
mehr zu sagen. 

Die fruchtbarste aller Generalpausen. Er steht gewifl nicht nur im 
Verkehr mit der Natur. „Solitudine e studio", wird uns nochmals zu- 
gefliistert; nur dafi die Vervollkommnung des Ichs nicht mehr dem Ehr- 
geiz dient. Ein achtsames Nachfiihlen des Zeitgeistes mit der Unterfrage: 
Habe ich mich iiberlebt? Hat jener andere mir den Atem benommen? 
Die Quintessenz des Bildungsstoffes fuhrt er sich zu. Aber wir diirfen 



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WEISSMANN: VERDI 19 

auch gewiB sein, daB er immer und immer wieder jenes Hohere, das er in 
der Musik errafft hat, in praktischen Ubungen sich vertraut, blutsverwandt 
macht. Je aufschlufireicher ihm die Dichter sind, desto heiBer das Ver- 
langen, ihr musikalischer Vollender zu sein. Der Geheimschrank mit seinem 
der Vernichtung geweihten Inhalt entzieht uns die Kenntnis dieser Lau- 
terungsarbeit. Sie reicht auch ins Gebiet des Glaubens und laBt ihn zu 
jenen altitalienischen Meistern zuriickgreifen, die seine Landsleute — 
Verdi gesteht es in einem Briefe an Biilow — nie hatten aufgeben diirfen. 

Schweigen, Lauterungsarbeit, Biihnenvergessenheit. 

Arrigo Boito klopft an. Kulturmensch, von Wagner nicht unberiihrt, 
dem er im „Mefistofele a geopfert hat, ohne ihn, sich und den Italianismo 
versohnen zu konnen. Wie war's mit Shakespeare? Mit „ Othello"? Der 
„eherne KoloB* Verdi soil zum Tonen gebracht werden. Shakespeare, 
„Othello" — der Meister fuhlt die alte Liebe zum groilten Dramatiker an 
sich riitteln; sieht einen Dichterkomponisten, der bescheidentlich ihm die 
Frucht seiner Arbeit reicht, aus Selbstkritik auf den eigenen Ton verzichtet. 
Boito erhofft alles von der unvergleichlich starkeren Natur. Da ist ein 
Libretto ohne Sprachgebrechen, mit einem neuartigen szenischen Geriist, 
das doch die Grundforderung der Gedrangtheit zu erfiillen scheint; der 
venezianische Akt des Schauspiels beseitigt, das Drama in die knappste 
Formel gezwangt. Die Beziehungen des Komponisten zum Textdichter als 
zu einem gleichberechtigten Mitarbeiter scheinen ihm nun nicht mehr 
prufungsbedurftig. 

Liebe, die treibende Kraft der Oper, fordert noch einmal die ganze 
IllusionsKhigkeit des Greises heraus. Eifersucht, zweifelnde Leidenschaft 
ruft nicht nur urwuchsige Wildheit des Empfindens, sondern ein denkendes 
Miterleben dieser seelischen Selbstvernichtung auf. Zu leicht emport sich 
der Zuschauer gegen den jahen Absturz von blinder Vertrauensseligkeit, 
von unfaBbarem Gliick zum hemmungslosen Wuten des Dolches. Nicht 
umsonst haben Rossi und Salvini im Shakespeare-Drama den Werdegang des 
bohrenden GefCihls mit der Logik des Instinkts Italien in die Erinnerung 
gegraben. Denken lost sich vom Leidenschaftlichen in Jago, der das Gift 
langsam in Othellos Seele trSufeln laBt. Dem Musiker bieten sich hier 
dornige Probleme: Gefuhlsraserei, die doch der Nuancen nicht entbehren 
soil, teuflische Ironie eines Rachsuchtigen, der doch die Kraft hat, ruhig 
Stein an Stein zu fugen, lachelnd seine Opfer ins Netz zu Ziehen (Faden 
kniipfen sich zwischen dem Kritiker Boito, der den „Mefistofele* schuf und 
dem Textdichter, der den Jago herausmeiBelte). Der UberschuB an Denken 
in Jago, der mit Worten nicht kargt, konnte einem blutarmen Musiker ge- 
fahrlich werden. Im glutvollen Verdi mindert sich die Gefahr. Aber 
Othello und Jago streben so auseinander, daB Liicken klaffen. Im Instinkt- 
menschen (der Tenor ist) schwacht sich das Gehirn also, daB der Mord 

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20 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

Desdemonas seinem geistigen Bankerott gleichkommt, mag auch das Or- 
chester ihn verhuten wollen. Othellos Monologe, sein musikalisch er- 
greifendes „Addio, sante memorie", so fein gesponnen sie auch sind, sie 
losen keine seelischen Ratsel. Um so mehr, als Jago alle Schleichwege 
seines Gedankens, alle Niedrigkeit seines Hohns, alle seine perfiden Rat- 
schlage in einem musikalischen parlando verrat, dessen Verdi bis dahin 
nicht fahig gewesen ware. Der Weg von jenem Spottchor im ,Maskenball a , 
der so schlagkraftig, doch ein wenig grob pointiert, zu dieser kiinstlerischen 
Umwertung kuhler Nichtswiirdigkeit ist weit. Aber er zeigt auch die 
Spuren der jahrelangen Lauterungsarbeit, die wieder in der Urkraft des 
Schaffenden ihre Synthese gefunden hat. 

Zum ersten Male wird der ganze Apparat, mit dem zeitgenossische 
Charakteristik arbeitet, in Dauerbetrieb gesetzt. Von dem Augenblick an, 
da das Schiff mit dem Orkan ringt, Blechblaser und Geigen aufschreien 
und die geteilten Chore in diesen Wettstreit der Elemente hineinrufen, 
bis zu Othellos Ende spurt das Orchester jeden Schritt des Dramas auf. 
Stets bereit, sich mit dem Volk zu farbigem Hintergrund zu paaren, stets den 
Worten und Ereignissen auflauernd, segnet es doch die Liebe Othellos 
und Desdemonas, folgt es doch geheimnisvoll dem Traum Jagos, stimmt 
es doch dem prachtigen Quartett zu; mit einem Wort: es vermag lebens- 
wahr zu schildern, sich selbstherrlich zu dehnen und miihelos den Weg 
zur Heimat der Musik, zum Gesang, zuriickzufinden. Es will nicht leit- 
motivisch sein, es will stets Musik aus sich heraus gebaren; es durcheilt 
die Zwischenstufen der Chromatik, doch nur um desto iiberzeugter der 
Mutter Diatonik zu huldigen. Immer weltbiirgerlich, bricht doch diese 
Musik nie die Briicken zur Vergangenheit ab. Die Nummer im alten Sinn, 
die Dramatik der Berge, Taler, Moraste, ja auch die Kadenz ist bis auf 
kleine Reste aufgegeben; aber ununterbrochen lauft die Entwickelungslinie. 
Gewifl: mit der „Aida a -Lyrik verglichen, erreicht diese Lyrik hier nur Mittel- 
hohe. Kein greisenhaftes Moderato, wie mancher glauben mochte; ihn will 
der Eilschritt des Dramas widerlegen, das, aus neuem kiinstlerischen Credo 
geboren, alles Uberpopulare hinwegschwemmt. Der vierte Akt des „Othello a 
ist die hochste Kraftprobe des alten und des neuen Verdi: jener, der Verdi 
knapper und glanzender Schliisse, drangt atemlos zur Katastrophe, dieser 
hutet sich vor der sentimentalen Nummer; das Lied vom Weidenbaum 
steht nicht urplotzlich vor uns, es wird in der Erinnerung aufgesucht, 
es tropft leise hinein. Angst, Gebet, Einschlummern, Wechselrede, Mord, 
Selbstanklage und Selbstmord, alles jagt hintereinander her und versteht 
sich doch, dank der Triebkraft von Stimme und Orchester, von selbst. 

Ist der Durchschnittsitaliener von 1887 dem „Othello a komponisten 
dankbar? Er ehrt in ihm den Meister; verbeiCt aber seinen Schmerz dariiber, 
daB Verdi ihm, dem Gewohnheitsmenschen, abtriinnig geworden sei. Den 



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WEISSMANN: VERDI 21 



.Othello" auch nur teilweise im Kopf heimzutragen, gelingt ihm nicht. Ein 
Orchester, das der Stimme allerorten ins Wort fallt, ist ihm nicht italienisch 
genug. 

Und wir, wie schatzen wir ihn ein? Auch wir zahlen den „Othello a mit 
Bedauern zu jenen Meisterwerken, die man mehr lobt als auffuhrt. Denn 
das Zwingende kann fur die Masse hier weder der Text noch die Musik 
noch ihr fast restloser ZusammenschluB sein; es kann nur von der Uber- 
tragung solcher Einheit auf die Darsteller ausgehen. Ein kuhl uberlegener 
Jago, ein packender Othello (der kein Dummkopf sein diirfte), eine kind- 
lich-hingegebene Desdemona, sie alle im selbstverstandlichen Besitz der 
Belcantostimmen und -technik, — man begreift, dafi solche Kunst einer 
gliicklichen Stunde einmal hinreifien kann. Andeutungen lassen aber nur den 
Kenner ahnen. Es ist der Geist der nachdenklicheren Neuzeit, der hier 
aus einem noch Jungen spricht. Die leidenschaftliche Personlichkeit muO 
dem Objekt entgegenkommen. Und keine dithyrambische Kritik wird sie 
aus der Erde stampfen. 

Ahnlich ist das Los des „Falstaff*. Er kam 1893. Hat der Greis 
einmal das Schweigen gebrochen, warum sollte er nicht wenige Jahre 
darauf noch einmal die Welt vor Staunen stumm machen? Uber Wagner, 
fiber die Krise hinaus hat er geschaffen, ein Naturwunder. Die Hand- 
schrift ist zittrig, aber das Eherne des Geistes, die Klarheit des Blickes 
ist geblieben. Den unwiderstehlichen Drang, sich mitzuteilen, besitzt er 
nicht mehr; den vergluhenden Funken muC Boito anblasen. Schon nach 
dem „Othello a hat Verdi das Gefiihl, ein Geheimnis preisgegeben zu haben. 
Jene Zeiten, da er zwischen dem ersten Kontrabafi und dem ersten Violon- 
cell sitzend dem Erfolg entgegenbebte, ersehnt er nicht mehr. Kammer- 
musik des Theaters konnte man nennen, was ihn jetzt erfiillt. Aber das 
Blut, das gar rasch in ihm kreist, leiht ihm auch ohne das anfeuernde 
Gesicht des Publikums das Tempo her. Dieses Tempo des w Falstaff*, 
diese Kraft, es in rhythmischer Mannigfaltigkeit, mit einem wohlerwogenen 
Auf und Ab von Stimmungen zu halten, das ist das Jugendliche an ihm. 
Wie es sich die Eroberungen des Alters noch einmal unterwirft, den ge- 
wahltesten Geschmack walten laBt, nie GleichmaB, Durchsichtigkeit ver- 
letzt, das ist jung und alt zugleich. Denn die entbundene Energie des 
Kraftmenschen und des Nurlyrikers ist fur die Vornehmheit frei geworden. 
Die risata sonora ist ein verhaltenes Lacheln. Ein ganz lockres Lachen 
hatte Verdi nie aufbringen konnen. Seit fiinfzig Jahren klingen die „Merry 
Wives" in ihm an. Nun, mit dem Humor des abgeklarten Greises, fuhlt er 
sich reif fur sie. 

Und in der Tat — dieses Libretto ist nicht lustig. Der Opern- 
falstaff ist eine Karikatur; noch dazu eine, deren Martyrium sich mehr an 
unser Mitgefuhl als an unsere Heiterkeit wendet. Verdi erschien er 



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22 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

anders. Haben wir aber erst unsere Sinne auf ein ruhigeres Erlebnis 
eingestellt, dann Ziehen eitel Lust und Staunen in sie ein. Mit der Aus- 
schaltung des Leidenschaftlichen ist jene selbstverstandliche Beherrschung 
aller Einzelheiten im Dienste des Gesamtkunstwerks erworben, die wir 
Stil nennen. Mozart ist hier von einem Durchkomponierenden fortgesetzt; 
doch so, daO auch die gesteigerte Empfindlichkeit des Zeitalters hineingestromt 
ist. Die Causerie behauptet sich als der Grund, aus dem das iibrige empor- 
wachst; hier ist sie geistreich gefarbt, dort lyrisch vertieft; und im romantischen 
dritten Akt wird die Nummer, die schon vorher zeitweise gedieh, liebevoller 
gepflegt. Sie will nicht in Eigenfarben leuchten; sie hebt sich kaum aus 
ihrer Umgebung heraus. Falstaffs Korperlichkeit drangt fiber das mifigliickte 
Abenteuer mit so naturlichem Schwergewicht zur Themse hin, daD der 
Musiker und der Theatermann lachen muB, wo der Mensch unerschiittert 
bleibt. Jenen aufgeschwemmten Edelmann mit so sicherem Stift zu zeichnen; 
das Sammel- und das Einzelgeschwatz so zwanglos zu meistern; den Spuk 
und Scherz mit dem Zauber der Holzblaser zu beschworen, — das ware 
dem Verdi von einst nicht gelungen. Und italienisch bleibt, im Sinne der 
Wenigen, die unerbittliche Berufung auf ein vom Stimmklang beherrschtes 
Ohr. Auch hier ein Sieg des Diatonischen. Der Leckerbissen wird — 
das Bild mag durch die musikalische Komodie gerechtfertigt sein — dem 
Feinschmecker nur als wiirzende Zukost gereicht. Das C-dur Gefuhl 
weicht nicht bis zur magistralen Fuge. Trotz jener Edelharmonik, die den 
Mitternachtsglockenschlagen einen neuen, geheimen Sinn gibt. 

Die „Lustigen Weiber von Windsor" jenes Nicolai, der das „Nabucco a - 
Textbuch ablehnte, scheinen damit im Werte gesunken. Aber sie leben, 
ja leben glucklich unter dem Schutz des Biirgertums, das in ihrer vielfach 
zusammengesetzten Nummer selig ist. Ich will sie nicht verachten; nur 
darauf hindeuten, daB bei gleicher textlicher Grundlage burgerliche Zahigkeit 
am Guten, Alten festhalt. So ist w Falstaff« mit seinem gedampften Ton fiir 
den Kampf urns Biihnendasein noch weniger geriistet als „Othello a . 



Der Meister heiliger Musik ist mehr als ein Intermezzo. In wenigen 
Beispielen zusammengefaBt, bezeugt sie eine mit der dramatischen gleich- 
laufende Entwickelung. Wie Natur die Kultur langsam und schrittweise 
einsaugt, brockelt von dem Kindesglauben manches ab. Aber die Urn- 
fassungsmauern, die den Blick ins Freie nicht trfiben, stehen noch; wie 
die Kindlichkeit nie zerstort wiirde. Einst flofi Verdi's Religion in seine Oper. 
Nun, mit deren Vermenschlichung und Vergeistigung, fliichtet sie abseits 
und baut sich ein eigen Haus. Der hochste Trost des Einsamen, des 
Greises. 

Das Requiem, das ihm die Liebe zu dem abgeschiedenen Manzoni 



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WEISSMANN: VERDI 23 

1873 diktiert, hatte in jene Generalpause Bresche gelegt. Es verleugnet 
seine Aida-Nahe nicht, ist Palestrina ferner. Das Opernhafte, ins Innerliche, 
Mystische gewandt, schimmert doch allenthalben durch. Die Solostimme 
ist wirksamste Sprecherin des Gefiihls; im Dies irae jagt das Blut des 
Dramatikers; uberall sonst sucht es sich zu beruhigen. Aber der Lyriker 
schweigt nicht. Und selbst die SchluOfuge hat nichts Asketisches; sie drangt 
zu machtvollem Ausstromen der Melodie, zur Wirkung hin. Die blieb 
dem Requiem nirgends versagt. Die Kirche, in der es 1874 zuerst erklang 
— es war die von San Marco in Mailand — hat es seinem Wesen nach zu 
meiden. Hat Verdi selbst nicht zugestimmt? In Wien weckt das Werk helle 
Begeisterung; der Meister schreibt gliicklich an einen Freund, das Offertorium 
und das Agnus Dei seien wiederholt worden. Der Liebhaber der Opern- 
dacapos ist nicht sprode. Die Quattropezzisacri: Ave Maria, Stabat mater, 
Laudi alia Vergine Maria, Te Deum, in Paris 1898 aufgefiihrt, zeigen die 
Weltlichkeit weit mehr gebandigt. Aber auch hier ein Aufkochen des 
Blutes, wie im Te Deum; der Asket will die verfeinerte, verzweigte 
Empfindung des Dramatikers vom Beiwerk losen, ubertrSgt die gewachsene 
Harmonik ins Vokale, biirdet sich im Ave Maria die Last der Scala 
enigmatica auf, stutzt nicht bei Quinten- und Oktavenfortschreitungen. 
Viel Muhsal am Wege. Aber der Wahrheits- und der Schonheitssucher finden 
sich im Lyrischen, im Melodischen. Man fragte, ob Dante's schone, klingende 
Paradiso-Strophen nach Verdi's Musik verlangten. Ihm ist sie Bediirfnis, 
Glaubensbekenntnis. 



Verdi ist nun bis zur groBen Abrechnung mit Wagner gediehen. Vor 
zehn Jahren noch ware sie eine Notwendigkeit gewesen. Heut schrumpft 
sie zu einem freundlichen Ausgleich zwischen Ebenbiirtigen zusammen. 

Das glaubige, bildungsdurstige Naturkind lauscht dem Propheten in 
eigener Sache, weil es in ihm die staunenswerte Zuammenfassung einer 
Zeitkultur wittert; die Lauterungsarbeit, in Verdi's kunstlerischem Gewissen 
keimend, wird beschleunigt. Die Feder entsagt der Eilfertigkeit. Das ist 
viel, sehr viel. Wie weit das individuelle Vervollkommnungsbedurfnis 
in weniger kritischen Zeiten gelangt wfire, wissen wir nicht. Nur das eine 
wissen wir, daO dieser Uritaliener nach sorgsamer Selbstpnifung doch die 
eiserne Kraft besaB, sich und sein Volk gegeniiber Fremdem zu betonen, 
nur das Allgemeingiiltige einzusaugen, alles Ungeeignete abzustoBen. Was 
eine Welt bis zu volliger Denkunfahigkeit knechtete, konnte ihn nicht 
schwachen, nur emportragen. 

Wir stehen bei einer Wagner-Revision. Sie wird uns erleichtert, wenn 
wir den Kontrast der beiden Erscheinungen ins Licht riicken. Ja, wir 
dringen so bis zum Herzen der Biihnenmusik. 



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24 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

Ewige Klage: auslandische, meist italienische Einfuhr deckt den Be- 
darf des deutschen Opernspielplans. In der Vergangenheit sind ganze 
Biihnen dem Italianismo geweiht; in der Gegenwart jammern die musika- 
lischen Fiihrer iiber Vernachlassigung, konnen aber den Opernhunger des 
Volkes nicht stillen. Dieses leidet unter der Theaterfremdheit des deutschen 
Musikers, die nur von seltenen und nicht immer reinrassigen Gliedern 
der Zunft iiberwunden wird. Wer unter den Musikern vermag die Reali- 
taten der Musikbiihne zu erkennen? Wer wirft den Ballast des Denkens 
fort, um diese mit der Erbsiinde des Unwahrhaftigen beschwerte, aber 
volkstiimlichste Mischkunst in ihrera Wesen zu pflegen? Die Denkenden 
wehren sich gegen die Erbsunde, die Unbedenklichen entehren sich in 
elenden Kompromissen. Man mochte so gern das Geheimnis der Wirkung 
entschleiern. Sie ist zusammengesetzt wie der Organismus der Oper. 
Nur da, wo keiner der Faktoren dieser Mischwirkung versagt, kann die 
treibende Kraft einer mehr oder minder musikalischen Regie den Erfolg 
bekraftigen, sonst wird auch dieses hochst verfeinerte Ersatzmittel ihn nicht 
herbeizwingen konnen. Die Mischwirkung aber, nur mit verschieden 
starken Komponenten, bis zum Triumph iiber die Horenden und Schauen- 
den zu steigern, ist Verdi und Wagner gegliickt. 

Und doch konnte der eine zum anderen nicht kommen. Verdi mag Wagner 
die Weite des Gesichtskreises, die Uberwaltigung eines Volkes von Gebildeten, 
den Schriftstellerruhm einen Augenblick neiden. Im nachsten schon wirft er 
ihm bei aller Schatzung des Kunstwerks vor, er habe Musik auf Theorieen gebaut. 
Sein Wirklichkeitssinn riittelt nicht an der Begrenztheit der Oper, laCt sich 
von ihrer Erbsunde nicht zur Phantastik verfiihren; er zielt leidenschaft- 
lich ohne hemmende Zwischenglieder auf die Sinne des Theaterbesuchers. 
Im Volkstum wurzelnd, dem Volkstum dienend, kann er sich doch so nie 
in den Nebel des Mythologischen, des Ubermenschlichen verirren. Sein 
Biihneninstinkt und sein Musikerblut mogen ihn zweimal in eine Sackgasse 
treiben, beim dritten Anhieb bleibt er Sieger. Der Sechziger noch be- 
gniigt sich in „Aida" mit der annahernden Wahrheit und verteidigt sie 
mit der ganzen Schlagkraft einer geklarten Jugend. Wagners gedehnte 
Szene, gegen die sich die Biihne aufzulehnen beginnt, wird nicht nur von 
Verdi's Wirklichkeitssinn verurteilt. Wie dieser zur Spannung drangt und 
alle Uberspannung vermeidet, so spricht auch im Musiker der bon sens 
das entscheidende Wort. Sein Musikzentrum ist nicht das wagnersche; 
es ist iiberhaupt mehr Zentrum als dieses. Von gesundester Sinnlichkeit, 
braucht er nicht aufpeitschenden Nervenreiz noch entliehene Stimmung, 
um zu erfinden. Aus dem Geschehnis springt ihm ungerufen das Klang- 
bild hervor, der seelischen Verfeinerung harrend, die zuerst nicht einmal 
gesucht wird. Den Umweg iiber die Sprache kennt er nicht, auch dann 
nicht, wenn zuletzt unter dem Zwang des Geistes die Formen sich dehnen, 



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WEISSMANN: VERDI 25 

sich Idsen. Die sangbaren Intervalle im Spiel des rhythmischen Wechsels 
sind sein Reich. Der Musiker jubelt, wenn sie sich kunst- und sinn- 
voll zur Mehrstimmigkeit fugen. Er jubelt, wahrend Wagner im Solde 
der Wahrheit Enthaltsamkeit iibt, das endlose Selbst- und Zwiegesprach 
zur Stilregel erhebt und nur ausnahmsweise, wie in einem Schwache- 
anfall, der vielfachen Schonheit opfert. Er kann verzichten, weil der Ton 
des Orchesters ihm sinnvoller zu reden scheint. Wie oft auch Wagner 
den Gesang als die Quelle der Tonkunst riihmt, der Stimmungsmensch 
und -musiker, der Denker, der jeden Schritt (iberwacht, der Dramatiker 
ziehen ihn schwerbliitig nach dem Orchester. Dort thront die Phantasie, 
die verzweigterem Anreiz gehorcht. Von dort aus steigt der Geist der 
Dichtung glutfarbig auf, wird der Geist der Ermiidung krampfhaft be- 
schworen. Mit diesem einzigen Orchester wird die Welt bezwungen. Aber 
die Krucke des Leitmotivs, die einer verarmenden Phantasie gereicht wird, 
vielmehr dieses pedantisch-phantastisch aufeinander getiirmte groQe System 
von Krucken lehnt Verdi's aus anderer Quelle gespeistes Musikertum 
lachelnd ab. Lieber einen Abstrich von der sogenannten Wahrheit, lieber 
ein bezeichnendes Nurstreifen des Charakters als solch schwer atmendes 
Hinaufklimmen zu einer Hohe, von der wir jederzeit abstiirzen konnen. 
Oder waren wirklich Siegfrieds und Violettas Schwanensang im Sinne der 
Buhnenwahrheit einander fern? So konnen auch Verdi's Rezitativ und De- 
klamation selbst hart an der Wagner-Grenze nie in den Sprachgesang miinden, 
der dem Empfundenen wie dem Nuchternen gilt, in Ode und Sand gerat 
und allmahlich das Unartikulierte geboren hat. Verdi's Orchester wird — es 
ist wahr — folgerichtig nie den Status meisterlicher Selbstverstandlichkeit 
iibersteigen, wird nie durch Auffallendes zur Nachahmung reizen; es ist 
prunklos, bescheiden, wie der Mensch war. Wie seltsam, daO solche 
Prunklosigkeit und Echtheit eines zur Kultur emporgestiegenen Naturkindes 
im Augenblick der Erinnerungsfeier die durch rastlosen Uberreiz erschopften 
Sinne zu kuhlen bestimmt ist! Also waltet die Racherin Zeit. Und doch 
kann eben nur die Ungerechtigkeit einer Stunde der Erschopfung den einen 
gegen den anderen ausspielen. Selbst wenn Verdi's Biihnenwirklichkeitssinn 
den Blick auf die stelzbeinige Kunstlichkeit mancher Wagnerschen Szene 
lenkt, im Wagner-Werk, soweit es Menschen faBt, steht zunachst noch 
mehr als ein Denkmal des deutschen Idealismus, der sich das Drama iiber 
Hemmnisse hinweg erobert; steckt noch ein unzerstorbarer Kern, eine an 
Festtagen des Gefiihls hinreiflende Kraft. Ruinen liegen genug am Wege 
der Oper, und gerade der Oper. Das Lebenskraftige aber zu erhalten und 
zu entwickeln, tut not. 

Ist nun Verdi entwickelungsfShig? Zuweilen ist auf den „Falstaff" 
als moglichen Ausgangspunkt einer neuen und verfeinerten italienischen 
Oper gedeutet worden. Aber nicht rein zufallig sind schon Zeitgenossen 



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26 DIE MUSIK XIII. 1: 1, OKTOBERHEFT 1913 

und Nachfolger abgebogen, Wenn Puccini zwischen Italien and Frankreich 
Fiden knfipft, aparsam leltmotiviscb wird und docb der KraBbeit aits 
Oberzeugung dlent, so liegt in der Ttt in dem Werk des gr&Qten KSnners 
unter den Veristen eine allzu zersplltterte Miniaturmlschkunst vor. Und 
der weltbfirgerliche Italiener Verdi, auf die Nacbahmer Bixets und Wagners 
nnter den macatri ireisend, kJagt: »Es fehtt v6Uig an Patriotlamns in der 
italienischen Musik,* 

Das nene Italien, von Verdi aelbst musikallsch vorgeahnt, nimmt 
anders als das frubere am Wettstreit der VSlker tell. Es will nur zeit* 
gemU und nnr weltbfirgcrlich aeia. Es 1st im Begriff, die Bfirde der 
historiscben Vergsngcnheit abzusch&tteln und, auf nene Terte gestfltzt, 
Bnanzkriftig zu werdon. Stilck urn Stfick werden Symbol© des EInst i&r- 
st3rt Stldte streifen ihr Eigenates ab, nod nur abseits vom grofien 
Menschenstrom kSnnen sicb die Ideale des r&ckblickenden Trlnmers nocb 
verankern. Handel und Technlk drfngen nnweigerllcb vorw&rts und 
treten WiderstSnde nieder* LBngst schon, in den Zeiten virtscbaftlichen 
Schlummers, bat Italien die Sendboten des Volkes, seine Singer und 
Singerinnen, die einst scbarenweis im Lande vuchsen, ans kfinstleriscben 
Griinden sich vennindern sehcn; dann, Immer wenig begelsterungp- und 
darum immer wcniger aufopferungsHhlg, sie als Merkwfirdigkeiten an die 
staunende Umwelt abgegeben; und miide, verw&hnt, fremd kehrt das Kind 
dea Landes als Gast heim. Milano, nicht umsonst ^capitals morale" Italians 
gpnannt, ist ancb sein Kopf, ist Gradmesser seines Anfstieges; im Scala- 
tbeater bat nocb fede Ricbtung ihr Ecbo gefundeu. Von dort aus scbreitet 
auch jetzt unsendmentales Weltb&rgertnm vorwirts* Nocb trennt, vie 
immer, die Kunst dieses denkenden Kopfes und die des trigeren Rumpfes 
eine Kluft. Mailand ist fiber den letzten Richard Wagner scbon beim Jung- 
6teo Richard Straufi augelsngt, vfthrend veiter unten noch Neuerungssfichtigc 
im .Lohengrin* selig fortdSmmern. Docb der Kurs Ist gegeben* Man 
steuert ISogst von der alten Melodie ab, wie man der wirtscbaftllch hem- 
menden Vergangenbeit entsagt hat, Man ist curop&isch. 

An der Schwelle dieses neuen Italiens, das ibm noch Krftnze winden 
kann, mit einen kurzen Blick ins zwanzigste Jahrbundert, steht Giuseppe 
Verdi: Italiener und Weltbfirger* 



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VERDI UND SHAKESPEARE 

(MACBETH - BRIEFE UBER K6NIG LEAR — OTHELLO — FALSTAFF) 
VON EDGAR ISTEL IN BERLIN-WILMERSDORF 



„Vi pare che la mia flsionomia sia quella d'un 
tedesco? Vi pare che sotto questo sole e questo cielo 
io avrei potuto scrivere il Tristano o la Trilogia? Siamo 
italiani, per Dio! in tutto, anche nclla musical" 

(Sie halten meine Physiognomic fur die eines 
Deutschen? Sie glauben, unter dieser Sonne und 
diesem Himmel hfitte ich den „Tristan a oder die 
Trilogie schreiben konnen? Italiener sind wir, bei 
Gott, in allem, auch in der Musik!) 

Verdi zu Monaldi 

Shakespeare's Theater, nach des jungen Goethe Ausspruch „ein 
schoner Raritatenkasten, in dem die Geschichte der Welt vor unseren 
Augen an dem unsichtbaren Faden der Zeit vorbeiwallt", hat zu alien Zeiten 
die Phantasie der Musiker lebhaft erregt und zur Nachgestaltung in Tonen 
gereizt. Unbekannt mit Lessings wundervollem Wort: ^Shakespeare will 
studiert, nicht geplundert sein", stiirzte sich die Menge der Komponisten 
in Gefolgschaft meist sehr zweifelhafter Textdichter auf Shakespeare's Erbe, 
wie die hungrigen Raben auf das Aas, um hier an scheinbar herrenlosem 
Gut sich zu sittigen. Doch des gfofien Briten gewaltiger Geist trium- 
phierte fast stets iiber diese Allzugierigen, und herrlich wie am ersten Tag 
blieben die hohen Schopfungen seines Geistes, wahrend die meisten 
Shakespeare-Opern bald schon der Vergessenheit anheimfielen. Eine ein- 
zige ruhmliche Ausnahme unter den vielzuvielen, die sich an Shakespeare 
vergriffen, bildet Felix Mendelssohn Bartholdy, der, ohne Shake- 
speare's Wort anzutasten, mit seiner kongenialen „Sommernachtstraum a - 
Musik ein Kunstwerk schuf, das sich so harmonisch dem Dichterwerk ein- 
gliedert, daft wir uns eine Auffiihrung des herrlichen Marchens ohne Mendels- 
sohns Tone gar nicht mehr zu denken vermogen. Uberhaupt zeigten die 
deutschen Komponisten — wenigstens die bedeutenderen — mehr Respekt 
vor Shakespeare als die romanischen. So iible Verballhornungen wie 
Rossini's „Othello a , Bellini's und Gounod's „Romeo und Julie", A. 
Thomas' „Hamlet a hat man in Deutschland nicht versucht, und, von 
Goldmarks kurzlebigem w Wintermarchen a abgesehen, hat sich an den 
tragischen Shakespeare-Stoffen kaum ein deutscher Komponist von Namen 
und Rang vergriffen. Dafi sich der junge Richard Wagner aus dem 
ernsten B MaD fur Mafi" sein iibermutiges B Liebesverbot" zurechtzimmerte, 
mag nur als Kuriositat noch interessieren. In Wirklichkeit hat Wagner 
von Shakespeare nur den Stoff in ganz allgemeiner Weise entlehnt und 



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28 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

etwas, das kaum noch an Shakespeare erinnert, daraus gemacht. 1 ) Gluck- 
licher als mit den ernsten Stoffen waren die Komponisten mit Shake- 
speare's Lustspielen: Nicola is auf ein zum groBten Teile sehr geschicktes 
Textbuch komponierte „Lustige Weiber a (Text von Mosenthal unter 
Mitwirkung Nicolais), Hermann Goetz' „Der Widerspenstigen 
Zahmung" auf ein die rohe Shakespeare'sche Jugendposse veredelndes 
ausgezeichnetes Buch von J. V. Widmann komponiert, haben die gleich- 
namigen Lustspiele Shakespeare's fast ganz von der Buhne verdrangt, was 
allerdings im Hinblick auf die prachtigen „Lustigen Weiber" Shakespeare's 
sehr zu bedauern ist. Auch Berlioz hat mit seiner komischen Oper 
„Benedikt und Beatrice" (nach „Viel Larm um nichts") eine recht 
gliickliche Hand gehabt, obwohl sein Textbuch durchaus keine ideale Um- 
gestaltung des englischen Lustspieles darstellt. Das Wesentliche jedoch ist 
und bleibt, daB diese drei Tondichter wirklich ein Stuck heiteren Shake- 
speare'schen Geistes in Musik zu bannen verstanden, wahrend die bereits 
genannten Komponisten tragischer Opera Shakespeare entweder verwasserten 
Oder versiiBlichten. Ganz merkwurdig, einzigartig steht es dagegen um 
Verdi, den groCten italienischen Musikdramatiker des 19. Jahrhunderts, 
den einzigen ebenbiirtigen Rivalen Wagners, um jenen seltsamen Mann, 
der nach manchen Irrwegen noch als hochbetagter Greis gerade an der 
Hand des einst von ihm selbst opernhaft miBhandelten Shakespeare einen 
neuen tragischen und komischen Stil erfinden sollte, dessen Wirkung auf 
die Zukunft der lyrischen Buhne vielleicht starker sein wird als die der 
Wagner-Nachfolge. 

Als Verdi zum ersten Male im Jahre 1847 sich an Shakespeare's 
„Macbeth a heranwagte, war ihm, wie alien Italienern seiner Zeit, der 
Geist des groBen Briten noch fremd, und ihn reizte wahrscheinlich 
nur die schauerliche Moritat mit ihren fur die Musik oft sehr giinstigen 
Nachtszenen. Unmittelbar nach Beendigung des „Macbeth*, dessen Buch 
von Piave, dem Dichter des „Rigoletto" herruhrte, schlug ihm der Schiller- 
iibersetzer Maffei den Stoff des „Konig Lear" fur eine Oper vor, doch 
Verdi lehnte ab mit den Worten: „Wo keine Liebe ist, kann auch keine 
Musik sein**. 2 ) Doch Verdi blieb nicht bei dieser Ablehnung, im Gegen- 
teil, der Stoff zog ihn so mlchtig an, daB er ihn nicht nur dem Dichter 
Cammarano, der den ^Troubadour" fur ihn schrieb, noch kurz vor dessen 
Tode, sondern spater im Jahre 1853 nochmals dem Venezianer Dichter 
Antonio Somma vorschlug, wobei er bekannte, er ziehe Shakespeare alien 
Dramatikern vor, selbst die alten Griechen nicht ausgenommen. Dies laBt 
bereits auf eine vertraute Bekanntschaft mit dem groBen Briten schlieBen, 

J ) Vgl. meine ausfuhrliche Studie uber das „Liebesverbot" ( w Die Musik**, 
VIII. Jahrgang, Heft 19). 

2 ) Von Monaldi in seiner Verdi-Biographie, 9. Kapitel, erzihlt. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 29 

und in der Tat, die Bemerkungen Verdi's in der sich iiber drei Jahre 
hinziehenden Korrespondenz mit Somma, die ich bier zum ersten Male 
deutsch veroffentliche, zeigen zum allergroflten Teile ein feineres Ver- 
standnis, wenngleich nicht zu verkennen ist, dafi auch hier in vieler Hin- 
sicht noch Shakespeare zugunsten einer italienisch-effektvollen Oper 
einfach vergewaltigt wird. Dafi sich die Shakespeare'sche Tragodie diese 
Prokrustesbehandlung nicht recht gefallen liefi, sah Verdi zu guter Letzt 
ein, und so blieb es nach den eifrigsten Bemiihungen urn das Textbuch 
endgiiltig dabei, daft Verdi die Musik dazu nicht ausarbeitete. Erst iiber 
ein Menschenalter spater kam der 70jahrige, inzwischen aufs feinste 
kultivierte Meister auf seine alte Liebe Shakespeare zuriick, und er hatte 
das grofle Gliick, in Arrigo Boito einen Mann zu finden, der die Erforder- 
nisse des Komponisten mit grofiter Pietat gegen den Dichter zu vereinen 
wufite. Aus dem brutalen Vergewaltiger Shakespeare's wurde Verdi so 
im hochsten Alter noch dessen Diener: nicht mehr die absolute „Wirk- 
samkeit" der Musik, der krasse Theatereffekt urn jeden Preis, sondern die 
psychologische Ausdeutung der poetischen Situation waren ihm nun, 
ganz im Sinne Wagners, aber ohne diesen irgendwie aufierlich nachzuahmen, 
die Hauptsache. Und so wurde denn seinem Jugendtraum, daft er im Zeichen 
Shakespeare's siegen werde, eine herrliche Erfiillung im Alter zuteil. 
a Othello" und „Falstaff a , unsterbliche Meisterwerke, sie bilden mit „Aida", 
„Rigoletto a , „Trovatore", „Traviata" und „Maskenball a die Kette jener 
Opern, die den Namen Verdi's iiber den Erdball trugen, und wenn von 
den alteren Werkeji schon manches verblafit und abgebrockelt sein wird, 
„Othello" und w Falstaff tt allein werden den Namen Verdi durch die Jahr- 
hunderte geleiten. 

In welchem Geiste aber der alte Verdi diese Werke schuf, moge 
ein charakteristischer, von Italo Pizzi (Ricordi Verdiani) iiberlieferter Aus- 
spruch des Meisters zeigen: ^Shakespeare analysierte die menschliche 
Seele so scharf und drang so tief in sie ein, dafi das, was er seine 
Personen sagen lafit, offenbar gerade menschliche Gewohnheit ist, dafi es 
wahr ist, und dafi manches so wirklich sein musse." Er stellte ihn 
aufierdem, wie Pizzi berichtet, in Gegensatz zu dem iibertriebenen Victor 
Hugo — dessen „Le roi s'amuse* Verdi zu „Rigoletto* benutzt hatte — 
und dem zu sehr idealisierenden Schiller, dessen „Rauber", „Kabale und 
Liebe - , „Fiesco*, w Don Carlos", „Jungfrau von Orleans" Verdi in ziem- 
lich erfolglos gebliebenen Opern verarbeitet hatte. 

Gewifi, Verdi blieb in alledem, auch in B Othello" und w Falstaff a , er 
selbst, ein echter Italiener, und doch, die starke Wendung zum deutsch- 
franzdsischen Musikdrama-Ideal, das allezeit dem italienischen Schwelgen 
in schoner Melodie und krassen Situationen stark entgegengesetzt war, ist 
nicht zu verkennen. Waren ^Othello" und „Falstaff" auch zunSchst bei 



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30 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

ihren italienischen Urauffiihrungen groBe Erfolge, so hielten diese Erfolge 
doch nicht geniigend an; heimisch wurde „Othello a ausschlieBlich in 
Deutschland, wo dem „Falstaff a immer noch in Nicolais „Lustigen Weibern a 
ein fast uniiberwindlicher Rivale im Wege steht, merkwiirdigerweise wohl 
gerade deshalb, weil die sinnlich-italienische Art des in Italien gebildeten 
jungen deutschen Nicolai unserem Opernpublikum mehr zusagt als der 
destillierte Humor des durch germanische Schule hindurchgegangenen alten 
Italieners Verdi, — eine seltsame Erscheinung der Kunstgeschichte. Urn 
einen Vergleich zu gebrauchen: bei Nicolai spruhender Champagner, bei 
Verdi milder abgelagerter alter Wein. Wie sich das italienische Volk 
indes mit dem alten Verdi, dem Meister des „OthelIo* und „Falstaff a ab- 
fand, dafiir ist nichts charakteristischer als des Marchese Monaldi Be- 
merkung am SchluB seiner Verdibiographie: „Fiir die Geschichte bleibt 
der Musiker des ,Othello 4 und des ,FalstafT' groB, ja grofier noch, als er 
in der Vergangenheit gewesen; aber fur die Volksiiberlieferung endet 
Giuseppe Verdi mit der ,Aida' ". Das heiOt mit anderen Worten ganz 
richtig, daB die Physiognomie des Lombarden Verdi zuletzt doch noch 
ein „ultramontanes a Gesicht angenommen hatte. ^Ultramontan" sind 
namlich fixr den Italiener die — Deutschen. 

I. 

„Macbeth" 

Selbst die begeistertsten Biographen Verdi's sind sich dariiber einig, 
daB die Oper „Macbeth a keine der hervorragenden Schopfungen Verdi's 
ist, und insbesondere wird das von Piave herruhrende Textbuch durch- 
weg einer abfalligen Kritik unterzogen. Ich vermag in diese Verdammung 
nicht unbedingt einzustimmen und finde rein vom Standpunkt der thea- 
tralischen Wirksamkeit aus das allerdings etwas einfarbig diistere Text- 
buch nicht gar so iibel zusammengestellt. An Shakespeare's fein psycho- 
logische Motivierungen darf man dabei allerdings nicht denken; aber sollte 
eine Zeit, die die unglaublichsten Verballhornungen von Meisterwerken 
der Weltliteratur im Kino duldet, gar so strenge ins Gericht gehen mit 
dem jungen Verdi und seinem Textfabrikanten, die sich aus all den 
blutigen Greueln der Tragodie ein Spektakelstiick fur ihr Publikum zurecht- 
zimmerten? Das Verhaltnis des Verdi'schen Textbuches zu Shakespeare's 
Meisterwerk eingehend darzulegen, verlohnt sich kaum der Miihe. Ich 
beschranke mich also auf einen allgemeinen Uberblick daruber, welche 
Szenen Piave benutzte, und wie er die reiche Shakespeare'sche Handlung 
auf wenige Momente zusammendrangte. Aus den fiinf Akten des Briten 
sind hier vier geworden, und zwar derart, daB im groBen ganzen der erste 
Akt der Oper den beiden ersten Akten Shakespeare's entspricht, der zweite 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 31 

Akt dem dritten des Dichters, der dritte einem Teil des vierten, der vierte 
dem vierten und fiinften Shakespeare's. Die Hauptpersonen des Dichters 
sind beibehalten. Gestrichen sind lediglich Nebenpersonen, wie der zweite 
Sohn des Konigs Duncan, weiter eine Reihe schottischer Edelleute, Macduff's 
Frau und Sohn usw. 

Der erste Akt zerfallt in zwei Abteilungen: ZunMchst freies Feld 
mit Hexenszenen sowie Macbeth's und Banco's Duett, dann Verwandlung 
in Macbeth's SchloB, Lady Macbeth zunachst allein, weiter Ankunft der 
Gaste, groBe Szene zwischen Macbeth und seiner Frau (BeschluB, den 
Konig zu ermorden) und schlieBlich Finale, Entdeckung des Mordes mit 
groBem Sextett: Lady, deren Dame, Macduff, Malcolm, Macbeth, Banco 
und Chor (Piave laBt Banco statt Lenox den Mord entdecken). Der zweite 
Akt hat drei Abteilungen: Zunachst beschlieBen Macbeth und seine Frau 
Banco's Tod, dann verwandelt sich die Szene in den Park, wo der Chor 
der Morder auftritt, um Banco zu ermorden, und schlieBlich spielt der 
Akt wieder in Macbeth's Schlosse, — zweites Finale, welches das beruhmte 
Gastmahl, mit Banco's Erscheinen als Geist enthfilt. Der dritte Akt spielt 
lediglich in einer Hohle, wo Hexen und Geister ihr tolles Wesen treiben 
und schlieBlich sich sogar Lady Macbeth einfindet, um mit ihrem Mann 
ein Duett zu singen(!). Der vierte Akt hat wiederum drei Abteilungen: 
ZunSchst wuste Gegend an der Grenze Englands und Schottlands, in der 
Feme das SchloB Birnam. Ein Chor schottischer Fliichtlinge beklagt das 
unterdruckte Vaterland. Soloszene Macduff's, Malcolm mit Soldaten kommt 
hinzu, Duett Malcolm's und Macduff's. Dann Saal in Macbeth's SchloB, 
Nachtwandelszene der Lady, dann Macbeth allein. Uberleitungs- 
musik zum Schlachtfeld, Schlacht und schlieBlich Siegeschor. Man sieht, 
es waren die grobsten Effektstellen, die den Textdichter reizten. Verdi 
selbst hingegen konzentrierte sein Interesse auf einige wenige Szenen, in 
denen sich denn auch eigenartige und merkwiirdige Genieziige finden, 
wahrend der Rest der Partitur sich kaum iiber den Durchschnitt des im 
Jahre 1846 ublich gewesenen Opemmusizierens erhebt. Der Einflufl des 
Meyerbeer'schen ^Robert der Teufel", dessen Erfolg Verdi reizte, auch 
einmal einen Ausflug ins Schauerliche zu wagen, ist unverkennbar, und 
der Geist der Partitur laflt sich wohl am ehesten mit Victor Hugo'scher 
Romantik bezeichnen. Insbesondere der Hexentanz und die groBe Er- 
scheinungsszene im dritten Akt sind unleugbare Kopien Meyerbeer'scher 
Schauerromantik, einer Art von Romantik, die, etwa gegen Marschners 
„Vampyr" und Wagners „Fliegenden Hollander* gehalten, uns heute als 
durchaus unecht erscheinen muB, wenn gleichwohl Verdi damals wirklich 
so empfunden haben mag. Immerhin war sich Verdi dariiber klar, 
welche auBerordentlichen Schwierigkeiten der Stoff ihm darbot, und er 
hatte gerne mehr Zeit und Sorgfalt auf die Komposition verwandt, wie 



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32 DIE MUSIK XIII. I: 1. OKTOBERHEFT 1913 

er auch seinen Freunden, vor allem Mafifei, mitteilte. Aber er konnte 
nicht mehr zuruck, die Proben waren schon seit langer Zeit im Gange, 
die Oper angekiindigt, und Verdi muflte um jeden Preis mit der Partitur 
fertig werden. Tatsachlich wird berichtet, daB Verdi damals auBerordentlich 
nervos, unruhig und launisch war; nichtsdestoweniger aber verwendete er 
viel Sorgfalt auf die Proben. Eine anschauliche Schilderung jener Vor- 
gange verdanken wir der Sangerin Nini Barbieri, die von Verdi selbst fur 
die Partie der Lady ausgewahlt worden war. Sie erzahlt: 

„Die Klavier- und Orchesterproben beliefen sich auf mehr als 100, da Verdi 
sich nie mit der Ausfuhrung zufrieden zeigte und eine bessere Wiedergabe von den 
Kunstlern verlangte, die teils wegen dieser seiner ubertriebenen Anforderung, teils wegen 
des ibm eigenen verscblossenen und schweigsamen Charakters keine sonderlicbe 
Sympathie fur ihn begten. Morgens und abends richteten sich im Probesaal und auf 
der Buhne, sobald der Meister sich zur Probe einstellte, alle Augen auf ihn, um aus 
seinem Gesichtsausdruck abzulesen, ob es was Neues giibe. Kam er lSchelnd heran, 
so war es so gut wie gewifi, daB er an diesem Tage eine Zusatzprobe begehrte. Ich 
erinnere mich, daB zwei Stellen die Kulminationspunkte der Oper waren: die Szene 
des Nachtwandelns -und mein Duett mit dem Bariton (Macbeth). Es klingt kaum 
glaublich, aber es ist Tatsache, daB die Szene des Nachtwandelns allein drei Monate 
des Studiums in Anspruch nahm. Drei Monate suchte ich morgens und abends 
jemanden nachzuahmen, der im Schlafe spricht, der, wie mir der Meister sagte, Worte 
hervorbringt, gewissermafien, ohne die Lippen zu bewegen, die ubrigen Teile des 
Gesichts unbeweglich, die Augen geschlossen . . . Es war das etwas zum Verruckt- 
werden! . . . Und das Duett mit dem Bariton, das beginnt: ,Fatal, mia donna, un 
murmure' wurde, so unglaublich es klingt, 150 mal probiert, damit es, wie Verdi 
sagte, dahin gelange, daB es mehr wie gesprochen als gesungen klange. Nun, das 
ging voruber. Am Abend der Generalprobe verlangte Verdi vor vollem Hause auch 
noch, daB die Kunstler das Kostum anlegen sollten, 1 ) und wenn er sich auf etwas 
versteifte, so gab es keinen Widerspruch! Wir waren endlich alle angekleidet und 
bereit, das Orchester in Ordnung und die Sachen auf der Buhne, als Verdi, nachdem 
er mir und Varese einen Wink gegeben, uns hinter die Kulissen rief und sagte, wir 
mochten ihm den Gefallen erzeigen und uns mit ihm in den Probesaal begeben, um 
nochmals dieses gottverfluchte Duett zu probieren . . ." 

„Man muBte dem Tyrannen mit Gewalt gehorchen. Ich erinnere mich auch noch 
der wutenden Blicke, die Varese ihm hinter der Buhne zuwarf, als er in den Probe- 
saal trat, die Hand am Degen, als habe er vor, Verdi niederzustoBen, wie er spater 
den Konig Duncan niederstoBen muBte. Trotzdem resignierte schlieBlich auch er 
sich, und die 151. Probe fand statt, wShrend das Publikum ungeduldig im Parterre 
hin und her tobte. Wer nun aber sagte, dieses Duett habe Begeisterung hervor- 
gerufen, wurde gar nichts sagen: es war etwas Unglaubliches, Neues, etwas, was noch 
nie erlebt worden war. Uberall, wo ich noch in Macbeth gesungen habe, und regel- 
maBig an alien Abenden wahrend der Stagione der Pergola 2 ) muBte ich dieses Duett 
wiederholen, zwei-, drei- und sogar viermal. An einem Abend muBten mir uns 
sogar zu funf Wiederholungen entscbliefien!" 



*) Im Gegensatz zu unseren Bubnen hat man die italienischen OpernsSnger 
niemals dazu bringen konnen, die Generalprobe im Kostum zu singen. 

2 ) In diesem Florentiner Theater hat im MSrz 1847 die Urauffuhrung des 
„Macbeth a stattgefunden. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 33 

„Am Abend der ersten Vorstellung werde ich nicht vergcssen, wie Verdi mich 
vor der Szene des Nachtwandelns, die eine der letzten der Oper ist, unruhig urn- 
kreiste, ohne ein Wort zu sprechen; man merkte sehr wohl, dafi der Erfolg, der 
schon sehr grofi war, ihm als definitiv erst nach dieser Szene erscheinen wurde. — 
Die Blatter jener Zeit mogen sagen, ob ich den dramatischen und musikalischen 
Gedanken des grofien Meisters richtig wiedergegeben habe. Ich weifi nur eines: daQ 
ich, als sich das Tosen des Beifalls kaum gelegt hatte und ich noch ganz zitternd 
und keines Wortes mfichtig in mein Ankleidezimmer getreten war, die Tiir sich 
offnen und — ich war schon halb ausgekleidet — Verdi eintreten sah, mit den 
Handen gestikulierend und die Lippen bewegend, als ob er eine Rede halten wollte; 
aber es gelang ihm nicht, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Ich lachte 
und weinte und sprach gleichfalls kein Wort, aber den Meister ansehend, gewahrte 
ich, dafi auch er rote Augen hatte . . . Wir druckten uns die H&nde fest und innig, 
und dann sturzte er davon. — Diese Szene aufrichtiger Erregung entschSdigte mich 
reichlich fur so viele Monate unausgesetzter Arbeit und bestSndiger Aufregung." 

Es beweist nicht nur Verdi's klare Einsicht in das Wesen seiner 
Oper, sondern auch den guten Geschmack des Florentiner Publikutns, dafi 
gerade das Duett aus dem ersten Akte und die Nachtwandelszene aus dem 
letzten solch auflerordentlichen Erfolg schon bei der ersten Auffiihrung er- 
zielten. Tatsachlich sind diese beiden Szenen die Glanzpunkte der Partitur, 
die einzigen beiden Szenen, die durchweg die geniale Begabung Verdi's 
zeigen und auch heute noch einer starken Wirkung fahig waren. Schon 
A. Basevi, der im Jahre 1859 zu Florenz ein sehr gescheites Buch er- 
scheinen liefi (Studio sulle opere di G. Verdi), das leider nur bis zur Oper 
„Aroldo a reicht und fur die spateren Werke Verdi's nicht fortgesetzt wurde, 
hat dieses Stuck „il pezzo culminante" (den Kulminationspunkt) der Oper 
genannt. 

Da mir leider die Partitur nicht vorliegt, der Klavierauszug aber nur 
ein sehr unvollkommenes Bild bietet, mbchte ich einige Satze Basevi's 
iiber diese Szene wiedergeben : 

„Zur magischen Wirkung des Ganzen tr3gt nicht nur die Melodie bei, sondern 
auch die zwar einfache, aber wirkungsvolle Instrumentation. Die zweiten Violinen 
mit Dampfern vollbringen eine Art Murmeln, wShrend die ersten Violinen und das 
Englisch-Horn dem Gesang pianissimo folgen. Dann schliefien sich andere Instrumente 
an, immer mit magischer Wirkung. Verdi hatte in dieser Oper viel Vorteil gezogen 
von der Kombination der Holzblaser, die etwas Phantastisches hat oder besser gesagt, 
sich dem Phantastischen anschliefit, wie Weber und Meyerbeer usw. bewiesen." 

Auch in der Nachtwandel-Szene hebt Basevi die eigenartige Ver- 
wendung des Englisch-Horns hervor, eines Instruments, von dem ubereifrige 
Wagnerianer gem behaupten, Wagner habe es erst fur die moderne 
Instrumentation entdeckt, wahrend romanische Meister es schon weit fruher 
ausdrucksvoll verwendet haben. Trotz dieser beiden genialen Szenen hielt 
sich die Oper nicht lange auf den Theatern. Auch die Umarbeitung des 
Textes, die die Librettisten Nuitter und Beaumont fur die am 21. April 1865 
stattgehabte Pariser Auffiihrung vornahmen, und die musikalischen Retouchen, 

XIII. 1. 3 



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34 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

zu denen sich Verdi damals verstand, haben das Schicksal der Oper nicht 
wenden konnen. Im Handel ist gegenwartig nur noch der Klavier-Auszug 
der Pariser Fassung (mit italienischem Text) zu haben, wahrend fur Auf- 
fiihrungen (die allerdings aufierhalb des Jubilaumsjahres kaum mehr statt- 
finden diirften) der Verleger Ricordi die Partitur in beiden Bearbeitungen 
vorrStig halt. Wie hoch Verdi selbst das Werk schatzte, mag folgender Brief 
beweisen, den er an seinen Schwiegervater und Wohltater Barezzi schrieb: 

[„Mein lieber Schwiegervater! 
Ich habe stets vorgehabt, Ihnen, der Sie mir ein Vater, Freund und Wohltater 
gewesen sind, eine Oper zu widmen; aber gebieterische Umst3nde haben mich bisher 
daran verhindert. Heute, da ich es kann, widme ich Ihnen meinen Macbeth, den ich 
von alien meinen Opern so sehr liebe. Das Herz bietet ihn an; mdge das Herz ihn 
annehmen. 

Ihr aufrichtigster 

G. Verdi«. 

II. 

Verdi's Briefe iiber „Konig Lear" 

Dafi Verdi einen „K6nig Lear" zu komponieren beabsichtige, war zu 
seinen Lebzeiten nur geriichtweise gelegentlich in die Offentlichkeit ge- 
drungen, und dieses Geriicht tauchte sogar in den letzten Jahren vor seinem 
Tode, nach Beendigung des „Falstaff a in den Zeitungen wiederholt auf; 
wie ernsthaft sich indes der Meister mit dem Learproblem drei Jahre hin- 
durch befafit hatte, kam erst unmittelbar nach seinem Tode zutage, jedoch 
derart, daft die Offentlichkeit selbst in Italien, inmitten der Flut von Verdi- 
publikationen kaum Notiz davon nahm und eine Kunde in deutsche Publi- 
kationen iiber Verdi tiberhaupt nicht gedrungen ist. Im Jahre 1902 ver- 
offentlichte in Citt& di Castello ein gewisser Alessandro Pascolato Briefe 
Verdi's an einen venezianischen Advokaten Antonio Somma, 1 ) der, was 
ebenfalls kaum bekannt war, der anonyme Verfasser des Librettos zu Verdi's 
„Maskenball a gewesen ist. In dieser Korrespondenz finden sich nun nicht 
weniger als 18 Briefe Verdi's, die sich mit einem von Somma fiir Verdi 
geschriebenen und von diesem gekauften Operntext „K6nig Lear" befassen 
und eine uberaus rege Anteilnahme des Komponisten beweisen. Diese 
Briefe stellen in gewissem Sinn sogar ein Kompendium dramaturgischer 
Librettokunst dar und sind somit auch iiber den Einzelfall hinaus von 
groflem kiinstlerischen Wert. Die Ausfiihrungen Verdi's iiber Abwechslung, 
Ktirze, Metren, seine genauen Erorterungen einzelner szenischer Momente 
sind insbesondere fiir Komponisten, die sich noch strebend bemuhen, von 



2 ) 1810—1864. Als Dichter wurde er insbesondere durch sein fur die Ristori ge- 
schriebenes Drama w Kassandra a bekannt, das 1859 in Paris grofien Erfolg errang. 
Seine ausgewahlten Werke publizierte der genannte Pascolato, Venedig 1868. 



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1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 35 

hervorragendem Interesse. Leider ist bis auf den heutigen Tag das Textbuch 
Somma's nicht publiziert worden, so dafl man die Bemerkungen Verdi's nur 
an der Hand Shakespeare's verfolgen kann; ob sich das Manuskript nebst den 
Gegenbriefen Somma's in Verdi's noch unzuganglichem NachlaB befindet, 
ist unbekannt. 1 ) Eines ist jedenfalls sicher: Nach dem Tode Somma's (1864), 
also zehn Jahre nach der Korrespondenz mit Verdi und der Vollendung 
des Buches, wollte Pascolato von Verdi die Erlaubnis erhalten, den „K6nig 
Lear* Somma's in den ausgewahlten Werken des Dichters zu publizieren; 
Verdi weigerte sich aber, das Libretto herauszugeben, vermutlich, weil er 
es damals noch immer zu komponieren beabsichtigte. Daft Verdi auch 
musikalische Vorarbeiten zum „Lear a gemacht haben muB, ist bei der 
Genauigkeit, mit der er drei Jahre lang iiber das Textbuch korrespondierte 
und dem Anteil, den er an einzelnen Szenen nahm, fast sicher. Leider 
sind diese Skizzen vermutlich dem groBen Autodaf6 zum Opfer gefallen, das 
Verdi nach seinem letzten Wunsch veranstalten lieB, da er nicht wollte, daB 
unvollkommene und unvollendete Werke nach seinem Tode veroffentlicht 
wurden. Dadurch ist uns ein sehr interessanter Einblick in die Werkstatt 
des Meisters entzogen worden; immerhin: bei dem Eifer, mit dem die Musik- 
philologie sich heutzutage jeder Kleinigkeit bemachtigt, die ein groBer Mann 
zufallig hinterlieB, ist es begreiflich, daB Verdi das profanum vulgus der 
musikwissenschaftlichen Karrner von seinem NachlaB ausgeschlossen 
wunschte. Ahnlich hat ja auch Brahms gedacht und gehandelt. Jedoch 
ist es nicht ganz ausgeschlossen, daB manche Absicht Verdi's — ich will 
nicht sagen: manches musikalische Thema — vom „Lear" in den .Othello" 
uberging. Wenn man liest, was Verdi iiber den Charakter Edmunds, so 
wie er ihn im Gegensatz zu Shakespeare haben wollte, schreibt und wie 
er ihn musikalisch zu illustrieren gedenkt, so liegt der Gedanke nahe, daB 
dieser Edmund nur eine Vorstudie zum spateren Jago war. Und auch 
die Cordelia Verdi's ware wohl eine Zwillingsschwester seiner Desdemona 
geworden. 

Interessant ist es, Verdi's Vorgehen bei dieser Opernangelegenheit 
zu beobachten. Uberzeugt davon, daB — wie Bellini einmal treffend sagte 
und jeder Opernkomponist bestatigen kann — es schwieriger ist, einen 
guten Stoff zu finden, als die Musik dazu zu schreiben, verwirft er im ersten 
Brief alle Vorschlage Somma's und verweist ihn dagegen auf Shakespeare's 



*) NachtrSgliche Anmerkung wahrend der Korrektur: Soeben getit 
eine Notiz durch die Zeitungen, wonach ein von Verdi selbst (?) niedergeschriebenes 
und verfaBtes (?) Lear-Textbuch, das sowohl Verse wie Prosa enthalte, im NachlaB 
gefunden worden sei. Es ist aber wohl anzunehmen, daB dieses Textbuch nebst den 
ubrigen Funden aus dem NachlaB jetzt publiziert wird. Es kann sich naturlich nur 
um Somma's Textbuch handeln, von dem sich Verdi vielleicht eine eigenhlndige 
Reinscbrift herstellte. 

3* 



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36 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

Drama. Im nachsten Brief schon gibt er dem Dichter ein Schema der 
Oper mit Akt- und Szeneneinteilung, Hauptsituationen, Zahl und Bedeutung 
der Rollen. Dieses Schema bildete, obwohl es spater noch starke Modi- 
fikationen erfahren muflte, doch die Grundlage der dichterischen Arbeit. 
Verdi erhielt den ersten Akt am 30. August 1853, zehn Tage spater den 
zweiten, und am 15. Oktober die beiden letzten Akte. Der Preis, den 
Verdi seinem Librettisten zahlte, war ein fiir die damalige Zeit sehr be- 
trachtlicher (2000 osterreichische Lire); daO Verdi schliefilich Miihe und 
Geld lieber verloren sein liefi, als einen ihm doch nicht mehr zusagenden 
Text zu komponieren, beweist aufs deutlichste seine kunstlerische Ge- 
wissenhaftigkeit. Fiir den armen Dichter begann mit der Honorarzahlung 
allerdings eine wahre Leidenszeit: denn nun hatte er noch zweieinhalb 
Jahre lang fortwfihrend zu andern und zu streichen, wobei Verdi nicht 
miide wurde, immer wieder aufs neue zu mahnen. Tatsachlich durfte 
Verdi zwar ein gut Teil der poetischen Arbeit fiir sich in Anspruch nehmen, 
und doch, zuletzt war er von dem Libretto wieder gar nicht befriedigt; wo- 
ran es lag, konnte er nicht so leicht ergriinden, doch gefiel ihm der SchluQ- 
akt zu wenig, und mit Recht mochte er sagen, dafi ein wirkungsloser 
Schlufi den Tod einer im librigen noch so vorzuglichen Oper bedeute. 
B Ende gut, alles gut", diese Maxime gilt nirgends so sehr wie im Theater. 
Mir scheint, Verdi hatte sich zu Beginn der Arbeit durch einige ihm sehr 
gemafie Situationen und Charaktere blenden lassen, und dabei iibersehen, 
dafi es eine durchaus unmogliche Sache sei, die Shakespeare'sche Handlung 
derart musikalisch zu machen, dafi sie sich restlos der Vertonung fugte. 
Wagner wurde nicht miide, den prinzipiellen Unterschied zwischen solchen 
Handlungen, die ihrer Natur nach der musikalischen Ausdeutung fahig 
sind, ja, ihrer bedurfen, und solchen, die durchaus in der Sphare des 
gesprochenen Dramas bleiben, zu betonen. Wenn auch freilich diese 
Wagnersche Theorie, wie alle Theorieen, einseitig ist und durch eine Reihe 
von gelungenen Meisterwerken — ich mochte hier gerade nur an Verdi's 
„Othello a erinnern — widerlegt wird, so ist doch nicht zu verkennen, dafi 
der Versuch, ein gesprochenes Drama in ein Opernbuch zu verwandeln, 
um so eher fehlschlagen wird, je vollkommener das Drama als gesprochenes 
Theaterstuck ist. Ich glaube, dafi die Learsage, hatte sie Shakespeare 
zufSllig nicht behandelt, einem phantasievollen Operndichter vielleicht den 
Stoff zu einer wirksamen und in ihrer Art vortrefflichen Oper geboten 
haben wurde. Nachdem aber ein Shakespeare einmal den Stoff auf seine 
Art endgultig gestaltet hatte, war es fur jeden Nachfolgenden unmoglich, 
sich von des grofien Briten gewaltigen Phantasiebildern loszumachen und 
irgendwie noch eigenes zu geben. Folgte man Shakespeare, so wurde man 
unmusikalisch, folgte man ihm nicht, — schwMchlich. So erging es dem 
guten Somma, der kein grofies Theatertalent war — und dies mochte ein 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 37 

Genie vom Rang Verdi's wohl gefuhlt haben. Was Verdi an Shakespeare 
vor allem reizte, waren die Figuren des Schurken Edmund, des Narren und 
der engelgleichen Cordelia. Lear selbst scheint ihn am meisten in der 
Gerichtsszene und beim Wiedererkennen Cordelia's interessiert zu haben. 
Dafi wir die Skizzen Verdi's zu diesen Szenen nicht besitzen, scheint mir ein 
groCer Verlust fiir die dramatische Musik. — Und nun lese man die Briefe 
des Meisters: 

1. 

Sant* Agata 22. April 1853 
Lieber Somma, 
ich bedaure, daB ich Ihnen nicht fruher auf ihr liebenswurdiges Schreiben antworten 
konnte, aber eine Menge kleiner Angelegenbeiten, die ich erledigen muBte, und dann 
die notwendige Oberlegung jener von Ihnen mir vorgeschlagenen Stoffe waren die 
Ursache dieser Verzogerung. Fur mich giebt es nichts schoneres, nichts lieberes, 
als meinen mit Ihrem groBen Namen zu verbinden: aber um wurdig oder auf die 
beste mir mogliche Weise die erhabene Poesie zu komponieren, die Sie sicher schaffen 
werden, gestatten Sie mir, Ihnen einige meiner Ansichten anzudeuten, welcher Art 
sie auch sein mogen. Die lange Erfahrung hat mich bestSrkt in den Ideen fiber die 
theatralische Wirkung, die ich immer besaB, wenn ich auch in meinen AnfSngen nur 
den Mut hatte, sie teilweise zu verwirklichen. (Zum Beispiel vor zehn Jahren hatte 
ich noch nicht gewagt, den Rigoletto zu schreiben.) Ich finde, unsere Oper leidet an 
zu groBer Monotonie, und darum wurde ich mich heute weigern, Stoffe in der Art 
von „Nabucco a , *) »Foscari a 2 ) usw. zu komponieren. Sie bieten sehr interessante 
szenische Momente, aber ohne Abwechslung. Es ist eine einzige Saite gespannt 
wenn Sie wollen, aber immer dieselbe. Und um mich besser auszudrucken: die 
Dichtung des Tasso mag die bessere sein, aber ich liebe tausendmal mehr den Ariost. 
Aus demselben Grunde ziehe ich Shakespeare alien Dramatikern vor, selbst die 
Griechen nicht ausgenommen. Mir scheint, der theatralisch wirksamste Stoff, den 
ich bisher in Musik setzte (ich will gar nicht vom litterarischen und poetischen Wert 
sprechen), ist der Rigoletto. Da giebt es m3chtige Vorgange, Abwechslung, Temperament, 
Pathetik: alle Peripetien gehen hervor aus der leichtfertigen zugellosen Personlichkeit 
des Herzogs, daraus wieder die Befurchtungen des Rigoletto, die Leidenschaft der 
Gilda usw., die viele hervorragende dramatische Momente hervorbringen, unter anderen 
die Quartettszene, die an Wirksamkeit immer eine der besten bleiben wird, die unser 
Theater ziert. Viele haben Ruy Bias 3 ) behandelt, indem sie die Partie des Don 
Cesar strichen. Nun, wenn ich diesen Stoff komponieren miiBte, wurde er mir vor 
allem Vergnugen machen wegen des Kontrastes, die dieser hochoriginelle Charakter 
hervorbringt. Sie haben schon verstanden, wie ich fuhle und denke; und da ich 
weiB, ich spreche mit einem Mann von ehrlichem und freiem Charakter, so erlaube 
ich mir, Ihnen zu sagen, daB unter denen von Ihnen vorgeschlagenen Stoffen, so 
hervorragend dramatisch sie sein mogen, ich nicht die Abwechslung finde, die 
mein narrisches Gehirn [il mio pazzo cervello] begehrt. Sie sagen, in den „Sordello" *) 

x ) Text von Solera, Verdi's vierte Oper (9. M2rz 1842), sein erster groBer Erfolg. 
2 ) „I due Foscari" (3. Nov. 1844), Verdi's siebente Oper. 
*) Vermutlich ein von Somma vorgeschlagener Stoff. 
4 ) Ein von Somma vorgeschlagener Stoff. 



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38 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

konne man ein Fest, ein Gastmahl, aucta ein Turnier einlegen: aber die Personen 
werden nichtsdcstowcniger cine strenge und ernste Farbe behalten. Ubrigens eilt 
es gar nicht. Wenn meine Verbindlichkeiten micb zwingen wurden, fur eine sehr 
nahe Stagione zu schreiben, *) so wurde ich mich darein fugen, ein moglichst gut- 
gemachtes Libretto in Musik zu setzen, fur spitter aber das Gluck erwarten, eine 
Ihrer Arbeiten in Noten zu kleiden, eine Arbeit, die der litterarischen Welt gegen- 
uber das Gewicht eines Ereignisses hatte. Als der arme Cammarano 2 ) lebte, habe 
ich ibm den Konig Lear vorgescblagen. Schauen Sie ibn einmal fluchtig durch, 
wenns Ihnen nicbt unangenehm ist. Icb werde es ebenso machen, da ich ihn seit 
einiger Zeit nicht mehr gelesen habe, und sagen Sie mir Ihre Ansicht. 

Verzeihen Sie dies dumme Geschwatz [questa pazza chiacchierata], und halten 
Sie mich fur Ihren Bewunderer und aufrichtigsten Freund 

G. Verdi 

2. 

Busseto, 22. Mai 1S53 
Lieber Somma, 
ich habe den Konig Lear wieder gelesen, der erstaunlich schon ist, wenn nur nicht 
die Notwendigkeit abscbreckte, einen so mafilosen Stoff in kleinere Portionen zu 
bringen, dabei aber doch die Originality und GroOe der Charaktere und Dramas zu 
wahren. Aber nur Mut, und wer weift, ob es nicht gelingt, etwas auttergewohnliches 
zu stande zu bringen. 

Ich bin ubrigens der Meinung, die Oper auf drei, hochstens vier Akte zu 
reducieren. 

Im ersten Akt die Verteilung des Reiches mit der Abreise der Cordelia (was 
eine Arie geben wurde): die Scenen der beiden Hofe darauf, und schliefilich briichte 
ich den Ausbruch des Konigs, da, wo er sagt, er werde schreckliche Dinge tun, noch 
weiQ er nicht, was, aber die Erde soil daruber erzittern. 8 ) 

Den zweiten Akt begiinne ich mit der Gewitterscene, darauf die anderen Scenen, 
darunter die des Gerichts (sehr originell und rubrend) und ich schlosse damit, dafi 
Cordelia ihren Vater suchen laQt, der beim Anblick der Ritter flieht usw. 4 ) 

Den dritten Akt wurde ich mit dem entschlummerten Lear beginnen: Cordelia 
steht ihm bei (herrliches Duett) usw. 6 ) Schlacht: und letzte Scene. ) 

Erste Partien: Lear, Cordelia, die beiden Bruder Edgar, Edmund, der Narr, den 
ich vielleicht zum Kontra-Alt machen wurde. — Comprimari: Goneril, Regan, Kent 
usw. — Der Rest zweite Partien. 

Die Hauptstucke dieser Oper scheinen mir bis jetzt zu sein: Die Introduktion 
mit der Arie der Cordelia; 7 ) die Gewitterscene; 8 ) die Gerichtsscene; 9 ) das Duett 
zwischen Lear und Cordelia, 10 ) und die Schluliscene. 

Das ist meine Meinung, im ubrigen machen Sie in Ihrer Weisheit nur, was Sie 
fur besser erachten. Haben Sie nur auf die notige Kurze acht. Das Publikum lang- 
weilt sich leicht! 



J ) Anspielung auf die spater tatsachlich bald erfolgte Pariser Reise (vgl. Brief No.7). 
*) Der Librettist des „Trovatore a ; er schrieb vorher schon fur Verdi drei erfolg- 
lose Operntexte. 

8 ) Also dem 1. und 2. Akt Shakespeare's entsprechend. 

*) Shakespeare's 3. und 4. Akt bis zur Mitte der 6. Szene. 

& ) Shakespeare IV, 7. °) 5. Akt Shakespeare's. 7 ) Shakespeare I, 1. 

8 ) II, 1. e ) 111,6. 10 ) IV, 7. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 39 

Es schien mir und scheint mir noch, dafi in der ersten Scene der Grund, aus 
dem Lear Cordelia enterbt, kindisch, fur unser Zeitalter vielleicht lacherlich sei. 
Konnte man nicht elwas bedeutsameres erfinden? Vielleicht wurde man dann den 
Charakter der Cordelia schadigen: jedenfalls wird man jene Scene mit vieler Vorsicht 
behandeln mussen. 1 ) 

Ich erwarte also das Scenarium, das Sie davon machen wollen, und da Sie es 
erlauben, werde ich Ihnen offen meine Meinung sagen (ich verstehe immer von der 
Theaterwirkung zu reden). Wenn einmal das Scenarium gut geordnet ist, ist das 
meiste getan. Inzwischen ganz der Ihre 

G. Verdi 

PS. — Ich empfehle Ihnen die Rolle des Narren, die ich sehr liebe, sie ist so 
originell und tief. Beachten Sie, daft die Rolle des Lear nicht schliefilich aufier- 
ordentlich anstrengend wird. 

3. 

Busseto, 29.Juni 1853 
Lieber Somma, 

Machen Sie mit den von mir in Ihren Entwurf eingezeichneten Anmerkungen, 
was Sie wollen. 

Zwei Sachen geben mir in diesem Entwurf viel zu denken. Die erste, dafi, wie 
mir scheint, die Oper aufierordentlich lang spielen wird und besonders die ersten 
beiden Akte; also wenn Sie etwas wegzulassen oder zu streichen finden, so machen 
Sie es, wenn nur die Wirkung nicht verdorben wird. Und wenn das nicht geht, so 
achten Sie wenigstens drauf, in den minder wichtigen Scenen alles auf die moglichst 
kurzeste Art zu sagen. Das zweite ist, dafi es zuviel scenische Verwandlungen giebt. 
Der einzige Grund, der mich abhielt, hSufiger Shakespearesche Stoffe zu benutzen, 
ist gerade diese Notwendigkeit, jeden Augenblick die Dekorationen zu wechseln. Als 
ich das Theater haufiger besuchte, war dies etwas, das mir ungeheures Unbehagen 
verursachte, und ich glaubte einer Laterna-magica-Vorstellung beizuwohnen. Die 
Franzosen haben darin das Richtige getroffen: sie richten ihre Dramen derart ein, 
dafi sie nur eine Dekoration fur jeden Akt brauchen: die Handlung schreitet so eilig 
und ohne Hindernisse weiter, ohne dafi etwas die Aufmerksamkeit des Publikums 
ablenkt. Ich verstehe wohl, dafi man im Lear nicht mit einer Dekoration fur jeden 
Akt auskommen kann, aber wenn Sie auf irgend eine Art eine Verwandlung sparen 
konnten, w£re das sehr schon. Denken Sie dran. Inzwischen drucke ich Ihnen herz- 
lich die Hand, und wenn Sie irgendeine Scene versiflziert haben, senden Sie sie mir. 

Addio. G. Verdi 

4. 

Busseto, 26. Juli 1853 
Liebster, 
Piave 2 ) hat mir nicht vom Konig Lear gesprochen und ich halte es fur unnutz, ihm 



*) Im 10. Brief bekennt Verdi, von Somma uberzeugt worden zu sein, dafi er 
hierin Shakespeare Unrecht tat. Obrigens hat auch Goethe Lears Verfahren in dieser 
Szene als absurd bezeichnet. Das MSrchenhafte des Stoffes ist hier in der Tat von 
Shakespeare nicht vollig in wirkliches Leben umgesetzt worden, — was mehr am 
Stoff als am Dichter lag. 

*) Der Dichter, der Verdi die meisten Libretti (zehn) lieferte, darunter .Macbeth" 
und die erfolgreichen „Rigoletto a und „Traviata a . 



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VUK cV K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



40 DIE MUSK XIIL 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

devon was zu tsgen. Was das Hononr betrift, so bielbt abgemecht, vu Ste En 
Ibrero fretindlicbeu Brief worn. 10. des Monats schreiben. 

Fflrdern Sle also die Arbeit bis zum Elide trad la Being anf Verindenmgen 
usw* werden wir zuletzt rerbandela* 

lazwlscben verblcibe Ich In Hocbicbtung und Freundschaft 

lbr ergcbenster 

G. Verdi 



Busseto, 30l August 1853 
Llebster Somms, 

Selt vlerzehn Tsgen wollte ich Ihnen schreiben, tber ich wurde Immer too 
einem llstigen Besuch oder intend elner Angelegenheit abgcbalten. Jetzt endllch 
else Stunde Frelheitt Icb babe den Rest des eraten Aktea erhalten; nicht* will ich 
Ihnen iiber die Ve«e sagen, die immer schtin und Ibrer wurdlg slnd, aber bei alter 
Hochschtuog, die icb Ibrem Talent tcbulde, mufl ich Ihnen segen, daG die Form sich 
nicht ellzusehr fBr die Musik elgnet, Nlemand kann mehr als icb die Neubeit der 
Formen tteben, aber eine Neubeit von der Art, dall man sle immer in Musik setzen 
kann. AHes kann man in Musik setzen, das ist wahr, aber nicht ailes kann wirksam 
warden, Um zu komponieren, braucht man Strophen fBr canubile SteHon, Stropben 
Kir Ensembles, Strophen fur Lsrgi, fur AUcgrl usw^ und all das wechselnd derart, dafi 
nlcbts kalt und monoton bleibt Gestatten Sle ralr Ibre Dichtung daraufhin durcb> 
zugehen. Nichts will ich gegen die Arte des Edmund sagen, in der, obwohl sie zu 
brisk Tom Adagio zum Allegro Bbergeht, — trotzdem, ste ktan blelben. Im darauf- 
folgtnden Dnettino weiB icb wirklich nlcbt, wo icb eine Melodic oder elne meloditcbe 
Phrase anbiingen kann, aber, da ea kure 1st, kffnnte es stehen blelben, wenit man 
am Ende des Duettino eine Strophe von Tier Versen deaselben Metrums (Hr Edmund 
macbt und noch mehr fflr Edgar. 1 ) Vorausgesetzt, dall man zwel davon dem jVJen 
tl ceta* hlnzufQgen und ao rler formen Minute. 

Zlemlich verwickelt 1st der Schlull, der, mnsikslisch gesprocbeu, das Finale 
des Aktes werden wfirde. Die Strophen des Narrtn gehen aehr gut, aber vom Moment 
an, wo Nerill* 1 ) eintritt; wel& man nlcht, was man tun soli. Sle haben riellelcbt 
bcabsichtlgt, eln Ensemblcstttck In den techs Stropben, jede zu sechs Versen, zu 
machen aber in jenen Strophen 1st Dialog, also mussen slch die Personen gegen- 
seltlg antworten und folgllch kflnnen sie ihre Stimmen nicht gleichzeitig ertfnen 
lessen. Welter mftflte man aus demselben Grunde eln anderes Ensemblestfick macben 
aus den Stropben zu acbt Versen, wena Regans elntritt. 1 ) SeblieQlich lasaen Sie 
Nerilla und Regana abgeheo, und Lear alleln schliettt den Akt. 1 ) Das 1st gut in 
elner Tragfidie, En einem geaprochenen Drama, aber mit Musjk wftrde das mindestens 
kalt sein, Venn Sie einmal die besseren Dramen des Roman! 1 ) durcbiesen woilten 
(von dem Sle aonai gewlO nlcbts zu lernen hsben), wQrden Sie mir viellelcht recht 
geben. Mir scheint, mlt geringer M&he kflnnte man diese Scene komponierbar und 
wirksam machen ohne etwas von dem Jnteresse des Dramas zu opfern. Kflunte man 

*) Akt 1, Szene 2 bei Shakespeare, 
^ Goneril, Akt I, Szene 4. 
•» II, 4_ 

4 ) Abweicbend von Shakeapeare. 

*) Romani wsr fibrigens der Librettist der ditrchgefkilenen komiscben Oper 
Verdfa »Un gioroo di regno*. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 41 

vielleicht die ersten sechs Strophen zu sechs Versen lassen und auf dasselbe Metrum 
das ganze Stuck von „Lascierd le tue soglie" bis „Dileguisi da te a bringen. Es ist 
gar nicht notwendig, dafX alle Personen eine Strophe von sechs Versen haben (was 
vielmehr monoton wurde), es genugt, daB das Metrum fortgeht, woraus ich in der 
Musik eine gemessene Bewegung machen kann. Nachdem Regana gesagt hat „La 
villana porta si deve dileguare", beginnt Lear einen deklamierten Gesang fur den 
man „Ohime de' nembi" verwenden konnte, aber von diesem Metrum mochte ich 
eine gleiche Strophe fur alle anderen Personen, jede nach thren speziellen Gefuhlen. 
Ist dies Stuck beendet, so konnte Regana (das Metrum andernd) sagen, dafi „Lear 
si pud servire dei servi del principe e rimandare tutti i suoi cavalieriV) Lange Pause. 
Lear sucht die Krone, hernach Ausbruch: „Voi antri cupi" usw. Keiner sollte ab- 
gehen und alle sollten (immer jeder nach seinen eigenen Gefuhlen) wenigstens eine 
kleine Strophe von sechs Versen des gleichen Metrum haben. Verzeihen Sie das 
lange Geplapper [cicalata], schreiben Sie mir gleich. Wie immer der Ihre 

G. Verdi 

6. 

Busseto, 9. September 1853 
Lieber Somma, 
Ich habe den zweiten Akt und Ihren lieben Brief vom zweiten des Monats er- 
halten. Auch in diesem zweiten Akt sind einige Dinge nicht gerade sehr musikalisch, 
aber um diese herzurichten ist es besser, wie Sie richtig meinen, abzuwarten, bis Sie 
das ganze Drama fertig haben. Bezuglich der Recitative, wenn der Moment interessant 
ist, durfen auch kleine LSngen da sein. Ich selbst habe sehr lange gemacht, z. B. 
den Monolog im Duett des zweiten Aktes von Macbeth, und den andern Monolog im 
Duett des ersten Aktes von Rigoletto. Eiligst 

Ihr ergebenster 

G. Verdi 



7. 



Busseto, 15. Oktober 1853 



Liebster Somma, 

Ich wollte den Winter in Neapel verbringen, gehe aber nun nach Paris und 
reise noch heute ab. Ich habe wieder und wieder den KSnig Lear gelesen und 
wollte Ihnen besonders fiber den zweiten Akt schreiben, der mehr als die andern 
Anderungen braucht, aber ich weiB jetzt noch nicht welche. Ich schreibe Ihnen von 
Paris aus und Sie konnen Ihre Briefe dorthin postlagernd richten. 

Ich schulde Ihnen fur diesen Konig Lear zweitausend osterreichische Lire. 2 ) 
Ich habe immer Geld bei Ricordi s ) liegen, durch den ich den Betrag anweisen werde, 
sobald Sie mir schreiben. Inzwischen sage ich Ihnen in groCer Eile Lebewohl. 

Ihr ergebenster 

G. Verdi 



J ) Lear kann sich von den Dienern des Fursten bedienen lassen und alle seine 
Ritter entlassen. 

*) Nach heutigem Geldwert ungefShr ebensoviele Francs. 
3 ) Der Mailander Verleger. 



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42 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

8. 

Paris, 7. November 1853 
Liebster Somma, 
Ist's moglich, dafi ich noch keinen Augenblick Zeit gehabt habe, um Ihnen 
ausfuhrlich auf Ihren lieben Brief vom 18. Oktober zu antworten? Ich habe mich 
noch nicht mit dem Konig Lear beschfiftigen konnen, aber werde es baldmoglichst 
tun. Inzwischen schicke ich Ihnen diesen Brief fur Ricordi, der zweitausend oster- 
reichische Lire in bar an eine von Ihnen bestimmtc Person bezahlen wird oder sie 
nach Venedig sendet, wenn Sie ihm gleichzeitig mit meinem Briefe Nachricht geben. 
Nach Belieben senden Sie mir dann die Quittung sowie die urheberrechtliche Abtretung 
des Konig Lear, den ich dann meinerseits zusammen mit der Musik an den Impresario 
oder den Verleger etc. verkaufen kann. 

Eilig drucke ich Ihnen die Hand und sage Ihnen Lebewohl 

G. Verdi 

9. 

Paris, 19. November 1853 
Liebster, 

Gestern Abend, kaum war mein Brief zur Post gegeben, empfing ich Ihren 
frdl. Brief vom 12. November: inzwischen werden Sie einen Brief von mir, den ich 
schon vor 8 oder 10 Tagen aufgab, mit einer Anweisung an Ricordi erhalten haben. 
Ich bin hierhergekommen, um einen Vertrag zu erfullen, den ich schon seit vielen 
Jahren mit der GrofSen Oper geschlossen hatte. Sie sehen, daft ich nichts mit dem 
„Th6atre italien" zu tun habe, und aufierdem ware der Konig Lear ein zu gewaltiger 
Stoff von zu neuen und gewagten Formen, um ihn hier zu riskieren, wo man nur 
die Melodien versteht, die sich seit zwanzig Jahren wiederholen. 

Vom zweiten Akt sprach ich Ihnen ausfuhrlich in meinem vorigen Brief. 1 ) Im 
dritten Akt sind nur zwei Strophen herzurichten, aus denen man — der Moment ver- 
langt es — zwei nette, viertaktige Melodien von recht gemessenem Rhythmus machen 
kann. Die Strophen sind: „Ti sien grazie" usw. und die andere „Deh non volermi 
illudere a . In der ersten haben Sie zwei Verse gemacht, dann funf, dann drei, usw. 
Mit dieser Unregelmifiigkeit ist es unmoglich, die musikalische Phrase nicht hinkend 
zu machen. Das gleiche gilt vom Vers, der nicht endet: „Non ti far gioco" und vom 
anderen, der zu lang ist: „Varcato ho V ottantesimo anno". Denken Sie an die 
popularsten Melodien unserer italienischen Opern und Sie werden sehen, wie die 
Strophen sind. Zum Beispiel „Casta diva" usw., „Meco tu vieni o miseria" usw., 
„Non, non ti son rivale" usw. Da gibt es im Vers keine Unterbrechung, keinen Bruch. 
Wollen Sie also gutigst die genannten Strophen herrichten, denn ich wiederhole, die 
Stellung verlangt zwei nette, rechte, leidenschaftliche, populare Melodien zu machen. 
In der Arie „Ti sien grazie" ware es vielleicht noch gut, wenn das Recitativ mit zwei 
oder drei Versen Delias endigte. Dann fur das Cantabile machen Sie acht oder auch 
zehn Verse. Wenn Sie zehn machen, denken Sie, ob es nicht zwei Vierzeiler mit 
zwei Endversen sein konnen. Im Duett „Deh non volermi" suchen Sie diesen Gesang 
auf acht Verse in zwei Vierzeilern einzurichten und finden Sie einen Gedanken, um 
zwei andere Vierzeiler fur Delia zu machen, woraus ich ein schones leidenschaftliches 
Largo zweistimmig machen konnte. Ich glaube, das wird fur Sie nicht schwer sein 
und das musikalische Stuck wird dadurch unendlich gewinnen. 



*) Leider verloren gegangen. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 43 

Im vierten Akt in der Szene Edmund, Edgar, Albanien, Regana 1 ) muflten Sie 
am Ende zwei Verse fur Rosane 2 ) einzufugen, als wollte er den Zweikampf hindern, 
und noch zwei Verse fur Albanien, der Rosane beim Arm packt usw.: alles das nach „il 
tuo sangue berra". Wohl verstanden im vorangebenden Metrum und gereimt aufs betonte 
„a", damit es zu „sta" und „berra a paBt. Nach den letzten Worten des Dramas brauche 
ich einige Ausrufungen, einige Phrasen, einige Verse fur „Tutti a : wenn Sie nachher 
die sechs Recitativverse zusammenziehen konnten, t§te es sehr gut. Das Drama, die 
Handlung ist beim Tode der Cordelia zu Ende, also je rascher dann der Vorhang 
fallt, umso grofier der Eindruck. 

Sie wollen Albanien in die Introduktion einfuhren: machen Sies nur. Noch 
etwas: da ist ein Arzt, der niemals ein Wort sagt: ware es nicht besser, ihn etwas 
sagen zu lassen zum Recitativ der Delia-Arie? Ubrigens geht mich das nichts an, 
machen Sies nur. Im Anfang des vierten Aktes ist kein Stuck aus den Vierzeilern 
zwischen Giorgio und Mira 3 ) herauszunehmen. Es ware vielleicht besser, diese ganz 
zu streichen, und wenn Sie sich etwas sagen lassen wollten, es mit zwei oder drei 
Recitativversen zu tun. Es ware kurzer und man kommt rascher an die SchluBszene, 
das ist besser. 

Das ist alles. Und in diesen letzten Akten haben Sie wenig zu tun. 

Es konnte sich ergeben, daft ich da und dort, um ein Cantabile oder ein Motiv 
zu machen gewisse Anderungen brauchte, doch das wird das Drama nie benachteiligen. 
Ubrigens wird dies nie eine Forderung des Kunstlers sein, sondern eher eine von 
der Kunst selbst geforderte Notwendigkeit. Erinnern Sie sich der Arie des Belisario: 
.Trema Bisanzio"? 4 ) Donizetti hat hier ganz ohne Skrupel „sterminatrice a an 
„Bisanzio* angeschlossen und so einen schrecklichen Unsinn gemacht; aber der 
musikalische Rhythmus verlangte es absolut. Unmoglich wire es gewesen, ein Motiv 
zu erfinden, das dem Sinn dieser Verse folgte. War es nicht besser, den Dichter zu 
bitten, diese Strophe zu andern? 

Doch nun ists Zeit, mich zu verabschieden. 

Senden Sie mir baldmoglichst diesen Lear ganzlich hergerichtet, wir werden ihn 
einem grofien italienischen Theater geben. Fur diese Oper brauchen wir ein enthusiast- 
isches und verstandnisvolles Publikum, das nach dem empfangenen Eindruck urteilt. 

Addio, addio. 



P. S. Adressieren Sie: Rue Richer 4. 

10. 



Ihr ergebenster 

G. Verdi 



Paris, 6. Februar 1854 



Lieber Somma, 

Ich freue mich, dafi Sie das notierte Stuck im Duett des dritten Aktes noch- 
mals durchgesehen haben. Es ist ein Punkt, der der Muhe wert ist, ihn zur Voll- 
endung zu bringen, da er zu einer der schonsten Scenen des Dramas gehort und 
auch eines der besten Stucke der Oper werden durfte. 

Die Veranderungen einiger Verse oder Phrasen, die ich ndtig haben konnte, 
sind Kleinigkeiten, die ich Ihnen erst je nach dem Fortschritt der Musik angeben 



2 ) Shakespeare V, 1. 

*) Eine bei Shakespeare nicht vorkommende Person. 

3 ) Personen, die bei Shakespeare nicht vorkommen oder wenigstens nicht diese 
Namen fuhren. 

4 ) Der Text lautet vollstandig: „Trema, Bisanzio! sterminatrice — su te de la 
guerra discendera". 



f i^r\^I.- Original from 



UNIVERSITY OF MICHIGAN 



44 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

kann. Ich wiederhole, es werden Kleinigkeiten sein, etwa ein Accent, dem sich die 
Note nicht anschmiegen kann oder ein Wort, das gesungen schlecht klange. Machen 
Sie immerhin alle Varianten, die Sie fur notig halten, um, wie Sie sagen, die Phrasen 
da und dort zu verbessem. Je schoner und klangvoller der Vers ist, umso besser 
fur mich. Es ist gut, dafi Sie die Schwierigkeit der Aussprache von Lear und 
Glocester beseitigt haben. 

Seit vielen Jahren habe ich einen Kontrakt mit der GroBen Oper, und jetzt 
habe ich ein vollig vollendetes Libretto von Scribe erhalten. 1 ) Ich hoffte, den Konig 
Lear vorher fur Italien componieren zu konnen, aber es ist mir unmoglich gewesen. 
Vielleicht ists besser so, weil ich mich dann spater mit aller Mufie dieser Oper 
widmen kann, und daraus, ich wage nicht zu sagen: eine neue, aber immerhin eine 
von den andern Opern abweichende Sache zu machen. lnzwischen haben Sie alle 
Zeit fur die Retuschen, die Sie machen wollen. 

Sie haben mir nicht geantwortet auf das, was ich fiber Delias Charakter sagte 
Vielleicht t&usche ich mich: uberzeugen Sie mich. Oberzeugen Sie mich wie damals, 
als ich behauptete, der Grund der Enterbung Delias schiene mir fur unsere Zeit 
kindisch: kaum las ich die ersten Worte Ihrer Antwort, als ich meine Ignoranz und 
mein Unrecht einsah. 

Ich sagte Ihnen aucb, daft das Libretto noch etwas zu lang ist, und, ich 
wiederhole es nochmals, wenn Sie da und dort einen Vers, eine Strophe heraus 
nehmen konnten ware es gut. Es fehlt auch noch mancher Vers und manches Wort, 
wie ich Ihnen im letzten Brief sagte. 

Antworten Sie ganz nach Ihrer Bequemlichkeit, gruilen SieVigna, 2 ) der wirklich 
ein hervorragender Mensch ist und halten Sie mich furs Leben als Ihren ergebensten 

G. Verdi 

11. 

Paris, 31. Marz 1854 
Lieber Somma, 

Ich antworte recht sp2t auf Ihren freundlichen Brief vom 18. des vorigen 
Monats!! 

Bezuglich Traviata glaube ich, dafi Gallo und Ricordi sich nach Gutdunken ge- 
einigt haben, zumal ich Ricordi hierzu die Moglichkeit gab. 

Um den Konig Lear etwas zu kurzen, glaube ich, man konnte im Finale des 
ersten Aktes vom Verse „Padre, angusto e il mio castello", bis zu: w O ciel! de' 
nembi il tuono" jene 42 Verse auf 12 oder 15 oder 20 Verse: Recitativ mit recht leb- 
haftem Dialog und mit ein par Bosheiten des Narren reducieren. 

Im zweiten Akt konnte man vielleicht die ersten 16 des Chores „ricca Albion" 
auf wenige Verse reducieren. 

Im dritten konnte man nur zwei Strophen der 2. Scene herausnehmen. Vom 
Vers „Ti scosta d Delia" bis „Buffoni tt . Diese beiden Strophen konnte man heraus- 
nehmen aus dem Zusammenhang, weil die Handlung stehen bleibt. 

Dann konnte man streichen von der ersten Scene des ersten Aktes bis zum 
Auftritt Lears. Hochstens, wenn Sie etwas furs Drama auseinandersetzen mussen, 
so lassen Sie funf oder sechs Verse Recitativ zwischen Kent und Glocester, laflt 
man den Chor, muli man dazu Musik machen, und ein Musikstuck braucht immer 

*) „Les vepres siciliennes" von Scribe und Duveyrier. 

2 ) Dr. Cesare Vigna, venezianischer Arzt, Freund Verdi's und Somma's; er 
verfafite eine Reihe von Schriften uber den EinfluB der Musik auf Korper und Geist. 
Verdi widmete ihm die „Traviata a und bewunderte die Schriften Vigna's sehr. 



f"i^\^I.- Original from 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 45 

Zeit. Und mir scheint, wenn man die Oper gleich bcim Aufgehen des Vorhanges 
mit TrompetenstoBen (nicht Militartrompeten, sondern langen, geraden nach antiker 
Art) beginnen lieBe, so wa*re das gewaltiger und charakteristischer. Im ubrigen 
machen Sie, was Sie wollen. 

Wenn es irgend einen Vers in den Recitativen giebt, den Sie kurzen oder 
streichen konnten, wird viel gewonnen sein fur die ganze Oper. Im Theater ist das 
Lange gleichbedeutend mit dem Langweiligen, und das Langweilige ist das scblechteste 
aller Kunstarten. 1 ) 

Addio, mein lieber Somma, noch sehe ich nicht die Stunde, die mir gefillt, 
um mich dem Konig Lear zu widmen, doch hoffe ich damit etwas weniger schlechtes 
als meine andere Musik zu machen. 

GriiCen Sie Vigna und Gallo. Sagen Sie letzterem, er moge wohl an Traviata 
denken, und derart, dad ers spater nicht zu bereuen hat. Addio, Addio. 

Ihr ergebenster 

G. Verdi 

12. 

17. Mai 1854 
Lieber Somma, 

Alles, was Sie mit dem Konig Lear machen wollen, wird vorzuglich sein. Wenn 
Sie diese Verse streichen, wird das Libretto ziemlich das rechte Mali erhalten. So 
konnen Sie auch manche scenische Verwandlung in den ersten beiden Akten sparen. 
Es sind ihrer so viele, daft ich wirklich furchte, das Publikum wird zu sehr abgelenkt. 
Denken Sie dran. 

Sie konnen ganz nach Belieben arbeiten, da die Winterkalte und schlechte Gesund- 
heit mich verhindert haben, die franzosische Oper zur rechten Zeit fertigzubringen: 
so kam der Moment des Fortgangs der [Sangerin] Cruvelli. Die Proben werden erst 
im September begonnen und die Oper kann erst im Winter gegeben werden, in dem 
ich leider das Vergnugen werde entbehren mtissen, Sie in meiner Bauernhutte [tugurio] 
bei mir zu sehen, wie Sie mich hoffen liefien. Das wird in einem anderen Jahr sein, 
und wenn Sie mir dann keinen Konig Lear zu bringen haben, so bringen Sie mir da- 
fur Ihre mir so teure Person. 

Ich danke Ihnen fur die Nachrichten iiber Traviata und bin daruber sehr zu- 
frieden. Ich stelle mir den Larm vor, den Gallo 2 ) machen wird, und die Stellung 
seines Cylinderhutes, den er von hinten durch eine Saite unterstutzt haben wird, um 
ihn recht hoch zu schnellen. Ich hore wunderbares von der Spezia. Konnte sie 
eine gute Cordelia sein? Sagen Sie's mir. W5re die Stimme fur ein groBes Haus 
ausreichend? Ganz egal, ob sie dick oder klein ist, Hauptsache ist, dafi man sie 
hdrt. Intelligenz und Seele mufi sie haben . . . Addio, Addio; jetzt und immer 

Ihr ergebenster 

G. Verdi 



13. 



Paris, 4. Januar 1855 



Lieber Somma, 
Ich bin vollstandig Ihrer Meinung. Man gewinnt hundert Procent, wenn man 



*) Der letzte Gedanke ist Voltairescher Herkunft. 

*) Antonio Gallo, Theaterunternehmer und Dirigent, ein venezianisches Original; 
seinem Enthusiasmus fur Verdi verdankte dieser die Rehabilitierung der im Teatro Fenice 
zu Venedig bei der Urauffuhrung durchgefallenen „Traviata a vor dem Publikum des 
Teatro di San Benedetto. 



f V^\nl,« Original from 

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46 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

die beiden Glocester 1 ) streicht. Aufier der Handlung, die klarer und einheitlicher 
bleibt, gewinnt man an Kurze, und zwei oder drei wirkungslose Stucke fallen fort. 
Nur sehe ich nicht, wie Sie's machen wollen, urn die Missetaten des Edmund auf- 
zudecken. Wer wird den Zweikampf machen? 2 ) Vielleicht Albanien? Oder erflnden 
Sie was anderes? Mir scheint auch, Sie konnten Gelegenheit haben, eine Dekoration 
zu ersparen, die zweite: die des Schlosses der Glocester. Vom Moment an, wo Edmund 
schon den doppelten Mord begangen hat und Herzog geworden ist, kann er sich wohl am 
Hofe des Lear befinden in der Introduktion oder auch im Park des Palastes von Goneril 
und in einer dieser beiden Scenen seine Arie singen und seinen Charakter dartun. 

Arbeiten Sie diese Arie auch gut aus und geben Sie ihr auch einen neuen Ab- 
schnitt mit Abwechslung zwischen Recitativ und gereimten Strophen usw. Daft ja 
grofte Farbenabwechslung darin herrscht: Ironie, Veracbtung, Zorn mogen gut dargelegt 
sein, woraus ich in der Musik, da ich einer solchen Person kein Gantabile geben kann, 
verschiedene Farben erflnden kann. 

Schade ist nur, daft wir Edgar nicht mehr in der Gewitterscene haben, und 
mehr noch bedaure ich, daft es keine Gerichtsscene mehr gibt. In dieser Scene mit 
den Hirten machte sich jene vierte Person recht gut. Vielleicht konnte man an Edgars 
Stelle einen armen Teufel, einen Bettler setzen, der sich in die Hutte des Unwetters 
wegen gefluchtet hat. Lear wurde ihn dann in der nachfolgenden Gerichtsscene mit 
sich wegfuhren. Dieser arme Kerl konnte auch ein alter Diener sein, ein Majordomus, 
ein Ritter der Familie Glocester, der mit einem Erkennungszeichen kame, um dem 
Albanien alle Untaten Edmunds zu entdecken, und er konnte auch den Zweikampf 
unternehmen. Was meinen Sie dazu? . . . Machen Sie damit, wie Sie's meinen, und 
wie es am besten furs Drama ist. 

Sie flnden in meinen fruheren Briefen einige Bemerkungen uber die Form ge- 
wisser Stucke, z. B. der Introduktion u. a. Ich finde noch, daft in dem Duett zwischen 
Lear und Delia die Wiedererkennung nicht gut herauskommt, und nach einem Largo 
cantabile kommt jenes „Delia tu sei?" ein wenig zu brusk und wirkungslos. 

Arbeiten Sie inzwischen an jenen Sachen, damit ich gleich nach Beendigung 

der franzosischen Oper mich an die Arbeit des Lear machen kann. 

Jetzt und immer 

Ihr ergebenster 

G. Verdi 

P. S. Viele Grufie unserem lieben Vigna und diesem schrecklichen Gallo. 

14. 

Paris, 8. Januar 1855 
Lieber Freund, 
Ich antworte gleich auf Ihren Brief vom 3. Ich hoffe, Sie haben inzwischen 
meinen anderen Brief in Beantwortung Ihres letzten erhalten. 

In der neuen Arie, die Sie fur Edmund erdacht haben, scheint mir zuviel 
gekunstelter und gesuchter Effekt zu sein. Dieser Tanz, dieser Chor wurden doch 
meiner Meinung nach monoton werden, statt Abwechslung zu bringen. Im Ganzen 
wurde der Akt zu voll werden, das heiftt, es giebt zu viele Stucke, von denen sich 
das Auge nie ausruhen kann. Auch das Ohr wurde in diesem Akt ermudet werden, 
denn es gSbe darin eine Introduktion, in der alle Menschen singen; eine Arie mit 



1 ) Also den Alten und seinen Sohn Edgar. Die Glocestergeschichte ist ubrigens 
erst von Shakespeare mit der Learsage verwoben worden. Die Trennung ist ein 
Gewaltstreich, der auf rein opernhafte Bedurfnisse zuruckgeht. 

2 ) Shakespeare V, 3. 



( ^f\i\t\]t* Original from 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 47 

doppeltem Tanz- und Singcbor; ein Finale mit starken Leidenschaften usw. Ich bin 
immer der Meinung, in die Scene des Edmund nur ein Stuck zu setzen. Arbeiten 
Sie soviel aus, wie Sie wollen und spuren Sie diesem Charakter gut nach [tracciate 
bene questo charattere], und baben Sie keine Furcht, zu lang zu werden, weil, sobald 
man die beiden Glocester streicht, die Oper die rechten Dimensionen hat. Ich 
meinesteils werde den Edmund keine Gewissensbisse spuren lassen, 1 ) sondern ihn 
zum offenen Bosewicht machen: nicht zu einem widerwartigen Bosewicht, wie der 
Franz in Schillers Raubern ist, sondern zu einem, der alles verspottet und verhohnt und 
die schlimmsten Greueltaten mit der groftten Gleichgultigkeit begeht. Doch das 
verstehen Sie besser als ich, machen Sie, wie Sie es fur richtig halten. Nur der 
Theaterwirkung halber hier einen Tanz- und Singchor einzufuhren, halte ich fur 
schlecht. Wenn Sie sich entschlieBen, eine Arie (Solo) zu machen, so machen Sie 
sie in der Form, die ich in meinem letzten Brief angedeutet habe und suchen Sie 
eine Dekoration zu vermeiden, indem Sie Edmund an den Hof von Goneril versetzen. 
Wenn im Verlauf der Arie es nStig w2re, entweder fur einen Augenblick Goneril 
selbst oder einen Boten erscheinen zu lassen, um dem Edmund Gelegenheit zu 
geben, seine Intrigen mit den beiden Schwestern darzulegen, machen Sies nur, es 
hat keine UnzutrSglichkeit. Ich habe Sie gebeten, aus dem Edmund einen hohnischen 
Charakter zu machen, weil er dann in der Musik mehr Abwechslung erhalt: wenn 
man ihn anders macht, muftte man ihn eine jener plumpen Phrasen mit Schreien 
singen lassen [bisognerebbe farlo cantare una delle frasi grosse con dei gridi]. Der 
Hohn, die Ironie werden (und das ist neuartiger) mezza voce gemalt; das wird 
schrecklicher und giebt mir Farbenabwechslung in bezug auf Introduktion und Finale. 
Im Finale, wenn Sie da die Strophen in freie Verse umwandeln, sorgen Sie, daft es 
Abwechslung giebt zwischen sieben- und elfsilbigen: nicht, weil das so gebraucblich 
ist, sondern weil man beim Singen mehr Zeit braucht als beim Sprechen, und es ist 
notwendig, dafi die Recitativverse nicht stetig lang sind. Wenn Sie Edmund in dies 
Finale bringen konnen, umso besser. 

Im zweiten Akt fallt viel fort, und es geht gut. Ich habe einige Bedenken 
wegen jenes Viehhirten, der in der Gerichtsscene nicht spricht. Weh uns, wenn er 
lacherlich werden mfiflte! Ich glaube, es ware vorsichtiger, eine Rolle zweiten 
Ranges hineinzubringen, die etwas zu sagen hltte: wie ich Ihnen sagte, ein armer 
Kerl, in der Hutte der Gewitterscene gefunden. Ich bin nicht der Meinung, dem 
Narren weitere Gesange zu geben, nur noch einige Worte, ein paar Phrasen usw. 
Suchen Sie, suchen Sie in diesem Akt die fortwahrend zu starken Sfitze Lears zu 
mildern. Zum Beispiel in der Strophe: „0 pigro Giove! e rocchio" — statt alle 
sechs Verse heftig zu machen, konnten Sie nicht die Anrufung des Himmels mit 
den ersten beiden Versen schlieBen und konnte nicht in den andren vier eine 
plStzliche, konfuse Erinnerung an Delia die Ausdrucke mildern? Spfiter, nach den 
zwei starken Strophen „ElIa d morta" usw. konnten Sie eine dritte fur Lear hinzu- 
fugen aus abgerissenen, zerstuckelten Phrasen, die darstellten (wie Sie es angeben), 
dafi die Krfifte allmShlich versagen; und schliefilich schlummert er ein usw. 

Im dritten Akt, wie ich es Ihnen fruher schon sagte, 2 ) wurde ich Delia nicht 
als Kriegerin kleiden, sondern ich lieBe sie engelhafte Frau bleiben wie im ganzen 
Drama. Beim Wiederlesen dieser Scene flnde ich das Gebet „E tuo dono" kalt 
wirken, wie alle Gebete im allgemeinen. Wenn Sie sie dem Himmel danken lassen 
wollen, so fugen Sie nach der Unterredung mit Kent zwei oder drei Recitativverse 
an (es ware uberhaupt gut, wenn sie das Recitativ beendigte), und dann erfinden Sie 

*) Siehe dagegen Shakespeare V, 3. 

*) Vermutlich in dem verloren gegangenen Brief. 



f \^\M.« Original from 



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48 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

zwei schone, gefuhlvolle leidenschaftliche Strophen, aus denen ich ein schoncs largo 
cantabile machen kann. 

Was Sie vom 4. Akt sagen, geht gut, nur lieBe ich die Strophe der fernen 
Stimmen: „fuggitivi drizzatevi al mar . ." 

Ich hoffe Ende Februar hier fertig zu sein, so daQ ich gleich in den ersten 
Tagen des Marz in Busseto sein werde; und ich wunschte, fur diesen Zeitpunkt 
konnte Konig Lear bereit sein, Ja . . . der Trovatore geht gut im Theatre italien. 
Boucarde" allerdings ist nicht besonders, doch die andern gefallen, und das Ganze 
ist gut. Viele, viele Grufle an Vigna. 

Addio, addio; immer Ihr ergebenster G. Verdi 

P. S. Indem ich Ihr Postscriptum nochmals lese, finde ich, daB Sie recht 
haben, dem Narren zu Beginn des zweiten Aktes noch zwei kleine Strophen zu 
geben. Sehen Sie zu, Vierzeiler zu machen, und wenn die Verse kurz sind, das 
heiBt Ftinfsilber oder Sechssilber, so konnen Sie statt 12 oder 16 Verse auch 20 oder 
24 machen, wenns Ihnen so paftt. Aber machen Sie keinen Officierchor im Zelt 
der Delia. 

15. 

Paris, 24.Januar 1855 
Lieber Somma, 
Der Sechszeiler, den Sie mir schicken, ist gut; nur, wenn Sie vier Sechszeiler 
zu je 10 Silben machen, wird die Arie oder der musikalische Rhythmus monoton. 
Wenn wir, um Ihre Idee auszufuhren, 24 oder 30 Verse brauchen, so machen Sie's, 
aber wechseln Sie die Metren. Behalten Sie ruhig diesen ersten Sechszeiler und 
machen Sie noch einen, wenn Sie wollen, aber dann wechseln Sie das Metrum: je 
mehr Abwechslung im Metrum, umsomehr Abwechslung in der Musik. Wenn diese 
Arie selbst drei oder vier verschiedene Metren hfitte, ware das nicht schlimm: je 
mehr Originalitat der Form, um so besser wirds. 

Uber die Gerichtsscene ist nichts zu sagen, sie ist gut so, wie Sie sie mir senden. 
Eiligst drucke ich Ihnen die Hand und verbleibe 

Ihr ergebenster 

G. Verdi 

16. 

(ohne Datum; Poststempel: Paris 10. Marz 1855) 

Lieber Somma, 
Senden Sie das Libretto des Lear hierher, weil ich bis zur Erdffnung der Aus 
stellung hier sein werde und uberdies die Oper erst Ende April in Scene gehen kann. 1 ) 
Nun wo Sie den Lear vollendet haben, konnen Sie mir ein andres Sujet suchen, das 
Sie ganz in Ruhe ausfiihren wurden? Ein schones, originelles, interessantes mit 
prSchtigen Situationen und Leidenschaft: Leidenschaften vor allem! Auf gut Gluck 
suchen Sie, suchen Sie, suchen Sie! 
Eiligst, addio, addio. 

G. Verdi 

*) Es dauerte sogar bis zum 13.Juni 1855, bis die „Sicilianische Vesper" auf- 
gefuhrt wurde. 



Jirj 



( I(K>o!r Original from 

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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 49 

17. 
(ohne Datum, Poststempel: Paris 5. April 1855) 
Lieber Somma, 

Ich babe vor einigen Tagen auch die beiden letzten Akte des Lear erhalten. 
Ich finde, Sie haben nicht wohlgetan, in der Arie der Delia das Andante zu streichen. 
So bleibt nur ein unvollkommenes Stuck. Ich wollte es geandert, aber nicht gestrichen 
haben. Mir gefiel diese Strophe ferner Stimmen nach der Schlacht sehr: sie hatte 
Charakter und Farbe. DerStaatsstreich, den Albanien macht, scheint mir nicht naturlich. 
Dieser Herzog, der bis dahin schwachkopfig gewesen ist, wie kann er so stark werden, 
die leibhaftige Konigin und ihren Liebsten, dem sie Vollmacht gegeben, einsperren zu 
lassen? Der Tod Gonerils und der Zweikampf 1 ) waren naturlicher! 

Denken Sie dran: im ubrigen reden wir in Itaiien daruber. 

Was den „Monaco" betrifft, so gefallt er mir, wenns der von Levis ist, nicht 
als Opernstoff. Wenn er von Ihnen erfunden ist, kann ich daruber nichts sagen. Nur 
mufl ich Ihnen bemerken, daO ich einen Stoff mochte, der nicht ein Spektakelstuck ist, 
sondern einen gefuhlvollen, eine Art Somnambula oder Linda, von dem Genre selbst 
abgesehen, da es ja schon bekannt ist. Ich kann Ihnen im Augenblick keine Stoffe 
vorschlagen. 

Wenn Sie etwas in besagter Art flnden, machen Sie ganz in Ruhe ein Scenarium, 
das Sie mir, sobald ich wieder in Itaiien zu Hause sein werde, senden. 

Addio in Eile Ihr ergebenster 

G. Verdi 

18. 

Busseto, 7. April 1856 
Lieber Somma, 

Ich habe sehr aufmerksam den Vorschlag, den Sie mir gutigst sandten, gelesen. 
Ich will nicht von den Schonheiten reden, die sich in alien Ihren Dichtungen flnden, 
doch fur ein musikalisches Drama scheinen mir die Charaktere etwas zu trist und 
graBlicb, und es ist zu wenig Abwechslung drin. Indem ich zugebe, daB ich mich 
tSuschen konnte, erinnere ich Sie dran, daB, als ich das Vergnugen hatte, Sie zu 
sehen und en passant fiber diese Sache zu sprechen, ich Ihnen sagte, wie gern ich 
ein ruhiges, einfaches, zartes Drama hStte: eine Art Somnambula, ohne daB es eine 
Nachahmung der Somnambula 2 ) ware. Hier sind wir tausend Meilen auseinander. Ich 
danke Ihnen also, und Sie konnen es anderweitig verwenden. 

Ich bin nicht sicber, ob der vierte Akt des Konig Lear, so wie Sie ihn zuletzt 
sandten, geht, doch eines ist sicher, daB man das Publikum nicht soviele Recitative 
schlucken [inghiottire] lassen kann, besonders nicht in einem vierten Akt. Das sind 
keine Komponistenforderungen: ich konnte auch eine Zeitung oder einen Brief usw. 
in Musik setzen, doch das Publikum erlaubt im Theater alles auBer der Langeweile. 
Alle diese Recitative, w&ren sie auch von Rossini oder Meyerbeer, konnen nicht 
anders als lang, also langweilig werden. Wenn ich die Wahrheit sagen soil, so furchte 
ich sehr fur diese erste H&lfte des vierten Aktes. Ich kanns nicht ausdrucken, aber 
etwas darin befriedigt mich nicht. Sicher mangelt die Kurze, vielleicht auch die Klar- 
heit, vielleicht die Wahrheit .... ich weifi es nicht. Ich bitte Sie also daruber noch 
nachzudenken, um zu sehen, ob es moglich ist, etwas theaterwirksameres zu flnden. 
Addio, addio. Seien Sie nicht bos 

Ihrem ergebensten 
G. Verdi 



l ) Also Shakespear's Losung. 

*) Von Bellini, Text von Romani. 

SchluB folgt 
XIII. 1. 



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( I(K>o!r Original from 

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VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK 

VON RICHARD SPECHT IN WIEN 



In der groQen kunstgeschichtlichen Registratur, deren Zweck es ist, 
jede kiinstlerische Erscheinung sauberlich geordnet zu rubrizieren, 
klassifizieren und etikettieren — in dieser noch immer betriebsamen 
Anstalt herrscht Verlegenheit, wenn der Name Giuseppe Verdi genannt 
wird. Auch jetzt noch. Obwohl es heute, hundert Jahre nach der Geburt 
des Meisters, eigentlich schon an der Zeit ware, ihm sein endgultiges 
Schubfach anzuweisen. Aber er wehrt sich, eigensinnig, jah, schweigsam 
trotzig, wie er von jeher war, noch immer gegen jede Einschachtelung, und 
laBt sich in kein Fach zwangen. Wer es versucht, wird jedesmal gewahr, 
dafi er nie den ganzen Verdi w unterzubringen* vermag; dafi immer, einem 
ironischen Springkobold gleich, ein Rest herausguckt, der die saubere 
Etikette des Faszikels vollkommen ad absurdum fiihrt. Kommt dazu, daO 
sein Wesen nicht nur jedem Volk, sondern — von alien AffinitSten der 
Rassenelemente abgesehen — auch jeder kunstlerischen „Partei a anders 
erscheint und anderes bedeutet. So dafi es nicht nur den Friedsamen, die 
Ordnung im Haushalt der Kunst wollen, sondern auch jenen schwer ist, 
Verdi's Wesen in eine Formel zu fassen, die die Feststellung fesselt, wie 
sich dieses Wesen in unserer Gegenwart spiegelt und was von ihm wirk- 
lich lebendig, nicht nur traditionell festgehalten ist. 

Der Kunstler, der das wundersame und einzigartige Schauspiel einer 
Entwickelung sondergleichen gegeben hat: von der unbedenklichen, trieb- 
haften, oft rohen und blutrunstigen Musik fur panoptikumhafte Schauer- 
dramatik, von uberreicher, prasselnder, bis zum Reifien angespannter, aber 
unkultivierter Melodik und einer fast gleichgiiltigen Primitivitat der in- 
strumentalen Palette zu einer sublim vergeistigten, wMhlerischen, mit 
souveraner Hand unfehlbar gestaltenden Meisterschaft, zu edelstem Ge- 
schmack, zu einem Orchesterstil, dem fiir jede seelische Regung und fur 
jede Stimmung die ganze Farbenskala von briinstigster Scharlachglut bis 
zum flimmerndsten Perlmutterglanz zu Gebote steht — dieser Kunstler 
ist mehr als blofi die Summe all dessen, was die einzelnen Werke von 
ihm aussagen, ist in jedem Augenblick seines Schaffens ebenso wider- 
spruchsvoll als in seiner Totalitat. Keine Formel sagt ihn ganz aus. Ist 
er der Troubadour der italienischen Freiheit (oder besser der Liberty, die 
sich, nebenbei bemerkt, nicht nur klimatisch von der deutschen „Freiheit" 
unterscheidet) oder nur ihr grofier BMnkelsanger? Ist er wirklich der Victor 
Hugo der Musik, wie er gem genannt wurde — sogar in Monaldi's Verdi- 
buch, dem Muster einer schlechten und leblosen Biographie — , oder nicht 
vielmehr der Tintoretto der Tone: ganz ungallisch, ganz italienisch, uber- 



f V^\nl,« Original from 

jc r x:u::!::yViUC>^!i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK 51 

lebhaft in der Geste, von hitzigen Visionen wilder und lauter Massen 
bedrangt? Nichts stimmt ganz. Man hat ihm mit Recht vorgeworfen, daO 
er nur zu oft — wenn auch immer aus ungeheurer Kraft, Fiille und 
Spontanitat heraus — Kolportagemusik gemacht habe und war bereit, den 
Meister der „Aida a und des Requiems zu einem derben und leichtfertigen 
und dazu ungebildeten Trabanten Meyerbeers zu stempeln, mit dem er 
nicht nur in seiner redlichen Lauterkeit, sondern auch im innersten Wesen 
seiner ganz und gar niemals berechnenden Kunst nicht das mindeste 
gemein hat; nur hochstens ein paar AuCerlichkeiten der Technik. Man 
hat ihm jeden Humor und jede Grazie, ja jeden Geist in seiner Musik 
abgesprochen und die animalische Kraft, die ganz unzerebrale Sinnlichkeit 
und Wut der eruptiven Melodik seiner ersten Opern konnte dazu ver- 
fiihren, dieses Urteil zu unterschreiben; aber man braucht gar nicht an 
den „Falstaff tt , diese mutwillig flimmernde, witzspriihende, von alien guten 
Spottgeistern gesegnete frohliche Wissenschaft eines kostlich reif, weise, 
heiter und gutig gewordenen Menschen zu denken, um jenen Spruch zu 
verwerfen: in den Gesangen des Pagen, dem Quintett oder gar in dem 
hohnischen Chor der Verschworer im „Maskenball a und in der Chor- 
erzahlung im „Rigoletto a stecken mehr Anmut, Ironie, scherzhafter esprit 
und Laune als in den meisten „komischen a Opern zusammengenommen. 
Nichts stimmt ganz. Und es wird nicht leicht zu entscheiden sein, wo 
der w eigentliche* Verdi steckt: ob in der fabelhaften Stofikraft, der robusten 
Vitalitat, den ganz dem Trieb und dem Urgefiihl einer unbandigen Erotik, 
ungebrochenen Zorns, stiernackigen Schmerzes entstromenden melodischen 
Ausbruchen seiner friiheren Werke, dem „Troubadour a , dem „Maskenball", 
dem „Rigoletto% der „Traviata tt ; oder in der gebandigten Fiille, der 
inneren Ordnung, der prachtvollen Architektur, der dramatischen Charak- 
teristik seiner letzten, der „AYda a , des B Othello a , des „Falstaff a . 

Zweierlei ist sicher: er war einer der starksten und urspriinglichsten 
Erfinder, die die Musik iiberhaupt kennt; von einem Glanz, einer Furie, 
einer Leidenschaft, einer gliihenden Melancholie, wie sie nur wenige auBer 
ihm haben und von einer melodischen Potenz, neben der in ihrer Sub- 
stanz und in ihrem Quantitativen — von den Unterschieden des Niveaus 
und von intellektuellen Unterschieden ganz abgesehen — vielleicht nur 
noch Schubert und Johann Straufi in Betracht kommen. Und: er war 
Dramatiker vom Scheitel bis zur Zehe. Keiner im hochsten Sinn; kein 
Darsteller des AuQerordentlichen, keiner, der der Menschheit Beispiele 
hinstellt, keiner, dessen Werk eine metaphysische Erfiillung bedeutet, der 
dem GenieOenden innere Reinigung zuteil werden laOt und ihn mit un- 
verlierbaren seelischen Bereicherungen beschenkt. Von Richard Wagner 
trtnnt ihn eine Welt; und nicht nur im Geistigen. Was er gegeben hat, 
ist Theater allerbester Art. Uber diese Art hinaus schreiten freilich die 

4* 



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52 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

beiden herrlichen Alterswerke, der „Othello a und der „Falstaff a , in denen 
er wirklich dem Dramatischen im hocbsten Sinn nahekam und in denen 
nur das Stoffliche im Verhaltnis zu den Moglichkeiten seines Tonwerdens 
problematisch sein mag. Alles andere, sogar noch die „ATda a , in der das 
Musikalische filtriert und allem allzu Leutseligen entriickt ist wie bei ihm 
nichts zuvor, ist doch nur Schaubiihne als Anstalt der Spannung, des 
Effekts, der erregten Zerstreuung, nicht — um das Schillersche Schlagwort 
in Wagnerschem Sinn zu gebrauchen — als „moralische Anstalt". Mag 
sein, daC die empfindlichere Reaktion auf die Versuchungen des wirkungs- 
voll Gewohnlichen, die groOe Linie der musikalischen Szenenfuhrung, die 
durchaus edle und doch immer von heftigstem Temperament hervor- 
getriebene Melodik und die orchestrale Dramatik seiner Spatschopfungen 
auf Wagners EinfluB zuruckzufiibren sind; so sehr alle Verdibiographen, 
Gino Monaldi, 1 ) Carlo Perinello, 2 ) Arthur Pougin 8 ) und all die andern 
diesen Einflufi, ja die Bekanntschaft Verdi's mit dem Werk Richard 
Wagners zu leugnen versuchen. Trotzdem kann fur den aufmerksamer 
Hinhorchenden kein Zweifel an solcher Einwirkung aufkommen. Zu be- 
weisen ist sie freilich schwer; so auffallend auch die stilistische Ver- 
Mnderung und Verfeinerung wirken mag, die Verdi's letzte drei drama- 
tische Werke von ihren VorgSngern unterscheidet. Aber schliefilich ware es 
ja nicht ausgeschlossen, daQ ein Musiker von solch unbedingter und un- 
fehlbarer dramatischer Empfindung wie Verdi in den Jahren des Reif- 
gewordenseins aus dem blofi Intuitiven zu wissender Erkenntnis der Be- 
dingungen und Gesetze seiner Kunst gelangen und durch das Gebot seiner 
inneren Entwickelung auf den Weg solch bewuBter dramatischer Meister- 
schaft getrieben werden konne. Auch die immer starker hervortretende 
Neigung, durch das Mittel des musikalischen Symbols, des Erinnerungs- 
motivs bedeutsame und blitzartig aufhellende Wirkungen zu iiben, miiBte 
nicht von vornherein durch Wagners Beispiel motiviert werden; nicht nur, 
weil mancher Vorganger des Bayreuther Meisters dieses technische Mittel 
verwendet hat, sondern vor allem, weil Verdi selbst, der sich niemals viel 
um andere Musik gekiimmert hat und dessen Tonen gerade seine wunder- 
volle Unerfahrenheit (auch im musikalischen Sinn) ihre unbekiimmerte, 
explosive, leidenschaftlich aufschnellende Gewalt und Selbstherrlichkeit 
gibt, schon in fruheren Werken, im „Rigoletto ft z. B., ja sogar in dem 
vielverlfisterten und trotzdem (wie kaum ein anderes Werk seines SchSpfers) 
sprudelnden, wahllosen, aber fast unbegreiflich verschwenderischen Reichtum 
offenbarenden ^Trovatore" das Leitmotiv mit entscheidender Sicherheit an 
den rechten Platz gestellt hat. Wer aber Wagners EinfluB auf Verdi 

a ) Verdi und seine Werke. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1898. 
*) Giuseppe Verdi. Verlagsgesellschaft „Harmonie tt , Berlin, 1900. 
8 ) Verdi. Histoire anecdotique, Paris, 1896. 



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SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK 53 

leugnen will, der betrachte das Vorspiel der „Aida" neben dem des 
w Lohengrin". Es ware eine selbst im Bereich der Musik unerhorte 
Duplizitat der Ereignisse, wenn diese beiden Stiicke, die in itarem 
dynamischen Schema, in ihrer Anlage, in ihrem Beginn, ihrer Steigerung 
und ihrem Ausklingen einfach parallel laufen, entstanden waren, ohne daB 
der Schopfer des spater gekommenen von dem verwandten (wenn auch 
thematisch natiirlich durchaus verschiedenen) Gebilde etwas geahnt hatte. 
Von dem Thema „Falstaff-Meistersinger" ganz zu schweigen. 

Trotz alledem und auch in bezug auf Verdi's Spatschopfungen ge- 
sprochen: nichts verschiedener als das dramatische Verfahren der beiden 
groflten Beherrscher des Tondramas ihrer Epoche. (Immer wieder: die 
ungeheure geistige Distanz beider Erscheinungen und die ihrer kulturellen 
Wichtigkeit bedarf nicht erst der Feststellung und bleibt bei den folgenden 
Untersuchungen durchaus ausgeschaltet.) Um es mit einem Schlagwort 
auszudrucken, das freilich fur Verdi's letzte Werke nur bedingte Geltung 
hat: bei Wagner steht das dramatische Orchester im Vordergrund, bei 
Verdi die dramatische Melodic 

Der Dramatiker Verdi wird bis zum heutigen Tage zugunsten des 
ungeheuren Melodikers unterschatzt. Nur wenige wissen es, daO er fast 
alle Stoffe seiner Opern selbst gewfihlt und selbst skizziert hat, daft seine 
dichterischen Mitarbeiter zumeist nur die Aufgabe der Versifizierung hatten, 
daB er mit unerbittlicher Genauigkeit jedem szenischen Detail nachging, 
von seinen Dichtern immer wieder und wieder Anderungen zum Vorteil 
der dramatischen Pragnanz und Straffheit, des rechten Ausdrucks, der 
charakteristischen psychologischen Wendung forderte. 1 ) Wenn einmal in 
Deutschland Verdi's Lebenswerk in wiirdiger Form und den Intentionen 
des Meisters entsprechend interpretiert wiirde, nicht als Gelegenheit zu 
bei canto und Koloratur, sondern als empfundene und musikalisch mit der 
hochsten Gefiihlsexpansion und Scharfe geformte szenische Aktion, dann 
wiirde man es erst mit Staunen bis in die feinsten Einzelheiten verfolgen 
konnen, wie Verdi jede seelische Schwingung melodisch auszudrucken, aber 
auch jeden Charakter in der bloBen Gesangslinie festzuhalten vermag, ohne 
erst umstandliche symphonische orchestrale Ausdeutungen zu benotigen. 
DaB er auf seiner ganzen Hohe ist, wo er beides vereint, was durchaus 
nicht nur in den drei Meisteropern der Fall ist, bedarf nicht erst des be- 
kraftigenden Worts; ebensowenig, daB er oft und oft, nur der Virtuositat 
irgendwelcher Primadonna gedenkend, den dramatischen Sinn plotzlich ver- 
giBt und mifiachtet, um nur in moglichst verbliiffenden Effekten auBer- 
licher Bravour einen Eindruck zu erzielen, der den allzeit Gedankenlosen, 



*) Vgl. z. B. den Briefwechsel Verdi's mit Antonio Somma im vorliegenden 
Heft, S. 34 ff. Red. 



Original from 



3j o 



UNIVERSITY OF MICHIGAN 



54 



DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 



fur die eine Melodie nur das ist, was man nachpfeifen kann, und denen die 
Musik nicht die Sprache des wahren Lebens, sondern nur Ergotzung des 
Ohres ist, immer willkommener sein wird, als der ergreifende, die Seelen 
der Menschen und die Laute der Natur entschleiernde Ausdruck des ernst- 
haften Dramatikers oder Symphonikers. Ein entsetzliches Beispiel fur 
diese Art ist (ira ^Troubadour*) Leonores »ich lachle unter Thranen", 



B^3^^&j=^*ffi 




Kann ich fur ihn nicht le 



ben will 




ster 



ben will ster - ben ich fur ihn. 



eine Stelle, die selbst der treffliche Dirigent Vigna, der den stereotypen 
Verdi'schen Arien- und Strettarhythmus r (m ». » •»» k S g"* * — ' 

t F-^?~g — uJ u — Lf— 

als klingendes Herzklopfen bezeichnete und auch wirklich oft herzbeklemmend 
zum Ausdruck zu bringen vermochte, kaum „retten" konnen wird. Wah- 
rend — um vorzugreifen — andere dieser Art oft verkannt werden: 
nichts falscher zum Exempel — andere sollen spater angefiihrt werden — 
als wenn im Miserere des „Troubadour* Tone wie die folgenden: 1 ) 




s^ 



con - ten - de Tam-ba - sci - a 



che tut -la m'in-ve - ste al lab-bro re- 
s 




bp-.- 



^^^^^^W^'^^^f^f^ 



^cz^r=^± 



spi - ro 



pal - pi - ti cor il re - spi - ro pal - pi 



al 



cor 



nicht in geprefiter, hastiger Angst, in abgerissenen, atemlosen, halberstickten 
Schreien, sondern irgendwie instrumental* oder gar im Sinne der Koloratur- 
diva gebracht werden, statt mit stockender Stimme und erloschender Kraft. 
Eine Stimmung von wirklicher Macht, die der unheimlich zuckende, vibrierende 

Rhythmus des fahlfarbigen Orchesters j ZZ j — I 3 C ; 5 p 

meisterlich verstarkt. Solche Eindriicke durch blofie Klangfarbe trifft Verdi 
oft mit iiberwaltigender Genialitat und den einfachsten Mitteln. Prachtvoll 
— um nur eine Stelle aus einem trotz aller „Beliebtheit* bei den Viel- 



J ) Die Notenbeispiele nab' ich mit Absicht sehr bekannten Stellen und nicht den 
zwei Spatwerken entnommen. 



Ui::i 






Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK 



55 



zuvielen lange nicht nach Gebiihr gewerteten Werke anzufuhren — wie im 
.Maskenball" die sprungbereite Erwartung der Verschworer, die den Tater 
auslosen, und das Grauenvolle der Mordtat, die schon ihre Schatten vor- 
auswirft, in den gestopften Trompeten und den zitternden Streichertremoli 
zum Ausdruck kommt: 




ein Thema, das dann spaterhin in verkleinerter Form die Szene beherrscht, 
Oder die lahmende Wirkung der erst in furchtbarer Kraft und dann ganz 
gespenstisch tonenden Pauken zu dem verschwebend leise gehaltenen E-dur 
Akkord der Blaser — wahrend die wehrlose Amelia den Namen dessen 
aus der Urne Ziehen muC, der ihren Geliebten morden soil — 




Ipafe 



VP 



& 



Pk. 



usw. 



T ,333 3 ,333 * t - 



oder, im gleichen Werk (das ich absichtlich wahle, um zu zeigen, daD nicht 
erst in der „Aida" und den ihr folgenden Schopfungen das w dramatische 
Orchester" in seine Funktion tritt) der schaurige Beginn des dritten Akts, 
in dem es im Orchester wie glimmendes faules Holz leuchtet und gleich 
dumpfen Miasmen aufschwalt, bis Amelias innige Liebesmelodie silbern 
aufstrahlt und all die Schatten der Verwesung fortscheucht. Oder der des 
zweiten, bei der Wahrsagerin: die drei wiitenden Orchesterschlage, denen 
das unheimliche Motiv 




*£■ 



f — -p^ — nr~ 




wf—z^;. 



mtEEE^E 



ff 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



56 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

folgt, und dann dieses sich schleichend aufringelnde: 



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^r a ' a f4±= a ' [' a s * 



col basso unisono 



F=^ 




in das es gleich ziingelnden Blitzen hineinfahrt. Und Ahnliches findet sich 
iiberall; auch in jenen Werken, in denen ihrem Schopfer — und oft mit 
Recht — ein gedankenloses Draufloskomponieren brutaler Cabalettastucke 
vorgeworfen wurde. Und freilich: iiberall finden sich auch Stellen von 
unbegreiflicher Liederlichkeit und von aufreizender Zusammenhanglosigkeit 
mit dem stofflich Auszudruckenden. Nur daO all das eigentlich Nebensache 
ist; daO auch jene genialen Einfalle orchestraler Charakteristik, die gerade 
durch ihre knappe Pragnanz, Sparsamkeit und Einfachheit so unwiderstehlich 
und uberzeugend wirken, ebenso sekundare Mittel der dramatischen Technik 
Verdi's sind wie seine Leitmotive. Sein Hauptmittel der Charakteristik, das 
ihm wie keinem anderen im Ausdrucke der subtilsten und der grobsten Seelen- 
vorgange, zartester Grazie und keuchender Leidenschaft, boser Heimtiicke, 
jagender Angst, schmerzlichster Ironie gehorcht, bleibt seine dramatische 
Melodie. Um derentwillen er es oft und oft wagt, auf alle instrumentale 
Untermalung zu verzichten und das Orchester wie eine Riesengitarre zu 
behandeln. Er hat nicht nur nicht auf die uralte Tradition verzichtet, die 
den Italiener zum „Sanger an sich u machte. Er hat dieser Tradition alle 
Moglichkeiten der Weiterentwicklung abgelistet, hat seine sonderliche Fahig- 
keit, w fiir die Stimme zu schreiben* (wie es gern im Gesangslehrerjargon 
heiflt), zu ungeahnten Wirkungen ausgeweitet und hat es zuwege gebracht, 
nicht nur die technisch sangbarsten und den Bediirfnissen jeder Stimmlage 
sich aufs wunderbarste anschmiegenden melodischen Linien zu Ziehen, sondern 
sie mit neuartigem Ausdruck jeder Art zu beladen. 

Diese Verdische Melodie ist, auch fur sich betrachtet, ganz ohne Be- 
ziehung auf ihre seelenentschleiernden, alle menschlichen Regungen bloO- 
legenden Moglichkeiten, von einem bezwingenden Ungestiim und von hin- 
reiOendem Glanz. Sie ist gewiD nur zu oft derb, gewohnlich, salopp, 
gassenhauerisch; aber selbst dann betort sie durch ihre Torpedo- Verve, 
durch ihre ejakulierende Energie, durch ihre sausende Schleuderkraft, durch 
die prachtvoll gesunde Schamlosigkeit und MaOlosigkeit eines ganz und gar 
unverbrauchten, in brennender Gier tobenden Temperaments. Dort aber, 
wo herrlicher innerer Adel und passionierte Schonheit in ihr hinstromen, 
hat diese Melodik ein wahrhaft berauschendes Aroma, wirkt wie ein un- 
glaublich starker und unvergeClicher Naturlaut, in dem wirklich die Seele 
Italiens zu schwingen scheint. Auch hier manchmal, gleich der Grimasse 
eines wundervollen Angesichts, eine Verzerrung zum blofien Effekt, ja ein 



f"i^\^I.- Original from 



tV v UNIVERSITY OF MICHIGAN 



SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHN1K 



57 



abscheuliches Entstellen durch eine plotzlich aufgeklebte Koloratur, die wie 
ein Selbstverrat wirkt, wie das verachtliche Preisgeben des Innigsten an 
eine Befleckung durch die unreinen Hande der Menge, die nur ihren SpaO 
haben und nicht erschtittert werden will. Aber zum Gliick sind gerade 
diese Unbegreiflichkeiten nicht haufig bei den wirklich empfundenen Ein- 
gebungen des Meisters, die in unglaublich breitem Strom hinflieCen, in 
nicht endenwollendem Gesang, der immer wieder zu neuen, noch iiber- 
schwenglicher schwarmenden Gebilden aufbliiht. Diese Melodik ist, auch 
ganz ohne Zusammenhang mit ihrem eigentlichen Ausdruck, durchaus 
dramatisch; durch ihre innere Spannung, durch ihren Manometerstand, 
durch ihre Unaufhaltsamkeit und die Schnellkraft ihrer Steigerungen. Sie 
lauft wie mit nackten Fiiflen uber gliihendes Eisen. 

Aber sie ist mehr als blofi Belustigung des Ohrs. Sie vermag es 
nicht nur, Schmerz und Liebe, Bangen und Sehnsucht, sondern so ver- 
steckte und dem Wesen der Musik sonst ganz fremde Regungen, wie falsche 
Verschlagenheit, tiickisch aufziingelnden Neid, wiitenden, aber die Maske 
der Heiterkeit tragenden Kummer mit greifbarer Unmittelbarkeit zu schildern. 
Nichts heuchlerischeres, als die raifitrauisch-liebevolle Ansprache der 
Amneris an Ai'da (im 2. Akt): 



ife?Jgf f#5r^ BBM^^^ 



*=*= 



espr. 

Nichts ergreifenderes als der aufschluchzende Auftakt zu der heiteren 
Melodie, die Rigoletto (im 3. Akt) den Hoflingen vortrallert: 



^fc^ Mga^^ sjg^^g 




la la la la la la la la la la la la la la 

und die immer wieder in Tranen auszubrechen scheint. (Freilich, sie mufi 
auch so gesungen werden. Der Ausdruck jeder Musik ist so vieldeutig, 
daD blofi eine Wortanderung geniigt, um die Moglichkeit ganz entgegen- 
gesetzten Vortrags zu geben. Aber im Zusammenhang mit der Situation 
sind die Verdi'schen Melodieen von geradezu zwingender Eindeutigkeit und 
PrSgnanz des Ausdrucks.) Oder — um die Notenbeispiele nicht allzusehr 
zu haufen — : nichts hafierfiillteres, trostloser verfinstertes als Jagos Credo 
im„Othello*; nichts raubtierartigeres,kannibalischeresalsAmonasrosAusbruch 
im 3. Akt der ^AYda 14 ; nichts . . . aber es ist unnotig, nach Belegen zu 
suchen, wo man nur (und ich habe es hier nicht anders getan) aufs 
Geratewohl irgendeine Partitur einer beliebigen Verdi-Oper aufzuschlagen 
braucht, um auf Schritt und Tritt die Erfullungen dieser ganz einzigen 
Gabe der melodischen Charakteristik zu finden. 



Jirj 






Original from 
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DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 



Sie ist noch starker in den Ensembles. Ich erinnere an eines der 
beruhmtesten: das Quartett im SchluBakt des w Rigoletto". Unmoglich, mit 
dem raffiniertesten Orchesterapparat das Wesen dieser vier Menschen und 
ihren gegenwartigen Seelenzustand mit solch schlagender Deutlichkeit zu 
offenbaren, als es in den Themen dieser vier Singstimmen geschieht; den 
leichtsinnig verliebten Herzog: 



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\ 4 m 4 -i 1 — 



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-m — m — # 



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usw. 



die seelenlos tandelnde, kalt kokette Maddalena: 

Mi* kZ*-±±: 




*=*: 



±j£ 



usw. 



++ 



Gildas schmerzliche Seufzer: 



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&F^=* 



ms=^=?=^=^gj3&&=M 



& 



usw. 



und den innig wehmutvollen Ausdruck ihrer enttauschten Liebe: 




und wieder Rigolettos verhaltenes Knirschen in atemloser Wut: 



3&*33m 



• — m-»'0-0-*Wi 



f*- T -e> 



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EH 






!?-#• -•■■♦•■•"•- & ^i 



Vm + 



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Und rein musikalisch genommen: wie schon verschlingen sich diese 
vier Stimmen zu einer einzigen suBen Klangeinheit; mit welcher Noblesse 
sind die Linien hier gezogen; welch feine Meisterhand hat diese ganz dis- 
paraten Stimmungen zu einem scheinbar widerspruchslosen und gerade 
durch seine inneren Kontraste lebendigen Musikstuck geformt! Nicht 
ganz auf dieser musikalischen Hohe stehend — weil die primitive Mono- 
tonie der Chorstimmen allzu „bequem a wirkt — , aber vielleicht noch 
drastischer: das Quintett im 2. Bild des „Maskenball". Richard, der die 
Schauer der Prophezeiung durch unbekummertes Scherzen abschiitteln will: 



Jirj 






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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHNIK 



59 




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die Wahrsagerin, die duster und stair an ihrem Spruch festhalt 



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die Verschworer, deren frohlockende und dabei angstvolle Stimmen gleich 
Dolchstofien hineinfahren: 



gS^^ ^i^ ^ 



usw. 



und 



dann leise grollend: ^^ z^ ^y— — x ^^ J J ^ zzzg EEj 



ppp 



Und iiber all das hingeschwungen, in zMrtlicher Besorgtheit die helle Stimme 
des Pagen mit der breit hinwehenden siiCen und bangen Melodie: 




^ft^Sfe^^^i 



PP ^VJ ♦ 



die all diese vielfaltige und erregte Vielstimmigkeit zu einer beruhigten 
Einheit bindet. 

Diese Meisterschaft, gerade im polyphonen Ensemble dramatische 
Charakteristik zu treiben, seine Menschen auf eine einzige Linie zu bringen, 
all diese Linien aufeinander bis zum Ergebnis einer sonderlich organi- 
schen Form einzustellen und dabei in Ton und Wort nicht nur Gemiits- 
schilderung zu erreichen, sondern die Handlung vorwartszupeitschen — 
diese Meisterschaft, der in dieser Art Stiicke von solch bewegter und doch 
deutlicher Bestimmtheit gelingen wie die eben genannten, hat Verdi manch- 
mal dazu verfiihrt, mit dieser Form zu experimentieren. Er ist dabei in 
den Fehler verfallen, in derartige weitausschwingende, unter groBen me- 



m?zc:J ::■■/ CiOO^Ic 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



60 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

lodischen Bogen hineilende Ensembles entscheidende, die dramatische 
Peripetie einzig herbeifiihrende Worte und Vorgange einzuflechten, deren 
Ausdruck zumeist hastig rezitierenden Mittelstimmen anvertraut wird und 
die eben dadurch nicht nur dem Ohr, sondern sogar nicht selten dem Auge 
in der Massenaktion, die das Detail verschluckt, entgehen. Eine verhang- 
nisvolle Neigung, die ihn urn eine der besten Wirkungen in einem seiner 
reinsten Meisterwerke gebracht hat: im 3. Akt des „Othello a verschlingt 
das an sich grandios aufgebaute Riesenensemble nach Desdemonas MiB- 
handlung die wichtigen Dialoge Jagos mit Othello und Rodrigo, und — von 
der mangelnden Motivierung des Spateren abgesehen — das dramatische Uhr- 
werk wird scheinbar zum Stillstand gebracht, urn (an einem der bewegtesten 
Punkte der Tragodie) der Musik nichts durch sein Hineinticken zu entziehen. 
Scheinbar, denn in Wahrheit tickt es doch; aber nicht bemerkbar genug, 
um die tragische Spannung zu steigern — und so wird gerade hier die 
Musik in all ihrer Pracht ungeduldig als retardierend und weitschweifig 
empfunden. Ein Fehler, der bei solch musikatmenden Naturellen wie Verdi 
nur zu leicht zu verstehen ist. Und einer, den ihm sein bester Nachfolger, 
Puccini, in den ersten Finali der „Manon a und der „Tosca" zu seinem 
Schaden abgeguckt hat. In diesem speziellen Fall wirklich: wie er sich 
rauspert . . . 

Allerdings: vielleicht sind auch diese so vielfach verschlungenen, 
musikalisch klaren, aber dramatisch „verfilzten a Partieen noch zu voller 
Deutlichkeit zu entwirren. Wenn man ■ sie namlich beim Vortrag weniger 
auf bel canto und Tonbildung hin anlegt, sondern auf den diesen Tonen 
einzig entsprechenden dramatischen Akzent; so daO eine Art Wortpoly- 
phonie der Tonpolyphonie zur Seite gestellt wird, die zu ganz gleicher 
Transparenz wie diese durchgebildet werden muD. Was, nebenbei bemerkt, 
in gewisser Hinsicht auch von den Einzelgesangen gilt: der Dramatiker 
Verdi wird in seiner wilden Echtheit und seinem Impuls erst ganz erkannt 
werden, ja vielleicht eine ungeahnte Renaissance erleben, wenn die Sanger 
sich nicht mehr einbilden werden, „all' italiana" singen zu miissen, mit 
alien Ungezogenheiten falscher rubati, dem Forcieren der hohen Tone, den 
schmahlichen, oft noch „aus eigenem" hinzugefiigten Koloraturbravouren, 
der Publikumsanbiederung, den Dacapo-Unarten, dem Uberwintern auf will- 
kiirlich gewahlten Fermaten. Sondern ausschlieDlich aus der Situation 
heraus: dem Seelenzustand, dem Nachzittern des Erlebten und der Erwar- 
tung des Kommenden entsprechend. Wenn beispielsweise im „Masken- 
ball* Amelias Gesang im 3. Bild: 

Presto assai 




g^^^g^^BT ci^S^ si 



,iir 



i r.yC tOOoIc 



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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



SPECHT: VERDI'S DRAMATISCHE TECHN1K 



61 




und dann: 



usw. 




nicht in hastigem, gepreCtem Fliistern gesungen wird, mit jagendem und 
stockendem Atem, angstgeschuttelt, die Tone keuchend und krampfhaft 
hervorgestoDen und plotzlich in rasende Schreie der Verzweiflung aus- 
brechend, sondern mit sorgfaltiger Tongebung, metronomhaft virtuos, mit 
behutsamer Beachtung aller Kunste des Atems und der Resonanz, so ist 
die dramatische Wirkung beim Teufel, und iibrig bleibt nur eine dann 
freilich fast unertraglich triviale, von alien Geistern der Kunst verlassene 
Musik, und die Geringschatzung, die sie heute noch von ernsten und 
kunstnahen Menschen zu erleiden hat, wird durchaus begreiflich. Wahrend 
sich bei richtigem Vortrag ein vollkommen glaubhafter, ja zwingender Ein- 
druck einstellt; keiner, der den hohen Offenbarungen der ganz Groflen 
gleichkommt, aber ein heiOer, gegenwartvoller und menschlich packender. 

Freilich gehorte dazu, daO all diese Werke aus der Sinnlosigkeit, der 
haarstraubenden Deklamation, dem leichtfertigen Undeutsch und vor allem 
aus der Verzerrung gerettet wiirden, die den Originaldramen Verdi's durch 
die deutschen Ubersetzer zugefiigt worden ist. Es ware besser, wenn man 
am hundertsten Geburtstag des Meisters, der heute so lebendig ist wie 
nur wenig andere, statt Denkmaler zu stiften und allerlei mittelmafiige 
Feierlichkeiten zu zelebrieren, eine Nationalspende zuwege brachte, die fur 
korrekte Auffiihrungen der Werke und fur das Zustandebringen dichterisch 
vollwertiger Ubertragungen des dramatischen Worts zu verwenden ware. 

Verdi und .sein Werk waren es wert. Nicht nur die drei Meister- 
schopfungen, denen langst ihr Rang im Bewufitsein der Gegenwart an- 
gewiesen worden ist; auch die vielleicht weniger reinen, dafiir aber noch 
reicheren, noch sturmvolleren, von heftigem, rotem, lebendigem Blut durch- 
kreisten Schopfungen seiner mittleren Zeit. Denn in dieser Musik liegt 
die Gewahr des Bestandigen. Weil sie elementar ist; weil in diesen 
Klangen eines Einzelnen ein ganzes Volk singt, die Sonne seines Landes 
gluht, die ganze sinnliche Unb&ndigkeit, die aufruhrerische Verwegenheit, 
die revoltierende Ungeziigeltheit einer Rasse lebendig geworden ist. Diese 
Musik ist oft im ublen Sinn volksmafiig, oft gewohnlichaufdringlich, ja 
gemein; und ist selbst dort von einer Kraft und einer Hitze des Atems, 
gegen die man wehrlos ist. Wo sie aber ganz der erlauchte und adelige 
Ausdruck ihres menschlich so wahrhaften, vornehmen und mannhaft unab- 



Jirj 



Cioool 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



62 DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 

hangigen Schopfers ist, hat sie eine Pracht und einen Reichtum, dem 
nicht viel Ahnliches zur Seite zu stellen ist; einen Reichtum, der in jeder 
Melodie unterwegs noch viel iippigere Bliiten pfluckt als die, mit denen er 
auszog. Wie solch eine Melodie einer gliihenden Rakete gleich auffahrt, 
steil und stolz, und immer noch unablassig steigend, bis sie sich auf ihrem 
Gipfel zu einer niederregnenden Strahlengarbe erschlieCt; oder in weichem, 
sanft klagenden Schmachten hinfliefiend, langsam zu einem majestatischen 
Katarakt wird — das hat eine ununterbrochene Fiille, eine Schwungkraft 
des Bogens, eine Kontinuitat des Einfalls, mit einem Worte: eine Potenz, 
neben der fast alles andere ahnlicher Art schwachlich und blaC wirkt. 
Die Kunst Verdi's ist nicht von der hohen Art der Beethoven und Wagner, 
ist niemals Andacht, Religion, Befreiung. Sie ist ganz diesseits; ganz 
irdische Liebe neben jener himmlischen. Die Substanz seiner ganz un- 
spekulativen, ganz von den Sinnen kommenden und zu den Sinnen gehenden 
Musik ist oft zu verwerfen. Sie ist sicherlich nicht immer „reinlich a 
hat oft zuviel Erdenrest. Aber der Brunnen, der diese melodischen 
Strahlen emporschleudert, wird von keinem kiinstlichen Pumpwerk gespeist. 
Sondern von einer Naturkraft. Und wird deshalb nicht so bald versiegen. 



f V^\nl,« Original from 

jc r x:u::!::yViUC>^!i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRITIK 



OPER 

DERLIN: Saison. Aberaufdem kritischen Wege 
" zur allerjungsten Gegenwart stolpere ich bei 
ciner Parenthese. Sie umklammert das gela- 
tinehafte Erzeugnis „Som me roper". All- 
jahrlich im Wonnemond, wenn Herzen weich 
werden, recbnet man auch auf die Abschwachung 
der Widerstandsfabigkeit gegen theatralisches 
Unkraut. Es ist, als habe Berlin im Winter 
schwer genug an der Burde des kunstlerischen 
Gewissens getragen. Die Mikroben treten ans 
Tageslicht. Sonnenschein verkiart sie. Die 
Fremden sollen die Kunststadt in ihrer Glorie 
schauen. Es gibt auch Berliner Fremde, un- 
scbuldsvolle Seelen, die in einem nordlich-sud- 
ostlichen Segment gedeihen. Aber selbst fur 
Kunstraubritter sind schwereZeiten angebrochen. 
Die Mittelstandsoper beengt ihnen den Atem. 
Das Deutsche Opernhaus, jene sozial-kunst- 
lerische Grundung, die das Gewissen gescharft 
hat, spielt bis tief in den Sommer hinein. Und 
wir erinnern uns auch, daB just dieses Jahr das 
konigliche Haus den Hundstagsschlaf hinaus- 
gescboben hat. Trotz alledem erschien die 
Schmarotzeroper. Man begreift, daft ihre Frevel- 
taten summarisch abgehandelt werden. Aber 
die Flecken im Weltstadtbilde durfen nicht 
fehlen. Fand sich da der Direktor Hagin aus 
Magdeburg bei Kroll ein, begann mit einer Halb- 
stegreifauffuhrung der „Meistersinger a , HeB der 
Partitur ibren Klangzauber mit alien Mitteln 
mangelnder Orchestertechnik austreiben und 
schuf die Buhne zu einem Schauplatz von Zu- 
fallswirkungen um. Diesem Anfang entsprach 
das Weitere. Meist wurde auf Wagner gezielt, 
nebenbei auch auf anderes. ^Tristan" soil sogar 
bei einem Cello hingesiecht sein. Oasenhaftes 
Auftauchen guter und besserer Sanger, wie Eva 
v. d. Osten, Frieda Langendorff, Friedrich 
Plaschke, Theodor Lattermann, Leonor 
Engelhard. Zwischendurch jubilierte Werner 
Alberti; nach unverburgten Geruchten war er 
gerade (wieder?) auf der Buhne funfundzwanzig 
Jahre alt geworden. Man gdnne es diesem Char- 
meur der unteren Hunderttausend. Ich streckte 
die Waffen und lieB, obwohl das Gestirn Emmy 
Destinn heranriickte, diese Sommeroper sich 
in den Nebel verlieren. Erfrischungspause. Als 
ich wiederkam, hatte die Hagin-Oper ausgelitten. 
Dagegen bluhte die Sachse-Oper im Schiller- 
Theater O. und beschwor Morwitzens Geist. 
Unter uns: ihr Debut Anfang Juli war peinlich. 
Aber sie hatte sich bis Ende August bereits 
wacker zum Volksopernniveau heraufgespielt, 
hatte z. B. mit Lortzings Hausmannskost, mit 
Proben groBerOpern und selbst mit einer Neuheit, 
Henri F6vriers „Monna Vanna a , aufgewartet. 
Der Direktor Leopold Sachse ist wenigstens 
nicht ohne Ehrgeiz und Gewissen und sorgt fur 
Geschlossenheit. Man kann ihn nun vollig 
O.-reif nennen. Auch unter den heutigen er- 
schwerenden Umstlnden. 

Wintergarnitur. Wir werden Zeugen eines 
Wettkampfes zwischen der Vorstadt- und der 
Hofoper sein; eines Kampfes mit nicht allzu 
ungleicben Waffen. Seltsames ist geschehen: 
Melanie Kurt hat sich nach Charlottenburg ent- 
fubren lassen. Wir wissen, was sie un£ inmitten. 

fliriO;'.;::! :v,- C tOOOI 



der allgemeinen Durre bedeutete. Hier ist eine 
musikalische Vollnatur, eine Blute, die sich vor 
unseren Augen erschlossen hat; Paarung von 
Stimme, Instinkt, Verstand, Ehrgeiz, die stirkste 
Entwicklungsmoglichkeiten bedingten; verschie- 
dene Gattungen der Oper befruchten ihre Ge- 
staltungskraft. Nun ist sie groB geworden und 
verlaftt drum auch die Stfitte ihres Wachstums. 
Der „Fidelio a lebte von ihr; Brunnhilde atmete 
ihre Menschlichkeit. Neben ihr marschieren 
noch andere Nummern auf. Und was hat uns 
die Konigliche Oper zu bieten? Sie gab uns 
zunSchst einen „Fra Diavolo", der ein wenig 
nach Moder roch. Man hatte sich auf Jadlowker 
eingestellt. Er war indisponiert. Die Ouverture 
erklingt. Sehr rhythmisch, sehr forsch, mit 
einem GewaltschluBeffekt. Urheber war, wie 
man feststellte, Kapellmeister Robert Laugs. 
Wir wufiten, daB wir wieder einmal uberrumpelt 
waren. Er ist von einem Hofwind hierher ge- 
weht worden. Aber das soil uns nicht hindern, 
ihn vorurteilslos zu betrachten. Kaum daB er 
sich offiziell vorstellt, hat er stfirkste Wider- 
stande zu uberwinden. Der eingesprungene 
Heinrich Hensel, der seinen wohlklingenden 
Tenor mit Grazie meistert, wie ein echter 
Kavalier einherschreitet, doch ohne banditen- 
haftes Draufgangertum ist, bleibt mit un- 
erschutterlicher Ruhe bei seiner Unsicherheit 
und bei seinen gedehnten Tempi; Laugs, buch- 
stabentreu und buhnenfremd, beharrt ebenso 
unerschutterlich bei seinem Takt. So entwickelt 
sich ein durch mangelhafte Vorproben gesteiger- 
tes MiBverstandnis. Doch sollte man sich huten, 
den Fall fur ganzlich irreparabel zu halten. 
Laugs hat das Format des Drilldirigenten, ver- 
steht sein Handwerk und konnte sich zur utilit6 
hinaufarbeiten. Bleischwere bei echten Galli- 
zismen ist deutscher Grundfehler, nicht nur der 
seinige. Auch an dieser Auffuhrung hingen 
Gewichte. Es gab Gutes, das sich, von Unzu- 
langlichem durchkreuzt, nicht zur Einheit sum- 
mierte. Die zwanglosen Obergange vom Wort zum 
Ton fehlen. Da stromt von der durch Lieban ver- 
ewigten Episodenfigur des Unterbanditen ein 
Spruhregen vonKomik auf unsherab: Henkegab 
ihn und liefi aus dem Mime-Grund allerlei Ergotz- 
liches wachsen: so einen Falsett-Triller, der vir- 
tuoser war als der echte, unechte Zerlinens, Birgit 
En gel Is (einer sonst gesangstuchtigen, beweg- 
lichen Soldatenbraut). Die Komik erstarrte in 
dem Englander und seiner noch wesentlich 
schlechteren Haifte (Herrn Schultz und 
Fraulein Vilmar), hob sich aber ein wenig 
durch Knupfers Maske und Behabigkeit. 
Famos Philipp als Lorenzo, der bis auf eine 
Ermudung am SchluB metallischen Klang auf- 
bracbte. Diesem Typ der franzosischen Konversa- 
tionsoper stellt zufailig am nachsten Abend das 
Deutsche Opernhaus ein Prachtbeispiel der 
groBen Operaus denselben dreiBigerJahren gegen- 
uber: Hal^vy's J u d i n*. Sie ist durch den Schlen- 
drian entehrt und muBteneuaufgearbeitet werden. 
Eduard Morike besorgte es peinlich gewissen- 
haft. Ich mochte allerdings nicht alles gut- 
heifien: so hemmt der wiedererstandene Quartett- 
satz im ersten Akt das Tempo der Handlung. 
Doch immer hat die Hand eines kunstverstandi- 
gen Praktikers uber,4ieser Bearbeitung gewaltet. 

1 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



64 



DIE MUSIK XIII. 1: 1. OKTOBERHEFT 1913 



Der Partitur sind kleine Lichter aufgesetzt, die 
aber dieOrcbesterfarbe Hal6vy's nicht beschatten. 
Die ,Judin" ist ein internationaler Wert, weil 
sie billigem Judaisieren entgeht, nur den schwer- 
mutigen Grundton anstimmt und echten Pathos 
voll ist. So stofit man sich nicht allzu- 
sehr an Veraltetes. Die Auffuhrung arbeitete 
mit den reichen Mitteln und Farben, die schon 
in der „K6nigin von Saba a erfreuten. Nur daft 
hier noch andere Krafte vorruckten: Melanie 
Kurt, eine leidenschaftliche Recha, grofi in ihrem 
Schreiten, in alien Bewegungen, mit leichtem 
Schwanken der Mittellage, doch mit starkster 
Resonanz in der Hone; Heinz Arensen, ein 
sehr manierlich singender, von Stereotypem nicht 



freier Eleazar; der neue Paul Hansen, ein 
Leopold, dessen schone Stiimme meist pariert; 
aber er treibt oft hilflose Ubergymnastik. Der 
erstaunliche Paradesanger Carl Braun, der als 
Kardinal mit seinem Rohmaterial wuchert; Emmy 
Zimmermann, eine den Forderungen der Partie 
nicht vollig gewachsene Eudora. Aberdas rundete 
sich alles. Die sonst gescheite Regie (Felix 
Lagenpusch) hStte noch manchen Widersinn 
(im II.Akt) zu beseitigen. Dekorationen von Georg 
Hartwig&Co. prima, desgleichen das Ballet 
mit seiner reizenden Kommandeuse. Morikes 
Geist aber zeigte sich allgegenwartig. 

Adolf WeiBmann 



ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

Der Bilderteil dieses Heftes ist ganz dem Andenken Meister Verdi's gewidmet. An- 
schlieBend an die bereits fruher veroffentlichten Portrats eroffnen wir ihn mit der 
Wiedergabe einer guten Photograph ie. Ihr folgt die im Senatssaal zu Rom auf- 
gestellte Buste von Giulio Monteverde sowie eine mit Verdi's Autograph versehene 
Photographie aus seinen letzten Lebensjahren. Das nSchste Blatt zeigt den Meisterauf dem 
Totenbett, aufgebahrt im Hotel Milan in Mailand. Melcbiorre Dfclfico hat eine groBe Anzahl 
guter Karikaturen Verdi's gezeichnet, von denen wir unsern Lesern vier recht ergotzliche vor- 
ftibren. Aus seiner Ruhe, in der das erste Bild so kostlich mit dem getreuen w Tenore" auf den 
Knieen den Kunstler darstellt, schrecken ihn die vielen Albums auf, die alle auf ein Auto- 
gramm lauern. In freundlicherem Gegensatz zu dieser Schattenseite der Beruhmtheit sehen 
wir auf dem folgenden Bild die Geldanweisungen aus aller Welt herbeiflattern. Der Ruhm eines 
Geisteshelden aber birgt manche Unannehmlichkeit, deren schlimmste eine es ist, die Werke 
werdender Genies beurteilen zu mussen; bei dieser TStigkeit zeigt das vierte Bild den Meister 
in tiefem Nachdenken. 

Dieser Reihe auf Verdi's Personlichkeit bezuglicher Abbildungen folgen einige der 
StStten, die durch ihn beruhmt geworden sind. Da ist das einfache Gasthaus in Ron cole, wo 
Verdi das Licht der Welt erblickte. Es folgt das Faksimile seiner Geburtsurkunde. Das 
Landgut Sant' A gat a hatte Verdi 1849 gekauft und nach und nach zu einem landwirtschaft- 
lichen Musterbetrieb umgestaltet. Wir stellen unsern Lesern den Landsitz des Meisters nebst 
einer Partie aus dem prSchtigen Park vor. Zum Bau des „Teatro Verdi a in Busseto 
spendete Verdi mit dem Versprechen, dafur eine Oper schreiben zu wollen, 10000 Lire. 

Um das aufiere Bild des Meisters soweit als moglich abzurunden, bringen wir schlieBlich 
noch Faksimilia zweier beruhmter Stellen aus seinen Werken: des Quartetts aus w Rigoletto a 
und des Finales des zweiten Aktes der „ATda a ; seine Handschrift zeigt der Brief vom 
25. Mai 1874. 



Nachdruck nur rait bcsondcrcr Erlaubnis des Verlages gesttttet 

Alle Rcchte, insbesondere das der Obersetzung, vorbchalten 

FQr die ZurQcksendung unverlangter oder nicht angemel deter AUnutkrlpte, falU Ihnen nicht genQgend 

Porto belliegt, Gbernlmmt die Redaktlon kelne Garantle. Schver leserliche Manuskripte werden ungepraft 

zarQckgestndt. 

Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster 
Berlin W 57, BulowstraBe 107 1 

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Buste von Gtulio Alonteverde 




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Photographic aus den letzten Lebensjabren 



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VERDI AUF DEM TOTENBETT 



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VERDI-KAR1KATUREN 

von Metchiorre D&lfico 



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VERDI-KARIKATUREN 

von Melchiorre D&lflco 



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VERDIS GEBURTSHAUS IN RONCOLE 



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VERDIS GEBURTSURKUNDE 



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VERDIS LANDSITZ IN SANP AG ATA 



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GARTEN IN VERDIS LANDS1TZ SANT* AGATA 



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TEATRO VERDJ IN BUSSETO 



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EINE SEITE AUS DER ORIGINALPARTITUR VON VERDIS RIGOLETTO 

(Anfang des Quartetts) 



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EIN BRIEF VERDIS 



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DIE MUSIK 

HALBMONATSSCHRIFT MIT 
BILDERN UND NOTEN 
HERAUSGEGEBEN VON 

KAPELLMEISTER 
BERNHARD SCHUSTER 



2. VERDI-HEFT 



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HEFT 2 • ZWEITES OKTOBER-HEFT 
13. JAHRGANG 1913/1914 

VERLEGT BEI 
SCHUSTERS LOEFFLER* BERLIN W 






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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



. . . ich mochte, daft der junge Musiker, wenn er sich an seinen Arbeitstisch 
setzt, niemals daran dachte, Melodiker zu sein oder Harmoniker Oder Idealist 
oder Zukunftler und wie der Teufel auch alle diese Pedanterieen heifien. 
Melodie und Harmonie sollen in den H&nden des Kunstlers nur ein Werk- 
zeug sein, urn Musik hervorzubringen; und ein Tag wird kommen, da man 
nicht mehr von Melodie, von Harmonie, von deutscher oder italienischer 
Schule, von Vergangenheit oder Zukunft usw. usw. sprechen wird, — und 
dann wird vielleicht das Reich der Kunst beginnen . . . 

Giuseppe Verdi 



INHALT DES 2. OKTOBER-HEFTES 

EDGAR ISTEL: Verdi und Shakespeare (SchluB) III: w Othello" 
IV: ^alstaff* 

ADOLF BEYSCHLAG: Ober Irrlehren in der Ornamentik der 
Musik 

MAX SCHNEIDER: Das zweite kleine Bach-Fest in Eisenach 
(27./28. September) 

REVUE DER REVUEEN: Zu Richard Wagners 100. Geburts- 
tag Aus Tageszeitungen (SchluQ) 

BESPRECHUNGEN (Bucher und Musikalien) Referenten: Ernst 
Neufeldt, Wilibald Nagel, Wolfgang Golther, Georg Capellen, 
Emil Thilo, Walter Dahms, Wilhelm Altmann 

KRITIK (Oper und Konzert): Berlin, Breslau, Munchen, 
Sondershausen, Wiesbaden 

ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

KUNSTBEILAGEN: Portrat von Verdi; Verdi nach einer Litho- 
graphic vomjahre 1845; Verdi nach einemStich von Ch.Geoffroy 
(1853); Verdi nach einer Photographie vomjahre 1873; Verdi's 
Leichenbegangnis; Verdi-Karikaturen von Melchiorre Ddlfico 
(zwei Blatt); Verdi's Handschrift aus dem Jahrel838; Giuseppina 
Verdi-Strepponi; Arrigo Boito; Alessandro Manzoni; Antonio 
Ghislanzoni; Das Theater San Carlo in Neapel; Inneres des 
Scala-Theaters in Mailand 

NACHRICHTEN: Neue Opera, Opernrepertoire, Konzerte, 
Verdiana, Tageschronik, Totenschau, Verschiedenes, Aus dem 
Verlag 

NAMEN- UND SACHREGISTER zum 48. Band der MUSIK 

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DIE MUSIK erscheint monatlich zweimal. 
Abonnementsprcis fOr das Quartal 4 Mk. 
Abonnementspreis fQrdenJahrgang 15Mk. 
Preis des einzelnen Heftes I Mk. Viertel- 
jahrseinbanddcckcn a 1 Mk. Sammel- 
kasten fflr die Kunstbeilagen des ganzen 
Jahrgangs 2,50 Mk. Abonnements durch 
jede Buch- und Musikalienhandlung, fQr 
kleine Plfitze ohne Buchhfindler Bezug 
durch die Post 



Generalvertretung fflr Frankreich, 
Belgien und England: AlbertGutmann, 

Paris, 106 Boulevard Saint-Germain 

Alleinige buchhflndlerische Vertretung fflr 

England und Kolonieen: 

Breitkopf & Hartel, London, 

54 Great Marlborough Street 

fflrAmerika: Breitkopf & Hftrtel,NewYork 
fflr Frankreich: Costallat & Co., Paris 



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Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



VERDI UND SHAKESPEARE 

(MACBETH - BR1EFE UBER KONIG LEAR — OTHELLO — FALSTAFF) 
VON EDGAR ISTEL IN BERLIN-WILMERSDORF 



ScbluQ 

UI. 

„Othello" 1 ) 

Des groflen Briten gewaltige Tragodie von der Eifersucht ist vermut- 

lich im Jahre 1603 entstanden, am 1. November 1604 vor dem Konig ge- 

spielt und erst nach des Dichters Tode im Jahre 1622 gedruckt worden. 

Wahrend ein grofier Teil der ubrigen Shakespeareschen Stiicke bald schon 

der Opernliebhaberei zum Opfer fiel und mehrfach den Stoff zu Text- 

buchern hergeben muBte, hat w Othello* merkwurdigerweise erst zweihundert 

Jahre nach seiner Entstehung den ersten Komponisten in Rossini gefunden, 

dessen auf ein Buch von Berio geschriebene dreiaktige Oper am 4. Dezem- 

ber 1816 in Neapel zur Urauffiihrung gelangte. DaB bei den ganz auBer- 

ordentlichen dramaturgischen Schwierigkeiten, die, wie wir noch sehen 

werden, die Umformung der „Othello a -Tragodie in ein Opernbuch darbietet, 

Rossini's leichtfertiger Librettist derart mit Shakespeare umsprang, daB er 

nur dessen letzten Akt kopierte, im ubrigen aber seiner eigenen freien 

Erfindung vertraute, darf uns nicht Wunder nehmen und war auch schlieB- 

lich — sollte einmal wirklich das Textbuch nur ausgeschlachtet werden — 

das gescheiteste. So lfiBt denn beispielsweise Berio 2 ) im ersten Akt seines 

Buches die Desdemona im elterlichen Hause zur Verlobung mit Rodrigo 

vom Vater gezwungen sein, eine Heirat, der sie sich dann im letzten 

Augenblick entzieht, um Othellos Gattin zu werden. Rossini hat lediglich 

in dem letzten, Shakespeare nachgeahmten Akte seine Musik zu tieferem 

Ausdruck erhoben und hier sogar einige ergreifende Momente zu erzielen 

gewuBt. Nur einen wirklich poetischen Gedanken hatte der Librettist: er 

lieB im letzten Akt vor Desdemona's Fenster einen Gondolier die beriihmten 

Dante-Verse singen: 

„Nessun maggior dolore 

Che ricordarsi del tempo felice 

Nella miseria." 



1 ) Dieses hier etwas gekurzte Kapitel entstammt meinem neuen in Bucbform 
zu publizierenden Werke „Die Architektur des Opernbuches", in dem sich nach prin- 
zipiellen synthetischen ErSrterungen ausfuhrliche Analysen von sechs Opernbuchern 
(Figaros Hochzeit, Wildschutz, Des Teufels Anteil, Carmen, Othello, Meistersinger) 
finden. 

2 ) Der Vergleich der drei „Othello a -Fassungen in des Fursten Valori Buch 
w Verdi et son oeuvre a (Paris 1895) ist unglaublich dilettantisch. Valori stellt Berio 
uber Shakespeare und Boito! 

5* 



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68 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

,Kein groBerer Schmerz, als sich im Ungluck glucklicher Zeiten zu 
erinnern." 

Charakteristisch fiir den Geist der Zeit, der auch in Deutschland so 
schreckliche Morde auf der Buhne nicht duldete, bleibt, daB auch das 
neapolitanische Publikum die Ermordung der Desdemona nicht mochte 
und von der zweiten Vorstellung ab einen gliicklichen Ausgang erzwang: 
Desdemona beschwort ihre Unschuld, Othello wird geriihrt und beide singen 
Rossini's vergnilgtes, aus der „Armida a adaptiertes Liebesduett „Cara per 
quest' anima" ! Noch Hanslick hat den Rossini'schen „Othello", wie er im 
„Musikalischen Skizzenbuch* berichtet, so auffuhren horen. Rossini's Oper 
hat ubrigens Jahrzehnte hindurch Shakespeare's Werk siegreiche Konkur- 
renz gemacht und in Boieldieu (der sie fiir dramatischer als Mozarts .Don 
Juan" erklartel), Cherubini, Stendhal, Alfred de Musset und Lamartine 
eifrige Bewunderer gefunden, namentlich so lange die Malibran (1808 — 36) 
als Desdemona glanzte. Tempi passatit 

Als Rossini's „Othello* in Szene ging, lebte in dem kleinen lombardi- 
schen Stadtchen Busseto bereits ein dreijahriger Knabe, dem es das Ge- 
schick vorbehalten hatte, dem Othello-Stoff die endgultige musikalische 
Fassung zu geben: Giuseppe Verdi. Aber merkwiirdig, erst im 
70. Lebensjahre, gerade in dem Jahre 1883, das Verdi's groflem gleichalte- 
rigen Rivalen Richard Wagner den Tod brachte, erst so spat entschloB sich 
Verdi zur Komposition des gewaltigen Stoffes. Es ist hier nicht der Ort, 
Verdi's kiinstlerische Entwicklung und jene wunderbare Kraft zu schildern, 
mit der er gerade vom 70. Jahre an in w Othello* und .Falstaff* zwei 
Meisterwerke von unabsehbarem Zukunftswert schuf. Aber eines mufl 
gesagt werden : der alte Verdi verschloB sich nicht mehr der — von Wagner 
am scharfsten formulierten — Meinung, daB die Dichtung in vieler Hin- 
sicht die Gestalt der Musik zu bestimmen habe, und so gelangte er denn 
in seinen letzten Werken (von „Aida" ab) zu ganz anderen Opernbuchern, 
als er sie bis dahin komponiert hatte. Zudem entwickelte sich sein im Drang 
des Schaffens und in der Hitze des Daseinskampfes friiher wenig kul- 
tivierter literarischer Geschmack durch ausgewahlte Lekture und vielseitigen 
Umgang schlieOlich derart, dafl er es wagen durfte, die Hand nach Shake- 
speare's besten Werken auszustrecken, als ebenbiirtiger dramatischer Meister, 
nicht mehr als Verunstalter, wie einst im w Macbeth a , und vielleicht sogar noch 
in dem projektierten w K6nig Lear". Die Zeit war »erfullet", die dramatische 
Musik hatte es gelernt, ohne opernhafte Alliiren ihr eigenes Gut zu wahren, 
Verdi war gereift und sah neue Stilmoglichkeiten vor sich — da stieB er bei 
der Lekture Shakespeare's, den er immer mehr zu verehren lernte, auf 
w OthelIo a , und sein EntschluB stand fest, sich dieses Stoffes zu bemSchtigen. 1 ) 

J ) Ich verweise auf einen prachtigen Aufsatz Leopold Schmidts: w Verdi als 
Zukunftsmusiker" in dessen „Erlebnisse und Betrachtungen". (Berlin 1913.) 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 69 

Zu seinem Gluck fand er auch gleich den rechlen Dichter: Arrigo 
Boito (geb. 24. Februar 1842 zu Padua), der Sohn eines Italieners und 
einer vornehmen Polin, ein namentlich mit deutscher Kultur genau be- 
kannter, um ein Menschenalter jiingerer Freund des Meisters, unternahm 
es, die Dichtung zu schreiben, und konnte um so mehr darauf Anspruch 
erheben, ein mustergiiltiges Buch zu liefern, da er nicht nur als Dichter 
und Wagner-Ubersetzer, sondern auch als Dichter-Komponist sich mehr- 
fach betatigt hatte (sein Hauptwerk „Mefistofele a erscheint mir allerdings 
als eine wunderliche Fehlgeburt). Boito brachte jedenfalls drei absolut 
notwendige Eigenschaften mit: genaue Kenntnis der musikalischen Bediirf- 
nisse, hervorragende dramaturgische Einsicht und stilvolle Sprachbeherr- 
schung . . .*) 

Im allgemeinen darf man sagen, daD die Technik Shakespeare's die 
Grundlage moderner Dramentechnik ist, wenngleich wir ihn in manchen, 
durch seine Biihne bedingten Eigenheiten nicht mehr nachahmen diirfen. 
Vor allem ist sein haufiger Szenenwechsel, insbesondere sein standiges 
Einschieben ganz kleiner Szenen, fur uns storend. Der modernen An- 
schauung entspricht es, soweit das irgend geht, diese kleinen Szenen in 
wenige grofie zusammenzulegen. (Wie meisterhaft dies Boito machte, werden 
wir noch zu betrachten haben.) Die heutigen Forderungen lauten: weniger 
Szenen, straffere Zusammenfassung der Handlung, Ausscheidung alter ent- 
behrlichen Details, und diese Forderungen werden fur das Opernbuch noch 
strenger als Fur das gesprochene Drama sein. Gustav Freytag meint in seiner 
B Technik des Dramas" mit Recht, so bewundernswert und mustergultig 
Shakespeare in der aufsteigenden Handlung und in der Katastrophe selbst 
sei, so sei doch in manchen seiner Stucke die sinkende Handlung zwischen 
Hohepunkt und Katastrophe — also etwa der vierte Akt in fiinfaktigen 
Stucken — nicht gleich meisterhaft gestaltet und durch die Gewohnheiten 
seiner Biihne eingeengt. „In mehreren der groDten Dramen aus seiner 
kunstvollen Zeit zersplittert an diesem Teil die Handlung in kleine Szenen, 
welche episodischen Charakter haben und nur eingesetzt sind, den Zu- 
sammenhang zu erklSren. Die inneren Zustande des Helden sind verdeckt, 
die Erhohung der Wirkungen und die hier so notwendige Zusammenfassung 
fehlen.* Freytag fuhrt hier „Lear tt , „Macbeth a , „Hamlet a , „Antonius und 
Cleopatra" an, doch scheint mir auch „Othello a ein deutliches Beispiel 
dieser Shakespeare'schen Eigentilmlichkeit zu sein, die sich als Oberrest 
der alten Gewohnheit, auf der Biihne durch Rede und Gegenrede die 
Geschichte zu erzahlen, erklart. Es kommt dadurch manchmal geradezu ein 



J ) Die anschlieflenden Auseinandersetzungen uber Shakespeare's Verhaltnis zu 
dem vorgefundenen Novellenstoff und die Eigenart der Shakespeare'schen Buhne, aus 
der die spezifische Technik des groflen Briten zu erklaren ist, fielen hier auf Wunsch 
der Redaktion fort. 



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70 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

nndramstiach-noYellistiscbes Moment in die Werke hinein. Trotzdem ist 
es — wie anch Freytag betont — sebr lehrreicb, sicb die kunstvolle Zn- 
sammenfflgung seiner Drmmen einmal schemstlsch klar zn machen, wenn- 
gleich dag plnnm&Bigp und zweckvolle des Banes vom Dlchter wohl intnitfr 
geftinden und nicht durch verstandesmifilge Erwlgnngen veranla&t wnrde. 
„Aber die Gesetze fBr sein Scbaffien, m&gen sie nun geheim und ihm 
selbst nnbewuflt seine Erfindung gerichtet, oder m5gen sie Ihm «ls erkannte 
Regeln die scbSpferische Kraft f&r gewisse Wirknngen angcrcgt hnben, sie 
sind flir ans an dem fertigen Verke &beraU deatlich erkennbsr." 
Dss Szensrium des „Ofhello a m&ge dies erwelsen. 

Erstcr Akt, 

Erate Szene. 1 ) 
Venedig, oiae Stra&e. 

A* Redrigo, J ago, 
Rodrtgo bat ohne Erfalg um Desdemona geworben und mtcht dem j ago Vorwfirte^ 
d*B dieter Ibm Ihre bereft* erfolgte beimtlche VennShlung mit Othello verachwiegen 
tube. Jagp bebauptet, selbat dadurch uberrascht warden zu mtln. Er bcgrHndet 
mlt seiner Zurifckaetzung gegen&ber dem Csssfo seinen tiefwarzelndea Htfi (egeu 
den Mohren and erfcllrt, daft er Ihm our dieue, am Vorteil daraae zu Ziehen, aber 
Liebe an ibm heachle> am sein Vertrsuen zn gewinnen. 

B. V*rige p Brabantlo. 
Auf Jagos Anstiftung, urn dem Mohren die .Lost au vcif)ften% weckt RodHgo 
Brabantio, und belde bringen den tlten Mann auOer atch dnrth den Bericht fiber die 
Entfuhrung seiner Tochter Desdemona. Mit seiner gansen SJppschaft aturst er dutch 
die Stadt, urn den Mohren au auchen und umznbringen. 

Zweite Szene. 

Venedig, eine andere Straits 

A. Othello, Jago. 

Jago, unter der Maake des Freundes, warm Othello ?or dem mlcbtlgen 

Brabantio. Othello, „eua kdnigllcbem BIui*, fBrchtet kelnen Gegner, zumal er in 

der Gunst der Signorie fest sitzt. 

B- Vorige, Ceasio* 
Casalo forderi Othello auf, zum Herzog zu kommen, vermtitlich handle ei 
sich urn Cypern, 

C, Vorige, Brabantio, Rodrigo und Gefolge. 
Brabantlo will Othello mit dem Schwert snr Rede atellen, doch da dleser zum 
Herzog entboten lit, will Brabantio dort Klage gegen ibn rorbringen. 

Drltte Siene, 
Venedig, Senatizjinmer. 

A. Herzog, Senatoren* 
Beratung fiber einen scbleunlgen KHegazug gegen die turkleclie Flotte bel 
Cypern* Othello ala bewibrtester Fuhrer soli den Oberbefehl erhalten. 

l ) Ala Szenen aind bier die am gleicben Ort apielenden oder zeitltch dJfflerenxierten 
Aktabachnitte von Shakespeare bezeichnet und numerlert, Innerhalb der Szenen 
habe ich die wicbtigeren AnftHtte mlt BuchaUben abgeteilt Ich twnutze fur den 
ersten Akt teilweiae Bodenstedta Inbaltaangabe. 



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^ .OOvK UNIVERSITY OF MICHIGAN 



ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 71 

B. Vorige, Othello, Brabantio, Cassio, Jago, Rodrigo und Gefolge. 
Brabantio unterbricht die Beratung durch die ErklSrung, sein personlicher 
Gram sei so uberwaltigender Natur, daft er alle Sorge um das Staatswohl verschlinge. 
Er klagt Othello an, Desdemona durch Zaubermittel verfuhrt zu haben; denn dafi 
sie ihm freiwillig gefolgt sei, kann er sich gar nicht denken. Othello weist die 
heftige Beschuldigung zuruck und verlangt, dafi man Desdemona selbst hore. 
WShrend Jago nach dieser geschickt wird, berichtet er den einfachen Hergang seiner 
Liebesgeschichte: wie scbon die Erzahlung seines sturmvollen Lebens Desdemonas 
Herz gewonnen habe, so dafi er nur durch ihr eigenes Entgegenkommen ermutigt 
worden sei, um ihre Hand zu werben. Der Herzog erklfcrte, diese ErzShlung 
wurde auch seine Tochter gewonnen haben. 

C. Vorige, Desdemona. 
Desdemona best5tigt Othellos Angaben. Auf die Frage ihres Vaters, wem sie 
in diesem Kreise am meisten Gehorsam schuldig sei, antwortet sie: ihre Pflicht sei 
hier geteilt, dem Vater verdanke sie Leben und Erziehung, aber gerade so viel Pflicht 
als ihre Mutter ihm gezeigt, als sie seinetwillen den eigenen Vater verlieB, nehme 
sie auch ihrem Gemahl, dem Othello, gegenuber in Anspruch. Brabantio erwidert: 
„Gott sei mit dir! Ich bin fertig. — Jetzt zu den StaatsgeschSften." Othello erklSrt 
sich trotz seiner jungen Ehe bereit, noch in derselben Nacht gegen die Turken aus- 
zuziehen, und Desdemona bittet den Herzog, ihrem Gemahl folgen zu durfen. Desde- 
monas Bitte wird gewfihrt, und da Othello gleich fort mufi, vertraut er sie der 
Obhut Jagos an, um ihm zu folgen. Brabantio gibt Othello die verhangnisvolle 
Warnung mit auf den Weg: 

„Merk auf sie, Mohr, hast Augen du, zu sehn: 

Sie trog den Vater, so mag dir's gescbeh'n!" 

D. Jago, Rodrigo. 
Rodrigo will sich, verzweifelnd, jemals Desdemonas Gunst zu erlangen, ertranken; 
aber Jago weifi ihm klar zu machen, dafi ihre Liebe zu Othello nicht lange dauern 
konne. Er beredet Rodrigo, nach Cypern mitzukommen, aber sich tuchtig mit Geld 
zu versorgen, dann werde er dort Desdemona schon gewinnen. 

E. Jago all ein. 
Hier enthullt sich Jagos Schandlichkeit offen: Rodrigo will er nur ausbeuten, 
den Mohren aber hafit er wirklich. Als Scheingrund (an den er selbst nicht glaubt) 
gibt er an, der Mohr habe ihm seine Frau verfuhrt. Aber auch den Cassio will er 
verderben, um dessen Amt zu bekommen. So verknupft er beides: er will dem 
Othello, der ihm arglos vertraut, zuraunen, Cassio verfuhre die Desdemona. 

Zweiter Akt. 

Cypern. Ein offener Platz am Hafen. 

A. Montano und Offiziere, spater Cassio. 

Nach einem furchtbaren Sturm sp5ht der Gouverneur Montano mit Offlzieren 

hinaus, um den Ausgang des Kampfes zu erfahren. Die Turkenflotte ist vom Orkan 

vernichtet, und Cassio meldet, er sei von Othello durch den Sturm getrennt worden. 

B. Vorige, Desdemona, Emilia, Jago, Rodrigo und Gefolge. 

Sie erwarten alle Othello, dessen Schiff erst spater einlSuft. Merkwurdige, von 

manchen Kommentatoren beanstandete Unterredung Desdemonas mit Jago, eine Unter- 

redung, die aber ganz im Geschmack der Zeit Shakespeare's ist. (Man denke, was 

Hamlet alles zu Ophelia sagt.) Fur unser modernes Empflnden wird allerdings der 



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72 DIE MUSrK X1IL 2: 2- OKTOBERHEFT 1913 

boldsellg-reiue Charakter Desdemonss hierdurch getrfibt: man mull jedocb die in 
dor deutschen Obersetzung nlcht erkennbaren Zoten lm Original veretelien kfonen* 1 } 

C. Vorlge, Othello. 
Dis Wiederseben Otbellos and Desdemonss nacfa den Stflrmea aelgt tie anf 
deal Gipfel det Gl&cfcs. Othello ist so selig, defl er sterben mOchte, deun er flihlt, 
grfiftere Sellgkeit sei nlcht mogllcb. 

D. J*g&? Rodrigo, 
Jago alt suFmerkstmer Zeuge dieser bochpoetischen Szene berecbnet bereft* 
den Umschwnng la OthtUos Stimmang, der am so •eblimmer seta rnufi, je hOhcr 
vorher seine Tonne itieg, Ei gellugt Him, Rodrigo klar zu macfaen, er komme bet 
Desdemona mm weitesten, wean er znnicbtt seinen Nebenbuhler Cassio *us dem 
Wege rlume, der momentan bel Desdemona in hoher Gunat stebe. 

E. Jago allein, 
Hier mtcbt sich Jago wieder ein en neuen Grand vor: er llebe Desdemona, 
nicbt bloB sua Usternhelt, send era aus Rache, well Othello EmUlen moglicberweise 
verffihrt babe. Nun sol) es Velb urn Weib gehen. Venn dies miBHngt, fall Othello 
bla mr Tollbelt eifersficbttg iuf Cassio gemscht werden, deno such Cassio seE 
Emilten gefthrlicb* (Man slebt, Jago M eigentlich von Natur ciferefiehriger all 
der Mohrl) 

Zwelte Scene. 
Eine Stra&e. 
Ein Herotd proklamlert eln Feat mit Tanz und Freudenfeuer, cm den Unter- 
gang der tnrklscben Flotte und Othello* Hochzeit zu felera, 

Drltte Szene. 

Eine oTfene Halle itn Schlosse. 

A. Othello, Desdemona, Cassia und Gefolge. 

Freundschaftlicbe Mahnung Otbellos an Cassio, scharfie Vache zu halted nnd 

eln gutes Belspiel zu. geben, am Jeder nlcbtlichen Ruhestttrung vorzubeugeitp (Man 

sebe, wle eingebend Shakespeare motiviertl) Otbello debt tich mit Desdemona zur&ct. 

B. Cassio, Jago, 
Jago verffihrt Cassio an einem Trinkgelage, obwobl Cassio betont, wle wenig 
Wein er rertrage: nach einem Glaa aei ihm berelti wirr lm Kopf. 

C. Jago sllelu* 
Entb&llt seinen Plan, den bereits bexechten Rodrigo auf den Cassio tu 
hetzen, aobald dieser ein weiteres Glaa getruaken. 

D. Jago, Caasto t Montano und Offlxlere. 
Jagos Plan gclingt. Caaslo und Rodrigo gereten aneinander, Montano will den 
Streit scbllcbten, kommt aber dadurcb setbit in HIndet mit Caaatow Rodrigo wird 
von J*go fbrtgeschickt, Aufirubr im Votk xu erregen und die Stunnglocke liuteu in 
iisscn (um Otbellos Liebesnacbt an atfirtn and Ibn faerbetzubringen) . . Daneben 
spielt er den Beaorgten bei Cassio. 

E. Vorlge, Otbello, aplter Deademona. 
Othello fragt nach der Urvache dee Linns, stellt die Rube wieder her, Uflt 
den verwundeten Montano abMhren end entsetzt den Cassio seines Amies, allerdl&gs 



J ) Am schltmmsten ist der Vers: 

^Sbe that la wisdom never was so frail* 
To change the cod** bead for the salmon's tail* 
wobei der Viti in der Zweldeudgkelt von w co6 M liegt 



[" ^ y | , Origin al from 

^ ,tK ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 73 

mit dem Hinzufugen, dafi er ihn Hebe. Mit der gleichfalls aufgeschreckten Desdemona 
zusammen geht er ab. 

F. Jago, Cassio. 
Cassio, der nur aus Schwache, nicht in boser Absicht gefeblt hat, ist in Ver- 
zweiflung, die Ungnade Othellos verdient zu haben. Jago sucht ibn zu tr6sten und 
ihm einzureden, dafi durch die ihm so wohlgewogene Desdemona alles wieder gut 
zu macben sei. 

G. Jago allein. 
Er freut sich, wie ihm alles gelingt, denn Cassio, dem er den fur ihn 
anscheinend besten Rat gegeben, wird sicher ins Netz gehen, w&hrend Jago anderer- 
seits dadurch die schonste Gelegenheit hat, den Mohren auf Cassio eifersiichtig zu 
macben. Je mehr sich Desdemona also fur Cassio verwendet, um so schlimmer 
wird ihre Sache. „Aus ihrer Gute stride* ich mir das Netz, sie alle zu umgarnen. a 

H. Jago, Rodrigo. 
Rodrigo macht dem Jago Vorwurfe, daft er fur sein gutes Geld nichts als 
Prugel gehabt habe; Jago mahnt ihn zu Geduld, eines sei jedenfalls schon erreicht: 
Cassio ist seines Amtes entsetzt. 

I. Jago allein. 
Neuer Plan: Jagos Frau soil bei Desdemona fur Cassio sprechen, wShrend 
Jago den Mohren abseits halten und erst dann dazu bringen will, wenn Cassio bei 
Desdemona bittet. 

Dritter Akt. 
Die ersten drei Szenen dienen dazu, die Ausfuhrung des eben am Schlufi des 
Aktes dargelegten Jagoschen Planes zu zeigen. 

Erste Szene. 
Vor dem Kastell. 
A. Cassio, Clown, Musikanten. 
Cassio schickt den Clown zu Emilia, nachdem er dem Othello ein StSndchen 
hat bringen lassen. 

B. Cassio, Jago, spSter Emilia. 
Cassio teilt Jago mit, dafi und warum er an Emilia Botschaft geschickt hat. 
Jago verspricht Cassio seinen Beistand. Emilia bedauert Cassios Mifigeschick und 
versichert, dafi Desdemona daran Anteil nehme. Auf Cassios Wunsch fuhrt sie ihn 
zu Desdemona. 

Zweite Szene. 

Ein Zimmer im Kastell. 

Othello, Jago, Offiziere. 

Othello bestellt den Jago, nachdem er eine Botschaft ausgerichtet, zu sich auf 

die Festungswerke. Diese kleine, eigentlich uberflussige Szene kann nur den einen 

Zweck haben, dem Zuschauer klarzumachen, dafi Jago als Begleiter Othellos es 

wirklich in der Hand hat, diesen im rechten Moment zur Stelle zu bringen (wie er 

dies am Schlufi des vorigen Aktes aussprach) und dadurch das nachfolgende GesprSch 

zwischen Cassio und Desdemona als gefahrlich zu bezeichnen. 

Dritte Szene. 

Im Garten des Kastells. 

A. Desdemona, Cassio, Emilia. 

Desdemona beteuert dem Cassio, alles daran zu setzen, um ihn wieder mit 

Othello auszusohnen. Ein prachtiger Geniezug Shakespeare's, wenn Desdemona die 



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74 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

unheilvollen Worte lachelnd ausspricht: „Sei frShlich, Cassio, denn deine Mittlerin 
wird ehcr sterben, als enden, dir urn seine Gunst zu werben*. Da Emilia glaubt, 
daQ Jago nur aus Freundschaft fur Cassio dessen Angelegenheit sich zu Herzen 
genoramen, sucht sie ebenfalls fur ihn zu wirken. Othello und Jago erscheinen in 
der Feme, von Emilia bemerkt. Cassio zieht sich im druckenden Gefuhl seiner 
Schuld vor ihm zurGck, seine Sache ganz der Vermittelung Desdemonas uberlassend. 
Diesen gunstigen Moment benutztjago, der Othello schon von weitem auf die beiden 
hingewiesen, urn die Saat des Argwohns in Othellos Herz zu senken. 

B. Desdemona, Emilia, Othello, Jago. 
„Ha, das gefiUlt mir nicht! a ruft Jago wie unwillkiirlich aus, als sich Cassio 
rasch von Desdemona bei Othellos Nahen verabschiedet. Dieser Argwohn des rauhen 
Biedermannes, der bis jetzt sich bei Othello stets als Freund Cassios aufgespielt, mufi 
auf den harmlosen Othello mfichtig wirken, zumal Jago aufs scblaueste diese Rolle 
weiterspielt, urn Othello selbst argwohnisch werden zu lassen, als wolle Jago seinen 
Freund Cassio irgendwie decken. Die Wirkung steigert sich, als Desdemona sogleich 
Othello mit den warmsten Worten um die Wiederaufnahme Cassios besttirmt. Othello 
schlagt — dies ist ein Meisterzug des Dichters — ihre Bitte nicht rundweg ab, zumal 
Desdemona ihn daran erinnert, daQ gerade Cassio bei ihr fruher stets warm fur 
Othello gesprochen. Doch ersucht Othello seine Gemahlin, diesmal nichts mehr 
davon zu sprechen und ihn allein zu lassen. Dadurch fallt er nun vollends in die 
H2nde des Schurken Jago. 

C. Othello, Jago. 

Wie es in diesem Auftritt Jago fertig bringt, den bis dahin kaum argwohnischen 
Mohren zu tieferem Mifttrauen zu bringen, ist ein Geniestuck ersten Ranges. Wie 
Jago zuerst ganz allgemeine, unverflnglich erscheinende Redensarten bringt, die nur 
bezwecken sollen, Othello neugierig zu machen, wie er dann den Othello stuckweise 
ihn ausfragen laBt und immer nichts Positives verrSt, bis er schliefllich in den Ruf 
ausbricht: w O bewahrt Euch, Herr, vor Eifersucht, dem gruniugigen Scheusal, das 
sein Opfer erst quSlt und dann verschlingt" — wie alles dies unter der Maske der 
Freundschaft den Othello immer tiefer erregt, gerade weil es allgemeine Redensarten 
sind, dies ist ein Meisterstuck. Othello lehnt jeden Verdacht und jede Eifersucht zu- 
nfichst ab und betont: „sehen will ich, eh ich zweifle; zweifle ich, Proben; und hab 
ich dies, dann bleibt mir nichts, als dies: hinweg zugleich mit Lieb und Eifersucht!" 
Nun erst erwShnt Jago den Namen Cassio, und er weist den Othello darauf hin, 
zu achten, ob Desdemona die Sache dieses Cassio mit besonders ungestumem Eifer 
betreibe. Als einen Haupttrumpf aber spielt Jago gegen Desdemona die Tatsache aus, 
daft sie den Vater damals Othello zuliebe tauschte, also auch ihn tauschen konne. 
(Man erinnere sich der Warnung des Brabantio im ersten Akt.) 

D. Othello allein. 

Jagos Worte haben auf ihn tiefen Eindruck gemacht; er halt ihn fur einen „Menschen 
von seltner Biederkeit* und gibt Desdemona verloren, die ihn seines Alters und seiner 
HaBlichkeit halber wahrscheinlich betruge. 

E. Othello, Emilia, Desdemona. 
Mit dem Augenblick, wo Desdemona erscheint, sind aber wieder (welch feiner 
Zug!) alle seine Zweifel an ihr verflogen: „Ist diese falsch, dann lugt selbst der 
Himmel. Ich glaub es nicht". Desdemona fallt sein verandertes Wesen auf. Er klagt 
uber Kopfschmerz, sie will ein Taschentuch um seine Stirn binden; es ist ihm zu 
klein, und er lafit es fallen. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 75 

F. Emilia allein. 

Sie bebt das Tucb auf; es ist das erste Liebeszeichen Otbellos an Desdemona; 
oft hat Jago schon die Emilia gebeten, es fur ihn zu stehlen, doch hat es Desdemona 
nie von sich gegeben. Nun will es Emilia, die nicht weifl, was Jago damit will, es 
ihm ubergeben und die Stickerei kopieren lassen. 

G. Emilia, Jago. 

Emilia zeigtjago das Tuch, fragt ihn aber, was er damit will. Jago entreiBt es 
ihr, obwohl ihn Emilia bittet, wenn er's nicht zu wichtigem Zweck brauche, es zuruck- 
zugeben, da sonst Desdemona rasend werde, falls sie es vermisse. Jago ersucht Emilia, 
sich nichts bei ihr merken zu lassen. 

H. Jago allein. 

Jago will das Tuch in Cassios Haus verlieren, so daft es Cassio flnden muQ. 
Der Mohr spurt schon die Folgen des Giftes, das ihm Jago beigebracht, und das Tucb 
soil weiter helfen. 

I. Jago, Othello. 

Othello ist wutend auf Jago, packt ihn bei der Kehle und fordert Beweise. Jago 
erregt seine Phantasie durch scheufiliche Bilder und erzahlt schliefilich, wie Cassio 
des Nachts im Traum neben ihm durch verfangliche Reden den Ehebruch mit 
Desdemona eingestanden. Aber noch starkere Beweise gebe es: jenes Tuch, das 
Othello einst seiner Geliebten gegeben, habe Jago in den Handen Cassios gesehen. 
Nun rast Othello vollends, und beide schworen kniend Rache. Othello ersucht den 
Jago, den Cassio innerhalb drei Tagen umzubringen; heuchlerisch bittet Jago, der 
den ehemaligen Freund betrauert, wenigstens um Desdemonas Leben. Doch Othello 
ist entschlossen, auch sie, „den schonen Teufel", zu toten, wenn er ein rasches Todes- 
mittel hat. Jago wird an Cassios Stelle Leutnant. 

Vierte Szene. 
Daselbst. 

A. Desdemona, Emilia, der Clown. 

Desdemona bestellt durch den Clown Cassio her, da ihr Gemahl ihm verzeihen 
wolle. Desdemona fragt Emilia nach dem Tuch; Emilia leugnet davon zu wissen. 
Desdemona ist froh, daft Othello von Natur nicht eifersuchtig sei, sonst konnte ihm 
das Verschwinden des Tuches Argwohn erregen. (Damit ist gleichzeitig das Nach- 
folgende vorbereitet und Desdemonas Arglosigkeit und Ahnungslosigkeit dem Othello 
gegenuber dargetan.) 

B. Vorige, Othello. 

Othello stellt sich harmlos. Desdemona beginnt wieder von Cassio zu reden, 
den sie hierherbestellt habe. Othello behauptet, Schnupfen zu haben und bittet um 
ihr Taschentuch. Er verlangt, als sie ein anderes gibt, das gestickte. Desdemona 
behauptet, es nicht bei sich zu haben. Othello erklart das fur sehr schlimm: es sei 
ein agyptisches Zaubertuch seiner Mutter, an das schon die Liebe seines Vaters ge- 
bunden war; der Verlust sei ein Ungluck ohne gleichen. Desdemona erschrickt, doch 
sie leugnet noch, es verloren zu haben. (Man sieht, es kommt alles hier auf die 
Vergeftlichkeit Desdemonas an, die sich nicht mehr erinnert, es zum letztenmal dem 
Mohren selbst gereicht zu haben, der es fortschleuderte). Desdemona belugt ihn nun 
offensichtlich, als Othello das Taschentuch zu holen fordert. Sie behauptet, das konne 
sie, aber sie wolle es nicht, denn Othello wolle sie durch das Taschentuch nur davon 
abbringen, weiter fur Cassio zu bitten. Damit hat sie, ohne eine Ahnung zu haben, 
den furchtbarsten Verdacht Othellos bestarkt: Cassio und das Taschentuch sind nun 



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76 DIE MUSIK Xlll. 2: 2, OKTOBERHEPT 1913 

fiir ibn unl&sbtr verkniipft Desdemons redet welter von Csssio, Othello h*t nur eine 
eimfge Antwort, immer heftlger, dtnuf: »Dts Ttschentuchl". Vfitead gent erdtron 

C. DeAdemoiii t Emilli* 

EmElIs tbnt nicnt, welches Vcrbingnis drobt, sonst w&rde sie jetztoffien bekennen, 
wo dss Ttscbentucb Est. Detdemont gltubt wlrklicb, dtfl ein Ztaber im Tach sei, 
drain sei lie fetzt so ungluckllch. 

D, Vorige, Csssio, Jtgo, 

Csssio bittet wieder am FQrBpnche. Desdemoni ereidert, 4*U lb* Msna so 
verindert sei, dtfi mut gelegenere Zeit sbwsrten miltse, docb wollc sie dts mfiglkgitte 
tun* Jsgo will til Ibm gehen* well gewill etwts Vlchtiges Voig eltlleu bcL Desdemont 
glsubt, dsQ cs Sttttsgeschlfte seien, die ibn beunrubigen, und will ihn tttfs action. 
Emilia tbnt, dsQ es *etfer»Gcbtige Grtllen* tind, such obne Grander vie dts oft 
so sei. Csssio bleibt slleiu zurfick. 

E* Csssio, Blsnct. 
Zuftlllg kommt Bisncs diner, Csssio glbt ihr die Tischentuch, dss er bereiti 
bet aicb ztt Htuse gpfanden, nnd bittel sie, et ntchzusdckeni Bisncs 1st zwtr cUcr- 
s&chtig, well sie dies Tacb far dts Phnd einer neiten Gellebten hilt, docb fug* sie 
sEcb, und er venbiedet btld eine Zustmmenkunft mit ibr. 

Viertor AM. 

Erste Szene. 

Cypern, vor dor Citsdelie. 

A* Othello, Jtgo. 

Jtgo erregt Othello welter darch geschicktes JHsnfivrieren mit Ehebruchsbildern 

and Erinnerung sn dtt Tstchcntucn, to dtS Othello In elnem Anftll ton Rsserei in 

Ohnmtcht fUlt Jsgo weidet tich en dieiem Anblick. 

B. Othello (ohnmlchtig), Jsgo, Ctssio. 
Jtgo behtoptet dem Ctssio gegeufiber, Othello btbe einen epileptischen Asftll, 
bittet Ihn, slcb eln Weilcben zaruckzuzlehen, er btbe Wlcbtlges spiter mk ibm in sprecnen. 

C. Othello, Jsgo. 

Othello kommt zu tlcb. Jsgo eralhlt ihn, dstt gertde eben Ctstlo bier gewesen, 
den er ffir spiter bcstellt btbe. Iniwitcben mftge slcb Othello reratecken, um selbst 
mit eigenen Ohren Csssiot Gestlndnit seines Ehebrucbt in hSren, Othello xieht 
slcb zurQck, Jsgo bleibt einen Augenblick tlleln, wlhrend dessen er den Plan tus- 
heckt, Ctstlo liber Bitnct zu frsgen and dsdarch den Anscheln za erwecken, tls 
iprichen tie Ton Deidemont. 

D. Jtgo, Ctstlo. 

Hun kommt tin MeEsterstuck der Intrige Jsgot, Er spricbt ltat {dts hefflt: 
so, did Othello es bftrt) den Nsmea Deed em ones tas und tern lelse etwts fiber 
Bltncs hiuzu, so dsQ Othello Csssios hfihnisches Lschen tuf Dea demons beziehen 
mult, ebeaeo wle slles folgende, dss nor von der feilen Dime Btsnee hsndclt. 

C. Vorfge, Bisnct* 
Bltncs kommt selbst dszu und bringt Ibm dss Tttchentuch wieder. Othello 
sieht es in ihrer Hsnd und hSrt, wie teichtfertig Bisncs fiber die mutmsJUiche Von 
besltzerln des Taches spricbt, die, wie Bitnct mefnt, eine Eeichtfertige Dime sein msg, 
CssbIo eilt Bltncs nsch, nichdem Jsgo noch errshren, dill Csssio bei ihr zu Ntcht 
•ein wirdp Othello tritt horror and 1st rssend fiber dts, wss er hflrte and tth. Er 
will Desdemont vergiftcn und sle sicbt vorher zur Rede stellen, well tie tonst mit 



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1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 77 

ihrer SchSnheit ihn umstimmen k6nne. Jago rat, sie im selben Bette zu erwurgen, 
in dem sie gcfrevelt habe. Othello findet das sehr gerecht. Jago aber verspricht, 
den Cassio um Mitternacht umzubringen. Eine Trompetc verkundet Lodovicos Nahen. 

F. Othello, Jago, Lodovico, Desdemona und Gefolge. 
Lodovico, der Vetter Desdemonas, kommt als Gesandter des venezianischen 
Senats und uberbringt Othello ein Schreiben. Wahrend dieser liest, erkundigt er 
sich bei Jago nach Cassio, erfahrt aber von Desdemona, daft Cassio mit Othello zer- 
fallen ist, bald jedoch sich mit ihm versohnen werde. Unvorsichtige weitere Be- 
merkungen Desdemonas erregen Othello um so mehr, als Cassio in dem Schreiben 
zum Nachfolger Otbellos bestellt und dieser abberufen wird. Othello vergiftt sich 
soweit, Desdemona zu schlagen, die aber alles mit Engelsgeduld ertrSgt und fortgeht. 
Lodovico ist em port und wird in dieser Emporung von Jago noch weiter aufgehetzt 
gegen Othello. 

Zweite Szene. 
Ein Zimmer im Schlosse. 

A. Othello und Emilia. 

Othello sucht Emilia uber Desdemonens Verh&ltnis zu Cassio auszufragen, 
erfahrt jedoch nichts; Emilia spricht sogar mit W3rme zu ihren Gunsten. Othello 
ist uberzeugt, daft sie die Kupplerin zwischen beiden war. 

B. Othello, Desdemona. 

Othello nennt die vergeblicb ihre Unschuld beteuernde Desdemona eine Hure 
und beleidigt aucb Emilia, die er often eine Kupplerin nennt. 

C. Desdemona, Jago, Emilia. 
Desdemona und Emilia teilen dem Jago diese Beschimpfungen mit; er heuchelt 
Mitleid, Emilia aber, die keine Ahnung hat, wer der Anstifter gewesen, ist wutend 
auf den Verleumder, weift sie doch selbst, daft sie einst ahnlich bei Jago verleumdet 
wurde. Jago versucht indes, Desdemona einzureden, Othello sei nur verletzt, weil 
ihn Venedig zuruckberufe; sie solle nur zum Festmahl gehen, das man dem Ge- 
sandten bereite, alles werde noch gut gehen. 

D. Jago, Rodrigo. 
Rodrigo macht dem Jago wieder Vorwurfe; er hat, damit dieser ihm Desdemona 
gewinne, alle seine Juwelen geopfert, aber keinen Erfolg gesehen. Jago weift ihn 
wieder zu ubertolpcln: er redet dem Rodrigo ein, Othello nehme Desdemona in seine 
Heimat, Mauretanien mit, wenn es nicht gelange, ihn hier zuruckzuhalten, und das 
konne nur geschehen, wenn man Cassio des Nachts umbringe, sobald er von Bianca 
zuruckkehre. Jago will Rodrigo dabei unterstiitzen. 

Dritte Szene. 
Ein anderes Zimmer im Schlosse. 
A. Othello, Lodovico, Desdemona, Emilia und Gefolge. 
Othello schickt Desdemona zu Bett; sie moge dort Emilia entlassen, er komme 
bald nach. (Othello, Lodovico und Gefolge ab.) 

B. Desdemona, Emilia. 
Desdemona spricht zu Emilia Todesabnungen aus; sie bat sich ihr Brautkleid 
aufs Bett legen lassen. Sie singt ein altes melancholisches Lied von einem ver- 
lassenen Madchen, das ihr gerade in den Sinn kommt. Lange Auseinandersetzung 
uber Frauentreue, bei der Desdemonas reiner Charakter und Emiliens Zweideutigkeit 
hervortritt. Desdemona entlafit schliefllich Emilia. 



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78 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

Ffintter Akt. 

Erste Szene. 

Cypern, eine Strafie. 

Jago, Rodrigo, spater Cassio, Othello, Lodovico und Gratiano, 

Bianca, Emilia. 

Jago und Rodrigo warten den Cassio ab, wobei Jago hofft, daft Rodrigo und 
Cassio beide urns Leben kommen. Rodrigo dringt auf Cassio ein, wird aber ver- 
wundet, wfihrend Jago aus dem Hinterhalt den Cassio, dessen Panzer undurch- 
dringlich ist, ins Bein sticbt. Othello hort vom Balkon herab den verwundeten 
Cassio rufen und freut sich, dafi Jago so rasche Arbeit machte. Auf Cassios Rufen 
kommen Lodovico und Gratiano, denen sich Jago als angeblich ahnungsloser Freund 
zugesellt. Cassio bezeichnet den verwundeten Rodrigo als einen seiner Morder (den 
anderen konnte er nicht erkennen), und Jago ersticht unter der Maske der Freund- 
schaft fur Cassio den Rodrigo, um den unbequemen Zeugen zu beseitigen. Dagegen 
bezichtigt er die ahnungslose Bianca, die das Geschrei herbeigelockt, der Mitwisser- 
schaft an dem Mordanschlag gegen Cassio; Emilia, die den Zusammenhang nicht 
kennt, sekundiert ihm hierin. Jago schickt Emilia zur Citadelle, um Othello und 
Desdemona vom Vorgefallenen zu benachrichtigen. 

Zweite Szene. 

Schlafzimmer im SchloQ. 

A. Desdemona (schlafend), Othello. 

Othello ist entschlossen, Desdemona zu toten, wird aber von ihrem Liebreiz 
so bestrickt, dafi er sie wiederholt kufit und dadurch aufweckt. Nachdem er erfahren, 
dafi sie zu Nacht gebetet, halt er ihr vor, dafi er sie toten werde ihres Vergehens 
halber. Er bezichtigt sie des Taschentuches wegen des Ehebruches mit Cassio. 
Desdemona beteuert ihre Unschuld und bittet ihn, Cassio selbst zu befragen. Othello 
erwidert, dafi Cassio tot sei. Die Tranen Desdemonas um Cassio reizen Othello 
wieder aufs neue, er nennt sie wiederum eine Hure und erwurgt sie. 

B. Vorige, Emilia. 

Die verstorte Emilia berichtet, dafi Rodrigo erschlagen, Cassio aber lebt. 
Desdemona hort es noch sterbend und bezeugt Emilien, nicht Othello sei ihr Morder. 
Doch Othello bekennt Emilien die Wahrheit und setzt hinzu, dafi Desdemona nach 
Jagos Zeugnis Ehebruch mit Cassio getrieben. Emilia bezichtigt Jago der Luge und 
schreit um Hilfe, 

C. Vorige, Montano, Gratiano, Jago usw. 

Emilia stellt Jago zur Rede; dieser behauptet, die Wahrheit gesagt zu haben. 
Nun erst erfahrt, nachdem Montano noch seinen Abscheu und Gratiano seine Trauer 
ausgedruckt hat, Emilia, dafi Othello das Taschentuch als Schuldbeweis ansah, und 
trotzdem Jago das Schwert gegen sie zuckt, bekennt sie die Wahrheit. Othello wutet, 
Jago aber entspringt, nachdem er Emilien rasch umgebracht. Montano und Gratiano 
verfolgen ihn; es gelingt ihnen, Jago zu fangen und zuruckzubringen. Auch der ver- 
wundete Cassio wird hereingetragen. Othello jammert furchtbar um Desdemona 
deren Reinheit er jetzt erkennt. Er verwundet Jago — um die Probe zu machen, ob 
er ein Teufel sei. Man nimmt Othello das Schwert ab. Jago verweigert weitere Aus- 
kunft. Lodovico zeigt einen Brief, den man beim erschlagenen Rodrigo fand: aus ihm 
geht hervor, dafi Rodrigo Cassios Ermordung vollziehen sollte; ein zweiter Brief 
Rodrigos an Jago war noch unabgesandt da. Nun klart auch Cassio auf, wie er zum 
Taschentuch kam; uberhaupt wird Jagos Intrige von Anfang an enthiillt, da Rodrigo 
in dem Brief alles deutlich gesagt. Cassio ist jetzt Gouverneur, Jago soil auf Lodo- 
vicos Befehl gefoltert, Othello verhaftet werden. Othello aber weifi sich unvermutet 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 79 

unter Erinnerung an seine der Republik Venedig geleisteten Dienste zu erstechen. 
Er kuBt Desdemona sterbend. Cassio und Lodovico sprechen noch einige uber- 
flussige Worte, gewissermaflen als „Verlassenscbaftsgericht", wahrend Gratiano den 
tiefen Ausspruch tut: „Ein jedes Wort ist eitel." 

Betrachten wir den Aufbau der Shakespeare'schen Tragodie, so werden 
wir in mancher Beziehung begreifen konnen, daB Boito seine Oper ur- 
sprunglich *Jago" nennen wollte: ist doch das Drama so gestaltet, daB der 
nominelle Held, Othello, erst in der zweiten Halfte die Hauptaktion 
ubernimmt und bis dahin das „Gegenspiel a , Jago, fiihrt. Ja, man konnte, 
wie Hebler richtig bemerkte, die Handlung geradezu derart gliedern, 
daB man Othello nur als Objekt der Intrigiersucht Jagos faOt und derart 
disponiert: 

1. Entschlufi Jagos, Othello eifersiichtig zu machen. 

2. Vorbereitung und Ausfiihrung dieses Planes. 

3. Hohepunkt des Gelingens. 

4. Zunehmende Gefahr fur Jago bei scheinbarem Fortschritt. 

5. Katastrophe. 

Immerhin bleibt aber zu bedenken, dafl die innere Anteilnahme dem 
Othello in viel hoherem MaOe als dem Jago zugewendet bleibt und daher 
mit Recht die Tragodie den Namen „Othello a fiihren mufi, wie denn auch 
Jago zwar zu schieben glaubt, dabei aber von seinem eigenen Verhangnis 
geschoben wird. 

Wichtiger noch als diese Frage ist die nach der Exposition im 
w Othello a . Man hat Shakespeare mehrfach den Vorwurf gemacht, daO er 
die Hauptsache des Stuckes hier erst in der Mitte angehen lasse. Dem- 
gegeniiber wurde wieder betont, dafi fur Shakespeare die Hauptsache war, 
mit dem, was seine Kommentatoren die Hauptsache nennen, nicht zu fruh 
zu kommen. Er hatte die Halfte seiner Arbeit getan, wenn er nur erst 
gezeigt hatte, wie ein Mann vom Schlage Othellos fur Jagos Einflusterungen 
empfanglich sein kann. Jago darf sich seinerseits nicht iibereilen, sonst 
hat er zu befurchten, daB Othello beim ersten Angriff fest bleibt. Statt 
des Verdachtes gegen Desdemona und Cassio entstiinde dann leicht einer 
gegen Jago selbst, und damit ware sein Spiel von vornherein verloren. 
Es kam also alles darauf an, gleich der ersten Einflusterung ihre Wirkung 
zu sichern, und hierfiir durfte Shakespeare mit Zeit und Raum nicht 
sparen. So bildet denn der erste Akt schon fur sich ein gewissermaCen 
abgeschlossenes Ganzes, das fast die Mitte halt zwischen einem gewohnlichen 
ersten Akt und einem Vorspiel. Otto Ludwig bemerkt in seinen „Sbake- 
speare-Studien" mit Recht, daB zwar der ganze erste Akt sich leicht in 
eine Szene hatte zusammenziehen lassen — denn vorzutragen war nur die 
Exposition mit wenigem Hin- und Herreden — , daB Shakespeare aber aus 
einer Szene drei machen muBte, wenn er seine Charaktere so plastisch 



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80 DIE MUS1K XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

hinstellen und alles: Vergangenes, Vorgehendes und Kiinftiges, so durch- 
sichtig motivieren wollte. „Und wie er diese Szenen gefuhrt hat, wird 
keine Gemutskraft im Zuschauer eine Zusammendrangung verlangen. Wie- 
viel unmittelbares sinnliches Leben, wieviel Begegnung mit Othello und Jago, 
Brabantio und Rodrigo ware durch Konzentrierung dieser drei Szenen in 
eine eingebuOt! Wie ware ein szenischer MaBstab gegeben gewesen, unter 
dem die folgenden Akte gelitten hatten! . . . Alles ist nichts als eine in 
Handlung verwandelte Exposition. All das bewegte Leben, das Wachrufen 
des Alten, sein Aufsuchen Othellos, die Begegnung der beiden sind nichts 
als Behelfe der Lebendigmachung der Exposition der Vorgeschichte, der 
Charaktere und das Eintiefen der Unnaturlichkeit der MiDehe, und was 
aus alledem zur Erweckung der Eifersucht dienen kann." 

All dies gilt wohlbemerkt nur fiir das gesprochene Drama. Und 
nun lautet die Frage: soil auch die Oper derart kompliziert vorgehen? 
Die Antwort kann fiir uns nur heifien: Nein. Je einfacher die Vor- 
geschichte, je kiirzer die Exposition ist, urn so wertvoller ist ein Stoff fur den 
musikalischen Ausdruck. Dazu kommt noch eines: Shakespeare's Werk 
hat fiinf Akte, von denen kein einziger mit Ausnahme des ersten Aktes 
entbehrlich ist; lassen sich aber dessen Geschehnisse wirklich abtrennen, 
so ist fur unser modernes EmpBnden, dem ftinfaktige Opern immer un- 
ertraglicher werden, die unbedingte Notwendigkeit der Streichung dieses 
Aktes gegeben — vorausgesetzt, dafi es gelingt, die wesentlichsten Punkte 
der Exposition aus ihm herauszunehmen und den nachfolgenden Akten 
organisch einzuverleiben. Dies zu bewerkstelligen war ein dramaturgisches 
Kunststiick ersten Ranges, aber es ist Boito wirklich gegluckt. Boito hat 
einmal Hanslick erz&hlt („Musikalisches Skizzenbuch*), er habe „sich und 
Verdi den Kopf zerbrochen, wie dieser erste Shakespeare'sche Akt zu 
retten wfire, ohne die Oper zu lang zu machen". Sicherlich war ihm 
nicht entgangen, dafi der erste Akt manche fiir den Komponisten gunstige 
Situation bot, obwohl gerade hier die von Boito sonst so meisterhaft ge- 
wahrte Einheit des Schauplatzes nicht herzustellen gewesen ware. Schliefilich 
aber entschied die Erwagung, dafi eben doch vom Standpunkte des Opern- 
buches aus diese feineren Motivierungen fiir das nachfolgende entbehrlich 
waren. Hanslick meint weiter: „Von dieser Kiirzung abgesehen, ist Boito 
nur in der Hinweglassung der beiden Personen Brabantio und Bianca, 
dann in einigen bescheidenen lyrischen Zutaten von Shakespeare's Tragodie 
abgewichen, deren Fortgang sich fast Szene fiir Szene in der Oper wider- 
spiegelt." Das ist ein gewaltiger Irrtum, der den Verdiensten Boitos sehr 
unrecht tut. Unser genauer Vergleich wird zeigen, dafi zwar Boitos Worte 
meist diejenigen Shakespeare's sind, dagegen die Architektur des Buches 
von ihm grundlegend verandert wurde, so dafi jeder Akt seinen einheitlichen 
Schauplatz und jede wichtige Aktion ihren ununterbrochenen Verlauf erhielt. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 81 

Durch die Streichung des ersten Aktes fielen der Herzog, Brabantio, 
Gratiano und zwei Senatoren fort. Von diesen trat bei Shakespeare spater- 
hin nur noch Gratiano auf, den Boito aber zweckmaBigerweise mit dem bei 
Shakespeare als Gesandter Venedigs eine wichtige Rolle spielenden Lodovico 
vereinigt, was urn so leichter moglich war, als beide Verwandte Desdemonas 
sind. Im iibrigen fiel der — schon von Schiller in seiner „Othello tf -Bearbeitung 
gestrichene — Narr und die gleichfalls entbehrliche Bianca fort, die indes bei 
Boito von Jago dem Cassio gegeniiber zweimal erwahnt wird und in der Be- 
lauschungsszene sogar erwahnt werden muDte. Im iibrigen wird Bianca 
dadurch leicht beseitigt, daB Boito — was viel wirkungsvoller ist — den 
Othello das verhangnisvolle Taschentuch in Cassios eigenen Handen sehen 
laflt und auch der nachtliche Streit im letzten Akt fortfallt. Wir werden das 
noch im einzelnen betrachten. Wir erfahren bei Boito also iiber die Vor- 
geschichte der Ehe Othellos und den Widerstand der Familie (von dem 
bereits die Novelle berichtete) gar nichts mit Ausnahme davon, daB Desdemona 
den Othello seiner Abenteuer, er sie ihres Mitleids wegen liebte. 1 ) Ganz 
ausgeschaltet ist also auch die „Schuld a , die Desdemona ihrem Vater gegen- 
iiber auf sich ladt und die dann unter Jagos Argumenten eine Rolle spielt. 
Desdemona erscheint bei Boito noch fleckenloser als bei Shakespeare, sie 
ist ein wahrer Engel geworden, dem in Jago der leibhaftige Teufel, nicht 
etwa nur ein teuflischer Mensch gegeniibergestellt wird. Daher laBt auch 
Boito den Jago unverwundet entkommen und verzichtet auf die etwas billige 
Vergeltung Shakespeare's. Im iibrigen sind die Charaktere der Tragodie 
unverandert geblieben mit Ausnahme Emilias, die veredelt erscheint. Sie 
stiehlt nicht das Taschentuch, sondern sie hebt es in Gegenwart Desdemonas 
und Othellos, die das nicht bemerken, nur auf, und es wird ihr — ahnlich 
wie bei Shakespeare — gewaltsam von Jago, der sie einschiichtert, entrissen. 

Ehe wir nun Boitos ersten Akt in seinem Aufbau betrachten, wollen 
wir einmal Shakespeare's ersten Akt in seiner Brauchbarkeit fur Boitos 
Exposition ansehen. Boito benutzte daraus folgendes: 

Erste Szene. 
A. Jago, Rodrigo. 

Jago erklart dem Rodrigo seinen HaB, weil Othello ihm den Cassio 
vorgezogen. (Boito: erster Akt, erste Szene.) 

Zweite Szene. 
Nichts. 

Dritte Szene. 

B. Othello, Brabantio, Herzog usw. 
Daraus nur die bereits zitierten Verse iiber die Liebe Othellos und 
Desdemonas. (Boito: erster Akt, zweite Scene.) 

l ) „E tu m'avavi per le mie sventure, 

Ed io t'amavi per la tua pieta." 
Xlll. 2. 6 



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82 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

D. Jago, Rodrigo. 
Jago macht Rodrigo klar, dafl Desdemona unmoglich lange den Mohren 
lieben konne und er dann alle Aussichten habe. (Boito: erster Akt, erstc 
Szene.) 

E. Jago allein. 

Enthullung seiner schurkischen Absichten (bei Boito verwendet im 

zweiten Akt, zweite Szene). 

Boito nimmt also die notwendigsten Punkte: Jagos Erklarung seines 

Hasses wegen der Zuriicksetzung dem Cassio gegeniiber, seine Uber- 

redung des Rodrigo, sich urn Desdemona zu bemiihen (Exposition des 

Gegenspiels), und andererseits die Erklarung der tiefen Liebe Desdemonas 

und Othellos (Exposition des Spiels) in den Shakespeareschen zweiten 

Akt — den ersten der Oper — heriiber, verschiebt aber die Enthullung 

der Schurkerei Jagos auf den nachsten Akt (es ist durchaus nicht not- 

wendig, dafi wir sofort Jagos wahre Motive kennen lernen; inzwischen 

geniigt die Kenntnis seiner angeblichen). 

Und nun sehen wir uns den Aufbau der Oper im Verhaltnis zu 
Shakespeare an. 

Erster Akt. 

Eine Hafenstadt auf Cypern. 

Ein Platz vor dem Schlosse. 

Eine Schenke mit Lauben. Aussicht auf die Hafenwerke und das Meer. 

Heftiger Orkan und Gewitter. 

Erste Szene. 1 ) 
A. Montano, Cassio, Jago, Rodrigo, Chor. 

Im Gegensatz zu Shakespeare fiihrt Boito — sehr wirkungsvoll fur 
den Musiker — den Orkan selbst vor; Cassio, Jago und Rodrigo sind 
— ebenfalls im Gegensatz zur Tragodie — bereits auf der Buhne. Des- 
demonas Auftreten wird ganz gegen den SchluB des Aktes verschoben 
(wegen der Liebesszene). Merkwiirdig ist, daO Boito auch im Gegensatz 
zu Shakespeare Desdemona im ganzen Stuck kein Wort mit Jago wechseln 
lafit — als sollte ihre Reinheit vor dem Pesthauch des Teufels bewahrt 
bleiben. Alle Aufmerksamkeit konzentriert sich so auf die Ankunft des 
Othello. 

B. Vorige, Othello. 

Im Gegensatz zu Shakespeare, dessen Othello hier nur als lieben- 
der Gatte erscheint und ganz beilaufig die Niederlage der Tiirken er- 



l ) Die Boitosche Szeneneinteilung ist anscheinend nach dramatisch-musikaliscben 
Gesichtspunkten erfolgt. Innerhalb seiner Szenen scheide ich wichtige Auftritte durch 
Buchstaben aus. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 83 

wahnt, hat Boito Othello als Verkiinder des Sieges auftreten lassen und 
ihm personlich das ubertragen, was Shakespeare den Herold in der eigens 
eingeschobenen zweiten Szene verkiinden lafit. So schlieDt sich an den 
Siegeschor hier gleich ungezwungen das Freudenfeuer an, nachdem sich 
das Wetter verzogen. Wahrend der Vorbereitung zum Freudenfeuer haben 
Jago und Rodrigo Gelegenheit genug, die Exposition der Gegenhandlung 
zu entwickeln. (Othello mit Cassio und Montano ab.) 

C. Jago, Rodrigo. 

Ungliickliche Liebe Rodrigos zu Desdemona, Aufhetzung Rodrigos durch Jago, 
Erklarung seines Hasses gegen Othello und Cassio. 

Nun kommt ein sehr geschickter Zug Boitos: er lafit den Jago seinen 
Plan, den Cassio trunken zu machen, nicht erst umstandlich entwickeln, 
d. h. Jago will es zwar tun, in diesem Augenblick aber wird er durch das 
Freudenfeuer und den Chor davon abgehalten (wir mussen annehmen, 
dafi seine Worte von dem allgemeinen Larm verschlungen werden). 
Doppelter Vorteil: was spater getan wird, braucht nicht erst umstandlich 
expliziert zu werden (dadurch wird auch die Spannung erhoht), und der 
Chor erhalt Gelegenheit zu einem wirkungsvollen Stuck, dessen Text einer 
Symbolik in bezug auf die Haupthandlung nicht entbehrt (die Flammen 
symbolisieren die Liebe, ebenso wie auch die Stiirme zu Anfang des Aktes 
in gewissem Sinne symbolisch waren). 

D- Jago, Rodrigo, Cassio und Offiziere. 
Hier wird, ahnlich wie bei Shakespeare, Cassio zum Trinken 
von Jago verfiihrt. Dazu hat Boito noch einen ganz ausgezeichneten 
Einfall: er lafit den Cassio nur deshalb zum Becher greifen, weil er ein 
von Jago vorgeschlagenes Glas auf Desdemonas Wohl nicht ablehnen 
will (bei Shakespeare weifi man nicht, warum sich Cassio doch iiberreden 
lafit, es ist dort reine Charakterschwache). Jago benutzt bei Boito die Ge- 
legenheit, die Cassios Riihmen der Vorziige Desdemonas gibt, um den 
Rodrigo ertersiichtig zu machen (bei Shakespeare gelingt dies Jago nicht 
ganz recht, weil Jago dort den Rodrigo nur auf die Freundlichkeit auf- 
merksam machen kann, mit der Desdemona dem Cassio die Hand reicht). 
Dadurch erreicht Boito den doppelten Zweck gleichzeitig: Cassio wird be- 
trunken und Rodrigo eifersiichtig gemacht, so dafi die Explosion gut vor- 
bereitet ist. Diese erfolgt denn auch, nachdem Jago sein diabolisches 
Trinklied (abnlich schon bei Shakespeare) vorgetragen, prompt, als der 
betrunkene Cassio von dem hinzutretenden Montano zum Dienst auf- 
gefordert wird (wirkungsvoller als bei Shakespeare ist, dafi jetzt erst 
Montano kommt). Der Streit wird besser als bei Shakespeare, wo er hinter 
der Szene ausbricht, vor unseren Augen durch den Spott des Rodrigo ent- 
facht, als Cassio schwankt. Montano mischt sich, um den Streit zu schlichten, 

6» 



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84 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

ein, wird aber selbst von Cassio (wie bei Shakespeare) angegriffen. Da- 
durch wird Rodrigo frei, der nun erst (bei Shakespeare schon friiher) fort- 
geschickt wird, um Alarm zu schlagen. AIs der Larm seinen Hohepunkt 
erreicht hat, erscheint (groBartiger musikalischer Moment!) Othello. 

Zweite Szene. 
Vorige, Othello. 
Wirksamer als bei Shakespeare, wo Othello erst fragt, was los ist, 
tritt er hier mit dem Kraftwort ein: „Hinweg mit den Schwertern." Die 
Kampfenden halten ein, die Wolken zerteilen sich nach und nach (Vor- 
bereitung der Beleuchtung der Liebesszene!). Othellos Anrede sonst wie 
bei Shakespeare. Jagos Auskunft iiber den AnlaC des Streites ahnlich, nur 
viel kiirzer, iiberhaupt die ganze Auseinandersetzung sehr knapp. Montanos 
Verwundung erregt Othello weit mehr als bei Shakespeare. Da kommt 
— ganz wie in der Tragodie — Desdemona, und nun wird in ihrer Gegen- 
wart Cassio kurz und bundig abgesetzt (ohne den Zusatz, den Othello bei 
Shakespeare macht, er liebe Cassio). Boito laOt Cassios Absetzung mehr 
als eine plotzliche Aufwallung Othellos erscheinen und fast durch das 
Aufschrecken Desdemonas begrunden (bei Shakespeare ist Cassio gerade 
abgesetzt, als Desdemona erscheint, und sie erfahrt jetzt nichts mehr davon). 
Othello schickt alle nach Hause; er selbst will hier bleiben, bis es im 
Hafen ruhig geworden ist. Dadurch gewinnt Boito, der alles, was weiter 
noch in Shakespeare's zweitem Akt erfolgt, in den nachsten Akt verweist, 
einen wundervollen AbschluO. 

Dritte Szene. 
Othello, Desdemona. 
Diese fur den Musiker so iiberaus giinstige Szene hat auch dramatisch 
ihren hohen Wert. Schon Sonnenthal hatte die treffende Bemerkung ge- 
macht, daB ihm in Shakespeare's Tragodie stets ein zartliches Zwiegesprach 
zwischen Othello und Desdemona gefehlt habe, das zu den Folgenden 
Eifersuchtsszenen zugleich einen freundlichen Kontrast und elne tiefere 
Motivierung schaffe. Bei Shakespeare, bemerkt Hanslick ganz richtig, 
auDert Othello seine Liebe zu Desdemona nur in einzelnen Worten (diese 
hat iibrigens Boito sehr geschickt zusammengestellt: und zwar, wie bereits 
gezeigt, aus dem ersten Akt und weiter auch aus der BegruBungsszene 
des zweiten Aktes, der bei Shakespeare jede Intimitat abgeht, da selbst 
Jago dabei ist). Mit Desdemona allein sehen wir Othello nur als ihren 
Peiniger und Morder. In der Oper dagegen bildet das Liebesduett einen 
schonen und wohlmotivierten Ausklang des ersten Aktes; seine so innige 
SchluDphrase wird durch ihre Wiederholung an Desdemonas Sterbebett 
doppelt ergreifend und bedeutungsvoll. Othello und Desdemona gehen, 
einander umschlungen haltend, auf das SchloB zu: „ Venus soil uns 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 85 

fuhren* singt Othello mit feinem Doppelsinn; denn spat in der Nacht 
ist's, und schon beriihren die Plejaden das Meer. Zwar haben die finsteren 
Machte schon den dunklen Faden angesponnen, doch ist es ihnen noch 
nicht gegliickt, Othellos und Desdemonas Frieden wirklich zu storen: nur 
die Nachtruhe ist unterbrochen worden, nicht aber das erst jetzt be- 
ginnende Fest der Liebe, und so klingt dieser erste Akt rein und schon 
aus. Und doch zittert schon in Othellos aus Shakespeare entlehnten 
Worten vom allzugroBen Gliick die geheime Furcht vor unheilvoll drohendem, 
unabwendbarem Schicksal. 

Zweiter Akt. 

Ein ebenerdiger Saal im Schlosse. Eine Wand mit grofien Fensteroffnungen 
trennt den Saal von einem weiten Garten. Ein Erker. 

Erste Szene. 
Jago, Cassio. 
Hierher hat nun Boito zweckmaBig die Unterredung der beiden, die 
bei Shakespeare noch im vorigen Akte erfolgte, verlegt, und zwar als Eroff- 
nung der nachfolgenden Handlung gleich auf denselben Schauplatz wie diese. 
(Die Unterredung Jagos mit Rodrigo aus dem vorigen Akt ist von Boito 
mit Recht beseitigt; wir werden sehen, daB Boito den Rodrigo von nun 
an uberhaupt sehr knapp abfertigt.) Boito nimmt aus Shakespeare's langen 
Erorterungen nur das Wesentlichste: Cassios Reue und Jagos Rat, sich an 
Desdemona zu wenden, die bald hier mit Emilia im Garten erscheine. 

Zweite Szene. 
A. Jago allein. 
Nun erst kommt die Enthullung der eigentlichen Schurkerei Jagos. 
Diese Szene hat ihr Vorbild in den Monologen Jagos im ersten und zweiten 
Akt Shakespeare's. Wahrend aber Shakespeare den Jago als echten 
Theaterbosewicht alles voraussagen laCt, was er tut, und alles verkiinden 
laCt, was er gerade denkt, wahrend also die # Tragodie noch den 
Menschen Jago hat, ist hier, wie Boitos Monolog zeigt, ein Teufel 
daraus geworden, der mit seinem „Credo a das Heiligste verspottet. Nun 
muB man allerdings zugeben, daB hier der deutsche Text viel blasphemischer 
als der italienische ist (allerdings auch viel wirksamer) und daB Kalbeck 
seinen Jago zu einem .Credo" bringt, das sein Vorbild etwa in den 
beruchtigten „schwarzen Messen" des Mittelalters hat 1 ). Wohl ist schon 
Boitos Jago eine „Spottgeburt von Dreck und Feuer" im Goetheschen 
Sinn, aber was Kalbeck daraus macht — ich will ihn deswegen nicht 



l ) Schon Shakespeare laflt aber seinen Jago (II, 3) von einer „TheoIogie der 
H61le u (^Divinity of hell") reden. 



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86 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

tadeln — geht weit iiber Boitos Kiihnheit hinaus. Ein Vergleich des 
Originals mit der Ubersetzung mag diesen grundlegenden Unterschied 
zeigen, der nicht nur durch die Notwendigkeit, eine singbare Ubersetzung 
zu schaffen, bedingt ist, sondern auch die Grundlagen des Charakters 
verandert. Kalbeck sagt iiber den Gegensatz der beiden Jago-Rollen selbst 
(Opernabende, Bd. 2) folgendes: 

„Bei Shakespeare ist Jago nur das brauchbare und gefugige Werkzeug in der 
Hand sittlicher JVUchte, die sich wohl auch zu Zeiten eines Schurken bedienen, um 
ihren Willen durchzusetzen. Bei Boito aber wird der elende Geselle zum Meister 
der Bosheit und Luge erhoben, zum Herrn der Finsternis und dimonischen Lenker 
des Schicksals!* 

Und Kalbeck hat diese Umwandlung noch scharfer betont, indem er 
das parodistische „Credo" Jagos in eine Verhohnung der Dreifaltigkeit 
umwandelte. Man vergleiche: 

Boito: 

„Credo in un Dio crudel che m' ha creato simile a sfe, e che neir 
ira io amo. Da la vilt& d' un germe o d' un atomo vile son nato. Son 
scelerato perchfc son uomo, e sento il fonga originario in me. Si! quest' 
£ la mia fe ! Credo con fermo cuor, siccome crede la vedovella al tempio, 
che il mal ch'io penso e che da me procede per mio destino adempio. 
Credo che il giusto b un histrion beffardo e nel viso e nel cuor, che 
tutto in lui bugiardo, lagrima, bacio, sguardo, sacrificio ed honor. E credo 
1' uom gioco d' iniqua sorte dal germe della culla al verme dell' avel. 
Vien dopo tanta irrision la Morte. E poi? La Morte fc il Nulla, e 
vecchia fola il Ciel." 

Dies bedeutet in wortlicher Ubersetzung (die naturlich nicht 
moglich gewesen ware im gesungenen Drama): 

„Ich glaube an einen grausamen Gott, der mich ahnlich seiner selbst erscbaften 
hat, und den ich im Zorn liebe. Aus der Niedertrachtigkeit eines Keimes oder eines 
elenden Atoms bin ich entstanden. Ich bin verrucht, weil ich ein Mensch bin, und 
ich fuhle den Urschlamm in mir. Ja, das ist mein Glaube! Ich glaube mit festem 
Herzen, wie die junge Witwe glaubt im Tempel, dafi ich das Obel, das ich erdenke, 
und das von mir ausgeht, fur mein Geschick erfulle. Ich glaube, dafi der Gerechte 
ein Possenschauspieler im Antlitz und im Herzen ist, und dafi alles in ihm lugnerisch 
ist, Trfine, KuB, Blick, Opfer und Ehre. Und ich glaube, dafi der Mensch der Spiel- 
ball eines ungerechten Schicksals ist vom ersten Keim bis zum Totenwurm. Nach 
so viel Spott kommt der Tod. Und dann? Der Tod ist das Nichts, und der Himmel 
ist ein altes Marchen.** 

Das ist etwas wesentlich anderes als Kalbecks geistvolle, aber 

eigentlich die Boitosche Charakteristik ganz umdeutende Ubersetzung: 

„lch glaube an einen Gott, der mich zum Affen 1 ) seiner selbst erzeugt. Wehe 
ihm, dafi ich*s glaube! Aus einem faulen Keime, Kot oder Staube ward ich geschaffen. 
Treu diesem Gotte, mach ich zum Spotte, was dreist mit Ehr und Tugend brustet 

l ) Von dieser darwinistisch anmutenden Anspielung stent nichts bei Boito! 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 87 

sich. Ja, also glaube ich. Ich glaub* auch an den Sohn, des Vaters Willen hat er 
von ihm empfangen, und was er einmal sich gelobt im Stillen, das wird er auch 
erlangen. Ich glaub' zum dritten an den Geist des Zweifels, welcher alles erkennt 
und jeden Trug des Teufels: Freundschaft, Liebe, Treue mit dem wahren Namen 
nennt. Das ist mein Credo. Wir sind des Schicksals Narren und tragen unsere 
Sparren bis in das letzte Haus. Uns alien gibt der Tod den Nasenstuber. Und dann 
ist es voruber, der dumme Spall ist aus." 

Man sieht, Kalbecks Jago ist viel „moderner tt und philosophischer 
veranlagt als Boitos etwas gar zu popular-aufklfirerischer Theaterteufel. 
B. Desdemona, Emilia, Cassio im Garten, Jago beobachtend 

im Erker. 
Jago schickt Cassio zu Desdemona (eine von Boito anstelle der ersten 
und zweiten sowie des Anfangs der dritten Szene Shakespeare's ein- 
geschobene kurze Episode.) Ausgezeichnet ist, daD Boito die Verabredung 
Cassios und Jagos und die Ausfuhrung der Fiirsprache bei Desdemona 
unmittelbar aneinander reiht — nur durch Jagos Monolog geschieden — 
wahrend bei Shakespeare die beiden Szenen weit auseinander liegen. 

Dritte Szene. 
A. Jago, Othello. 
Im Gegensatz zu Shakespeare, wo Jago lange Zeit fur Vorbereitungen 
hat, und er also Othello absichtlich im gegebenen Moment heranbringt, 
laDt Boito den Othello hier zufallig erscheinen; diesen Zufall aber nutzt 
Jago schlau aus, indem er — er hat Othellos Nahen wohl bemerkt — 
wie absichtslos das Wort spricht: „Mir geftllt's nicht.* Dies wirkt um 
so starker, als Othello sicher glauben muO, dafi Jago ihn nicht bemerkt 
haben kann (bei Shakespeare treten Othello und Jago zusammen auf, die 
AuGerung Jagos ist also nicht so ganz wirksam). Was nun folgt, ist aus 
Shakespeare: Akt drei, Szene drei entwickelt, aber mit wichtigen Anderungen: 
bei Shakespeare wird das kaum begonnene Gesprach Jagos und Othellos 
durch Desdemona unterbrochen, die inzwischen sich von Cassio ver- 
abschiedet hatte; bei Boito bleiben Desdemona und Cassio im Garten, 
beobachtet von Othello, und die nach Desdemonas Abgang bei Shake- 
speare eintretende Erorterung zwischen Othello und Jago wird unmittelbar 
an den Beginn angekniipft. (Fast wortlich aus Shakespeare, nurgelegentlich 
gekurzt.) Etwas Neues kommt erst bei jener Stelle, wo Othello Beweise 
fordert. Hier laBt Boito eine prachtige, dem Musiker sehr gelegene Er- 
findung eintreten : durch die breite Offnung des Hintergrundes sieht man 
Desdemona wieder im Garten erscheinen, umgeben von Frauen, Kindern 
und Seeleuten, die ihr Blumen und andere Geschenke iiberreichen. 
Einige begleiten den Chorgesang mit der Mandoline, andere mit kleinen 
Harfen. Dieses liebliche Bild und die ruhrenden Klange entwaffnen 
Othello: „Ich dank' euch, siisse Lieder, ihr gebt dem Herzen den alten 
Frieden wieder." Jago aber meint: „Wie gut zusammen auch Lieb' und 



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88 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

Schonheit klingen, den MiCton hinein will ich bringen." (Etwas Ahnliches 
sagt Jago an anderer Stelle bei Shakespeare, zweiter Akt, erste Szene, 
wenn er Othellos und Desdemonas Zartlichkeit sieht.) Nach Beendigung 
des Chorgesanges kiiOt Desdemona einige Kinder aufs Haupt, und die 
Frauen kiissen ihr den Saum des Kleides. Sie gibt den Seeleuten eine 
Borse. Der Chor entfernt sich. Desdemona kommt, von Emilia geleitet, 
in den Saal und geht auf Othello zu. 

Vierte Szene. 

Othello, Desdemona, Jago, Emilia. 

Nun erst tragt Desdemona die Bitte fur Cassio vor, die sie bei 
Shakespeare bedeutend fruher vorbringt. Hier werden nun wieder zwei 
bedeutungsvolle Auftritte zusammengeschoben, und zwar jene erste 
Episode, bei der Othello die Begnadigung Cassios fiir den Augenblick 
schroff ablehnt, mit jener Taschentuchepisode, die Shakespeare spater 
bringt. Die Zusammenlegung ist vortrefflich als Steigerung: Othello erhitzt 
sich immer mehr uber Desdemonas unablassige Bitte, bis sie ihn endlich 
fragt, warum er heute gar so streng sei. Er antwortet: „Mir brennt die 
Stirne" — und nun ist die Moglichkeit zum Verlust des Taschentuches 
gegeben. Besser als bei Shakespeare, wo das Tuch zu klein ist, wirft Othello 
ohne weiteres das Tuch zur Erde. Auch das nachfolgende ist nicht nur 
dramatisch, sondern auch musikalisch ausgezeichnet angelegt: es entwickelt 
sich ein Quartett, das Verdi die Gelegenheit zu scharfster Charakteristik 
der vier Personen bietet. Schon Otto Ludwig hatte einmal vom „polyphonen 
Dialog* Shakespeare's geredet: 

„In solchen Szenen ist das eigentlich dramatische Leben am stSrksten, in 
solchen polyphonen Sfitzen, wo sich verschiedene Stimmen in verschiedenen Rhythmen, 
jede einzelne mit gehaltener Eigentumlichkeit, begegnen und durchkreuzen. Nur darf 
die Zahl dieser verschiedenen nebeneinander gehenden Stimmen die Unterscheidbar- 
keit nicht iibersteigen." 

Verdi und Boito haben einen derartigen „polyphonen Dialog" hier prachtvoll 
ins Musikalische iibersetzt: Desdemona fleht um Liebe, Othello spricht 
zweifelnd zu sich selbst (ahnlich wie in dem Shakespeareschen Monolog 11,3), 
und wahrend dessen hat Jago eine Auseinandersetzung mit Emilia, die 
das Tuch nicht gutwillig herausgeben will, weil sie Boses ahnt, der es aber 
von Jago gewaltsam entrissen wird. Jago befiehlt ihr dariiber zu schweigen, 
und Emilia, eingeschiichtert von dem Banne des Bosen, wagt nicht zu 
widerstreben (auf diese Weise wird Emilias Charakter gegeniiber Shakespeare 
veredelt). Othello befiehlt alien fortzugehen. Desdemona und Emilia ab. 
Auch Jago tut, als ob er fortgehen wolle, bleibt aber vor der Tiir im 
Hintergrund stehen. 



• - - . - rVuuilr Original from 

i :-j ■;!. ,ul. jy ^ ,uu t V l UNIVERSITYOF MICHIGAN 



ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 89 

Fiinfte Szene. 
Othello, Jago. 
Diese Szene folgt ziemlich getreu Shakespeare (dritter Akt, dritte Szene). 
Othello wiitet, Jago beschlieflt, Cassio das Tuch in die Hande zu spielen 
und Desdemona daraus einen Strick zu drehen, gleichzeitig beobachtet er 
Othello, dem er sich mit gut gespielter Biederkeit nahert, um ihn zu 
bitten, — nicht weiter daran zu denken. Nun rast Othello gegen Jago, 
dann aber wieder gegen sich selbst. Es folgt der wundervolle Abschied 
von seiner Kriegslaufbahn (wie bei Shakespeare) und dann — erneuter 
Sturm — die Forderung von Reweisen, wobei er Jago an der Gurgel packt 
und ihn zu Boden wirft (dieser Zusatz ist von Boito wohl deswegen gemacht, 
um dann den SchluO des dritten Aktes der Oper um so wirkungsvoller zu 
machen). Sehr geschickt ist auch, daB Boito — im Gegensatz zu Shakespeare — 
den Jago dem Othello seinen Abschied anbieten laCt, natiirlich nur zum 
Schein. Othello aber faCt wieder Vertrauen zu ihm, — soweit er uberhaupt 
noch einem Menschen vertrauen kann. Da nun Othello Beweise verlangt, 
erzahlt Jago den Traum Cassios — musikalisch ein Meisterwerk Verdi's — 
in einer unseren heutigen Begriffen von Anstand angepaBten Form (bei 
Shakespeare mit etwas allzu realistisch-sexuellen Details). Und nun, da 
dies Gift gewirkt, folgt — wie bei Shakespeare — der Hinweis aufs 
Taschentuch. Othello wiitet nun noch mehr und verbindet sich mit dem 
gleichfalls knienden Jago zu einem Racheschwur. Merkwiirdig, daB diese 
etwas Meyerbeerische Situation schon genau so bei Shakespeare sich vor- 
fand. Selbstverstandlich schlieBt Boito mit dieser effektvollen Situation den 
Akt, indemerdie weiteren Geschehnisse des dritten Shakespeare'schen Aktes 
teils unterdruckt, teils in den nachsten Akt legt. Auch die Beforderung 
Jagos zum Leutnant entfallt hier und wird erst im nfichsten Akt vollzogen. 

Dritter Akt. 

Der Hauptsaal des Schlosses. Zur rechten ein breiter Saulengang, 
der mit einem kleinen Saal in Verbindung steht. Im Hintergrund des 
Saales ein Erker mit Balkon. 

Erste Szene. 
Othello, Jago. 

Ein Herold meldet zu Beginn der Szene die Ankunft der venezianischen 
Galeere, die die Gesandtschaft bringt. Dadurch wird gleich zu Beginn die 
Ankunft Lodovicos vorbereitet (bei Shakespeare tritt Lodovico ganz plotzlich 
nach einem TrompetenstoB auf). Hier hat nun Boito mit Geschick die 
erste Szene des vierten Shakespeare'schen Aktes ausgenutzt: die Ohnmacht 
Othellos ist an dieser Stelle beseitigt — weil sie an den SchluB des Aktes 
als Kulminationspunkt gestellt wurde — , und aus der Unterhaltung Othellos 



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90 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

mit Jago entwickelt sich gleich der Plan, als Falle, in der angeblich Cassio, 
in Wirklichkeit aber auch Othello gefangen werden soil. Jago entfernt 
sich, um Cassio herbeizubringen. 

Zweite Szene. 
Othello, Desdemona. 

Diese Szene ist gebaut aus Shakespeare III, 4 und IV, 2. Jago hat 
dem Othello noch zuletzt eingescharft, ans Taschentuch zu denken, und 
nun schutzt Othello (nicht wie Shakespeare: Schnupfen) sein altes Ubel, 
Kopfschmerzen, vor, und bittet um ein Tuch. Das Weitere zunachst wie 
bei Shakespeare III, 4, nur gekiirzt, mit der drohenden Forderung Othellos 
nach dem Taschentuch. Dann springt Boito sehr geschickt sofort hinuber 
in die Unterredung, die bei Shakespeare IV, 2 steht: w Sieh mir ins Auge". 
Desdemona beschwort ihre Unschuld, doch Othello nennt sie wiederholt 
— wie bei Shakespeare — eine Dime. Er notigt sie fortzugehen, dann 
kehrt er mit dem Ausdruck tiefster Niedergeschlagenheit zuriick. Psycho- 
logisch ist dieser Sprung allerdings wenig gerechtfertigt: bei Shakespeare 
geht namlich Othello erst dann so weit, seine Gemahlin mit so fiirchter- 
lichen Vorwurfen zu traktieren, nachdem er das Taschentuch bei Cassio 
wirklich selbst gesehen hat, wahrend Boito ihn zu diesen rohen Be- 
schimpfungen schon vorher greifen lafit. Dafiir sind diese Beleidigungen 
allerdings hier zunachst nur unter vier Augen vorgefallen, und als 
Steigerung kommt dann die Beschimpfung vor Lodovico und der gesamten 
Umgebung. 

Dritte Szene. 

Othello allein. 

Seine Verzweiflung, daC all sein Gliick dahin ist. Ahnlich, wie die 

lfingere Betrachtung, die Othello bei Shakespeare in Gegenwart Desdemonas 

anstellt (IV, 2). Dramatisch-musikalisch natiirlich geschickter als Monolog. 

Vierte Szene. 
Jago, Othello. 
Jago meldet, daD Cassio da sei. Er zieht Othello schnell in den 
Erker im Hintergrund. (Ahnlich wie bei Shakespeare IV, 1, doch be- 
deutend abgekiirzt.) 

Fiinfte Szene. 
Jago, Cassio, Othello (versteckt). 
Diese Szene ist ebenfalls entwickelt aus Shakespeare IV, 1. Der 
Kniff Jagos, erst laut von Desdemona und dann leise von Bianca zu reden, 
ist der gleiche. Die Taschentuchgeschichte ist aber weit geschickter als 
bei Shakespeare angelegt. Boito beseitigt Bianca ganzlich, ebenso das 
Novellenmotiv des Nachstickens. Jago hat das Tuch bei Cassio unbemerkt 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 91 

liegen lassen, und Cassio zeigt es ahnungslos dem Jago, der es so halt, 
dafi der lauschende Othello es unbedingt sehen mufi und sich, naher 
schleichend und von einer Saule gedeckt, aus nachster Nahe davon uber- 
zeugen kann, dafi es wahrhaftig sein Tuch ist. Jagos scherzhafte Be- 
merkungen zu Cassio fiber die neue Eroberung des Exhauptmanns und 
Cassios leichtsinniges Lachen erhohen Othellos Wut. Nun ertonen die 
Lodovicos Ankunft endgultig verkiindenden Trompetensignale (wie bei 
Shakespeare), die von Boito ausgezeichnet benutzt werden, urn Cassio zu 
entfernen: Jago rat ihm, sich davon zu machen, da Othello hier gleich er- 
scheinen werde. Cassio ab. 

Sechste Szene. 
Jago, Othello. 

Ahnlich wie bei Shakespeare IV, 1, nur dafi Boito aus musikalischen 
Griinden hier den Empfangschor und die Signale dazwischentonen lafit. 
Othello ist entschlossen, Desdemona zu vergiften. Jago rat, sie im Bette 
zu erwiirgen, und verspricht Cassio zu beseitigen. Hier nun ernennt erst 
Othello, was sehr wirkungsvoll ist, den Jago zum Hauptmann an Cassios 
Stelle. x ) 

Jago rat Othello noch, um Verdacht zu vermeiden, moge er sich mit 
Desdemona der Gesandtschaft zeigen. Jago ab, Othello nach dem Hinter- 
grunde, um die Gesandten zu empfangen. 

Siebente Szene. 

Othello, Jago, Lodovico, Rodrigo, Herold. Desdemona mit Emilia. 
Wurdentrager der Republik Venedig. Gefolge usw. 

Ahnlich wie Shakespeare IV, 1. Abweichend: Desdemona verstandigt 
Emilia, die besorgt fragt, kurz davon, dafi Othello unbegreiflich ziirnt. 
Lodovico erfahrt ausschliefilich von Jago die Neuigkeit des Sturzes Cassios. 
Nun erst mischt sich Desdemona ein, deren Bemerkung Othello reizt. 
Othello, der gleichzeitig Cassios Beforderung liest und Desdemonas unvor- 
sichtige neue Bemerkung, sie schatze und liebe Cassio, hort, wird nun erst 
so wiitend, dafi er sie in Gegenwart aller mifihandelt. Die Steigerung wird 
dadurch noch grofier, dafi wir nicht sofort von Cassios Beforderung horen, 
sondern — zu allgemeiner Spannung — Othello nur kurz befiehlt: „Man 
hole Cassio." 

Achte Szene. 
Vorige, Cassio. 

Diese grofie Ensembleszene ist teils von Boito frei erfunden, teils 



J ) Die Chargenangaben schwanken: bei Shakespeare ist Cassio „Leutnant* 
(im ursprunglichen Sinne: Stellvertreter), bei Boito „Capo di squadra" (Flottenchef), 
bei Kalbeck w Hauptmann". 



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92 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

unter Benutzung von Episoden aus Shakespeare IV, 2 (Othello und Des- 
demona; Jago, Rodrigo) gestaltet. Der Beginn ist angeregt durch Othellos 
letzte Worte bei Shakespeare IV, 1. 

Othello verkiindigt zu Rodrigos Arger und Jagos Besturzung, dafi 
Cassio an seiner Statt nach dem Befehl des Dogen Gouverneur wird. 
Cassio verbeugt sich nur, was Othello als Eingestandnis dessen ansieht, 
daO er sich nicht freue. Nun verkiindet Othello, der wahrend seiner 
offiziellen Rede fortwahrend wiitende Seitenbemerkungen zu der weinenden 
Desdemona macht, dafi er mit Lodovico und Desdemona morgen abreise. 
Ein furchtbarer Wutausbruch Othellos: er schleudert das Pergament, das er 
vorher gekufit hatte, zu Boden und packt Desdemona so wiitend an, dafi sie 
niederstiirzt; sie wird von Emilia und Lodovico mitleidig gestiitzt. Riihrende 
Klage der Desdemona, die ihr vernichtetes Liebesgliick beklagt. Nun 
kommt das grofie Ensemble, von dem Kalbeck sagt: 

„Da platzen gleichzeitig aus alien vier Weltgegenden die Ereignisse und Per- 
sonen aufeinander. Othello hat seine Zuruckberufung nach Venedig erhalten und in 
der Wut uber Cassios Nachfolgerschaft und Desdemonas vermeintliche Untreue sein 
Weib vor aller Augen zu Boden geschlagen. Ein machtig intentioniertes, breit an- 
gelegtes polyphones Musikstuck soil die peinliche Spannung losen und die ver- 
schiedenen Gefuhle der Anwesenden zum Ausdruck bringen. Rodrigo beklagt die 
nahe bevorstehende Abreise der Desdemona, Emilia bewundert die Seelengrofie ihrer 
Gebieterin, diese selbst weint dem zerstorten Fruhling ihrer Liebe blutige Tranen 
nach, Cassio begegnet der plotzlichen Wendung des Schicksals mit Bangen und 
Sorgen, Lodovico, der venezianische Gesandte, spricht seine entrustete Verwunderung 
uber das ihm unfafibare Erlebnis aus, und der Chor stellt teilnehmende Betrachtungen 
an, bald den Othello verwunschend, bald die Desdemona betrauernd. Damit aber 
nicht genug, zettelt der nichtswurdige Jago, nachdem er den Mohren in seinem 
mdrderischen Vorhaben bestarkt hat, noch eine neue Intrige mit Rodrigo an, die auf 
Cassios Untergang abzielt, — und das alles klagt, jammert, weint, reflektiert, rasonniert, 
deliberiert und intrigiert durcheinander, so dafi dem in die Enge getriebenen Zuhorer, 
der sich vergebens in dem dreigespaltenen Textbuch zu unterrichten sucht, buchstab- 
lich Horen und Sehen vergeht. In der Partitur nehmen stch die zehn Notensysteme 
der Sanger vortrefflich aus, und man freut sich beim Anblick der sich ablosenden 
und erganzenden, munter wie ein Bienenschwarm wimmelnden Stimmen, aber wehe, 
wenn sie losgelassen! Die Generalprobe hat die gefahrliche Wirkungslosigkeit dieses 
Ensembles dargetan, obwohl dasselbe aufierst exakt einstudiert war und am Schnurchen 
ging; in der Auffuhrung verfiel dann das pompose Stuck, auf welches Verdi offenbar 
mit dem Stolze eines volkerversammelnden Fursten herabschaut, zu sieben Achteln 
dem mannermordenden Rotstift des Dirigenten.** 

Das ist sicher etwas iibertrieben, wenngleich Kalbecks Ausfiihrungen 
in mancher Hinsicht nur beizupflichten ist. Insbesondere erscheint es mir 
ganz unmoglich, dafi irgend jemand, der das Textbuch nicht genau studiert 
hat, wahrend der Auffuhrung auch nur ein Wort von der neuangezettelten 
Intrige Jagos, der Rodrigo zum Morde Cassios aufreizt, versteht. Damit 
aber wird ein wesentlicher Punkt des letzten Aktes dem Verstandnis 
des Horers vollig entzogen. Man unterschatze diesen Nachteil nicht; 



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1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 93 

wenn iiberhaupt das Buch als Drama aufgebaut sein soil, dann muB 
jeder wichtige Punkt dieses Dramas verstandlich werden; dem wider- 
spricht aber die Einschachtelung einer wichtigen Intrige in das Getose 
eines groBen Ensembles durchaus. Man versteht ja: Boito wollte der 
Verabredung zwischen Jago und Rodrigo keine eigene Szene opfern und 
glaubte deshalb die Sache innerhalb des Ensembles abtun zu konnen. 
Nun tritt ja aber Rodrigo, der iiberhaupt von Boito sehr diirftig skizziert 
ist (im Gegensatz zu Shakespeare) weiterhin nicht mehr auf. Da nun 
Boito schon sehr frei mit Shakespeare's Handlung verfahren ist, so ware 
es vielleicht besser gewesen, diese ganze Intrige zu beseitigen und es 
weiter gar nicht aufzuklaren, wie Jago die Ermordung des Cassio plante. 
Es hatte geniigt, im letzten Akt zu erfahren, daB ein Mordanschlag 
auf Cassio miBlungen ist. Weiterhin ware es — meines Erachtens 
wenigstens — fiir Boitos Text viel wirkungsvoller gewesen, im letzten 
Akt den Rodrigo selbst auftreten und in Gegenwart der ermordeten 
Desdemona reuevoll den Jago bezichtigen zu lassen; dann hatte man ja — 
als letzte Schandtat Jagos — anstelle der Ermordung der Emilia einen 
Mordversuch Jagos gegen Rodrigo setzen konnen. Ich skizziere dies nicht 
etwa, um Shakespeare „verbessern a zu wollen, sondern lediglich deshalb, 
weil die komplizierte Shakespearesche Losung fur das Opernbuch nicht 
brauchbar ist, der sonst so geschickte Boito aber hier — in der Be- 
handlung des Rodrigo — anscheinend nicht das Rechte getroffen hat. 
Den von Boito gemachten, von Kalbeck schon gerugten Fehler konnte 
man namlich nur dadurch verbessern, daB man die neue Intrige Jagos 
streicht und Rodrigo im letzten Akt auftreten laBt. Auch wurde die Er- 
mordung des gestandigen Rodrigo vor unseren Augen viel wirkungsvoller 
sein als die von Boito beliebte Abstechung hinter der Szene (auch Shake- 
speare laBt Rodrigo vor unseren Augen fallen, allerdings auf der StraBe). 
Immerhin ware die Ermordung Rodrigos nicht gerade durchaus notwendig, 
und ich kann verstehen, daB Boito es vorzog, zum SchluB nur die Leichen 
Othellos und Desdemonas, nicht aber — wie das Shakespeare liebt — eine 
Haufung von Leichen darzustellen. — Die Szene nimmt ein echt opern- 
mafiiges Ende, indem Othello in einem Anfall von Raserei alien Anwesenden 
befiehlt, sich zu entfernen, und alle „entsetzt* davon laufen, nachdem 
Jago ihnen erklart, daB ein wunderlicher Anfall Othello seiner Sinne 
beraube. Auch Desdemona wird von Othello noch schrecklich verwiinscht. 

Neunte Szene. 

Othello und Jago allein. 

Diese kurze Szene findet ihr Vorbild bei Shakespeare IV. 1., wo 

Othello ebenfalls nach einem Rasereianfall ohnmachtig wird. Prachtvoll 

und echt opernmaBig ist, daB, wahrend Othello ohnmachtig hinsinkt, von 



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94 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

drauDen die Siegestrompeten zum Ruhme Othellos erschallen und das 
Volk dem Othello huldigt. Sehr „effektvoll", aber durchaus nicht stillos 
ist der grandiose Schlufl. Jago setzt seine Ferse auf den Nacken des 
leblosen Othello und ruft den in der Feme den „Lowen Venedigs* 
preisenden Scharen hohnisch-triumphierend zu: „Da liegt der Lowe!" 
Ein Aktschlufl, dessen Wirkung man sich nicht entziehen kann. 

Vierter Akt. 

Schlafgemach der Desdemona. 

Bett, Betstuhl, Tisch, Spiegel und Sessel. — Vor dem Madonnen- 
bilde iiber dem Betstuhle brennt eine Ampel. Rechts eine Tur. Es ist 
Nacht. Auf dem Tische eine Kerze. 

Dieser Akt ist ein Meisterwerk Boito's und Verdi's, einer der 
schonsten Akte, die die Opernliteratur aller Zeiten und Volker besitzt. 
Kein geringer Anteil fallt hierbei dem Dichter zu, der alles ausschied, 
was die Stimmung dieses Aktes irgendwie storen konnte. Hier zeigt sich 
deutlich der Unterschied zwischen Shakespeare und moderner Technik. 
Shakespeare schliefit seinen vierten Akt mit einer Episode zwischen Desde- 
mona und Emilia (voraus geht ein ganz uberflussiger Auftritt Othellos und 
Lodovicos im gleichen Gemach!); diese Episode endigt mit dem Abschied 
Desdemonas von Emilia. Nun schiebt Shakespeare zu Beginn seines 
fiinften Aktes eine grofie, viele Auftritte der verschiedensten Personen 
umfassende Szene ein, die die Ermordung Rodrigos und die Verwundung 
Cassios als Resultat zeitigt und uns von dem Schicksal Desdemonas vdllig ab- 
zulenken droht. Erst zu Beginn der zweiten Szene des fiinften Aktes fuhrt 
uns der Dichter ins Schlafgemach Desdemonas. Boito streicht mit einem 
kiihnen Federzug die ganze nachtliche Spektakelszene und verbindet jenen 
Abschied Emilias unmittelbar mit Othellos Erscheinen im Schlafzimmer 
Desdemonas. Dadurch bekommt der vierte Akt der Oper eine wunderbare 
Abgeschlossenheit und Einheit, die musikalisch durch das von Shakespeare 
bereits eingefiihrte Liedchen vom Weidenbaum noch vertieft wird. 

Erste Szene. 
Desdemona, Emilia. 

Fast ganz wie bei Shakespeare IV, 3. Abweichungen: Desdemona 
bittet erst hier, ihr die Brautkleider aufs Bett zu legen. Alles naturlich 
viel kiirzer als bei Shakespeare. Das Lied von der Weide wird nicht 
durch uberflussige Bemerkungen iiber Lodovico (wie bei Shakespeare), 
sondern durch kleine Befehle an Emilia („Beeile dich, bald wird Othello 
kommen* usw.) unterbrochen. Die unheimliche Unterbrechung durch den 
Wind hat Boito vom Dichter ubernommen, ebenso wie das Brennen der 
Augen, was Trfinen bedeutet. Gestrichen ist mit Recht die Auseinander- 



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1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 95 

setzung iiber eheliche Treue, herrlich der Aufschrei Desdemonas, die Emilia 
noch ein letztes Mai in der Vorahnung ihres Todes umarmt (nicht bei 
Shakespeare). 

Zweite Szene. 

Dcsdemona allein. 

Ein Gebet Desdemonas an die Jungfrau Maria. Von Boito eingeschoben, 

veranlaCt durch Othellos Frage (bei Shakespeare), ob Desdemona zu Nacht 

gebetet habe. Eine wundervolle Szene fur den Musiker. Desdemona geht 

zu Bette. 

Dritte Szene. 
Othello und Desdemona. 

Entspricht im wesentlichen der zweiten Szene des funften Aktes bei 
Shakespeare. Hier zeigt sich die Abweichung des musikalischen Dramas 
vom gesprochenen am scharfsten. Der englische Dichter muBte den Othello 
einen langeren Monolog zur Rechtfertigung seines Mordplans halten lassen; 
der Musiker laOt ihn schweigen, um nur das Orchester reden zu lassen. 
DaO der schweigende und nur mimisch sich ausdriickende Othello, in 
dem Unaussprechliches vorgeht, uns viel tiefer ergreift als der sich und 
uns Sophismen vorredende, ist klar. 

In der Oper tritt Othello durch eine geheime Tiir ein (was sein Er- 
scheinen unheimlicher macht). Er legt einen Sabel auf den Tisch, verweilt 
unschliissig, ob er das Licht ausloschen solle, davor, erblickt Desdemona, 
loscht das Licht aus, macht eine wiitende Gebarde, nahert sich dem Bett 
und bleibt stehen. SchlieClich hebt er den Vorhang auf, betrachtet lange 
die schlafende Desdemona und kuBt sie dreimal. Sie erwacht. Die nach- 
folgende Unterredung fast ganz wie bei Shakespeare (gekiirzt) bis zum Mord. 

B. Vorige, Emilia. 
Das Nachfolgende sehr stark gekiirzt, nur die notwendigsten Worte 
enthaltend, sonst wie bei Shakespeare. Desdemona stirbt. Die Aufklarung 
Emilias und ihr Hilferuf sehr kurz gehalten. 

Vierte Szene. 
Vorige, Lodovico, Cassio, Jago, spater Montano mit Bewaffneten. 
Emilia stellt Jago zur Rede. Sie enthiillt, nachdem sie Jagos 
Schurkerei erkannt, alles (die Bedrohung Emilias durch das Schwert und 
ihre Ermordung ist gestrichen). Das nachfolgende aufs auOerste zusammen- 
gedrSngt: Cassio sagt sofort, daB er das Tuch in seiner Wohnung fand, 
Montano (statt Lodovico) bezeugt, daB Rodrigo im Tod ihm Jagos Ranke 
enthullte (nicht wie bei Shakespeare ein Brief). Jago entspringt, wird aber 
verfolgt (sein Schicksal bleibt ungewiB, wahrend er bei Shakespeare noch 



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DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 



von Othello verwundet und dann gefangen mit Aussicht auf die Folter vor- 
gefiihrt wird). Jetzt erst stiirzt Othello auf sein Schwert, das ihm Lodovico 
entreiBen will. Er lafit das Schwert sinken, da es ihm jeder Knabe ent- 
reifien konne. „Das ist das Ende der Heldenbahn. O Ehre! Othello war." 
Und nun folgt an Stelle des langatmigen Shakespeare'schen Ruhmens seiner 
Verdienste um den Staat ein wundervoller Abschiedssang an Desdemona, 
deren Reinheit er erkannte. Er zieht heimlich einen Dolch aus dem 
Gewande und ersticht sich: „Ich folge dir.* Shakespeare's herrliche Ab- 
schiedsworte bilden den SchluB: 

„I kiss'd thee ere I kill'd thee: no way but this, 
Killing myself, to die upon e kiss.** 
(„Ich kuBte dich, dich totend; sei der Schlufl: 
Mich selber totend, sterben so im KuQ.") 

Bei Boito: 

„Pria d' uccirti, sposa, ti baciai. Or morendo sull' ombra in cui mi giacio, un 
bacio, un bacio ancora . . . ah! un altro bacio . . .** 

Kalbeck: 

„Eh den Tod ich dir gab, Liebste, kuflt' ich dich. Nun im Sterben . . . schon 
sinkt die Nacht hernieder . . . noch einmal kiifJ ich dich wieder . . . ach! . . . kufi 
ich dich wieder!" 

Verdi's unsterbliche Tone erinnern an jene Kusse der ersten Liebes- 
nacht. Ergriffen schweigen die Anwesenden, denn: 

„A11 that's spoke is marr'd." 
(Jedes Wort ist eitel.) 

So schlieOt der vierte Akt, musikalisch und dramatisch wohl der beste 
der ganzen Oper, der Boito's Meisterschaft und Verdi's Genie auf der 
Hohe zeigt. DaB Boito's Buch ein Vorbild ersten Ranges ist — meines 
Erachtens das beste Buch, das seit dem Tode Richard Wagners geschrieben 
wurde, das einzige, das, durchaus auf Wagners Prinzipien beruhend, in 
keinem Augenblick von ihm wirklich abhangig ist — , diese Tatsache ist 
von deutschen und italienischen Kritikern einstimmig anerkannt worden. 
Kalbeck, der Ubersetzer, nennt es „eines der vorziiglichsten Opernbiicher, 
die wir besitzen a , und sein Kollege Hanslick meinte: „Boito hat sich in 
seiner Bearbeitung des ,Othello 4 als ein feiner literarischer Geist, als er- 
fahrener Kenner der Biihne wie der Musik gezeigt und Verse von kraftigem 
Wohlklang geliefert.** Wenn er dem gegenuber die Wahl des „Othello a fur 
eine Oper nicht besonders gliicklich oder sogar als ihm unsympathisch be- 
zeichnet, weil unter alien Leidenschaften die Eifersucht am wenigsten 
musikalisch sei, — so konnen wir wohl diese asthetische Professoren- 
weisheit durch die Tat Verdi's als widerlegt betrachten. Das, was ein 
Hanslick dem Verdi'schen „Othello tt noch vorzuwerfen hatte, ist gerade 
das, was wir als „Zukunftsmusik tt erkennen. Wem im „Othello* die 



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1STEL: VERDI UND SHAKESPEARE 97 

schmissigen Melodieen des w Trovatore a fehlen, wer fur die kostliche Milde 
und Abgeklartheit dieses Verdi keinen Sinn hat, dem ist nicht zu helfen. 
Merkwurdig, daB solch unsinnigem Urteil auch franzosische Kritiker (z. B 
in der Revue hebdomaire, 1894) beistimmten: „Othello est un drame superbe, 
une 6tude de passion admirable, mais c'est un sujet lyrique trfcs mediocre; 
on peut dire, la sc&ne de la mort de Desdemona mise k part, qu'il est 
absolument antimusical." Demgegenuber ist es erfreulich zu sehen, wie 
die Italiener Carlo Perinello und Gino Monaldi in ihren Verdibiographieen 
Boito in Schutz nehmen. Durchaus das Richtige scheint mir vor allem 
Monaldi zu treffen, wenn er meint: 

„Das Libretto des ,Othello* gehort nicht mebr der halbliterarischen Art der alten 
Operntexte an, die im Grunde nur die Plattform des Musikers waren — wie Wagner 
sagt das Feld, auf dem er sein Genie zu freier Ausubung bringen konnte. Der ,Othello' 
Boito's ist eine Leistung, mit der der Dichter sich wirklich als Mitarbeiter an dem 
Kunstwerke des Musikers betfitigt; es ist die dramatische Komposition, die ersonnen 
und niedergeschrieben worden ist, um von Bucbstabe zu Bucbstabe in bestandiger 
Beruhrung mit der Musik zu bleiben und dichterisch in ihr aufzugehen." 

Und nun genug von „Othello a , sonst behalt der alte Verdi recht, der 
humoristisch ausrief: „Oh! i Tedeschi! i Tedeschi! Per ogni zampa di pulce 
o di moscaun volume di trecento pagine!" („0, die Deutschen, die Deutschen! 
Fur jedes Floh- oder Muckenbein ein Band von 300 Seiten!") 

IV. 

„Falstaff" 

Es war im Jahre 1890, als der 77jahrige Verdi bei einem Gastmahi 
im Hause Ricordi von seinem Librettisten Boito einen Trinkspruch erhielt, 
in dem er ihn zur baldigen Geburt des „Dickwanstes" begluckwunschte. 
Wenige Tage spater schrieb Verdi auf eine Anfrage des Marchese Monaldi 
diesem folgendes: 

„Es sind vierzig Jahre her, daB ich eine komische Oper zu schreiben wunsche, 
und funfzig Jahre, daQ ich die ,Lustigen Weiber von Windsor* kenne; indes ... die 
gewohnten ,Aber% die sich uberall einstellen, haben sich stets meinem Wunsche wider- 
setzt. Nun hat Boito alle die ,Aber* beseitigt und fur mich eine lyrische Komodie 
geschrieben, die sich mit keiner anderen vergleichen lafit. Es macht mir Vergnugen, 
die Musik dazu zu schreiben, ohne irgend einen Entwurf, und ich weiB auch nicht, 
ob ich damit zu Ende kommen werde. Bemerken Sie wohl: es macht mir Vergnugen. 
Falstaff ist ein boser Geselle, der schlimme Streiche aller Art macht . . . aber unter 
einer belustigenden Form. Er ist ein Typus! Sie sind so selten, die Typen! Die 
Oper ist rein komisch. Amen — a . 

In diesen wenigen Zeilen liegt alles, was Verdi veranlaOte, im hochsten 
Greisenalter noch eine musikalische Komodie in Musik zu setzen, — hatte 
er sich doch seit seiner verungluckten Jugendoper B I1 finto Stanislao" aus- 
schlieClich der tragischen Muse verschrieben gehabt, Aber der Gedanke, 

XIII. 2. ..-..- 7 



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98 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

doch einmal seiner heiteren Laune die Zugel schieBen zu lassen, reizte ihn 
stets. Scherzend sagte er im Jahre 1879 zu Filippo Filippi, eine komische 
Oper von ihm werde wohl recht lustig sein, wenigstens bevor sie auf- 
gefuhrt wurde, und dies scbien wie ein Mangel an Selbstvertrauen zu 
klingen. Indes der Hauptgrund, warura sicb Verdi nicht fruher zu einem 
heiteren Werk entschloB, lag darin, daB er kein geeignetes Textbuch erhalten 
konnte; und daB gute komische Bucher noch seltener als gute tragische 
sind, diese Erfabrung blieb auch ihm nicht erspart. So ging denn endlich der 
fast Achtzigjahrige frohgemut ans Werk und schuf etwas, das einzig in 
seiner Art dasteht. Um sich uber den Wert der .Falstaff'-Partitur, die nicht 
die blendenden Vorzuge der Nicolaischen Musik hat, klar zu werden, bedarf 
es freilich des gereiften Urteils. Als ich vor etwa zehn Jahren in meinem 
kleinen Buch „Die komische Oper* Nicolais Werk etwas gar zu sehr auf 
Kosten Verdi's lobte — ich hatte damals nur den Klavierauszug des „Fal- 
staff* gekannt und weder die Partitur noch eine Auffiihrung des Werkes 
gesehen 1 ) — schrieb mir Richard StrauD nach der Lekture an den Rand: 
„Die ,Lustigen Weiber* sind eine hiibsche Oper, der ,Falstaff* aber 
eines der groCten Meisterwerke aller Zeiten." Ich halte auch heute 
noch dies Urteil beziiglich der .Lustigen Weiber", die gewiG den v Rosen- 
kavalier" noch lange uberleben werden, fur ungerecht, muB aber bekennen, all- 
mahlich StrauB' Urteil iiber „Falstaff* als durchaus angemessen gefunden zu 
haben, nachdem ich dieses Wunderwerk wirklich genau kennen gelernt 
habe. Uber den Wert der Partitur hier eingehend zu sprechen, hieBe 
Eulen nach Athen tragen. Das Verhaltnis des vokalen Teils zum instru- 
mentalen, der Ubergang von der geschlossenen zur freien Form, die 
Charakterisierungskunst und die Technik der Ensembles kdnnten allein zu 
langen Erorterungen AnlaB bieten. Und dazu brauchte man wieder eine 
Fulle von Notenbeispielen, ja, am besten die Partitur selbst, Begnugen 
wir uns also damit, zu eingehendem Studium der Musik aufzufordern, und 
beschranken wir uns hier auf das dramaturgische Problem, wie Verdi und 
Boito sich des englischen Lustspieles auf ihre Art bemachtigt haben. 

DaB „Die lustigen Weiber von Windsor* oder „Sir John Falstaff", 
wie der Titel des Shakespeare'schen Stuckes lautet, einen ausgezeichneten 
Opernstoff abgaben, ist friih schon bemerkt worden. 2 ) Von alien Vor- 
gangern Verdi's kann uns aber einzig nur Nicolai interessieren, weil dessen 



1 ) Verdi zu Pizzi: w O, von Falstaff kann man sich am Klavier unmoglich einen 
Begriff machen! Man muB ihn boren. Ich habe da ein sehr leichtes Orchester ge- 
macht. Manche Pianissimopassagen kommcn auf dem Klavier ganz wirkungslos her- 
aus. Ubrigens geht alles aus dem Ensemble hervor, das man auf dem Klavier nicht 
erhalten kann, weil die Oper in den Klavierauszugen verdorben ist.* 4 

2 ) Vgl. den trefflicben Aufsatz von G. R. Kruse: w Falstaff in vier Jahrhunderten* 
( w Die Musik" 1907, Heft 20 ff.) sowie dessen Opernbuch (Reclam No. 4982) zu Nicolais Werk. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 99 

Oper wirklich noch lebt und in ihrer dramatischen Anlage ein interessantes 
Gegenstiick zu Boito's Buch bildet. Ohne einen eingehenden Vergleich der 
beidcn Opernbiicher durchzufuhren, wollen wir doch kurz feststellen, worin 
sie sich gleichen und worin sie abweichen. Von den Personen Shakespeare's 
fehlen sowohl bei Nicolai wie bei Verdi der Friedensrichter, der Pfarrer und 
die zahlreichen Diener, von denen Verdi allerdings das Gaunerpaar Pistol und 
Bardolph sowie den kleinen (stummen) Pagen Robin beibehalten hat; Bardolph 
und Pistol spielen sogar eine ziemlich wichtige Rolle bei Verdi. Die Haupt- 
personen sind im ubrigen in beiden Opern gleich (abgesehen davon, daO 
Verdi die englischen Namen beibehSlt) mit folgenden Ausnahmen: der ^Junker 
Sparlich" fehlt bei Verdi ganz und wird als Rivale Fentons ausschlieBlich 
durch Doktor Cajus ersetzt, der indessen bei Verdi nicht als Franzose 
erscheint. Ferner fehlt bei Verdi der Mann der Frau Reich (»Page*). Be- 
deutungsvoll ist ferner die Anderung, daft die B suBe Anna" (Nannetta) bei 
Verdi die Tochter der Frau Flut (Ford) ist, Herr Flut (Ford) also gleich- 
zeitig als Tyrann gegen Frau und Tochter erscheint. Die Frau unterstiitzt 
infolgedessen auch die Liebschaft der Tochter mit Fenton, wahrend bei 
Shakespeare und Nicolai Mann, Frau und Tochter jeder seinen eigenen 
Heiratskandidaten hatte, von denen natiirlich der Erwahlte der Tochter 
(Fenton) siegt. Bei Nicolai fehlt dagegen die Frau Hurtig (Quickly), die 
bei Shakespeare Haushalterin des Dr. Cajus ist, bei Verdi nur als 
Freundin der Frauen Alice und Meg (Flut und Reich) erscheint, im ubrigen 
aber die gleiche Rolle wie bei Shakespeare als Liebesbotin bei Falstaff 
spielt. Shakespeare, der bekanntlich die Figur des Falstaff zuerst in seinen 
beiden Konig Heinrich IV. - Dramen episodisch verwendet hatte 1 ) und 
dann auf Wunsch der Konigin Elisabeth, die Falstaff verliebt sehen wollte, 
die Komodie der lustigen Weiber entwarf, hat den possenhaften Stoff in funf 
Akte eingeteilt, die wieder in zahlreiche szenische Verwandlungen zerfallen. 
Urn diese Abhandlung nicht allzusehr anwachsen zu lassen, mochte ich hier 
nicht das Szenarium Shakespeare's wiedergeben, sondern auf die Lektiire 
des Lustspiels selbst verweisen, das ja recht ubersichtlich gebaut ist. Es 
genuge, kurz festzustellen, wie das Nicolaische Textbuch die Handlung ver- 
einfacht. Nicolai streicht den ganzen ersten Akt Shakespeare's und gewinnt 
damit einen iiberaus frischen Anfang. Nachdem so Falstaffs frecher Streich 
und unmittelbar darauf die Geschichte der drei Freier exponiert worden, geht 
Nicolai mit szenischer Verwandlung direkt auf Shakespeare III, 3 iiber, 
ebenfalls ein kiihner Sprung, der aber durchaus vorziiglich wirkt. Am 
Schluft des 1. Aktes ist also Falstaff im Waschkorb entkommen. Der 



*) Verdi zu Pizzi: „Ich schreibe keine Opera buffa, sondern stelle einen Typus 
dar. Mein Falstaff ist nicht nur der aus den , Lustigen Weibern* Shakespeare's, wo er 
nur ein SpaBmacher ist und sich von den Weibern prellen laBt, sondern so, wie er 
in den beiden Heinrich-Dramen war. Boito hat das Buch ganz in diesem Sini\e entworfen.* 4 



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100 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

Anfang des 2. Aktes spielt (wie Shakespeare III, 5) in der Schenke und 
verlauft ahnlich wie die Shakespearesche Szene. Wahrend aber Shake- 
speare damit seinen dritten Akt schliefit, verwandelt Nicolai die Szene in 
den Garten, um die Liebesgeschichte der Anna, die bei Shakespeare sehr 
skizzenhaft behandelt ist, ausfiihrlicher darzulegen. Eine weitere Verwand- 
lung fiihrt wieder in Fluts Haus, wo sich die bei Shakespeare IV, 2 
behandelte Szene abspielt. Falstaff entkommt als dickes Weib verkleidet. 
Damit schliefit Nicolais 2. Akt. Die Ahnlichkeit der beiden Finale wirkt 
sehr ungiinstig. 

Der dritte Akt Nicolais beginnt in Reichs Hause, wo die Verab- 
redungen fur den Mummenschanz getroffen werden (ahnlich Shakespeare 
IV, 4). Dann folgt Verwandlung, der Park von Windsor, wo sich die 
Handlung des Schlusses nach Shakespeare V, 5 abspielt. 

Meist geschickter, mehr Shakespeare folgend, und dabei doch stark 
vereinfachend, hat Boito die Handlung angelegt, dessen Textbuch mit Aus- 
nahme des Beginnes dem Nicolais sehr iiberlegen ist. Boito teilt die 
Handlung ebenfalls in drei Akte ein, von denen jeder Akt wieder in zwei 
HMlften (je eine szenische Verwandlung) zerfallt. 

Erster Akt. 

Erste Haifte: In der Schenke. 

Beginn ahnlich wie Shakespeare I, 1 (doch ist der Schauplatz bei 
Shakespeare zu Beginn auf der Strafie). Statt des Friedensrichters und 
Sparlichs beklagt sich nur Cajus iiber die Missetaten Falstaffs und seiner 
Diener. Dann folgt eine Auseinandersetzung zwischen Falstaff und seinen 
Dienern (nach Shakespeare I, 3); eingeschoben ist der Monolog Shake- 
speare's fiber die Ehre aus Heinrich IV., ein ubermafiig langes, durchaus 
entbehrliches Stiick, das die schon ohnehin wenig witzig gehaltene erste 
Haifte dieses Aktes unertraglich dehnt. Statt des Dieners Nym ist hier 
Bardolph verwendet. Falstaff jagt beide Diener davon. 

Zweite Haifte: Vor Fords (Fluts) Haus. 

Diese zweite Haifte des Aktes macht reichlich wett, was die erste 
versaumt hatte. Es erscheinen die vier Frauen mit den beiden Briefen 
(Shakespeare II, 1), dann die vier Manner Ford, Fenton, Bardolph, Pistol. 
Die davongejagten Diener verraten Ford Falstaffs Plan. Unabhangig von- 
•einander beschliefien die Manner sowohl wie die Frauen Rache an Falstaff 
(entzuckende Ensembleszenen); dazwischen ist eine Liebesszene zwischen 
Fenton und Nannetta sehr geschickt eingeflochten. Szenisch und musi- 
kalisch ein Meisterwerk. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 101 

Zweiter Akt. 

Erste Halfte: In der Schenke. 

Diese Szene verlauft ahnlich wie Shakespeare II, 2. Die Diener 
kehren reumiitig zu Falstaff zuruck; Frau Quickly erscheint als Liebes- 
botin; Monolog Falstaffs; dann kommt der verkleidete Ford, urn Falstaff 
auszuspionieren; dazwischen ein Monolog des sich betrogen glaubenden 
Ford; schlieBlich Ford und Falstaff anscheinend als beste Freunde ab. 

Zweite Halfte: Im Hause Fords. 

Entspricht Shakespeare's III, 3. Umstandlichere Vorbereitungen der 
vier Frauen, um Falstaff zu prellen. Exposition der Absicht Fords, seine 
Tochter dem Dr. Cajus zu geben, wogegen die Mutter der Tochter recht 
gibt. Falstaffs Erscheinen. Unterbrechung durch die Frau Quickly, die 
Meg (Frau Reich) einfiihrt. Ford und die Manner kommen und durch- 
suchen das Haus, wahrend Falstaff hinter einen Wandschirm gefliichtet ist. 
Nun erst wird er in den Waschkorb gesperrt. Eingeschoben : Liebesszene 
zwischen Fenton und Nannetta, die sich hinter besagtem Wandschirm 
kussen und dabei von Ford erwischt werden. Sehr komische Uberraschung 
Fords, der seine Frau und Falstaff dort vermutet hatte (man hort in einer 
Generalpause einen lauten Kufi !). Die Manner wiitend ab zu weiterer 
Jagd auf Falstaff, wahrend die Frauen von den Dienern den Waschkorb 
zum Fenster hinaus in die Themse leeren lassen. Ford kommt dazu und 
laBt sich von seiner Frau durchs Fenster den im Wasser kugelnden dicken 
Ritter zeigen. Allgemeine Heiterkeit. Ein ausgezeichnetes Finale, viel 
geschickter aufgebaut als das Nicolaische. Der Gedanke, den Waschkorb 
vor den Augen der Zuschauer durchs Fenster auszuleeren, gehort zu 
den ergotzlichsten, eines Shakespeare wiirdigen Einfallen, — aber selbst 
Shakespeare hatte diesen Einfall nicht. Die Bestrafung Falstaffs wirkt natiir- 
lich kraftiger, wenn wir sie mit eigenen Augen sehen, als wenn wir davon 
nur reden horen. 

Dritter Akt. 

Erste Halfte: Vor der Schenke. 

Ist aus Shakespeare III, 5 und IV, 5 zusammengestellt. Ausgezeichnet 
ist der Gedanke, die zweite Verabredung in Fords Haus (wo Falstaff als 
dickes Weib entkommt) ganz fallen zu lassen. Das Motiv ist zu possen- 
maflig, entspricht weder der Intelligenz eines Falstaff noch eines Ford und 
wirkt fur den heutigen Zuschauer ermudend. 

So hat denn die Frau Quickly dem Falstaff hier gleich eine Ein- 
ladung fur den Park von Windsor zu iiberbringen. Sehr geschickt laBt 
Boito diese Szene nicht in, sondern vor der Schenke spielen. Dadurch 
wird eine szenische Wiederholung vermieden; Falstaff und die Quickly 



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102 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

gehen in die Schenke ab, wahrend die drei Frauen erscheinen und sich 
tiber ihn lustig machen. Spater kommen noch Ford und Fenton dazu. 
Es werden die Verabredungen getroffen (bei Shakespeare IV, 4 und V, 3.). 

Zweite Halfte: Park. 
Diese Szene entspricht im groDen ganzen, obgleich reicher ausgefuhrt, 
dem Shakespeareschen fiin f ten Akt und weicht auch in ihrer szenischen 
Fiihrung nicht allzusehr von Nicolais OpernschluC ab. Im Gegensatz zu 
Nicolai wird Falstaff hier tuchtig verpriigelt, namentlich von seinen beiden, 
ebenfalls verkleideten Dienern, bis er endlich den Bardolph erkennt. 
Schon glaubt Ford iiber Falstaff zu triumphieren, als sich herausstellt, 
daC Ford inzwischen von seiner eigenen Tochter mit Fenton dupiert 
wurde. So ist denn ein jeder der Gefoppte, und Falstaff zieht die Moral 
der Geschichte und des ganzen Menschenlebens mit den kostlichen Worten 
der SchluDfuge: 



Allegro brioso 

8 



JSK 



gneJ^^^^Ms j =g=5=s=MNgjp f 



Tut -to nel mon-do h bur-la. L'uom S na-to bur-lo-ne, bur-lo-ne bur-lo-ne 

Die ganze Welt ist ein Narrenhaus, und alle sind die Gefoppten, — 
mit dieser liebenswiirdigen Weisheit entlaBt uns lachend der greise Verdi. 
Klingt diese „frohliche Wissenschaft" nicht ganz anders, nicht viel 
natiirlicher und menschlich-einfacher als jenes mystische Weihrauchwort 
vom „erlosten Erloser*, das Wagners letzte Weisheit war? Hier der 
70jahrige protestantische Deutsche, der Roms Glauben predigt, dort der 
80jahrige katholische Italiener, dessen frohliches Altersbekenntnis im 
Zeichen des groDen Briten steht, ist das nicht die verkehrte Welt? Uns 
Nachstrebenden aber diirfte, sind wir gesunden Sinnes und frohlichen 
Herzens, die Wahl nicht schwer fallen zwischen „Parsifal" und ^Falstaff*. 
„I1 faut m6diterraniser la musique", meinte Friedrich Nietzsche, als ihm 
Richard Wagner halb im Scherz die Parsifaldichtung als „Oberkonsistorial- 
rat a gewidmet hatte. Wie man aber die Musik, ja selbst das nordische Genie 
Shakespeare's, „vermittelmeeren" konne, das hat uns niemand uberzeugender 
gelehrt als Giuseppe Verdi. GewiD, wir sollen uns freuen, B zwei solche 
Kerle" wie Wagner und Verdi gehabt zu haben. Eines aber darf schon 
heute gesagt werden : Wagners Kunst war eine rein personliche und ist 
darum keiner weiteren Entwicklung fahig; Verdi's letzte Kunst ist universell, 
an keine Zeit und keine Nation gebunden. Und darum ist's kein Zufall, 
daB gerade die ebenfalls weltumspannende Kunst Shakespeare's ihn zu den 
letzten Siegen geleitete. 



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ISTEL: VERDI UND SHAKESPEARE 103 

Nachtrag. Soeben — Ende September 1913 — teilt Alessandro 
Luzio, einer der Mitherausgeber von Verdi's nachgelassenen Briefent- 
wiirfen, die zum Jubilaum erscheinen werden, interessante Abschnitte 
daraus im „Corriere a mit, Abschnitte, die insbesondere das Thema „ Verdi 
und Shakespeare* nahe beriihren. So hat Verdi z. B. iiber den Wahnsinn 
Konig Lears das Gutachten eines angesehenen Psychiaters eingeholt! 
Auch iiber die Rollen des Jago und- der Lady Macbeth finden sich hoch- 
interessante Ausfuhrungen, z. B.: 

„Wenn ich Schauspieler wire und den Jago darzustellen hStte," erklSrt 
Verdi, „mochte ich ein mageres, langes Gesicht haben, schmale Lippen, kleine Augen, 
die wie bei den Affen dicht bei der Nase stehen, eine hohe, fliehende Stirn, einen 
stark entwickelten Hinterkopf; ich wurde zerstreut, nonchalant, gleichgultig gegen 
alles, unglfiubig tun, Gutes und Boses mit einer gewissen legdren Art sagen, als ob 
ich an etwas anderes dachte, als was ich sagte, so dali ich auf den Vorhalt: ,Du sagst 
da ja etwas ganz Abscheuliches!' antworten konnte: ,Wirklich? Das kann ich gar 
nicht glauben . . . Wir wollen nicht mehr daruber reden.' Eine solche Figur konnte 
alle Menschen tauschen, bis zu einem gewissen Grade sogar die eigene Gattin.* 

Eine andere Stelle gilt der Darstellung der Lady Macbeth. Die 
Hauptstellen in der ganzen Oper sind nach Verdis Ausfuhrungen das Duett 
zwischen der Lady und ihrem Gatten und die Nachtwandel-Szene. 

„Wenn diese Stellen mifiglucken, fSUt damit die ganze Oper: diese Stellen 
durfen uberhaupt nicht gesungen werden: man muft sie spielen und # mit hohler, ver- 
schleierter Stimme deklamieren: ohne dies geht die Wirkung verloren. Das Orchester 
sptelt gedampft, die Buhne ist ganz dunkel." 

Die Tadolini, die die Lady verkorpern sollte, hat fur diese Rolle 
w zu groBe FShigkeiten! Das scheint vielleicht absurd ... Sie hat ein gutes, schones 
Gesicht, und ich mochte die Lady Macbeth schlecht und hafilich haben. Die Tadolini 
singt vollkommen, und meiner Ansicht nach darf die Lady nicht singen. Die Tadolini 
hat eine uberwfiltigende, klare, flussige, machtige Stimme, und die Lady soil eine 
rauhe, hohle, erstickie Stimme haben. Die Tadolini singt wie ein Engel, und die 
Lady soil etwas Teuflisches haben. 



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Ober irrlehren in der ornamentik 

der musik 



VON ADOLF BEYSCHLAG 



Das Interesse fur die Ornamentik in der Musik beginnt sich in 
erfreulichem Mafie auszubreiten. So haben in No. 48 und 49 der 
„Allgemeinen Musikzeitung", 1912, nicht weniger als drei Schrift- 
steller — Paul Schwers, Curt Sachs und Wanda Landowska — die 
Bachschen Vorschlage und Mozartschen Triller einer kritischen Be- 
trachtung unterzogen, und wenn das Resultat ihrer Untersuchungen ein 
hochst unbefriedigendes, ja irrefiihrendes ist, so liegt das hauptsachlich an 
der unzureichenden Quellenkenntnis 1 ) der Genannten, die manche Ent- 
gleisungen verschuldet. 2 ) 

Zu den Entgleisungen rechne ich z. B. die Forderungen, die Curt 
Sachs aus einer Formel in der Quantz'schen Flotenschule (1752) ableitet. 
Quantz verlangt dort fur die Notation 



die Ausfiihrung 



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und gestiitzt hierauf schreibt Curt Sachs im Duett mit Chor aus der 
Matthaus-Passion eine Wiedergabe vor wie bei c) 



a) Singstimme 



b) Instrumental-Begleitung 



c) Ausfuhrung nach 
Curt Sachs 



d) Einzig vernunftige und 
richtige Ausfuhrung 




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So ist mein Je - sus nun ge - fan - gen 



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') Ich muB an dieser Stelle auf mein Buch „Die Ornamentik der Musik" verweisen. 

*) Der Leserwirdgut tun, sich folgende Jahreszahlen ins Gedachtnis zuruckzu- 
rufen: 1729 Urauffuhrung der Bachschen Matthaus-Passion; 1750 Tod J. S. Bachs; 
1759 Tod Handels; 1752 Quantz .Versuch einer Anweisung, die Flote traversifcre zu 
spielen"; 1753 Ph. E. Bach „Versuch uber die wahre Art das Klavier zu spielen"; 
1756 Leopold Mozart „Grundliche Violinschule"; 1756—1791 W. A. Mozart; 1828 
J. N. Hummel „Klavierschule". — (O 100) bedeutet („Ornamentik der Musik", Seite 100). 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BEYSCHLAG: OBER IRRLEHREN IN DER ORNAMENTIK DER MUSiK 105 

Die von Curt Sachs verlangte Ausfuhrung ist ganzlich unberechtigt, 
unkunstlerisch und irrefiihrend, obschon sie die Autoritat eines Quantz fiir 
sich hat. 

Es besteht namlich ein allgemein giiltiges Naturgesetz, nach dem, 
sobald zwei Gebote in Kollision geraten, das unwichtigere vor dera 
wichtigeren zuriickzutreten hat. Dieses Gebot herrscht auch in der Kunst, 
und speziell in der Tonkunst reguliert es alles gemeinsame Musizieren 
dahin, daO die einzelnen Stimmen sich einander anzupassen haben, und 
daO im besonderen die Begleitung sich nach der Melodie richten muB. 

Wenn demnach Sebastian Bach die Singstimmen in dem erwahnten 
Duett wie bei a), also vorschlagsfrei notiert, so ist es selbstverstandlich, 
daD die begleitenden Instrumentalisten hierzu keine langen Vorschlage aus- 
fuhren diirfen, sondern nur kurze, die sich der Melodie eng anschlieCen. 
Eine aufmerksame Priifung der autographen Partitur lehrt sogar, daO die 
kurze Ausfuhrung offenbar in der Absicht des Meisters lag, denn Bach 
hat die VorschlSge b) in der autographen Partitur meistenteils unterlassen 
aufzunotieren, und sie finden sich nur in den von ihm eigenhandig 
geschriebenen Stimmen. Nun kann man wohl so nebensachliche Ver- 
zierungen, wie kurze Vorschlage vergessen, nimmermehr aber so gewichtige 
Melodieglieder, wie lange Vorhalte von der Dauer einer Viertelnote, die 
zudem scharfe und schlecht klingende Dissonanzen einftihren wiirden. 

Fordert demnach der gesunde Menschenverstand gebieterisch die Aus- 
fuhrung kurzer Vorschlage, so verlangen auch die alten Theoriebiicher 
nichts anderes, sobald man nur die fiir J. S. Bach mafigebenden Traktate 
heraussucht. Ich betrachte es als ein Verdienst meiner w Ornamentik - , 
nachgewiesen zu haben, daD keine theoretische Schule jemals allein- 
herrschend war, daC vielmehr stets verschiedene und mitunter einander 
sehr widersprechende Systeme sich gleichzeitig partielle Geltung zu ver- 
schaffen wufiten. So beherrschten die beiden einander entgegengesetzten 
Schulen, die italienische und franzosische, damals das gesamte Gebiet der 
Ornamentik. Wahrend aber die Italiener dabei auf die willkiirliche Aus- 
zierung der Vortragenden rechneten, fuOten die Franzosen auf der genauesten 
Ausfuhrung der vorgeschriebenen Noten und Zeichen. Gehorte J. S. Bach 
zur franzosischen Schule, so war Quantz Anhanger der italienischen. Die 
beiden Tonkunstler hatten gar keine Beziehungen zueinander, und keines- 
falls kann Quantz eine .kanonische Bedeutung" fiir die Musikpraxis 
J. S. Bachs beanspruchen. Schon wahrend der letzten Lebensjahre des 
Thomas-Kantors war in Deutschland eine Geschmacksveranderung ein- 
getreten. Das Publikum war der strengen kontrapunktischen Kunste iiber- 
drussig geworden und begann sich nach leichterer, melodischerer Kost zu 
sehnen. Dem kam der neue „galante Stil* entgegen, und die Theoriewerke 
von Quantz (1752) und Ph. E. Bach (1753) enthalten vorzugsweise die 



• - - . - ("ntuil( s Original from 

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106 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

Regeln fur die neue Setzweise, was in den Traktaten auch geniigend betont 
wird. Diese Regeln bestehen etwa aus einem halben Dutzend Forraeln von 
gleicher Berechtigung; wollte man sie aber auf J. S. Bachs Kompositionen 
anwenden, so kame der tollste Unsinn heraus. Es wiirde schon genugen, 
die eine weitere Formel in Anwendung zu bringen, nach der die Notation 



— — so auszufuhren ist p— & & ~ , urn es handgreiflich zu 




machen, daD die Tonstiicke Johann Sebastians nicht fur die spater erfundenen 
Theorieen berechnet sind. Gliicklicherweise liegt auch gar keine Notigung 
vor, auf die Formeln des Quantz zuruckzugreifen; es gibt namlich Theo- 
retiker genug, die mit Johann Sebastian in engen Beziehungen standen und 
die uns iiber seine Musikpraxis unterrichtet haben. Da ist zunachst der 
hochbedeutende J. G. Walther, der Bach in so manchem zum Vorbild diente, 
und dessen „Kompositionslehre a und „Lexikon tt (1732) uns so wichtige 
Aufschlusse iiber Ornamentik geben; dann folgt der nicht minder bedeutende 
Joh. Mattheson mit seinem „vollkommenen Kapellmeister" (1739), also 
gerade zehn Jahre nach der Urauffiihrung der Matthaus-Passion; endlich 
folgt 1749, also ein Jahr vor dem Tode Bachs und 20 Jahre nach der 
Urauffiihrung der Matthius-Passion F. W. Marpurg mit seinen Aufsatzen 
iiber Ornamentik. Diese Traktate stimmen auch vollkommen mit der 
Tabelle iiberein, die Johann Sebastian selbst aufnotiert hat und die in 
seiner Handschrift heutzutage noch existiert. Sie sind die einzigen Theorie- 
werke, die Geltung fur die Kompositionen Bachs beanspruchen konnen; 
ihre Verzierungslehren sind verhaltnismafiig einfach und frei von den ver- 
wickelten Formeln, die nur fiir den „galanten Stil" passen. 

Der erste, der die Forderung aufstellte, daB die Vorschlagsnotchen 
ihrer Geltung nach aufzunotieren seien, war Ph. E. Bach in seinem »Ver- 
such* 1753. Aber selbst dieser Erfinder des neuen Systems hatte 12 Jahre 
friiher noch keine Ahnung von demselben. In seinen 1741 erschienenen, 
Friedrich dem Grofien gewidmeten Sonaten sind noch alle Vorschlage so N 



^ 




bezeichnet und kommen Figuren wie z. B. diese 

massenhaft vor. 

Verwandt mit dem vorigen ist der Irrtum von Paul Schwers. Wenn 
der Letztere in No. 48 seiner Musikzeitung von Vorschlagen in der Matthaus- 
Passion spricht, die in der Partitur als lang verzeichnet seien, so trifft dies 
nicht zu. Vor Ph. E. Bach hat kein Komponist, auch J. S. Bach nicht, 
daran gedacht, die Vorschlagsdauer durch die Vorschlagsnotchen anzuzeigen. 
Das beliebteste Zeichen war damals , N ; dieses hat aber weit ofter den 
kurzen, als den langen Vorschlag anzukiindigen. 

Auch im SchluCsatz der Matthaus-Passion hat Johann Sebastian einige- 



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BEYSCHLAG: OBER IRRLEHREN IN DER ORNAMENTIK DER MUSIK 107 

mal vergessen, den Vorschlag einzutragen, aber gerade durch dieses Ver- 
sehen uns in willkommener Weise fiber seine Absichten aufgeklart. Die 
autographen Stimmen wurden bei der Aufffihrung benutzt, und wenn hier 
in einer Instrumentalstimme die Melodie so angegeben ist ^ 1 , wahrend 
in der anderen sonst identischen Stimme an derselben Stelle nur _ I steht, 
so ist die kurze Ausfuhrung dieses Vorschiags die einzig mogliche. 

Offenbar ist Schwers in dem weit verbreiteten Irrtum befangen, in 
dem Notchen ^ das Symbol fiir den langen Vorschlag zu erblicken. Dieser 
Usus kam aber erst im 19. Jahrhundert auf, als Erganzung der gleichfalls 
erst im 19. Jahrhundert erfolgten Einfiihrung des Zeichens / fur den 
kurzen Vorschlag. (O 208.) 

Viel glucklicher als ihre schriftstellernden Kollegen bewegt sich 
Wanda Landowska auf dem heiklen Gebiete der Ornamentik. Die von 
ihr angeregte Trillerfrage bei W. A. Mozart laBt sich zurzeit iiberhaupt 
nicht definitiv beantworten. Es laDt sich nur sagen, dafi eine grofie Wahr- 
scheinlichkeit nicht fur ihre Theorie spricht. Jedenfalls haben wir direktere 
Nachrichten als die Violinschule von Leopold Mozart (1756), namlich Auf- 
zeichnungen von der Hand des Meisters selbst, und diese deuten auf den 
Trilleranfang mit der Hauptnote. 

Mit Bestimmtheit wissen wir nur, dafi Leopold Mozart, der Vater von 
Wolfgang Amadeus, den Triller mit der Hilfsnote begann, der Sohn des 
letzteren dagegen mit der Hauptnote. Nun ist es gewiC wahrscheinlicher, 
daO ein groCer Mann eine Regel umstoflt als dessen unbedeutender Sohn, 
der doch alle Ursache gehabt hatte, durch strikte Anhanglichkeit an die 
Lehren seines Vaters sich einen gewissen Nimbus zu verleihen. 

Die beiden von W. A. Mozart selbst herriihrenden Belege sind 
folgende: 

1. Der ausgeschriebene Triller in „Cosi fan tutte a , den ich in meiner 
9 Ornamentik" unter Fig. 35 genau nach dem Autograph mitgeteilt habe, 
und der das Wort w trillo" durch folgende Figur illustriert 



— usw. 



2. Die Trilleriibung mit wechselnden Fingern, die Mozart seinen 
Schuler Hummel lehrte, und die z. B. in der rechten Hand folgenden 
Fingersatz aufweist: 1.2/1.3/2.3/2.4/ usw. 

Ich glaube, vielen Lesern einen Dienst zu erweisen durch die nach- 
stehende Entwickelungsskizze unseres heutigen Trillers (vgl. namentlich 
O 3. 4. 31. 32. 56. 95. 98. 158. 249.) 

Trillerartige Verzierungen waren schon in den altesten Zeiten be- 
kannt. Die alten Inder bedienten sich bereits der „Kampa a , der gezitterten 



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108 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

Note, worunter sich doch nur ein Caccini'scher Triller, ein »Trillo & 
l'italienne" verstehen laCt (s. unten). 

Auch von den Ubergriffen eigenmachtiger Virtuosen blieb die alte 
Kunst nicht verschont. So besitzen wir noch aus der klassischen Periode 
der altgriechischen Literatur ein Lustspiel, in dem Frau Musica in Person 
auftritt, um vor Gericht Klage zu fuhren gegen einige Virtuosen, die sie 
mit ihren trillerartigen Verzierungen und sonstigen willkurlichen Ver- 
anderungen arg miflhandelt und geschunden hatten. 

Aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. liegen bereits Zeugnisse vor, daC 
unser heutiger Triller, d. h. die Umwechselung zweier benachbarter Tone, 
bekannt war. 

Auffallend wenig Geschick fur die Ausfiihrung der musikalischen 
Ornamentik zeigten die alten Deutschen, und die frankischen Sanger Karls 
des Grofien erwiesen sich zur Exekution trillerartiger Verzierungen geradezu 
als unfahig. 

Von Ammerbach (1571) an liegen dann die Tabellen einer Anzahl 
bedeutender Theoretiker und Praktiker vor, die trillerartige Verzierungen 
mit der Hauptnote beginnen, bis dann im Jahre 1600 Emilio del Cavaliere 
den Triller, angezeigt durch ein t, in seiner modernsten Form notiert: mit 
der Hauptnote beginnend und mit einem Nachschlag endend: 



Groppo 

I'll 



t I I Trillo | j I J jl g ! I 
—-& 1— = • « m^ ^— ^ <s>— = — r -)^ r9 -^ 9 w « ^ , ^ 

Hiermit ist die eigentliche Entwickelungsgeschichte des Trillers ab- 
geschlossen. 

Wie aber in der Ornamentik zu keiner Zeit ein System allein- 
herrschend war, so auch damals. Schon ein Jahr spater (1601) trat 
Caccini mit einer von der vorigen ganzlich verschiedenen Theorie hervor, 
die folgende Formeln aufweist: 

Trillo = _* d *_*_ 



Groppo = 



pa r 1 i j 11 i B K=S i=pH 



Dieser Caccinfsche Triller fand als „Trillo a l'italienne* (O 95) uber 
ein Jahrhundert die weiteste Verbreitung, also gerade wahrend der Bliitezeit 
der italienischen Gesangskunst. Aber auch nachdem die Caccini'sche Ton- 
wiederholung endgiiltig verlassen und der alternative Tonwechsel die allein- 
herrschende Form geworden war, trat kein Friede in der Trillerlehre ein. 
Nun begann der Streit dariiber, ob der Triller mit der Hauptnote oder mit 
der Hilfsnote anzufangen habe. Die Franzosen entschieden sich von 



• - - . - rVuuilr Original from 

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BEYSCHLAG: OBER IRRLEHREN IN DER ORNAMENTIK DER MUSIK 109 

Mersenne an (1637) unbedingt und ausschliefilich fur den Anfang mit der 
oberen Hilfsnote, wahrend die Italiener und Deutschen nicht selten den 
Anfang mit der Hauptnote bevorzugten (O 98). Da J. S. Bach in der 
Ornamentik ganz auf franzosischem Boden stand (O 119), Handel da- 
gegen auf italienischem, so erklart sich hieraus bei dem ersteren der 
Trilleranfang mit der oberen Hilfsnote, bei dem letzteren der mit der 
Hauptnote. Die franzosische Trillerform wurde durch Ph. E. Bach auch 
in Deutschland eingefuhrt und das hohe Ansehen ihres Promotors ver- 
schaflfte ihr in akademischen Kreisen fiir geraume Zeit die Geltung der 
allein legitimen Fassung. Trotzdem vermochte sie die entgegengesetzte 
Form nicht zu unterdriicken, die, durch Tromlitz u. a. gepflegt, weiter 
bestand. Interessant ist das Verhalten der Familie Mozart zur Trillerfrage. 
Leopold, der Vater von Wolfgang Amadeus, lehrte den Trilleranfang mit 
der Hilfsnote, der Sohn des Unsterblichen aber den mit der Hauptnote. 
Zwischen Vater und Enkel trat also ein Systemwechsel ein; doch lSBt sich 
die Stellung Wolfgang Amadeus' nur vermuten, nicht aber absolut fest- 
stellen. Beethoven, Weber und Chopin begannen den Triller mit der Hilfs- 
note, der erstere freilich ohne strenge Konsequenz. Die Notation ft/r 1 
die sich einigemale bei Weber, ziemlich haufig aber bei Chopin vorfindet 
und die mitunter recht wunderliche Auslegungen gefunden hat, bedeutet 
demnach weiter nichts als den Trilleranfang mit der Hauptnote (so z. B. 
in Chopin's Nocturne op. 62). (O 276.) 

Nun aber erfolgte durch J. N. Hummel, den Schuler W. A. Mozarts, 
der grofie Umschwung. In seiner Klavierschule trat dieser Pianist 1828 
unter eingehender Begrundung seiner Lehre entschieden fur den Triller- 
anfang mit der Hauptnote ein und fand damit schnell fast allseitige An- 
erkennung. Die nachstehende Tabelle soil die Gruppierung der Kom- 
ponisten (soweit sie sich bestimmen laCt) iibersichtlich zusammenstellen. 

Den Triller begannen 
rait der oberen Hilfsnote: mit der Hauptnote: 

Die Familie Bach, Handel, 

Leopold Mozart, W. A. Mozart (wahrscheinlich), 

Beethoven, dessen Sohn (sicher), 

Weber, Hummel und die meisten 

Modernen, Spohr, Czerny, 
Chopin, Liszt, Brahms. 

Der Leser ersieht aus dieser Entwicklungsskizze, daO der Triller 
bereits im grauen Altertume bekannt, und dafi von seinen beiden Formen 
der Anfang mit der Hauptnote die fruhere war. 



• - - . - rVuuilr Original from 

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DAS ZWEITE KLEINE BACHFEST IN EISENACH 

27. BIS 28. SEPTEMBER 1913 
VON MAX SCHNEIDER IN BERLIN 



^kllem Anschein nach bewfihrt sich die Einrichtung der kleinen Bach-Feste sehr. 
^J^ WShrend die groGen, sogenannten deutschen Bach-Feste wandern, finden die 
X jL mit ihnen abwechselnden kleinen Bach-Feste regelmaBig alle zwei Jahre nur 
in Eisenach statt, und zwar als Veranstaltungen der Neuen Bach-Gesellschaft allein. 
Die deutschen Bach-Feste dagegen sind mehr oder weniger auch Unternehmungen 
der Stadte, in denen sie gefeiert werden. (Und das hat seine zwei Seiten!) Den 
g rotten Festen entsprechen groBe Mittel, den kleinen in Eisenach steht nur ein be- 
scheidener Apparat zur Verfugung. Dennoch wurde jetzt wieder offenbar, daQ 
gerade den kleinen Bach-Festen mit ihren in ihrer Art vorbildlichen Programmen 
eine grofie Bedeutung innewohnt. Ohne beliebte und bedeutende Werke — wie die 
Passacaglia, das Violinkonzert in a-moll — auszuschlieBen, wollen sie vor allem un- 
bekanntere und seiten gehorte Kompositionen Bachs in die Offentlichkeit einfuhren 
und zweitens mit dem Boden bekannt machen, aus dem seine eigene Kunst empor- 
wuchs. (So heifit es im Programmbuche.) Wie gesagr: die Einrichtung bewShrt sich, 
und ihr anregender und fordernder EinfluB auf unser Musikleben wird nicht aus- 
bleiben. Dafi abermals einer stattlichen Reihe der in sehr grofier Zahl erschienenen 
Festteilnehmer dank der Opferwilligkeit hochherziger Bach-Verehrer Reisestipendien 
gewahrt werden konnten, ist erfreulich. Sorgen wir, daft das immer mehr erwachende 
Interesse an der guten Sache dauernd erhalten bleibt! 

Das Kirchenkonzert am Abend des 27. September brachte uberwiegend Werke 
Joh. Seb. Bachs. Bernhard Irrgang, der Berliner Orgelmeister, eroffnete es mit 
dem virtuosen Vortrage des PrSludiums und der Fuge e-moll. Leider ist die 
Eisenacher St. Georgenkirche akustisch ungunstig, denn sie verschlingt alle dunklen 
und gedeckten Klange, ganz gleich ob sie instrumental oder vokaler Natur sind. 
Infolgedessen kam der ernststrebende Bassist Hermann Weifienborn in der wirkungs- 
vollen Kantate fur Sopran- und BafJsolo: „Selig ist der Mann a leider nicht recht zur 
Geltung. Viel besser daran waren Eva LeBmann (Sopran), die ihre Partie fein aus- 
gearbeitet sang, und Karl Klingler, von dessen Darbietung des Praludiums und der 
Fuge aus der C-dur Violinsonate auch nicht das kleinste Detail verloren ging. Eine 
schwere Aufgabe hatte Paula Werner-Jensen in der herrlichen Solokantate „Wider- 
stehe doch der Sunde" zu bewaltigen; vielleicht w2re dem sympathischen Alt der 
Sangerin eine etwas lebhaftere Temponahme sehr zugute gekommen. — Treffliches 
leistete der Duisburgeracappella-Chor unter Walter Joseph son zunSchst mit zwei 
funfstimmigen Motetten von Johann Christoph Bach ( w Der Gerechte, ob er gleich zu 
zeitlich stirbt") und Jacobus Gallus („Mirabile Mysterium"). Namentlich Gallus' 
Motette, ein unerhort kuhnes und schwer auszufuhrendes Stiick, vor dem Irrgang 
die Passacaglia Johann Sebastians meisterlich spielte, erwies das hervorragende 
Konnen des Chors. Mit Heinrich Schutzens w Der zwolfjahrige Jesus im Tempel a 
(fiir Sopran-, Alt- und Balisolo, Chor, Orchester und Orgel) boten die Duisburger im 
Verein mit den schon genannten Solisten rein musikalisch ihr Bestes. Hier war 
Josephsons Neigung zur Breite durchaus am Platze, was man bei den zwei Bach- 
Choraien am Schlusse des Konzerts („Gib dich zufrieden" aus Anna Magdalena Bachs 
Notenbuch und „So wunsch* ich mir zu guter Letzt** aus Schemellis Gesangbuch, 
Satz von Carl Thiel) nicht immer sagen kann. Das Liedhafte trat hier zu sehr in 



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SCHNEIDER: DAS ZWE1TE KLEINE BACHFEST IN EISENACH 111 

den Hintcrgrund. Und wenn man cinmal das Experiment versuchte, ein und die- 
selben Chorale abwechselnd liedmaflig (das heiBt keineswegs ohne Ausdruck!) und 
modern-konzerthaft vorzutragen, so wurde wohl sicberlich der Choral als schlichtes 
Lied den tiefsten Eindruck hinterlassen. 

Am 28. September (Sonntag) gab es eine „Kleine Kammermusik" als Matinee und 
eine „GroBe" am Abend. In der Matinee entfachte der von Prof. Carl Thiel geleitete 
Madrigalchordes Berliner Kg I. Akademischen Instituts furKirchenmusik 
mit je drei vier- bis achtstimmigen Gesangen von Joh. Hermann Schein („Ich will 
nun frohlich singen" aus dem Venuskranzlein; „Wenn Filli ihre Liebesstrahl'" aus 
den Diletti pastorali; „HoIla, gut G'sell a aus dem Studentenschmaus) und Hans Leo 
HaBler („Das Herz tut mir aufspringen a ; „Feinslieb, du hast mich g*fangen"; „Ihr 
Musici, frisch auf") sturmische Begeisterung und muBte zweimal da capo („Wenn 
Filli" und „Ihr Musici") gewahren. DaB diese glSnzende Chororganisation bald Schule 
macht, w3re ein Ziel, aufs innigste zu wunschen. Wieviel Gemut, wieviel Musik 
steckt in diesen alten Gesanglein! Und deutsche Meister haben sie erdacht. Ehre 
ihnen und alien, die uns solche echte Kunst wieder nahebringen ! — Herzlichen 
Beifall fanden vier frische Duette (fur Sopran und Tenor und fur Tenor und 
BaB) von Heinrich Albert, dem Vater unseres Sololiedes („Du vormals griiner 
Stock"; „Keine Nacht, kein Tag vergeht"; Jetzund heben Wald und Feld"; „Wer 
fragt danach"), urn die sich Eva LeBmann, Rudolf Laubenthal (Tenor) und Hermann 
WeiBenborn verdient machten. Auch instrumentaliter wurde fein und mannigfaltig 
musiziert. Mit dem bewShrten und unermudlichen Prof. Georg Schumann (Klavier) 
spielten Maximilian Schwedler J. S. Bachs 2. FIStensonate, Robert Reitz und 
Christian Dobereiner Buxtehudes D-dur Sonate fur Violine, Viola da Gamba und 
Basso Continuo; zu ihnen gesellte sich KHnglers Quartettgenosse Josef Rywkind 
bei einer h-moll Sonate fur zwei Violinen, Violoncell und Continuo von DalP Abaco. 
Wanda Landowska, die ausgezeichnete Cembalistin, trug mit dem bekannten Weimarer 
Geiger Reitz, der dankenswerterweise fur den durch einen Trauerfall plotzlich 
verhinderten Prof. Klingler eingesprungen war, die E-dur Sonate fur Cembalo und 
Violine von J. S. Bach vor. Dabei machte sich leider, wie schon (in einer Gamben- 
sonate) beim ersten kleinen Bachfeste, der Obelstand geltend, dafi das klangliche Vei- 
haltnis zwischen Streichinstrument und Cembalo nicht genugend ausprobiert und aus- 
geglichen war — sehr zum Schaden der Wirkung. Den BeschluB der Matinee bildete 
das solistisch besetzte Sechste Brandenburgische Konzert fur zwei Bratschen (ihre 
Verdoppelung durfte klanglich vorteilhafter sein), zwei Gamben, Violoncell, BaB 
und Continuo (Unkenstein, Heintzsch, Dobereiner, Albini, KieBling, Wolschka und 
Prof. Seiffert, der dann auch in der groBen Kammermusik trefflich akkompagnierte). — 
Vielleicht darf einmal ganz allgemein die Bitte ausgesprochen werden, das Wort 
„Bearbeitung* auf Programmen (uberhaupt) sparsamer zu verwenden. Denn wenn 
man die Musik der Basso Continuo-Zeit richtig ausfuhrt, d. h. den bezifferten BaB 
ex tempore oder schriftlich in Harmonieen umsetzt, so ist das doch nicht gleich eine 
„Bearbeitung*! Bei der (nach F transponierten) Flotensonate waren sogar zwei Be- 
arbeiter angegeben. 

Die B GroBe Kammermusik" (mit Orchester) litt etwas unter einer gewissen 
Unruhe, die wohl durch Rucksichtnahme auf abends wieder abreisende Besucher 
veranlaBt war. An das einleitende prfichtige Concerto grosso No. 9 von Corelli 
(Concertino: Reitz, Arthur Brandenburg, Dobereiner) schloB sich der erste Teil 
von J. S. Bachs Serenata w Durchlaucht'ster Leopold" mit Frl. LeBmann und Herrn 
WeiBenborn als Solisten. Schade, daB die Sopranistin der Aufgabe nicht ganz gerecht 
wurde. Besser fand sich Frau Werner-Jensen mit der Altarie aus Handels Oratorium 



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112 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

»Jephta": „Schreckensbilder groQ und bleich" ab. „Birg dein verhaQtes Licht, o 
Sonn ,a , ebenfalls aus „Jephta", ist eine der empfindungstiefstcn Arien H&ndels; mit 
ihr bot der junge Tenorist Laubenthal die beste Gesangsleistung des Festes. — Handel 
vorauf gingen drei grdfiere Instrumental werke; zuerst Bachs a- moll Violinkonzert, von 
Reitz namentlich im Mittelsatze wundervoll gespielt. Ganz hervorragend war auch 
bier das aus Leipziger Gewandbausmusikern gebildete Orchester; schon im Kircben- 
konzerte hatten sich diese ausgezeichneten Kunstler vorzuglich bewahrt. Dem 
Violinkonzerte folgte Kuhnaus kostlicher „Streit zwiscben David und Goliath (aus 
den „Biblischen Historien"), mit welchem Wanda Landowska ihre schon oft 
gewurdigte, brillante Gembalokunst aufs neue dokumentierte. Ein im Rah men 
des Programms inhaltlich etwas abfallendes Konzert fur Viola d'amore von Carlo 
Stamitz zeigte uns in Dr. Niel Vogel (Amsterdam) einen sehr respektabeln Viola- 
spieler, dem wir nur dankbar sein konnen, wenn er auf das klanglich so schone In- 
strument immer wieder aufmerksam macht. Die Viola d'amore gehort noch lange 
nicht ins Museum! — Der SchlulJ des Abends brachte eine lehrreiche Gegenuber- 
stellung: Vivaldis h-moll Konzert fur vier Violinen (Reitz, Brandenburg, Rywkind, 
Hering) und J. S. Bachs Umgestaltung dieses Werkes zu einem Konzerte fur vier 
Klaviere (Landowska, Georg Schumann, C. A. MartienCen, Camillo Schumann). Als 
auch dieses verklungen war, bereitete man dem allverehrten, verdienstvollen Fest- 
dirigenten und Vorsitzenden der Neuen Bach-Gesellschaft, Hermann Kretzschmar, 
eine rauschende, herzliche Ovation. 



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REVUE DER REVUEEN 



Zu Richard Wagners 100. Geburtstag 

II: Aus Tageszeitungen (SchluD) 

BERLINER NEUESTE NACHRICHTEN, vom 21. und 24. Mai.— (21. Mai.) „Richard 
Wagner in unserer Zeit. a Von Georg Schunemann. „. . . Wir stehcn . . ., von 
wenigen musikalischen Formen (wie der Kirchen-, Programm- und Kammermusik) 
abgesehen, uberall auf dem Grund und Boden Wagners. Und wenn auch allent- 
halben mit neuen Tonverbindungen und Klangkombinationen, mit exotischer und 
nationaler Musik experimentiert wird, so gehort doch der Hauptteil aller Produktion 
der Richtung Wagners an. Sein Einflufl gleicht dem Wirken der Beethovenschen 
Musik in der ersten Haifte des 19. Jahrhunderts. Und es ist durchaus an der Zeit, 
daft Wagners Kunst, die lange genug nur einem Tei! der Gebildeten zugSnglich 
war, nunmehr durch das Freiwerden aller Werke Gemeingut des gesamten Volkes 
wird. Sein Werk und Wirken, sein Leben und Denken, sein kampfschweres Streben 
und arbeitsfrohes Schaffen sollte dem ganzen deutschen Volke ebenso vertraut 
werden, wie das Wirken Schillers und Goethes. Dann erst konnen wir von einem 
nationalen Besitztum dieser Kunst sprechen." — (24. Mai.) „Richard Wagner und 
die deutschen Freiheitskriege." Von Josef Stolzing. Ober Wagners Stellung zu 
den Befreiungskriegen und zur Restaurationsepoche, wie sie sich aus seinen 
Schriften ergibt. „. . . Wagner war kein Politiker, das erklfirte er selbst in einer 
Reihe von Stellen in seinen Schriften und Briefen (an Liszt beispielsweise: Ein 
politischer Mann ist widerlicb!), aber mit Recht sagt Houston Stewart Chamberlain: 
Was Wagner besaB, war das, was Goethe mit Hilfe eines von ihm neu geschmiedeten 
Wortes treffend als die Gabe bezeichnet, ,den Willen der Volkheit zu vernehmen'. 
Deshalb ist seine Stimme auch dann horenswert, wenn er auf politische Gebiete 
abschweift, und welchem echten Deutschen hatte Wagner mit der Darstellung des 
Geistes der Freiheitskriege und seiner Verurteilung der Restaurationsperiode nicht 
aus der Seele gesprochen?" 

LEIPZIGER NEUESTE NACHRICHTEN, vom 22. Mai. — „Zur 100. Wiederkehr 
von Richard Wagners Geburtstag." Von Arthur Prufer. „. . . Auf kunstlerisch- 
kulturellem Gebiete bildet Bayreuth das wurdige Gegenstuck zu der von Bismarck 
und den deutschen Waffen 1870/71 in der Politik errungenen Grundung des 
Deutschen Reiches. Ein lebendiges Denkmal sind die Bayreuther Buhnenfestspiele 
dafur, was die Heldenkraft eines einzelnen Mannes vermag im unerschutterlichen 
Glauben an die Wahrheit und den guten Genius seines Volkes . . . Richard Wagner 
in Bayreuth, der Meister und sein Lebenswerk, das ist die einzig richtige und 
erscbopfende Formel, um anzudeuten, was hier sich offenbart, ein leuchtender 
Gipfel deutscher Kunst und Kultur, eine Erscheinung, die daraus so wenig weg- 
zudenken ist, wie Bach, Beethoven, Schiller und Goethe. Richard Wagner steht 
diesen GroBen ebenburtig zur Seite. Er fuhrte das Sehnen und Suchen unserer 
groliten Meister zum Ziel. Seiner unvergleichlichen Tatkraft gelang es endlich, 
diesem Kunstwerk auch die Werdestatte zu schaffen, wo es rein und unverfalscht 
in die Erscheinung treten konnte ..." — ^Richard Wagner und wir.** Von Oskar 
Walzel. „. . . Gem uberschStzen wir die Bedeutung, die deutscher Kunst und 
Dichtung im Ausland zukommt. Noch immer kummert sich der Deutsche viel 
mehr um die geistigen Leistungen anderer Volker, als diese um die geistigen 
Leistungen der Deutschen. Wohl bessert sich das VerhSltnis allmShlich zugunsten 
der Deutschen. Allein auch beute noch ist nur ein einziger deutscher Dichter 
XIII. 2. 8 



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114 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

und Kiinstler dem Ausland so wichtig und beachtenswert, wie fur urs Deutsche 
einst die franzosischen Klassiker, dann Voltaire und Rousseau, dann Shakespeare 
wurden: Richard Wagner! Bequem ist's, uber das Bayreutber Publikum zu spotten 
und in der Mehrheit dieses Publikums nur erregungssiichtige und modetolle 
Amerikaner und Franzosen und Slawen festzustellen. Sollten unter den Nicht- 
deutscben, die nach Bayreuth pilgern, wirklich gar keine oder nur wenige sein, 
denen Wagners Werk Gegenstand ernsten, echten und tiefen Verstandnisses ist? 
Jedenfalls bedeutet Wagners Leistung einen Sieg deutscher Kunst und damit einen 
Kulturerfolg, wie ihn noch kein anderer Deutscher, auch Goethe nicht, im Ausland 
davongetragen hat . . . a 
MUNCHNER NEUESTE NACHRICHTEN, 66. Jahrgang, No. 257 (22. Mai). - 
^Richard Wagner und das deutsche Volk." Von Richard Graf Du Moulin- 
Eckart. Das Verhaltnis Wagners zum deutschen Volke „ist auf sein ganzes 
Schaffen, seine ganze Personlichkeit begrundet. Steht er doch im engsten, untrenn- 
baren Zusammenhang mit der ganzen deutschen Entwickelung und bekundet den 
wunderbaren Reichtum dieses deutschen Jahrhunderts: mit dem grofiten politischen 
Genius ist zugleich der Meister von Bayreuth erstanden. Das deutsche Volk kann 
beide nicht vergessen. Auf beider Werk ist seine Zukunft mitbegrundet. Sie 
werden in seiner staatlichen und volkischen Entwickelung weiterleben. Und beide 
weisen ihm, so verschiedenartig sie selbst sind, ein Ziel: die auf gesunde Kraft 
aufgebaute deutsche Grofie.** — „Richard Wagner, der Mensch.* 4 Von Max Hayek. 
„. . . man begegnet in deutschen Landen (und nicht nur in deutschen Landen!) 
noch immer Urteilen, die besagen, dafi man dem Kunstler Wagner alle Verehrung 
und Bewunderung entgegenbringe, den Menschen Wagner aber nur jmenschlich', 
am Ende gar ,allzu menschlich' finden konne! Wir stehen hier einem Problem 
gegenuber, das wahrscheinlich erst mit der Losung der Menschheitsfrage im allge- 
meinen gelost werden durfte. Es riihrt an das Geheimnis der Dualitat, an die bei 
aller Verschmolzenheit des Allmenschlichen doch ewig bestehende Fremdartigkeit 
des Einzelmenschlichen. Nur das Gottliche im Menschen ahnt den Gott. Gleiches 
wird nur von Gleichem erfafit. Und es gibt Dinge, deneh unser Herz widerspricht, 
auch wenn der Geist tausendmal recht behalten sollte!" — „Zum Schaffen Richard 
Wagners". Von Alexander Dillmann. „. . . Darin liegt das Aufierordentliche, 
uberzeugend Geniale in Wagners Werken, dafi Wagner kein Werk in Angriff ge- 
nommen hat, dessen Inhalt und Form er nicht so vollkommen beherrschte, dafi 
sich nicht eine restlose Losung des Problems ergab. Daraus erklart sich die 
Sicherheit und Bestimmtheit in Wagners Schaffen. Manch anderes Genie der 
Zeit, Schiller, Goethe, hat spater an seinen Werken unter dem Eindruck einer 
verfeinerten kunstlerischen Entwicklung gebessert. Wagner hat an seinen Dramen 
fast nichts mehr oder verhaltnismafiig verschwindend wenig geandcrt . . ." 

DER SAMMLER (Beilage zur Munchen-Augsburger Abendzeitung), 82. Jahrg., 
No. 61. (22. Mai). — „Richard Wagner." Von Paul Ehlers. „. . . Nur wenn wir 
Wagner als Dramatiker erkannt haben und wenn wir alles aufs Drama beziehen, in 
den aufieren Geschehnissen und ihrer tonenden Seele den Sinn des Dramas zu er- 
schauen trachten, werden wir seinem hochstrebenden Willen gerecht. Indem wir 
unsern Blick auf dieses Ziel einstellen, gewinnen wir auch den Mafistab dafur, 
wie seine Dramen szenisch zu verwirklichen seien, und es enthullt sich uns die 
beschamende Wahrheit, dafi, so viel und so oft in deutschen und aufierdeutschen 
Landern seine Werke aufgefuhrt werden und so zauberhaft sie auf alle wirken, 
an unsern Theatern arg gegen sie gesundigt wird. Alle Feiern und Jubelreden 
werden es nicht andern, dafi man fast allerorten Wagner noch immer nicht gibt, 



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REVUE DER REVUEEN 115 

was Wagners ist. Ware es sonst — um nur etwas Aufteres, das aber grofle innere 
Wirkungen hat, zu nennen — moglich, daft bisher ein einziges Theater entstanden 
ist, das nach den Lehren des Bayreuther Hauses erbaut wurde? ..." — „Richard 
Wagner als Mensch." Von Arthur Bauckner. (Schluft in No. 62.) w . . . Es sei 
zugegeben, daft sich in Wagners Leben gar manches findet, was man einem 
Philister vielleicht ubel vermerken wurde. Auftergewohnliche Menschen aber er- 
heischen einen auftergewohnlichen Maftstab. Und Richard Wagner gehort zu 
jenen ganz Groften, wie sie ein Jahrhundert kaum einen hervorbringt." - „David 
und Mime." Erinnerungen an Wagner. Von Max Schlosser. 

GERMANIA (Berlin), Wissenschaftliche Beilage, No. 20 und 21 (19. und 22. Mai). — 
„Richard Wagner. Nachdenklicbes zu seinem 100. Geburtstage. a Von J. H. Hatz- 
feld. Verfasser bemerkt zusammenfassend am SchluB seiner Untersuchungen, daft 
„der Name des Kunstlers Wagner auch ein kunst-ethisches Programm bedeutet, 
dessen innerer Bedeutung fur deutsche Kunst und deutsches Kunstlertum gerade 
am 100. Geburtstage des Meisters am allerwenigsten vergessen werden sollte; 
dessen um so eher gedacht werden sollte, als man versuchen wird, daruber hinweg 
zu sehen. Wagner gehort in die Reihe jener Kiinstler, die gerade, weil sie 
Kunstler waren, auch das der Kunst Gunstige und Notwendige in der Religion er- 
kannten, die sich wohl hiiteten, sich auf die unfruchtbare Schlackenhalde des Tart 
pour l'art-Kunstlertums zu verlieren. Darum auch fuhlte er Geister wie Dante und 
Calderon dem seinen verwandt, wenn er auch ihre religiosen Anschauungen im 
einzelnen nicht teilte. Er erkannte, daft jene ebensosehr aus der Tiefe ihres Volks- 
tums, als ihrer Religion heraus schufen. Und eben das war es, worin er auch 
selber seine Grofte suchte und schlieftlich in der Kronung seines Lebenswerkes, 
dem ,Parsifal', in zwiefacher Hinsicht auch fand. So darf er wohl, wenn auch nicht 
als der, so doch als einer der Fiihrer auf dem Wege zu einer groften deutschen 
Kunst auf der Grundlage germanisch-christlicher Innerlichkeit gelten, doppelt in 
einer Zeit, der fiber der Technik des Fortschrittes der Sinn und der Atem ausgeht 
fur die Erfassung und Aussprache grofter Gedanken, die an den Ohren des Volkes 
vorbeidichtet und vorbeikomponiert, weil sie das Beste des Volkes, das die Ge- 
sunden aus ihm trotz allem sich noch bewahrt haben, nicht mehr versteht . . ." 

BADISCHE LANDES-ZEITUNG (Mannheim), vom 22. Mai. — „Richard Wagner." 
Von Michael Georg Conrad. „. . . Es racht sich, daft die Pflege der asthetischen 
Kultur, die fur Charakter- und Gemiitsbildung eines Volkes so ausschlaggebend, 
in unserem offiziellen Schulbetriebe nicht die ihr gebuhrende Beachtung findet. 
Kunsterziehung ist das Aschenbrodel, abfragbare Wissenswiirdigkeiten fur die 
Examen-Paraden sind in unseren Unterrichtsanstalten die Prinzessinnen. Musik 
und Drama, Bayreuther Buhneweihekunst als Erziehungsmittel — ist das nicht wie 
ein Traum? Wo findet in den allgemeinen Volks-, Mittel- und Hochschulen eine 
ernste, systematische Einfuhrung in die musik-dramatische Kunst statt? Ist nicht 
alles auf die Ausbildung des Verstandes angelegt, auf Aneignung von Fachfertig- 
keiten, und wird nicht die Pflege des rein Menschlichen im Gemut und Charakter 
groblich vernachlassigt? Versucht unsere Schule nach Schillers Wort durch das 
,Morgentor des Schonen in der Erkenntnis Land* einzudringen? Haben die 
GeneralstSbler unseres Schulheeres auch nur eine Ahnung von den Lucken und 
Einseitigkeiten in der geistigen Ausrustung des Volkes in Waffen? Was ist da von 
den anderen Behorden oder vom Reichstage zu erwarten? Keine andere Kunst 
hat sich so rein von fremden Einfliissen aus dem deutschen Geiste entwickelt wie 
unsere Musik. Niemand hat mehr fur die Bewahrung der deutschen Kultur vor 
unheilbarer Verwustung durch welschen Tand und exotische Luxuskunst getan, als 

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116 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

unsere musikalischen GroBmeister von Johann Sebastian Bach an bis herauf zu 
Beethoven und Wagner. Gelten diese GroBen als Vorbilder unserer Jugend? 
Wird in den Schulen in die Werke dieser GroBen mit Liebe und Verstandnis ein- 
gefGhrt? Erflhrt man durch die Pfieger unserer offentlichen Bildung, dafl auch 
durch Musik deutsche Kultur geschaffen und verbreitet werden kann, besser als 
durch grammatikalischen Drill im Griechischen und Lateinischen, Franzosischen 
oder Englischen? DaB eine Kantate oder ein Praludium von Bach, ein Satz aus 
einer Sonate oder Symphonie von Beethoven, eine musikdramatische Szene aus 
den ,Meistersingern* oder dem.Nibelungenring* von Wagner so viel edelsten Bildungs- 
gehalt fur Geist und Gemut darzubieten vermag, als irgendein Gesang von Homer, 
eine Ode von Horaz oder ein Psalm Davids oder eine Seite aus einem beliebigen 
franzosischen oder englischen Schulautor? Kann nur von dem Geklapper der 
Verstandesmuhlen das Mehl zum Lebensbrote deutscher Kultur geliefert werden 
oder nur aus dem Buchstabenbekenntnis der konfessionellen Katechismen? . . ." 

KOLNISCHE VOLKSZEITUNG, vom 22. Mai. — ^Richard Wagner." „. . . Hat nun 
aber mit der ungeheuren PopularitSt, deren sich Wagners Werke erfreuen, auch 
die kunstlerische Kultur des Theaters, die Wagner erstrebte, Schritt gehalten? So 
gut und schlimm es gen', setzen sich die Theater mit den Forderungen Wagners 
bei der Wiedergabe seiner Werke auseinander, aber das, worauf es ankommt, ein 
dem Charakter der einzelnen Werke entsprechender Stil, fur den Bayreuth das von 
Wagner gesetzte Vorbild ist, tritt nur in Ausnahmefallen zutage. Und begegnen 
wir nicht ringsum an unseren Theatern statt der von Wagner erhofften Lauterung 
des Geschmackes einer gefahrdrohenden Verflachungdes kunstlerischen Empfindens? 
Mozart leidet unter der Teilnahmslosigkeit selbst leistungsfShiger Buhnen, Gluck 
ist so gut wie verschollen, die feine Spieloper durch frivole Operetten, die Tragik 
durch den blutrunstigen Verismus verdrSngt. Wie hat Wagner, der Idealist, der 
auch die Buhne idealisieren wollte, diese Verflachung des Geschmackes, diese Ent- 
artung der Kunst gehaBt! . . . a 

MANNHEIMER TAGBLATT, vom 19. Mai. — „Richard Wagner und das Volk." 
Von Oscar Bie. „Wagner, der als ein Einsamer lebte, ist heute der Held des 
Volkes geworden. Nicht einer Bourgeoisie, die aus Bequemlichkeit seinen Idealen 
folgt und seine Kunst als Mode anschwarmt, sondern des breiteren Volkes, das 
voller Tradition ist und seine gesunden Instinkte hat und den Marchenglanz alles 
Schonen, den die Oper wie keine andere Kunst verbreitet, zu seinem Dasein 
braucht. Dieser Wagner ist der Wagner der ,Meistersinger\ Ist ,Tannh2user* noch 
im Schema befangen, , Lohengrin* eine schone unglucklicbe Mischung von atherischem 
Ton mit popularer Bilderhaftigkeit, der ,Ring des Nibelungen* der Kampfplatz un- 
ausgeglichener Kunste, ,Tristan 4 ein esoterisches Bekenntnis, , Parsifal 4 eine mude 
Religion, so sind die ,Meistersinger 4 Wurzel und Krone, Drama und Musik in 
wundervoller Einheit und Vielheit, eine Zusammenfassung deutscher Kunst, die 
die echte PopularitSt hat, den naturlichen Sinn fur Vergangenes und Zukunftiges, 
das wahre ,Volksherz 4 . Erzahlen wir an seinem Geburtstag nicht die hundertmal 
wiederholten Daten seines Lebens, halten wir allein dieses Kunstwerk boch, in 
dem sein Erbe uns gegeben ist — fur Jahrhunderte. Es ist als Dichtung sein 
Edelstes, und Hans Sachs ist ein Spiegel der Menschheit geworden. Es ist als 
Text sein Standhaftestes; denn es ist eine gute, richtige, alte Opernszene mit alien 
erprobten Wirkungen. Als Orchester ist es Einfachstes und doch so wunderbar 
vielfaltig, daB er die Meisterschaft nie schlagender offenbarte. Und als Musik ist 
es ein Zentrum der Zeiten, zuruckgesehen ins Mittelalter, vorausgesehen in die 
Zukunft, die in Stromen aus diesem Werk flieBt. Es ist der Boden, auf dem wir 



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REVUE DER REVUEEN 117 

stehen und froh ins Helle blicken. Die Welt der Diatonik, des ausgesprochenen 
C-dur, wo alles fest und gerade und eindeutig wird. Die Symphonie des Tages, 
jenes sonnigen Tages, der in Sachsens Zimmer leuchtet, wo unter dem freund- 
lichen Glanz des wohlwollend umfangenden Leitmotivs dieser Szene an der Zu- 
kunft gearbeitet wird, Lieder entstehen, Regeln gepruft und Gluck geschaffen wird." 

PESTER LLOYD (Budapest), vom 21. Mai. — „Richard Wagner." Von August Beer. 
„. . . Die Nibelungen-Tetralogie ist ein Ausnahmswerk, an das kein noch so weit 
gestrecktes Richtmaft hinanreicht. Ein Ausnahmswerk war auch der machtige 
Tempel in dem bayrischen Stfidtchen, welcher diese gigantische Schopfung aufnahm. 
Dort hat sich das Unerhorte begeben, hat sich das wie in nfichtlichen Visionen 
nur Ertraumte in wunderbare Wirklichkeit verwandelt. Da kommt ein einzelner 
Mann daher, bringt es zuwege, einen eigenen, hochragenden Bau aufzurichten fur 
das machtige Gebilde seiner Phantasie. Und auch hier waren die Baumeister ein 
Riesenpaar: sein Genie und sein stahlerner Wille. Er winkt, und ein imposanter 
kunstlerischer Heerbann eilt herbei, stellt sich auf den ersten Ruf des Meisters 
in seinen hehren Dienst; er winkt, und die Hunderttausende pilgern aus alien 
Weltgegenden andacbtig zu der geweihten Kunststatte auf dem Bayreuther Festspiel- 
hugel. Seit drei Jahrzehnten ruht Richard Wagner unter den Granitplatten seines 
schmucklosen Grabes, aber er schreitet wie der Gott der Mythe durch die Zeiten, 
hat den Speer so weit ausgesendet, daft sein Endziel noch nicht abzusehen ist." 

DUSSELDORFER GENERAL-ANZEIGER, vom 25. Mai. — „Richard Wagner und 
die Gegenwart. 1 * Von Egon Aders. „. . . Mir scheint: Will Bayreuth bleiben, 
was es war und ist, will es Unheil abwenden und von sich aus der neuen Wagner- 
Frage Losung flnden, so bleibt dazu nur eine Moglichkeit: zu tun wie seines 
Meisters ,Siegfried', — das am ehernen Speer unabwendbaren historischen Ge- 
schehens zerspringende Schwert nicht mit Bappe backen, nicht Stucke loten, 
sondern die uberkommene buhnentechnische Daseinsform, die traditionelle auQere 
Gestalt ganz aufgeben, zerfeilen, zerstampfen, das Edelmetall, die reine Substanz 
alsdann mit dem blutvollen Selbsterleben heutiger Menschenkraft neu durchgluhen 
und im Rbythmus einer neuen Zeit ihm eine neue Form hammern. Praktisch 
ausgedruckt: Wenn der Gedanke von Bayreuth das Jahr 1913 lebendig wirksam 
uberdauern, die neue Wagner-Frage losen soil, so mufite das Drama Richard 
Wagners von einer modernen, an Kleist und Hebbel erzogenen Dramaturgic ver- 
gleichend betrachtet und die tragischen Konflikte im neuen Geiste gedeutet und 
ausgepragt werden. Der Dialog, die streitende Rede, dieses innerste Lebens- 
element des echten Dramas, mufite noch weit mehr als bisher durch schau- 
spielerische Gharakterisierungskunst rhytbmisch gegliedert, die kampfordnende 
Kraft entfaltet werden, ehe die Worte in Musik versinken. Die Antithese, deren 
antagonierende Energie das Wertkriterium eines Dramas ist, mufite in kunstvoll 
gefugter Gliederung herausgemeifielt, in klaren Formen festgestellt werden, ehe 
die Harmonieen daruber hinfluten. Regisseure der neuen Berliner Schule — nicht 
geschmackvolle Zeremonienmeister — , die wie grofie Psychologen die Isobaren 
aller seelischen Bewegungen mit sozusagen naturwissenschaftlicher Exaktheit 
kennen und sie als reife Kunstler nachziehen : schopferische Regisseure 
mussen den Rhythmus der Darstellung befeuern. Und endlich mufite Wagners 
Drama — immer noch mehr als bisher — in einem zeitgemaflen raumkunst- 
lerischen Gewand und Rahmen erscheinen. Kostum und Szene mussen in der 
kuhnen und doch so streng disziplinierten Optik der modernen Maler zu ganz 
neuen Buhnenbildern raumfisthetisch verarbeitet werden . . .* 

VORWARTS (Berlin), vom 22. Mai. — „Richard Wagners Werk. Seine Bedeutung 



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118 DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 

und die Grenzen seiner Geltung." Von W. M. „. . . Wagner hat uns Deutsche 
und die ganze Kunstwelt in der Tat erlost. Von der nach Mozart und Weber 
versimpelten und total verblodeten, durch Meyerbeer und die Franzosen verrohten 
Oper. In der die Schablone, das Tanzbein, die kostumierte und kolorierte Arie, 
die Unnatur, die Schminke, die Maskerade alles, die Poesie, die Sprache, die 
dramatische Wahrheit, der Geist, die Idee nichts war. Von dieser Oper in der 
tiefsten Kurve ihrer Erniedrigung hat uns der groBe Reformator, der , Luther der 
Oper*, fur immer erlost. In seinen vier romantischen Opern wie in seinen sieben 
eigentlichen Musikdramen. Er erst hat die eigentliche Kunstform der Oper ge- 
schaffen, die Mozart und Gluck ahnten, in der eine vernunftige Handlung von 
denkenden Schauspielern gesungen wird. Er hat Poesie und Musik zu einer 
hoheren Einheit im musikalischen Drama zu vermShlen versucht, wobei nur frei- 
lich unerlSBlich blieb, daB die eine die andere stSrte. Die Musik sollte als Mittel 
des Ausdrucks eine treue Magd und Geffihrtin der Dichtung sein, sie war nicht 
mehr ,tonender Selbstzweck* wie in der alten Oper. Aber leider, sowie die Magd 
ihre Stimme erhob, verstand man die Herrin nicht mehr. Das Orchester machte 
die Sanger tot . . ." „Wie steht nun heute am Sakulartag die Gegenwart zu Richard 
Wagner? Das ist ein ganz eigentumlich verwickeltes Verhaltnis. Bei den so- 
genannten Intellektuellen beginnt allmahlich die Entzauberung. Feinhorige Musiker 
und Kritiker, hellsehende Kulturforscher sind sich darin einig, daB Wagner der 
Hohepunkt einer bestimmten musikalischen Entwickelung war, daB die Musik und 
Kulturgeschichte ihm sehr viel verdankt, daB durch ihn der Gipfel tondichterischer 
Monumentalitat und Pathetik erreicht wurde, daB aber die dramatische Musik im 
schlimmsten Sinne absterbend und zeitfremd wurde, wenn sie weiter in diesen 
Bahnen sich bewegte, Man erkennt die Notwendigkeit, daB die musikalische Ent- 
wickelung von heute ab rascher uber diesen Riesen wegkommen muB, dessen 
Vorherrschaft lahmend auf das ganze moderne Theater, auf die ganze kunst- 
lerische Produktion zu wirken beginnt. Man setzt schon sehr energisch mit der 
,Ring'-Kritik ein, nachdem man sich von den Feuerwerkereien der Schwanenritter- 
und Venusberg-Opern ISngst nicht mehr blenden 13Bt. Man laBt mit herzlicher 
Bewunderung die beiden unsterblichen Schopfungen unangetastet stehen: /Tristan' 
und die ,Meistersinger* . . , u 
SCHLESISCHE ZEITUNG (Breslau), vom 22. Mai. — ^Richard Wagner." Von 
Max Koch. „. . . Der alte lange Streit um den Kunstwert von Wagners Werken 
ist, trotz des vereinzelten AufbSumens arg verspateter Gegner, endgultig entschieden. 
Der Kunstler, der von sich selber sagte, daB er urgermanisch zur Welt gekommen 
sei, hat eben durch die aus den edelsten Tiefen seines Volkstums geschopfte 
Kraft die Anerkennung aller Volker sich erzwungen. Aber der Ausbreitung be- 
ginnt mit der wachsenden Einsicht in das ganze Wesen der edlen kiinstlerischen 
und menschlichen Personlichkeit Wagners auch die tiefere Wirkung zu folgen, 
so daB wir bei der 100. Wiederkehr seines Geburtstages sagen konnen: Wie 
Wagner selbst, als ein immer Strebender, um das Hochste sich bemuht hat, so 
scheint den Taten und Gedanken seines arbeitsreichen Lebens eine unabsehbare 
Zukunft sich aufzutun. Je ferner wir zeitlich von ihm rucken, desto gewaltiger 
wSchst der Meister von Bayreuth empor zu einer der groBten Erscheinungen aller 
Kunstgeschichte, zum sieghaften Vorkampfer ,deutscher Art und Kunst*, wie 
cinstens Herder und der junge Goethe sie verkundigt haben. tt 

Willy Renz 



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BESPRECHUNGEN 



BUCHER 

1. FaustoTorrefranca: Giacomo Puccini e 
l'opera internazionale. Verlag: Fratelli 
Bocca, Torino 1912. (2,50 Lire.) j 

Ein sonderbares, ein hochst sonderbares Buch. 
Man liest es kopfschfittelnd, und doch legt man's 
nicht ohne Nutzen aus der Hand. Man spun 
von ihm jene Bereicherung, die uns etwas I 
unserer ganzen Art zu denken und zu fuhlen i 
diametral Entgegengesetztes zu geben vermag. 
Wir fuhlen uns am Widerstand gekraftigt und 
nehmen voll Verwunderung wabr, wie fern sich 
menschliche Anschauungsweisen zu stehen ver- 
mogen. Und die Empfindung dieser Distanz 
vergroftert unseren Gesichtskreis. 

Torrefranca ist ein sonst sehr ernster und 
ernst zu nehmender Musikgelehrter, der ubrigens 
langere Zeit in Deutschland gelebt hat und von 
deutscher Art wohl so manche starke Anregung 
erfahren haben mag. Er unternimmt in diesem 
Buch nichts Geringeres, als der heutigen Oper 
im allgemeinen und Puccini's Schaflfen im be- 
sonderen jede, aber auch jede kfinstlerische 
Daseinsberechtigung abzusprechen. Er tut das 
in einer Weise, die man am treffendsten als 
hahnebiichen bezeichnet, mit Ausflugen ins Un- 
sachliche, ins Personliche, die seinem Ansehen 
nur schaden mfissen und die heute glficklicher- 
weise zu den Seltenheiten gehoren. So spricht 
er von Puccini, den er grimmig haftt, in Aus- 
driicken, die bei dem ruhigen und unparteiischen 
Leser genau das Gegenteil des gewollten Effekts 
bewirken. Man nimmt ganz unwillkfirlich fur 
den Angegriffenen Partei. 

Torrefranca sieht in der Oper die Wurzel 
alles Obels, aller musikalischen Unkultur, in der 
wir stecken. Das mag fur Italien und die Italiener 
in gewissem Sinne zutreffen. Zum mindesten 
ist es fur die Italiener gut, wenn ihrem ein- 
seitigen Opernkult und dem Schaden, den er 
angerichtet haben mag, ein Gegner ersteht, einer, 
der energisch, meinethalben wenn's durchaus 
notwendig scheint, auch einseitig auf den hohen 
Wert reiner Instrumentalmusik hinweist. Fur 
uns, die wir fiber einseitige Pflege der Oper 
ganz und gar nicht zu klagen haben, trifft, was 
er in diesem Sinne, meist verallgemeinernd, 
formuliert, nicht zu. Immerhin sind diese seine 
Gedankengange wenigstens noch verstandlich, 
und man kann ihnen bedingt zustimmen. Man 
hort eben einen Italiener sprechen, der sich in 
der Welt und in anderen Kulturen umgesehen 
hat und der seinen lieben Landsleuten nun 
grundlich die Meinung sagt fiber ihre gedanken- 
lose und unkfinstlerische Affenliebe der nationalen 
Oper gegenuber. Naturlich wagt es Torrefranca 
nicht, Verdi ernstlich anzugreifen, so oft man 
bei ihm die Lust dazu verspurt. Er geht etwas 
scheu um diesen heiklen Punkt herum. Um so 
schonungsloser geht er daffir gegen die heutigen 
italienischen Operisten vor, und Puccini und 
seinem Schaffen gegenuberist ihm, wiegesagt,kein 
Wort der Verachtung und der Herabsetzung zu 
stark. Nicht nur gehort Puccini zu den kleinen 
Modegroften, die die Welle emportrSgt und rasch 
wieder hinabreiftt, zu den Lamenkunstlern, die 
das kleinliche, kitschige Kulturideal der Weibchen 
verkorpern, er wird auch als sk r Opel loser J3e,l^ - 
n::T*[.-'r::! " ! V V. it 3 ( ,)v It 

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macher geschildert, der seine winzige Hand- 
werksgeschicklichkeit schlau in den Dienst der 
Konstellation zu stellen weifi, der auf die niedrigen 
Instinkte der Vielzuvielen spekuliert. Seine 
Muse ist eine Kokotte, wie die Oper uberhaupt 
die „Kokotte der Literatur" ist. Alles ist halb 
an ihm, impotent, dekadent, er ist der typische 
Vertreter der Demimonde in unserer Kultur. In 
dieser Tonart geht so ziemlich das ganze Buch. 
Ich meine, das ist denn doch ein biftchen 
viel, ein biftchen sehr viel. Wir wollen uns 
naturlich hfiten, Puccini fur einen Heros zu 
halten. Wir wollen uns seinen Menschlichkeiten, 
den Grenzen seines Talents gegenuber wahrlich 
nichtblind zeigen, wollen uns nichtverhehlen, daft 
seine Kurve eher abwarts als aufwfirts geffihrt 
hat, daft seine Libretti nicht immer dem feineren, 
ja oft nicht einmal dem guten Geschmack gegen- 
uber standhalten, daft seine Diktion ganz und 
gar nicht frei von Manier ist. Und was derlei 
mehr sehr begrfindetermaften gegen Puccini ein- 
gewendet werden kann. Aber schlieftlich hat 
dieserMann doch die„Boheme a geschrieben. Und 
wenn er auch vielleicht nie mehr Besseres er- 
reicht hat, wenn die besten Momente in „Butterfly tt 
oder „Tosca a nur eben die Erinnerung an jenes 
frfihere Werk wachrufen mogen — aber auch 
sie enthalten ja Stellen, die ins tiefe Herz greifen, 
wie etwa Cavaradossi's Todesschrei „So starb 
ich hier in Verzweiflung und liebte doch so sehr 
das Leben" — in seiner „Boheme a zum allermin- 
desten hat sich Puccini als wirklicher und echter 
Dichter erwiesen. Wer das nicht ffiblt, dem ist 
eben nicht zu helfen. Gerade diese „Bob6me tt 
aber zerpflfickt Torrefranca schonungslos. Er 
begreift die Notwendigkeit der ausgelassenen 
lustigen Szenen im letzten Akt nicht, die doch 
so echt und stark zum Folgenden kontrastieren 
und gemeinsam damit so recht das Bild des 
bunten Lebensspiels ergeben mit all seinem Hin 
und Her von Freud und Leid. Er begreift nicht 
die Grofte von Mimis Abschiedsworten: „Sono 
andati? Fingevo di dormire," er begreift vor 
allem nicht — und das ist schlimm — die tiefe 
und echte Poesie des Orchesterepilogs, der 
Mimis Sterbegesang wortlos aber unendlich be- 
redt wiederholt, da der Mensch in seiner Qual 
verstummt und der Vorhang sich fiber einem Bild 
von erschiitterndem Weh schlieftt. Ja, wer derlei 
nicht fuhlt, dem ist eben nicht zu helfen. Uns 
anderen aber wird Puccini wert und lieb bleiben, 
weil er das gekonnt hat, auch wenn er nun nichts 
Erhebliches mehr zustande brachte, was zu be- 
dauern ware. 

Torrefranca's Buch ist ubrigens klug und 

geistvoll geschrieben. Ein Mensch von Bildung 

schaut aus ihm. Um so bedauerlicher bleibt's, 

daft der Autor die Grenze nicht fand. Dieses 

Buch kann niemand nutzen in der Richtung, in 

der es nutzen will, wohl aber einem schaden — 

dem Autor selbst. Dr. Ernst Neufeldt 

2. Robert Siebeck: Joh. Schultz, Ffirst- 

lich Braunschweigisch - Lfineburgi- 

scher Organist. (Publikationen der I. M. 

G., Beihefte, Zweite Folge, No. XII.) Verlag: 

Breitkopf & Hartel, Leipzig. (Mk. 5.—.) 

Siebeck hat mit dieser 191 Seiten umfassen- 

den Arbeit einen erwunschten Beitrag zur Ge- 

schichte der M^ilgiinaNfedtfYBachsen geliefert. 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 



Sein sorgfaitig gearbeitetes Buch gliedert sich 
in einen biographischen und einen analysieren- 
den Teil. Schultz war kein Meister hohen 
Ranges; er kann als Typ des Durchschnitts- 
Musikers seiner Zeit gelten. Er wurde 1582 in 
Luneburg geboren. Seine Wirksamkeit gehorte 
der Furstlichen „Hauptstadt" Dannenberg, einem 
kleinen Neste, woselbst er seinen Amtsvorganger 
Joh. Koch wahrscheinlich 1605 als Organist ab- 
loste. Kleinliche Verhaltnisse sind es, uber die 
wir unterrichtet werden. Gaben die Akten ein 
weniges mehr uber die kunstlerischen Verhfilt- 
nisse, so ware diese Darstellung auch leichter 
und erfreulicher gewesen. So wie die Dinge 
aber liegen, ist's ein ziemlich trockenes Neben- 
einander geworden, an dem Siebeck nur inso- 
fern eine Schuld trifFt, als er viele Belanglosig- 
keiten allzu breit debnt. Andererseits aber bringt 
er eine Fulle kulturhistorisch brauchbarer Zuge 
der Zeitgeschichte bei, so daft sich aus dem 
Ganzen doch deutliche Bilder ergeben. Das 
Leben eines solchen kleinstfidtischen Organisten 
war nicht eben leicht: die Hauptstelle bot wenig 
Gehalt; da gait es auf Nebenverdienst aller Art 
zu sinnen. Wer Juristerei studiert hatte, war 
wohl als Notar tfitig, andere verfafiten Carmina 
zu alien moglichen Gelegenheiten, wieder andere 
waren als Wirte tatig. Moglicherweise ist Schultz 
auch „provisor scholae* gewesen. Spaterhin war 
das Amt nachweisbar mit dem des Organisten 
verbunden. Siebeck geht nun den einzelnen Er- 
eignissen wfihrend Schultz' Dienstzeit mit grofler 
Sorgfalt nach und beleuchtetauch die Hamburger 
Verhaltnisse der Zeit, die ohne Frage durch ihre 
Bedeutung einen gewissen Ein flu ft auf das Stadt- 
chen Dannenberg gehabt, insbesondere die Un- 
zufriedenheit der dortigen Organisten gesteigert 
haben werden. 

1617 setzt der verhaltnismSGig kurze Ab- 
schnitt der produktiven Tatigkeit in Schultz* 
Leben ein; er endet bereits 1623. Dann folgen 
Jahre der Trubsal, finanzielle Note bedrangen 
den Armen, und nach jahrzehntelangem Kampfe 
beschliefit Schultz sein Leben in der furcht- 
baren Zeit des 30jahrigen Krieges. Nicht wie 
in Schutz hatte in ihm diese entsetzlichsten 
Jahre deutscher Geschichte eine Vertiefung des 
Gemutslebens, eine Verinnerlichung des geisti- 
gen Schaffens verursacht: nur noch einmal, 
anfangs der 40er Jahre, lebte seine Arbeitsfreude 
vorubergehend auf. Schultz endete sein „lang- 
wieriges, einsames, beschwerliches" Leben Mitte 
Februar 1653. 

Die groBere Haifte von Siebecks Arbeit be- 
schaftigt sich mit Schultz* Schaffen. Es er- 
streckte sich auf die weltliche und geistliche 
Komposition und umfaBt lnstrumentalstucke von 
1617 und 1622, Vokalsatze von 1622 und Mo- 
tetten von 1621, 1622, 1623 und 1645. Den 
Einzeluntersuchungen konnen wir hier nicht 
folgen. Sie bieten ein rein wissenschaftliches 
Interesse. Die Instrumentalsatze von Schultz 
enthalten in der Hauptsache Tanzstucke, die 
zwar ein strenges Festhalten an einer bestimm- 
ten Ordnung, aber keinen Suitencharakter er- 
kennen lassen. Die modernen Tonarten zeigen 
sich erst in der Andeutung. Die von ihm kom- 
ponierten Tanze sind die damals altmodischen, 
Paduane und Galliarde; Allemanden und Cou- 
ranten schrieb er noch, nicht. Tanzcharakter 



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haben diese Satze nicht. Imitierende Stimmfuh- 
rung ist fur die Sammlung von 1617 bezeicb- 
nend. Sie laBt erkennen, daB Schultz ein guter 
Kontrapunktiker war, der freilich sich nicht 
uberall geltend macht. Eines der weniger 
polyphon gehaltenen Stucke, eine Paduane von 
1617, macht bei aller Einfachheit der verwen- 
deten Kunstmittel einen vortrefflichen Eindruck 
(S. 102ff.). DaB Siebeck bei dem Orgelpunkte 
des Anfanges den „Rheingold tf -Orgelpunkt zitiert. 
war ubrigens uberflussig. Die w Fugen" Schultz > 
sind streng durchgefuhrte kanonische Arbeiten, 
andere lnstrumentalstucke sind Phantasieen und 
Kanzonen, unter denen eine chromatische 
Kanzone besonderes Interesse erweckt (S. 117 ff.). 
Sehr Hubscbes bieten die Reigen mit Nachtanz 
auf frohliche Texte (S. 122ff.). Madrigal und 
Villanelle haben hier ihren EinfluB geauBert. 
Im nachsten Abschnitte bespricht Siebeck zu- 
nachst die kirchlichen Motetten, deren Schultz 
eine groBe Anzahl schrieb. Interessant ist, daB 
der Zusammenhang mit den Kirchentonen, den 
er offenbar beabsichtigte, sich im Verlaufe der 
Stucke vielfach lockert; es uberwiegen, wie 
Siebeck zahlenmaBig feststellt, dorisch versetzt 
(g mit {?) und jonisch versetzt (F mit p). Nur 
selten ist der Kirchenton ganz eingehalten, in 
den Cantus "flrmus-Motetten. Indem Siebeck 
die Motetten des „Thesaurus" gruppiert, betont 
er, wie dieses Werk die verschiedenen Momente, 
die sich in der deutsch-evangelischen Kirchen- 
musik um die Wende des 16. und 17. Jahr- 
hunderts Geltung verschaflFten, nebeneinander 
aufweist: den niederlandischen Ursprung, die 
venezianische Technik und das deutsche geist- 
liche Lied, d. h. also, es erscheinen die reine 
niederlandische Imitationstechnik, die venezia- 
nische Art, ganze Klangkorper gegeneinander 
imitieren und konzertieren zu lassen, und eine 
dritte Technik, die vorwarts zur Monodie strebt, 
aber auf die einstige Herrschaft des Cantus 
firmus zuruckblickt. Der vorletzte Abschnitt 
von Siebecks schoner Arbeit behandelt Schultz' 
w Kasualmotetten M . Das Wort ist nicht schon. 
Gelegenheitsarbeiten oder Motetten zu beson- 
deren Aniassen hatte besser geklungen. 

Der SchluB zieht die Summe von Schultz' 
kunstlerischem Wirken. Vermag man sie mit 
den Ohren der Zeitgenossen zu horen, so 
werden Schultzens Werke auch heute noch Teil- 
nahme wecken, obwohl der Meister auch zu 
seiner eigenen Zeit schon etwas veraltet war. 
Er war bewuBt konservativ und hielt auch in 
AuBerlichkeiten Altes, von anderen Abgetanes 
bei. Im allgemeinen ist seine Harmonik einfach. 
Seine Stellung zu den Kirchentonen wurde be- 
reits betont, erst im Jahre 1645 fand Schultz 
voiligen AnschluB an die modern e Tonalitat. 
Schultz war nirgendwo ein Neuerer oder ein 
Experimentator; was er aber eriernte, das hat 
er auch vollig beherrscht. Seine Lebensum- 
stande haben sein Schaffen wesentlich beein- 
fluBt; sie haben ihn vielleicht gehindert, zu 
hoheren Zielen zu kommen, auf jeden Fall aber 
ihn auch davor bewahrt, in manchen Fehler seiner 
Zeit zu verfallen. 

Ich habe versucht, mit diesen Andeutungen 
ein Bild von dem Reichtume der Forschungs- 
arbeit Siebecks zu geben. Moge sie die gebuh- 
rende Be^f^fj^ Wilibald Nagel 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BESPRECHUNGEN (BOCHER) 



121 



3. Erich Klocke: Richard Wagners Par- 

sifal" an der Hand des Textbuches 
erklart. J. Woerners Verlag, Leipzig 1913. 
(Mk. 2.50.) 

Der Verfasser erzShlt mit seitenlangen Zitaten 
den Inbalt und knupft daran einige philosophische 
Auslegungen, die sehr allgemein und nicht immer 
klar sind. Kundry ist „die Menschheit". Die 
wilde Kleidung des ersten Aufzugs wird aber 
sonderbar als „tief symbolischer Hinweis darauf, 
dafi das Evangelium aus dem Orient in den Okzi- 
dent verpflanzt worden ist", gedeutet. Kundrys 
leidenschaftliche Liebe zum Erloser ist das 
mystische Sehnen der Seele nach Vereinigung 
mit Gott. Parsifal uberwindet sich selbst, kebrt 
sich aber von der Menschheit ab und gerdt auf 
Irrpfade. „Da nimmt sich die von ihm ver- 
stofiene Menschheit (Kundry) liebevoll seiner 
an* (namlich bei der FuBwaschung und Salbung). 
Nun wird Parsifal die Tat des Heilands klar, 
„die darin gipfelt, dafi er nicht nur sich selbst 
uberwand, sondern seine von auQen unuberwind- 
liche Personlichkeit in den Dienst der ganzen 
Menschheit stellte". Die Schrift ist voll Be- 
geisterung und in der Absicht verfaflt, zu 
tieferem Verstandnis des „Parsifal tt anzuleiten. 
Sie verliert sich aber ins Abstrakte und Allge- 
meine und lifit nichts von der dichterischen 
Schonheit des Werkes ahnen Sie gehort zur 
Gruppe der uberflussigen Abhandlungen uber 
Wagner, da sie unsere Kenntnis durch keine 
neuen Ergebnisse und Gedanken fordert und 
formlos ist. Wolfgang Golther 

4. G6za Revesz: Zur Grundlegung der 

Tonpsychologie. Verlag: Veit & Co., 
Leipzig 1913. (Mk. 4.—.) 
Man sollte nicht glauben, dafi es im Bereich 
der elementaren Tonempfindungen noch unge- 
loste Probleme gibt. Fur den Musiker steht 
z. B. die Ahnlichkeit, wenn nicht Gleichheit der 
Oktavtone eo ipso seit jeher fest, wihrend die 
Psychologen noch immer nach einem zureichen- 
den Grunde suchen. Diese und andere Fragen 
scheinen jetzt durch die experimentellen, auch 
das pathologische Geborsgebiet umfassenden 
Untersuchungen des Verfassers ihre Losung zu 
finden, nachdem hier bereits Fr. Brentano und 
W. Kohler bahnbrechend vorangegangen waren. 
Verfasser kommt namlich zu der Erkenntnis, 
dafi die Reihe einfacher Tone eine Empfindungs- 
reihe ist, die aus drei voneinander unabhSngigen 
(sogar isolierbaren) Reihen gebildet ist, der 
Qualititen-, Hohen- und Vokalreihe. Bei 
der musikalischen Tonreihe tritt jedoch die 
Vokaleigenschaft zuruck, so dafi diese Tonreihe 
vor allem durch die Verbindung der Qualitaten- 
und Hohenreihe entsteht. Die Ahnlichkeit der 
Oktavtone trotz ihrer Hohendifferenz wurde dem- 
nach durch die Gleichheit ihrer Qualitat zu 
erklSren sein, ebenso die Tonartencharakteristik 
durch die Verschiedenheit der TonqualitSten 
innerhalb der Oktave. Plausibel ist auch des 
Verfassers Unterscheidung von zwei Arten des 
sog. absoluten Gebors, namlich eines ange- 
borenen, nach TonqualitSten, und eines er- 
worbenen, nach Tonhoben urteilenden. Auf dem 
Zusammenwirken von Tonqualitat und Tonhohe 
beruht auch die Auffassung sukzessiver Intervalle 
(Melodieen), wShrend s i m u 1 1 a n e Intervalle durch 
den Verscbmelzungsgrad ihrer Tone charak- 



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terisiert werden. Bei der Umkehrung sukzessiver 
Intervalle stofit Verfasser auf Schwierigkeiten. 
Um zu erklSren, weshalb z. B. c l — e 1 (Terz) und 
c 1 — e° (Sexte) verschiedene, wenn auch ahnliche 
Intervalle sind, begnugt er sich nicht damit, die 
Ahnlichkeit durch die QualitStsgleichheit und 
die Verschiedenheit durch den Distanzunter- 
schied zu begrunden, sondern stellt er eine eigene 
Segmenttheorie auf, die den Sachverhalt unnotig 
kompliziert und mir uberflussig zu sein scheint. 
Was als drittes Kriterium bei der Intervall- 
umkehrung noch in Betracht kommt, kann doch 
nur der Richtungsunterschied sein, der sich 
auch bei der Umkehrung des Tritonus bemerkbar 
macht; vgl. die Wirkung von c l — fis 1 — g l und 
c 1 — fis°~g°, obwohl hier (bei temperierter 
Stimmung) Qualitfiten und Distanzen gleich 
bleiben. Unverstandlich ist mir ferner, wie ein 
und dasselbe Intervall in verschiedenen Hohe- 
gebieten verschiedene Distanz haben soil. Eine 
entsprechende Gehorsempflndung kann doch 
nur eine auf besonderen Ursachen beruhende 
Tauschung sein. Wenn z. B. der Verfasser meint, 
das Intervall a 1 — b° (absteigende gr. Septime) 
konne als A— Bi (also in defer Lage) sehr wohl 
als aufsteigende kl. Sekunde aufgefaBt werden, 
so liegt der Grund nicht in reeller Distanz- 
verminderung, sondern in dem starken Mit- 
klingen des Oktavobertones von Bi. 

Georg Capellen 

MUSIKALIEN 

5. Carl Ehrenberg: Vier Gesange mit 

Orchester oder Klavier. op. 16. 

(Mk. 4.—.) — Vier GesSnge. op. 17. 

(Mk. 4.—.) Zwei Gesange. op. 18. 

(Mk.2.50.) Verlag: F. E. C.Leuckart, Leipzig. 
Diese Gesange sind die Produkte eines ernst- 
strebenden Musikers, der sich freilich noch in 
der Entwickelung zu befinden scheint, und dem 
man den Rat geben mdchte, mit mehr Selbst- 
kritik und Konzentration an sein Schaffen zu 
gehen. Den gunstigsten Eindruck habe ich von 
den GesSngen op. 16, weil sie durch bestimmtere 
Zeichnung einen geschlosseneren Eindruck 
machen. In den anderen findet sich leider viel 
Phrasenhaftes. Die rezitierende Gesangsstimme 
basiert auf sehr kiihnen und frei ineinander 
gewobenen Harmonieen. Da esdem Komponisten 
an prMgnanten und charakteristischen Motiven 
gebricht, sucht er alles durch Ausdruck zu er- 
reichen, der sich aber nicht zu uberzeugenden 
Stimmungen verdichtet. 

6. Emil liiepe: Vier Gesange fur mitt- 

lere Stimme. op. 32. Verlag: „Eos a , 
Berlin-Schoneberg. (Mk. 2.50.) 
Gesange, bei denen die Naturlichkeit ange- 
nehm beriihrt. Es sind einfache, volksliedmSBige 
Verse, die sich der Komponist zum Vorwurf 
genommen hat, und es ist ihm gegluckt, die 
Musik ebenso zu gestalten. Man muB ent- 
schieden Talent fur das Volkstumliche bei ihm 
feststellen. So sind w Gro(imutterchen < * und 
„Klein Annemarei" ausgezeichnete Proben dafur. 
Auch das letzte: „Ach wuOt , ich's", obwohl 
etwas schwacher, gibt Zeugnis davon. Im „Ich 
sah einst ein Paradies** veriaflt er diese Bahn. 
Dann wird er konventionell und hat nicht mehr 
so viel Eigenes zu sagen* , £ 

6 UTiginal from 

1 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



122 



DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 



7. Heinrich G. Noren: Zwei Gesange 

mit Klavicr oder Orchester. op. 45. 

Verlag: „Eos a , Berlin-Schdneberg. (Mk. 1. — 

und 1.50.) 
Es sind Stucke eines tuchtigen Konners. In 
beiden macht sich aber eine merkwurdige Ab- 
gerissenheit und fortwShrende Unterbrechung 
des gesanglichen Melos bemerkbar. Auch solche 
Stellen, die logisch zusammengehoren, sind in 
der musikalischen Deklamation getrennt. Das 
gereicht dem Ganzen nicht gerade zum Vorteil 
und gibt der Gesangsstimme etwas Barockes. 
Der Klavierstimme merkt man es stellenweise 
an, daft sie wohl ursprunglich fur Orchester 
gedacht ist. Das erste, „Bluhen", ist das ein- 
fachere. Trefflich illustriert sind in „Aus- 
marsch" (Langheinricb) die abziehenden Soldaten 
und das in seinem Scbmerz zuruckbleibende 
Madchen. Es muft mit Orchester ein wirkungs- 
sicherer Gesang sein. 

8. Katnillo Horn: Lieder und GesSnge. 

Liebesweisen. op. 62, 63, 64. Verlag: 
C. F. Kahnt Nachf., Leipzig. (Mk. 15.20.) 
Siebzehn Lieder des Komponisten liegen vor. 
Sie sind alle gut gemeint, und der Verfasser 
glaubt gewift, eine grofte Tat vollbracht zu haben. 
Auch die Texte hat er selbst gemacht. Es sind 
arg dilettantische Verse, in denen sich alles 
sauber reimt, die aber uber einen Durchschnitts- 
kitsch nicht hinauskommen. Nicht viel besser 
ist die Musik. Sie gebardet sich modern und 
groftspurig, als wollte sie Wunder was aus- 
drucken. Es bleibt aber alles Phrase und trotz 
der vielen Noten — leer. Ein Stuck ist wie 
das andere. Man kann eben nur sagen: Weniger 
ware mehr gewesen. Was soil eine solche 
Massenfabrikation, mit der doch kein Eindruck 
zu erzielen ist? 

9. Emil Berk&: Sechs GesSnge fur eine 



Eos 



Berlin- 



Singstimme. Verlag 
Schoneberg. (Mk. 4. — .) 
Ein feinsinniger Liederkomponist stellt sich 
hier vor, dem in Texten von Storm und Eichen- 
dorff besonders die graziosen, etwas heiteren 
Stucke ausgezeichnet gelungen sind. Er schreibt, 
ohne in Obertreibung zu geraten, modern und 
bleibt stets sanglich. Der durchsichtige Klavier- 
satz spielt nie eine so grofte Rolle, daft er die 
Stimme uberwuchert und halt sich in solchen 
Grenzen, daft er auch von einem mittleren 
Spieler ausgefuhrt werden kann. Gewift spurt 
man den Einfluft Hugo Wolfs; aber was will 
das sagen bei so viel Schonem und Eigenem. 
Fur besonders erwahnenswert halte ich: „Durch- 
einander**, „Elfe tt und als das beste von alien 
„Der Kehraus". In diesem letzteren eint sich 
eine bedeutende Charakterisierungskunst mit 
leichtem, naturlichem Fluft der Musik. 

Emil Thilo 
10. Wilh. Friedemann Bach: a) Vier So- 
naten fur zwei Floten. Neuausgabe von 
Rudolf Tillmetz. (Zusammen Mk. 5. — .) 
b) Siciliano fiir Oboe, Fagott und 
Cembalo. Neuausgabe von Anton Beer- 
Walbrunn. (Mk. 2.-.) c) „Zerbrecht, 
zerreiftt ihr schnoden Bande." Aria 
per Soprano con Organo e corno obligato. 
Herausgegeben von Ludwig Schitteler. 
(Mk. 2. — .) Wunderhorn-Verlag, Miinchen. 
Diese Kompositionejq sind lohnende Aus- 



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KompositionejQ sind lohne 
Vr::! :v, ( lOOOlC 

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grabungen, die Ludwig Schitteler in dem SchafTen 
des unglucklichen Friedemann Bach unter- 
nommen hat. Die Erfindung flieftt namentlich 
in den Flotensonaten, von denen mir die erste 
und vierte (diese in einer Ausgabe fur zwei 
Violinen von Wilhelm Si eben) vorliegen, frisch 
und kostlich. Die beiden Instrumente bewegen 
sich meist in Nachahmungen und ergeben bei 
aller kunstsinnigen Fuhrung einen unge- 
zwungenen und wohlklingenden Satz. Die 
perlende Geschwatzigkeit der schnellen Sa*tze 
namentlich wirkt prSchtig. Sehr empfindungs- 
voll ist die Siciliane fur Oboe, Fagott und 
Cembalo, ebenso wie die Flotensonaten fur die 
Hausmusik vortrefflich geeignet. In der Sopran- 
Arie zeigt sich Friedemann Bach als Vokal- 
komponist ganz im Stil seiner Zeit, ein wenig 
schnorkelig, aber uberschwanglich im Ausdruck. 
Die Hand des Bearbeiters hat in diesen Kom- 
positionen nur bescheiden und stilvoll gewirkt, 
weshalb man das Unternehmen der Wieder- 
erweckung Friedemann Bachscher Kompo- 
sitionen freudig begruften kann. 

Walter Dahms 

11. Anton Bruckner: Intermezzo. Ein 
nachgelassener Streichquintettsatz. 
Verlag: Universal-Edition, Wien. 

Unstreitig gehort dieses Intermezzo in das 
einzige Kammermusikwerk Bruckners, in sein 
bekanntes Quintett fur zwei Violinen, zwei 
Bratschen und Violoncell; thematisch steht es 
sogar teilweise in engem Zusammenhang mit 
dem zweiten Thema des Finales; auch schlieftt 
es fast in derselben Weise wie das Scherzo. 
Ich mochte annehmen, daft der Meister statt 
dessen ursprunglich dieses Intermezzo ge- 
schrieben hat, daft es ihm aber spater nicht 
recht gefallen hat. Es ist aber sehr melodisch, 
wohlklingend und von gedrungenem Bau. Ich 
mochte empfehlen, wenn man das Quintett, sei 
es offentlich oder privatim, spielt, dieses 
Intermezzo hinter dem wunderbaren Adagio 
einzuschalten. 

12. J. G. Mraczek: Quintett Es-dur fur 

Klavier, 2 Violinen, Bratsche und 
Violoncell. Verlag: Universal -Edition, 
Wien. 
Dieses Klavierquintett kann aufs warmste 
empfohlen werden. Herrliche melodische Ein- 
falle werden in feiner Verarbeitung darin ge- 
boten; auch die knappe Form und der ganze 
Aufbau ist hochst bemerkenswert. Die Harmonik 
ist modern, eine gewisse Unruhe in der Modu- 
lation hangt damit zusammen. Fiir die Streich- 
instrumente ergeben sich aus dem fast standigen 
Gebrauch der Versetzungszeichen und der Vor- 
liebe fiir 7 Bs manche Intonationsschwierig- 
keiten. Der erste Satz wirkt besonders durch 
seinen ungesuchten melodischen Fluft und die 
Pragnanz der Themen sehr gewinnend. Sehr 
stimmungsvoll und von eigenartigem melodischen 
Geprage ist der„Legende u betitelte langsame Satz. 
Voll prickelnden Ubermuts ist das Intermezzo, 
das auch rhythmisch durch die Kombination von 
" h und 3 u Takt bemerkenswert ist. Ein ungemein 
schwungvolles, gedankenreiches Finale bildet den 
glanzenden Abschluft dieses Werkes, das im 
Konzertsaale immer groften Erfolg haben und 
beim hauslichen Musizieren stets Freude und 
GenulL-bereiten, durfte. Wilhelm Altmann 

Original from 
UNIVERSIWOF MICHIGAN 



KRITIK 



OPER 

BERLIN: Ruhe vor dem Sturm. Kleine Proben 
vor der groften Kraftprobe, die Wagner gilt. 
So wenigstens stellt sich die Opernspiellage dort 
dar, wo die neue Rustung in Bereitschaft ge- 
halten wird: im Deutschen Opernhause. 
Die Neuerung der Saison ist: wir werden mit 
LesestofF uberfuttert. Program mbucher sind ent- 
standen, von einer Redseligkeit, die nicht immer 
Freundliches verheiftt. Sollte auch darin Richard 
Wagner seine Schatten vorauswerfen? Nun zu 
den Taten: man gab „Lobetanz a von Ludwig 
Thuille, eines von den Intermezzi in der Opern- 
musik, die notwendig sind, um das Genie vor- 
zubereiten. Sie sind nur lebenskraftig, wenn sie 
stark auf die Instinkte wirken. Thuilles Musik 
leidet an einem Ubermafi von Weichteilen. Man 
schiebt das auf den Bierbaumschen Text. Aber 
der Komponist wfihlt ihn, weil er Saiten in ihm 
erklingen lafit. Er kommt von der Wagner- 
Begeisterung nicht los. Er verfugt nicht fiber 
den groften Schmelztiegel der Personlichkeit. 
Das ist alles so hubsch und liebenswurdig, daft 
man dem zart empfindenden Menschen ein 
besseres Los wunscht. Aber es darf nicht ver- 
schwiegen werden, dafi gute deutsche Lieder- 
tafelei mit einem Orchester von urepigonenhafter 
Farbe die Grundnote ist. Zuweilen hebt sich das 
Niveau, wie in der Kerkerszene. Auch dies wurde 
uns geschmackvoll geboten. Denn Krasselt 
dirigierte; Konzertmeister Wladislaw Waghalter 
erschmeichelte sich mit seinen Monologen die 
Gunst des Publikums. Die Szenerie, von Gustav 
Wunderwald entworfen, bot von Akt zu Akt 
erfolgreicherihre Oberredungskunstauf. Kuppel- 
horizont und Beleuchtung paarten sich schliefilich 
zum echtesten Marchenton. Und Alexander 
Kirchner, der ausgezeichnete Tenor mit emp- 
findlicher Stimme, Lulu Kaesser, die an- 
genehme Prinzessin, die sich von diesem Lobe- 
tanz behexen lafit, stachen den fast clownhaften 
Konig aus. Dr. Hans Kaufmann leitete das 
Buhnenspiel. Es entflieht dem GedSchtnis. — 
Im Koniglichen Opernhaus ein belangloses 
Gastspiel in „Madame Butterfly". 

Adolf Weifimann 

KONZERT 

T3ERLIN: In technischer Hinsicht hat die 
" Geigerin Irma Seydel viel gelernt, aber an 
Beethovens Konzert sollte sie sich nicht wagen, 
da sie dessen geistigen Inhalt noch nicht aus- 
zuschopfen vermag. Zu tadeln ist auch, dafi 
sie auflerdem gleichfalls zwei so oft von ersten 
Kraften gespielte Werke, wie Vieuxtemps' Viertes 
und Bruchs Erstes Konzert, zum Vortrag gewahlt 
hat. — Gleichfalls mit Begleitung des Philhar- 
monischen Orchesters liefi sich der etwa 15jahrige 
Mischa Violin horen, der ein ausgesprochenes 
Geigertalent ist und schon jetzt zu den besten 
Vertretern des jungeren Geigergeschlechts zahlt, 
zumal er auch im Vortrag keineswegs etwa nur 
Angelerntes bietet und einen sehr ausgeglichenen, 
feinen Ton hat. Besonderen Dank verdient 
er dafur, dafi er dem 9. Konzert von Spohr zu 
neuem Leben verhalf. — Die tuchtige Triover- 
einigung der Herren Bronislav von,, Pozniak 



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Hans Bassermann und Heinz Beyer (dessen 
Ton meist gar zu klein ist) verzichtete in ihrem 
ersten Konzert leider auf eine Neuheit, brachte 
aber wenigstens zwischen dem Brahmsschen 
Trio op. 8 (Neue Ausgabe) und dem Schubert- 
schen op. 99 drei kleine Satze aus dem 5. Kammer- 
konzert von Rameau zu trefflicher, fein abgetonter 
Auffuhrung, wobei ein sehr wohlklingendes 
Cembalo der Firma Ibach benutzt wurde. 

Wilhelm Altmann 

Das Journal „Paris-Berlin a veranstaltete in 
der Philharmonie eine Matinee zu Ehren Camille 
Saint-Saens', bei dem ausschliefilich Kompo- 
sitionen des franzosischen Meisters zu Gehor 
kamen. Man hatte vollauf Gelegenheit, die ganz 
erstaunliche korperliche wie geistige Frische und 
Elastizitat des Achtundsiebzigjahrigen zu be- 
wundern, der sich als Dirigent, Klavierspieler 
und Begleiter am Fliigel betUtigte. Die geschickte 
Auswahl der Werke bot einen trefflichen Ober- 
blick iiber das Schaffen des Tonsetzers auf in- 
strumentalem Gebiet, auf dem er wohl sein Be- 
deutendstes geleistet hat. Seine klassizistisch- 
romantische Pfade wandelnde, Glatte der tech- 
nischen Arbeit, Pragnanz des Ausdrucks und 
leichten Fluli der melodischen Erfindung auf- 
weisende a-moll-Symphonie ist fur Saint-Saens* 
Wesensartebensobezeichnendwieseine Phantasie 
w Afrika a und seine Walzercaprice „Wedding- 
Cake a fur seine bemerkenswerte Fahigkeit in 
der Verwertung exotischer Melismen. In diesen 
beiden StCicken spielte der Kunstler mit vollen- 
deter Meisterschaft den Klavierpart. Henri 
Mar tea u spendete das h-moll Konzert; zwei 
Gesangen war Claire Dux eine stimmlich aus- 
gezeichnete, im Vortrag uberaus geschmackvolle 
lnterpretin. In die Leitung des Philharmoni- 
schen Orchesters teilten sich neben dem 
sturmisch begruBten und wahrend der ganzen 
Veranstaltung mit auQerordentlicher Herzlichkeit 
gefeierten Gast noch die Herren Oskar Fried 
(Ouverture w Les Barbares") und Marienhagen 
(Violinkonzert). Willy Renz 

Else Mendel (Violine) konzertierte mit dem 
Philharmonischen Orchester. Das Programm 
enthielt drei Nummern (Konzert A-Dur von 
Mozart, Chaconne von Bach und das Konzert 
von Beethoven). Alle drei Werke sind so recht 
geeignet, einem Geigenkiinstler in vollstem Mafie 
Gelegenheit zu geben, sowohl sein technisches 
Konnen als auch sein musikalisches Seelenleben 
zu zeigen. Die stellenweise noch recht mangel- 
hafte Technik der Violinistin versagte ihr von 
vornherein einen Erfolg, aber auch die technisch 
weniger schwierigen Stellen kamen — vielleicht 
infolge starker Befangenheit — nicht so tonschdn 
heraus, wie man es von einer Solistin, die sich 
der Begleitung unseres Philharmonischen Or- 
chesters bedient, verlangen mufi. Ich glaube gern, 
dafi die Kunstlerin in bescheidenerem Rahmen 
ihrer Aufgabe gewachsen ist. — Annie Mane 
hat vielleicht vor Jahren einmal bessergesungen; 
jetzt klingt ihre Stimme schon sehr abgenutzt, 
ihr ist daher ein weiteres offentliches Auftreten 
nicht mehr anzuraten. — Im 5. Einfiihrungs- 
Konzert diplomierter Kunstler des Verbandes 
konzertierender Kunstler Deutschlands 
lieBen sich Hilde Mosebach (Rezitation) und 
Walt Jaeger (Klavi^rj horen .^ Der Pianist spielte 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



124 



DIE MUSIK XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 



die Variationen uber „Weinen und KIagen a von 
Liszt mit ansehnlicher Technik, ohne jedoch den 
geistigen Inhalt dieses Werkes auszuschopfen. 
Frl. Mosebach ist ein ausgesprochenes Vortrags- 
talent. Wenn sie ihrer Stimme im Forte noch 
mehr Kraft zu geben vermag, durfte sie sicher 
ihren Weg als Rezitatorin machen. 

Max Vogel 
Der Verband der konzertierenden 
Kunstler Deutschlands, der es sich zur 
Aufgabe gemacht hat, jungen Kunstbeflissenen 
unter Umgehung des oft angegriffenen Agenten- 
tumes die Wege zur Offentlichkeit zu ebnen, 
gab sein 1. Ein fun rungs konzert. Trotzdem 
die Verbandsleitung sagt, daB sie nur solche 
Krafte einfuhren will, die von Fachmannern 
ausgewShlt wurden, und denen man eine gl&nzende 
Entwickelung prophezeihen kann, war das, was 
am ersten Abend geboten wurde, doch nur guter 
Durchschnitt. Allen Debutanten merkte man das 
Anfangertum noch zu sehr an. Ella Becht 
(Sopran), Henriette Friedrichs-Bohmer (Alt) 
und Otto Hecke (Tenor) haben schone, bis auf 
weniges gut kultivierte Stimmen, w&hrend das 
Geistige ihrer Wiedergaben noch manchen 
Wunsch offen laBt. Auch die Violinistin Juanita 
Norden macht von dem oben Gesagten keine 
Ausnahme; man kann auch bei ihr noch nicht 
von reifer Kunst sprechen. — Die Berliner 
Tonkunstler-Versammlung beschloB ihre 
Tagungen mit einem sehr interessanten Fest- 
konzert. Zuerst erklang eine Symphonie von 
Friedrich dem GroBen, ein dreiteiliges Werk 
fur Streichorchester und Cembalo. Man war 
freudig uberrascht durch die wurdigen, an den 
besten Meistern der damaligen Zeit gebildeten 
Gedanken und durch die imponierende Arbeit. 
Danach kam die erste vollstftndige Auffuhrung 
von Seb. Bachs „Das musikalische Opfer tt , 
jenes kunstvollen Werkes, das durch ein Thema 
Friedrichs des GroBen angeregt wurde. Fur das 
Werk, in dem Bach seine ganze ungeheure 
Kunstfertigkeit in Fuge und Kanon zeigt, und 
das eine Auffuhrungsdauer von einer Stunde 
beansprucht, wird sich wohl das groBe Publikum 
weniger erwBrmen; aber fur musikalische Fach- 
leute war es doch ein seltener Leckerbissen, 
das Ganze einmal zu horen. Zuletzt erschien 
das schon mehrfach aufgefuhrte Oktett des 
Prinzen Louis Ferdinand von PreuBen, das 
wieder von der hervorragenden Begabung seines 
Autors zeugte. An den Auffuhrungen waren 
beteiligt: Ella Jonas-Stockhausen (Klavier) 
und die Herren Bassermann (Violine), Heese 
und Lenzewski (Bratsche), Fr. Becker (Cello), 
Schunemann (FIdte), Schubert (Klarinette), 
Skibicki (KontrabaB), Rembt und Stengel 
(Horn), Seiffert (Cembalo) und ein von Gustav 
Lenzewski geleitetes Streichorchester. — Der 
Baritonist Franz Eg6nieff zeigte in seinem 
Liederabend wieder seine reife Kunst, mit der 
man sich immer einverstanden erklaren muB, 
trotzdem er diesmal mit einer kleinen Indis- 
position zu kampfen hatte. Zwei Gesange seines 
ausgezeichneten Begleiters Jeno Kern tier ver- 
dienten den groBen Beifall, der ihnen zuteil 
wurde. — Von dem Pianisten Hugo Kander 
horte ich das B-dur Konzert von Brahms, das 
von dem Philharmonischen Orchester unter 
Xaver Scharwenka begleitet wurde. Der 



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Pianist ist blind. In Anbetracht dessen muB 
man seine Leistung als sehr bedeutsam be- 
zeichnen, wenn es auch manchmal an ganz 
prazisem Zusammenspiel der Ausfuhrenden 
fehlte. Sechs Liedern des Konzertgebers, die 
eine groBe Begabung erkennen HeBen, war Leo 
G oil an in ein guter Interpret. — Mary Mora 
von Goetz verfugt fiber eine schone, gut ge- 
bildete Mezzosopranstimme, die besonders im 
piano einen groBen Reiz ausubt. Ein Tremolo, 
das sich hin und wieder bemerkbar macht, wird 
sich leicht abstellen lassen. — Das Bluthner- 
Orchester gab sein Eroffnungskonzert unter 
Leitung von Bruno Weyersberg. Dieser aus- 
gezeichnete Dirigent brachte mit der h-moll 
Symphonie von Schubert und Liszts „Hunnen- 
schlacht" Auffuhrungen zustande, an denen man 
seine Freude haben konnte. Ein interessantes 
und pikant instrumentiertes Stuck lernte man 
in der zum erstenmal aufgefuhrten Scherzo- 
Caprice von Oscar Nedbal kennen. Paul 
Schramm (Klavier), Alfred Ernst (Harfe) und 
Hans Winter (Orgel) waren hervorragend am 
Konzert beteiligt. Emil Thilo 

Wenig erfreulich waren die Resultate des 
2. Einfuhrungskonzertes von diplomierten Mit- 
gliedern des Verbandes der konzer- 
tierenden Kunstler Deutschlands. Was 
wir zu horen bekamen, trug durchweg den 
Stempel talentloser MittelmiBigkeit und HeB 
weder kunstlerische Eigenart noch uberdurch- 
schnittsmaBigeMittel erkennen. Elisabeth Lange 
spielte die Mozartschen D-dur Variationen her- 
unter, recht und schlecht, technisch leidlich aus- 
reichend, aber ohne Innerlichkeit und Ver- 
standnis fur die Scbonheit des Mozartschen 
Melos, und doch war es noch nahezu die beste 
Leistung des Abends. Der As-dur Sonate von 
Beethoven war sie ubrigens noch nicht gewachsen. 
Erna Piltz zeigte in einer Serie moderner Lieder 
eine schmachtige, wenig reizvolle Sopranstimme, 
deren Schulung noch keineswegs als beendet 
anzusehen ist. Fast dasselbe gilt von der Altistin 
Martha Niemann, obwohl sie das klangvollere 
Organ besitzt. Immerhin waren auch ihr noch 
energische Fachstudien anzuraten. — Ein uppiges, 
nur nicht fur den Konzertsaal erzogenes Sopran- 
material zeigte Agnes Nering, die sich in einer 
Arie aus „HaIka* von Moniuszko zwar als tem- 
peramentvolle, aber technisch doch noch nicht 
reife Sangerin zeigte. DaB ihr, der Auslanderin, 
die Aussprache des Deutschen in Brahms' 
w Zigeunerliedern u viele Schwierigkeiten machte, 
sei nur nebenbei erwahnt; bedenklicher sind die 
vielen flachen und gedruckten Klange in der 
Mittellage und die oft recht unkunstlerische 
Atemfiihrung. — Therese Gindras stimmliche 
Beanlagung wie ihr kunstlerisches Konnen recht- 
fertigte keineswegs ihr Auftreten in Berlin. — 
Was Elfriede Goette gerade in letzter Zeit durch 
unermudlichen FleiB und ernstes VorwSrtsstreben 
zugelernt hat, ist ganz bemerkenswert. Auch ihre 
Stimme schien mir grSBer und freier denn je. 
Glanzvoll und doch weich in der Hone, zeigte 
sie auch in den tiefsten Lagen, in die sich sonst 
eigentlich nur Altistinnen verirren, wohltuende 
Fiille und warmes Timbre. Auch in der jetzt 
viel pragnanteren Aussprache waren Fortschritte 
zu erkennen, und ihre sichere und ruhige Atem- 
fiihrung ist von ieher ein besonderer Vorzug 

Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



125 



ibres Gesanges gewesen. — Einen freundlichen 
Erfolg erspielte sich die junge Gcigerin Marie 
Caslova. Ihre Technik ist schon recht hubsch 
entwickelt und zeigte Sauberkcit in den Passagen 
und Temperament im Vortrag. Weniger gut ist 
es urn Bogenfuhrung und die damit verbundene 
tonlicbe Fulle bestellt; bier gelang es der Kunst- 
lerin nur in bescheidenem MaBe zu genugen, 
besonders was sinnliche Schonheit und GroBe 
des Tons betrifft. Immerhin ein Talent, das 
Aufmunterung verdient. Emil Liepe 

Gemeinsam konzertierten der Geiger Joan 
Man6n, von Walther Meyer-Radon begleitet, 
und der Pianist Richard Buhlig. Ersterer 
spielte Bruchs „Schottische Phantasie" und die 
„Teufelstrillersonate a von Tartini. Die Phantasie 
lieB im Vortrag eine gewisse Kuhle zuruck. 
Nur die Episoden und Teile der langsamen 
Tempi traten aus dieser Reserve heraus. An- 
scbeinend hatten sich die Konzertanten noch 
nicht ganz zusammengefunden. Die Sonate aber 
und nachher die kleineren Stucke von Senaille 
und Gluck zeigten Man6n in unverminderter 
Meisterschaft seines Instrumentes. Die 32 Va- 
riationen c-moll von Beethoven spielte Buhlig 
zwar technisch brillanr, jedoch so sehr ohne 
inneres Verstindnis, daB der Vortrag dieser 
Meistervariationen zeitweise zu einem wenig 
musikalischen Getose ausartete. Ghopin liegt 
ihra besser, jedoch vermiBte man da sehr die 
Weichheit des Anschlags. — Der sehr talentierte 
Geiger Sascha Culbertson gab einen Sonaten- 
abend. Zum Vortrag brachte er — unter- 
stutzt von Otto Nikel, der ein ganz vorzug- 
licher Kammerpianist zu werden verspricht — 
Brahms' op. 108 in d, Regers Solosonate in B, 
Mozarts bekannte in C und Beethovens „Kreutzer- 
sonate". Das Technische uberwiegt bei beiden 
aber noch zu sehr, um unbedingt als ernste 
Musik w an sich" aufgefaBt zu werden. Die 
kapriziose Art beispielsweise, wie die beiden 
das „Un poco presto e con sentimento" 
bei der Brahmsschen d-moll Sonate „inter- 
pretierten", entspricht ganz und gar nicht 
den Intentionen des Komponisten. Die Reger- 
schen Knifflichkeiten manueller und bogentech- 
nischer Art, wie auch im Tempo, uberwand Cul- 
bertson spielend. Teilweise hoch Anerkennens- 
wertes leisteten aber beide in Beethovens be- 
ruhmter A-dur Sonate, besonders im Andante 
con variazioni. — Arthur Egidi gibt in der Paul- 
Gerbardt- Kirche in Schoneberg drei Orgel- 
Konzerte, die dadurch ein besonderes Interesse 
beanspruchen durfen, dafl die von Furtwangler 
& Hammer (in Hannover) erbaute Orgel ein 
selten gut gelungenes Exemplar moderner Orgel- 
baukunst darstellt. Die Klangqualitat ist auf 
den einzelnen Manualen und im Pedal, wie auch 
in den verschiedentlichsten Kombinationen und 
im Tutti eine durchweg hervorragende. Die so- 
genannten Charakterstimmen dieses Werkes sind 
von durchaus origineller Farbung. Jedoch das 
Schmerzenskind aller Orgelbauer, die Vox hu- 
mana, ist auch hier nicht ausgeglichen wohl- 
klingend. Die leidige nasale Farbung verdirbt 
den GenuB, besonders im harmonischen Zu- 
satnmenklang, nicht unbetrfichtlich. Die Ton- 
quantit§t wurde vom Erbauer in ein ange- 
messenes Verhiltnis zum Kircbenraum gebracht. 
Jeglicbes .Oberschreien" der Tonmassen im 



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Tutti ist vermieden worden; durch die iiberaus 
sinnreiche Anlage der Registrationsmechanik ist 
es dem Spieler unbedingt ermoglicht, den Re- 
gisterwechsel vollig selbstandig zu bewirken, 
was meines Erachtens fur ein kunstlerisch 
vollendetes Orgelspielein unerlaBlichesErforder- 
nis ist. Jedenfalls ist dies wohl ein leitender 
Gedanke bei Aufstellung der Disposition gewesen. 
Und Egidi bewies mit seiner uberaus schwieri- 
gen Registrierung, daft es dem Erbauer vollig 
gelungen ist, dies kunstlerische Prinzip zu reali- 
sieren. Max Regers Variationen und Fuge uber 
ein Originalthema, op. 73, gab dem Konzertgeber 
vollauf Gelegenheit, seine bedeutende Registrier- 
gewandtheit im hellsten Lichte zu zeigen. Fast 
mehr noch in den von Tilly Koenen mit 
sonorer Stimme und gutem Vortrag interpretier- 
ten „Vier ernsten Gesangen" von Brahms, deren 
Begleitung Egidi auBerst wirksam zu Gehor 
brachte. Nur eines wirkte storend: die zu kurz 
genommenen Vs-Noten und Akkorde zum SchluB 
der verschiedenen Phrasen. Die bewunderns- 
werte kontrapunktische Feinarbeit Regers in 
seiner Phantasie und Fuge fiber B-A-C-H, op. 46, 
beschloB den Abend. Ich muB sagen — nicht 
restlos befriedigend. War schon in der Phan- 
tasie das Tempo ein wenig sehr „improvi- 
sierend", um so mehr fiel es mir auf, daB Egidi 
in der Fuge sehr willkurlich vorging und den 
Haupteffekt, die permanente Steigerung des 
Tempos (Reger selbst schreibt vor: ' =» 50, 
^ = 52, a = 54 usw. usw. bis ^ = 140), sich auf 
diese Art entgehen lieB. Dadurch wirkt ja das 
Werk so grandios. — Maurice Porges wird sich 
noch betrachtlich vervollkommnen mussen, ehe 
man seinem Cellospiel einen ungetrubten Ge- 
nuB abgewinnen kann. Es steckt alles noch zu 
sehr im Milieu einer guten Konservatoriums- 
leistung. Gute musikaliscbe und technische An- 
lagen sind vorhanden. Bach sollte er vorliufig 
ganz im offentlichen Vortrag meiden. Jegliches 
Verstandnis fur polyphone Stimmfuhrung fehlt 
ihm vorlaufig. Vielleicht nimmt er sich ein Bei- 
spiel an seinem Begleiter (dessen Name das 
Programm merkwurdigerweise verschwieg) 
Willi Bardas, der seinen Part mit Akkuratesse 
und feinem Geschmack durchfuhrte. 

Carl Robert Blum 

Der Klavierabend von Gertrud und Hilde 
Vietor (Vortrage auf zwei Klavieren) war 
wohlgelungen. Das Zusammenspiel der jungen 
Pianistinnen war gut ausgeglichen. Die Technik 
ist trefflich durchgebildet. Warum jedoch Akkorde, 
Oktaven mit vollig steifem Unterarm heraus- 
gehauen werden, ist mir nicht recht verstandlich, 
da doch die ganze Schwungkraft der Arme, ver- 
bunden mit einer leichten Fixation, einen viel 
volleren und weicheren Ton erzielt, wahrend jede 
Steifheit und Eckigkeit keine runde und voile 
Tongebung gestatten. Von den zum ersten Male 
vorgetragenen Kompositionen von Sin ding 
(Andante op. 41 — 1) und Hugo Kaun (Erste Suite 
[Markische] op. 92) kann ich nur der letzteren 
Anspruch auf weitere Empfehlung angedeihen 
lassen. — Alwyn Browne hat weder freien 
groBen Ton noch Warme und Tiefe. Bleibt die 
Technik. Ihre Art und Weise ist die von Busoni, 
ohne jedoch auch nur im geringsten an deren 
innere Erfassung zu reichen. Eine Nachahmung, 

Original from 
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



126 



DIE MUS1K XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 



wie cs hier offensichtlich der Fall war, noch 
dazu eine solch pragnante wie von Busoni, sollte 
man lieber sein lassen, zumal dem Nichteigen- 
tumer des anderen Eigentum verderblich werden 
kann. — Michael von Z adora weiB wohl besser 
seines Meisters technische Errungenschaften zu 
ergrunden. Dennoch kalt und gefuhllos. Reine 
Verstandesarbeit zeitigt keinen Kiinstler. Von 
einer Naturlichkeit der Spielbewegung muB man 
schweigen, da alles aus festen und gesetzten 
Formen entwickelt wird. — Kurt Schubert hat 
seine Starke in den kleinen Formen. Gestaltungs- 
kraft, Schwung und Begeisterung sind ihm fremd, 
desgleichen eine Technik, gebildet aus den freien, 
schwingenden Bewegungen. Der akademisch ge- 
bildete Musiker laflt den Kunstler nicht auf- 
kommen. Hanns Reiss 

Im 4. „Einfuhrungskonzert M des Dussel- 
dorfer Kunstlerverbandes sang die Altistin 
Emmy Schaum Lieder von Schubert, Brahms 
und anderen. Ihre umfangreiche Stimme klingt 
in der Hone glanzend, in der Tiefe jedoch flach 
und gaumig. AuBere Korrektheit des Vortrags 
konnte den Mangel an Innerlichkeit nicht ver- 
decken. Die Sopranistin Elisabeth Gutzmann 
hat offenbar fleiBig studiert, mutet ihrer kleinen, 
angenehmen Stimme aber zuviel zu; immerhin 
gelangen ihr ein paar heikle Koloraturen recht 
gut. Der Baritonist Peter Lambertz ist ein 
intelligenter Sanger, doch fehlt seinem Organ 
vorlaufig noch jede feinere Stimmkultur. Seine 
Vortrage wurden von einer jungen Dame am 
Flugel begleitet, die zwar viel Eifer aber wenig 
Treffsicherheit zeigte und zudem ihr Fufichen 
selten rechtzeitig vom Pedale nahm. — Der 
Pianist Josef Kniimann, der mit dem Bluthner- 
Orchester konzertierte, gehort zu den vielen 
Klavierspielem, die man „um ihrer Hande Arbeit 
willen a loben muB, ohne ihre musikalische 
Leistung hoch bewerten zu konnen. Bei Chopins 
f-moll Phantasie z. B. war das Tempo vollig 
verfehlt und der Rhythmus ganz verschwommen; 
vom 127. Takte ab ist iibrigens piano und nicht 
fortissimo vorgeschrieben. Besser gelang die 
Wiedergabe eines uberaus langweiligen und in 
der Erfindung unselbstandigen Konzerts von 
Balakirew. Der Konzertgeber sollte bestrebt 
sein, die einzelnen Finger noch unabhangiger 
voneinander zu machen, damit es ihm gelingt, 
das thematisch Wichtige uberall plastisch heraus- 
zuarbeiten. Richard H. Stein 

Ich borte das 3. Einfuhrungskonzert des Ver- 
bandes der konzertierenden Kunstler 
Deutschlands. Offen gestanden — ich halte 
nichts von diesen Bestrebungen; ob die Kunstler 
nun ihr Geld den Berufsagenten geben oder 
den Angestellten des Verbandes, das ist doch 
gleichgultig. Ich fiirchte, es wird eine Zucht- 
statte fur mittelmaBige Talente werden. Und 
dann der „diplomierte Kunstler"! Eine Kunst, 
die ein Diplom braucht, um Kunst zu sein, ist 
eben keine Kunst. Die drei Konzertgeber waren 
noch nicht reif fur die Offentlichkeit. Robert 
Broil hat wohl einen ganz hubschen Tenor, 
aber erstens mufi er den Mund weiter aufmachen, 
zweitens darf er die Kopfresonanz, bzw. die Mit- 
wirkung des Nasenrachenraumes nicht durch 
eine allzu nasale Tongebung erzwingen wollen, 
drittens muB er mit etwas mehr Temperament 
und Begeisterung an eine Aufgabe herangehen. 

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J":;t':l^j 



Wilhelmine NuBle hat keinen Alt, wie sie glaubt, 
sondern einen Mezzosopran, dessenTiefe forciert 
und kunstlich gezuchtet ist. Der Obergang zur 
Mittellage ist fast noch gar nicht ausgebildet; 
Phrasierung und kunstlerische Durcharbeitung 
laBt zu wunschen ubrig. Margarete Kraufi, 
eine Rezitatorin, hatte zwar ihre Sachen recht 
gut gelernt, aber ihr Organ ist doch wohl fur 
groBere Aufgaben nicht geschaffen; es ist zu 
reizlos und zu wenig modulationsf3hig. Das 
Beste am Abend war die feinsinnige Begleitung 
der nicht „diplomierten a Frau Lachmannski- 
Schaul. — John J. Blackmore stellte sich 
dem Publikum als Klavierspieler vor, mit wenig 
ErfoIg,denn eine allzu groBe Befangenheit hinderte 
ihn an der Entfaltung dessen, was er vielleicht 
kann. So stand er der Es-dur Sonate von 
Beethoven op. 31 fast fremd gegenuber und 
wuBte ihr nichts von der frohlichen Buffolaune 
einzuhauchen, die durch das Ganze webt. Da 
sein Ton im piano nicht tragt und seine Technik 
nicht reif und zuverlassig ist, so gewahrten seine 
Chopin-Vortrage erst recht keinen GenuB. — Was 
ist dagegen Jascha Heifetz fur eine geradezu 
unheimliche Erscheinung; mit derselben paus- 
backigen Gesundheit, mit der er vor uns stent, 
geigt er auch; dieses Uber-der-Sache-Stehen, 
der Schwung und SchmiB seines Vortrages, die 
Treffsicherheit und Reinheit bis in das hochste 
Flageolet und bei den schwierigsten Doppel- 
griffen — wie gesagt, es ist unheimlich! 

Max Burkhardt 

BRESLAU: Die Stadt Breslau hat zur Er- 
innerung an die Befreiungskriege, die hier 
ihren Anfang nahmen, mit einem Kostenauf- 
wande von mehreren Millionen Mark eine Halle 
errichtet, die als die groBte derWeltangesprochen 
werden kann und die in ihrer gewaltigen Kuppel- 
Spannweite alle ahnlichen Baudenkmfiler der 
Welt weit ubertrifff. Diese J ahrhunderthalle, 
wie sie hier genannt wird, hat bei den ver- 
schiedenen Festiichkeiten zur Verherrlichung 
der grofien Zeit vor 100 Jahren auch zu einer 
ganzen Reihe musikalischer Auffuhrungen ge- 
dient, und sie hatdabei scharfe akustische Proben 
bestehen mussen. Das gesprochene Wort ist 
auch bei mittlerer Stimmkraft des Redners klar 
zu verstehen. Im Orchester behaupten sich, 
wie zu erwarten war, am besten die Blechinstru- 
mente. Die Geigen bekommen nur in sehr 
starker Besetzung den eigentlichen Geigenglanz; 
in schwacher Besetzung klingen sie matt. Von 
den Holzblasern klingen am intensivsten die 
Floten. Der Chorklang erreicht die notige Kraft 
mit etwa 5—600 Stimmen, und in Beziehung 
auf Solostimmen muB gesagt werden, daB sich 
eine voile Baritonstimme in dem weiten Raume, 
der 6000 Zuhorer und uber 2500 Mitwirkende 
aufnehmen kann, besser behauptet als eine 
kraftige Sopranstimme. — Der Schlesische 
Sangerbund veranstaltete in der Jahrhundert- 
halle vor jedesmal ausverkauftem Hause zwei 
Konzerte. Es war bezeichnend, daB in diesen 
Konzerten diejenigen Chore am besten ab* 
schnitten, bei denen sich der Dirigent auf nur 
600 Sanger beschrankte. Dieser Chor, der in 
der „Heldenzeit tt von Max Krause und in der 
w Landerkennung" von Hugo Fiebig dirigiert 
wurde, klang genau so kraftvoll wie im zweiten 
Konzert ein Chor von 2000 Stimmen. Vor allem 

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KRITIK (KONZERT) 



127 



hatten die Dirigenten diesen kleineren Chor fest 
in der Hand, wahrend der Massenchor der Zwei- 
tausend einer feinkunstlerischen Leitung hart- 
nackig widerstrebte. Uniibertrefflich sangen 
Hans Hielscher das Baritonsolo in der „Land- 
erkennung" und Frau Schauer-Bergmann das 
Sopransolo in dem Lisztschen Arrangement der 
„Allmacht** von Schubert. Von starkster Wirkung 
war der von 500 Mann unter Leitung von Paul 
Hielscher (Brieg) gesungene „Bardengesang u 
(mit Orchester) von Richard Straufi. — Das von 
Paul Marx und Alfred Zobel dirigierte Kinder- 
Massenchor-Konzert hatteeinenbeispiellosen 
Zusprucb. 2800 Knaben und Madchen standen 
am Podium, und jeder wollte den seltenen An- 
blick einer so grollen, kleinen Konzertgesell- 
scbaft geniefien. Das Konzert, bei dem eine 
Reihe dreistimmiger Schullieder von Weber, 
Kreutzer, Zollner u. a. vorgetragen wurden, war 
sechsmal ausverkauft, obwohl die gesanglichen 
Darbietungen einen schSrferen kiinstlerischen 
MaGstab nicht vertrugen. — Den Charakter einer 
aufterordentlichen kiinstlerischen Tat hatte da- 
gegen das von der Leitung der Ausstellung 
arrangierte „Festkonzert a in der Jahrhundert- 
balle. Man hatte zu dem festlichen Zwecke die 
beidengrofiten und besten Orchester Breslaus:das 
Opernorchester des Stadttheaters und das Sym- 
phonieorchester des Breslauer Orchestervereins 
kombiniert und die Leitung dem Ersten Kapell- 
meister der Breslauer Oper, Julius Priiwer, 
iibertragen. Pruwer spielte den Kaisermarsch 
von Wagner, die Intermezzi Goldoniani fur 
Streichorchester op. 127 von Enrico Bossi, die 
sehr interessante Scheherazade (Symphonische 
Suite nach 1001 Nacht) op. 25 von Rimsky-Kor- 
sakow, „Also sprach Zarathustra" von Straufi 
und Les Preludes von Liszt, und er rechtfertigte 
die in ihn gesetzten Hoffnungen durch eine 
aufierordentlich packende und technisch unan- 
fechtbare Wiedergabe der Tondichtungen. — 
Mit grofier Spannung wurde die Auffiihrung der 
Achten Symphonie Mahlers, der ^Symphonic 
der Tausend 4 * erwartet. Unsere Riesenhalle mit 
ihrem Riesenpodium war fur die ungewohnlichen 
Anspruche, die der Tonsetzer in Beziehung auf 
die Zahl der Mitwirkenden stellt, gerade der 
rechte Raum. 1000 Sanger und Instrumentalisten 
waren ganz bequem auf dem Podium unter- 
gebracht. Eine Reihe vorzuglicher Solisten (die 
Damen Foerstel, Dorda, Metzger-Latter- 
mann sowie die Herren MaikI, Lattermann) 
waren auf der Orgelempore plaziert und sangen, 
hoch uber der Orchester- und Chormasse stehend, 
die Soli. Wenn der Eindruck trotz bester Vor- 
bereitung und vorzuglicher Leitung Dohrns 
binter den gehegten Erwartungen zuriickblieb, 
so mag die Ursache darin zu suchen sein, daB 
der Mahlerschen Musik trotz der aufgewandten 
Energie und des grofien Ernstes, trotz der grofien 
Satzkunst und der geschickten Steigerungen doch 
das eigentlich Faszinierende, ohne Reflexion 
Wirksame fehlt. — Die Orgel der Jahr- 
hunderthalle 1 ) ist die weitaus grofite der Welt, 
und der gegenwSrtig als bester Orgelspieler 
geltende Karl Straube aus Leipzig war berufen 
worden, das einzigartige Werk in zwei Konzerten 



*) Wir werden auf die neue Orgel im nSchsten 
Heft in Wort und Bild zurOckkommen. Red. 



J":;t':l^j 



vorzufuhren. Das erste, ein Bachkonzert, hinter- 
liefi einen vortrefflichen Eindruck, das zweite 
mit Reger, Liszt und einigen alteren Kompo"- 
nisten war klanglich so sehr und ausschliefilich 
auf die aufiersten Kontraste gestellt, dafi sich 
zuletzt statt der beabsichtigten Erbauung^eine 
gewisse Nervositat im Zuhorer einstellte. — Ober- 
raschend gut hat sich in einem Konzert im Kon- 
zerthause das Berliner Bluthner-Orchester 
eingefuhrt. Die 55 Musiker entwickelten unter 
der ganz ausgezeichneten Leitung des jungen 
Max Wachsmann einen derartigen Elan und 
klangliche Vollkraft, dafi man ein viel stSrkeres 
Orchester vor sich zu haben glaubte. Die Auf- 
fiihrung der pathetischen Symphonie von Tschai- 
kowsky war eine Meisterleistung ersten Ranges. 

J. Schink 
l^ONCHEN: Auch in diesem Sommer veran- 
1™ staltete der Munchner Konzertverein 
unter Ferdinand Lowe einen zehn Abende 
umfassenden Zyklus von sogenannten „Fest- 
konzerten", die an festspielfreien Tagen statt- 
finden und als eine Art von symphonischer 
Erganzung der dramatischen Auffuhrungen im 
Prinzregenten-Theater und Residenztheater ge- 
dacht sind. Den Grundstock des Gesamtpro- 
gramms bildeten die neun Symphonieen Beet- 
hovens. Ein Abend war Richard StrauB gewidmet 
(mit „Tod und VerkUrung", w Don Juan a , „Till 
Eulenspiegel** und „Symphonia domestica* 4 ). 
Bruckner war mit drei Symphonieen (der Achten 
in c-moll, der Siebenten in E-dur und der Fiinften 
in B-dur) vertreten, Brahms mit vier Werken 
(der Ersten Symphonie in c-moll, der Zweiten 
in D-dur, den Haydn-Variationen und der Aka- 
demischen Festouverture). Aulierdem horte man 
Mozarts Es-dur (Kochel No. 543) und „Linzer a - 
Symphonie, Regers „Romantische Suite", Schu- 
manns d-moll Symphonie, Liszts „Tasso u und 
Tschaikowsky's w Path^tique a . Der Chor in der 
Neunten, gestellt von der Konzertgesellschaft 
fur Chorgesang und anderen Munchner Chor- 
vereinigungen, war gut, das Soloquartett in 
seinem weiblichen Teil (Gertrude Foerstel, 
Anna Erler-Schnaudt) weit befriedigender 
als im mannlichen (Dr. Matthaus Roemer, 
Thomas Denys). Sehr brav war durchweg 
das Konzertvereins- Orchester, die Leitung 
Lowes technisch meisterbaft, in der Auf- 
fassung tief durchdacht, in der Gestaltung von 
wahrhaft nachschopferischer Kraft getragen und 
in allem einen erlesenen musikalischen Ge- 
schmack und hohe kunstlerische Kultur be- 
wahrend. Auch wer — wie ich — kein Freund 
der sommerlichen Konzertsaisons ist, die letzten 
Endes doch nur mit dazu beitragen, die Auf- 
nahme- und^Genuflfahigkeit des Musikmenschen 
durch das Ubermafi des Gebotenen immer mehr 
abzustumpfen, — auch er mufl anerkennen, 
dafi diese Konzerte zu dem Bedeutendsten und 
vor allem auch Gediegensten gehoren, was 
Munchen im Sommer an kunstlerischen Ge- 
niissen seinem Fremdenpublikum zu bieten 
hat. — Das Weiterbestehen des Konzertvereins 
und seines Orchesters scheint nunmehr ge- 
sichert zu sein. Der Auflosungsbeschlufi, den 
der Verein gefafit hatte, nachdem. das Gemeinde- 
kollegium die geforderte stadtische Beihilfe von 
jahrlich 70000 Mk. abgelehnt hatte, ist in der 
letzten Vereinsversammlung ruckgangig gemacht 

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128 



DIE MUS1K XIII. 2: 2. OKTOBERHEFT 1913 



worden. Ein neuer Vorstand mit dem Ober- 
burgermeister von Borscht an der Spitze wurde 
gewahlt, und die Veranstaltungen des Vereins 
sollen vorderhand bis zum Mai 1914 weiter- 
gefuhrt werden. Bis dahin hofft man den Verein 
auf breiterer Basis so entwickeln zu konnen, 
daft er unter geordneten und gefestigten Ver- 
haltnissen ruhig weiter arbeiten kann. 

Rudolf Louis 

SONDERSHAUSEN: Die bauptsfichlichsten 
Novitaten der Loh-Konzerte bot uns 
diesmal das Ausland. Jung-schwedische Musik 
feierte hier ihre Urauffuhrung und erste Auf- ' 
fiihrung in Deutschland. Der vom Stuttgarter 
schwedischen Musikfest gunstig bekannte Kurt 
Atterberg HeB seine Zweite Symphonie in [ 
F-dur op. 6 hier aus der Taufe heben. Sie ist 
ein ansehnlicbes, mitunter recht ungebardiges 
Musenkind. Der erste Satz hat soliden Bau, auf 
sinnffilligen Themen gegrundet, die mit Vorliebe 
dem Horn zugeteilt werden. Im Adagio birgt 
sich das Scherzo, ein dem nordischen Spring- 
tanz gleichendes Presto. Das Finale wirbelt 
kurze Motive in ermudender Wiederholung durch- 
einander und bedarf wohl noch der sichtenden 
Uberarbeitung, die auch manche grellen Effekte 
mit gestopften Blechinstrumenten usw. aufs Mali 
beschrfinkt. Von mehr gezugelter Phantasie 
zeugten die Werke des jung-schwedischen Kom- 
ponisten Oskar Lindberg: „In der Wildnis", 
symphonische Dichtung, und w Ouverture** in 
h-moll. Der Tonkunstler schopft aus der eigen- j 
artigen Natur seiner Heimat Dalekarlien den 
Stoff fur seine Gebilde, die den Eindruck jener 
romantischen Wald- und Felswildnis auf das | 



poetische Gemut mit gut gewahlten musikalischen 
Mitteln schildern sollen. Symphonische Dich- 
tung und Ouverture haben ahnliche Faktur. 
Die w Abschiedsszene", symphonische Dichtung 
von Ferdinand Braunroth, ein kurzes, auf 
elegischer Melodie beruhendes Werk, war der 
prophetische Schwanengesang des kurz vor 
der Auffuhrung gestorbenen Dresdener Kompo- 
nisten. Eine ungewdhnlich grofte Anzahl von 
Solisten, meist unserer Hofkapelle angehorig, 
gaben mit gediegen ausgefuhrten Instrumental- 
konzerten den Loh-Programmen feine Wurze. 
Als hochinteressante Gabe bot Georg Worl 
Tartini's einziges Violoncell-Konzert in D-dur in 
unubertrefflich edler Wiedergabe. 

Marie Boltz 
W/IESBADEN: Die Achte Symphonie von 
w Gustav Mahler gelangte am 28. September 
unter groftem Zudrang des Publikums und 
enthusiastischem Beifall zuGehor. Musikdirektor 
Schuricht erwies sich von Neuem als ein 
Dirigent von hervorragender Begabung: er hielt 
das Ganze — fiber 600 Mitwirkende — in 
straffer Hand, und seine warme Begeisterung 
teilte sich unmittelbar alien Ausfuhrenden mit. 
Die Hymne w Veni Creator** brauste wie in 
einem Feuerstrom daher und imponierte durch 
den gewaltigen polyphonen Aufbau, wabrend die 
„Faust a -Szene durch ihre phantasievolle Aus- 
malung lebhaft zu Gemute spracb. Gertrude 
Foerstel sang die Sopranpartie mit vollendeter 
Kunst. Die Kurkapelle erfreute durch Fein- 
heit der Tongebung. Der Gesamteindruck war 
von entschiedener Kraft und Grofte. 

Otto Dorn 



ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

A uch den Bilderteil dieses Heftes widmen wir ganz dem Andenken Verdi's. Wir beginnen 

/m mit einigen PortrSts. Das erste Bild zeigt den greisen Meister in ganzer Figur. Das 

X^\ erste der drei folgenden auf einem Blatte vereinten Portrats stellt nach einer Litho- 

f ^ graphie von G. Rigo, Lebret & Cie. den zweiunddreiftigjihrigen Komponisten von 

w Giovanna d'Arco" und von w Alzira a dar; es ist ebenso wie der daneben stehende 

Stich von Ch. Geoffroy aus dem Jahre 1853 nicht oft im Handel zu flnden. Die darunter befind- 

liche Photographie durfte etwa 1872 ju datieren, also kurz nach der „A!da"-Premiere entstanden 

sein. Die beiden Abbildungen der Uberfuhrung der sterblichen Oberreste Verdi's und 

seiner zweiten Gattin nach der endgultigen Ruhestatte in der Casa di riposo per musicisti 

am 27. Februar 1901 lassen die grofte Teilnahme der Stadt Mailand fur den vielgeliebten Meister 

deutlich zutage treten. Auf mehrfachen Wunsch lassen wir den im vorigen Hefte veroffent- 

lichten Karikaturen vier weitere, ebenfalls von Melchiorre Ddlfico folgen. Die beiden 

ersten zeigen Verdi im Privatleben, bei der Begruftung eines Freundes und beim morgendlichen 

Rundblick vom Balkon eines Hotels, die beiden anderen bei den Proben zu einer Oper. Das 

obere Bild durfte eine Klavierprobe von w Simon Boccanegra" darstellen; auf der unteren, das 

eine Orchesterprobe zeigt, sehen wir den Meister eifrig bemuht, dem Sanger seine Absichten 

betreffs der Darstellung klarzumachen. Die aus dem Jahre 1838 stammende Handschrift 

der Romanze moge das Suftere Bild des Meisters abrunden helfen, dem die einst beruhmte 

Sangerin Giuseppina Strepponi eine treue Lebensgefahrtin wurde. 

Wir lassen jetzt einige Personlicbkeiten folgen, die in engem Zusammenhang mit dem 
SchafTen des Meisters stehen. Alessandro Manzoni, der Dichter des bekannten Romans 
„I promessi sposi**, wurde von Verdi, der auf seinen Tod das „Requiem tt schrieb, stark verehrt. 
Antonio Ghislanzoni lieferte den Text der w ATda M , Arrigo Boito den von „Othello a und 
w Falstaff"; aufterdem haben beide auch die Umarbeitung einiger alterer Opern vorgenommen. 
Den Schluft bilden die Theater von San Carlo in Neapel und die Scala in Mailand; 
beide, ganz besonders die letztgenannte, haben die Urauffuhrungen einer groften Reibe Verdiscber 
Werke gesehen. 



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Alle Rechte vorbehalien. Vertntwortlicher Scbriflleiier: 
Ktpellmeisier Bcrnhird Schuster, Berlin, W. 57, BQlpwstr. 107 

, >f v.x ... Original from 

uu d R UNIVERSITY OF MICHIGAN 





VERDI (1S45) 

Lllhogriphls von J, Rl(0 Ubrci & Cic. 



VERDI (1853) 

Stkh von Ch. Gtoffrcf 




VERDI (1873) 

Phoioffiphle von PHotil & Toyid In Milland 



» * *- *; 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 





VERDIS LEIGHENBEGANGNIS IN MAILAND 
AM 27. FEBRUAR 1901 



XIII 







Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 





VERDI-KAR1KATUREN 

von Melchiorrc Dfclflco 



XIII 




V: 






Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 





VERD1-KARIKATUREN 
von Melcbiorre Dfilflco 



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VERDIS HANDSCHRIFT AUS DEM JAHRE 1838 



XIII 




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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 




VERDIS ZWEITE GATTiN 

Giuseppina geb, Sirepponi 



XI11 




'°°8' e UNIVfflanWMKHIGAN 




L Rlcci, MiiUnd, phot. 

ARR1G0 BOITO 





ALESSANDRO MANZONI 



ANTONIO GHISLANZOHt' 



XII I 




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THEATER SAN CARLO IN NEAPEL 




1NNERES DES SCALA-THEATERS IN MAILAND 



XIII 




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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



DIE MUSIK 

HALBMONATSSCHRIFT MIT 
BILDERN UND NOTEN 
HERAUSGEGEBEN VON 

KAPELLMEISTER 
BERNHARD SCHUSTER 




HEFT 3 • ERSTES NOVEMBER-HEFT 
13. JAHRGANG 1913/1914 

VRRLEGT BEI 
SCHUSTER& LOEFFLER- BERLIN W 



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" : '•'• ^ ' iK1 *\ K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Cherubini ist mir unter alien lebenden Opernkomponisten der 

achtungswerteste. 
Beethoven 

Ein Anflug von Schwermut ist alien Arbeiten Cherubini's bei- 

gemischt, und seine humorreichsten und heitersten Melodieen 

werden immer etwas Riihrendes in ihrem Innern tragen. 

Weber 



INHALT DES l. NOVEMBER-HEFTES 

RICHARD HOHENEMSER: Cherubini's „WassertrSger- 

MAX UNGER: Briefe Beetbovens an Carl Bernard, E. T. A. 

Hoffmann, S. A. Steiner & Co. und Anton Schindler. Ver- 

besserte Abdrucke 
WILLY VON MOELLENDORFF: Aus Frosch- und Vogel- 

perspektive. Gedanken eines Schaffenden. III. 

JOSEF SCHINK: Die neue Orgel in der Jahrhundertballe zu 
Breslau 

HERMANN WETZEL: Der KongreO fur Asthetik und allgemeine 

Kunstwissenschaften zu Berlin 
JOSfe VIANNA DA MOTTA: Taschenpartituren Verdi'scher 

Werke 
REVUE DER REVUEEN: Aus deutschen Musikzeitschriften 
BESPRECHUNGEN (Bucher und Musikalien) Referenten: 

Arnold Sobering, Hjalmar Arlberg, Wilhelm Altmann, Ricbard 

H. Stein, Walter Dahms, Albert Leitzmann, Ernst Schnorr 

von Carolsfeld, F. A. GeiBler, Martin Frey, Max Burkhardt, 

Emil Thilo 
KRITIK (Oper und Konzert): Berlin, Braunschweig, Bremen, 

Dresden, Frankfurt a. M., Graz, Halle a.S M Hamburg, Hannover, 

Karlsruhe, Koln, London, Luzern, Mainz, Moskau, Munchen, 

Nurnberg, Riga, St. Petersburg, Zurich 
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 
KUNSTBEILAGEN: Giuseppe Verdi, Lithographie von Jocosi; 

Die Orgel der Jahrhunderthalle in Breslau; Vier Blatt aus 

dem Zyklus „Zwolf Phantasieen zu Mozarts ,Zauberfldte' a von 

Friedrich W. Seyer 
NACHRICHTEN: Neue Opera, Opernrepertoire, Konzerte, 

Tageschronik, Totenschau, Verschiedenes, Aus dem Verlag 
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DIE MUSIK erscheint monatlich zweimal. 
Abonnementspreis fflr das Quartal 4 Mk. 
Abonnementspreis fflr den Jahrgang l5Mk. 
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Belgien und England: Albert Gutmann, 

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England und Kolonieen: 
Breitkopf & Hirtel, London, 
54 Great Marlborough Street 

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fflr Frankreich: Costallat & Co., Paris 



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UNIVERSITYOF MICHIGAN 



CHERUBINI'S „WASSERTRAGER" 

VON DR. RICHARD HOHENEMSER IN BERLIN 1 ) 



im 16. Januar 1800 ging zu Paris im Theatre Feydeau w Les deux 
ZA journdes", bei uns als „Wassertrager a bekannt, in Szene. Das 
JL 1 bedeutete fur Cherubini den groBten auOeren Erfolg, der ihm be- 
scbieden war. Schon vor dem ersten Finale war das Publikum in voller 
Begeisterung, und nach Beendigung der Oper brachten die angesehensten 
Pariser Komponisten, Gr6try, Gossec, M6hul, Lesueur und Martini, dem 
Meister ihre Gluckwunsche dar. Wie still war dagegen w Medea* auf- 
genommen worden! Aber mit dem „Wassertrager* hatte Cherubini eben 
eines jener seltenen Werke geschaffen, die sofort ziinden konnen und doch 
hochsten kiinstlerischen Wert besitzen. So verhfilt es sich ja auch mit dem 
„Freischiitz a , und wie dieser und die ^Zauberflote" ist der ,Wassertrager a 
eine Volksoper im schonsten Sinne des Wortes, indem er sich gleichzeitig 
an hoch und niedrig, an den durchgebildeten Musiker und den musikalischen 
Laien wendet und alle vollauf befriedigt. Fur diesen Grundcharakter des 
Werkes ist der Text wesentlich mitbestimmend. Bouilly, der Verfasser 
desselben, tat einen glucklichen Griff, indem er einen biederen, von tat- 
kraftigster Menschenliebe beseelten Mann aus dem Volke, den savoyardischen 
WassertrSger Micheli, in den Mittelpunkt der Handlung stellte. Freilich 
wird die Moral etwas dick aufgetragen, und nicht nur Micheli, sondern auch 
die beiden anderen Hauptpersonen, Graf Armand und seine Gemahlin 
Constance, triefen, wie man zu sagen pflegt, von Tugend. Aber was im 
gesprochenen Drama geschmacklos ware, macht die Musik, d. h. eine 
wirklich gute Musik nicht nur ertraglich, sondern sogar ergreifend, indem 
sie uns unmittelbar uberzeugt, dafi die an sich geschmacklosen Worte auf 
einem echten und tiefen Gefuhlsgrunde ruhen. Genau die gleiche Er- 
scheinung beobachten wir auch in der „Zauberflote". Den Stoff bot dem 
Textdichter eine Begebenheit, die sich wahrend der Schreckensherrschaft 
gleichsam unter seinen Augen zugetragen hatte. Er selbst erzShlt dariiber 
in seinen .Recapitulations": 

„Le trait de devouement admirable d'un porteur d'eau, envcrs un magistrat do 
mes parents, qui fut sauv6 sous la terreur comme par miracle, m'inspira Tid6e de 
donner au peuple une legon d'humanit6. Je composais done, en tr&s peu de temps, 
ma pidce intitul6e: Les deux journ£es, que je confiais avec empressement a Cherubini.* 1 ) 

Zwar verlegte er die Handlung insjahr 1647; aber die Beziehungen 



') Mit Genehmigung des Verlages Breitkopf & Hartel in Leipzig der demnSchst 
erscheinenden Cherubini-Biographie von Richard Hohenemser entnommen. Red. 

*) Bouilly, w Mes recapitulations", 3 Bde., Paris 1836—1837, 2. Bd., S. 169. Am 
Tage nach der Auffuhrung brachten die Wassertrager von Paris dem Dichter eine 
Ovation dar und lieferten ihm von nun an das Wasser unentgeltlich. 

9» 



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132 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 

auf die Zustande wahrend der Revolutionszeit blieben klar kenntlich. Wir 
haben es mit einer jener Rettungsgeschichten zu tun, wie sie in dieser 
Periode als Opernstoffe beliebt waren: Armand und Constance werden nicht 
weniger als viermal aus unmittelbar drohender Gefahr befreit, davon dreimal 
vor unseren Augen. In diesem Wechsel zwischen Furcht, erlosendera 
Aufatmen und Zweifel, ob die Errettung eine endgiiltige sein werde, liegt 
das Spannende und in der schliefilichen Beseitigung aller Gefahr durch die 
unermiidliche Tatkraft Michelis das tief Befriedigende dieses Textes, der 
den Beifall Goethes fand und den Beethoven fur das beste Libretto 
neben dem zur M Vestalin a erklarte. 1 ) Der Inhalt ist kurz folgender: 

Der Kardinal Mazarin laOt die ihm miDliebigen Mitglieder des so- 
genannten Parlamentes (bekanntlich war es ein Gerichtshof), weil sie die 
Rechte des Volkes verteidigt haben, durch seine italienischen Soldaten 
verfolgen. Auf den Kopf Armands, des Parlamentsprasidenten, sind 
6000 Dukaten Belohnung ausgesetzt. Als er und seine Gemahlin von 
einem Volkshaufen und Soldaten bedrangt werden, kommt gerade Micheli 
voruber und rettet sie, ohne sie zu kennen, gliicklich in sein Haus. Auch 
weiO er sie durch List den Blicken des Hauptmanns und der Soldaten zu 
verbergen, welche kurz darauf seine Wohnung durchsuchen. Erst jetzt 
stellt es sich heraus, daC Armand vor zehn Jahren dem Sohne Michelis, 
Antonio, als dieser, ein mit seinem Murmeltier umherwandernder Savoyarden- 
knabe, halberfroren und -verhungert in den StraOen Berns lag, das Leben 
gerettet hat. Es handelt sich nun darum, den Grafen und auch seine 
Gemahlin, die sich in der Gefahr urn keinen Preis von ihm trennen will, 
aus Paris, dessen Tore scharf bewacht sind, zu fliichten. Antonio will am 
nSchsten Tage in dem Dorfe Gonesse mit der Tochter eines reichen 
PMchters, in dessen Dienst er steht, Hochzeit feiern und ist in die Stadt 
gekommen, um seine Schwester Marcelline abzuholen. Diese mufi nun 
in Paris zuriickbleiben, damit Constance, welche schon seit Tagen als 
Savoyardin gekleidet ist, ihren PaC benutzen kann. Am folgenden Morgen 
gelingt es ihr und Antonio, nicht ohne Schwierigkeiten, die Torwachen zu 
tauschen und gliicklich aus der Stadt zu entkommen. Gleichzeitig laOt 
Micheli Armand, den er in seinem Wasserfafi verborgen bis ans Tor ge- 
bracht hat, in einem unbewachten Augenblick entschliipfen, indem er die 
Soldaten auf eine falsche Fahrte weist. Die Gatten und Antonio erreichen 
gliicklich Gonesse. Hier jedoch treffen sie abermals auf Soldaten. Armand, 
in einem hohlen Baum versteckt, sieht, wie sich zwei von ihnen seiner 
Gemahlin bemachtigen wollen, stiirzt hervor, befreit sie, muB sich aber 
nun dem herzugteilten Hauptmann zu erkennen geben. Dieser will ihn, 
wenn auch innerlich widerstrebend, seiner Pflicht gemSB dem Kardinal 



J ) Vgl. W. A. Thayer, W L. van Beethoven", 4. Bd., 1907, S. 465. 



• - - . - rVuuilr Original from 

i :-j ■;!. ,ul. jy ^ ,uu t V l UNIVERSITYOF MICHIGAN 



HOHENEMSER: CHERUBINPS „WASSERTRAGER" 133 

uberliefern, da kommt Micheli mit einem Schreiben der Konigin, das 
Armand in Freiheit setzt. 20000 Pariser hatten unter Fiihrung des Wasser- 
tragers die Befreiung des Parlamentsprasidenten verlangt, und die Konigin 
hatte einer gleichfalls von Micheli gefuhrten Deputation Gehor gegeben. 
Nun ist alle Gefahr iiberstanden. Aber der Wassertrager weist Armands 
Anerbieten, fiir seinen alten Vater sorgen zu wollen, zuriick. Er tut das 
Gute rein um des Guten willen. 

Es ist nicht zu leugnen, daB bei den verschiedenen Errettungen der 
gluckliche Zufall eine wesentliche Rolle spielt. Aber mag das auch ans 
Unwahrscheinliche grenzen, so liegt darin doch, wie immer in der dichte- 
riscben Verwertung des gliicklichen Zufalls, ein tiefer Sinn: Auch beim 
besten und energischsten Willen hangen unsere Erfolge von Gliicksumstanden 
ab. Niemand vollbringt eine Tat ohne Mitwirkung von Faktoren, iiber die 
er keine Macht besitzt, und so erweckt das Gelingen edler Taten immer 
wieder das Gefiihl vom Walten einer Vorsehung. 

Musikalisch wird das volkstiimliche Element der Oper gleich mit den 
beiden ersten Nummern festgestellt. Die von Antonio bei seiner Hochzeit 
vorzutragende Romanze, die er jetzt, am Abend zuvor, seiner Schwester 
und seinem GroBvater Daniel vorsingt, und die im Dialog als ein altes 
Lied bezeichnet wird, das alle gut kennen, erzahlt, wie ein Franzose einem 
Savoyardenknaben das Leben rettete, und wie ihn dieser dafur spater aus 
Kriegsgefangenschaft befreite. Aus dem Dialog erfahren wir von dem 
Erlebnis Antonios, das mit der ersten Begebenheit der Romanze iiber- 
einstimmt. Die Strophe (es sind deren drei) besteht aus einem g-moll 
und einem G-dur Teil, in dessen SchluC Marcelline und Daniel einfallen. 
Die Anfangsmelodie des g-moll Teils liegt in dem stimmungsvollen Vorspiel 
in Soloflote, Klarinette und Fagott (an Blasern kommen in der Romanze 
auBerdem nur noch Horner vor) und wird, wo sie der Gesang aufgreift, 
zunachst nur von den Streichern begleitet. Sie beginnt: 

Andantino con moto 




Un pau-vre pe - tit Sa- vo-yard mour-rait de froid et de souf-fran- ce 



Der erste Abschnitt schlieBt in B-dur. Ein Zwischenspiel bringt ab- 
wechselnd in den beiden Violinen die Figur: 




die wahrend des folgenden Gesanges noch eine Zeitlang festgehalten 
wird. Nach Abschlufi auf der Dominante beginnt der Durteil: 



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134 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



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Bon Fran-cais, Dieu te re-com-pcn-se! Un bien-fait n'est ja-mais per-du 

Die Volkstumlichkeit des ganzen Stiickes ist unverkennbar; doch scheint 
es mir mehr an franzosische als an savoyardische Volksweisen anzuklingen. 
Fur die Arie Michelis „Guide mes pas, oh providence", einen Monolog, 
in dem er sich entschliefit, das Rettungswerk zu Ende zu fuhren, koste 
es, was es auch wolle, laCt sich die Anlehnung an ein Volkslied nach- 
weisen. Der Gesang beginnt: 



Allegro 



mm 



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-^-^ 



t=t 



m 



£ 



Damit vergleiche man den Anfang eines Liedes, „Rossignolet du vert 
bocage*, das Tiersot aus den „Hautes Alpes", also aus einem Savoyen 
benachbarten Gebiet mitteilt: 1 ) 



f go^ 



T? 



£ 



-9-*- 



& 



Nur diesen Anfang kann Cherubini verwertet haben; denn mit dem zweiten 
Teil des Liedes: 



m 



^ 



& 



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hat die Arie nichts mehr zu tun. Falls ihm die Melodie in obiger Fassung 
vorlag, so zeigt sich die Hand des Kiinstlers vor allem darin, dafi er die 
erste Periode harmonisch nicht auf der Tonika, sondern auf der zweiten 
Stufe schlieCen lieO und nun auch die zweite Periode nicht auf der Tonika 
begann. Dadurch wird die Phrase wesentlich mannigfaltiger und aus- 
drucksvoller. Die beiden ersten Strophen der Arie sind gleichlautend. 
An Blasern verwenden sie nur Oboen, Horner und Fagotte. Oboe und 
Cello treten voriibergehend auch solistisch hervor. In der dritten Strophe 
„Que r6soudre? a , der einige gesprochene Worte vorangestellt sind und 
deren Text den rein lyrischen Ton nicht zulieC, kommen noch Floten und 
Klarinetten hinzu, und die Melodie wird zunachst der Hauptsache nach 
den Blasern iibertragen, wabrend der Gesang mehr eingewebt wird und 
die Violinen im wesentlichen ihre friiheren Figuren beibehalten. Der 
Refrain ist dann wieder wie in den anderen Strophen. 



*) Tiersot, Chansons populaires des Alpes francaises, Grenoble 1903, S. 317. 
Ich gebe die Melodie in Es-dur statt in G-dur. 



Vr::! :v, ( iOOQIc 



Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



HOHENEMSER: CHERUBlNrS „WASSERTRAGER a 135 



Schon aus diesen Angaben erhellt, daC die Romanze und die Arie 
trotz aller Schlichtheit und Gemeinverstandlichkeit keineswegs ohne die 
Mittel der hoheren Kunst gearbeitet sind. Auch zeichnen sie sich durch 
grofie harmonische Feinheit, namentlich durch bescheidene Verwendung 
der Chromatik aus. Sie sind die einzigen liedhaften Stucke der Oper. 
Aber ihre erinnerungsmotivische Verwertung macht sie gleichsam zu 
Orieotierungstafeln, die immer wieder auf die Triebfedern der Hand- 
lung und auf das Milieu, aus dem diese hervorwachst, hinweisen 
und damit das volkstumliche Element des Werkes immer wieder hervor- 
heben. Nachdem im Finale des ersten Aktes Marcelline das Ansinnen 
ihres Vaters, der Hochzeit ihres Bruders fernzubleiben, schmollend zuriick- 
gewiesen hat, singt Antonio: „Pour te consoler dis-toi: J'aide mon frfcre 
k secourir son bienfaiteur. a Bald nach Beginn dieses Gesanges erklingt 
im Orchester der erste Abschnitt der Romanze, aber gekiirzt und mit 
etwas geandertem SchluC. Die Stelle wird spater zu Shnlich beschwichtigenden 
Worten Michelis wiederholt. Als im zweiten Akt der Wassertrager ans 
Stadttor kommt und Antonio und Constance von den Wachen bedrangt 
findet, wechselt er mit ersterem einige gesprochene Worte. Wahrend der 
Pausen vernehmen wir die Anfangsmelodie seiner Arie. Er spricht sich 
gleichsam innerlich Mut zu; denn in diesem Augenblick, in dem Constance 
in Gefahr schwebt, in der Stadt zuruckgehalten zu werden, und in dem 
er Armand verborgen mit sich fiihrt, gilt es alien Mut und alle Klugheit 
zusammenzunehmen. Unmittelbar nachdem ihm die Rettung der Gatten 
gelungen ist, bringt zu seinem Gesang das Orchester den Durteil der 
Romanze. Der Segen, den das Lied fur den Wohltater des Savoyarden- 
knaben herabwiinschte, hat sich, wenigstens fur den Augenblick, erfiillt. 
Dann aber, wahrend sich die Soldaten anschicken, Micheli zu folgen, der 
sie angeblich auf die rechte Spur fiihren will, wird die Sorge um das 
weitere Schicksal des Paares wieder in ihm lebendig, und so ertont zu 
seinem Gebet, das mit dem marschartigen Soldatenchor abwechselt, der 
SchluB des ersten Teiles der Romanze, und zwar in der fruheren Ver- 
anderung, also eine Stelle, in der im Text des Liedes selbst die Losung 
noch nicht eingetreten ist. Endlich kehrt der Durteil der Romanze als 
Schlufigesang der Oper, aber mit Veranderungen, noch einmal wieder. 

Es war zweifellos das volkstumliche Element, das sich zudem im 
Charakter Michelis auf die natiirlichste Weise mit heiterem Humor verbindet, 
^welches Weber veranlaCte, zu sagen, der „ Wassertrager" sei „andere Gefuhls- 
art erbeischend" als die vorangegangenen groCen Werke. Auch in Paris fiel 
^leich bei den ersten Auffuhrungen ein Unterschied gegen Cherubini's 
fruhere Werke auf. Im w Ann6e thfcatrale" heifit es; 

w La partie vocale est plus soignSe et plus chantante que dans ses autres 
ouvrages, et cependant Tentente de la scdne y est parfaite." 



n - - . - Piv^lr Original from 



UNIVERSITY OF MICHIGAN 



136 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 

Ganz anderer Meinung ist dagegen Reichardt, der das Werk bei 
seinem Aufenthalt in Paris, 1802—1803, kennen lernte. Er berichtet, das 
Duett zwischen Armand und Constance im ersten Akt sei von Anfang an 
gestrichen worden, und fahrt dann fort: „Dariiber ist denn nun wirklich 
in dem ganzen Stuck eigentlich nichts ganz Gesungenes; denn die ubrigen 
Gesange sind aus der Cannevas [sic], auf welchem die Instrumentalpartie 
brodiert worden ist." 1 ) Als das Hervorleuchtendste und Kunstvollste, als 
die Stickerei selbst erscheint ihm also nicht der Gesang, sondern die 
Instrumentalbegleitung, wahrend jener mehr nur den Untergrund bilde. 
Das aber konnte man mit gewissem Recht auch von den friiheren Werken 
behaupten. In dem Duett, das Reichardt ausnimmt, tritt in der Tat 
der Gesang besonders selbstandig hervor. Constance, die in ihren Gemahl 
dringt, ihm folgen und alle Gefahren mit ihm teilen zu diirfen, beginnt mit 
einem groflen, sehr schonen Rezitativ, und auch in der sich anschlieBenden 
Kantilene fallt ihr die Hauptaufgabe zu. Im SchluBteil, den beide zu- 
sammen singen, haben allerdings die Violinen 24 Takte hindurch mit nur 
einmaliger Unterbrechung von zwei Takten die gleiche Figur auszufuhren. 
Aber sie wird nicht zum Motiv, sondern dient mehr zur bloBen Be- 
gleitung, so daft der Gesang auch hier vorherrschend bleibt. Es konnte 
Verwunderung erregen, daft Reichardt nicht auch die Romanze und Michelis 
Arie zu dem „ganz Gesungenen* rechnet. Aber es mag ihm aufge fallen 
sein, daft in diesen Stiicken im Verhaltnis zu ihrem liedhaften Grund- 
charakter das Orchester doch sehr stark beteiligt ist. In den ubrigen 
ausschliefilich aus Ensembles und Choren bestehenden Gesangen . Hegt 
die Sache so, daft die Singstimmen zwar nicht so unselbstandig gefuhrt 
sind wie gelegentlich in den friiheren Opern, daft sie aber auch groftten- 
teils nicht die Oberherrschaft haben, sondern dem Orchester gleichberechtigt 
gegeniiberstehen und erst zusammen mit diesem ein befriedigendes Ganzes 
bilden. So erklaren sich die widersprechenden Urteile. 

Die mehrstimmigen Gesange sind nicht nur durch hochste musikalisch- 
dramatische Lebendigkeit im ganzen, sondern auch durch eine Menge geist- 
voller Einzelziige ausgezeichnet. Am einfachsten ist der landliche Hochzeits- 
chor gehalten, der den dritten Akt eroffnet. Aber Cherubini behandelt 
ihn keineswegs als Nebensache, sondern mit liebevoller Ausfuhrlichkeit. 
Einer seiner Hauptgedanken: 

-ffrs-$ — T — f—^ — - • +-P — h *~~-^£-^~ ~-m~-~* , rwz'.'.zL-t-o-J^zMij — "•— UJ — M-J— 



wird schon im Mittelsatz der pastoralen, sehr eigenartigen Instrumental- 
einleitung des Aktes angedeutet. Diese Einleitung, in der Horn und 

') Reichardt, Vertraute Briefe aus Frankreich, 1803—1804, S. 330. 



• - - . - C'nnolr Original from 

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HOHENEMSER: CHERUBINI'S „WASSERTRAGER a 137 

Flote solistisch verwertet sind, verklingt pianissimo in A-dur und ist durch 
einen kurzen Dialog vom Chor getrennt, der gleichfalls in A-dur steht, 
aber sein eigenes Vorspiel hat. Nachdem er zu Ende ist, singt Angelina, 
die Braut, die sich das Ausbleiben ihres Brautigams nicht erklaren kann, 
in zarten innigen Tonen: „Antonio ne revient pas". Nur die Holzblaser 
begleiten, und das Fagott bewegt sich chromatisch. Noch wirkungsvoller 
wird dieser kurze, echt madchenhafte Seufzer bei seiner Wiederkehr: Nach- 
dem namlich der Chor wiederholt ist, hort man den Marsch der heran- 
nahenden Soldaten. Der Chor der Landleute fallt ein und geht dem Trupp 
entgegen. Zuletzt modulieren die Streicher von F-dur iiber fis-moll nach 
A-dur, und nun singt Angelina, welche zuriickgeblieben ist, urn das Haus 
abzuschlieOen, abermals ihr w Antonio ne revient pas" genau wie vorher. 
Dann folgt sie den anderen nach. Das Nachspiel aber, wahrend dessen 
man Armand, Constance und Antonio einen Felsen herabsteigen sieht, halt 
die sehnsiichtige Stimmung fest. Die Sehnsucht lebt ja auch im Herzen 
Antonios, und so ist zwischen ihm und Angelina, obgleich diese nur an 
den beiden erwahnten Stellen selbstandig hervortritt und obgleich es zu 
keiner Liebesszene kommt, die innere Verbindung und Ubereinstimmung 
hergestellt. 

Zu den einfacheren Nummern gehort auch das Terzett zwischen Armand, 
Constance und Micheli im ersten Akt. Es hat die Form der da capo-Arie 
mit dem zweiten Teil in der parallelen Molltonart. In diesem erfahrt, wie 
so haufig bei Cherubini, die vorherrschende Begleitungsfigur eine Art 
Durchfuhrung. In dem ganzen Stiick ist Micheli zu den Gatten in Gegen- 
satz gestellt. Wahrend ihm diese, welche soeben sein Haus betreten haben, 
in lebhaften Worten und Tonen ihren Dank fur die Rettung aussprechen, 
wirft er zunachst nur ganz trocken dazwischen: 




j'ai fait ce que je de - vait fai - re 

Dann singt er meist mit dem InstrumentalbaB. Im Mittelsatz beteiligt er 
sich in harmloser Selbstgefalligkeit an der Rekapitulation der Ereignisse 
und seiner Tat. Dabei beginnt er wieder mit seinem ersten Motiv. Sein 
Lachen uber die gelungene List (er hat den Grafen, indem er ihm seinen 
eigenen Hut uberwarf und ihn den Karren mit dem FaB schieben lieB, den 
Blicken seiner Verfolger entzogen) fallt auf einen Tonleitergang. 

Von diesem Terzett, dem darauf folgenden, bereits erwahnten Duett 
und dem Finale des ersten Aktes sagt Ambros, es seien darin „lange 
Stellen von echt Mozartscher Diktion*. 1 ) Dabei denkt er wohl weniger an 



x ) Ambros, „Bunte Blatter", Neue Folge, 1874, S. 19. 



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138 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



melodische Anklange, die im Terzett vielleicht nicht ganz fehlen, als viel- 
mehr an den ununterbrochenen, lebensvollen Strom der Musik. Das Finale 
bringt zunachst die Erkennung zwischen Antonio und seinem Wohltater 
Armand. Sie vollzieht sich im Einzelgesang unter figurierter Begleitung. 
Dann aber geben alle ihrer Freude und ihrer wechselseitigen Dankbarkeit 
gemeinsamen Ausdruck. Aus diesem Tutti hebt sich mit besonders er- 
greifender Wirkung der Einsatz Constances heraus: 



Allegro 



Oboe 




Constanze 



EteEE 



-*— ^ =** 



*=T 



-&- 



usw. 



Corni 



^e 



k>- 






Im zweiten Teil des Finale w C'est done vous qui dans ce lit* wird die fur 
Antonio, der gerade wahrend der Haussuchung von einem Gange zuriick- 
gekehrt war, unbegreifliche Situation naher aufgeklart, und zwar unter Be- 
gleitung einer von der Viola imitierten Violinfigur: 

Allegretto 




die in Dur und Moll auftritt und durch verschiedene Tonarten gefiihrt 
wird. Zuletzt iibergibt Micheli Constance den fiir Marcelline ausgestellten 
PaB, und so kommt es zum Streit zwischen Tochter und Vater, der sich 
in einem Allegro mit synkopierter, reich bewegter Begleitung abwickelt. 
Auf dem Hohepunkt tritt eine Generalpause ein, und dann leitet die Solo- 
klarinette, der sich spater Fagotte und Streicher zugesellen, in den be- 
schwichtigenden Gesang Antonios iiber, von dem wir bereits gehort haben. 
Derartige Ubergange, insbesondere fiir Klarinette, die geeignet sind, 
durch ihre schwebenden Rhythmen unsere Erwartung zu spannen, uns zu- 
gleich aber durch die Besonderheit der Klangfarbe des Instrumentes und 
durch den Kontrast zum Vorangegangenen auf die Vorgange vorzubereiten, 
die sich soeben im Innern der handelnden Personen vollziehen und 
bald zum Ausdruck gelangen werden, hat spater namentlich Weber mit 
Vorliebe verwendet. Wir begreifen daher die Emporung, die ihn uberkam, 
als er bei einer Miinchener Auffiihrung des „Wassertrager", 1811, die 






Original from 
UNIVERSIWOF MICHIGAN 



HOHENEMSER: CHERUBINPS „WASSERTRAGER« 139 

Klarinette durch andere Instrumente verstarkt fand. 1 ) Dem Zuspruch des 
Bruders and des Vaters gibt Marcelline endlich nacb. Aber die Begleitung 
zu ihren Antworten beweist, dafi sich ihre Erregung nur allmahlich legt. 
Erfreut fiber ihre Bereitwilligkeit, zu dem Rettungswerk beizutragen, stimmen 
alle nochmals den SchluBgesang des ersten Teils des Finale an. Dieses 
oahert sich also, bei Cherubini eine Ausnahme, der Rondoform. 

Dem zweiten Akt geht eine Instrumentaleinleitung voraus, die aber 
mit den Buhnenvorgangen in engster Verbindung steht. Das voile Orchester, 
durch Posaunen verstarkt, setzt mit dem D-dur Dreiklang ein. Nach einem 
durch allmShliches Abtreten der Instrumente bewirkten Decrescendo ertonen 
feierliche Klange: 

Sostenuto 

4-a- — — i— n~t9 =- -r^~Jn- ^ 



m^r^^^^^^u^= 



pp~+ 



Sodann schlagt es auf der Biihne 6 Uhr. Nachdem das bisherige wieder- 
holt ist, hort man einen Trommelwirbel. An diesen schliefit sich, indem 
das Tempo von w Sostenuto" in „Andantino a ubergeht, eine groCe Steige- 
rung mit allm&hlichem Eintritt der Instrumente fiber A als Orgelpunkt. 
Offenbar wShrend dieser Takte soil sich der Vorhang heben, und man 
erblickt das Stadttor und daneben das Wachhaus. Der Chor der Soldaten 
setzt ein: » Point de pitte" usw. und geht bald in ein Allegro „Observons, 
combattons, arrStons, c'est rordonnance" fiber. Der ganze Satz, in dessen 
Begleitung Posaunen und Pauken mitwirken, bringt mit seinen Imitationen 
und Sequenzen mehr finstere Entschlossenheit als soldatische Frische zum 
Ausdruck. Diese Stimmung verstarkt sich noch im Mittelteil, in dem 
der Leutnant die Ffihrung des Gesanges ubernimmt. Zu seinen Worten 
,M6ritons la bienveillance du c61£bre Mazarin*, wahrend denen der Chor 
schweigt, wird die vorhin angeffihrte Wendung verarbeitet. Merkwiirdiger- 
weise findet sie sich auch in Cherubim's grofiem achtstimmigen Credo. 
Die vier ersten Takte bilden dort den Anfang des CruciBxus, nur daO 
die Melodie durch allmahlichen Stimmeneintritt entsteht; die vier letzten 
Takte folgen etwas spater auf „passus". Dieses Credo wurde bereits 
1778 oder 1779 begonnen, aber erst 1806 vollendet. Es laOt sich also 
nicht bestimmen, fur welches Werk die Wendung ursprfinglich erfunden 
vurde. Was im „Wassertrager* diese auf den ersten Blick befremdliche, 
feierlich gebundene Musik bedeutet, ist klar ersichtlich: Die italienischen 
Soldaten und Offiziere ffihlen sich als Diener des Kardinals und somit 



x ) C. M. von Weber, Ein Lebensbild von M. M. von Weber, 3. Band, Brief aus 
Munchen, 1811, S. 36 f. 



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140 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 

der Kirche. Es ist bewunderungswiirdig, wie scharf Cherubini den 
Gegensatz zwischen ihnen und den tibrigen handelnden Personen, die 
selbst ihre religiosen Gefiihle niemals in jener streng gebundenen Weise 
auBern, musikalisch dargestellt hat. Wenn ubrigens der Leutnant und die 
Soldaten, wie sich das spater deutlich zeigt, hoffen, den auf Armand aus- 
gesetzten Preis zu gewinnen, so braucht das, wie aus geschichtlichen Bei- 
spielen hinlanglich bekannt, zu ihrer Uberzeugung, der Kirche zu dienen, 
nicht im Widerspruch zu stehen. Der Ubergang zur Wiederholung des Haupt- 
satzes wird mit der Steigerung und dem Orgelpunkt gebildet, an der sich 
aber diesmal der Gesang beteiligt. Der Hauptsatz selbst ist durch Triolen- 
figuren in der Begleitung bereichert. 

Das folgende Gesangsstuck, ein Terzett mit Chor, in dem der 
Leutnant Constance, da ihm ihr PaB nicht zu stimmen scheint, auf die 
Wache bringen lassen will, wahrend Antonio Miene macht, zu ihrer Ver- 
teidigung Gewalt anzuwenden, wird durch ein melodramatisch behandeltes 
Gesprach eingeleitet. Zuerst ertont die Musik nur in den Pausen desselben, 
dann aber, in einem Tremolo, auch wahrend der Worte. Eine mehrmals^ 
verwendete Figur dient auch als Uberleitung zu dem leidenschaftlich be- 
wegten Terzett. In dessen Hauptteil, g-moll, der nach einem steigernden 
Mittelsatz, B-dur, verandert wiederkehrt, wird der Leutnant durch Sechs- 
zehntelfiguren der Begleitung und durch das Motiv: 




den beiden anderen entgegengestellt, die in ihrer Ausdrucksweise so- 
ziemlich iibereinstimmen, nur daO Antonio zuweilen noch erregter singt 
als Constance. Das Ganze schlieCt auf dem Dominantseptimenakkord von 
B-dur. Darauf folgt Dialog, und zu einer Auflosung des Akkordes kommt 
es iiberhaupt nicht; denn die nachste Musik (sie ertont, wie bereits er- 
wahnt, in den Pausen des Gesprachs zwischen Antonio und Micheli) steht 
in Es-dur. Auch sie schlieOt, indem die Arienmelodie einen kleinen An* 
hang erhalt, mit einem Dominantseptimenakkord, und zwar mit demjenigen 
von c-moll, der wieder keine Auflosung erfahrt. Cherubini verwendet in 
diesen beiden Fallen, um den Horer in der Spannung festzuhalten, ein 
analoges Mittel wie M6hul im w Ariodant a , wo die Ubergange vom Gesang 
zum gesprochenen Dialog scheinbar zum Rezitativ iiberleiten und daher 
keinen musikalisch befriedigenden AbschluO ergeben. 

Das Finale beginnt mit dem H-dur Dreiklang, geht aber sogleich in 
ein marschartiges Stuck in E-dur (iber. Wahrend desselben besprechen 
der Leutnant, der schon vorher hinzugekommene Hauptmann und Micheli 
dessen vorgeblichen Plan, Armands habhaft zu werden. Dazwischen betet 



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HOHENEMSER: CHERUBINFS „WASSERTRAGER a 



141 



Micheli heimlich fur das gluckliche Gelingen seines Rettungswerkes. Ob- 
gleich dazu der Marsch fortgesetzt wird, hebt sich sein Gesang von dem 
<Ier Offiziere deutlich ab. Nachdem diese in das Wachhaus gegangen 
sind, urn Soldaten auszuwahlen, folgt mit Sechszehntellaufen in den 
Violinen ein Zwischenspiel, an dem sich alle Instrumente aufier Flote 
und zuletzt auch die Posaunen beteiligen. Micheli singt unter Streicher- 
begleitung einige wenige Worte und leitet damit nach C-dur iiber. Hierauf 
<>ffnet er das FaC und lafit Armand entschliipfen und durch das Tor ent- 
fliehen. Dies alles geschieht wahrend eines neuen Zwischenspiels, das in 
tiefer Lage (Cello und zweite Violine beginnen; dazu tritt Fagott und endlich 
Viola) annahernd auf den punktierten Rhythmus des Marsches zuriickgreift, 
bis im siebenten Takt die erste Violine mit der Figur: 



^=jEjE°E^E=. 



einsetzt, die sie unter Hinzutritt des Kontrabasses und der Blaser zu 
Sechszehntellaufen steigert. Die Spannung und Erregtheit dieser Musik 
findet ihre Losung und Beruhigung in dem Durteil der Romanze, der, wie 
wir bereits wissen, zum Gesang Michelis ertont. In seiner Freude iiber 
^Jie glucklich gelungene List kann er sich des Lachens nicht erwehren. 
Dazu hat die Violine die Figur: 

Andantino 




Jetzt kehren die Offiziere mit Soldaten zuruck. Unter Triolenbegleitung 
beginnt der Chor auf der Dominante von E-dur. Am SchluB dieser Ein- 
leitung singt Micheli zum erstenmal das Gebet, von dem wir gleichfalls 
bereits gehort haben. So oft er es spater noch einstreut, weist es jedes- 
mal die gleiche Instrumentierung auf: Flote, Fagott, erste Violine, Viola 
und Cello. Der Hauptsatz des Chores ist wieder ein Marsch, dessen 
Melodie folgendermaCen beginnt: 

Allegro ^ 




IgfcBzfczM 



-& 






t=X= 



& F- 



■i9- 



USW. 



Schon hieraus ist zu erkennen, daC jetzt die soldatische Frische die Ober- 
hand gewonnnen hat. Wahrend alle abziehen, klingt der Marsch in einem 
langen Nachspiel aus. 



Vi-::! :v, C iOOQIc 



Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



142 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 

Wir haben noch die SchluDszenen der Oper zu betrachten. Da 
Antonio bei der Ankunft in Gonesse die Soldaten in der Ferae be- 
merkt hat, ISOt er Armand sich in einem hohlen Baum verbergen, bis 
die Gefahr voruber sei. Er selbst und Constance gehen mit den Land- 
leuten, welche mit den Soldaten zuruckkehren, ins Haus des Pichters, wo 
alle bewirtet werden sollen. Nachdem es still geworden ist, kommt Armand 
aus seinem Versteck hervor, urn frische Luft zu schopfen. Seine bange 
Sorge urn seine Gattin und sein Gebet um ihre Befreiung aus den drohenden 
Gefahren spricht sich in einem ergreifend schonen Melodrama aus. Die 
melodiefiihrenden Violinen haben Sordinen, die ubrigen nicht. An Blasern 
werden nur Floten, Horner und Fagotte verwendet. Obgleich die Musik 
wShrend der Worte Armands schweigt, bilden ihre Teile zusammen doch 
ein geschlossenes Ganzes, in dessen Stimmung sich Gedampftheit und 
Zuversicht die Wage halten. Ganz zuletzt, als sich Armand, da er jemanden 
kommen hort, wieder zuruckzieht, folgt noch ein kleiner Anhang, der aber- 
mals ohne Auflosung bleibt. Jetzt treten zwei Soldaten auf, die sich 
hinter dem Baum lagern, um sich in Ruhe an einer Flasche Wein gutlich 
zu tun. Sie machen sich Hoffnung, den Grafen vielleicht auf eigene Faust 
ergreifen zu konnen. Nun naht sich vorsichtig Constance und gibt, da 
ihr alles ruhig scheint, Armand, dem sie bei der gluhenden Hitze eine 
Erfrischung bringen will, das verabredete Zeichen; doch die Antwort bleibt 
aus. Ihrer aufsteigenden Angst verleiht sie in einem sehr schonen, von 
einer kurzen melodramatischen Stelle eingeleiteten Rezitativ Ausdruck. Plotz- 
lich brechen die beiden Soldaten hervor. Ihr Uberfall, die Hilferufe Con- 
stances, die Befreiung durch Armand, alles vollzieht sich Schlag auf Schlag 
in einem Allegro mit vollem Orchester, das sich uber A als Orgelpunkt 
nur auf der Dominante und der Tonika von d-moll bewegt. Mit Eintritt 
des verminderten Septimenakkordes auf Gis erscheinen der Hauptmann 
mit Soldaten, Antonio und die Landleute. Wdhrend der Fragen des Haupt- 
mannes und der Antworten Armands wendet sich die Musik uber C-dur 
nach f-moll. Armand zogert, sich zu erkennen zu geben, und durch Ver- 

arbeitung der Figur: 

Allegro 




E 



>H- 



5 TT^- ♦ "•* 

die zuerst in der Viola auftritt, wird eine gewaltige Spannung erzeugt. Sehr 
schon ist nach der Nennung des Namens der von der leidenschaftlichen Figur: 



usw. 




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Original from 



5' - UNIVERSITY OF MICHIGAN 




HOHENEMSER: CHERUBINrS W WASSERTRAGER« 143 

begleitete Gesang Constances, die sich Vorwurfe macht, ihren Gatten 
verraten zu haben. In einem Chor mit dem Hauptgedanken: 

Allegro ^^^ ^ 



bringen die Soldaten und Landleute ihr Erstaunen, Armand vor sich zu 
sehen, zum Ausdruck. Vor der Wiederholung kehrt der f-moll Gesang 
Constances wieder. Wie es in der Dialogoper sehr haufig geschieht, so 
erfolgt auch hier die Losung selbst ohne Musik. — 

Von der Ouverture zum B WassertrSger a sagt der bereits erwShnte 
Bericht des ,Ann6e th6atrale a : 

„Son ouverture et le premier entr'act peignent, d'une maniere frappante, les 
bruits populaires, les mouvements des troupes et tout ce que notre revolution nous 
a rendu si familier." 

Jeder, der die Ouverture kennt, wird diese Behauptung unbegreiflich 
finden. Sie kann nur durch Vermengung mit der ersten Zwischenaktsmusi)( 
entstanden sein, auf die sie wegen des Trommelwirbels und wegen des 
Anschwellens auf dem Orgelpunkt wenigstens einigermaBen paQt. Eine 
kaum minder seltsame und willkurliche Ausdeutung gab etwa 40 Jahre 
spiter der junge Wagner in seiner bekannten, in Paris entstandenen Ab- 
handlung „Uber die Ouverture*. Darin heiBt es: 

w Die Ouverturen Cherubim's sind poetische Skizzen des Hauptgedankens des 
Dramas, nacb seinen allgemeinsten Zugen erfaftt und in gedrSngter Einbeit und 
Deutlichkeit musikalisch wiedergegeben; an seiner Ouverture zum /Wassertrlger' 
erseben wir jedoch, wie selbst die Entscheidung des drangenden Ganges der Hand- 
lung in dieser Form sich ausdrucken konnte, ohne daft dadurch die Einbeit der 
kunstleriscben Fassung beeintrachtigt wurde." J ) 

Den Satz uber Cherubim's Ouverturen im allgemeinen mag man 
gelten lassen, nicht aber die Ausnahmestellung derjenigen zum B Wasser- 
trager"; denn sie besteht aus einer langsamen Einleitung und einem Allegro, 
das im groften und ganzen die Form des ersten Sonatensatzes aufweist, 
aber eine nur sehr kurze Durchfiihrung, dagegen eine ausgebildete Reprise 
und eine Coda besitzt, die auf das Hauptthema zuruckgreift, so daft sicb 
nirgends ein Punkt bestimmen laBt, an dem sich die Entscheidung 
des Dramas musikalisch-symbolisch vollzoge. Auch mit anderen Stellen 
seiner Abhandlung beweist Wagner, daB er damals das Vermogen der 
reinen Instrumentalmusik, auBermusikalische Vorgange zu symbolisieren^ 
uberschatzte, ein Irrtum, von dem er sich spater mit Entschiedenheit ab- 
wandte. Viel verstandlicher als solche Ausdeutungen ist uns die rein 
musikalische Begeisterung, die unsere Ouverture in Moritz Hauptmann 
hervorrief. Nach Jahren schreibt er dariiber: 

l ) R. Wagner, „Gesammelte Schriften a , 1. Bd., S. 197. 



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Original from 
UNIVERSIWOF MICHIGAN 



144 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



„Was ein Satz wie die ersten Takte der Ouverture zum ,Wassertrager< Fur einen 
damaligen jungen Musiker fur einen Reiz baben muBte, davon kann sich ein jetziger, 
nacbdem der Scbatz Gemeingut geworden ist, keinen Begriff mehr machen. Icb, in 
meinen damaligen Dresdener, ganz italienischen Umgebungen, babe die heifiesten 
TrSnen dabei vergossen; Mozart war in den Hintergrund getreten. Erst in der spateren 
Zeit konnte die reinere und ansprucbslosere Erhabenheit des letzteren wieder zu 
Gefuhl und Bewufltsein dringen, ohne jenes eigentumlich Schone verkennen zu 
lassen." *) 

DaB es der romantische Zug in Cherubim's Musik war, der hier 
eine so tiefe Wirkung ausubte, davon uberzeuge man sich an den nach- 
stehenden ersten Takten der Ouverture: 

Andante molto sostenuto 




Unverkennbar hat Schumann diesen Anfang mit BewuBtsein nach- 
gebildet, und zwar gleich zu Beginn seines B Ouverture, Scherzo und Finale - 
betitelten Orchesterwerkes. Auch mochte man fast vermuten, daB ihm 
das spater einsetzende, klagende Motiv: 

Andante molto sostenuto 




mit seiner charakteristischen Hervorhebung des ubermaBigen Dreiklangs 
bei der Komposition der Erzahlung von dem an der Pest erkrankten Jung- 
ling in .Paradies und Peri" vorgeschwebt hat. In dem ganzen Einleitungs- 
satz der Ouverture mit seinen plotzlichen Ubergangen vom Forte zum 
Piano, mit seiner Chromatik und seinen Vorhalten sind Spannung und 
tiefe Klage zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen. Zuletzt bringt 
er eine Steigerung, die in das folgende Hauptthema des Allegro hin- 
uberfuhrt: 

Allegro 




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*) Hauptmann, „Briefe an Spohr und andere", S. 203. 



:r.i.:'u: 






Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



HOHENEMSER: CHERUBIM'S „WASSERTRAGER« 



145 



Die gleiche Stimmung wird auch in der anschliefienden Gruppe festgehalten: 




usw. 



Zweifellos redet hier die Musik in ihrer Sprache von Freude und 
Sieg nach vorangegangenem Schmerz und Druck. Aber es ware wider- 
sinnig, wenn schon zu Beginn des Hauptteiles der Ouvertiire alles ent- 
schieden ware, so daG dieser nur noch den Sieg zu feiern hatte. In der 
Tat lenkt denn auch das Seitenthema, das zunachst in G-dur und erst 
spSter in H-dur erscheint: 




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in die, wenn auch gemilderte Anfangsstimmung des langsamen Satzes 
zuruck, und in dem, was sich anschlieOt, kommt wieder die schmerzliche 
Spannung zum Ausdruck: 



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Sife^Tt: 






*=* 



£ 



Der SchluC des ersten Teils ist wieder sieghaft und macht von auf- 
fallend italienischen Wendungen Gebrauch. Die Durchfuhrung verwertet 
das Hauptthema und die folgende Gruppe; letztere wird dann in der Re- 
prise ubergangen. Die Coda hat Strettacharakter und bringt zuletzt das 
XIII. 3. 10 






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UNIVERSITYOF MICHIGAN 



140 DIE MUSIK XIIL 3: 1. NOVEMBERHEPT 1913 

Hanpttbema jo betcbleunlgtem Tempo. Vie die ganze Oper, so lit tucfa 
die Ouvertfire, and zwtr bel strengpter inusikaliftcber Einheitlicbkeit, elo 
hBcbat wJrkungpvolles Vecbselapiel zwitcben Spannung and beglBckender 
BefireJuiig, Eio oocb engerer Zaummenhang wird rich wohl nicht er- 
weiaen lessen. 

»Der Wataertflger* ist diejenlge nnter CbernbinFe Opera, die 
in erater Linle den Weltrafcm dea Melstera begrfindete. NamentHcb in 
Dentschland find rie rucb an grofien and fclelnen B&hnen Eingang nntf 
erfreute sich bla etwa in die Dreifliger Jahre allgemeiner Bellebtbeit 
Aach trotzte rie am llngsten der anvenUenten Veigeasenbeit, In die 
Chernbini's Opera allmihllcb vervanken, nnd eelbst in der Gegenwart tnncbt 
rie noch bie ttnd da auf. Vlelleicht wild rie einmal dazu bentfien seta* 
daa Intere&se ffir Cberubini, einen der grSfiten Mnrikdramatiker, veiche 
die Geacbichte der Tonknast kennt, nen zn erwecken* 



[" ^ y | , Origin ^1 from 

^ ,tK ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BRIEFE BEETHOVENS AN CARL BERNARD, 

E. T. A. HOFFMANN, S. A. STEINER & Co. UND 

ANTON SCHINDLER 

VERBESSERTE ABDRUCKE 
VON DR. MAX UNGER IN LEIPZIG 



Die verschiedenartigen Richtlinien, wonacta Beethovensche Brief- 
ausgaben der letzten J ah re bearbeitet worden sind, haben ein 
vielfacbes Fur und Wider bei der Kritik veranlaOt. Soil man der 
„diplomatischen Genauigkeit* der Wiedergabe des Brieftextes das Wort 
reden, und wie weit soil man, wenn man sich doch zu kleinen Anderungen in 
der Rechtschreibung des Meisters entschlieflt, in solchen Gldttungen gehen? 

Es ist nicht meine Absicht, zu diesen beiden strittigen Fragen ein 
letztes Wort zu sprechen. Ich will es jedoch nicht unterlassen, auf Albert 
Leitzmanns vortreffliche Studie in der Neuen Rundschau vom April 1908 
hinzuweisen, obgleich mir scheint, als ob ihr Verfasser doch etwas zu 
weit gehe in der Sduberung des Beethovenschen Textes. Einen Wunsch 
mochte ich aber doch nicht unterdrucken: daO man sich wenigstens beim 
Erstdruck eines Beethovenbriefes nicht scheue, ihn so buchstabengetreu 
wie nur moglich wiederzugeben. Dann wire jeder Leser, der mehr als 
fluchtigen Anteil daran nimmt, imstande, sich Stellen, die etwa durch 
Hinzufugung von Satzzeichen und dergleichen ihren Sinn andern, zu deuten, 
wie es ihn am besten dunkt. Das erste aber, was bei der „diplomatischen 
Genauigkeit a in Frage kommt, ist naturlich, daO erst einmal die Worter der 
oft so schwer leserlichen Handschrift Beethovens nach Moglichkeit richtig 
entziffert werden, und das zweite, daD keine Fluchtigkeiten wie Auslassungen 
von WSrtern vorkommen. 

Wie leicht gerade so etwas durchgeht, zeigt das Beispiel Dr. Alfred 
Eberts, der nach der Urschrift in seinem in der „Musik" (IX, Heft 14) ver- 
offentlichten Aufsatze „Sechs Briefe Beethovens an die Grafin Marie von 
Erdody und einer an Therese von Malfatti (?)* einen kurzen, schon fruher 
veroffentlichten Brief an die Grafin Erdody („Mit vielem Vergnugen habe 
ich Ihre Zeilen empfangen . • .") getreu wiedergeben wollte und doch, wie 
mir die in der neuesten Auflage von O. Kellers Musikgeschichte ent- 
haltene Nachbildung zeigt, drei, wenn auch noch so kleine Worter weg- 
gelassen oder unnotigerweise hinzugefugt hat. 

In folgenden Zeilen mochte ich ein paar Briefe von neuem wieder- 
geben, und zwar, wenn ich mich auch nicht gerade auf eine unbedingte 
Buchstabentreue beim Abdruck versteife, in einer Weise, die der Be- 
deutung und dem Inhalt wohl wesentlich forderlich sein wird. 

10» 



• - - . - ("ntuil( s Original from 

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148 DIE MUSIK XIII. 3: 1, NOVEMBERHEFT 1913 



Zu Kaliachers Erstdrack eiaea Beethovenbriefes 
im sechsten fieethovenheft der „Husik" 

Im sechsten Beethovenheft der v Masik* (IX, Heft 1) verBffentlichte 
Kaliscber einen unbekannten Beethovenbrlef, der, wie die beigegebene 
Nachbildnng zoigte, in der Urschiift sebr scbwer zn entzHBern war. Der 
Vergleich jenes Eratdrackea mit der Nachbildnng ergab flir xnicb, dafl 
Kaliacber eine gaoze Anzahl WSrter verlesen hatte. Nacbtriglich ver- 
Sffcntlichte Frimmel in dem vierten Heft seiner Beethovenfbracbnng eine 
Verbesaernng* Da diese aber noch zwel sinnentatellende Fehler entbllt, 
sei der ganze Brief noch einmal hierfaergestellt — wie icb hoffe, gfaalich 
gereinigt: 

34 Vrctrptv iritet tea fflttef, vttUfrn B— r. an bit $r* B— n, in mtintm Rtf^wfu 
grftfttirim, Ut« Mttf srf4*»m ftflm faW* ali i*« fcn #. K. »- anartafet, baft n ft sUM 
mtofffft feflt; k#t Mr ff rtri |u fpit u. asf rtn* >u traflttytcR* drt, au^ fat t* iatf«A Uttm 
A^tkt as tys f rift Bott torn flffrmbm — Stains fdjrtrt teas B. ai^t ttv friaiw ftaata 
*it GWaumitaffo, mUffr f4«» ftat nUtt taf aririrfk arit rttwt fottys qhrfr" fu hui fatta MQttl 
— Ctytfant, ftaf, But ram art*, wj«i Bftwn tf« mbtrtttrn 0ef**tft«*. ftfrt *a* 
tit Urfiwtt ttffil 64ttlftfii4, Ed* — wn Wffcm W^t. — Vvl tan Brief* to St. B— n. w 
fribt ftfrrfgra*, nit flu* #t. B. unb &m art* M wflaBfrs |ak*, mUt* iff |u frfcffli, baf 
a nliftt «U b« OtfTDforwuttfcf^aft] m* nir waUtt rin»ct#anbta [frin] — 

*kf«r gflrl, btefir $f«b«fffcj*ri - aofrtaM** unit 

Cotltf ft* Hffrv 01cefl mdnfliVar W* Rutin fits* wnatoffi^ ft wrtt U* [fM aU 
Vcrftbm to JJufliab in f$U$U Sffrllf^aft anflaflra, — 

Ludwig van BeeUwvan-* 

Die beiden WSrter, die aach von Frimmel noch nicht richtig gedentet 
worden aind, atehen gegen den SchluB des Brief ea: Ea heiCt start Frimmels 
pbeV[onnnndang]* and ttatt Kallschera „ beret [?]■ — v Oberv[onnund- 
achaft]' and statt 9 Dienatag Itommen", was bei beiden zu finden 1st — 
»elnver8tanden*. Beide WBrter aind allerdinga in der Nachbildung etwas 
zn knrz gekommen t da fast tof der ganzen Seite die enten Bucbataben 
des I Inken Randes wohl infolge nngenauen Einstellena des photographiscben 
Apparates weggeblieben aind. 

So, wie der Brief oben entziffert worden 1st, gibt er nan erst einen 
richtigen Sinn, wenn der Inbalt auch nicht gerade reatlos erkllit werden 
kann. Erst die Detitung der abgek&rzten Namen: W B — r," und der apitere 
,B. B 1st BUtchlinger, der Erzieher von Beethovens Neffen Karl; „Fr. B— n." 
Karis Matter, Frau Johanna van Beethoven; der H» R* P. so gut wie 
richer der Herr Magistratsrat Referent F. X* Pink, 

Worum es sich in diesem Briefe handelt, ist nun ziemlich Mar: der 
Erzieher BISchlinger hatte zn anrecbter Zeit wider den Willen der Ober- 
vormundachaft and Beethovens die verrafene Matter Karl van Beethovens 
bei seinem Zdgling vorgelaaaen, obgleich er damm wufite, daB Beethoven 



t ^ I , Original from 

^ .OOvK UNIVERSITY OF MICHIGAN 



UNGER: BRIEFE BEETHOVENS 149 

es keinesfalls wunschte. Giannatasio del Rio, in dessen Institut Karl fruher 
gewesen war, hatte sich bei solchen Gelegenheiten besser bewahrt. Frimmel 
wird recht haben, wenn er den Brief in die Anfangszeit des Unterrichts 
bei Blochlinger setzt. (Karl war dessen Institut von Mitte 1819 bis weit 
ins Jahr 1823 anvertraut.) Am 14. September 1819 hatte Beethoven z. B. 
an Blochlinger geschrieben: „Nur folgende Individuen haben freien Zutritt 
zu meinem Neffen: H. v. Bernard, H. v. OHva, H. v. Piuk, Referent." 
An wen der Brief gerichtet sei, erhellt nicht ganz zweifellos. Fur Carl 
Bernard spricht indes mancher Punkt. 

Beethovens Brief an E. T. A. Hoffmann 

Bei der Einsicht in die BeethovenschStze der Berliner Koniglichen 
Bibliothek war ich nicht wenig iiberrascht, auch die Urschrift des einzigen 
Briefes Beethovens an E. T. A. Hoffmann zu finden. Er sei danach mit 
einigen Verbesserungen hierhergestellt: 

«3ien, am 23. SWdrj 1820. 
„18\xtx ©o^lgefeorfn! 
3$ rrgteife tit (Bflegenljeit, fcutc$ $t. Neberich mtc$ finem fo gfiffretdjen SKanne, trie ©ie 
ftnfc, ju nfytxn. — Hucfc ufrft meine SSenigfeit fcafcen @ie grfarieten, audj unfft fdjtra<$e #t. Starke 
jrigte inir in (finem 6tammfcuc$f einige 3«len eon 3^ nfn ubtt mid). @ie neljmen alfo, wle tc$ 
glauten mufl, einigen Sfnteil an mir; etlauben €ie mit §u fagen, fca# fciefe«, oon einem mit fo 
au$ge|eic$neten ©igrnfcfcaftm fcegaHen SHanne 3^tf*gUi($en, mir feljr wetyltut. 3$ wunfc^e 3& nm 
aflrt &$bnt unb ©ute tint fcin 

©uer ffio^Igetoten 

mit $c<$ad)tung ergefrenfta 

Beethoven." 

Alle mir bekannten Abdrucke dieses Briefes weisen, da sie auf 
E. T. A. Hoffmanns Schriften zuriickgingen, statt der Namen Neberich 
und w unser schwache Hr. Starke* die Abkurzungen „N." und „N. N." 
auf. Das Schreiben wird wohl nur durch zwei Umstande veranlaOt worden 
sein, einmal, weil Hoffmann in seinen Phantasiestiicken iiber Beethoven 
viel gesprochen hatte, dann, weil gerade „Hr. Neberich" nach Berlin reiste. 
Dieser Herr Neberich ist uns in Beethovens Lebensgeschichte kein Un- 
bekannter mehr. Er war Weinhandler. Ein Empfehlungschreiben vom 
4. Marz 1816 an Franz Brentano in Frankfurt am Main schildert ihn 
spafiig folgendermaflen (Kalischer-Frimmel, Beethovens Samtliche Briefe, 
III, S. 31): w Ich empfehle Ihnen, mein werter Freund, den ersten Wein- 
kunstler Europas, Hr. Neberich; selbst in der asthetischen Anordnung des 
Aufeinanderfolgens der verschiedenen Weinprodukte ist derselbe Meister 
und verdient alien Beifall. Ich zweifle nicht, dafi Sie beim hohen'Rate 
von Frankfurt die hochste Ehre mit ihm einlegen werden, bei jedem^Opfer, 



j ;i :l u-: : )y ^ „-.i)i >^!1 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



150 DIE MUSIK 3QIL 3= I. NOVEMBERHBFT t«3 

dem Bacchus dargebracht, gebttrt lhm der Priesterrang . • *■ Den modern* 
den v schwachen Hr, Starke" kennt die Beethovenfoiachung each scbon. 
Gerade in den Anfug des Jmhree 1820 RUlt eine Beziehnng Beetboveos 
zn diesem ReglmentskapeUmeister Friedricb Stroke, Er war der Heraus- 
geber ciner w Wiener Pianofortetchnle*, won Beethoven Rtaf Bagatellen 
belstenerte. Auf dieee Vcrfffentlichang ond seinen Heraatgeber beziehen 
sicb eioJge Eintrige ini Konvertationebndi, wovon bier nnr die Worte, 
die sicb aar seine Wesensart beziehen, mitgeteilt werden soiled Da heiflt 
es von der Hand eines Unbekannteo (nacb Thayer IV, S. 202, mSgtfcher- 
weise von der Hand Bernards): » * - - Er ist bei aeinem groSen mnsikalischen 
nnd schriftstelleritchen Verdienste docb immer lufierat bescheiden, BeiBig 
and demfltig , , .* nnd: w Er versteht die Kunst zo kompllieren. Es gibt 
jetzt fiberall Schwache, sclbst nnter den Starken** <Ob die letzten belden 
Sitae ron Beethoven selbst stnmmen, ist aus Thayer nicbt dentlicb an 
erfehren. Das Wortspiel von den Schwacben nnd Starken ist aber ecbt 
beetbovensch und 1st ja ancb in dem Brief verwendet.) 

Zwel Beethovenbriefe an & A* Steiner ft Co. 

Zwei andere Briefs, an S, A. Steiner & Co., die bisher nnr ntch 
O. Jahns nicbt recht zaverMssiger Abachrift gedruckt worden sind, konnte 
icb ebenfialls nach den Urschriften in der KSnlglichen Bibliothek ver- 
bessern. Icb erspare mir bier einc nitaere Angabe der Fehler and er* 
wihne nur, dafl sie teilwelse In ziemticb auflllligen Weglassungen nnd 
Verlesnngen bestehon, die mancbmal soger den Inbalt verderben. Im 
zweiten Brief 1st sogar eine Stelle ganz weggebtieben, die nicbt elnmal 
nnwichtig erscbeint; es sind die Worts in der Mftte des Schreibens von 
,Ich braucfae sutt diesen . . ,* bis »zu Oberreichen*. Allerdlngs let dlese 
Steile von Beethoven turn Tell ausgeatrichen* Konnte icb Im eraten von 
belden Briefen etwa ein Dutzend Fehler beaeitigen, bo gab es in dem 
zweiten, von der weggelassenen Stelle abgesefaen, nnr etwa ein balbes 
Dntzend za verbeesern. Es 1st nicbt ndtig, fiber den Inbalt der Briefs 
bier vlele Worte zn verlieren. Icb erwlbne nnr, dafl es sicb in beiden 
nm den Stich der A-dur Symphonic bandelt nnd dafl sie tm Dezember 1816 
geschrieben seln mQssen, da dlese Sympbonle um diese Zelt bei S* A. 
Steiner & Co. in Wien henraekam; endlich erinnere Icb mit Beziebnng 
anf den zweiten Brief daran, dafl der Neffie Karl im August-September 1810 
an einem Bmcbieiden darniederlag und von Dr* Smetana operiert werden 
muflte. Im ilbrigen sei auf die Briefe No. 588 and 569 In der von 
Tb. v* Frimmel besorgten zweiten Anflage Beethoveos Simtlicher Briefe 
von Kalischer (Berlin, 1010) verwiesen* 

Hier stehen die beiden Schreiben in verbesaerter Gestalt: 



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::jA,ot ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



UNGER: BRIEFE BEETHOVENS 151 

I. 

„Die Geschichte mit dicser Symphonie ist mir sehr verdriefllich, da htben wir 
nun das Unheil! — Weder die gestochenen Stimmen noch die Partitur sind fehler- 
frei; in die schon fertigen Exemplare mussen die Fehler mit Tusche verbessert 
werden, wozu Scblemmer zu brauchen. Obrigens ist ein Verzeichnis aller Fehler 
obne Ausnahme zu drucken und zu verscbicken. Der roheste Kopist b§tte gerade 
die Partitur so geschrieben, wie sie jetzt gestocben; ein d. g. fehlervolles mangel- 
baftes Werk ist noch nicht von mir auf diese Weise im Stich erschienen. — Das 
sind ctfe Folgen von dem nicht korregieren wollen, und von dem mir es nicht vorher 
zur Obersicht gegeben zu haben, oder mich dran zu mahnen. Dieselbigen Exem- 
plare, welche ich jetzt hier Ciberscbicke, sind nur mir mit dem darnach verbesserten 
baldmdglichst zuzustellen, damit ich Richtigkeit oder Unrichtigkeit einsehe. — So 
bestraft sicb der Eigensinn selbst und Unschuldige mussen mit darunter leiden. — Ich 
mag nicbts mehr fur mich von dieser geradbrechten verstummelten Symphonie wissen. — 

Pfui Teufel ./• ./•! 

So ist Euch also wirklich der Grundsatz zuzuschreiben, did Ibr das Publikum 
acbtungslos bebandelt und dem Autor gewissenlos seinen Ruhm schmilert ! ! ! 
volti subitoP) 

Da ich krank war und noch bin und das Verlangen des Publikums nacb diesen 
Wcrken etc., das sind Entschuldigungen, die Ibr anfuhren kdnnt beim Verkunden des 
Verzeichnisses der Fehler. — - 

Behut Euch Gott, holt Euch der Teufel. 

II. 

„Ich bitte vor allem, daQ das Verzeichnis der Fehler gemacht werde, sowohl 
der einzelnen Stimmen als der Partitur. Ich werde es alsdenn mit den einzelnen 
Stimmen und der Partitur vergleichen; dieses muQ alsdenn eiligst in alle Welt- 
gegenden gesendet werden. Es ist traurig, daft es so sein muB, allein es ist nun 
nicht anders; auch sind d[er]g[leichen] Fille in der literarischen Welt schon oft 
dagewesen. — 

Nur weiter keinen Eigen- und Starrsinn, sonst wird das Obel immer Srger. — 
Ich braucbe start diesen 5fer 20ger; ich babe eben fur meinen kleinen armen Karl 
370 fl. auf eine ehrenvolle Art an seinen Befreier vom Bruche zu uberreichen. — 
Die Wechsel von meinem Kapitale von 100000 Xzern brauchte ich nur auf einige 
TIge, jedoch nicht aus Mifltrauen ! ! ! Sonnabends bedurfte ich wohl wieder 100 fl. 
K[onventions]G[eld?] umzuwechseln. So sind uberall Obel auf Obel, der Herr ver- 
lasse mich nicht. 

Euer etc. 

G[eneralissimu]s." 

Ein erg&nzter Brief an Anton Schindler 

Wenn man die Beethoven-Briefe an Anton Schindler, die in der 
Berliner Koniglichen Bibliothek aufbewahrt werden, durchblattert, bemerkt 
man mitunter, daQ eine kurze Stelle von einer andern als Beethovens 
Hand durchstrichen ist. Was der Meister selbst unkenntlich gemacht hat, 
ist mit grofien kreis- oder spiralformigen Zugen ausgestrichen ; jene Feder 



') Bei .Volti subito* soil der Leser des Briefcs das letzte Blatt des Briefes 
schnell umwenden. 



):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?. 



d J UNIVERSITY OF MICHIGAN 



152 DIE MUSIK XI1L 3: L NOVEMBER HEFT 1913 

aber, die hier gemeint 1st, wnrde von elner beinahe zlerlicb, jcdenfalls 
aber sorgflltiger ztt nennenden Hand gef&hrt, die zudem mchr hlkchen* 
artig ibr Vernicbtangswerk begangen bat. Sie stlramt, es set gleicb ver- 
raten, wenn man die Scbrift Schindlers dagegenbftlt, in Feinfaeit nnd Tfnte 
anfflUIg mit dieser Hand fiberein. Elne von den unkenntlich gemachten 
Stellen, die auBerdem nocb die nmfangreicbste von alien ist t babe icb, 
obglelcb Kaliscber sie fBr nnlesfaar gebalten hat, obne irgeadein Hilfa- 
mlttel aoznwenden, wie lcb meine, fehlerlos entzilfert, Der Brief begun 
bisber ungefUir im zweiten Drittel mit den Worten: ,Zu Scblemmer geha 
Sie nlcht mchr* . . , Er faelSt nan vollsttndig, ancb sonst etwas ver* 
bessert: 

fl « wt ovlgnatftf, taf 6ff fittf M *flf a>ttfl* Vrttftng twtfaflfftra, ft, w\t J* f* Ei 
oatrni t» K«T]flD^4nt] ffi&n* m«$ fctyrt §rm4t frfcf «*b M fe*o* ten frlbff Mifb}t — Mm 
wtrto tt* {touttf itrrfo buff* Sfrntn tefcvfltn vab ty wnU H fopf tra- — 3 11 64t"*»^ S4« 
€1* ttt^t mtfo *«i grit morflm frft> fel&fr Jta, — «** qfrbuniftttttttttegftt*} too? 14 wfr 
bn|flf4hfta* Eknn eu ntr fotrifra, fe tyfriton ©t* mtf mtt grtabt, *ir 14 Sftu*, ofri* Zttfl, 
otnt Vfottte, «|nf Uslirftylft. Vita brerii, an long*. tf « tawf* 0** nf^t ftytittlf w 
glut* vol nitig if. 

frrffm gffrn tor M* «o4t, intan 1* fribp an tyii f^wtfcrt wtiL fta U| atrt mtt b<t Ohtfthuq 
*t*t infvittai ttn, fe »lfl I* frlbf frltp InbfriL* 

Vie man sieht, vollte ea wobl Scbindler nicht, dafi die Wort© Beet- 
hovens, die einen so scharfen und vielleicbt auch berechtigten Tadel ettt- 
balten, der Nachwelt flberliefart wurdeiL Wir dfirfen derogemlfi scblieflen, 
daB der Famulus des Meisters such die kleineren Stellen in andera Briefen 
nur deshalb unleserlicb gemacht bat, well es ihm nlcht angenehm wir, daB 
sie splter noch gelesen wfirden. 

Ober den Inhatt dea Briefes, der ins Jahr 1823 geb5rt f brauche icfa 
welter nichts hinzuznfQgpn, da der Anrang an sich verstlndlich 1st nnd 
Nobl vnd Kaliscber scbon nftber tut den bereits bekanntco Scbinfl eio- 
gegangen sind. 



[" ^ y I , Origin 3] from 

^ ,tK ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



AUS FROSCH- UND VOGELPERSPEKTIVE 

GEDANKEN EINES SCHAFFENDEN 
BENAMSET WILLY VON MOELLENDORFF IN NEUENAHR 



III. 1 ) 

Tausend Gelehrte werden von einem Kiinstler fett, aber ein Kiinstler 
nicht von tausend Gelehrten. 

„Art is long and time is fleeting* ist heut zu ubersetzen: Eure 
Kunstwerke sind uns zu lang, wir Zeitgenossen fliichten. 

Strafrichterei und Kunstrichterei! Beides in letzter Linie nur Kraft- 
vergeudung. Denn dort wie hier: keine Spur von Besserung der Tater 
oder Riickgang der Missetaten, nur ordnungsmaOiges Abstempelungsver- 
fahren nach Paragraph soundso. Ihr lieben Richter jeglicher Art! Be- 
herzigt doch ein wenig Ostwalds energetischen Imperativ! 

Immerhin: die Sunder sind wir. 

Jedes Musikstiick muO Form haben; es braucht aber durchaus nicht 
eine Form zu haben. 

Wenn ein Werk anfangt, einer Bearbeitung zu bedurfen, um furder 
noch genieflbar zu sein, so ist dies das beste Zeichen da fur, daO man es 
nicht mehr bearbeiten soil. Denn selbst durch die kostbarste Einbalsa- 
mierung wird auch die bedeutendste Leiche nicht zum Leben erweckt, 
sondern hochstens zur unsterblichen Mumie umgewandelt. 

Lasset die Toten ihre Toten begraben! 

Lebende — lebt fiir die Lebendigen! 

Aus einem Thema lassen sich leichter die Sequenzen als die Kon- 
sequenzen Ziehen. Aber viele Komponisten vermeinen schon konsequent 
zu schaffen, wenn sie konsequent Sequenzen schaffen. 

Arzte sind zugleich Schuler und Lehrmeister der Naturkrafte. So 
sind sie schlieBlich aus Medizinern wirkliche Heilungsbringer geworden. 
Wollen denn unsere Kunstkritiker nicht auch endlich versuchen, Schuler 
der Kunstkrfifte zu werden, anstatt nur immer vergeblich ihre Lehrmeister 
zu spielen? So diirften sie hoffen, auch einmal auf ihrem Gebiet heilend 
eingreifen zu konnen. Oder erstreben sie dieses Ziel garnicht? 



l ) Vgl. „Die Musik", Jahrgang XII, Heft 9 und 21. 



):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?. 



d J UNIVERSITY OF MICHIGAN 



IM DIB MUSIK XIH. 3: I. NQVEMBERHEFT 1013 

Die Melodic 1st die Verblndnngpbrflcke zwlachen K&nstter- nnd 
Laieniand. 

Wer Bio beachldlgf, writ fSr die Trennnng der beideo Relcbe* Nor 
Toreo treiben derloi. 

Gewlsse Knnstgplebrte alnd beat im SchweiBe ihres Angeslchts be- 
mOht nacfazuwelsen, daB atte groDeit KOnstler sis Menschcn reine Engel 
waren. Dabei hat nocta file ein Tbeologe nacbveisen wollen, daB «Ue 
Engel anDerdienstlich grofle KOnstler waren* Dieses wire elgentlicb nocb 
eher xu verateheo. Aber: die Theologcn aind eben vernflnftige Lettte. 

Wenn dem Komponisten aelbst aein Werk zu knrz eiscbeint, dann 
i»t es allemal gerade lang genug. 

Mit dem honigrifien Lockgppiep , Varum — datum* Hngt das 
Dntzend-Talent seine Gimpel, nnd das gedelbt ihm znm treffiicheo 
Schmeerbaucb. Mit dem donnernden Schlschtruf »Dennocb* rennt das 
Genie Sturm wider die Hobhnauera dieser Welt, and es legt Bresthe 
oder — es rennt alcb aelbst dibei den Scbldel ein. 

Endllcb nocb ein vlelaagendea Scherzwort von Felix Dxmeseke 1 ): Ffir 
nna Komponisten 1st „verlegen a nnr ein Adjekdrura. 



*) Icb mftchte an dieser Stella dem wettverferelteteii Intam entnogtfltretea, icfc 
«I ein Schiller von Drseeeke. Brit in dee letzten Jabren sdnes Lebens babe ich 
den llefaen ilton Harm kennen gelernt, iber wie una iinammenfibrte, war gemein- 
aame Sorge un die Zukunft unterer Kttast, Welleicbt such ein wentg gemelesemei 
Leid ob uoeeres tcblecbten Gebftrt; mlc Unterrichtsstunden in irgendwelcber Form 
batten nnsere wenigcn Zoaammenkihiftet die mir ttbrigens tunrergeBlich blriben 
warden* utebt» gemcln* 



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DIE NEUE ORGEL IN DER JAHRHUNDERT 
HALLE ZU BRESLAU 

VON JOSEF SCHINK IN BRESLAU 



Breslau besitzt nictat nur die grSGte Halle sondern auch die grofite Orgel der 
Welt. Die im Jabre 1883 erbaute Orgel in Riga stellte mit ihren 124Stimmen 
schon eine Leistung dar, die kaum mebr ubertroffen werden konnte. Aber 
scbon im Jabre 1885 wurde in Libau eine Orgel mit 131 Stimmen gebaut. Die Dom- 
orgel in Berlin kann mit ihren 113 Stimmen als das grofite pneumatische Werk 
Deutscblands angesprochen werden. Ein amerikanischer Orgelbauer stellte nach 
elektropneumatischem System in Kansas City im Jahr 1904 eine Riesenorgel mit 
140 Stimmen her. Die Orgel der Michaeliskirche in Hamburg enthait 163 klingende 
Stimmen und ist ebenfalls nach elektropneumatischem System gebaut. Aber noch 
ehe diese Orgel vollstindig fertig war, tauchte ein neues Riesenprojekt auf, die Orgel 
fur die Jahrhunderthalle in Breslau. Diese Orgel sollte den ungewohnlich weiten 
Dimensionen der Halle klanglich angepafit sein, und es erhielt deshalb Prof. Straube 
in Leipzig von dem Breslauer Magistrat den Auftrag, eine der Halle entsprechende 
Orgeldisposition zu entwerfen. Der Orgelbauer Paul Walcker, Inhaber der Firma 
E. Sauer in Frankfurt a. O. wurde mit dem Bau der Orgel beauftragt. 

Die Orgel der Jahrhunderthalle besitzt 187 klingende Stimmen und 13 Trans- 
missionen. Die Stimmen sind auf 5 Manuale und 1 Pedal verteilt. Die Manuale be- 
sitzen je 61 Tasten, das Pedal 32. Die Register sind in einer Hauptorgel und in einer 
Gegen- oder Fernorgel untergebracht. Diese Fernorgel ist in einer H5he von 25 Metern 
aufgestellt. Die Entfernung beider Werke voneinander betrflgt zirka 80 Meter Luft- 
linie. In der Hauptorgel beflnden sich 136 Manualregister und 33 Pedalregister. In 
der Gegenorgel liegen 23 Manualregister und 8 Pedalregister. Die Orgel ist sehr 
reich an Soloregistern. Die Hauptorgel besitzt 87 Solostimmen im Manual, 10 Prin- 
zipale, 17 Streichstimmen, 2 Schweben Streicher, 38 Floten, 21 Zungenstimmen, 
1 Glockenspiel, 25 Fullstimmen und 22 gemischte Stimmen. Im Pedal sind vor- 
handen als Solo 7 Zungenstimmen. Dazu treten 3 gemischte Pedalstimmen und 
23 Fullstimmen. Von alien diesen Registern der Hauptorgel sind 29 Hocbdruck- 
stimmen. 

In der Gegen- oder Fernorgel beflnden sich im Manual 15 Soloregister, darunter 
ein Blaserchor von 7 Stimmen, auCerdem ein Glockenspiel. Die ubrigen 7 Register 
dienen als Fullstimmen. Im Pedal beflnden sich eine Solozungenstimme und 7 Full- 
stimmen. 

Die Register besitzen zusammen 15120 Pfeifen, deren grdfite eine RohrlSnge 
von 10,5 Metern und deren kleinste eine Lange von nur 8 Millimetern besitzt. Von 
diesen Pfeifen konnen von einem Organisten uber 4000 zugleich zum Tonen gebracht 
werden. 

An Spielhilfen besitzt die Orgel 29 Koppelungen, 3 freie Gruppenzuge fur das 
ganze Werk und je 1 Gruppenzug fur die Einzelklaviaturen, 69 feste Gruppenzuge, 
4 Jalousieschweller, 1 Registerschweller als Walze ohne Koppeln und 1 Schweller 
als Hebel mit Koppeln fur ganz schnelles An- und Abschwellen. Im Spieltisch be- 
flnden sich 337 Tasten, 911 Gruppenzugknopfe, 203 Registerwippen, 156 Druckknopfe 
zwischen den Manualen, 25 Pedaltritte, 4 Schwelltritte, 1 Schwellhebel und 1 Walze. 
Es stehen also dem Organisten im ganzen 1718 Organe zur Verfugung. 

Die Orgeltraktur ist nach einem ganz neuen System, nSmlich dem der direkten 



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156 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 

elektrischen und funkenfreien Ubertragung (Deutsches Reicbspatent No. 26079) gebaut. 
Diese Traktur war bisher noch nirgends angewandt worden. Sie stellte eincn genialen 
Versuch dar, der aber uber alle Erwartung gelang. Als eine Kommission von Sach- 
verstandigen die im Bau befindliche Orgel in Frankfurt a. O. besichtigte, liefi der Er- 
bauer, um die Dauerhaftigkeit der Traktur zu erweisen, bei eingeschaltetem Funken- 
loscher uber einen Spitzkontakt aus Hartsilber 2 Millionen Kontakte ergehen. Am 
Schlufi zeigte sich auch nicht die geringste Oxydschicht. Im Gegenteil, die Kontakt- 
flSche war hellglanzend und reiner als zu Anfang. Es kommt hinzu, dafi die Ver- 
suche in einem staubigen Mascbinenraum stattfanden und dafi der Kontakt zeitweise 
durcb Ol beschmutzt wurde. Neu ist ebenfalls, daQ Kontakte und Kontaktkom- 
binationen, elektrische Ventile, Koppelrelais, Funkenloscher und Schwellenbeweger 
fabrikmSBig hergestellt werden und zwar in Normaltypen, die fur jede alte und neue 
Orgel passen. Alle Apparate nehmen wenig Raum in Anspruch und funktionieren 
absolut gerSuschlos. Durch den Tuttizug werden z. B. 242 Magnete zugleich in Tatig- 
keit gesetzt. Diese Magnete schliefien auf einmal 1146 Kontakte und 193 Ventile, 
ohne dafi das geringste Gerausch wabrzunetamen wSre. Alle pneumatiscben Hilfs- 
relais fallen fort. Das erhdht die PrSzision und vereinfacht und verbilligt die Traktur. 
Die Koppelrelais gebrauchen nur einen Gang von zwei Millimetem, um prSzise bis 
61 Kontakte zu offnen und zu schliefien. Bisher war es nicht moglich, die Jalousieen 
der Scbwellwerke auf elektrischem oder pneumatiscbem Wege ganz gleichmafiig und 
ohne storende Rucke zu offnen oder zu schlieften. Das neue System der Breslauer 
Orgel lost auch diese Frage auf rein elektrischem Wege. Die Jalousieen des Fern- 
werkes mit 80 Quadratmetern Offnungsflache gehorchen jeder Bewegung des Schwell- 
tritts am Klaviaturschrank, trotz der kolossalen Leitungsl&nge von 350 Metern und zwar 
mit einer Spannung von 10 Volt und mit einer elektrischen Leistung von nur 12 Watt. 

Um in jeder Beziehung zuverlassig zu bauen, hat die FirmaSauer trotz Loschung 
sa*mtlicher Funken bei alien Kontakten Platin verwandt. Eine Abnutzung ist daher 
ausgeschlossen. Alle Eisenteile der Traktur sind verkupfert und vernickelt. Die 
elektrischen Relaisgehause sind aus glasharter Hartgummi-Prefimasse hergestellt, die 
durch Temperatur und Feuchtigkeit nicht beeinflufit wird. 

Alle Kontakte sind in staubsicheren GehSusen eingebaut. Jeder Magnetstrom- 
kreis ist durch eine Patrone gesichert worden, so dafi niemals Kurzschlufi entsteben 
kann. Die Feuersgefahr ist durch diese Einrichtung ganzlich ausgescbaltet. 

Als das Riesenwerk in den Frankfurter WerkstStten endlich fertiggestellt worden 
war und nach Breslau transportiert werden sollte, stellte es sich heraus, dafi elfgrofie 
Waggons zur Beforderung notwendig waren. Das Gesamtgewicht betragt 50500 Kilo- 
gramm, der Spieltisch allein wiegt 1050 Kilogramm. Die Hauptorgel ist 22 Meter 
breit, 15 Meter hoch und 15 Meter tief. Sie bedeckt eine Bodenflache von 260 Quadrat- 
metern und hat einen Rauminhalt von 2340 Kubikmetern. Die Gegenorgel bedeckt einen 
Flfichenraum von 31 Quadratmetern und hat einen Rauminhalt von 200 Kubikmetern. 
Der Wind zur Orgel wird fur die Hauptorgel hervorgebracht durch einen Ventilator, 
der in jeder Minute 160 Kubikmeter Wind mit 300 Millimetern Druck Wassersfiule 
liefert. Er wird angetrieben durch einen Motor mit 12 Pferdekraften. Wenn die fur 
die Orgel notige Windkraft durch Baigetreten hervorgerufen werden sollte, so mufiten 
etwa 12 Mann angestellt werden. 

Die vorstehenden Ausfuhrungen konnen deshalb Interesse beanspruchen, weil 
es durch die in ihnen aufgezeigten Mittel dem Orgelbauer gelungen ist, ein Werk von 
idealer Vollkommenheit herzustellen. Ganz aufiergewohnlich schon und charakte- 
ristisch sind die Solostimmen. Alle Organisten von Ruf, die bis jetzt das Werk ge- 
spielt haben (Professor Karl Straube aus Leipzig eingeschlossen), sind sich darin einig, 



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SCHINK: DIE ORGEL IN DER BRESLAUER JAHRHUNDERTHALLE 157 

noch niemals eine Orgel mit soviet scbonen Charakterstimmen gespielt zu baben. 
Namentlich begeistert die Spieler die Fuile der Zungenstimmen und Floten. Ganz 
eigenartige Effekte erzielt man mit dem Glockenspiel des Hauptwerkes, das wie eine 
Harfe klingt. In schnellem Tempo gespielt erweckt es die Empflndung, ein Klavier zu 
horen. Das Glockenspiel des Fernwerkes hat mehr den Charakter der MilitSrglocken- 
spiele. Prachtige Wirkungen lassen sich erzielen durch das Wechselspiel der Haupt- 
orgel mit dem Femwerk. Als besonderer Effekt beflndet sich in der Fernorgel ein 
BISserchor von 7 Zungenstimmen. Wenn dieser im rechten Moment eingeschaltet 
wird, hat man den Eindruck, als ob ein BlSserchor vom Kirchturm herunterspielte. 
Eine Menge Vogelstimmen, von den sehnsuchtigen Tonen der Nachtigall bis zum 
Massengezwitscher lassen sich durch die Stimmen der Orgel nachahmen. Die Fern- 
orgel hat ein eigenes Pedal, das erklingt, sobald die Hauptorgel im funften Manual 
gespielt wird. Diese Pedalumschaltung geschiebt so rasch, dali man mit einem Triller 
des Hauptpedals einen Triller des Fernpedals hervorrufen kann. Das Zusammenspiel 
beider Orgel n klingt fur den Zuhorer durchaus einheitlich. Grandios klingt die Tuba 
mirabilis. Als Professor Straube aus Leipzig nach einem instruktiven Vortrage des 
Orgelbaumeisters Walcker das Werk in seinen wichtigsten Stimmen und Stimm- 
gruppierungen vorffihrte, war alles erstaunt fiber die Schonheit, Fulle, Ausdrucks- 
flbigkeit und den Reichtum der Stimmen. In der Tat lobte das Werk in wirksamster 
Weise seinen Meister. 



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5' UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KONGRESS FOR ASTHETIK UND ALLGEMEINE 
KUNSTWISSENSCHAFTEN ZV BERLIN 

7.— 9l OKTOBER 1013 
BESPROCHEN VON D1L HERMANN WETZEL IN BERLIN 



Dieter Koagrefi wir der erete Verencb, die Vertreter der kunetwietenachaA- 
lichen Eiazeldiaxiplinen xur Semmlung eubnnifea. Seta Verleuf In den 
Rlumen der Univereitlr nod seta reger Beencb bet gezdgt, vie wttlkommen 
den Kunetgelebrten eine eolcbe Gelcgenbeit sum perafinlicben Gedenfcea- 
anttautch war, und men gewsnn den Elndruck, deft wobl Jeder der Tellnebmer reichere 
Anregung in den drel Tegen fend, alt Ihm Vocbea efaaamen Studierene gebeu kftaoen. 

Tir Mavlktbeoretikef und Muaiklathetfker mDeaen ]ede Gelegeabttt, AnachluQ en 
die Scbwesfnrwitaentcbaften und die iinter geeamtat Denkenbetcbinnendetrndlenkead* 
ellgemeiae Aatbetik in gewfanea, enfa wlnnete begrfltten, und so waren denn neb 
▼on den Mm ikgeiebnen aamentllcb der tfingemn Generation cine Anxatal der t&cbtigiten 
Vertfeter der Einladung xune Kongrett* eel es el* Tortmgende Mitglleder, eel et ale 
Hfirer gefolgt Der luftere Erfolg dieter refen Antellnatame Ton alien Selten tat, dabV 
man beacbloaten bat, dteee Kongreste an einer stitadlg wiederfcefarenden Einricbtung 
mit inteniatlonalem Cbankter a u macbea* In xwel Jabren wlrd man tlcb in Tien, 
1917 in Paris an glelcbem Zwecfce Teraammeln. 

Beror leb auf die elntelnen Vortrlge ana dem GebEete der MuaJklatbetik eJn- 
gehe, mffcbte feb jam allgameln fiber die Bextebnngea swlechen den Muaikviaaen- 
acbaften, spexlell der Mntlkfbeorie, ttnd der Aatbetik, wie ale tndnes Eracbtens ado 
sollten, nnd wie tie beute Tiellacb nocb nicbt tind, tprecben. Icb will mkb dabel 
auf die Mutiktbcorie, alt metn eagcrea Geblet, beacbrlaken, wo xweifelloe nocb ?W 
zn lane Bexlebungen inr Mutlkletbeilk bemebea. Die Uraacbe flir dleae gegeneeftlge 
Fremdheit sucbe leb am ehetten bel der Mutlfctbeorie, Sie let die Jttngere, usent* 
wlckeltere Viaaenacbaft, and ibr ttebt ea deber an t an die Aatbetik mlt Ibren Eifpbattaen 
beranxutreten und ibr diete mtigjkbat bandgerecbt binxureicben. Dae bat uniere 
Mtuiktheorfe biaber In nur elleubetcbetdenem Matte getan und damit der Aatbetik 
die Mdgtlcbkeil vorenfbajten, den Zweig der Mnaiklttbertk to autanbatten, ait et auT 
dem Geblete der RaumfcOnate und Literatur gcacbebeo konnte. 

Nun tind ja die exakten Kuntttbeorieen alle jftngenn Datums, well tie erst 
durcb die {finger* Eatwickelung der pbyeiologitcbea Ptycbologle ennftglicbt wnrden 
Aber mir aebeint, datt die Tbeoretiker der blldenden und Spracbkonat nnt Mnefk* 
tbeoredkern in der Benutxung der neuen wertvollen natunriaienichaftllcbett Grand- 
lagen roraut tind. Sle baben dnrcfaweg engere Fflhlung mit den nacbbarlicben Natur* 
wlaaenecbaften, denn ale kommen mettt daber und wandten ibr Vlaaen aur die Kanst 
an, ant Liefae xur Kunat, xu der sie — Tom Staodpuokte det acbaflbndea Kflnatlere 
ant geurteUt — melat im Verbiltnin dea Liebhabera eteben. 

Anders tat ee in der Musfk. Hler atnd die meiatea der tbeeretlach Inmeeaferten 
Mlnner Ton Haut praktiecbe Muslker, ecbeffende oder nacbtcbaffande, und sie 
ttehea umgekebrt ibrem eigenea Vlttentfebiete, deteen Ertcbeinungen jaeln Peld 
der Natunriaaentcbtft tind, Tollenda aber den enacbllefteaden Tiaaenegebletea 
alt Uebbaber, oft lelder nur allxn dllettantiaeb gegenflber. Auf den Gebiete 
der Muetkgescblcbte let der Zuttaod gegenteltlger Durcbdriagnng von kflnttlerischem 
Kfinnen nnd enttprecbender kfinatleritcber UrteEltkraJfc eEnereeitt und andererteltn 
biatoriach viaaeatcbaftltcber Scbulung am ebeaten inhiedenateUend. 



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^ ,tK ^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



WETZEL: KONGRESS FOR ASTHETIK UND KUNSTWISSENSCHAFTEN 159 

Ich meine, dafi im ganzen vorigen Jahrhundert und zum Teil auch noch beute 
lediglich der wissenschaftlich ungeschulte Kunstler, oft nur der geistlose Musikhand werker 
der GewSbrsmann des Astbetikers auf musikalischem Gebiete war, zum Schaden der 
Asthetik und unserer Kunsterziehung. Es ist also in erster Linie an unsere Musiker 
die Mahnung zu richten, wenn sie sich mit den Tatsacben ihrer Kunst reflektierend 
befassen wollen, diese Tatsacben in dem grofieren Zusammenhange zu betracbten, in 
dem sie eben als Teilerscbeinungen der Natur stehen. Die Musiker mussen einsehen 
lernen, dafi es nicbt mebr angeht, Musiktheoriebucher zu schreiben, die auf dem 
Niveau der Kocbbucher stehen, das heiftt eben nichts mehr als naturgemSB meist 
willkurliche „Rezepte* enthalten. 

Diese Einsicbt ist aber der Mehrzahl unserer Praktiker noch nicbt gekommen. 
Jabr aus Jahr ein erscbeinen Lebrbucher der Harmonielehre, Formenlehren, Elementar- 
theorieen, Phrasierungsausgaben usw., darunter von beruhmten Namen, die als 
intellektuell wissenschaftliche Leistungen naiv und dilettantisch sind, und denen der 
Asthetiker wie auch der ernste Theoretiker so gut wie nichts entnehmen kann. Die 
Naivitlt und Harmlosigkeit, mit der die Mehrzahl unserer schriftstellernden Musiker an 
die begriffliche Darlegung musikalischen Tatsachenmaterials geht, ist fur unseren Stand 
beschamend. Wer meine Einzelkritiken auf diesem Gebiete verfolgt hat, wird wissen, 
welche Namen ich hier vor allem nennen mGBte. Aus diesem Zustande kindlicher 
Selbstzufriedenheit kann die Musikschriftstellerei nur herauskommen, wenn sie An- 
schlufi sucbt an die Nacbbarwissenschaften aus Natur und Geisteswelt. Uns Musikern, 
die wir die Welt der Tone begrifflich fassen wollen, tun philosophiscbe, psychologische y 
naturwissenschaftliche Kenntnisse bitter not. Um eine Harmonielehre mit einigem 
geistigen Niveau zu schreiben, genugt es nicbt, irgendwo auf einem Konservatorium 
oder einem Seminar im Generalbafi unterricbtet zu haben, genugt es auch nicht ein- 
mal , ein guter Komponist zu sein. 

Solche Gedanken sind mir auf dem KongreQ fur Asthetik erneut und mit be* 
sonderer StSrke gekommen. Ich dachte: welch ein anderer geistiger Wind weht bier 
als auf einer Musikerversammlung, und wieviel haben unsere Musiker noch an sich 
zu arbeiten, um hier mitkommen zu konnen. Es erfullte mich andererseits auch mit 
einer gewissen Genugtuung, eine Anzahl Musikschriftsteller und -forscher persdnlich 
und in ihren Vortr3gen kennen zu lernen, die man sofort als vollgultige Vertreter 
ibres Wissensgebietes erkannte. Auf dem Kongrefi waren nicbt alle von uns er- 
scbienen, die man dort erwarten durfte und gern gesehen hitte. Wir wissen aber 
jetzt, dafi eine Vertreterschaft der Musikwissenschaft gerade in der jungeren Generation 
lebt, und das ist ein erfreuliches Bewufitsein. 

Ich will jetzt kurz von den Vortrigen aus der Musikabteilung berichten: 

Am ersten Tage gab Paul Moos einen kurzen Obcrblick uber den gegen- 
wirtigen Stand der Musik&sthetik. Er wies sicben Ricbtungen nach, in denen 
man heute zum Ziele zu gelangen strebt. Er selbst bekennt sich zu einer idealistischen 
Anschauung, die das Kunsterlebnis jenseits aller experimentell fafibaren Tatsacben 
sieht, und auch seine Erkenntnis nicht aus der Erfahrung (freilich auch nicht ohne 
sie), sondern aus reinen (wenn ich so sagen darf apriorischen) geistigen Kraften zu 
gewinnen strebt. — Charles S. Myers gab einen Beitrag zum Studium der An* 
Hinge der Musik, indem er von seinen eigenen Beobachtungen bei Bewohnern der 
Sudseeinseln berichtete. Als markanteste Tbesen seiner Ausfuhrungen m6chte ich 
die beiden folgenden vermerken: Er meint, dafi die Entwickelungsmoglichkeiten des 
musikalischen Vorstellungslebens bei den verschiedenen Volkern nicht gleich seien, 
und dafi zweitens der Rhytbmus in der primitivsten Melodik nicht iramer als be- 
stimmender Formfaktor auftrfite. — An dritter Stelle bdrte man Alfred Heufi uber 



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v,UU tV l UNIVERSITY OF MICHIGAN 



160 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 

den geistigen Zusammenhang von Text und Musik im Strophenliede. 
Heufl ist ein Vertreter der Kretzschmarschen Hermeneutik, deren Wert meiner 
Ansicht nach davon abh&ngt, wie eng man ihre Deutungen mit den rein formal- 
erkenntnistheoretischen Ergebnissen einer absoluten Musiktheorie verknupft Seine 
Ausfuhrungen bewegteif sich in den Grenzen, wo man ihnen stets gerne folgt, wenn 
man auch nicbt immer uberzeugt war. Der Redner zeigte an einer Reibe von 
Strophenliedern, wie oft einzelne den Worten des ersten Verses gegenuber sinnlose 
form ale Gestaltungen aus den spateren Versen ihre kunstlerische ZweckmSBigkeit 
nachweisen. — Einen starken Eindruck hinterlieB bei mir der Vortrag von Arnold 
Schering zur Grundlegung der musikalischen Hermeneutik. Er beschrieb 
das Musikerlebnis als einen bewegten Organismus, einer aufbluhenden Pflanze gleicb, 
mit inneren Triebkraften. Das Sich-Auswirken dieser Krilfte fordert und flndet Wider- 
stSnde und SuBert sich in der Aufstellung von Gegensatzen teils rein elementarer Art 
(forte-piano, schnell-langsam, hoch-tief, Konsonanz-Dissonanz usw.), teils zusammen- 
gesetzter Natur (Aufstellungs- und Antwortsmotiv, Vorder- und Nachglied usw.). Durch all 
das werden ungezahlte Spannungs- und Losungsempfindungen wach. Es erwachst ein 
System ineinandergreifender Konfliktsempfindungen, als ein Ebenbild unseres eigenen 
Stimmungslebens. Die Tone fuhren ein Drama auf, und wir sind die Zuschauer. 
Der Hermeneut will nun nicht etwa die Musik in Bilder und Begriffe auflosen, er 
will nur, daB moglichst viele Spannungen und Entspannungen erlebt werden. Dazu 
zieht er Bilder herbei und weist auf analoge Spannungen, z. B. unseres Willenlebens 
hin. Redner verurteilt naturlich die skrupellos naive Anwendung der Affektenlehre 
des 18. Jahrhunderts. Er mochte die Hermeneutik mehr aufgefafit wissen als eine 
Lehre von der Statik und Dynamik unseres Seelenlebens, wozu eine exakte Musik- 
theorie das Tatsachenmaterial zu liefern hat. Die Hermeneutik bleibt naturlich stets 
Schilderung eines musikalischen Erlebnisses. Dieses selbst ist etwas unvergleichlich 
Eigenes und letzthin uberhaupt nicht begrifflich Faflbares. Die Hermeneutik muQ auch 
das Recht des UnbewuBten im MusikgenuB anerkennen. Ihr Schwerpunkt liegt im 
Padagogischen; denn der genial Begabte kann ihrer leicht entraten, um aber die 
Tausende von Durchschnittstalenten an und in die Kunst heran und in sie hinein- 
zufuhren, dazu bedurfen wir der Hermeneutik. Dies war der Inhalt der fesselnden 
Rede, zu der einige Diskussionsredner (wie auch ich bier) Zustimmendes als auch 
Warnendes zu sagen hatten. 

Fritz Ohmann berichtete in seinem Vortrage: Melodie undAkzent uber 
seine experimental-psychologischen Untersuchungen zu diesem Thema der Elementar- 
rhythmik. Ich hatte den Eindruck, daB die gehaltvollen Ausfuhrungen des Vortragenden 
einer schirferen Gruppierung bedurft hatten, um in dieser Kurze geschlossen zu wirken. 
Max Penkerts Vortrag uber Witz und Humor in der Musik brachte nur 
Alltlgliches und fiel leider etwas aus dem Rahmen der Verhandlungen. Hermann 
Wetzel gab an Stelle seiner geplanten Obersicht uber die Ergebnisse der neuesten 
Musiktheorie fur die Asthetik lediglich eine Darstellung des Dur-mollproblems 
innerhalb des diatonischen Tonkreises in seiner durch Mayrhofer beeinfluBten 
Auffassung, die sowohl von der Helmholtz' als auch Hugo Riemanns wesentlich abweicht. 
Ich halte das Dur-moll fur ein elementares tonrSumliches Anschauungsprinzip. Unser 
musikalisches (speziell unser tonrfiumliches) Anschauungsvermogen basiert auf dem 
Kontrast, wie unser Empflndungsleben uberhaupt. Auf dieser Basis bauen wir unser 
Tonsystem auf, und bereits im primitivsten Tonkreise, dem pentatonjschen, kommt 

der Dur-moll Kontrast an einem Dreiklangpaare c e g zur Erscheinung neben dem 

a ce 

: I 

Konsonanz-Dissonanzgegensatz. Die gemeinsame Grundlage der beiden Gegenwerte 



):;,; 1;K :)vCO()Q!C nun^SL"^?. 



tV UNIVERSITY OF MICHIGAN 



WETZEL: KONGRESS FUR ASTHETIK UND KUNSTWISSENSCHAFTEN 161 

ist die in der Oberrcihe des Ursprungstones c naturlich sich darbietende GroBterz 
c— c, deren Gefuhlscharakter durch Hinzutritt des (gleichfalls obertonigen) g nur ver- 
tieft wird. Der Hinzutritt des der Oberreihe fremden a bedingt eine Trubung des 
Gefuhlscharakters der GroCterz c— e. Fur die konstruktive Gewinnung des a ist ein 
tonraumliches Symmetriebedurfnis als lenkende psychische Ursacbe anzunehmen. Die 
Dur-mollempfindung bei Dreiklingen ist also der Empflndungseffekt eines im tonrium- 
lichen Sinne spiegelbildlich gleichen Wegerlebnisses. Aus der gleicben psychischen 
Unterlage heraus erklare ich das Dominant-Subdominanterlebnis im diatoniscben Ton- 
kreise. Mein Vortrag enthielt sicb aus zeitlichen Grunden jeder musikalisch praktischen 
Folgerungen dieser Theorie (die bedeutsame sind) sowie jeder Ssthetischen Ver- 
allgemcinerung. Ich wollte lediglich ein Beispiel geben, wie der Musiktbeoretiker 
die musikaliscben Phanomene dem Asthetiker bandgerecbt darzureichen habc. 

Ins musikalische Gebiet spielten auch die Demonstrationen des Leipziger 
Philologen Eduard Sievers zur Lehre von den klanglichen Konstanten in 
Rede und Musik binuber. Sie wollten dazu dienen, die Tatsacben der von Joseph, 
Clara und Otmar Rutz aufgestellten Lehre von der spezifischen Klanggebung fest- 
stellen zu helfen. Sievers ist uberzeugt, daQ durch Rutz, dessen Theorieen er freilich 
fur sebr anfechtbar halt, bisher nicht bekannte Phanomene und GesetzmSBigkeiten 
der individuellen Klanggebung aufgedeckt sind. Es handelt sich hier, wie ich die 
Sache verstehe, naturlich um rein akustische Phanomene. Wenn z. B. Rutz das 
Schaffen der Komponisten nach Klanggebungstypen ordnet, so will er damit nicbt 
das geistige Wesen dieser Meister registrferen, sondern meint nur, daQ alle Werke 
eines Meisters eine gewisse klangliche Konstante durchzieht, die zugleich in alien 
andern motorischen AuBerungen dieses Menschen (Sprache, Gesten usw.) andersartig 
zum Ausdruck kommt. Wer nun dieses gewisse, fur das Typische in der Erschei- 
nung des Kunstwerks (nach Rutz) wesentliche Etwas nachschaffend wiedergeben will, 
muB sich in die gleichen korperlichen Bedingungen, unter denen die Konstante nur 
in Erscheinung treten kann, versetzen, d. h. konkret: der Nachschaffende muB die 
gleiche Rumpfeinstellung, wie sie z. B. Schubert beim Schaffen seiner Werke ein- 
nahm, gleichfalls einnehmen. Nur so kann er das typische akustische Etwas, das 
alle Werke Schuberts durchtont, nacherzeugen. Die Lehre von Rutz wird von ver- 
schiedenen Seiten stark angezweifelt, und erfuhr auch in einem Vortrage von Alfred 
Guttmann energische Ablehnung. Fur mich blieben jedenfalls die Experimente von 
Sievers vollig resultatlos, weshalb ich hier nicht weiter auf das heikle Thema ein- 
gehen mochte. 

Zum SchluB gebuhrt auch von der Seite der Musiker zwei MSnnern ein be- 
sonderer Dank: Max Dessoir, dem eigentlichen Urheber des Unternehmens, und 
"Werner Wolffheim, dem tatigen Ausgestalter und Leiter der musikaliscben Sektion. 



XIII. 3. 11 



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TASCHENPARTITUREN VERDI'SCHER WERKE 

ANGEZEIGT VON JOSE VIANNA DA MOTTA IN BERLIN 



Von Verdi's wichtigsten Werken: „Rigoletto a , „Troubadour a , „Traviata*, 
„Maskenball a , „ATda a , „Othello a , „Falstaff a und „Requiem« hat 
die Verlagshandlung G. Ricordi & Co. kleine Partituren (je Mk. 32.—) 
zu Studienzwecken herausgegeben, die das hochste Interesse der Musikstudierenden 
erregcn mussen. Als hohe Schule der Instrumentationskunst gilt mit Recbt das 
Studium der Werke Richard Wagners. Man sollte sich jedoch nicht allein auf diese 
und die seiner Nachfolger beschrfinken; Verdi ist sehr geeignet, sie nach einer Seite 
zu erganzen: der Behandlung der einzelnen Instrumente als Solisten. Hier sind noch 
viele Moglichkeiten offen, wie Verdi, namentlich in seinen meisterhaft kunstvollen 
letzten vier Werken, zeigt. 

Jedes dieser Werke hat eine eigene Physiognomie, so daft man sie alle kennen 
muC, wenn man den ganzen Gewinn aus dem umfassenden Geiste Verdi's heraus- 
ziehen will. In „A"ida a herrscht der exotische Charakter vor und die Wirkung mit 
groflen Massen; im „Othello" kann man die orchestralen Farben fur eine leidenschaft- 
liche und gewaltige Handlung studieren, grofie Steigerungen, heroische Situationen, 
aber auch die weichen Stimmungen der Liebesszene und der Todesahnung Desdemonas; 
im ^Falstaff (vielleicht die an neuen Wirkungen reichste Partitur) das Leichte, Prik- 
kelnde, Durchsichtige, Witzige und eine Eleganz (Schlufi des ersten Bildes im zweiten Akt, 
Tanz im dritten Akt), die man in so hinreifiender Art nicht leicht bei einem andern 
Komponisten findet; im „Requiem a eine mehr polyphonische Behandlung und die Farben 
fur das Dustere und die mystische Ekstase. Es ware sehr verdienstvoll, wenn Ricordi uns 
auch noch das „Stabat mater** und das w Te Deum" in kleinen Partituren schenkte. 

Man wird aus diesem Studium erst ganz erfahren, welch ein Meister des 
Klanges Verdi war. Wer da glaubt, dafi er alien Ausdruck allein in die Singstimme 
verlegt und das Orchester nur begleiten Iafit, wird erstaunt sehen, wieviel dieses 
Orchester zur Lebendigkeit des Ausdrucks beitragt und wie fein es die Deklamation 
unterstreicht. Und da die Klavierauszuge nicht sehr geschickt gesetzt sind, indem 
man der Spielbarkeit wegen vieles und oft wichtiges wegliefi (vgl. Verdi's eigene 
Meinung im vorigen Heft dieser Zeitschrift S. 98), so wird man, auch abgesehen vom 
Klanglichen, selbst rein musikalisch erst durch die Partitur die Werke Verdi's 
richtig kennen lernen. 

Die Ausgabe von Ricordi ist ausgezeichnet in Druck und Ausstattung. Das Format 
ist nicht so klein, wie das der kleinen Partituren Wagners, so dafi es nicht notig war, 
mit vertikalem und horizontalem Druck abzuwechseln, was beim Lesen so beschwer- 
lich wird, noch die Grofie der Notenkopfe ab und zu bis zu Punkten zu verkleinern. 
In immer gleicher Anordnung und Notengrofie lesen sich diese kleinen Partituren 
ebensogut wie die grofien. Der Text ist nur italienisch, was ebenfalls den Druck 
viel klarer gestalten laflt. Die Dreisprachigkeit uberladet den Raum und zwingt zu 
Anderungen in der Singstimme, die den Originaltext nicht deutlich sehen lafit. Der 
Einband ist fest und von geschmackvoller Einfachheit. Im „OtheIIo a wird das fur 
Paris nachkomponierte Ballet nicht mitgeteilt, mit Recht, da dieses durchaus nicht 
am Platze war und nur eine bedauernswerte Konzession Verdi's bedeutete. Einige 
wenige Druckfehler sind leicht zu berichtigen. 

So wird diese schone Ausgabe viel beitragen zu einer genaueren Kenntnis 
des merkwurdigen Meisters, dessen schopferische Kraft schier unermefilich scheint, 
und der trotz seines langen Lebens und seiner zahlreichen Werke sich nicht „aus- 
geschrieben" hat. 



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REVUE DER REVUEEN 



Aus deutschen Musikzeitschriften 

SIGNALE FUR DIE MUSIKALISCHE WELT (Berlin), 71.Jahrgang, No. 6 bis 29 
(5. Februar bis 16. Juli 1913). — No. 6. „Ein drittes Tongeschlecht?" Von August 
Spanuth. Besprechung der tbeoretischen Schrift „Das moderne Tonsystem in 
seiner erweiterten und vervollkommneten Gestaltung" von Carl Robert Blum. 
„Blums neue Lehre vom dritten Tongeschlecht mag eine Menge Widerspruch ent- 
fesseln, aber sie verdient ernste Beachtung interessierter Kreise." — „Unsere 
Notenschrift und ihre Reformer." Von H. E. SoSnik. (SchluB in No. 7.) „Ist 
unsere Notenschrift nun wirklich so miserabel, wie sie die Reformer gern hinstellen 
mochten? Doch wohl nicht. Es ist wirklich alles mogliche, dafi unsere Klang- 
symbole nicht allein die absolute Tonbohe, sondern zugleich auch noch relative 
Funktionen anschaulich ausdrucken konnen. Ist es diesen Tugenden gegenuber 
nicht ein ganz klein wenig gleichgultig, daft wir manchmal unsere Aufmerksam- 
keit etwas anstrengen mussen?" — No. 7. „ Verdi und sein Volk." Von Friedrich 
Spiro. Uber die imposanten Vorbereitungen Italiens zur Feier des- 100. Geburts- 
tages Verdi's. Verfasser legt sich am SchluB „nicht ohne Melancholic" die Frage 
vor: »Wie ehrt Deutschland seinen Musikdramatiker von 1813? a — No. 8. „Ein 
Beethoven-Fund. a Von Spiro. Ober die in Prag von Dr. Chitz aufgefundene 
Beethovensche Sonatine fur Mandoline. — No. 9. „Wer ist musikalisch?" Von 
Hjalmar G. Sander. — „Mehr musikalische Bildung auf unseren hoheren 
Schulen!" Von H.Walter. — No. 10. „FeIix Draeseke f ." Von Arno Rentsch. 
„. . . Auch er glich jenen echt deutschen Naturen, die von Wolframs Parzival bis 
zum Wagnerschen Parsifal, zum Prinzen von Homburg, zum Hungerpastor Hans 
Unwirrsch dichterischer Niederschlag unseres germanischen Wesens sind. Sein 
auf das Reine gerichteter Sinn liefi ihn die kunstlerische Gralsburg finden, in 
Weimar weihte ihn der Walter des heiligen Grales der Musik, Franz Liszt, und 
dieser Weihe, die ihren Ausdruck in Liszts Weimarer Testament von 1860 fand: 
,mogen sie das Werk fortsetzen, was wir begonnen haben — die Ehre der Kunst 
und der innere Wert der Kunstler verpflichtet sie dazu', dieser hohen Worte hat 
Felix Draeseke bis zum letzten Atemzuge sich wurdig erwiesen . . , a — No. 13. 
„Musikalische Fiktionen." Unbequemes von Siegmund Pisling. II. „. . . Eine 
ruchlose Fiktion macht sich. in unserem Opern- und Konzertleben breit und immer 
breiter, je Mrmer die Musikwelt an Personlichkeiten wird. Man schwindelt Nutz- 
lichkeiten zu Personlichkeiten hinauf, stempelt Einer zu Hundertern, wenn nicht 
gar Nullen zu Einern. Voriiber die Zeiten, wo man sagen durfte, dafi in alien 
Berufsarten fur blofi Nutzliche ein Gedeck aufgelegt sei auIXer in der Kunst. Heut- 
zutage sind die meisten PlStze an der Tafel von Utilitaten besetzt, denen ein Chor 
von Speichelleckern und Nichtsverstebern Beifall grunzt. Man stellt sich seinem 
Tischnachbar nicht vor als Hoftaktschlager — grolienwahnsinniger Bursche du! — , 
als Mezzosopranbeamtin, in Verwendung bei Verdi, oder als Heldentenorwurst 
Katastrophski; nein, Blick und Haltung Iassen keinen Zweifel daruber, dafi man 
sich als Spezialbevollmachtigten Ihrer Majestat der Tonkunst betrachtet. Man ist 
jK-h-u-u-u-nstler*. Ist das nicht, um blutige Tranen zu weinen? Arme Musik! . . ." 
— No. 14. „Arnold Schonbergs Basso continuo". Von Max Graf. Verfasser 
kritisiert die Aussetzung des Basso continuo durch Arnold Schonberg in einem 
Band der „Denkmaler der Tonkunst in dsterreich.** „. . . Uber Schonberg als 
Komponisten laiit sich streiten. DaB er als Bearbeiter des Basso continuo, noch 

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164 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 

dazu in einer wissenschaftlichen Publikation, nicht am Platze war, daruber geben 
die Stichproben, die einem einzigen der von Arnold Schonberg bearbeiteten Werke 
entnommen wurden, AufschluB. Verwunderlich ist, daB der Herausgeber dieses 
Bandes der ,6sterreichischen Denkmaler', Herr Wilhelm Fischer, alle die har- 
monischen und stilistischen Febler des Schonbergschen Basso continuo nicht 
bemerkt, und noch verwunderlicher, daB der Leiter der Publikationen, Prof. Guido 
Adler, den historischen und musikalischen Widersinn nicht nachgepruft hat, 
weil der Name Arnold Schonberg ihn geblendet hat. Aber der kritische Sinn 
der strengen Wissenschaft sollte sich durch einen Modenamen nicht so leicht 
aus der Fassung bringen lassen." — No. 15. „Hans Richter. a Von Ferdinand 
Scherber. „. . . Er hat nie nach dem Lorbeer des Komponisten gelangt und den 
Direktorposten ebenso oft ausgeschlagen, als er ihm angeboten wurde. Wer den 
Dirigentenberuf so fiber alles stellt, den stellt auch dieser Beruf fiber alle . . . a — 
No. 16. „Neue Methoden im Musikbetrieb." Von August Spanuth. „. . . Die Idee, 
musikalische Kultur konne durch ein Massenangebot, durch Oberffitterung mit 
Musik gefordert werden, ist in unserer Freibilletara lfingst ad absurdum geffihrt 
worden. Anstatt immer wieder neue und groBere Geldopfer von indirekt Beteiligten 
zu verlangen, sollte man bei jeder musikalischen Unternehmung zuerst daran 
denken, die Darbietungen zu einem wirklichen Bedfirfnis zu machen . . .** — No. 17. 
„Eine unbekannte Episode aus Anton Bruckners Leben." Mitgeteilt von Ferdinand 
Scherber. „ . . . Im Dezember 1889 hatte Bruckner bei dem damaligen Burg- 
theater-Direktor Dr. August Forster vorgesprochen und sich um die durch den 
Abgang Julius Sulzers, der 1889 aus dem Theater als Kapellmeister geschieden 
war, frei gewordene Stelle eines Dirigenten der Hof-Burgtheaterkapelle beworben. 
Forster, der in den musikalischen Personalien Wiens nicht sehr erfahren gewesen 
sein mochte, fragte bei Hermann Levi in Munchen an und erbat sich nahere Aus- 
kfinfte uber den Petenten, der ihm wohl noch merkwurdiger vorkam als sein 
Begehren . . . a Aus der Antwort Levis, der Bruckners Siebente „fur das be- 
deutendste symphonische Werk halt, welches seit Dezennien geschrieben worden 
ist", interessiert auch noch die folgende Stelle: „ ... So ist es denn gekommen, 
daB er, von widrigen auBeren Lebensschicksalen verfolgt, vom Kampf um das Dasein 
ermfidet, von einer ihm fremden und feindlichen Welt umgeben, sich schlieBlicb, 
am Abend seines Lebens, um die Stellung eines Zwischenakts-Musikmachers be- 
werben muB, wahrend der Ehrendoktor und Ehrenbfirger Brahms sich bereits eine 
Million erschrieben hat . . ." — No. 22. „Wagner und DSnemark." Von William 
Be h rend. „Das Verhfiltnis zwischen Wagner und DSnemark in Kurze zu unter- 
suchen, mag nicht ohne Interesse sein. Erstens hat Danemark seit Generationen 
einen Hauptteil seiner geistigen Kultur — und zwar besonders in musikalischer 
Hinsicht — aus Deutschland geholt; dann hat bekanntlich Richard Wagner viele 
und zum Teil ausschlaggebende Ideen fur seinen ,Nibelungenring 4 aus den 
nordischen Sagen und Eddas genommen. Es ist authentisch (mir nimlich von 
Niels Gade selbst berichtet), daB Wagner, schon als er anfing, sich mit dem Stoff 
zu beschSftigen, wahrscheinlich im Jahre 1846 bei der Auffuhrung der Neunten 
Symphonie zu dem auch noch jugendlichen danischen Tonkunstler sagte: ,Ich 
muB zu Ihren alten nordischen Sagen greifen, die sind viel tiefsinniger als die 
unserigen.' " —No. 25. „Peter Heise." Von Fritz Crome. w . . . wie wenige 
kennen uberhaupt irgend etwas von dem, was dieser sympathische, viel zu fruh 
verstorbene danische Komponist geschrieben hat? Sicher werden aber die wenigen, 
die auf seine Werke gestoBen sind, das nur einem giitigen Zufall zu danken haben. 
Und doch hat Peter Heise zweifelsohne Werke von wirklichem Wert geschaffen. 



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REVUE DER REVUEEN 165 

die ihm, wenn die VerhSltnisse anders gelegen hapten, einen allgemein anerkannten 
Platz unter den bedeutenden Komponisten des vorigen Jatarhunderts hatten ver- 
schaffen mussen . . . a — No. 27. „Eine Auferstehung." Von Friedrich Spiro. 
Ober die von Ettore Romagnoli neu bearbeiteten „Bakchantinnen a des Euripides. 
„ . . . Diese glanzende Akustik des Tibertales [Stadion an der Via Flamminia bei 
Rom] kam auch der Instrumentation zustatten; so zart sie gehalten war, so 
genau kam jede Nuance zur Geltung, ja mancbe nur fullende, modern anmutende 
Begleitfigur hfitte man wohl noch entbehren konnen. Und so ISRt uns diese Auf- 
erstehung des groflen Atheners schlieiJlich noch einen hoffnungsreichen Blick in 
die Zukunft tun: vielleicht findet sich auch einmal ein moderner Dramatiker, der — 
gewifi ohne die antiken nachzuahmen, aber von ihnen belehrt — das Heil seiner 
Musik nicht von einer immer weiter getriebenen Haufung der Instrumente erwartet, 
sondern gerade vom Gegenteile. Ansitze zu einer solchen gesunden Reaktion 
sind ja bereits selbst da zu bemerken, wo man es am wenigsten erwartete; das 
geplagte moderne Ohr schmachtet nach Erlosung: mochten vernunftige Komponisten 
die Stromung wahrnehmenl" 

ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG (Berlin), 40. Jahrgang, No. 3 bis 15 (17. Januar 
bis 11. April 1913). — No. 3. „Mehr Achtung vor dem geistigen Eigentum." Von 
Max Steinitzer. Verfasser wendet sich mit scharfen Worten gegen die Mode- 
seuche der „Bearbeitungen a von Werken Bachs und Handels. „. . . Man stelle sich 
nur einen Augenblick das Analoge auf anderen Gebieten der Kunst vor. Lachte 
man nicht mit Recht vor einigen Jahren in ganz Deutschland fiber einen Univer- 
sitatsprofessor, der Goethes ,Faust* mit Szenen eigener Fabrikation bereichert heraus- 
gab? Oder was wurde man zur Kopie eines klassischen Gemaldes sagen, deren 
Maler den Beschauern erklarte: , Diese Nase habe ich ubermalt, weil mir die 
Raffaels nicht gefiel; hier habe ich eine Figur aus einem anderen GemSlde von 
ihm hineinkopiert, dort habe ich die Locken blond gemacht, weil ich das wirkungs- 
voller finde, als braun.' Mussen wir Musiker jede Handbreit von Kulturbegriffen 
in unsrem Fache immer wieder von neuem verlieren, verteidigen und rekla- 
mieren?..." — No. 4. „0ber die Orchesterbesetzung Bachscher Werke." Von 
Fritz Volbach. „. . . Zu Bachs Zeit genugten seine Mittel dem Zweck voll- 
kommen. Unterdessen aber haben diese kunstlerischen Mittel eine grofie Steige- 
rung und Vervollkommnung erfahren. Wir wurden wohl kaum mit einer Auf- 
fuhrung der damaligen Zeit, einer naturgetreuen Kopie, zufrieden sein. Wir sind 
gezwungen, wollen wir eine wenigstens gleichstarke Wirkung des Werkes empflnden, 
diese Mittel so zu steigern, da(i sie unserm Empflnden genugen. Wir durfen und 
konnen nicht auf unsere vollbesetzten Chore und Orchester verzichten, wir durfen 
uns nicht, weil Handel in seinen Oratorien nur kleine Orgeln verwandte, auf wenige 
Register beschranken, wir mussen vielmehr alle Vorzuge unserer Mittel auch den 
Werken der Alten zugute kommen lassen. Das darf aber nur geschehen, unter 

strengster Beobachtung der Stilreinheit der Werke tt — w Schelling als 

Musikphilosoph. a Von Paul Riesenfeld. (Fortsetzungen in No. 5 und 6, SchluB 
in No. 7.) — „Die ,technischen Studien' Franz Liszts." Von August Stradal. 
B . . . Was Czerny geahnt hat, aber leider nicht durchfiihren konnte, hat Liszt, sein 
ehemaliger Schuler, in seinen technischen Studien realisiert. Hier liegt das Neue 
Testament des Klavierspiels. Darum ware es an der Zeit, dafi die Kon- 
servatorien und Musikakademien diese Lisztschen Studien ihrem Lehrplan bei- 
fugten und nach diesen unterrichten. . . . tt — No. 5. „Zum Neubau des Konig- 
lichen Opernhauses in Berlin. 1 * Von Karl Storck. „. . . Es kommt wirklich auf 
ein, zwei Jahre langeres Warten nicht an. Aber hilflos stehen wir nachher vor 



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166 DIE MUSIK XIII. 3: I. NOVEMBERHEFT 1913 

einer ubereilten Arbeitsleistung da. Wir haben im neuen Berlin gerade genug 
Monumentalbauten, deren Entfcrnung wesentlich dazu beitragen wurde, Berlin jener 
kaiserlichen Versicherung, daft es noch einmal die schonste Stadt werden wird, 
naherzubringen. Es ist an der Zeit, nun auch positive Leistungen fur diese Ent- 
wickelung aufzubringen." — No. 7. „Ricbard Wagners ,Heldenoper* ,Siegfrieds Tod 4 
in ihrem Verhaltnis zur spateren jGotterdammerung 4 ." Von Martin Ehrenhaus. 
Behandelt den Umschwung in Wagners Grundauffassung der Tetralogie. — Nr. 8. 
„Wieland. a Ein physiognomisches Fragment von Eugen Segnitz. „. . . Wieland 
teilte das Interesse fur Musik mit Herder, nur dafl dieser sich mehr mit ihrer 
theoretischen und asthetischen Seite befaftte, und es traf ihn auf diesem Gebiete 
das gleiche Ungemach wie Goethe, der sich fernhielt von bedeutenden Meistern 
und sich mit kleinen lange Zeit eifrig bemuhte um das Singspiel, ohne jedoch zu 
greifbaren Resultaten zu gelangen. Wenngleich er des ofteren wieder auf den Satz 
zuruckkam, die Musik sei nur insofern Musik, als sie das Herz ruhre, und forderte, 
daft eine Komposition in freiem und unmittelbarem SchafFen entstehe (denn ,die 
Grazien hassen ein muhsames, nach der Lampe riechendes Werk 4 ), so kam er 
doch unter den Vertretern der deutschen klassischen Literatur der Idee 
und dem Wesen der Oper am nachsten und zeigte sich als echter Anhanger 
Glucks. . . , a — „Etwas vom Walzer." Von Oscar Guttmann. (Schluft in No. 9.) 
„. . . Die Menge befriedigt beim Tanzen keinen Kunstinstinkt, sondern, abgesehen 
von dem nicht zu leugnenden erotischen Hintergrund, ist es reine Freude, sich 
nach einem rhythmischen Gerausch moglichst toll zu drehen. (Genau wie das 
Klavierspiel den vielen nur Freude an selbstgemachtem Larm ist, nicht erwa an 
der Musik.) Dazu aber Kunstwerke zu benutzen, ist der grobste Miftbrauch mit 
geistiger Kraft genialer Meister. — Die Menge, die ja so viel will, will aber auch 
tanzen! sogar Walzer! sie will! Nun, da ein rhythmisches Gerfiusch gebraucht 
wird, warum nimmt man nicht gemessene Schlage auf GegenstSnde; oder in die 
Hande schlagen, begleitet, wenn schon Tone dabei sein sollen, von irgendwelchem 
Geheul, kurz, warum macht man es nicht so, wie wilde Negerstamme? Oder sind 
die Walzer fur Tanzende etwas anderes als solches GerSusch? . . .* — No. 10. „Die 
Musik als Erzieherin." Von Otto R. Hubner. (Schluft in No. 11.) „. . . wie wir alle 
unsere Wissensergebnisse der Menschheit zu Fufien legen, so soil es auch mit unserer 
Kunstausubung sein: nicht des Daseins Endzweck ruht in ihr, sondern ihre hohe Auf- 
gabe ist, das Leben zu fordern! Mit dieser Erkenntnis sturzt freilich jene kuhne Pyra- 
mide ,1'art pour Tart* ein, die der phantasiebeschwingte Menschengeist in unseren 
Tagen aufgerichtet hat. Gar vielen heutigen gilt ja die Kunst, und zumal vielen Ton- 
kiinstlern ihre Musik, wie ein Heiligtum, das sie, anstelle der entthronten Religion, als 
herrschende Gottin anbeten. Aber wohin hat diese Vergotterung gefuhrt? Zur Ver- 
kunstelung, Intellektualisierung und Asthetisierung dieser Kunst, welche Wendung 
ihrer eigentlichen inneren Art ganz fremd ist ..." — No. 11. „Felix Draeseke f. a 
Von Hugo Daffner. „. . . So ist denn mit Draeseke einer der letzten Rufer und 
Kampen im Streit um Wagner und Liszt, einer der nicht nur kunstlerisch, sondern 
auch personlich markantesten kunstlerischen Charakterkopfe dahingegangen . . . a 
— „Zum Tode eines Idealisten (Richard Hansmann f). a Von Karl Storck. 
w . . . In Richard Hansmann hat die Janko-KIaviatur, die — mag man auch einzelne 
Bedenken geltend machen — weitaus die bedeutsamste und vielversprechendste 
Entwickelung des Klavierbrettes und damit des Spielumfangs des Klaviers darstellt, 
ihren beredtesten und zahesten Vorkampfer verloren. Daft sich nunmehr diese 
bedeutsame Erfindung trotzdem weiterhalten und schlieftlich durchsetzen wird, 
wage ich kaum zu hoffen; denn hier sind MSchte zu uberwinden, die mit der Sache 



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REVUE DER REVUEEN 167 

an sich, die mit der musikalischen Seite, aber auch mit der begreiflichen Tragheit 
des Publikums gar nichts zu tun haben. An dieser Macht, am Kapital, ist auch 
Richard Hansmann gescheitert . . . a — No. 12. „Hebbel und Wagner." Von Karl 
Storck (Fortsetzung in No. 13, Schluft in No. 14). „. . . sie haben beide aus dieser 
hochsten Einschatzung ihres Berufes vor allem ihre Verpflichtung, nicht nur gegen 
sich selbst, sondern auch gegen die Menschheit gefolgert und haben Rechte nur 
insoweit geltend gemacht, als es die Erfullung jener Pflicht gebot. Im Jahre der 
schwersten Kampfe geboren, in einer innerlich zwiespaltigen, Sufterlich gedruckten 
Zeit herangewacbsen, zum Kampfen gezwungen gegen ein erbSrmlich kleinliches 
Leben, sind sie beide gleich grofte Sieger der deutschen Geistigkeit. Und gerade, 
daft sie beide so verschieden sein konnen, bezeugt die Weite des deutschen Geistes 
und der deutschen Kunst . . ." — „6ffentliche Musiken anno 1787." Von Adolf 
Prumers. — „Erinnerungen an Felix Draeseke." Von L. Pohl. — No. 14. „Was 
die Geschichte der Posaunen lehrt." Von Ludwig PI aft (Schlufi in No. 15). 
Studie uber die ehemalige und gegenwartige Turmmusik. „. . . Nicht nur an der 
Art seiner Sprache, Lieder, Tanze, Volksgebrauche und Kleidung erkennt man 
den Charakter eines Volkes, auch an seinem von ihm gepflegten oder gar 
erfundenen Lieblingsinstrumente; denn dieses ist der Dolmetsch seines durch 
Worte nicht ausdruckbaren Empfindens, seines Gefuhls- und Seelenlebens. WSre 
das deutsche Volk wohl noch wert seiner Ahnen, wenn es nicht mehr Freude 
empfande beim Erklingen eines frischen Trompetenstuckleins, oder eines prangen- 
den Posaunensatzes, oder eines Ernst wie Heiterkeit, Mut wie biedere deutsche 
Michelhaftigkeit verkorpernden sanglichen Marsches alter Zeiten bzw. rhythmisch 
alten Geprages; wenn es dagegen ein vollkommenes Behagen, eine restlose musi- 
kalische Befriedigung fande an Klaviergeklimper, an verstimmten und tempofalschen 
Phonograph-Reproduktionen, an lusternen Operettenarien und albernen Tingeltangel- 
schmarren sowie an naselnden harmoniearmen Ziehharmonikas? . . .** — No. 15. 
„Kino und Oper." Eine Epistel von Eugen Dittmer. „. . . Das Volk will Zer- 
streuung und Vergnugen; daft aber das mittlere und gebildete Publikum sich solchem 
(erhebenden?) Kinotum hingibt, ist hoffentlich nur eine Zeitstromung, welche bald 
wieder abflauen wird. Nun wohl, es ist an der Zeit, dieser Strdmung (ins Kino) 
energisch entgegenzusteuern, und zwar am besten mit einer Filmsteuer, nur davon 
verspreche ich mir einen Ruckgang der Besuchsziffer der Kinos . . ." 

NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart), 34. Jahrgang, Heft 8 bis 10 (16. Januar bis 
20. Februar 1913). — Heft 8. „Die reine Wirkung der Strauftischen Programm- 
Symphonie." Von Heinz Tiessen. „. . . .Ich betrachte es bei Strauft ... als das 
Genialste, wie er die Gefahr des oft episch-addierenden Programms durch eine 
(vielleicht genial-unwillkurliche) Umpragung in das Dramatisch-Multiplizierende be- 
seitigt hat. (Der tatsachlich episch-erzahlende ,Don Quixote' nennt sich ein 
Variationenwerk und erhebt also als ein zyklisches nicht den Anspruch, eine 
einzige grofite Formeinheit zu werden.) Und ich konnte kein grandioseres Beispiel 
dafur anfuhren, wie die hochste Erhabenheit des idealen Gehaltes in ein denkbar 
einfachstes, plastisch-klarstes Musikgebilde eingegangen ist (und wie dadurch die 
denkbar hochste Art des Kunstwerks hervorgebracht ist), als Richard Strauftens in 
dieser Hinsicht noch nicht genugend gewurdigte Tondichtung ,Also sprach Zara- 
thustra'. Kein anderes Werk von Strauft erhebt sich zu einer so reinen Hone der 
luckenlosen Notwendigkeit wie diese grofizugigste, genialste und — wegen dieser 
Hone der Notwendigkeit — auch kunstlerisch vollkommenste seiner Ton- 
dichtungen ..." — „Zur Textfrage von Mozarts ,Don Juan 4 ." Eine Entgegnung an 
Ernst Heinemann von Rudolf Cahn-Speyer. — „Tonsatzlehre". Von M. Koch. 



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168 DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 

(Fortsetzung.) Der Orgelpunkt. — „Der Verband der konzertierenden Kunstler 
Deutschlands und seine aufierordentliche Hauptversammlung in Berlin*. Erwiderung 
von Armin Osterrieth. — Heft 9. „Erinnerungen an Anton Bruckner." Von 
August Stradal. (Schlufi.) „. . . Es gelang mir auch, durch Gesprache mit 
Bruckner in dessen kunstlerisches Glaubensbekenntnis einen Einblick zu tun. 
ZunSchst schwSrmte er . . . fur Joh. Seb. Bacb; in ihm ersah er den An fang, 
das Sein und Werden aller Kunst. Bruckner kannte sehr genau die Orgelkora po- 
sitioner!, die Passionen, die h moll-Messe Bachs. Nicbt so groO war seine Be- 
wunderung fur Handel. Obgleich er diesen auch hoch verebrte und insbesondere 
von den Konzerten Handels fur Orgel und Orchester mit Begeisterung sprach und 
im Konservatorium spielen lieB, vermifite er doch bei Handel, trotz seiner Er- 
habenbeit und groQen kontrapunktiscben Kunst, die harmoniscben Kuhnheiten 
Bachs, und die meist in gleichem Stil gehaltenen Schlusse der einzelnen Satze 
Handels minderten seine Begeisterung. Hiermit teilte er die gleichen Anschauungen, 
die Liszt in betreff der Werke Bachs und Handels hatte. DaQ Haydn, Mozart, 
Beethoven von Bruckner wie Gotter verehrt wurden, ist bekannt. Wie Liszt, hatte 
aber auch Bruckner einen holden Liebling, einen Hausgott, den er wobl nicht auf 
die hochste Stufe wie Bach und Beethoven stellte, welchen er aber mit jeder Faser 

seines Herzens liebte. Es war Franz Schubert u — „Die Psychologic der 

musikalischen Obung." Von Semi Meyer. XII: Das Verstandnis. „. . . Es soil 
gewifi nicbt einer gedankenlosen Schwarmerei unter Berufung auf das unbeschreib- 
bare Gefuhl das Wort geredet werden, aber es mufi der unberechtigte Anspruch 
zuruckgewiesen werden, als bestande das Verstandnis in der AuflSsung der Hand- 
werksarbeit. Die mufi so gestaltet sein, daft das einigende Band des Motivaufbaus 
die Spannung des Horers nicht abreifien lifit, ohne ihn doch zu ermuden und 
ohne wiederum so aufdringlich hervorzutreten, daQ statt eines reizvollen und 
ahnungsreichen inneren Zusammenhangs eine von aufien herangebrachte Einheit 
herauskommt . . .* — „Fur den Klavierunterricht". Chopin: Etuden op. 25. Von 
Heinrich Schwartz. — „Schule und Musik". Von Wilibald Nagel. „. . . Um 
was es sich handelt, sei hier nochmals mit allem Nachdrucke betont: es bandelt 
sich zunSchst nicht um Heroenkult irgendwelcher Art, vielmehr darum, in der 
Schule, soweit sie allgemeine Bildungsanstalt ist, die Kunst in Zusammen- 
hang mit der allgemeinen Kulturentwickelung zu setzen, durch Betrachtung von 
Parallelerscheinungen das Verstandnis fur die gemeinsame geistige Sphire der 
Kulturarbeit einer Zeit zu fordern. Die Hohepunkte ergeben sich dann ganz von 
selbst . . . a — „Ernst Naumann a . Ein Gedenkblatt von M. Meier-Wohrden. 
w . . . Wenn wir sein Lebenswerk uberblicken, so scheint das eigene Schaffen 
hinter dem, was er an grundlichen Bearbeitungen aiterer Meister geliefert hat, zu 
verschwinden. Und doch genugen die wenigen Werke, die seine Muse uns beschert 
hat, vdllig, ihn als einen Eigengearteten zu erkennen. GewiO verleugnen die Kinder 
seiner Kunst nicht den Charakter ihrer Zeit, aber es wire g8nzlich verfehlt, 
Naumann einfach als einen Nachahmer oder Nachempfinder Schumanns hinzu- 
stellen. Davon wird sich jeder uberzeugen konnen, der eins seiner Werke einmal 
grundlich pruft . . . tt — Heft 10. „Vom Volkslied in Niedersachsen". Von Wilhelm 
de Witt. Mitteilung von Texten und Singweisen einer Reihe noch heute lebendiger 
niedersachsischer Volkslieder. — w Schule und Musik." Erwiderung auf den Artikel 
Wilibald Nagels von Prof. Zeller. — „Musikalische Ornamentik". Von Edward 
Dannreiter. (Fortsetzung.) — „William Wolf." Ein Gedenkblatt von Leo Heller. 

Willy Renz 



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v,UU tV l UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BESPRECHUNGEN 



BUCHER 

13. Studien zur Musikwissenschaft. Bei- 
hefte der Denkmaler der Tonkunst 
in Osterreich, unter Leitung von Guido 
Adler. I. Heft. Verlag: Artaria & Co., 
Wien 1913. 

Urn die monumentalen BInde der „6ster- 
reichischen Denkm§ler a zu entlasten, hat die 
Leitung des Unternebmens beschlossen, einzelne 
umfassende Einleitungen der Herausgeber in 
Separatdruck herauszugeben, ein Gedanke, der 
nur willkommen zu heiBen ist. Das erste, unter 
Leitung von G. Adler edierte Heft bringt drei 
wertvolle Studien zur Geschichte der alteren Oper. 
E. Wellesz legt eine Reihe stilkritischer Studien 
zur Geschichte der venezianischen Oper, ins- 
besondere Cavallfs, vor; M. Neuhaus unter- 
sucht die anziehende Personlichkeit des Wiener 
Hofkomponisten A. Draghi und gibt dankens- 
werterweiseeinen Gesamtkatalog der Werke dieses 
fruchtbaren Komponisten,w3hrend E. Kurth sich 
als ebenso ersprieBlicbe wie dringliche Aufgabe 
die Jugendopern Glucks als Stoff zu vergleichen- 
den Untersuchungen w&hlte. Als „Studien a sind 
diese Beitrflge dadurch gekennzeicbnet, dafi sie, 
wie schon der Zweck ihrer Entstehung anzeigt, 
nicht die ganze Fulle ihrer Themata erschopfen, 
sondern eine Anzahl wichtiger Fragen heraus- 
greifen und zu beantworten versuchen. Bei 
Draghi mufite anderenfalls auf eine noch scharfere 
Herausarbeitung seiner musikalischen Person- 
lichkeit, seines Einflusses auf die nahere und 
fernere Umgebung, vor allem auch auf seine 
Stellung in der Geschichte der komischen Oper, 
eingegangen, bei Gluck auf das musikalische 
Milieu und auf die Werke der zeitgenossischen 
Italiener, denen er seinen Jugendstil verdankte, 
hingewiesen werden. Beim Thema Cavalli 
konnte sich der Verfasser bereits auf wichtige 
Vorarbeiten stutzen. — Mit den an den SchluB 
des Bandes gestellten Exzerpten aus den 
Hofmusikakten des Wiener Hofkammerarchivs 
lieferte Dr. A. Koczirz der musikalischen Lokal- 
forschung Wiens einen Dienst. 

Dr. Arnold Schering 
14. Detlef Schultz: Heilkraft des Gc- 
sanges. Mazdaznan-Harmonielehre. 
Verlag: David Ammann, Leipzig 1912. 
Mit redlichem Bemuhen — sine ira et studio — 
babe ich das Buch dreimal gelesen und die 
Obungen nach Vorschrift ausprobiert, denn der 
Verfasser sagtr^Erst in Verbindung mit den 
praktischen Obungen kann das ricbtige Ver- 
stindnis — das eben nicht in nur theoretischem 
Erkennen besteht — gewonnen werden." Wenn 
ich nun den Ansichten des Verfassers, was die 
Anwendung des zarathustrischen Mazdaznan auf 
den ^europaiscben" Kunstgesang betrifft, trotz- 
dera nicht zu folgen vermag, so liegt das ge- 
wifilicb nicht an meinem guten Willen. Das 
Werkchen, das auf den zarathustrischen Lebens- 
lehren und ihrer Quintessenz, der Lehre von 
der Harmonie, dem Mazdaznan, aufgebaut ist, 
ist sicher gliubiger Oberzeugung dieses allein 
selig macbenden Systems entsprungen und stellt 
an die Pbantasie nuchterner Leser keine kleinen 
Aufgaben. Es ist bier nicht meines Amtes uber 
Aussprucne zu rechten, wie: w Dle Matur also 

o 



hat sich stufenformig hoher und hoher ent- 
wickelt bis zum Menschen . . . Demzufolge ver- 
einigen wir in uns die Erfahrungen aller friiheren 
Entwickelungsstufen, durch die wir hindurch 
gehen muBten, um den Typus ,Mensch' zu er- 
reichen". „Zum Leben erweckt werden die 
Gehirnzellen durch die Macht des richtig ge- 
bildeten und gelenkten Atems, der in den 
Ganglien des Nervensystems elektrische Krifte 
erzeugt und diese vom Ruckgrat aus dem Ge- 
hirn zusendet". „Der individuelle Gedanke ent- 
springt im Herzen, dem Sitz des Geistes, durch 
die Kraft des individuellen Atems" — mittels 
Erzeugung elektrischen Fluidums — „und pflanzt 
sich durch die Ganglien und das Ruckgrat zum 
Gehirn fort, wo er zur Entwickelung gelangt." 
„Die hintere Herzkammer bildet gewissermafien 
das Tabernakel unseres korperlichen Heiligtums". 
Dariiber mogen Arzte und Philosophen ihr Urteil 
abgeben. Durchaus auBerhalb des Bodens der 
Wissenschaft stellt sich der Verfasser mit der 
Behauptung: „Mazdaznan lehrt, dafi unendlich 
viel mehr Nervenzentren im Korper vorhanden 
sind, als die anatomische Forschung feststellen 
kann. Die meisten Nervenzentren befinden sich 
jedoch (durch fehlerhafte Behandlung des Kindes 
beim Geburtsakt) schon seit der Geburt im ge- 
lahmten Zustande. [!] Solange nun gewisse 
Nervenzentren gelfthmt sind, konnen auch ent- 
sprechende Gehirnfunktionen nicht in T&tigkeit 
treten. Von der Belebung der gelahmten und 
untatigen Nervenzentren (Mazdaznan nimmt im 
ganzen 72000 Nervenzentren an) hangt zum 
grofiten Teil unsere Entwickelung ab. Beleben 
und stimmen wir das Nervensystem, so ver- 
breiten wir dadurch Leben und Harmonie im 
ganzen Organismus . . . Welches Mittel haben 
wir nun, um das Nervensystem zu beleben und 
zu stimmen? Den Atem. u Wir wollen nun 
sehen, welches Heil der n europSische a Kunst- 
gesang vom Mazdaznan zu erwarten hat. Zu- 
nSchst erfahren wir uber den Atem, dafi es 
dreierlei Arten desselben gibt: „den tierischen 
Atem (Bauchatem)"; w den diaphragmatischen 
Atem", der einer hoheren Stufe der Erkenntnis 
entspringt, aber „einseitig die moraliscbe oder 
spirituelle Gruppe unseres Gehirns entwickelt". 
Selbstbeherrschung, Bewufitsein und Kon- 
zentration in der Mitte unserer Stirn (intel- 
lektuelle Gehirngruppe) entwickelt sich erst 
„durch die Kraft des individuellen Atems (sogen. 
Gehirnatem oder Atem mit den oberen Lungen- 
flugeln)". Diesen individuellen Atem erzielt 
man sehr einfach laut Angabe: „ . . . den Blick 
auf die Nasenwurzel gerichtet (individueller 
Atem) a . Aber noch andere Arten des Atems 
lehrt uns das Mazdaznan: „Das zweitemal richten 
wir den Blick auf unsere Nasenspitze 
und denken an unser Herz (Seelenatem). Das 
drittemal richten wir den Blick nach oben 
(nach der Mitte der Stirn) um hochste Kon- 
zentration zu erlangen (Geistesatem)**. Die Ein- 
atmung hat so zu geschehen: „Im Unterschied 
von dem Gehirnatem der Atemubungen wird 
in alien Harmonieubungen der Seufzer- oder 
Sangeratem angewendet, d. h. der Atem wird 
kurz und rasch, sozusagen in einer Reihe von 
schnellen Staccati, eingenommen, wobei sich 
das Zwerchfell hebt .Q n * a j-XU^dif^kbeim Kunst- 

C UNIVERSITY OF MICHIGAN 



170 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



gesange die ungeeignetste Art des Einatmens ist, 
darauf brauche ich nicht noch besonders hin- 
zuweisen. Bezuglich der Ausatmung huldigt 
der Vcrfasser dem Prinzip des Stauens. Uber 
die Fun rung des Atems beim Singen erfahren 
wir nichts, mit Ausnahme, daB dem Summen 
mit geschlossenem Munde (m) das Wort ge- 
redet wird, aber nicht zur Ausnutzung der 
Resonanz, sondern weil es „einen noch starkeren 
Grad der Atemstauung bedeutet" und um durch 
das in „die Tonschwingungen zu ihrem Aus- 
gangspunkt, dem Herzen, zuruckzulenken". 
Von den Vokalen sagt der Verfasser: „Durch 
das baufige Absingen der richtigen Vokale in 
richtigen reinen Lauten lernen wir auch eine 
richtige Aussprache . . ." Bei der darauf folgenden 
Beschreibung der einzelnen Vokale bekommen 
wir aber keine physiologisch richtige, nach ihrer 
Entstehung(vondenBewegungenderZungeistgar 
keine Rede), sondern es wird nur die auBere Form 
der Lippen beschrieben, und auch diese nicht 
durchweg einwandfrei, denn es heiBt z. B. „Beim 
i sind die Lippen nicht mehr weit voneinander 
entfernt, aber die Mundwinkel werden so weit 
als moglich nach den Ohren gezogen. Beim G 
spitzen sich die Lippen zu, was beim u noch 
starker zum Ausdruck kommt." In Wirklichkeit 
mussen aber beim korrekt gebildeten ft die 
Lippen weiter vorgeschoben sein. Daruber, wie 
der Vokal uberhaupt entsteht, belehrt uns das 
Buch wie folgt: „Der individuelle Ton . . . gibt 
sich nur im inneren Bereiche unseres Wesens 
kund, er ist immaterieller Natur, eine mag- 
netische Kraft, ein Stherisches Schwingen, 
ein SichbewuBtwerden unserer Seele. Soil sich 
der individuelle Ton der AuBenwelt offenbaren, 
dann muB er sich mit einem anderen Element 
expansiver und elektrischer Natur verbinden, 
und es entsteht dann der Sprachlaut (der 
klingende Vokal). a Als Reihenfolge der Vokale 
wird bestimmt: a, 5, e, i, u, u, 6, o. „Also der 
Tonleiter entsprechend eine Lautskala von a bis o. 
Der erste Laut des Menschen beim Eintritt in 
dieses Leben, bei der Geburt, ist das a. Der letzte 
Seufzer, wenn der Tod das Leben abschlieBt, 
endet mit einem o. Dieses o bedeutet aber 
zugleich einen neuen An fang, es geht durch die 
unendlichen Schwingungen im All wieder in ein 
a, in ein neues Leben uber (daher heiBt es in 
der Bibel: Ich bin das A und das O).* Meiner 
Uberzeugung nach irrt hier der Verfasser, denn 
das A und O der Bibel bezieht sich nicht auf 
die Vokale als solche, es heiBt vielmehr im 
griechischen Urtext: Ich bin das Alpha und das 
Omega (der erste und der letzte Buchstabe 
des griechischen Alphabets) d. h.: Ich bin der 
Anfang und das Ende. Von der Richtigkeit 
der Behauptung: „das Kind ruft ,u', wenn ihm 
etwas gefallt", habe ich mien leider bisher nicht 
iiberzeugen konnen. Uber den Ansatz des Tones 
werden wir also belehrt: „Der Ansatz des Tones 
geschieht am besten durch ein Ke oder che, so, 
daB man den Kehlkopf beim Ansatz vibrieren 
fuhlt." Alle diese Behauptungen werden ohne 
den geringsten Versuch einer Beweisfuhrung 
aufgestellt. Sie sind aber noch harmlos gegen 
so manche andere, die zwar mit dem Singen 
nichts zu tun haben, die ich Interesses halber 
doch erwahnen mochte: „Frankreich ist das Land 
der Wissenschaften . .^ Wie alles, auch Dinge 



unterhalb des Tierreiches, auf einen bestimmten 
Ton gestimmt ist, wie die Zitrcne einen anderen 
Ton hat als die Pflaume." »„Zu widrigen 
Verhaltnissen brauchen wir bloB ein frohliches 
Gesicht zu machen, dann kann unser Geist 
nicht auf die Dauer traurig sein." Das ist ja 
sehr einfach! „Andererseits aber bringen wir 
wieder durch den Gesichtsausdruck das Gehirn 
in die richtige Vibration . . .** Aber als der 
Gipfel aller Kuhnheiten erscheint mir die Be- 
hauptung: „Menschen, die gut gepflegte Hande 
haben . . . sind gute Menschen. 1 * Dann muBte 
so manche Priesterin der Venus vulgivaga 
zu den Edelsten der Nation gezahlt werden. 
„Traurig ware das! tt 



Hjalmar Arlberg 



15 



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Vr::! :v, ( iOOO|C 



Emerich Kastner; Bibliotheca Beet- 
hoveniana. Verlag: Breitkopf & Hartel, 

• Leipzig. (Mk. 3.—.) 

Der Verfasser nennt sein Werk ausdrucklich 
„Versuch einer Beethoven -Bibliographic". Er 
verzeichnet alle von 1827 bis 1913 erschienenen 
Werke*uber den groBen Tondichter chronologisch 
in der Weise, daB sogar die einzelnen Bande 
eines Werks wie dessen verschiedene Auflagen 
in das Jahr des Erscheinens eingereiht sind. 
Empfehlenswerter ware wohl gewesen, ein mebr- 
bfindiges Werk vollstandig beim Jahre des Er- 
scheinens des ersten Teils zu bibliographieren 
und beim Erscheinungsjahr der spSteren Bande 
einen kurzen Verweis zu machen. Auch vermisse 
ich bei Neuausgaben l ) oder sogenannten Titel- 
ausgaben einen Hinweis auf das Jahr des ersten 
Erscheinens, ebenso bei Obersetzungen einen 
Hinweis auf das Erscheinungsjahr des Originals. 
Die bibliographischen Angaben sind oft ungleich- 
maBig und ungenau, oft ist die Seitenzahl, der 
Preis angegeben, oft fehlt aber auch beides. 
Warum der Verlagsort in runde Klammern gesetzt 
worden ist, ist mir nicht klar. Verlagsangaben 
fehlen auch gelegentlich. Ganz uberflussige 
Angaben des Titelblatts, z. B. S. 19 bei Sternfeld: 
w Der Reinertrag ist fur die Richard Wagner- 
Stiftung bestimmt", sind aufgenommen; nicht 
fehlen aber durfte meines Erachtens S. 28, daB 
Nagels Sen rift das 6. Heft des ,Musikalischen 
Magazins" ist; beim Jahre 1903 fehlt bei Tengers 
Schriftder Zusatz: 3. Aufiage, durchgesehen von 
Elis v. Hagen. Unerwahnt finde ich z. B. HufiFers 
„A. F. Schindler, der Biograph Beethovens" 
1909, sowie die 2. Aufiage von Paul Bekkers 
„Beethoven", die sich aufierlich von der ersten, 
nur hochst unvollstSndig von Kastner biblio- 
graphierten Aufiage unterscheidet. Dr. Wolf- 
gang A. Thomas-San-Galli ist im Alphabet 
unter San-Galli eingereiht, dem nach Schweizer- 
sitte seinem Vaternamen Thomas hinzugefugten 
Mutternamen. Der bekannte Forscher Hermann 
Kretzschmar ist im Register und auch sonst 
falsch genannt. Aufsatze und Notizen aus 
Zeitungen und Zeitschriften sind mit kleinerem 
Druck bei jedem Jahr hinzugefugt, leider nur 
die, welche Kastner „auBer den in Originalen vor- 
liegenden Werken" selbst in seiner Bibliothek 
besaB; in das kurze Namenregister sind diese 
Zeitschriftenaufsatze nicht aufgenommen worden. 
Ungenugend finde ich, daB wohl die verscbiedenen 

l ) So steht z. B. beim Jahre 1905: Grillparzers 
Erinnexungen an Beethoven! 

UnginaFfrom 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



BESPRECHUNGEN (BUCHER) 



171 



Beethoven- Hefte der „Musik" aufgefuhrt, aber 
nicht inhaltlich verzeichnet sind. Manche Zeit- 
schriftenaufsatze sind doch unter die Bucher 
geraten, z. B. Imbert S. 25. Der Hauptmangel 
des Buches ist aber des Fehlen einer syste- 
matischen Zusammenstellung oder zum min- 
desten eines Schlagwortregisters; ich will doch 
z. B. nicht das ganze Buchlein durchsehen, urn 
z. B. festzustellen, welche Schriften fiber Beet- 
hovens sogenannte „Unsterbliche Geliebte" er- 
schienen sind. Dieser „Versuch einer Beet- 
hoven-Bibliographie" ist also ziemlich unvoll- 
korarnen. Ausstellungen im einzelnen lieQen 
sich noch mehr erheben. 

Wilhelm Altmann 
16. HansKleemann: BeitrSgezurAsthetik 
und Geschichte der Loeweschen 
Ballade. Verlag: Max Niemeyer, Halle a. S. 
(Mk. 2.40.) 
Eine fleifiige Doktorarbeit, mit Danksagung 
an den unterstutzenden Professor (Hermann 
Abert), mit genauen Literaturangaben, die von 
Belesenheit zeugen, und mit zahlreichen Noten- 
beispielen, die zum groBen Teil nicht genugend 
beweiskraftig und daher entbehrlich sind. Im 
Detail bietet die Arbeit manches Interessante, 
obwohl der Verfasser nur seine eigene Auffassung 
zur Geltung zu bringen # sucht, ohne die zahl- 
reichen, sehr verschiedenen MSglichkeiten Ss- 
thetischer EinschStzung kritisch zu wurdigen. 
Dem Endergebnis der Arbeit, soweit es den 
Loeweschen Balladenstil betrifft, kann ich nur 
sehr bedingt zustimmen. DaB z. B. Loewes 
Balladenstil „keine eigentliche Entwickelung er- 
kennen 13Bt a , daft B die Begleitstimme oft geradezu 
zu einem selbstSndigen Klavierstuck" wird, ver- 
mag ich nicht einzusehen. Trotz derartiger allzu 
schroffer Folgerungen kann aber die Broschure 
kunftigen Loewe-Forschern wegen ihres ehrlichen 
Strebens nach einem historisch gut fundierten 
Werturteil empfohlen werden. 

Dr. Richard H. Stein 



MUSIKALIEN 

17. Joseph Haas: Ein KrSnzlein Baga- 
telle n fur Oboe und Klavier. op. 23. 
Wunderhorn-Verlag, Munchen. (Mk. 5.—.) 

Es sind gefiillige Stuckchen, die man des- 
halb empfeblen konnte, weil die Literatur der 
Soloblasinstrumente verhaltnismafiig karg be- 
dacht ist. Die Erfindung ist nicht bedeutend, 
zu sprunghaft und ohne inspirierte Melodik. 
Die harmoniscbe Wurze kann daffir nicht ent- 
schadigen. Der Satz jedoch ist mit gediegener 
Kenntnis gestaltet und steigert sich oft zu 
hubschen Effekten. 

18. Gottfried Rudinger: Sechs Sinn- 
spruche aus „Des Angelus Silesius 
Cherubinischer Wandersmann" fur 
eine Singstimme und Klavier. op. 5. 
Wunderhorn-Verlag, Munchen. (Mk. 2.50.) 

Die Stimmungskraft der gehaltvollen, tiefen 
Verse ist von Rudinger mit schonstem Gelingen 
in Tone gebannt. Hoch anzuerkennen ist die 
gesangliche Fuhrung der Singstimme. Der 
Klaviersatz nimmt grofien Anteil an der 
Stimmungsmalerei, ohne jedoch ungebuhrlich 
in den Vordergrund zu treten. Erfaetriich wirkt 



\ die eigenartige reizvolle Melodik. Rudingers 
opus 5 ist somit eine hoffnungsvolle und ernste 
Talentprobe. Hervorheben mochte ich No. 3 
„Der beste Lobgesang** und No. 6 „Der Schnee 
in der Sonne". 

19. Siegfried Garibaldi Kallenberg: Vier 
Sonette nach Dante Gabriel Rossetti 
fur eine Singstimme und Klavier. 
Wunderhorn-Verlag, Munchen. (Mk. 3. — .) 

Das sind Kompositionen von sproder Eigen- 
art, die sich nur schwer erschlieften. Hier 
wird mit alien Mitteln modemer Harmonik 
gearbeitet, um dem tiefen Sinn der Dichtungen 
einen ebenso schwerwiegenden musikalischen 
Untergrund zu geben. Befreienden melodischen 
Schwung findet man hier allerdings nicht; denn 
die Musik geht ganz im Ausmalen der 
Stimmungen auf. Der Musiker wird an diesen 
Sonetten manchen feinen Zug bewundern; fur 
das grofie Publikum sind sie aber nicht ge- 
eignet. Den Ausfuhrenden bieten sie nicht 
geringe Schwierigkeiten. Walter Dahms 

20. Arnold Spoel: 25 Solfdges fur mitt- 

lere Stimme mit Klavierbegleitung. 

Selbstverlag, Haag 1913. (Mk. 2.50.) 
Wenn auch im Laufe jeden Jahres erheblich 
weniger Vokalisen als Opern und Lieder ge- 
schrieben werden, ist doch der Bestand an wirk- 
lich guten Gesangsubungen kein so ubermiiftig 
grolier, als daB ein Gesanglehrer, der sich und 
seinen Schulern ein wenig Abwechslung gonnen 
mochte, nicht standig Ausschau hielte nach 
brauchbaren neuen Ubungsstucken. Unter den 
neueren Erscheinungen verdienen die 25 Sol- 
feges von Arnold Spoel besondere Beachtung, 
nicht weil sie der unumschrSnkten Konigin im 
Reiche der Gesangskunst, Lilli Lehmann, gewid- 
met sind, die auch ein sehr freundliches kurzes 
Vorwort dazu geschrieben hat, sondern weil sie, 
naturlich nicht ausnahmslos durch die Bank, 
mit Geschick Altes und Bekanntes weiter aus- 
zubilden und der Richtung des modernen Ge- 
schmacks Rechnung zu tragen suchen. Den im 
Rhythmus leicht Schwankenden sei besonders 
Nr. 9 (drei gegen vier und umgekehrt) ans Herz 
gelegt, wihrend den in der Tonhohe wenig Rein- 
lichen Nr. 15 mit dem Wechsel der harmonischen 
und melodischen Molltonleiter eine vielleicht 
nicht willkommene, aber um so nutzlichere Auf- 
gabe stellr. Die lehrreichen Vorhalte in Nr. 13 
hatten sich leicht noch etwas mehr verwenden 
lassen; von den Nr. 16 (Getragene Figuren), 19 
(Geiaufigkeit), 23 (leichtes Figurenwerk) durften 
die Opernscnuler besonderen Nutzen haben, 
wahrend das fleiBige Studium von Nr. 18,24,25 
und auch der schon erwahnten Nr. 23 den Kon- 
zertbeflissenen nicht genug empfohlen werden 
kann. Hjalmar Arlberg 

21. Claude Debussy: Preludes pour piano, 
2me livre. Verlag: Durand & Co., Paris. 
(12 Frcs.) 

22. Paul Ertel: Quatre impressions de 
la Suisse. Suite pour le piano, op. 27. 
Verlag: Forberg, Leipzig. (Mk. 5.50) 

23. Camille Saint Saens: Valse gaie pour 

le piano, op. 139. Verlag: Durand & Co., 
Paris. (3 Frcs.) 
Wohin Debussy mit seinen primfiren Ober- 
tonen noch gelangenQfijr^j^rf f^pfl das wissen 

C UNIVERSITY OF MICHIGAN 



172 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



oder aucta nur vermuten? Musik ist dies form- 
lose Gewirr disparater batJlicher Tonfolgen ohne 
jede architektonische Form, wie es auch in dem 
zweiten Praludienheft uns entgegentritt, jeden- 
falls schon lange nicht mehr. Die hoch- 
poetischen oder auch prosaischen („ Horn mage 
a Pickwick** u. a.) Uberschriften Indern daran 
nichts: eine davon, „Feuilles mortes a ,hatte einen 
passenden Titel fur das ganze Heft abgegeben. 
— Nicht viel besser stent es um die Impressionen 
aus der Schweiz von Ertel: Hier ist zwar wenig- 
stens ein heiftes Bemuhen um die Gestaltung 
musikalischer Formen nicht zu verkennen, aber 
es mangelt durchaus an der schopferischen Kraft, 
an den gestaltungsfahigen und gestaltungswerten 
Motiven. — Neben solchen Leistungen des mo- 
dernen musikalischen Egotismus wirkt Saint- 
Saens' harmloserWalzer wie eine Art Befreiung, 
obwohl er in keiner Hinsicht an sich besonderen 
Lobes wert ist. 

24. Martin Frey: Rund um Bach. Ffinf- 
zehnMeistersatzefurKlavierzuzwei 
Handen aus Bachscher Zeit, ausge- 
wahlt und fiir den Unterricht be- 
zeichnet. Steingraber Verlag, Leipzig. 
(Mk. 2.40.) 

25. Walter Niemann: Deutsche Landler 
und Reigen fiir Klavier. op. 26. Verlag: 
C. F. Kahnt Nachf., Leipzig. (Mk. 2.20.) 

Ob neben den guten Sammlungen alterer 
Klaviermusik, die wir Pauer verdanken, noch 
eine neue Auswahl notig war, kann man be- 
zweifeln. Das Bedurfnis zugegeben, wird man 
Freys Sammlung, die allerdings etwas knapp 
ist, mit Nutzen im musikalischen Unterricht 
verwenden. Daft auch Haydn und Mozart neben 
Couperin, Rameau, Scarlatti, Vivaldi, Martini, 
Handel und den Bachen darin vertreten sind, ist 
schwerlich zu rechtfertigen und die vom Heraus- 
geber im Vorwort dafiir beigebrachten Grunde 
iiberzeugen wohl niemanden. — Niemann gibt 
zehn volkstiimlich gehaltene, kleine Stficke im 
Stile der verschiedensten Gegenden des deut- 
schen Vaterlandes. Am gelungensten sind Nr. 3 
(„Alt-Wien a ) und 7 („Oberbayriscbe Kirta"), an- 
sprechend auch die meisten ubrigen Nummern. 

Albert Leitzmann 

26. A. W\ Leupold: Passacaglia fur Orgel. 
Werk 8. Verlag: C. F. Kahnt Nachfolger, 
Leipzig 1913. (Mk. 2.—.) 

Man hat sich daran gewohnt, mit einem 
gewissen Mifitrauen an Passacaglien heran- 
zutreten, da in ihnen, soweit sie von jungeren i 
Komponisten herruhren, in der Regel die 
kontrapunktische „Arbeit** nach beruhmten 
Mustern den Mangel an eigner Erfindungs- und 
formaler Gestaltungskraft ersetzen und ver- 
decken mufi. Um so angenehmer ist man von 
der Passacaglia Leupolds enttSuscht, die, durch 
ein glucklich erfundenes Thema von vornherein 
lebensfahig, vielerlei harmonische und rhyth- 
mische Feinheiten entwickelt und bei mittlerer 
Schwierigkeit dem Organisten eine sicher dank- 
bare Aufgabe bietet. Der Komponist zeigt sich 
als gereifter und gediegener Musiker, der mit 
genauer Kenntnis und mit Liebe fur die Orgel 
zu schreiben weiB. Seine Sprache ist un- 
gesucht und im guten Sinne modern. Das 
Werk verdient Beachtung. 



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Vi-::! :v, C iOOQJC 

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27. Karl Hasse: Suite in e-moll fur Orgel 
(Improvisation, Larghetto, Capriccto, Cia- 
cona). Werk 10. Verlag : F. E. C. Leuckart, 
Leipzig 1913. (Mk. 4.—.) 

Der begabte Regerschuler liefert in dieser 
Suite eine neue sehr beachtenswerte Probe der 
Weiterentwickelung seines Kompositionstalentes. 
Gibt er auch in den ersten drei Satzen dem 
auffassenden Ohre wie dem Verstande reichlich 
viel chromatische Probleme zu losen — eine 
weisere Beschrfinkung ware hier im Interesse 
der Wirkung entschieden anzuraten gewesen, — 
so versohnt er mit der schlechthin meisterlichen 
Giacona durch strengere Geschlossenheit des 
TonalitStskreises und quellende Erfindung, Flufi 
und Oberzeugungskraft der Sprache, was um so 
mehr besagen will, als das nur viertaktige 
Thema mit einem DominanthalbschluB ent- 
schieden die Aufgabe erschwerte. Von den 
zahllosen in letzter Zeit gedruckten Passacaglien 
unterscheidet sich die Hasses in jeder Hinsicht 
durch Inhalt und Originalitat. Das Werk ver- 
dient studiert und gehort zu werden. 

Dr. Ernst Schnorr von Garolsfeld 

28. HansFAhrmann: Streichquartett. op. 41. 

Verlag: Otto Junne, Leipzig. (Mk. 8.—.) 
Gegen Fahrmanns Klaviertrios op. 37 und 43 
gehalten, steht dieses Streichquartett des be- 
kannten Dresdener Organisten erheblich zuruck; 
ich kann darin nicht mehr als eine solide Arbeit 
erblicken, in der manche kontrapunktische Fein- 
heit im Satz doch nicht daruber hinwegtauschen 
kann, dafi dieses Werk lediglich Papiermusik ist. 
Vor allem ist der erste Satz gar zu hausbacken- 
trocken inderErfindung,dieThemen interessieren 
gar nicht und sind auch nicbt recht entwickelungs- 
ffthig. Der zweite Satz besteht aus Variationen 
fiber ein offenbar ganz absichtlich sehr einfach 
gehaltenes Thema, die technisch ganz geschickt 
gemacht sind (z. B. mit einem Canon in der 
Oktave und Quinte), aber sich durchaus in her- 
kdmmlichem Stile bewegen und zu wenig 
modernes Empfinden zeigen. Ganz flott ist das 
Scherzo, doch fehlt auch hier die personliche 
Note, vor allem auch in dem sehr kurz ge- 
haltenen sog. Trio. Im Finale herrscht leidliche 
Lebendigkeit, fur das zweite Thema kann ich 
mich sogar erwarmen; es hat auch etwas wie 
eigene Physiognomic Der Komponist hatte aber 
besser getan, auf die Drucklegung dieses Werkes, 
das seinen Ruhm nicht mehren wird, zu ver- 
zichten. Wilhelm Altmann 

29. Arnold Ebel: „Die Weihe der Nacht*. 
Kantate fur Bariton- (oder Alt-) Solo, 
gemischten Chor und grofies Or- 
Chester, op. 19. Verlag: C. F. W. Siegei 
(Linnemann), Leipzig. (Kl.-A. Mk. 6.—.) 

Wenn es die kirchliche Musik als eins ihrer 
altverbrieften Rechte in Anspruch nimmt, die 
Textworte unendlich oft zu wiederholen und in 
den einzelnen Stimmen nach Belieben durch- 
einander zu schieben, so laBt man sich das 
widerspruchlosgefallen, sobald es sich um irgend- 
einen kurzen Bibelspruch in deutscher und 
lateinischer Sprache handelt. Wer aber als 
Grundlage einer Kantate ein Gedicht Friedrich 
Hebbels wahlt wie Ebel, der muft fur diesen 
ersten in unserem Sinne modernen Dichter auch 
eine knappe Form finden, in der die Worte der 
Dichtunj jajtc^i^klich zur Geltung kommen. 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN) 



173 



Bei der vorliegenden Arbeit aber geht das Gedicht, 
wenigstens soweit es fur Chor gesetzt ist, fast 
vollig in der Musik unter, ein Fehler, den zu 
rugen icb um so mehr fur Pflicht erachte, als 
die Komposition an sich von auflerordentlicher 
Begabung und von nicht gewohnlichem Konnen 
zeugt. Der erste Satz wird durch eine in- 
strumentale Einleitung eroffnet, die das stille, 
geheimnisvolle Weben der Nacht sehr glucklich 
malt und besonders harmonisch und tbematisch 
interessant ist. Darauf beginnen Tenore und 
Bisse mit der ersten Strophe, welche sodann 
durch einen vierstimmigen Frauenchorwiederholt 
und zu noch intensiverer Wirkung gebracht 
wird. Jetzt vereinigen sich Manner- und Frauen- 
chor zur reichgegliederten Durehfuhrung der- 
selben Strophe, wobei der Reichtum schoner 
Klangwirkungen ebenso auffallt wie die aus 
Homophonie und Polyphonie glucklich gemischte 
Schreibweise. Durch kraftige Steigerung des 
Orchesters vorbereitet beginnt nun, vom ge- 
mischten Chor vorgetragen, die zweite Strophe, 
deren Komposition durch eine scharf rhytb- 
misierte Figur der Orchesterbasse sowie Ein- 
fuhrung eines Triolenmotivs belebt wird. Der 
zweite Satz bringt einen Sologesang „An meine 
Seele", in Weise und Ausdruck von eindringlicher 
Wirkung, der bei der Stelle „L6se dich" nach 
meiner Empflndung seinen Hohepunkt erreicht, 
vielleicht aber etwas knapper gehalten sein 
kdnnte. Eine zarte, aber ausdrucksvolle Figur 
der hohen Violinen gibt der Einleitung zum 
dritten Satze das Geprage, der den Chor in 
sebr lebhafter Weise verwendet und von ihm 
w Blum' und Koloratur" verlangt. Von dem 
Allegro „Und aus seinen Finsternissen" erhebt 
sich die Tondichtung zu bedeutender Hone. 
Kraft, Pathos und edle Grofte vereinigen sich 
hier mit feierlicher Hoheit zu einem Ganzen, 
das schon am Klavier voile Hochachtung ab- 
notigt und in guter Ausfuhrung unter einem j 
feinfuhligen Dirigenten nachhaltigen Eindruck ' 
binterlassen mufl. Allerdings stellt die Kantate 
an den Chor keine geringen Anspruche, aber 
wagemutigen Musikdirektoren sei sie aufrichtig 
empfohlen. Der Scbluflteil wurde nach meinem 
Gefuhl durch den Hinzutritt einer Orgel noch 
wesentlich gewinnen. 

30. Erich J. Wolff: Sechs Gedichte nach 
Jens Peter Jacobsen fur eine Sing- 
stimme und Pianoforte, op. 26. Ver- 
lag: C. F. Kahnt Nachfolger, Leipzig. 
(Mk. 5.40.) 
Mit begreiflicher Running nimmt man diese 
Kompositionen des unlSngst auf einer ameri- 
kanischen Rundreise verstorbenen Musikers zur 
Hand, der als Begleitkunstler in der vordersten 
Reibe stand und sich schon dadurch als vor- 
trefflichen Musiker auswies. Auch nach dem 
Lorbeer des schafPenden Kunstlers hat er mit 
heiftem Bemuhen gerungen, und vielleicht ware, j 
wenn der Kampf urns Dasein ihm mehr Ruhe | 
und Vertiefung ermoglicht hatte, Erich J. Wolff 
zu der Reife der eigenen Personlichkeit durch- 
gedrungen. Daft er auf gutem Wege dazu war, i 
zeigen die vorliegenden Lieder. Versucht er sich 
bei „Landschaft** nicht ohne Gliick in musikalisch- i 
eindringlicher, harmonisch und rhythmisch | 
interessanter Schilderung, so schlagt er mit i 
„Seidenschuh uber Leisten von Gold" einen i 

o 



Kr:\zo: 



leichten, wenn auch zarten Ton an, der gar herz- 
lich klingt. Bei „Ewig a ist es fast erstaunlich, 
was der Komponist aus dem recht unmusi- 
kalischen Gedicht zu machen weiG. „Flieg hin, 
mein Kiel" ist etwas oberflachlicher als die_vor- 
hergehenden. „Reim a ist nach meiner Uber- 
zeugung das talentvollste Stuck der Sammlung, 
denn hier wird mit einfachen Mitteln (wfihrend 
Wolff sonst schwierig genug schreibt) eine volks- 
maflig starke, fast choralartige Wirkung erzielt. 
„Meine Braut fuhr* ich heim** atmet frische Kraft 
und frohe Zuversicht in Weise und Rhythmus. 
Dali Wolffs Melodik nicht immer muheles und 
luckenfrei fliefit, daft er die schon arg abge- 
brauchten Ingredienzien modernster Lieder- 
technik — wie haufigen Wechsel der Taktarten, 
Bevorzugung ungewohnlicher Rhythmen ( 9 / 4 , 6 /*), 
hauflge Verwendung des Oktavenintervalls in 
der Singstimme, ineinanderfliedende Harmonik, 
Chromatik und Enharmonik — in seinen Liedern 
nicht verschmaht, lSlit leider erkennen, dad er, 
der alltSglich Lieder begleiten muCte, noch nicht 
zu ganz selbstSndiger Schaffensart sich durch- 
gerungen hatte. Aber an Einzelschonheiten 
mangelt es keinem dieser Lieder, die auch samt- 
lich einen erfreulichen Zug von Konzentration 
aufweisen. Die Klavierbegleitung ist geschickt 
und klangschon, dabei auch nicht so schwierig, 
wie man es vielleicht gerade von ihm erwartet 
hitte. 

31. Eugen Haile: Lieder fur eine Sing- 
stimme mit Klavierbegleitung. Ver- 
lag: Friedrich Hofmeister, Leipzig. (Mk.7.20.) 
Der sehr fruchtbare Tonsetzer tritt hier wieder 
mit sechs Gesangen hervor, die als gute Arbeiten 
von mittlerem Werte bezeichnet werden durfen, 
weil sie zwar des gottlichen Funkens entbeliren, 
aber doch in Erfindung und kunstlerischer 
Naivitat uber manche anderen Erzeugnisse des 
modernen Liederschaffens emporragen. w Die 
Blumen stehen am Bachlein" erfreut durch 
gluckliche Steigerung, die sich von der fast 
durchlaufend murmelnden Sechszehntelfigur 
gut abhebt, und durch einen bei aller Schlicht- 
heit fromm-eindringlichen Schlufi. Weniger 
bedeutend ist „Es regnet**, weil der Humor 
des Petofi'schen Gcdichts dem Tonsetzer gar 
nicht liegt. Kindlich einfach und innig ist das 
„Weihnachtslied a , groBer in Anlage und Aus- 
fuhrung „Herbst a , worin der Komponist Tone 
von erfreulicher Kraft und Gefuhlswarme an- 
schlSgt. Dagegen bleibt das „Teufelslied" (Text 
von K. Volker nach dem bekannten Ander- 
sen'schen Mirchen w Die roten Schuhe a ) ohne 
die dSmonische Wucht und zwingende Balladen- 
stimmung. Mit dem n Fahrenden Musikanten* 4 ist 
Haile wieder in seinem rechten Gleis; das ist 
ein wirklich hubscher, frischer Sang, der seine 
Wirkung nicht verfehlen wird. Daft sich der 
Komponist von iiblen harmonischen Ex- 
perimenten fernhfilt und stets das Bemuhen 
zeigt, gesanglich zu schreiben, sind weitere 
Vorzuge dieser Lieder, die als gute Unter- 
haltungsmusik ohne grofte Pratensionen auf- 
treten und darum vielleicht gerade lebensfahiger 
sein werden als die Schopfungen anderer, 
modemerer und geistreicherer Tonsetzer. Haile 
ist weder ein Tausendkunstler noch ein geist- 
spruhender Komponist, aber er hat Musik im 
Leibe, und das ist heutzutage schon viel wert. 

Original from 
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



174 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



32. Kurt Lange: Drei Gesange. Verlag: 

Dreililien, Berlin. (Mk. 3.—.) 
Ein unverkennbares Talent spricht sich in 
diesen Liedern aus, die zwar in Deklamation 
und Harmonikvon Regerund Richard StrauB stark 
beeinfluftt zu sein scbeinen, aber doch eine 
Eigenart bereits erkennen lassen. Diese weifJ 
sich am besten in der Erzeugung zarter, duftiger 
Wirkungen zu betatigen; eine leise Melancholie 
zittert durch diese Klfinge, die teilweise sogar 
romantische Farbung haben. Das erste Stuck 
„Am Abend" halte ich fur das weitaus beste, 
wenn auch die prosodische Behandlung der 
Silben bisweilen nicht einwandfrei ist. Die 
Singweise flieGt zart und innig dahin; eine 
ruhige Bewegung in der Klavierstimme, in der 
ubrigens die sorgsame Stimmfuhrung angenehm 
auffSllt, ist dem gunstigen Eindruck nur forder- 
lich, und iiber dem Ganzen liegt, was ich fur 
das wertvollste halte, eine Gleichmaftigkeit der 
Stimmung und eine stille Kraft des Ausdrucks, 
der man sich nicht entziehen kann. Bei dem 
zweiten Lied „So regnet es sich langsam ein a 
liegt der musikalische Reiz in erster Linie in 
den eintonigen, kurz abgerissenen, gleichsam 
tropfenweise rinnenden Begleitfiguren, die durch 
das fast prinzipiell dabei verwendete Intervall 
der kleinen Sekund etwas besonders Eindring- 
liches erhalten. Das dritte Lied „Uber den 
Bergen" ist meiner Empfindung nach mit seiner 
Musik nicht aus dem Sinn des Gedichts heraus 
geboren, wenigstens halte ich die in der Mitte 
eintretende Steigerung in Bewegung und Aus- 
druck nicht fur gerechtfertigt. Aber auch dieses 
kurze Stuck atmet echte Musik, ja, es verrSt 
sogar, daft der Komponist auch leidenscbaftlicher 
Regungen fahig ist; man darf darum seinen 
weiteren Arbeiten mit Teilnahme und Hoffnung 
entgegensehen. F. A. Geifiler 

33. Hugo Leichtentritt: Geistliche Frauen- 

chore alter Meister. Steingraber Ver- 
lag, Leipzig. (4 Hefte je Mk. 1.—.) 
Ein hochst erfreuliches Unternehmen des 
Berliner Musikgelehrten, der mit dem ganzen 
Rustzeug des modernen Musikhistorikers und 
fein empfindenden Musikers wertvolle Chore an 
die breite Offentlichkeit bringt. Der Verfasser 
ist durchaus berechtigt, im Vorwort zu sagen, 
daft die Sammlung ihr Dasein einem wirklichen 
Bediirfnis verdankt. Es gibt tats3chlich wohl 
nur sehr wenige oder gar keine ahnlichen Gaben, 
die unseren Frauenchoren zwar sehr anspruchs- 
volle, aber dafiir um so lohnendere Aufgaben 
stellen. Stephan Mahn, Arnold von Bruck und 
Gregor Aichinger spenden die Bluten zum ersten 
Straulie; dem herrlichen Palestrina ist das zweite 
Heft entnommen (sechs vierstimmige Gesange); 
L. Vittoria, P. Agostini, Orlando di Lasso und 
Jacobus Gallus steuerten Perlen des a cappella-Ge- 
sanges zum dritten Hefte bei, wahrend das vierte 
Heinrich Schutz gewidmet ist und zwei Chore 
mit Orgelbegleitung resp. Harmonium enthalt. 
Die Gesange sind alle drei- bis funfstimmig und 
stammen aus der Zeit von 1500—1650, bekannt- 
Hch der Zeit der hochsten Blute des a cappella- 
Gesanges. Es ware ein unniitzes Unterfangen, 
einzelne Chore besonders lobend hervorzuheben. 
Hier entscheidet der personliche Geschmack. 
Ich kann nur den Leitern und Leiterinnen 
leistungsfahiger Frauenchore zurufen: Greift 



i":;i 






mit beiden Handen zu, ihr werdet es nicht be- 
reuen. Martin Frey 

34. Maurice Ravel: Valses Nobles et Sen- 

timentales pour Orchestre. Verlag: 
Durand & Fils, Paris. (Part. Fr. 10.—.) 
Wenn ich nicht wuftte, daft der Verlag Durand 
ernst zu nehmen ware, wiirde ich dieses Opus 
fur einen Karnevalsscherz halten; fur einen 
schlechten und haftlichen allerdings. Denn was 
der Komponist sich an musikalischen Hafilich- 
keiten leistet, das ubersteigt alle Begriffe. Har- 
monisch basiert er seine Gedanken, die ubrigens 
von einer erschrecklichen Durftigkeit sind, auf 
lauter Sekunden oder auf tibermafiige Dreiklange, 
und Haufungen von Septimenakkorden in der 
Quint-Sextlage, die ganz unmittelbar neben- 
einander geklebt sind, arten bei ihm fast zur 
Manie aus. Melodie ist naturlich Nebensache;setzt 
einmal ein leidlicher melodischer Gedanke ein, 
wie beim ersten oder dritten Walzer, so wird 
er sofort von den sinnlosen Dissonanzen ver- 
schlungen. Auch nach pikanten rhythmischen 
Problemen wird man vergebens suchen; denn 
die Experimente mit dem 3 /i und 6 /* Takt, die 
in No. 6 angestellt werden, sind eben Experimente, 
die mit Musik nichts zu tun haben, und fur die 
doch wohl ein Walzer der ungeeignete Platz ist. 
Die Instrumentation bewegt sich trotz aller 
Harfenglissandi und Flageoletts, trotz der drei- 
bis sechsfachen Teilung der einzelnen Saiten- 
instrumente in ausgetretenen Gleisen und bringt 
weder Neues noch Schones. Die Partitur ist 
ziemlich schlecht leserlich: bei dem Harfen- 
glissando auf Seite 53 — um nur ein Beispiel 
herauszugreifen — habe ich lange grubeln 
mussen, wie es eigentlich heiften soil. Jeden- 
falls ist das Ganze ein trauriges Zeugnis vom 
Tiefstand unserer heutigen Musik. 

Dr. Max Burkhardt 

35. Alfred Wernicke: „Meeresbrandung." 
Ballade fur Mannerchor und Orchester. op. 36. 
Verlag: Fr. Kistner, Leipzig. (Kl.-A. Mk. 4.—.) 

Das vom Komponisten selbst verfafite Gedicht 
schiidert ein Schiff im Sturm der Brandung. 
Es ist dem Untergang nahe, und abschied- 
nehmend gedenken die Insassen ihrer Heimat 
und ihrer Lieben. Doch plotzlich lallt der Wind 
nach, die Sonne bricht durch und gerettet kdnnen 
die Schiffer in den sicheren Hafen fahren. Das 
Gedicht ist in einfacher Sprache effektvoll auf- 
gebaut. Die Klippen, welche die Darstellung 
eines solchen Ereignisses stellen, wenn sie 
einigen Anspruch auf literarischen Wert haben 
soil, sind allerdings nicht ganz uberwunden; denn 
die vielen „Sei gegrufit" am Schlusse erinnern 
in der Mannerchorliteratur doch gar zu sehr an 
die seichte Liedertafelei. Textlich und musi- 
kalisch ist die Schilderung des Sturmes am 
besten geraten. Auch fur das Gedenken der 
Heimat sind schlichte und herzliche Tone ge- 
funden. Der Gesang des Solotenors, der von 
seiner „Margarete a Abschied nimmt, gerat aber 
leider etwas ins Triviale. Recht lebendiges 
Kolorit bringt dann wieder der Umschlag des 
Windes und der neue Mut der Matrosen. Brau- 
send und effektvoll schlieftt das Werk ab. Es 
ist in seinen bewegten Teilen fur den Chor 
nicht so ganz einfach, wird aber seiner prag- 
nanten, lebensvollen Zeichnung wegen eines 
guten Erfolges sicher sein. 

Original from 
UNIVERSIWOF MICHIGAN 



BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN) 



175 



36. 



Karl Bleyle: ^Prometheus." Fur 



Mannerchor und grofies Orchester. 

op. 25. Verlag: Fr. Kistner, Leipzig. (Kl.-A. 

Mk. 2.50.) 
Goethes w Prometheus a ist ein Gedicht, das nur 
die subjektiven Gedanken eines einzelnen aus- 
spricht,aber man kann die leidenschaftlich sich auf- 
lehnenden und revolutionaren Tone, die es ent- 
balt, wohl auch als den Ausdruck einer Menge 
gelten lassen und so einer Bearbeitung fur 
Mannerchor ihre Berechtigung zugestehen. 
Bleyle ist durch den Text zu einem phantasie- 
vollen, grofizugigen TongemSlde angeregt worden. 
Seine Sprache geht trotz der Kuhnheit des 
Wortes nie uber mafivoll gesteckte Grenzen 
hinaus und sucht klugerweise mehr durch Sacb- 
lichkeit als durch Verwegenheit der musikalischen 
Diktion zu wirken. Nicht zu hoch wird man es 
ihm anrechnen durfen, daB er an mehreren Stellen 
dem Text noch ein hohnisches Lachen zugefugt 
hat, das der Gbor auf „ha, ha, ha!" anstimmt. 
In prachtvoller Kraft erstrahlt die Stelle: „Wer 
half mir wider der Titanen Obermut?" Der sich 
aufbSumende Trotz ist uberhaupt sehr gut ge- 
trofPen. Trotzdem ist die Chorpartie nicht schwer 
ausfuhrbar. Auch das Orchester spricht, so- 
weit man nach dem Klavierauszug urteilen kann, 
eine grofizugige, leidenschaftliche Sprache. 

37. Ernst Wendel: „Das Reich des Ge- 
sanges." Fur Mannerchor und Or- 
chester. op. 13. Verlag: Fr. Kistner, Leipzig. 
(Kl.-A. Mk. 4.-.) 

Ein fur gut besetzte MSnnerchore sehr zu 
empfeblendes Werk liegt hier vor. Die poesie- 
vollen Worte Theodor Korners werden durch 
die empfindungsvolle und gewShlte musikalische 
Sprache noch gehoben. Gerade so ein weihe- 
volles Werk, das den Gesang selbst und die 
Erhebung durch ihn zum Gegenstand und auch 
starke musikalische Werte einzusetzen hat, fehlt 
unseren Mannerchfiren ; denn seichte Durch- 
schnittsware gibt es ja auch hier genug. Nach 
einem weihevollen Orchestervorspiel setzt der 
unbegleitete Chor ein, das Orchester tritt nach 
und nach hinzu, undoes ergibt sich die erste 
schone Steigerung. Uberhaupt ist das Ganze 
sehr gut disponiert und die Kunst der Steigerung 
steht dem Komponisten in hohem Mafie zu Ge- 
bote. Auf ganz ungezwungene Art fuhrt er 
den Chor zu verschiedenen bedeutenden und 
wirkungsvollen Hohepunkten. Die Chorstimmen 
sind von aufierordentlicber Sangbarkeit. An 
leidenschaftlicheren Stellen kontrastiert wieder 
ein gut klingendes kontrapunktisches Gefuge. 
Jedenfalls hat man es hier mit einem Werke 
zu tun, das seinen Weg machen wird. 

38. Richard WickenhauBer : Zehn kleine 
Tonbilder fur Klavier. op. 72. Verlag: 
Fr. Kistner, Leipzig, (je Mk. 0.60.) 

Hubsche Stucke von guter musikalischer 
Qualit5t fur die Mittelstufe im ungeffihren Stile 
von Schumanns Jugendalbum. Emil Thilo 

39. Gottfried von Lin gen : Sonate fur 

Klavier. op. 4. Odeon-Verlag, Miinchen. 
(Mk. 5.—.) 

Das vorliegende, grofi angelegte Werk zeugt 
von starker Begabung. Der bisher unbekannte 
Komponist kommt offenbar von Brahms her, 
und er schreibt, wie sein Meister, nicht immer 



sehr klaviermafiig. Allenthalben merkt man 
aber bereits ex ungue leonem. Besonders der 
letzte Satz zeigt so viel Urwuchsigkeit, so viel 
Kraft und Frische, dafi trotz seiner Lange 
(15Seiten) das Interesse nicht einen Augenblick 
erlahmt. Der langsame, bei aller Schlichtheit 
eindrucksvolle Satz wird von einem anmutig 
rhythmisierten Allegretto sehr geschickt und 
wirkungsvoll unterbrochen; auch hier bleibt das 
Interesse schon infolge der Kontrastwirkung 
stets wach. Der erste Satz enthalt gleichfalls 
manches Schone, zeigt aber noch allerhand Un- 
geschicklichkeiten und satztechnische Mangel. 
Das will jedoch nicht viel bedeuten. Im Gegen- 
teil: WShrend die meisten jungeren Komponisten 
unsererZeit alles sagen konnen, aber nur wenig 
zu sagen haben, ist hier eine dem technischen 
Konnen weit vorauseilende ursprungliche Be- 
gabung zu spuren. Zweifellos wird der Kom- 
ponist dieser Sonate noch harte, lastige, auf- 
haltende Arbeit auf sich nehmen mussen. Wenn 
er sie scheuen sollte, so wire er des vorzug- 
lichen Eindrucks nicht wurdig, den seine Sonate 
als Talentprobe macht. Also: Noch einmal hin- 
ein in die Frone, Auflosungen und Stimmfuhrung 
genau kontrollieren, das Gehdr gegen klangliche 
Harten schSrfen, streng auf harmonische Logik 
achten, nirgends Flicken aufsetzen, sondern klar 
aufbauen. Alsdann Gluckauf fur den nSchsten 
Flug! 

40. Edouard Schfitt: Pages gracieuses. 
Quatre Morceaux pour Piano, op. 94. 
1. Cantique du soir. 2. A une coquette 
(Papillon-Valse). 3. Berceuse d'une poup£e. 
4. Polka-Burlesque. Verlag: N. Simrock, 
G. m. b. H., Berlin und Leipzig. (Mk. 3.—.) 
Der Abendgesang ist melodisch schlicht und 
vornehm, harmonisch uberaus reizvoll. Aber 
leider fehlt es ihm auch nicht an galanten 
Seufzern und sufier Sentimentalitfit. Er halt, 
was der Titel des Werkes verspricht: er ist 
w grazios a . (Kann ein wurdiger Abendgesang 
w grazios a sein?) Die Papillon-Valse wird ver- 
mutlich den meisten Anklang flnden; sie ist 
w dankbar* geschrieben, ohne besondere Schwierig- 
keiten zu bieten, und zSblt rein musikalisch zu 
den besten modernen Salonkompositionen. Neben- 
bei sei bemerkt, dafi die Vortragsbezeichnungen 
von geradezu ruhrender Bescheidenheit sind; 
wihrend man sonst liest: „con intimo senti- 
mento" oder so, steht hier z. B. „poco espres- 
sivo**: ein bifichen mit Ausdruck. Die Ber- 
ceuse d'une poup6e erfordert, so einfach sie ist, 
eine uberaus subtile Abwagung aller einzelnen 
Tone gegeneinander. Man merkt, dafi ein fein- 
sinniger Pianist dieses entzuckende kleine Stuck 
geschrieben hat. Hier ist wirkliche Grazie und 
gar kein Salonparfum. Die burleske Polka fallt 
etwas aus dem Rahmen. Sehr nett; hubscher 
Artikel fur die Handler; aber auch weiter nichts. 
Es ist schade um Schiitt; man merkt immer 
wieder, dafi er Besseres schreiben konnte als 
„Salonmusik u . Gewifl, es ist auch verdienstlich, 
dafi er diese durch sein Beispiel auf einem an- 
stiindigen Niveau zu erhalten sucht. Aber er 
hat fruher sicherlich hohere Ziele gehabt, und 
sein neues Werk zeigt, dafi er auch jetzt noch 
hohere Ziele haben konnte. 

Dr. Richard H. Stein 



:r. i.:!U: 






Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRITIK 



OPER 

DRAUNSCHWEIG: Nach dem plotzlicben, un- 
" freiwilligen Abschiede des Intendanten E. v. 
Frankenberg hat mit Beginn der neuen Spiel- 
zeit sein Vorganger, Frhr. v. Wangenheim, 
die Leitung des Hoftheaters unter schwierigen 
Verhaitnissen wieder ubernommen, denn der 
Personalbestand zeigt erhebliche Liicken. Der 
Heldentenor ist bis Ende des Jahres beurlaubt, 
urn seine gesanglichen Studien in Berlin zu 
vollenden. Die eine Soubrette genugt nicht fur 
das Fach, dasjenige der Komischen Alten ist 
zurzeit nicht besetzt, andere Krafte ersetzen 
ihre Vorganger nicht: kein Wunder, dafi die 
Hoffnung auf Regelung der musikalischen Ver- 
haltnisse ebenso allgemein ist wie die der 
politischen. „Gaste kamen, Gaste gingen." Eine 
Erweiterung des Spielplanes ist naturlich ebenso 
ausgeschlossen, wie die einheitliche, grundliche 
Vorbereitung der alteren Werke, weil die Fremden 
mitunter erst kurz vor der Vorstellung an- 
kommen. Es halfen aus die Heldentenore: 
Otfried Hagen, der nach zweijahriger Abwesen- 
heit am 1. September seine hiesige Stellung 
wieder antrat, Walter Biiltemann, Paul Hoch- 
heim, endlich Jacques Decker. Von den 
fruheren Mitgliedern kehrten Margarete Elb 
und Wilhelm Cronberger zu mehrmaligem 
Gastspiel zuruck. Zu Beginn der Spielzeit, am 

24. August, feierte Regisseur C. Greis als Papa- jahriger Pause wieder auf den Brettern erschien 
geno („Zauberfl6te u ) das Fest seiner 25jShrigen und sich diesmal voraussichtlich linger halten 
hiesigen kiinstlerischen Tatigkeit. Von den neuen wird als fruher. Walter Soomer gestaltet die 
KrSften zeichnen sich aus Albine Nagel (jugend- Titelpartie gesanglich und darstellerisch gleich 
lich dramatische Sangerin), Gertrud Diedel- 1 meisterhaft aus; neben ihm verdient in erster 
Laafi (Volontarin) und C. Sengstack (Zweiter | Linie Waldemar Staegemann als Ford ein 
lyrischer Tenor). Verdi's lOOjahrigen Geburts- Lob. Grofie Hoffnungen darf man auf den noch 



trefflich, wie es dem Rang der Dresdner Oper 
entspricht, aber^zu einer Festspislzeit gehoren 
noch gewisse AuBerlichkeiten, gehoren jene 
Imponderabilien, die sich gerade in Dresden 
leicht genug schaffen liefien, wenn sich mit der 
Leitung der Hoftheater die stadtische Verwaltung 
vereinigen wollle. Diesmal kamen die herbst- 
lichen Sondervorstellungen uber den Wert guter 
Opernauffuhrungen nicht hinaus, docb steht zu 
hoffen, daQ die dabei gewonnenen Erfahrungen 
in Zukunft wohl benutzt werden. — Die erste 
Neuheit der Spielzeit war „Der Schmuck der 
Madonna" von Wolf-Ferrari, ein Werk, das 
nach dem Grundsatze der Mischung aller Stil- 
arten geschaffen zu sein scheint. Infolgedessen 
ubt es eine betrachtliche Wirkung auf das groGe 
Publikum aus, zumal wenn an Glanz der deko- 
rativen und kostumlichen Ausstattung nichts ge- 
spart wird; der Kenner aber vermag an dem 
Ganzen nur wenig Gefallen zu finden, sondern 
muli sich an schSne Einzelheiten halten, deren ja 
die Partitur eine groQe Anzahl birgt. In den Haupt- 
partieen zeichneten sich Fritz Vogelstrom (ab- 
wechselnd mit Fritz Soot), Eva Plaschke- 
v.d.Osten (abwechselnd mit Gerda Barby) und 
Friedrich Plaschke aus. Ernst v. Schuch, der 
diese Neuheit mit staunenswerter Spannkraft und 
lebendigstem Einfuhlen in alle Feinheiten ge- 
leitet hatte, war auch der Haupttrager des Er- 
folgs bei Verdi's ^Falstaff, der nach zehn- 



tags wurde durch „La Traviata" und „Aida a 
wurdig gedacht. Ernst Stier 

DREMEN: Mit w Tannh3user u , in der gleichen 
" Besetzung wie im Vorjahr und unter der 
Leitung von Cornelius Kun, wurde die neue 
Spielzeit eroffnet. Fruher als sonst in der Saison 
hatte man „Die Meistersinger* 4 herausgebracht 
mit Leonor Engelhard (Stolzing) als Gast. Als 
weitere Gaste sind zu nennen Else Liebert 
(Philine in „Mignon") und Mafalda Salvatini 
als Carmen. Eine hochst erfreuliche kiinst- 
lerische Tat der Direktion (Hofrat Julius Otto) 
bildete der Verdi-Zyklus. Die Auffiihrungen, 
sieben an Zahl, umfaBten alle bedeutenden Werke 
des italienischen Meisters von „Rigoletto tt bis 
^Falstaff", der als Festvorstellung am Geburtstage 
Verdi's (10. Oktober) in Szene ging. Unsere 
einheimischen KrSfte, die alteren und neu- 
gewonnenen, auf die ich gelegentlich zuruck- 
kommen werde, bestanden in diesem Zyklus 
mit Ehren. In „AVda a , w Othello a und „Falstaff a 
wurden die Titelrollen von Mafalda Salvatini, 
Oskar Bolz und Robert vom Scheidt aus 
Frankfurt a. M. gesungen. Prof. Dr. Vopel 
pvRESDEN: Die Konigliche Hofoper bot 
*~* in diesem Herbst zum ersten Male einen 
„Zyklus neueinstudierter Werke", wofiir 
man besser und mit vollem Recht den Titel 
„Septemberfestspiele" hatte wahlen durfen. Nicht 
nur der Besuch, sondern auch die kunstlerische 
Stimmung an diesen Abenden wurde dann besser 
gewesen sein. Was geboten wurde, war so vor- 



J":;t':l^j 



sehr jungen Tenoristen Richard Tauber setzen, 

der seit dem Antritt seines hiesigen Engagements 

durch seine groBe, weiche, lichte, leicht an- 

I sprechende und gefuhlswarme Stimme, seine 

I musikalische Sicherheit und sein Spieltalent Auf- 

I sehen erregt und als Tamino eine vielverheifiende 

Leistung geboten hat. Wenn er das leichte 

Tremolo, das in der Hone auftritt, sowie das 

Lispeln der Zischlaute beseitigen kann, hat der 

reichbegabte Sanger Aussicht, die hochsten Ziele 

zu erreichen, da sein Organ ungeahnter Entwicke- 

lungsmoglichkeiten fahig zu sein scheint. 

F. A. GeiBler 
CRANKFURT a. M.: Die Oper nimmt unver- 
: ^ kennbar einen stetigen Aufstieg. So hat uns 
Kapellmeister Egon Pollak eine Reihe von 
I Neueinstudierungen geboten, die das Publikum 
1 wie Festauffuhrungen aufnahm. In der Erinne- 
rung leuchten heute noch die „Meistersinger**. 
Ottomar Starke hatte sehr geschickte und 
malerisch feinfuhlige Buhnenbilder entworfen; 
Regisseur Krahmer hatte besonders dem dra- 
matischen Spiel der Massen auf der Buhne 
groBe Aufmerksamkeit geschenkt; und Pollak 
hatte mit den Solisten gearbeitet. Der Erfolg 
war eine musikalische Sauberkeit und eine 
solch erstaunliche Plastik in dem Stimmen- 
gewoge der Volksszenen, dafi man den unheil- 
vollen EinfluQ des alltaglichen Spielplans, die 
Revoke des Alltags aus der Welt vertrieben 
glaubte. In den Einzelrollen errangen sich die 
Herren Scheidt (Sachs) und Hutt (Stolzing) 

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UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KR1TIK (OPER) 



177 



neben unserem prachtvollen Schramm (David) 
den Haupterfolg. Auch einer Auffuhrung des 
w Rings" ist zu gedenken. Pollak dirigierte sie 
mit scharfer Betonung der dramatischen Akzente. 
Oben gab es eine Reihe belangloser Gastspiele. 
ErwShnt seien nur Forchhammer, der den 
Siegfried der „G6tterdammerung" sang und un- 
vergleichlich scbon spielte. Der Heldentenor 
F anger aus Konigsberg verspricht fur die Zu- 
kunft genug Vorzuge, urn ein Engagement zu 
rechtfertigen. Mozart's „Cosi fan tutte" er- 
lebte eine musikalisch wie szenisch ganz hervor- 
ragende Neueinstudierung unter Pollak. Neben 
den Herren Hutt, Schneider und Brink- 
mann erwarben sich Frl. van Dresser und 
Frau Boennecken den lebhaftesten Dank der 
Zuhorer. Es scheint als ob dieses Werk jetzt 
mehr Geschmack beim Publikum findet. Mozarts 
Technik in der Ensemblekunst ist ja nirgends 
so fein zu beobachten, wie gerade hier, wo der 
Musiker Mozart durch Schmuck das ersetzen 
wollte, was der Dichtung und dem dramatischen 
Kern des Buches abgeht. Wenn also die En- 
sembles so fein ans Ohr kommen, wie hier in 
der jetzigen Verfassung der Sanger, so ist das 
Entzucken der Besucher nur zu begreiflich. — 
Das neue Werk von Bernhard Sekles, „Der 
Zwerg und die Infantin", ist ein Tanzspiel 
nach einem MSrchen von Oscar Wilde. Sehr 
bubnenwirksam ist die Handlung nicht: es fehlt 
auch der dramatischen Bearbeitung von Karl- 
heinz Martin die Leuchtkraft der unmittelbar 
packenden und verstandlichen Handlung, ohne 
die eine Pantomime nun einmal nicht leben 
kann. Sekles' Musik ist im Kleinen groB, im 
GroBen klein. Sehr feinsinnig gearbeitet und 
instrumendert; klingt famos; in der Situations- 
malerei von einem aparten spanisch-katholischen 
Duft: kurzum, mit einigen Strichen versehen, 
gibe es eine fraglos viel begehrte symphonische 
Dichtung. Auf dem Theater fehlt der groBe 
Augenblick in dieser Partitur, der Moment, der 
wirklich packt. Fur das Schaffen von Sekles 
ist das Werk also bedeutsamer als fur die Buhne. 
In der Erfindung und im musikalischen Aus- 
druck ist eine prachtige, oft frappante Pr3gnanz 
der Wirkung erzielt. Betrachten wir also das 
Werkchen als Vorlaufer oder Studie zu einem 
groBeren Werk. Unter Dr. Rottenberg kam 
eine musikalisch prachtige Auffuhrung zustande. 
— Zu Ehren Verdi's ward der „Don Carlos" 
aufgefuhrt. Das Werk ist vor der „ATda" fur 
die GroBe Oper in Paris geschrieben; es ist also 
Verdi's erster Versuch, mit dem Stile Meyer- 
beers sich auseinander zu setzen. Es zeigt sich 
sein Genie schon in der Tatsache, wie wenig 
er in diesen groBen Formen konventionell ist. 
Seine Ursprunglichkeit beweist diese Partitur 
vielleicht am meisten. Im einzelnen sind viele 
Perlen darin, nicht nur diejenigen, die spater 
in der „Aida" ganz ausgereift sind. Bemerkens- 
wert ist die Warme, mit der das Publikum das 
Werk aufnahm. Es war auch eine Leistung 
ersten Ranges. Mit dem stimmlich glSnzenden 
Tenor Hutt (Carlos), dem geschmackvollen und 
intelligenten Bariton Breitenfeld, Frl. van 
Dresser (Elisabeth) und Frl. Clairmont 
(Eboli) war eine gute Auffuhrung gewfihrleistet. 
Das prachtvolle Temperament Dr. Rotten bergs 
brachte eine solch ausgezeichnete Gesamtleistung o 

xm. 3. f:i; :i :,,,::■: :> y CoO^fC 



hervor, erzielte ein derartig gemeinschaftliches 
Streben nach dem AuBerordentlichen, daB diese 
Verdi-Feier mit zu den tiefsten Theatereindrucken 
gehort, die man hier seit Jahren wahrnehmen 
konnte. Trotz des schwachen Konig Philipp — 
der Bassist FonB war dieser schauspielerischen 
Spezialaufgabe doch nicht recht gewachsen — 
erzielte das Werk einen ungeahnt starken Er- 
folg. Karl Werner 

GRAZ: Von den letzten Ereignissen der Ver- 
fiossenen Spielzeit sind noch nachzutragen: 
ein ziemlich sorgfaltig vorbereiteter Wagner- 
Zyklus, mehrere Gastspielabende der noch 
immer hervorragenden Sigrid Arnoldson als 
Traviata, Mignon und Manon, und als AbschluB 
der Spielzeit ein dreimaliges Auftreten Leo 
Slezaks, der mit seinem bezwingend wohl- 
lautenden Organ und seiner fur einen Sanger 
aufiergewdhnlichen darstellerischen Begabung 
als Troubadour, Othello und Eleazar Triumpne 
feierte. — Die neue Spielzeit wurde mit „Rienzi" 
recht gut eroffnet. Von Wagners Werken folgten 
bisher„Der fliegendeHoliander", mitFritz Schorr, 
einem stimmgewaltigen Titelhelden, und Rosine 
Fortelni als durchgeistigter Senta, „Lohengrin" 
in einer ganz verungluckten Auffuhrung mit 
unzulSnglicher Besetzung und ^Siegfried* 4 mit 
Willy Tosta als brauchbarem Siegfried, Fanny 
Pracher als groBzugiger Brunnhilde und Karl 
KoB als ausgezeichnetem Mime. Glanzvorstel- 
lungen waren Flotows n Martha" mit Paula Stein, 
einerauBergewohnlich schonstimmigen Koloratur- 
s3ngerin in der Titelrolle, Harry Schiirmann, 
einem mehr durch prachtvolle Schulung als 
durch groBes Material auffallenden lyriscben 
Tenor als Lyonel und Josef von Manovarda 
als vorzuglichem Plumkett. Dieselben Krafte 
brachten auch Bizet's seit vielen Jahren nicht mehr 
gegebener „Carmen tt einen geradezu sturmischen 
Erfolg. — Die Geburtstagsfeier Verdi's 
endete mit einem Skandal. Man wahlte ungluck- 
licherweise ,Don Carlos", der zwardem Musik- 
historiker wunderbare Ausblicke (besonders auf 
w ATda") bietet, dem groBen Publikum aber wenig 
zusagt. Die unmogliche Besetzung der tragenden 
Partie des Marquis Posa durch einen jungen 
Bariton Wilhelm Niering rief den Unwillen 
und die Heiterkeit des Publikums wiederholt 
hervor. Auch der Carlos war mit Willy Tosta 
nicht eben glanzend besetzt, die Regie schuf 
nur unuberbruckbare Langen, und Kapellmeister 
Ludwig Seitz,derbishermitGeorg Markowitz, 
der die Spielopern recht gut leitet, alle Werke 
allein herausgebracht hat, vermochte auch wenig 
zu retten. Ebenso verungluckte die Neuein- 
studierung von Saint-Saens' seit vielen Jahren 
nicht mehr aufgefuhrter Oper „Samson und 
Dalila", wobei die Altistin Auguste Lenska 
vom Publikum mehr als deutlich abgelehnt wurde, 
Willy Tosta aber als guter Samson vielen Bei- 
fall fand. Dr. Otto Hod el 

HALLE a. S.: In dem ersten Kapellmeister 
Hans Hermann Wetzler scheint unsere 
Theaterdirektion (Geh. Hofrat Richards) wirk- 
lich eine erste Kraft gewonnen zu haben und 
damit den rechten Mann, unseren Opernauf- 
fuhrungen ein echt kunstlerisches Geprage zu 
geben. War bereits seine „Figaro"-Leitung eine 
wahre musikalische Tat zu nennen, so bewiesen 
doch erst die „Tristan u -. und j3 ,Tannhauser"-Auf- 
uriginartTom 

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178 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



fiihrungen, dafi er wirklich berufen ist, unsere 
Oper auf ein noch hoheres Niveau zu bringen. 
Leider ist es unserem Heldentenor R. Salenius 
nicht moglich, seinen Leistungen einen einheit- 
lichen Charakter zu geben; Lobens- und Tadelns- 
wertes stehen dicht beieinander, und das minder 
Gute uberwiegt. Recht zufrieden konnen wir 
dagegen mit unserer dramatischen Sfingerin 
Susanne Stolz sein, die schon mit dem ersten 
Versuche der Isolde-Partie Anerkennenswertes 
bot. Kunstlerisch noch abgerundeter sind die 
Darbietungen unserer jugendlichen dramatischen 
Sfingerin Frau Bruger- Drews; ebenso ver- 
spricht die Brangane des Frl. Gollmer, dafi 
unser Ensemble an ihr eine brauchbare Stutze 
finden wird. Unsere beiden Baritonisten Erik 
van Horst und Otto Rudolph bieten in diesem 
Jahre besseres als fruher. Besonders bei unserem 
Heldenbariton liefi sich eine Verfeinerung der 
Stimmkultur feststellen. Prachtige Gestalten 
schuf Fr. Schwarz mit dem Kurwenal und dem 
Landgrafen. Er vermag von der ersten bis zur 
letzten Note wirklich zu fesseln. 

Martin Frey 

HAMBURG: Die neue Saison hat Hamburg 
die seit Jahren von vielen Seiten wiederholt 
laut reklamierte und als unumganglich notwendig 
bezeichnete Neue Oper gebracht: die zweite 
Oper in unserer Millionenstadt. Vom Leiter 
dieses neuen Instituts, H of rat Eduard Erhard, 
der fruher als Baritonistdem Verbande des Stadt- 
theaters angehorte, waren alle Vorbereitungen 
sehr gescbickt und kunstlerisch gediegen getroffen 
worden. Ein hubsches, namentlich fur die Spiel- 
oper wohlgeeignetes Haus war in dem Ham- 
burger Operetten theater, das sich nach einem 
Umbau der Buhne und einer Renovierung des 
Zuschauerraumes sehr hubsch und schmuck 
prasentiert, vorhanden; als ersten Kapellmeister 
gewann Herr Erhard Dr. Georg Gohler, als 
Oberregisseur den bewahrten Herrn Moris und 
in der Auswahl junger Gesangskrafte zeigte der 
junge Direktor, der naturlich Stargagen nicht zu 
vergeben hat, im ganzen eine gluckliche Hand. 
So machte denn auch gleich die Eroffnungs- 
vorstellung „Figaros Hochzeit" einen sehr guten 
Eindruck, der sich insbesondere auf eine ganz 
prachtig ausgefeilte, klangschone und stilvolle 
Wiedergabe des Orchesterparts und auf eine 
uberaus saubere Inszenierung zu stiitzen hatte. 
Und fast alles, was diesem Eroffnungsabend 
folgte : Neueinstudierungen von„Zar" und „Waffen- 
schmied a , von „Entfuhrung tt und „Dorfbarbier tt 
stand auf gleicher kunstlerischer Hone. Soweit 
ware also alles in schonster Ordnung, wenn der 
neuen Oper nur nicht eine Kleinigkeit fehite: 
das Publikum. Es zeigt sich aber leider auch 
in diesem Falle wieder, dafi ein tieferes musi- 
kalisches Bildungsbedurfnis in Hamburg nicht 
vorhanden ist, dafi man zwar ins Stadttheater 
geht, um gesehen zu werden und um zu beweisen, 
dafi man sich's leisten kann, dafi aber nament- 
lich die mittleren Schichten der Bevolkerung 
rein kunstlerischen Bestrebungen gegenuber 
ziemlich vollig versagen. Zur Entschuldigung 
der beschfimenden Tatsache, die naturlich als 
peinlich von den besseren, kultivierten Elementen 
empfunden wird, weist man auf die angeblich 
hohen Preise hin. Aber in Wahrheit sind die 
Preise gar nicht so hoch und vor allem fehlt 



:r. i.:!U: 






gerade jenen Plfitzen die Benutzung, die kaum 
grofiere pekunifire Opfer verlangen als der Besuch 
eines besseren Kinos oder einer mittleren Vari6t6- 
Auffuhrung. Und was am traurigsten stimmt: 
die enthusiastische, bildungsfahige Jugend, die 
in anderen Stadten das Stehparterre und die 
boheren RSnge aufsucht, versagt in unserer 
merkantilen Stadt ganzlich. Als spate Novitat 
fur Hamburg brachte die Neue Oper, die in ihrem 
Spielplan durch die Vormachtstellung des Stadt- 
theaters arg behindert ist, anlafilich derVerdi- 
Zentenar-Feier Verdi's w Macht des Schick- 
sals a in einer prachtigen Inszenierung heraus. 
Dr. Gohler dirigierte dies Werk, das textlich 
uber jedes erlaubte Mafi hinaus naiv und albern 
ist, in dem die Momente unfreiwilliger Komik 
sich drfingen, und das man doch um der teil- 
weise hinreifienden Musik Verdi's willen lieb- 
gewinnen kann, mit feurigem Elan und mit echt 
Verdi'scher dramatisch-schlagkrSftiger Pointie- 
rung. So kam denn bei der Premiere auch mehr 
als ein Respektserfolg zustande, aber trotzdem 
wird man der Lebensdauer dieser Verdi'schen 
Oper nicht gerade Erfreuliches weissagen mussen. 
Als erster Ehrengast fand sich in der Neuen 
Oper die beruhmte Wiener Koloratursangerin v 
Gertrude Foerstel, ein, die als erzmusikalische, 
geschmackvolle Sfingerin mit blendenden Stimm- 
mitteln auch auf der Buhne Sensation machte* 
nachdem sie bereits im Vorjahr auf dem Konzert- 
podium als Interpretin desSopransolos in Mahlers 
Achter Symphonie faszinierend gewirkt hatte. 

Die Stadttheater - Oper begann die neue 
Spielzeit unter glucklicheren Anzeichen. Dr. 
Loewenfeld hat aus seinem Ensemble eine 
ganze Anzahl von Kraften zweiten und dritten 
Ranges, deren Mitwirkung im ersten Jahre seiner 
Direktionstatigkeit gar oft den Auffuhrungen ein 
arg provinziales GeprSge gab, abgestofien und 
an ihre Stelle Kunstler von Rang und Bedeutung 
gebracht. Das Ehepaar Maclennan - Easton 
von der Berliner Hofoper, der junge Tenorist 
Herr Ziegler aus Wien, die Soubrette Fraulein 
J an sen, und bis zu einem gewissen Grade auch 
der stimmgewaltige, wenn auch kunstlerisch 
noch etwas robuste Baritonist Herr Buers aus 
Leipzig, sind immerhin als Akquisitionen fur das 
Ensemble und fur den Repertoirebetrieb zu be- 
grufien. Und von dem grofien Arbeitspensum > 
das erledigt werden soil, brachten gleich die 
ersten Wochen einige recht bemerkenswerte und 
erfreuliche Teile: von Dr. Loewenfeld inszeniert 
und von dem neuen Kapellmeister Selmar 
Meyrowitz geschmackvoll und feinfuhlig ge- 
leitet die „Iphigenie a von Gluck und, ebenfalls 
in Loewenfeldscher Inszenierung, eine „Rhein- 
gold tt -Auffuhrung von ganz aparter selbstandiger 
szenischer Auffassung. Viel weniger gunstig 
verlief eine Verdi-Feier, an der noch die Eier- 
schalen des Improvisatorischen klebten. Zwar 
dirigierte Felix Weingartner, der den Rest 
seiner Verpflichtungen dem Hamburger Stadt- 
theater gegenuber in diesen Monaten erledigt, 
den ^Troubadour**, aber er befand sich Kraften 
gegenuber, mit denen beim besten Willen kein 
Verdischer Gesangsstil erreichbar war; ebenso- 
wenig gliickte es mit einer „Rigoletto u -Auf- 
fuhrung, die von dem des Theaters entwohnten 
hamburgischen Dirigenten Professor Neglia 
etwas zaghaft geleitet wurde und die gleichfalls 

Original from 
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KRIT1K (OPER) 



179 



an erheblichen Besetzungsfehlern litt. So 
blieb als Verdi's und des Instituts wfirdige 
Feier nur eine Reprise unserer schonen und 
wertvollen „Ai'da a -Aufffihrung mit Weingartner 
am Dirigentenpult und Frau Marcel -Wein- 
gartner in der Titelrolle ubrig. Als Novitat 
bescherte das Stadttheater uns P u c c i n i's 
„Madchen aus dem Westen". Das ist eine 
ganz schlimme Angelegenheit, die natfirlich auch 
dadurch nicht besser wurde, daft man sie aufier- 
lich als „Ereignis a aufzog, wozu die Anwesen- 
beit des Komponisten Anlafi gab. Denn dies 
Werk ist kunstlerisch als bose Verirrung ganz- 
lich indiskutabel, und als Erinnerung bleibt nur 
das Bedauerlicbe stehen, dafi man einen Musiker 
von dem Konnen und von der Inspiration 
Puccini's auf diesen bedenklicben Pfaden eines 
dem Kino - Geschmack entgegenkommenden 
Wirkens setaen mud. Die Aufffibrung unter 
Kapellmeister Gotthards Leitung empfahl sich 
vor allem durcb eine pracbtige Verkorperung 
der Titelpartie, mit deren Wiedergabe Frau 
Easton sich ihre Position geschaffen haben 
durfte. Heinrich Chevalley 

HANNOVER: Die Oper veranstaltete zu Ehren 
Verdi's einen Zyklus seiner bekanntesten 
Werke, der„Troubadour", „Traviata", „RigoIetto a , 
„Amelia u , „AIda a und „Othello a umfaBte. Mit 
Ausnabme der Violetta, die von Marianne Alfer- 
mann (Berlin) mit entschiedenem Erfolge ver- 
korpert wurde, und einiger ziemlich belangloser 
Aushilfsgastspiele fur unpaBliche Mitglieder 
unserer Oper, wurde der Zyklus lediglich von 
unserem einbeimischenOpernpersonal bestritten. 
Weitere „Taten" sind von der neuen Saison 
noch nicbt zu melden, und auch fur die nachste 
Zukunft steht nichts in Aussicht 

L. Wuthmann 
l^ARLSRUHE: Unter des neuen Hofkapell- 
"• meisters Fritz Cortolezis Leitung brachte 
die Hofoper als erste der angekundigten Mozart- 
Neueinstudierungen des Meisters komische Oper 
„Cosi fan tutte" in einer den Verhaltnissen ent- 
sprechend guten und erfolgreichen Aufffihrung. 
Wenn auch nicht alle — hinsichtlich einer 
vollendeten Darbietung moglichen — Wunsche 
erfullt wurden, und namentlich die Tatsache, 
daQ wir derzeit kein eigentlicbes Mozart-En- 
semble besitzen, deutlichst zutage trat, so ist 
docb das im einzelnen und ganzen Geleistete 
aller Anerkennung wert. Das Werk wurde in 
der von Hermann Levi besorgten, sich eng ans 
Original anlehnenden Bearbeitung gegeben, die 
uns fiber der herrlichen, in unvergfinglichen 
Reizen strahlenden Musik die Unzulanglichkeit 
und Albernbeit des Textbuches fast vergessen 
liGt. Bei der Einstudierung war viel gediegene 
und grfindliche Arbeit geleistet worden, und bei 
der Tuchtigkeit und anfeuernden Tatigkeit des 
neuen Opernleiters ist zu hoffen, dafi der ge- 
sanglicbe Teil der Mozartopern bald dieselbe 
Vollkommenheit aufweisen wird, wie sie z. B. 
jetzt schon der Darbietung des Orchesterparts 
nachzurfihmen ist. Dieser, vom verkleinerten 
Orchesterkorper ausgeffihrt, erfuhr eine sorgsam 
durchdachte, lebensprfihende und ungemein 
fesselnde Wiedergabe. Von den Damenpartieen 
erwahnen wir die der Fiordiligi (Frau Lauer- 
Kottlar) und der Despina (Frau Muller- 
Reichel), von den Herrenrollen Franz Ron as 



kostlichen Alfonso. — Zu Verdi's Gedachtnis 
ging in ebenfalls neuer Einstudierung die lyrische 
Komodie „Falstaff a in Szene, die bei der treff- 
lichen Besetzung der Gesangspartieen (Falstaff: 
J. van Gorkom) und der leichtflussigen Behand- 
lung des prachtigen instrumentalen Teiles einen 
sehr gunstigen Eindruck hinterliefi und lebhaften 
Anklang fand. Franz Zureich 

l/'dLN: Wahrend fiber Neuheiten aus dem 
*** Opernhause noch nicht zu berichten ist, 
was angesichts der erst sechswochigen Spielzeit 
ohne weiteres verstandlich, ergaben einige Neu- 
einstudierungen ruhmlichst bekannter alterer 
Werke die Hauptmomente des bisherigen Re- 
pertoirs. So begrfiBte man zun3chst Boieldieu's 
lSngere Zeit nicht erschienene w Wei(Je Dame" 
gern wieder einmal, mit der im Bunde in Ge- 
stalt des jugendlichen Carl Schroder ein sehr 
sympathischer, angenehm stimmbegabter und 
im feineren Stile sangeskundiger George Brown die 
Gunst des Publikums erfolgreicb ansprach. Gustav 
Brecher, dessen vorjahrige Auffrischungen 
von Mozarts B Don Juan" und Webers w Oberon a 
sich jetzt erneut als schone musikalische Taten 
bewfihrten — als Rezia vollzog die bisherige 
Operettensangerin Elisabeth Bart ram mitgutem 
Gelingen den ersten Schritt zum Obergang ins 
dramatische Opernfach — war Boieldieu ein 
ungemein feinfuhliger Interpret. Dann lieB der 
von Walter Gaertner sehr eindrucksvoll ge- 
leitete, gleichfalls Jahre nicht gehorte Rossini- 
sche w Tell a erkennen, daB Julius vom Scheidt 
seine Eignung zum Heldenbariton, dessen Ge- 
biet der vielbeschfiftigte beliebte Sanger bisher 
nur gelegentlich gestreift hat, nicht nachdruck- 
licher zu erweisen braucht, als es durch seinen 
trefflichen Tell geschehen ist. Ein ebenbfirtiger 
Arnold war leider der zwar recht stimmbegabte, 
aber musikalisch wenig zuverlassige und die 
hohe Lage mit wechselndem Glficke behandelnde 
Tenorist Vernon Stiles nicht. Auch mit der 
Neueinstudierung von Marschners „ Tern pier 
und Judin* hat Walter Gaertner eine sehr 
schatzenswerte Arbeit geleistet. Die zugrunde 
liegende Bearbeitung Hans Pfitzners erwies 
sich mit ihren zweckdienlichen, weil sach- 
kundigen Umstellungen, Kfirzungen usw. als 
dem VerstSndnisse und demgemafi der Ein- 
drucksfahigkeit des bislang textlich zu krausen 
und doch musikalisch so uberaus wertvollen 
Werks sehr forderlich. Der am ersten Abend 
bei Krankheitsfall einspringende Strafiburger 
Sanger August v. Manoff konnte als Templer 
hoheren Ansprfichen nur rein stimmlich genugen. 
Kfinstlerisch machte nachher der hiesige Fried- 
rich Braun die Sache besser. Bei der zwei- 
maligen Aufffihrung der Vollmoellerschen 
Pantomime „Das Mirakel* 4 (Reinhardtsche In- 
szenierung) vermochte sachlich aus guten 
Grfinden lediglich Engelbert Humperdincks 
Musik guten Eindruck zu erzielen. Erfolg gab 
es nicht. AnlaBlich der Verdi-Hundertjahr- 
feier brachte Gustav Brecher nach Vorauf- 
gang des n Troubadour a eine pracbtvolle Wieder- 
belebung des Meisterwerks n Falstaff" mit 
aufierordentlich schonem Orchester und vor- 
zuglichem Ensemble, in dem Julius vom 
Scheidt als bravouroser Vertreter der Titel- 
rolle hervorragte. Der ausgezeichnete Wagner- 
sanger Modest Me^Zjin-sky #rzieite neuerdings 

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DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



mit Lohengrin, Tannhauser, Erik und Siegmund, 
dann aber auch mit Verdi's Othello gl§nzende 
Erfolge. Paul Hiller 

LUZERN: Im subventionierten Stadttheater 
hat Hofoperns3nger Hans Keller am 2. Ok- 
tober seine dritte Direktionssaison begonnen, 
wahrend er im Sommer Leiter des ebenfalls 
alle Kunstgattungen pflegenden Kurtheaters in 
Baden im Aargau ist. In recht hubschen Auf- 
ffihrungen von Lortzings w Wildschfitz a und 
Aschers AltwienerOperette„Hoheit tanzt Walzer" 
haben sich bereits mehrere Mitglieder des neuen 
Ensembles fiber den Besitz gesunder Stimmittel 
ausgewiesen. A. Sen mid 

MAINZ: DerSpielplan derdiesjahrigenTheater- 
saison hat sich bis jetzt recht abwechselungs- 
reich und vielgestaltet angelassen. Die Direktion 
Be h rend versteht es meisterlich, ihr Personal 
zu regem Schaffenseifer und erhohter Leistungs- 
fahigkeit anzuspornen. Berucksichtigt man, daft 
des steten Repertoirewechsels wegen nur wenige 
Gesamtproben selbst fur anspruchsvolle Auf- 
gaben zu ermoglichen sind, bedenkt man ferner, 
daB bei einer Saisonbfihne vielfach mit Neulingen 
der Kunst zu rechnen ist, die erst noch ihre 
Sporen verdienen mfissen, so wird man dem 
Wettkampf um die hochgesteckten Ziele seine 
Anerkennung nicht versagen, andererseits sich 
aber auch nicht wundern dfirfen, wenn trotz 
aller Bemuhungen hin und wieder Darbietungen 
mit unterlaufen, die infolge ungeeigneter Be- 
setzung merklich aus dem Rahmen des Erlaubten 
heraustreten. Zum Gluck besitzt die Mainzer 
Buhne in Kapellmeister Gorter eine nicht 
hoch genug zu bewertende, kiinstlerisch er- 
probte Personlichkeit, deren reichen Erfahrungen 
und bewundernswerter Ausdauer es zu danken 
ist, daft die Vorstellungen bei aller Verschieden- 
heit musikalisch durchweg einen vornehmen 
Anstrich aufzuweisen haben. Vielverheiftend 
wurde die Saison mit Puccini's „Tosca a er- 
offnet, die an dieser Stelle zum erstenmal er- 
schien und vermoge der fesselnden Wiedergabe 
der Titelrolle durch Margarete Gauntier starken 
Eindruck erzielte. Mit kurzen Unterbrechungen 
folgten alsdann von grofteren Opern tann- 
hauser", ^Hollander", „Hugenotten a , w Fidelio a 
und „Meistersinger". — Verdi wird zu seiner 
lOOjahrigen Geburtsfeier durch einen besonderen 
Zyklus seiner Hauptwerke geehrt werden. — 
Mit groftem Interesse begegnete man dem Erst- 
auftreten der Sangerin Betty M artel (Jugenlich- 
dramatische). Als Elisabeth und vor allem als 
Senta rechtfertigte sie vollauf die hochgestellten 
Erwartungen, die man an ihre Befahigung knfipft. 

Leopold Reichert 
1MOSKAU: Die Privatoper im Theater Solo- 
*** downikow steht von jeher im Dienste der 
nationalen Kunst. Zur Eroffnung der Saison 
wurde wieder ein Kunstwerk gewahlt, das 
Rimsky-Korssako w zum Autor hat, die 
„Mlada u , eine Oper-Feerie mit Ballet, deren 
Entstehung in das Jahr 1869 zuruckgeht. Auf 
Bestellung des Theaterdirektors Gedeonow, der 
das Sujet gewahlt hatte, sollten C. Cui, Borodin, 
Rimsky-Korssakow, Moussorgski jeder einen 
Akt davon komponieren. Der Plan zerschlug 
bald daraufin Folge der Absetzung des Theater- 
direktors,unddieentstandenenStficke wurden von 
den Mitarbeitem zu ajRderen Werkfn verwendet. 



1889 kehrte Rimsky-Korssakow, in dessen Eigen- 
art dasMarchenhaft-Nationale des Stoffes lag, zu 
der Arbeit zuruck. 1892 wurde die „Mlada" in 
Petersburg aufgeffihrt, verschwand jedoch nach 
wenigen Vorstellungen. Zimin's Privatoper in Mos- 
kau, die sich ruhmen darf, Rimsky-Korssakow's 
Werken ihre besondere Aufmerksamkeit zuge- 
wendet zu haben, hatte sich zur Aufgabe gestellt, 
auch die „Mlada a wfirdig auf die Buhne zu 
bringen. Das Unternehmen ist vollkommen 
gelungen. Die Orchesterleistung unter Bagri- 
nowski ist sehr zu ruhmen, Massenszenen mit 
Tanz und Gesang sind fein ausgearbeitet. Die 
Damen Sakrewskaia, Petrowa-Swan zewa, 
die Sanger Ossipow, Lebedew u. a. haben 
ihre Rollen glanzvoll durchgefuhrt. — Als zweite 
Premiere erntete Puccini's „Madchen aus dem 
goldenen Westen" groBen Erfolg. Die begabte 
Frau Drusiakina war eine reizende Minnie; 
der intelligente Baritonist Botscharow bot 
einen typischen Jack Rans; Damaew alsjonston 
entzucicte mit seinem klangvollen Tenor. Der 
Orchesterleiter Plotnikow hatte den Stil des 
italienischen Verismus trefflich erfaBt. Die 
Realistik in der Inszenierung gelingt dem Re- 
gisseur Peter 1 e n i n ausgezeichnet. — Als dritte 
Novitat prangte Mozarts „Don Juan tt in neuer 
Besetzung und Inszenierung. Dubinski gab 
den Don Juan mit spanischer Grandezza; 
Speranski war ein gelungener Leporello; Frl. 
Koschitz, eine junge Sangerin, bot eine hochst 
ansprechende Donna Anna; Frau Michailowa 
war eine etwas gezierte Elvira, wahrend Frau 
Popowa sich als Zerline sehr nett ausnahm. 
Die Kaiserliche Oper hat traditionell die 
Spielzeit mit Glinka's „Leben fur den Zaren* 
erdffnet, sodann folgten Opern der letzten Saison. 
— Im Volkstheater sind russische Opern und 
die „Traviata a sehr erfolgreich fiber die Buhne 
gegangen. E. von Tidebdbl 

IMUNCHEN: UnsereHofopernimmt unter dem 
*'* neuen Generalmusikdirektor Bruno Walter 
einen erfreulichen Aufschwung. Dieser Mann 
hat nicht nur eine straffere Arbeitsweise ein- 
geffihrt, sondern uns zugleich eine Kultur des 
Musizierens gebracht, die unserem alten Institut 
allmahlich fremd geworden war. Wahrend der 
Mozart- und Wagner- Festspiele dieses 
Sommers konnten wir namentlich an dem Vortrag 
des Orchesters die Wirkungen dieser Kultur be- 
obachten. Wir durften aufier einer idealen Klang- 
schonheit und Klarheit eine dynamische und ago- 
gischeFeinfuhligkeitbewundern,die weit fiber das 
hinausgeht, was man heutzutage in einem Theater 
zu erhoffen wagt. Walter musiziert gleichsara 
mit der Lupe in der Hand, besitzt aber dabei 
ein starkes Temperament, das nicht nur jede 
Note mit lebendiger Empfindung erfullt, sondern 
auch elastisch genug ist, jeder Forderung des 
Dramas zu gehorchen. Unser einheimisches 
Buhnenensemble liefl sich fast durchweg von 
seinem neuen Ffihrer zu einer staunenswerten 
Oberbietung der gewohnten Leistungen hinreifien. 
Zwei Gaste haben trotz ihres hohen geistigen 
und musikalischen Niveaus die Einheitlichkeit 
unserer Festspiele gestort: Olive Fremstad 
und Edith Walker. Beide sind Kunstlerinnen 
ersten Ranges, soweit Kunst von Konnen kommt. 
Aber beide sind durch eine seelische Disposition, 
die nigjifj^fpj^l)ff^]^jite „moderne Empfinden" 

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KRITIK (KONZERT) 



181 



nennen mag, verhindert, in Spiel und Vortrag 
eine wirkliche Wagnersche Gestalt auf die Biihne 
zu stellen. Neben Zdenka Mottl-FaGbender sind 
sie gespreizte Salondamen. — Unser neuer 
zweiter Kapellmeister Otto Hefi, der uns Franz 
Fischer ersetzen soil, hat sich bei den Wagner- 
Festspielen als gediegener Praktiker von Umsicht 
und Beweglichkeit bewahrt. Er erinnert in seiner 
Art etwa an den Leipziger Dirigenten Lohse. — 
Unmittelbar nach den Festspielen sang Caruso 
im Hoftheater den „Canio", den „Don Jos6" und 
den w Rudolf a . Wie dieser einzige Kunstler alle 
feinsten und fast unwagbaren Farbungen und 
Schwebungen scbauspielerischer Stimmtechnik 
mit einem vollkommenen, musikalischen Vortrag 
verbindet, sodafi kein einziger Ton aufhort Kunst- 
gesang zu sein und nirgends die musikalische 
Linie verschoben wird, daruber kann man heute 
niemandem mehr etwas Neues berichten. Eben- 
sowenig daruber, daft einen ein Caruso-Gastspiel 
immeraufWochenunf5higmacht,andereBuhnen- 
sanger zu horen und zu sehen. 

Alexander Berrsche 
1^ URNBERG : Die neue Spielzeit brachte wieder 
A ^ eine Umgestaltung an Haupt und zahlreichen 
Gliedern unserer Oper, diesmal aber in so gluck- 
licher Auswahl und Zusammenstellung, daft Pu- 
blikum und Kritik den bisherigen Auffuhrungen 
in seltener Einmutigkeit uneingescbrSnktes Lob 
zollen und mit Recht behaupten, daft noch nie 
seit Bestehen des hiesigen Theaters so abgerun- 
dete und kunstlerisch hochstehende Leistungen 
seitens des stSndig engagierten Personals zu ver- 
zeichnen waren wie augenblicklich. Als erster 
Kapellmeister fungiert Robert Heger, der es 
gleich von Anfang an verstanden hat, eine straffe, 
energische Orchesterdisziplin durchzufuhren und 
in rhythmischer, dynamischer und agogischer 
Beziehung seine musikalischen Absichten ziel- 
bewuBt und erfolgreich zur Geltung zu bringen. 
Unter seiner Oberleitung zeigen sich auch im 
Chor, an und von dem bisher gar manches ge- 
sundigt worden ist, erfreuliche Ansatze zur 
Besserung. Der neue Heldentenor, Alois Pen- 
narini, feiert sowohl in den grofien Wagner- 
rollen als auch in den iiblichen Repertoireopern 
(„Evangelimann**, „Cavalleria a , „AYda" usw.) stete 
Triumphe, ebenso die in durchgeistigtem Spiel und 
edlem Gesang ihm gleichwertige Primadonna, 
Mimi Poensgen. Von fruheren Kraften be- 
wShren sich in den entsprechenden Rollen u. a. 
die Herren Hansen (lyrischer Tenor), Dramsch 
(Bariton) und Landauer (BaB), von neuen die 
Damen Heyl uud Teonsa. — Aufier dem „Ring a , 
der unter der Regie der Frau ReuB-Belce die 
Saison so erfolgreich eroffnete, daB sich sofort 
ein zweiter Zyklus anschloB, bot das Repertoire 
bisher nichts besonders Erwahnenswertes. 

Dr. Steinhardt 
OIGA: Der erste Monat der neuen Saison 
*^ brachte zehn, allerdings im Repertoire 
stehende Werke, denen sich jungst „Rienzi a 
anschloB, als erstes in der geplanten zyklischen 
Folge von Wagners musikalischen Dramen. Im 
Sangerensemble hat ein Wechsel des Helden- 
tenors und des seriosen Bassisten statt- 
gefunden. Erstgenanntes Fach wird gegen- 
wartig mit anerkennenswerter Tuchtigkeit vom 
Kammersanger Stratz vertreten, das letztere 
bekleidet neuerdings Herr Fabian, eine 



gleichfalls sympathische Kraft, dessen Stimme 
es leider aber an der notigen tonlichen Wucht 
und voluminosen Ergiebigkeit zu mangeln scheint. 
Sonst ist alles beim alten im Personalbestande 
geblieben, und das schone Geschlecht behielt 
durchweg seine Positionen, die es schon seit 
Jahr und Tag mit gutem Erfolg verteidigt hat. 

Carl W a a c k 

St. PETERSBURG: Die zweite Saison des 
Theaters fur Musikdramen im Kon- 
servatorium wurde mit Moussorgski's w Boris 
Godunow" eroffnet. Das Orchester uberraschte 
uns auf das angenehmste. Der musikalische 
Leiter, Biichter, der sich schon in der ersten 
Saison in den neu inszenierten „Eugen Onegin"- 
Auffuhrungen als hochbegabter Dirigent doku- 
mentierte, machte auch diesmal den Eindruck 
eines feinsinnigen Musikers. Die Hauptrollen 
waren gut besetzt: Mosschuchin (Boris Go- 
dunow), Issatschenko (Schniski), die Leistungen 
der Chore hervorragend und die Ausstattung 
beruckend. — Im Kaiserlichen Marien- 
th eater horten wir endlich das langst ver- 
sprochene „Rosenwunder", eine musikalische 
Legende von Peter Schenk, und sind der 
Direktion der Hofoper aufrichtigen Dank schuldig, 
uns ein Werk dieses strebsamen Komponisten 
gebracht zu haben. — Felia Litvinne gastiert 
gegenwSrtig in der Hofoper und bietet wahre 
Prachtleistungen in den Wagner- Werken. — Im 
Volkstheater Nikolaus II. wiederum er- 
freuen Lydia Lipkowskaya und der Bariton 
G. Baklanow in ihren Glanzrollen das groBe 
Auditorium. Bernhard Wendel 

KONZERT 

BERLIN: Das 1. N ikisc h-Ko n zert der 
Winterspielzeit 1913/14 brachte als Haupt- 
nummer des Programms die Sinfonia tragica 
(op. 40) von Felix Draeseke (f 26. Februar), 
Fur die der Dirigent, obwohl er mit der vollen 
Kraft seiner Personlichkeit dafur warb, doch 
seine Horer nicht zu erwSrmen vermochte. Jeder 
ernste Musiker wird der kiinstlerischen Arbeit, 
dem Aufbau jedes einzelnen der Satze, der Ent- 
wickelung der Themen gewiB alle Anerkennung 
zollen, aber bei dieser Auffuhrung ebenso wie 
bei einer fruheren, die ich noch unter Billows 
Leitung erlebte, wollte sich die Verbindung 
zwischen dem Werke und dem Horer durchaus 
nicht einfinden, es kam wieder nicht zu dem 
zundenden Funken. Dieser Musik fehlt es an 
jener bliihenden Schonheit der Erfindung, die 
uns in ihren Bann lockt; des Tonsetzers Intelli- 
genz, sein Wille zur Arbeit ist groBer als seine 
Phantasie. Selbst der verklarende Ausgang, in 
den der SchluBsatz ausklingt, kann fur das Vor- 
angegangene nicht entschadigen. AuBer Drae- 
seke kam Richard StrauB mitseinem w Till Eulen- 
spiegel" und einigen Liedern zu Worte, die Elena 
Gerhardt ebenso wie einige altitalienische 
Lieder durch ihr warmes Organ, durch ihren 
fein abgetonten, ausdrucksvollen Vortrag zu herr- 
licher Wirkung brachte. Glucks Furientanz und 
Reigen seliger Geister aus dem „Orpheus a war 
ein besonderer Leckerbissen fur das Publikum. 
Was oder wer von unseren modernen Tonsetzern 
vermag wohl nach anderthalbhundert Jahren die 
Horer in so restloses Entzucken zu versetzen, 

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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



182 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



wie uns heute der alte Ritter Gluck mit seinen 
Balletsatzen ? E. E. Taubert 

Dr. Rudolf Siegel, der sich hier schon 
ofters als hervorragender Dirigent bewahrt hat, 
fuhrte mit dem Philharmonischen Orchester 
Bruckners Achte Symphonie in fiberaus klarer, 
fein abschattierter und warm empfundener Weise 
auf, begeisterte fur die von Mottl instrumen- 
tierte echte Lustspielouvertfire zum „Barbier 
von Bagdad" von P. Cornelius und stellte eine 
noch ungedruckte „Musik fur Geige und Or- 
chester** von Rudi Stephan zur Diskussion. 
Dieses Werk, das von eigenartiger, jedoch noch 
nicht abgeklarter Begabung zeugt, ist eine ohne 
ein beigegebenes Programm schwer zu deutende 
symphonische Dichtung mit einer obligaten 
Violine, die ungemein schwer und undankbar 
gehalten ist. Bewunderungswfirdig wurde sie 
von Alexander Schmuller gespielt. Es fehlt 
dem in Dissonanzen geradezu schwelgenden, 
apart instrumentierten Werke an wirklicher Me- 
lodik; die Verstandesarbeit darin fiberwiegt zu 
sehr. — Einen ausgezeichneten Geigenkfinstler 
lernten wir in Zlatko Balokovic kennen. Er 
spielte mit Begleitung des Philharmonischen 
Orchesters, dessen Dirigent Camillo Hilde- 
brand seiner dabei besonders schwierigen Auf- 
gabe vollkommen gewachsen war, zwei neue Kon- 
zerte. Dem in a von J. Kryzanovsky, das 
schon gedrucktvorliegt, vermochte ich nicht viel 
Geschmack abzugewinnen, dagegen halte ich das 
noch unveroffentlichte, sehr national-slawisch 
gehaltene von J. V. N o v a k (nicht zu verwechseln 
mit dem bekannten Viteslav Novak) infolge 
seines Inhalts, Farbenreichtums und der ge- 
schickten Behandlung der Solostimme fur das 
beste Violinkonzert, das mir in den letzten zehn 
Jahren bekannt geworden ist. — Die kleine 
Geigerin Alma Moodie imponierte mir durch 
ihre technische Frfihreife, doch sollte sie vom 
Konzertieren zurfickgehalten werden, bis auch 
ihr seelisches Empfinden gereift ist. — Der vor- 
reffliche Violoncellist des Russischen Trios 
Josef Prefi brachte sich durch ein Konzert mit 
Begleitung der Philharmoniker als Solist in 
beste Erinnerung; er erschopfte die Konzerte 
von d'Albert, DvoHk und das Erste von Saint- 
Saens (das bis zum Uberdrufi gespielt wird) in 
jeder Hinsicht. — Ein wahrer Hochgenuli war 
der Vortrag der drei Sonaten von Brahms fur 
Klavier und Violine durch Artur Schnabel 
und Carl Flesch. — Den Vergleich mit unseren 
bekannten ersten Streichquartetten halt das 
Stuttgarter Quartett der Herren Carl 
Wendling, Hans Michaelis, Philipp Neeter 
und Alfred Saal vollig aus; es trat aufs warmste 
fur Kloses Es-dur (vgl. „Die Musik", Bd. 42, 
S. 368) und fur Regers wertvolles op. 109 ein. 

Wilhelm Altmann 

Mit den Philharmonikern konzertierte Richard 
Metzdorff. Er brachte ausschlielilich eigene 
Kompositionen zu Gehor, darunter zwei Urauf- 
fuhrungen: „Das Meer", Symphonie in zwei 
Teilen fur grolies Orchester op. 79, und „Hela a , 
sechs GesSnge fur eine Singstimme mit Or- 
chester. Wie Metzdorffs den SchluG bildende, 
vor zwei Jahren hier besprochene Symphonie- 
Ode „Frfihling a fur grofies Orchester und acht- 
stimmigen gemischten Chor bekunden auch die 
beiden neuen Werke ernstes Streben und den 

o 



Willen zum Hochsten, aber der Mangel an 
Eigenem tritt so fiihlbar in die Erscheinung, daQ 
man fiber den peinlichen Zwiespalt zwischen 
dem Aufgebot an Mitteln und dem Inhalt des 
Gebotenen nicht hinwegkommt. Bei dieser blut- 
leeren, rein aufierlichen Art Liszt-Wagnerschen 
Epigonentums, das uberaus bescheidenen Ge- 
danken durch grofiartige Geste einen Scbein 
von Bedeutung zu verleihen sucht, kann man 
heute schlechterdings nicht mehr mitempfinden. 
Wer einen solchen Apparat in Bewegung setzt, 
mufi uns mehr zu sagen haben, als es Metz- 
dorff vermag. Mit der bloOen Herrschaft fiber 
die technischen Mittel ist es eben leider noch 
nicht getan. AuBer dem verstarkten Philhar- 
monischen Orchester wirkten Hertha Dehm- 
low, Richard Fischer, Fritz Lindemann 
(Dirigent) und der „Gemischte Chor Wil- 
mersdorf" mit. — Der von Henri Marteau 
mit seinen Quartettgenossen veranstaltete erste 
Komponistenabend war Franz Mikorey ge- 
widmet. Zum Vortrag kamen das Klaviertrio 
H-dur und das e-moll Klavierquintett (beide mit 
dem Komponisten am Blfithner) sowie eine 
Kleine Suite ffir Violine allein (Marteau). Hinter- 
lieG letztere infolge ihrer bei aller „tiefsinnigen* 
Gespreiztheit und Wichtigtuerei offen zutage 
liegenden Erfindungsarmut einen geradezu ver- 
stimmenden Eindruck, so gehoren die beiden 
anderen Werke zu den ansprechendsten Erzeug- 
nissen der modernen Kammermusikliteratur. 
Frisch und natfirlich empfunden, abwechselungs- 
reich in rhythmischer Hinsicht, harmonisch 
fesselnd, von gewahltem Melos — soprasentierten 
sich die beiden Kompositionen, die in vorzfig- 
licher Ausffihrung dem Tonsetzer reichen Bei- 
fall eintrugen. Willy Renz 

Anna Bobrik hat durch fleiDiges Studium 
es zu einer achtbaren Technik gebracht. Sie 
dfirfte wohl eine gute Klavierlehrerin abgeben; 
eine Konzertpianistin, die sich einen Namen 
machen konnte, wird sie wohl nie werden. — 
George Fergusson gibt hier seit einer Reihe 
von Jahren regelmaCig Liederabende. In seinem 
letzten Konzert schien er besser bei Stimme zu 
sein als frfiher, denn das Flackern machte sich 
nicht so unangenehm bemerkbar; sein Vortrag 
war wie immer ausgezeichnet. Als Begleiter 
wtrkte Robert Kahn am Flugel. Sechs Lieder 
von ihm kamen zum erstenmal zu Gehor. Sie 
sind, wie alle Kompositionen dieses Tonsetzers, 
vornehm gehalten und verraten ihre Abhangig- 
keit von den letzten Klassikern der LiedkunsL 

— Elfriede Lotte Huff besitzt zu wenig Stimm- 
material, um als SSngerin etwas bedeuten zu 
konnen; ihr Vortrag war zum Teil nicht fibel. 

— Ein ganz achtbares Vortragstalent ist auch 
Elsa Meta Ling. Ihre Stimmbildung mufi vorerst 
noch grfindlich gebessert werden. — Walter 
Thiele ist ein Pianist mit kraftigem — meistens 
zu krfiftigem — Anschlag. Der Pedalgebrauch 
und seine musikalische Auffassung der von ihm 
gespielten Stficke lassen noch recht viel zu 
wfinschen fibrig. — Georg Funk soil ein guter 
Domsanger sein, wie ich zufallig horte; fur 
einen Solosanger reicht weder seine Stimme 
noch sein Vortrag aus. — Einen Liederabend 
veranstaltete der Oratorien-Verein zu Neu- 
k611n. Dank der Umsicht seines Dirigenten 
Johannes Stehmann und des guten Stimm- 

Original from 
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KRITIK (KONZERT) 



183 



materials kamen s3mtliche Chore vortrefflich 
heraus. Als Solist wirkte Valentin Ludwig mit, 
der leider von einem Herrn am Flugel sehr un- 
sauber begleitet wurde. — Im ausverkauften 
Beethoven-Saal gab Julia Culp ihren ersten 
Liederabend in dieser Saison. Die ausgezeich- 
neten Leistungen der Sflngerin sind allgemein 
bekannt; es geniigt demnach, festzustellen, daft 
die Kunstlerin von ihren Vorzugen nichts ein- 
gebuflt hat. Besonderes Interesse erweckten 
mehrere Lieder aus dem NacblaB des jungst 
so fruh verstorbenen Erich J. Wolff. Wie bei 
alien friiheren Liedern dieses Komponisten, 
vermiBt man auch hier die Gestaltungskraft, um 
aus einem Liede ein einheitliches Ganzes zu 
machen. Die beiden letzten Lieder haben 
wenigstens den Vorzug vor den anderen, etwas 
melodisch zu sein und daher eher anzusprechen. 

Max Vogel 

Marguerite Caponsacchi ist eine Cellistin, 
die sich schnell ihren Weg bereiten wird. Ihr 
Ton ist echt und grofi, ihre Technik, besonders 
im Passagenspiel, mebr wagemutig als ausge- 
glichen und ihre Auffassung frisch und meist 
annehmbar, wenn man von weichlichen Ver- 
zogerungen in einzelnen kleinen Phrasen absieht, 
die besonders bei Bach unangenehm auffallen. 
— Ernst Kraus verfehlt trotz seiner zur Genuge 
beruhmten Gesangskunst auf dem Konzert- 
podium zum mindesten in intimen Stucken, wie 
er sie fur seinen diesjShrigen einzigen Lieder- 
abend wShlte, jede tiefere Wirkung. GewiB: 
er war nicht sonderlich disponiert, aber das ver- 
mochte nicht den ersten unmittelbaren Eindruck, 
der von Seele zu Seele sprach, zu bannen, daft 
man von Kraus als einem Liedkunstler so gut 
wie nichts zu erwarten habe. Arno Nadel 

Der an sich schonen Stimme von Maria K re b s 
gebricht es an Kultur. Der Ton ist trocken und 
bart und la"Bt keine Abwechselung zu. Ober den 
Vortrag ist auch nichts Gunstiges zu berichten. 
Das Beste bot die Klavierbegleitung von Wilhelm 
Scholz. — Ahnlich steht es stimmlich mit Helga 
Petri, wenn sie auch eine bedeutend stSrkere 
musikalische Intelligenz und groBeres Vortrags- 
talent besitzt. Die Stimme klingt oft hauchig 
und scbarf, und die Hohe pariert nicht muhe- 
los. — Auch bei der Sopranistin Stephanie 
Schuster konnte man wegen auffallender stimm- 
licher Mangel nicht zum vollen GenuB des 
prachtigen Materiales und des naturlichen Vor- 
tragstalentes kommen. Die Stimme ist leider 
unausgeglichen, und der Ton rutscht bei stSrkerer 
Tongebung in den Hals. Eduard Behm be- 
gleitete, wie immer, hochkunstlerisch. — Ein 
Sanger, der in seiner Stimmkultur bedeutend 
honer steht, ist der Tenorist Paul Reimers. 
Die zwar nicht groBe, aber liebliche Stimme 
klang diesmal frischer als je und gehorchte in 
alien Lagen mustergultig. Ein fein pointierter 
Vortrag vervollstandigt dieses sympathische 
Kunstlertum. Fein lyrische Stucke von ihm zu 
horen, die nicht einen zu groBen Kraftaufwand 
erfordern, ist ein GenuB. Das Programm war 
fast ganz fremdlandischen Komponisten ge- 
widmet. — Die Stimme der Sopranistin Margarete 
Loewe birgt im forte grofie Reize, im piano 
aber tragt der Ton nicht. Die Mahlerschen 
Lieder sang sie mit sicherem Erfassen ganz im 
Sinne und Stile des Komponisten. ^ Der Bari- 1 

o 



tonist Dr. Felix Meyerowitz schien unter einer 
starken Indisposition zu leiden. Sonst mufite 
man sagen, daB die an sich schone Stimme noch 
sehr unkultiviert ist. Er sang mehrere Novitaten 
von Kahn, Scheinpflug und Kaun. Der Pianist 
Walter Meyer-Radon steuerte in korrekter Art 
mehrere Klaviersoli bei, von denen besonders 
die Passacaglia von Ernst v. Dohn&nyi Interesse 
erregte. — Der Pianist Alfred Sen roe der be- 
rechtigt zu schonen Hoffnungen. Wenn auch bis 
jetztsein Darstellungsvermogen und seine Technik 
noch nicht voll ausgereift sind, so wird ihn doch 
sein ernstes Streben, sich in die Poesieen der ver- 
schiedenen Meister zu versenken, auf dem rich- 
tigen Wege weiterfuhren. — Bei Felix Lederer- 
Prina stellt sich durch die Sicherheit seiner 
Kunst immer bald ein bestimmter Kontakt mit 
dem Publikum ein. Sein wohldurchdachter, auf 
hoher musikalischer Intelligenz basierender Vor- 
trag ist der Hauptgrund dafur. Bei der an sich 
schonen Stimme wurden sich kleine technische 
Mangel wie ein manchmal etwas gaumiger Ton- 
ansatz wohl leicht beseitigen lassen. Er brachte 
auch einige gut gelungene Gesange eigener Kom- 
position zum Vortrag. — Im Konzert von Frieda 
Hem pel konnte man wieder alle Vorzuge der 
beruhmten Sfingerin bewundern. Sie besitzt 
sicher die bedeutendste und schonste Koloratur- 
stimme der Gegenwart, und rein technisch war 
die Arie aus „Ernani" mit der virtuosen Kadenz 
ein unvergeBliches Meisterstuck. Aber auch die 
schwierige Mozart-Arie „I1 t€ pastore" lieB in 
bezug auf Stil und Ausdruck keinen Wunsch 
unbefriedigt. Das Philharmonische Orchester 
begleitete unter Camillo Hildebrand sehr 
dezent, und die selten gespielte Ouverture „Im 
Fruhling" von Goldmark sei ihm besonders an- 
erkennend angerechnet. — Die jugendliche 
Geigerin Irene von Dubiska steht fur ihr Alter 
auf betrachtlicher Stufe des Konnens. Der Ton 
ist naturgem2B noch etwas seelenlos. Bei 
richtiger Entwickelung wird sie aber eine Zu- 
kunft haben. Der mitwirkende Pianist Enzo 
Calace ist ein sehr tuchtiger Musiker. — Einen 
Tenoristen mit prachtigem Material lernte man 
in Pancho Koch en kennen. Die lyrische Stimme 
ist besonders in der Hohe noch nicht ganz frei, 
der Ton flackert noch manchmal, aber ihr 
metallischer Klang ist eine Seltenheit. — Ich 
horte je einen Chopin-Abend von zwei bekannten 
Interpreter die gewiB ihrem groBen Konnen 
und ihrer Personlichkeit nach die Berechtigung 
haben, dem groBen Polen ein ganzes Programm 
zu widmen: Raoul von Koczalski und Frieda 
K wast- Hod a pp. Der Pianist tut so, als hatte 
er nicht mehr notig, seinen Landsmann so dar- 
zustellen, wie dieser geschrieben hat. Was er 
sich in seiner Nonchalance an rhythmischen 
Sunden, falschen Noten und selbst Textweglas- 
sungen leistet, sollte man nicht fur moglich 
halten. AuBerdem kommt er meistens nicht 
uber einen gewissen Salonton hinaus. Ganz 
anders die Pianistin. Hier schafft eine feine 
poetische Seele nach, ohne dem Willen des 
Komponisten in irgendeiner Weise Gewalt an- 
zutun. Ihre Farbenskala ist schier unerschopf- 
lich, und der kunstlerische Ernst, mit dem sie 
in alle Hohen und Tiefen dieser Poesie hinein- 
leuchtet, bringt Wiedergaben zustande, die zu 
einem freudigen ^SPi^lffrffail^ 11111 Thil ° 

UNIVERSIWOF MICHIGAN 



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DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



Gediegenes Konnen und gute stimmliche Be- ! 
anlagung zeigte der Liederabend des S&ngerpaars 
Emmy und Thorn Denijs. Hen* Denijs besitzt j 
das wertvollere Material. Sein dunkler, mSnn- 
lich schoner Bariton, nach Hdhe wie Tiefe gleich 
ausgiebig, ist konzertmaliig geschult und be- 
friedigte besonders in den ernsten und gebalt- 
vollen Michelangelo- Liedern von Hugo Wolf. 
Sehr schon, namentlich nach der Seite des 
weichen piano hin, gelang ihm auch Schumanns 
„Wer machte dich so krank" und „Alte Laute". 
Mit H. Patackys Liedern erzielte er viel Beifall, 
besonders mit der jklanglich reizvollen „Lotos- 
blume", ohne jedoch freilich die innere Hohlheit 
dieser Musik verdecken zu konnen. Emmy 
Denijs' Stimme ist klein, aber angenehm, und 
solange sie in den ihr demgemaft gezogenen 
Grenzen blieb, vermochte sie recht erfreulich 
zu wirken. Zu Strauft' w Cacilie a gehort freilich 
ein grofteres Tonvolumen. — Sehr bescheiden 
war wiederum das kunstlerische Ergebnis des 
6. Einfuhrungskonzerts des Dusseldorfer Ver- 
bandes. Einen stimmloseren Sanger wie den 
Tenoristen Erwin Frey habe ich uberhaupt noch 
nicht gehort. DaO seine Vortr§ge besten Willen 
und auch ein gewisses Geschick verrieten, kommt 
gegeniiber einem so offenkundigen Manko an 
Material nicht in Betracht. Schade war es um 
den Baritonisten Engelbert Haas, um so mehr, 
weil es sich hier um ein bildungsfahiges und 
bildenswertes Material handelt. Sein Organ 
sitzt eigentlich nur in den Lagen richtig, die 
uber das Gebiet des Baritonalen hinaus ins Tenor- 
fach hinuberreichen. In tiefer und hoherer 
Mittellage klingt die Stimme geprefit und dunn, 
was durch die unleidliche Manier des Sangers, 
im Ausdruck auf Kosten der Tonschonheit zu 
ubertreiben, noch wesentlich hervorgehoben 
wurde. Am meisten schade aber war es um 
die Altistin Lydia Schmidtborn. Hatte sie 
noch ein oder zweijahre in guter Schule weiter 
studiert und sich die konzertmaliige Ton- 
gebung, verbunden mit der unerlafilichen Elasti- 
zitat des Atems angeeignet, und ware dann nach 
Berlin gekommen, sie hatte einen kolossalen 
Erfolg haben konnen. So hat sie nur ihr wert- 
volles Material produziert, das eine so satte, 
schwarze Tiefe aufweist, wie man sie in den 
seltensten Fallen zu horen bekommt. — Minna 
Weidele sang mit sympathischer Stimme und 
befriedigendem gesanglichen Konnen einige recht 
ansprechende und von Talent zeugende Lieder 
von F. Crome. Ware es ihr moglicb, etwas 
mehr Temperament und kunstlerische Eigenart 
in ihre Vortrage zu bringen, so wurde sie 
zweifelsohne starkere Eindrucke erzielen, wahrend 
sie so uber das Niveau wohlanstandiger Durch- 
schnittsmaGigkeit selten hinauskam. — Clodia 
von Toussaint's Stimme ist klein und zierlich, 
aber geschmeidig und nicht ubel geschult. Im 
Vortrag erzielte sie namentlich in dem Genre 
liebenswiirdiger Kleinigkeiten aparte Erfolge, so 
mit Schumanns „Rdselein a und „Schnee- 
glockchen", ganz besonders aber mit den fran- 
zosischen Gesangen aus dem 18. Jahrhundert. 
Auch Debussy's „Glocken" gelangen ihr nicht 
iibel, wihrend sie sich z. B. in die hysterisch- 
ekstatische Stimmung von Wolfs „Und willst du 
deinen Liebsten sterben sehen* nicht recht hinein- 
zufinden vermochte. Ottoji a ke begleitete wunder- 



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voll und half der Kunstlerin uber manche Klippe 
hinweg. — Ein sehr schones, beachtenswertes 
dramatisches Material zeigte Marie Peregrinus. 
Offenbare Intelligenz verbindet sich hier mit 
ernstem Streben und tuchtigem Konnen. Gelang 
es der Kunstlerin auch nicht, uberall uberzeugend 
zu wirken, so zeigten sich doch selbst da, wo sie 
irrte, Spuren von Eigenartigkeit und kunstle- 
rischer Personlichkeit. Hatte die Dame in der 
Wahl ihres Programms mehr auf die Eigenart 
ihres Materials Rucksicht genommen, so hatte 
sie sicher bedeutendere Eindrucke hinterlassen. 

— Edmond Servator bestatigte in seinem 
Liederabend genau die Eindrucke, die ich im 
vorigen Jahre von ihm gewonnen hatte. Sein 
Bestes gab er auch diesmal in der italienisch 
gesungenen Canzonetta von Handel, wihrend er 
beim Vortrag deutscher Lieder und Balladen 
sowohl die genugende Herrschaft uber die 
Sprachtechnik wie Geschmack und sachgemaGe 
musikalische Auffassung vermissen lied. In 
gesangstechnischer Hinsicht kamen diesmal eine 
Menge flacher, ganzlich ungedeckter hoher Tone 
dazu, so daB man sich verwundert fragte, wie 
kann ein Sanger, der sonst Schule und Erziehung 
verrat, so auffallend Unschones produzieren? 

— Elisabeth Ohlhoff ist mit Eifer und 
Energie bestrebt, alle Schlacken fruherer Un- 
fertigkeit von sich abzustreifen. In vieler Hin- 
sicht ist ihr das schon gelungen, auch der 
Vortrag schien mir diesmal innerlicher als 
sonst und nicht nur auf Wirkung zugespitzt. 
Ihr Organ klang frisch und voll, und da sie bei 
der Zusammenstellung ihres Programms nicht 
durch Riicksichten eingeengt war, konnte sie 
durch geschicktes Vermeiden, wenn auch 
nicht hoher Tone, so doch hoher Lage uber- 
all nur klanglich Vollwertiges bieten. Sehr gut ge- 
lang ihr E. E. Tauberts tief empfundene „Ode* und 

— last, not least — die von der Viardot zurecht- 
gemachte Chopin'sche Mazurka, in der sie 
brillante Koloraturtechnik zeigte. — Die glocken- 
klare, frische Stimme von Eva Bruhn (hoher 
Sopran) erfreute durch Wohlklang und verstan- 
dige Behandlung. Bis auf die Aussprache, die 
nach Seite der Deutlichkeit hin noch der Ver- 
feinerung bedarf, genugt ihre Art zu singen_ und 
vorzutragen kunstlerischen Anspruchen. Uber- 
zeugend vermochte sie besonders da zu wirken, 
wo sie ihrem, dem Tonvolumen nach nicht 
groBen Organ nichts zumutete, was ihm von der 
Natur versagt ist. Tandelnde Schelmerei, wie 
in Wolfs „Die Sprode* oder die innige Schwar- 
merei des w Kennst du das Land 1 *, liegen ihr 
prachtig und hier war sie am rechten Platz und 
der ihr gespendete Beifall wohl verdient. Robert 
K a h n begleitete sie mit vollendeter Meisterschaft. 

Emil Lie'pe 
Whitney Mockridge gab, von Louise 
Mock ridge begleitet, einen Liederabend; deut- 
sche, englische und franzosische Lieder kamen 
zum Vortrag. Die deutschen Lieder litten teils 
unter ungenauer Vokalisation. Auch der musi- 
kalische Gehalt wurde nicht immer erschopft. 
Der lyriscbe Tenor Mockridge's hat noch vieles 
von seinem sinnlichen Reize behalten, nament- 
lich im mezza voce ist die Stimme von be- 
strickendem, seltenem Wohllaute. Groflere 
Akzente verletten den Sanger Jeider zum For- 
cieren, ,-und daniL- merkt man zum groBten Be- 

Ong mar from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



185 



dauern, daB die Zeit fur diese von Natur aus 
herrliche Stirame nicht spurlos verging. Tempi 
passati. — Der Hamburger Organist Alfred 
Sittard steht im Zenith seines kfinstlerischen 
Vermogens. Er begann mit Joh. S. Bachs 
Praludium und Fuge in Es. War letztere ein- 
wandfrei in jeder Beziebung, so miBfiel mir beim 
Priludium neben dem unruhigen Tempo die 
geringe Steigerung der kunstlerischen Mittel. 
w O Mensch, bewein' dein Sunde groB" war ein 
Kabinettstuck feiner Registrierkunst, und die 
folgende Passacaglia wurde spiel- und registrier- 
technisch glinzend ausgefuhrt. Der zweite Teil 
des Abends gehorte Max Reger. Zuerst brachte 
Sittard in zwangloser Folge funf Werke aus 
op. 80, op. 59 und op. 69, von denen das „Scherzo", 
das „Kyrie eleison 1 * und die „Toccata a mir am 
meisten zusagten. Klar und durchsichtig jede 
po'yphone Stimmffihrung, logisch die Phrasierung 
und die Registration hervorragend. — Maria 
Heumanns Stimmaterial an und fur sich ist 
recht sympathiscb. Die Vokalisation ist jedoch 
kunstlich w gedeckt". Wozu dieses dunkle Timbre? 
Der Effekt ist ein ganz unnatfirlicher. Auch sonst 
ist manches noch nicht „all right 4 *. Die Kon- 
zertantin muBte in puncto Vortrags t e c h n i k noch 
manches profitieren. Am Klavier waltete seines 
Amtes Eduard Behm. — Der „Verband der 
konzertierendenKunstlerDeutschlands" 
lud zu seinem 7. „Einffihrungskonzert a ein. Dies- 
ma] machten uns ihre Aufwartung Josefa Kruis 
(Sopran), Gertrud Bran des (Alt, alias Mezzo- 
sopran, teilweise mit Alt-Tiefe) und Georg Ffill- 
grabe (Tenor). Die Begleitung besorgte Wilhelm 
Scholz ziemlich trocken. Es war fiberhaupt 
keine Inspiration zu merken. Man musizierte 
wacker darauf los. Die Sopranistin und der 
Tenor haben doch wenigstens Qualitat in ihrer 
Stimme. Ist die musikalische Reife noch ein 
erstrebenswertes Ziel fur die beiden, so muteten 
die „Alt a -Gesange doch ein wenig sehr dilettan- 
tiscb an. Ich rate diesen „Diplom**-S2ngern, in 
Zukunft ernsthaft ihren musikalischen Horizont 
zu erweitern und dann vorerst unter weniger 
anspruchsvoller Flagge zu segeln. — Arthur 
Egidi hatte sich zu seinem 2. Konzert George 
A. Walter als Partner erwahlt. Liszt sprach 
diesmal das erste Wort. Die „Variationen fiber 
den Basso continuo des ersten Satzes von Bach's 
Kantate: Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen tf spielte 
Egidi sozusagen „mit alien Schikanen**. Die 
Registration war sehr gewfihlt, die Phrasierung 
auBerst sorgflltig und die dynamische Aus- 
gestaltung lieB wenig zu wunschen ubrig. Vor 
allem storten mich auch diesmal wieder die ab- 
gerissenen l jg- und Yio-Noten zum SchluB vieler 
Phrasen. Wird ein Akkord besonders auffdllig 
„staccato" genommen, so mag das angehen, denn 
es liegt dann die Absicht einer besonders 
drastischen Wirkung vor. Unbeabsichtigt 
drastisch klingt's aber bei der Kantilene, die 
dadurch ihren noblen Charakter verliert. Anders 
ware es, wenn die akustischen Verhiiltnisse der 
Paul-Gertaardt-Kirche unzulanglich waren. Dies 
ist aber, wenigstens im gefullten Raume, nicht 
der Fall, wie ich mich von verschiedenen Platzen 
(oben und unten) uberzeugte. Vier Gesange 
von Liszt: n Gebet**, „Sei still**, „Der du von dem 
Himmel bist**und „Uber alien Wipfeln ist Ruh ,u 
wurden von G. A. Walter unvergleichliph schdn 



und stimmungsvoll gesungen. Ich habe den 
Tenor Walters nie so vollendet, so empfindungs- 
warm gehort. Es war ein seltener GenuB, zumal 
Egidis Begleitung sich sehr stilvoll und wohl- 
durchdacht in der Registerkombination dem 
Melos anpaBte. Der „Psalm 94** fur Orgel von 
Julius Reubke ist eine vollstandig unreife Arbeit, 
fiber die sich jedes weitere Wort erfibrigt. Der 
weitere Teil des Programms war funf Ge- 
sSngen von Hugo Wolf und einem Vorspiel und 
Fuge „Jesus, meine Zuversicht** von Hugo Kaun 
gewidmet, einer schwungvollen Arbeit, die ver- 
diente, des ofteren in Orgelkonzerten das Pro- 
gramm zu zieren. — Paul Schmidt fuhrte im 
Beethoven-Saal das Schiedmayersche „Domi- 
nator**-Harmonium vor. Er eroffnete den Reigen 
mit einer Transskription der Phantasie g-moll 
von Bach. Sehr zu ungunsten des Harmoniums; 
denn wer nur einmal dies Werk auf der Orgel 
horte, wird die Bearbeitung unmoglich finden. 
Meiner Meinung nach mfifite man ausschlieBlich 
Ori gin a 1-Kompositionenffir Harmonium spielen. 
Dann wirkt das Harmonium auch als kfinstlerisch- 
origineller Klangfaktor, anderenfalls ist es ein 
karikierter Abklatsch. Eine rein orchestrate 
Wirkung ist aus vielen technischen Grfinden 
eine pure Unmoglichkeit. Man hort z. B. eine 
„Klarinette u , eine „Oboe**, ein ^Flauto** usw. in 
einer Lage, die dem Originalinstrumente un- 
moglich ist. Die Begleitungen verschiedener 
Lieder, die Mary Mora von Goetz mit an sich 
schoner, aber falsch gebildeter Stimme (zuviel 
Kopfresonanz) vortrug, klangen in ihrer ge- 
I schickten Registration mitunter recht interessant, 
teilweise vollendet schon. Auch ein Adagio 
und Scherzo aus der D-dur Sonate von 
i J. Mouquet brachte Paul Schmidt sehr wirkungs- 
I voll zur Geltung. Aber wohlweislich nahm er 
I das Minore des Scherzo in gedehntem ZeitmaB. 
Ijedenfalls wfinsche ich dem Harmonium eine 
; gedeihliche Weiterentwickelung, die aber nur 
| mit Hilfe der Komponisten und — last not least 

— der Herren Verleger zu ermoglichen ist, 
die beiderseits ffir einen guten Fonds Original- 
literatur zu sorgen hatten. Eddy Brown, ein 
begabter Geiger, und Hugo von Dalen wirkten 
auBerdem mit. — Einen Liederabend gab Max 
Wever unter Mitwirkung von Franzi Wever 
(Rezitation) und Emma Friedrichs (Sopran). 
Das Menfi war sehr reichlich und — unver- 
daulich. Ich hoffe, daB samtliche Beteiligte 
w indisponiert a waren, samt ihrem Begleiter Andrd 
Tore hiana. — Anatol von Roessel hatte sich 
mit dem Geraer Hofkonzertmeister Josef B 1 u m 1 e 
ailiiert, um Kammermusik zu spielen. Gabriel 
FaurS's Sonate op. 13, in A, ist ein Werk, das nur 
kompositionstechnisch interessieren kann. Zum 
SchluB spielten die beiden mit grofler Warme, 
weil innerstes VerstHndnis sie vereinte, Brahms* 
Sonate in d, op. 108. Zwischendurch bot der 
Pianist Tschaikowskyund Chopin mitbravouroser 
Technik und unglaublichem Elan. Seine Cantilene 
ist aber durchweg zu hart, zu farblos. Anders da- 
gegen der Geiger, der Bachs Chaconne in einer 
Weise exekutierte, daB man seine Freude hatte. 

— Das Programm der jungen Pianistin Martha 
Berthold nahm im voraus fur sie ein. Und 
die Art und Weise der Ausffihrung dieser teils 
sehr schwierigen Werke bewies, daB man in 
ihr ein klavieristiscfees Talent von nicht ge- 

C UNIVERSITY OF MICHIGAN 



186 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



wohnlicher Begabung zu ersehen bat. Brahms 
(op. 5, op. 76/1, op. 10/3, op. 79/1) wurde mit 
sicherer Technik und gutem musikalischen 
Verstandnis interpretiert. Allerdings ist die 
junge Dame noch zu sehr „Draufgangerin a . Aber 
das wird sich geben, sobald sie fublt, daB 
sie techniseh einwandfrei und infolgedessen be- 
f3higt ist, ein Kunstwerk vollig objektiv zu er- 
fassen. Solche „ReiBer a aber wie Dohnanyis 
Rhapsodie op. 11 No. 4 sollte sie lieber nicht 
spielen, die verderben den Geschmack. Eine 
sehr witzige Komposition von Rudolf Novateck 
<Pr3Iudium und Fuge) und Liszt's Des-dur Etude 
und „Rigoletto a -Paraphrase interpretiertedie Kon- 
zertantin dann in einer Weise, daB man ihr 
ohne weiteres die gunstigste Prognose ausstellen 
kann. Mochte sie sich aber buten, wie so viele 
andere im Technischen zu verflachen. Das wire 
wirklich bedauerlich bei ihrer Intelligenz. — 
Ein fiuBerst interessantes Konzert veranstaltete 
Robert Reitz mit drei feinfuhlig selbst bearbei- 
teten Konzerten in A von Giuseppe Tartini, 
in D von Georg Pi sen del und in G von Karl 
Stamitz, die samtlich zum ersten Male zu 
Gehor gebracht wurden. Den Klavierpart be- 
sorgte Walter Petzet geschmackvoll und ge- 
wandt. Am wertvollsten erschien mir der Stamitz 
mit seiner edlen Melodik und prSchtigen thema- 
tischen Arbeit. Reitz spielte mit ganzer Hin- 
gebung und es war ein erlesener GenuB, ihn 
die Feinheiten dieser antik-modernen Kunst in 
vollendeter Spielmanier vortragen zu horen. 
G. Pisendels Konzert wurde von zwei Klavieren 
begleitet. Alfred Ernst spielte dabei die 
„Sekondo*-Partie. Carl Robert Blum 

Egon Petri zeigte an seinem Klavierabend 
reifes Konnen. Musikalisches wie technisches 
Vermogen halten sich die Wagschale. Das Aus- 
drucksvermogen mGBte noch mehr Vertiefung 
erlangen, was mit den Jahren erreicht werden 
mag. Am besten gelungen war die Sonate d-moll 
von Weber. — Ein Beethoven-Abend von Wil- 
helm Backhaus. Ein grandioses Unternehmen. 
Das Privileg der GroBen. Urn diesen GroBen 
gleichzukommen, fehlt einstweilen noch das 
geistige Konnen, Gestaltungsvermogen. Die 
Technik ist wohl zu groBen Taten bereit, doch 
fehlt ihr die Fixation. Nur Loslassen, nur Ent- 
spannen muB bei Beethoven verderblich wirken, 
was am klarsten bei op. Ill zutage trat. Wo 
blieb der monumentale Aufbau der Arietta, wie 
wir ihn bei Ansorge, d'Albert, Lamond zu horen 
gewohnt sind? Ich hatte das Gefuhl eines 
exakten Mechanismus, der hin und wieder von 
eines Menschen Hirn zum Nachdenken ange- 
halten wurde. — Stefan Thomdn loste in mir 
das Gefuhl eines guten Klavierspielers aus. — 
Und nun: Lisa Spoliansky. Ein bedeutendes 
Talent, vielleicht ein kommender Stern. Dank 
fur ihr schones Spiel, das mich reichlich fur 
manche andere Klavierabende entschfidigte. — 
Else und CacilieSatz trugen Werke fur zwei 
Klaviere vor. Am besten gelang Cortege und 
Ballet von Debussy sowie Scherzo von Saint- 
Saens. Bei Mozart mochte ich den beiden Damen 
anraten, sich etwas mehr mit dem Stile dieses 
Meisters vertraut zu machen. DaB man (letzter 
Teil des Allegro molto) mit reiner Virtuositat zu 
Werke geht, flnde ich sehr unkunstlerisch. 

Hanns Reiss 

n-vVrjL! nv'C lOOQl'C 

o 



Fritz Kreisler pflegt wie sein Kollege Bur- 
mester vieles und darum manchem etwas zu 
bringen. In seinem einzigen diesjatarigen Kon- 
zert bot er eine Sonate von Bach, ein Konzert 
von Wieniawski und allerhand entzuckende 
Nichtigkeiten. Gewisse Techniken beherrschen 
nur ganz wenige so vollendet wie er. DaB 
Kreisler auBerdem ein groBer Kunstler ist, sei 
ihm von neuem attestiert, trot zd em er sich dies- 
mal dem Geschmack des Publikums allzusehr 
anpaflte und weniger durch Innerlichkeit als 
durch Eleganz und SuBigkeit des Vortrags zu 
wirken strebte. — Gleich ihm wurde auch Wanda 
Landowska mit Blumen, Kranzen und endlosem 
Klatschen „bedankt". Ihr Cembalo-Spiel ist un- 
vergleichlich. Wenn sie Stucke von Daquin, 
Couperin, Purcell u. a. vortragt, trSuint man von 
vergangenen Zeiten und empfindetdie akustischen 
Unvollkommenheiten dieses alten Instrumentes 
nicht als storend, sondern als besonderen Reiz. 
Freilich: Bach wirkt auf dem Cembalo nicht; 
wenigstens fur unsere Ohren nicht mehr. Und 
ein Bechstein-Flugel erfordert eine ganz anders- 
geartete Technik, als sie der Konzertgeberin 
eigen ist. — Leonid Kreutzer, der Tasten- 
gewaltige, gab zum Erstaunen seiner Freunde 
einen Chopin-Abend; und das Erstaunen wurde 
noch groBer, als man merkte, daB ihm techniseh 
gar vieles miBriet, wahrend er rein musikalisch 
so ziemlich alles uberbot, was er bisher geleistet 
hat. DaB er auf dem rechten Wege ist, kann 
ernstlich nicht bezweifelt werden; einsichtige 
Beurteiler haben ubrigens schon immer seine 
rein musikalischen Fahigkeiten viel hoher ein- 
geschatzt als seine pianistische Kraftmeierei. — 
Auch der 1. Kammermusik-Abend des Mar- 
teau-Quartetts uberraschte in mancher Hin- 
sicht. DaB die Herren Amar, Kramm und 
Georgesco dem Primgeiger nicht ebenburtig 
sein wurden, war vorauszusehen; niemand hatte 
es aber fur moglich gehalten, daB auch Marteau 
die Horer zuweilen durch unsauberes Spiel aus 
alien Illusionen reifien konne. Immerhin: man 
merkte, daB ein starker kunstlerischer Wille alle 
vier Quartettgenossen leitete; moge er das 
n^chste Mai alle Hindernisse uberwinden. Auf 
der Ruckseite des Program ms las man ubrigens 
in riesengroBer Schrift: w Den gleichen Kunst- 
genuB im eigenen Heim, naturgetreu dem per- 
sonlichen Vortrage Henri Marteaus, vermittelt 
das Grammophon. a Wirklich? Dann sollte man's 
wenigstens dem Konzertpublikum nicht mitteilen. 
Oberhaupt, Inserate auf Konzertprogrammen — 
fort damit! Der Konzertzettel soil, wie bisher, 
rein bleiben. — Ober einen Sonatenabend von 
Gabriele Wi6trowetz und Robert Kahn ist 
wenig zu berichten. Dem Spiel der Geigerin 
fehlte es an WSrme und rhythmischer Pragnanz, 
doch wurde im groBen und ganzen vornehm und 
korrekt musiziert. Man konnte ein Lob spenden, 
wenn nicht derartige Konzertveranstaltungen so 
g^nzlich uberflussig waren. Ein offentliches 
Konzert sollte stets ein Ereignis sein, zum min- 
desten fur den Konzertgeber. („Du muBt es 
dreimal sagen**; nein, hundertmal.) — Der Geiger 
Efrem Zimbalist hatte nach seinen Erfolgen 
in Amerika die Anziehungskraft seines Namens 
uberschatzt und fur sein Konzert die Philhar- 
monic gewahlt. Der Anblick zahlreicher leerer 
Stuhlreihen beeinfluBte sichtlich seine Musizier- 

Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRIT1K (KONZERT) 



187 



freudigkeit. All das, was ihm diesmal mifiriet, 
bereitet ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten, 
wenn er bei Stimmung ist. (Einmal hatte er auf 
der E-Saite die Oktave zu greifen, brachte aber 
ein dis heraus und rutschte dann gemachlich in 
den richtigen Ton hinein. Nicbts als „Wurschtig- 
keit a ; aber gerade deshalb zu rugen.) Bei den 
Konzerten von Vivaldi (a-moll) und Beethoven 
gerieten nur die langsamen Satze einwandfrei; 
iber dafur hatte man hier einen erlesenen Genufi, 
den man sobald nicht vergessen wird. 

Richard H. Stein 
Henryk Melcer ist ein starkes Klaviertalent. 
Aber freilich: sein Konnen gibt sich einstweilen 
noch zu ungebardig und wurde noch in ruhigere, 
abgeklfirtere Bahnen zu leiten sein. Vor alien 
Dingen mufi der Anschlag kultivierter werden, 
der im Forte noch setar larmend und hart ist. 
Auch der reichliche Pedalgebrauch mufi be- 
schnitten werden. Die Sonate von Karol 
Szymanowski, mit der er sein Konzert eroffnete, 
ist ein so ungeheuerlicher form- und inhalts- 
loser Tonbrei, wie ich seit langem nichts gehort 
babe. Obrigens hatte die Konzertagentur dem 
jungen Kunstler einen kleineren Saal empfehlen 
Oder dafur sorgen sollen, dali der Bluthnersaal 
wenigstens einigermafien besetzt war. — Thea 
von Marmont sang mit hubschem Vortrag 
und mit wirklichem Empflnden. Aber die Stimme 
ist technisch noch nicht auf der Hone. Es gibt 
da noch eine Menge zu arbeiten, um die Uber- 
gange auszugleichen. — Clare Huth hat ihre 
schone und sympathische Stimme besser in der 
Gewalt. Nur muB sie sich huten, die Vokale 
a und e zu off en zu singen, sie klingen sonst 
storend flach. Die Kopfstimme ist gut aus- 
gebildet, und der Vortrag ist geschmackvoll und 
musikalisch. Max Burkhardt 

OREMEN: Das erste Konzert von Bedeutung 
" gab der Bremer Lehrergesangverein 
unter Ernst Wen del vor seiner Konzertreise 
nach dem Elsafi und der Schweiz. Die Sanger 
boten auQer einem Straufi herrlicher Volkslieder 
u. a. zwei gewaltige Chore von Hegar, „1813 a 
und „Totenvolk a , ferner den schonen „Feldein- 
samkeit" von Wendel. Als Solist erschien Adolf 
Metz, der erste Konzertmeister unseres Phil- 
barmonischen Orchesters. — Im Konzert des 
rustig weiterschreitenden Victors chen Chors 
interessierte am meisten die Neuheit „Das 
Tranenkruglein" op. 57 von Georg S ch u m a n n. 
DieSolisten warenKSte H6rder(Sopran),Therese 
Funk (Alt), Helmuth Neugebauer (Tenor), 
Martha Arndt (Klavier), Ernst Bremner (Har- 
monium) und O. Schroder (Harfe). Die edle, 
zarte und niemals triviale Musik findet ergreifende 
Tone fur Trauer und Betrubnis; sie erhebt sich 
zu grofier Innigkeit, da wo der innerliche Auf- 
stieg vom Dunkel zum Licht in der Seele der 
Mutter sich vollzieht. Den Schlufi des eindrucks- 
vollen Konzerts machte Hans Hubers Lieder- 
zyklus „Lenz und Liebe". — Einen schonen, 
leider nicht sehr besuchten Liederabend ver- 
anstaltete Leonore Wa liner; sie sang, von 
Julius Schlotke begleitet, Lieder — meist 
ernsten Inhalts — von Schumann, Bergh, Delius, 
Klengel, Wetz und Arnold Mendelssohn. 

Prof. Dr. Vopel 
r\RESDEN: Das 1. Hoftheater-Konzert der 
*-* Serie A bot den Horern Mozart und Beet- 

o 



J":;t':l^j 



hoven in kostlichen ruhigen Stunden edlen Ge- 
niefiens; auch der erste Kammermusik-Abend 
des Petri-Quartetts, in das der Leipziger 
Gewandhausbratschist Un ken stein an Spitzners 
Stelle neu eingetreten ist, war lediglich den drei 
klassischen Meistern gewidmet. Der Klavier- 
abend von Egon Petri erbrachte den Beweis 
dafur, dali dieser Kunstler nach einer Zeit des 
Virtuosentums reiner, reicher und reiferin seiner 
Kunst geworden ist und an Plastik des Vortrags 
nicht minder gewonnen hat wie an Klangschon- 
heit des Tones. Dafi er ein selten gespieltes 
Werk, die Sonate d-moll von C. M. v. Weber, 
wieder ans Licht zog, war besonders dankens- 
wert. In seiner Eigenschaft als Chopin-Spieler 
hat Raoul v. Koczalski gegenwartig nur wenige 
ebenburtige Nebenbuhler. Die Frage bleibt aber 
aufzuwerfen, ob nicht die ausschliefiliche Pflege 
dieses einzigen Tondichters, der sich Koczalski 
seit einigen Jahren widmet, auf die Dauer zur 
Einseitigkeit und Manier fuhren mufi. Artur 
Scbnabel und Carl Flesch brachten an ihrem 
Sonatenabend, in dessen Verlauf sie wieder durch 
geradezu ideales Zusammenspiel entzuckten, eine 
Neuheit zur erfolgreichen Urauffuhrung: eine 
Violinsonate d-moll von Theodor Blumer jun. 
Die viersStzige Tonschopfung besticht durch 
hubsche Einffille, eine modern-wirksame, aber 
nicht extravagante Schreibweise und geschickte 
Ausnutzung beider Instrumente. Allerdings stellt 
Blumer seine Themen jetzt noch meist neben- 
einander, anstatt sie in guten Durchfuhrungen 
zu verarbeiten, aber er hat etwas zu sagen und 
tut dies in einer so angenehmen Weise, dafi man 
den starken Publikumserfolg der Sonate begreif- 
lich flnden kann. Otto Mockel (Klavier) und 
Fritz Rothschild fiihrten hier den englischen 
impressionistischen Tonsetzer Cyril Scott ein 
und erzwangen durch charaktervolle, feinfuhlige 
Wiedergabe einer Violinsonate und einer Reihe 
von Klavierstucken alle Hochachtung vor seinem 
Suchen nach neuen Bahnen, mochte auch vieles 
bizarr, hart und gemacht klingen. Ein Lieder- 
abend von Susanne Mittasch, die u. a. einige 
sehr klangreiche, aparte Lieder von Rudolf 
Hfinsel sang und eine Verstarkung ihrer Stimme 
und ihrer Vortragskunst erkennen liefi, verdient 
noch Erwahnung. Im ubrigen scheint, trotz 
aller Bestrebungen zu ihrer Eindammung, die 
Musikflut in diesem Winter noch hoher anzu- 
schwellen als je zuvor. F. A. Geifiler 

CRANKFURT a. M.: Die Reihe der Ton- 
* kunstlerkonzerte unter Max Kaempfert 
begann dieses Mai mit Cherubinis „Anakreon u - 
Ouverture, die man erfreulicherweise wieder 
einmal horen konnte. Max Reger und Paula 
Stebel spielten Mozarts Doppelkonzert fur zwei 
Kiaviere (K. V. No. 365) etwas ungleich. Bachs 
5. Brandenburgisches Konzert und Beethovens 
Funfte waren die anderen Stucke des erfreulich 
gut besuchten Konzerts, dessen kunstlerische 
Leistungen ein gutes Niveau zeigten. — Das 
Hock-Quartett setzte sich mit gutem Gelingen 
fur ein Streichquartett in e-moll von Emil 
Bohnke ein, das besonders im ersten Satz 
eine bedeutsame Talentprobe darstellt und die 
Offentlichkeit auf diesen jungen Komponisten 
aufmerksam machen mufi. Lieder und Quartette 
von Joseph Marx bildeten die weiteren wertvollen 
Gaben dieses interessanten Abends. — Von den 

T x Original from 

11 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



kleinen Solisten verdienen besonders der hoch- 
begabte Pianist Paul Schramm Erwahnung. — Die 
Konzerte des „Verbandes dcr konzertieren- 
den Kunstler Deutscblands e. V." wiesen 
einen argen musikaliscben Tiefstand auf. 

Karl Werner 

GRAZ: Die neue Konzertsaison brachte bisher 
zwei Festkonzerte, die durch das 50jahrige 
Jubilaum des Steirischen Sangerbundes be- 
dingt waren. Es handelt sicb um durchaus ge- 
lungene Auffuhrungen von Chorwerken, an denen 
samtliche dem Bund angehorigen Vereine mit 
ihren Dirigenten beteiligt waren. — Die Feier 
des 50j3hrigen Bestandes der Grazer Handels- 
akademie wurde durch ein volikommen serioses 
Symphoniekonzert begangen. Das Grazer 
Opernorchester brachte hierbei unter Opern- 
kapellmeister Ludwig Seitz die Zweite von Beet- 
hoven, „Les Preludes" von Liszt und das „Meister- 
singer tt -Vorspiel von Wagner zu gerundeter 
Wiedergabe. Da Seitz der kiinftige Dirigent der 
Grazer Symphoniekonzerte ist, hatte dieser Abend 
als erfolgreiches Debut eine besondere Bedeutung 
fur unser Musikleben. — Aus der verflossenen 
Saison sind nachtragsweise noch der Erwahnung 
wert: ein Konzert des Grazer Mannergesang- 
ve reins mit Neuheiten von StrauB, Heuberger 
und Othegraven, wobei auch elne junge Operetten- 
sangerin, Olga Koch oil, zum erstenmal als 
Solistin das Konzertpodium betrat und durch 
groBe Stimmschonheit, feine Kultur und uber- 
raschende kunstlerische Ausdrucksfahigkeit an- 
genehm auffiel, ferner eine Richard Wagner- 
Fes tfeier des Grazer Wagner-Vereins, wobei 
der fur Bayreuths Sache verdienstvolle Friedrich 
H ofmann die Festrede hielt und die funf Lieder 
des Meisters durch Lotte Bunzel zum Vortrag 
gebracht wurden, ein Liederabend der Grazerin 
Thea Herberger und das 3. Festkonzert des 
Akademischen Gesangvereins „Gothia u , an- 
laBlich des 50. Stiftungsfestes, wobei samtliche 
Chorwerke, mit deren Urauffuhrung der Verein 
im Laufe der funfzig Jahre seines Bestehens 
besonderen Erfolg gehabt hatte, zur Auffuhrung 
kamen. Jedenfalls eine sinnige, historisch inter- 
essante Ehrung, die der Verein mit seinem tuch- 
tigen Leiter Dr. Julius von Weis-Ostborn sich 
selbst darbrachte. Dr. Otto Hod el 

LJALLE a. S.: Das 1. Symphoniekonzert 
** unter Hans Hermann Wetzlers Leitung 
bedeutete einen Erfolg auf alien Linien; es war 
bewundernswert, wie er in der kurzen Zeit seines 
Hierseins das Theaterorchester seinen leisesten 
Winken gefiigig gemacht hat. Das Wagnis mit 
Brahms' e-moll Symphonie und Beethovens 
3. Leonoren - Ouverture gelang volikommen. 
Sehr zu loben ist auch die Aufstellung 
stilvoller Programme. Solist war Carl 

Flesch mit Beethovens Violinkonzert, das 
er zwar tonschon, aber nach meinem Gefuhle 
nicht groB genug spielte. — An Solisten lieBen 
sich bis jetzt horen: Raoul von Koczalski, 
dessen Starke wie immer in Chopin runt, 
W. Bardas, dem viel Gutes nachgeruhmt wurde; 
M. Porges fand den Mut, ein Cellokonzert von 
Fritz Kauffmann und eine Solosuite von Bach 
vorzutragen und verdient schon darum ein Extra- 
lob. Paul Schramm zeigte sich als gewandter 
Pianist und trotz seiner Jugend schon warm 
empfindender Musiker. Martin Frey 



:r:\zo 



HAMBURG: Die ersten Konzerte der neuen 
Saison bewiesen, daO der Dirigiersport, den 
manche vielleicht fur eine recht heilsame gym- 
nastische Leibesiibung halten, immer weitere 
Kreise zieht und unter den leidlich bemittelten 
Musikern nachstens wohl an Stelle des Polo 
oder Tennis treten wird. Unter diesem Ge- 
sichtspunkt zu wurdigen war z. B. ein Orchester- 
konzert, bei dem ein Herr Gales — aus Amerika, 
wie das Programm summarisch mitteilte — 
das Orchester des Vereins der Musik- 
freunde in gemaBigter Gangart ritt. Hoffen 
wir, daB Herr Gales den hygienischen Zweck, 
der mit dieser Ubung verbunden gewesen sein 
mag, erreicht hat. Einige Tage spater erschien 
an der Spitze desselben Orchesters dann ein 
wirklicher Dirigent, Hans Pelz, Stadtischer 
Kapellmeister aus Hagen, der sowohl als fiber- 
legener, gewandter und erfahrener Leiter be- 
kannter Werke der Instrumentalliteratur, wie 
als gewissenhafter und temperamentvoller Aus- 
leger komplizierter moderner Orchesterwerke in 
alien Ehren auch vor einem anspruchsvollsten 
Auditorium bestand. Die Novitat, deren Herr 
Pelz sich angenommen hatte: eine Orchester- 
phantasie von Martin Fried land, erwies sich 
dabei als durchaus wiirdig der Berucksicbtigung 
und der propagatorischen Initiative des Dirigenten. 
Sehr gliicklich debiitierte mit einem Brahms- 
Abend Herr Ammermann als Dirigent von 
Kraft und suggestivem EinfluB auf das Orchester. 
Heinrich Che valley 

UANNOVER: Die Konzertsaison hat mit An- 
*^ fang Oktober prSzise wie immer eingesetzt, 
ohne allerdings bislang mehr wie einige ver- 
heiBungsvolle praludierende Akkorde geboten 
zu haben. Zwei Beethoven-Abende des jungen 
Pianisten Walter^ Gieseki ng frappierten durch 
die technische Uberlegenheit und die geistige 
Beherrschung, mit derderkaum Achtzehnjahrige 
die Sonaten : „Path6tique a , B Mondschein a , w Wald- 
stein a , jjAppassionata", c-moll op. Ill, B-dur 
op. 106 und das Es-dur Konzert vortrug. Ein 
Duo-Abend von Sascha Culbertson (Violine) 
und Otto Nikel (Klavier) hinterlieB prachtige 
Eindrucke. L. Wuthmann 

J/"ARLSRUHE: Die Symphoniekonzerte der 
*^ Hofkapelle unter Fritz Cortolezis* 
Leitung verheiBen manches interessante Pro- 
gramm. Im 1. Konzert kam neben Mozarts 
Es-dur Symphonie, die eine technisch einwand- 
freie Ausfuhrung erfuhr, Bruckners riesige B-dur 
Symphonie in sehr durcbdachter, plastischklarer 
und klangschoner Wiedergabe zu Gehor. — Die 
von der Konzertdirektion K. Neufeldt ver- 
anstalteten Kunstlerkonzerte brachten zunachst 
das Klingler-Quartett, das mit wundervoller 
klanglicher Ausgeglichenheit und restloser Er- 
schopfung des Inhalts Quartette von Haydn und 
Beethoven und im Verein mit Heinrich Orden- 
stein, als ganz trefflichem Interpreten der 
Klavierstimme, Brahms' inhaltsschweres f-moll 
Quartett spielte. — Ein beachtenswertes Konzert 
veranstaltete der Baritonist WeBbecher, der 
mit Hugo Rahner als feinfuhligem Begleiter 
eine Anzahl fur hier vollig neuer und eigen- 
artiger, stark an Hugo Wolf erinnernder Lieder 
von Joseph Marx zur gelungenen Wiedergabe 
brachte. Franz Zureich 

Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



189 



LONDON: Im Vordergrunde des musikalischen 
Interesses in Albion stand das Musikfest 
zu Leeds, das alle drei Jahre stattfindet. Es 
brachte als wichtigste NovitSt Edward Elgars ( 
symphonische Studie „FaI staff". Ein neues 
Werk von Elgar gehort stets zu den Ereignissen 
des englischen Konzertlebens, und zwar mit 
gutem Recht. Denn wenn das hiesige Urteil 
den Tonsetzer den wahrhaft GroBen zuzahlt, so 
ist das keineswegs als Obertreibung zu be- 
trachten, die auf britischen Lokalpatriotismus 
zuriickzufuhren ware. Als kein geringerer denn 
Hans Richter vor einem Jahrzehnt an der Co- 
vent Garden Oper das Elgar-Fest veranstaltete, 
erkannte man in seinem ungemein kuhnen 
Ideenflug, der meisterhaften, originell und blen- 
denden Handhabung von Chor und Orchester 
sofort einen „neuen Mann tf . Bei Elgar mag der 
auliere Glanz die Idee stellenweise in den 
Schatten stellen, nichtsdestoweniger erblicken 
wir in ihm einen der charakteristischesten Ver- 
treter der Moderne, der aber bei aller Freiheit 
doch mehr oder weniger die klassischen Formen 
wabrt, wovon seine Variationen, die beiden 
Symphonieen, das Violinkonzert usw. beredtes 
Zeugnis ablegen. Elgar ist keineswegs Mode- 
komponist, sondern geht unbeirrbar seine eigenen 
Wege. Da er, abgesehen von dem Chorwerk 
„We are the music-makers", seit der zweiten 
Symphonie vor zwei Jahren mit keiner neuen 
Schopfung hervorgetreten, war man auf „Falstaff" 
um so mehr gespannt. Ein endgultiges Urteil 
uber das komplizierte Werk mussen wir uns bis 
nach der Londoner Auffuhrung vorbehalten. Der 
erste Eindruck war jedenfalls ein sehr bedeuten- 
der. Elgar mag durch das Beispiel „Till Eulen- 
spiegel" und „Don Quixote" angeregt worden 
sein. Nun hat er einen britischen Nationaltypus 
symphonisch auf die Beine gestellt. Doch setzte 
er nicht den Shakespeare'schen ausgelassen- 
leichtsinnigen Falstaff in Musik um, sondern den 
weit tiefsinnigeren, tragischeren der Historic 
Die „Studie a — ausgesprochene Programm- 
musik — bedient sich, ebenso wie Straufi in 
„Don Quixote" und „Till Eulenspiegel" zum Teil 
der Rondoform, zum Teil der Variationen; die 
Rondo form soil das Beharren der Individualist, 
die Variation ihre Veranderung durch die auf 
sie von auBen wirkenden Dinge illustrieren. 
Falstaff wird in verschiedenen Phasen bis zu 
seinem Ende gezeigt. Die Studie zerfallt in vier 
obne Unterbrechung gespielte Teile, die durch 
alien gemeinsame Leitmotive zusammenhiingen. 
Der erste Teil „Falstaff und Prinz Heinrich" 
illustriert den Ritter als „fetf, kuhn, aufrichtig, 
lustig, genuBsuchtig" in einer Reihe von Haupt- 
tbemen mit uberwaltigendem Humor und cha- 
rakterisiert nicht minder iiebevoll und ausdrucks- 
kraftig den lustigen Prinzen. Der zweite Teil: 
„Zechgelage, Nachtschwarmerei und Traum" ge- 
hort mit seinen prachtvollen Kontrasten gewifi 
zu den interessantesten Schopfungen des Kom- 
ponisten. Falstaff traumt von seiner Jugend, als 
er noch Page war, und hier entfaltet Elgar den 
ganzen Klangzauber seines Orchesters und alle 
Innigkeit seiner Tonsprache, schreckt aber 
andererseits nicht vor den letzten Konsequenzen 
des Realismus zuruck, indem er z. B. Falstaffs 
Schnarchen illustriert. In wirksamem Gegensatz 
zu derzarten Lyrik des zweiten steht dejr robuste, 

o 



Kr:\zo: 



stark bewegte dritte Teil: „FaIstaffs Marsch, 
seine Ruckkehr durch Gloucestershire, der neue 
Konig und der eilige Ritt nach London." Hier 
wird schon mit vieler Kunst die Wendung von 
Falstaffs Schicksal vorbereitet. Der vierte und 
letzte Teil schildert anfangs mit Pomp und Ge- 
prfige die Kronung des neuen Konigs in der 
Westminster-Abtei und sodann, wie Falstaff in 
Ungnade fallt. Der rauschende Festesjubel ver- 
wandelt sich allmahlich in ein tief ergreifendes 
Pathos, bis zuletzt der unselige Ritter auf dem 
Sterbebett liegt und einsam aus dem Leben 
scheidet. Hier denkt man unwillkurlich, be- 
sonders bei einem Cellosolo, an „Don Quixote", 
die Musik ist jedoch speziflsch Elgarisch. So 
sehr sich der Komponist darin der StraufJ-Schule 
genahert haben mag, so wenig hat er von seiner 
Originalitat eingebulit. Sein Humor und Pathos 
sind seit den letzten Werken enorm gewachsen, 
seine Orchestertechnik noch weit verblQffender. 
Die Meisterschaft seiner Instrumentation scheint 
nur durch den seltsamen Umstand erkiarlicb, 
dafi Elgar einst eine kleine Kapelle in einem — 
Irrenhaus dirigierte, wobei er fur die seltsamsten 
Kombinationen von Instrumenten schreiben 
mufite. ^Falstaff" wurde mit lebhaftem Enthusias- 
mus aufgenommen und wird zweifelsohne bald 
seinen Weg nach dem Kontinent finden. — Das 
gleiche Fest brachte, abgesehen von klassischen 
und Wagner- Werken und einer Auffuhrung von 
Elgar's „Traum des Gerontius", noch Granville 
Bantock's klangschone symphonische Dichtung 
„Dante und Beatrice", den interessanten w Mystic 
Trumpeter" („Mystischen Trompeter - ) des Jren 
Hamilton Harty fur Baritonsolo, Chor und Or- 
chester (nach den Worten Walt Whitman's) und 
die stimmungsvolle Rhapsodie „A Shropshire 
Lad" („Der Junge aus Shropshire") von George 
Butterworth, fur welch letztere sich Nikisch, 
der das Musikfest zum Teil dirigierte, mit ge- 
wohntem Feuer einsetzte. Auch Parry's „Ode 
to Music" („Ode an die Musik") und Basil 
Harwood's fein empfundenes Chorwerk „On a 
May Morning" („An einem Maienmorgen") seien 
hervorgehoben. — Die „Promenade"-Kon- 
zerte in der Queen's Hall, deren 19. Saison 
am 16. August festlich begann, sind bereits — 
wir konstatieren es hier mit Genugtuung — zu 
einer Art nationaler Institution geworden. Hohes 
Lob gebuhrt ihrem auflerst riihrigen, vielseitigen 
Dirigenten Henry Wood, der zu einer Zeit, als 
London musikalisch noch in den Windeln lag, 
es nicht nur fur die Klassiker empfanglich 
machte, sondern nach und nach auch Brahms, 
Tschaikowsky, Straufi und Elgar einfuhrte. Nun- 
mehr lafit Wood in seinen Konzerten auch 
Mahler, Reger, Schonberg, Debussy, Delius, 
Scriabin und viele andere der Modernsten zu 
Worte kommen. Bei diesen „popularen" Kon- 
zerten, die mit Ausnahme von Sonntag allabend- 
lich bis zum 25. Oktober stattfinden, bringt Wood 
eine grofie Anzahl interessanter Novitaten. Der 
Pianist Percy Grainger brachte seine beiden 
stark zundenden Orchestertanze „Mock Morris" 
und „Shepherds Hey" erfolgreich zu Gehor. Die 
liebenswiirdigen n Vier Lieder Shakespeare's" mit 
Orchester von Eric Coates fanden beifallige 
Aufnahme. Eine „Orchesterphantasie uber zwei 
populare Lieder aus Anjou" machte mit Guil- 

aume Lekeu, dem-v friihzeitig verstorbenen 
Original fTom 

1 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



190 



DIE MUSIK XIII. 3: 1. NOVEMBERHEFT 1913 



Schuler C£sar Franck's und Vincent dandy's be- 
kannt. Die begabte Komponistin Ethel Smyth 
dirigierte ihre von Kraft uberschaumende Ouver- 
ture zur Oper „The Wreckers" („Strandrecht"), 
die man bereits in Deutschland kennt. Nicht 
minder packend wirkte El gar's brillante „Coc- 
kaigne"-Ouvertiire. Das Publikum begeisterte 
sich nicht allein fur StraufT »Tod und Ver- 
klarung", „Don Juan" und „Heldenleben a , 
sotndern auch fur „Don Quixote" und die „Sin- 
fonia domestica". Cyril Scott vertrat den rein 
impressionistischen Stil in den „Gedichten fur 
Orchester" „The Twilight of the Year" („Im 
Zwielicht des Jahres") und „Paradise Birds" 
(„Paradiesvogel"). Herman Koenig spielte er- 
folgreich Viextemps' Erstes Violinkonzert. Ferner 
hob Wood Glazounow's neues Klavierkonzert 
in f-moll (op. 92), das Godowsky gewidmet ist, 
bei den w Promenades" aus der Taufe. Es ist in 
seinen beiden Sfitzen — Allegro moderato und 
Thema mit Variationen — von starker Erfin- 
dungskraft, die Variationen erinnern an Brahms. 
Der Solopart bietet dem Pianisten schone Ge- 
legenheit zur vollen Entfaltung seiner Kunst. 
Auch die effektvollen Orchestervariationen Jules 
Harrison's „Down among the dead men" („Tief 
unten bei den Toten") fanden beifallige Auf- 
nahme. Thomas Dun hill's Orchesterstuck „The 
King's threshold" („An der Schwelle des Konigs") 
nach des Iren W. B. Yeats gleichnamigem Ein- 
akter ist eine solide Arbeit. Sehr fein und zart 
ist die Instrumentierung von Reynaldo Hahns 
Suite fur Blasinstrumente, zwei Harfen und 
Klavier (an letzterem Henry Wood) „Le bal de 
Beatrice d'Este", eine Reihe von Tanzen im alten 
Stil. Nicht weniger Beifall hatte Dohn£nyis 
Cello-Konzertstuck in D. Eine interessante 
Novitat warenDebu ssy's w Images",zweiteSerie. 
Der Titel „Iberia" weist auf Spanien. Die Stucke 
sind zum Teil Sufterst realistisch in der Ton- 
malerei des Stralienlebens und des Getummels 
an einem Festtag, so realistisch, wie man es bis- 
her von Debussy gar nicht erwartet hitte. Im 
mittleren Satz „Dufte der Nacht" kehrt der 
Komponist wieder zum Impressionismus zuruck 
und gibt uns ein zart und eigenartig empfundenes 
Stuck seiner Muse. Rimsky - Korssakow's 
Klavierkonzert in g-moll (von Eleanor Spencer 
geschmackvoll vorgetragen) zeigt den Tondichter 
nicht gerade von seiner stiirksten Seite. Arnold 
Bax, stark impressionistisch in seiner Ausdrucks- 
weise, brachte zwei reflektierende Orchester- 
skizzen von schonem Stimmungsgehalt. Die 
„Meeres-Suite" Frank Bridges beruhrte eher 
niichtern als poetisch. Busoni's Violinkonzert, 
das Wood zum erstenmal in London auffuhrte, 
ist ein friihes Werk und zeigt den Komponisten 
weniger in seiner Eigenart. Der erste Satz 
machte den reifsten Eindruck. Interessant und 
bezeichnend fur den spateren Busoni ist eine 
Art „ernst-komischerMarsch" am Ende, „pomposo 
umoristico" zu spiclen. Der dankbare Solopart 
wurde von Arthur Catterall vortrefflich erledigt. 
Maurice Ravels „Valses nobles et sentimentales" 
sind voll von franzdsischem Esprit und zierlicher 
Grazie, nur verliert sich seine Harmonik oft ins 
Gesuchte und Geklugelte. Hervorgehoben sei 
Ellen Neys virtuoses Spiel in Brahms' Klavier- 
konzert in B. Zuletzt erwahnen wir noch die 
englische Erstauffuhrung von Bacjas Aria „H6rt 

o 



:r:\zo 



doch, der sanften Floten Chor* aus der Ge- 
burtstags-Kantate zu Ehren Augusts III. 

L. Leonhard 

LUZERN: Die Grundlage der musikalischen 
Sommersaison 1913 bildeten die 750 Unter- 
haltungs- und Promenadenkonzerte des Kur- 
saal-Orchesters unter Leitung des Maestro 
Angelo Fumagalli von der Mailinder Scala; 
ferner die 250 Konzerte des Stiftsorganisten 
F.J. Breitenbach und J. Breitenbach,Sohn, 
auf dem beruhmten Orgelwerk der Hofkirche, 
Einzelnereignisse waren die Concerts Mo- 
d ernes im Kursaal unter solistischer Mitwirkung 
von Moriz Rosenthal, Fritz Kreisler, Adelaide 
v. Szkilondz (Gesang), Birgit En gel 1 (Gesang) 
und mit Orchesterwerken von Wagner, Cheru* 
bini, Francis Thom6 und Dirk Schafer; dann 
zwei Auffuhrungen des Verdi'schen Requiems 
durch den Stadtischen Konzertverein 
(Damenchor) und die Liedertafel mit den 
Solisten Tilly Cahnbley (Sopran), Ilona Durigo 
(Alt), Alfred Flury (Tenor), Paul Boepple (Bafi) 
in der akustisch ausgezeichneten Jesuitenkirche; 
und endlich das Wagner-Zentenar-Festkonzert 
in der nur wenige Schritte vom Wagner-Wohnsitz 
Tribschen entfernten Luftschiffhalle unter Auf- 
fuhrung der Vorspiele zu „Tannhauser", ^Tristan" 
und ^Parsifal", w Tannhauser"-Erzahlung und 
„G6tterdammerung*-Vorspiel mit den Solisten 
Lucy Weidt (Sopran) und Hubert Leuer (Tenor> 
und einem aus den Luzerner Orchestern und 
Zuzug aus Zurich, Basel und Freiburg i. B. 
formierten 140kopfigen Orchesterapparat. Die 
Requiem-Auffuhrungen und das Wagner-Konzert 
wurden vom Stadtischen Musikdirektor Robert 
Denzler geleitet. A. Schmid 

MAINZ: Das Eroffnungskonzert der Stadt- 
ischen Kapelle verlief auBerordentlich 
anregend und dokumentierte unter Kapellmeister 
Gorters zielbewufiter Leitung ein rastloses 
VorwUrtsschreiten auf kiinstlerischer Hohe. 
Moriz Rosenthal wirkte geradezu verbluffend 
durch die fabelhaft vollendete Technik seiner 
Hande, wie durch sein nuancenreiches Spiel, 
das mit Chopin's e-moll Konzert und ver- 
schiedenen Solovortragen das Publikum in helies 
Entzucken versetzte. Von Orchesterwerken 
wurden Beethovens Vierte und als Novitat 
E. W. Korn golds Schauspiel-Ouverture ge- 
boten. Die erstaunliche Fruhreife dieses Knaben 
beruhrte geradezu beangstigend, wenn man an 
Hand der Partitur dieses keck erfundene und 
geradezu raffiniert modern instrumentierte Or- 
chesterwerk verfolgt. Die Neuzeit hat an Wunder- 
kindern eine erkleckliche Anzahl hervorgebracht; 
an Selbsiandigkeit und universellem Konnen, 
an kraftvoller Priignanz und Ausdrucksfahigkeit 
seiner Gedanken durfte der kleine Korngold 
bis jetzt unerreicht dastehen. 

Leopold Reichert 

MOSKAU: Das St. Petersburger Streich- 
quartett eroffnete die Saison mit einem 
Zyklus von Kammermusikwerken Sergei Tane- 
jew's, bei dem der Tonsetzer als Pianist mit- 
wirkte. Es war ein Unternehmen S. Kusse- 
witzki's; ihm haben wir es zu verdanken, da& 
wir den Hochgenufi hatten, die Werke des 
Meisters im Zusammenhang an drei Abenden 
zu hdren. — Sodann folgte ein Trio-Abend der 

Gesc bWll^ b rfi scb0,z ' von denen Lea> 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



191 



die altere, eine Vollblut-Geigerin, bei dieser Ge- 
legenheit ihr zehnjahriges Wirken als ausubende 
Kunstlerin feierte. E. von Tidebdhl 

MUNCHEN: Eine Verblndung zwiscben der 
sommerlichen Konzertsaison und der be- 
ginnenden Winterkampagne stellten die Volks- 
Symphoniekonzerte des Konzertvereins 
her, die noch wahrend des Zyklus der Fest- 
konzerte wieder aufgenommen und danach ohne 
Unterbrechung weitergefuhrt wurden. Erwabnens- 
wert sind die Auffuhrungen des herrlichen Es- 
dur Konzerts fur zwei Klaviere von Mozart 
(Kocbel No. 365) mit Rose und Ottilie Sutro 
als Solisten und der Blaserserenade von Richard 
StrauQ, fur die man Paul Prill dankbar zu sein 
batte. Als eine neue Erscheinung traten die 
„Einfuhrungskonzerte a des „Verbandes der 
konzertierenden Ktinstler Deutsch- 
lands a auf den Plan. Es fanden deren hier 
bis jetzt drei statt mit dem Ergebnis, daft man 
den Gedanken dieser Veranstaltung, die den 
Novizen des Konzertsaals den Schritt in die 
Offentlichkeit erleichtern soil, vorderhand kaum 
als sehr glucklich wird bezeichnen konnen. Von 
den jungen Kunstlern, die man in den Ein- 
fuhrungskonzerten borte, sind die Sopranistin 
Erna Piltz (die u. a. Kinderlieder von Gustav 
Levin sang), der Tenorist Hans Auer und etwa 
noch die Altistin Lydia Schmidtborn hervor- 
zuheben, die Sopranistin Hanny Heyer, der 
Tenorist Ludwig Deutscb, der Baritonist Peter 
Lambertz, der Kontrabassist Louis Winsel 
und die Rezitatorin Elisabeth H o f m e i e r- H o f f e s 
zu nennen. Die Neue Kammermusik-Ver- 
einigung (August Sch mid-Lindner mit dem 
Streichquartett Wilhelm Sieben und Blasern 
des Hoforchesters) folgten auch in ihrem ersten 
diesjihrigen Konzerte der schonen Ubung, in 
gleicher Weise durch das Programm wie durch 
seine Ausfuhrung zu fesseln. Das allzustark 
von Brahms beeinfluftte, aber durchweg den 
ernsten, geschulten Musiker verratende Trio fur 
Klavier, Klarinette und Horn op. 3 des Land- 
grafen Alexander Friedrich von Hessen inter- 
essierte, das geniale Trio in fis-moll op. 1 No. 1 (!) 
von C£sar Franck begeisterte. Genuftreich waren 
auch der Liederabend der vornehmen Altistin 
Ilona K. Durigo (mit Gesangen von Bach, 
Beethoven, Schubert, Brahms, Grieg und Kjerulf) 
und der Lieder- und Duettenabend, den die Altis- 
tin Anna Erler-Schnaudt und der Baritonist 
Max Krauft zusammen gaben. Alexander 
Petschnikoff, der seit dem Beginn dieses 
Studienjahres an unserer Akademie der Ton- 
kunst wirkt, spielte mit seiner Gattin Lili, von 
Willy Bardas begleitet, die reichlich triviale 
Zweite Serenade fur zwei Violinen und Klavier 
von Christian Sinding und bewfihrte sich im 
ubrigen als virtuoser und eleganter Geiger. Der 
Abend des LautensSngers Rolf Rueff wurde 
durch die Mitwirkung des Munchner Gitarre- 
quartetts bereichert, das aufter einem alteren 
Werke von Gragniani auch eine Quartettkom- 
position seines Mitgliedes H.Albert vorfuhrte. 
Hohe Anerkennung fand der Brahms-Abend 
Severin Eisenbergers, wahrend die piani- 
stischen Leistungen von Louis Cornell kaum 



zu interessieren vermochten. Tuchtiges bot der 
Geiger Josef Blumle mit dem Pianisten Anatol 
von Roessel. Kitty Cheatham aus New York 
wuftte ihr Publikum mit alten Negergesangen 
und Kinderreimen (in englischer Sprache) gut 
zu unterhalten. Rudolf Louis 

D1GA: Der ^Deutsche Theater- und Konzert- 
**> verein", unter dessen Agide sich neuerdings 
das Rigaer Symphonieorchester (70 In- 
strumentalisten) befindet, gab neben etlichen 
Nachmittags- und Abendkonzerten auch jungst 
sein erstes Abonnementskonzert. Unter 
Georg SchnSevoigts Leitung brachte der 
Abend die Zweite von Brahms, ein in feierlich- 
ernster Stimmung gehaltenes V7erk w Redemp- 
tion a von C6sar Franck und die wenig originelle, 
aber gewandt instrumentierte, in Tanzrhythmen 
sich wiegende „Lustige Ouverture a von Felix 
Weingartner. An der Ausfuhrung nahmen Or- 
chester und Dirigent durchweg ruhmlichen An- 
teil. Der Solist der Veranstaltung, Wilhelm 
Kartasz, erwies sich als ein technisch trefflich 
geschulter Tenorist mit jugendfrischen Stimm- 
mitteln. Fur den Vortrag des deutschen Liedes 
fehlt ihm einstweilen noch das rechte Stilgefuhl,. 
sowie eine einwandfreie Diktion. An Lieder- 
abenden intimerer Natur seien diejenigen der 
Herren Peter von der Osten-Sacken und 
William Pitt Chatham vermerkt. 

Carl Waack 
7ORICH: Die Tonhalle-Pavillonkonzerte 
" des Sommers und die kunstlerisch meist 
durchaus wertvollen Orgelkonzerte Paul Hinder- 
manns haben ihren Abschluft gefunden. Mit 
dem Oktober begann die eigentliche Musiksaison. 
Den Reigen der Winterkonzerte eroffnete der 
Italiener Bastionelli mit einem eigenen Kom- 
positionsabend. In der vorausgehenden Reklame 
Iiefl er in hochtrabender Weise verkunden, die 
moderne italienische und deutsche Musik sei 
nichtswertig; er bringe erst das Richtige. Auf 
diese Empfehlung hin war der Abend keine 
Enttauschung mehr: Armut der Erfindung, 
Spielerei mit Bach-Stil, Konfusion in der Ent- 
wickelung. Der an diesem Abend mitwirkende 
Pianist Hans Jelmoli spielte in einem be- 
sonderen Konzerte stilvoll leichtere Stucke aus 
der alteren und modernen Literatur in meist 
eigener, ziemlich anspruchsloser Bearbeitung. 
Die Sopranistin Amstad sekundierte gut mit 
einigen Liedern; ihre Aussprache laflt jedoch 
noch recht viel zu wunschen ubrig. Einen vollen 
Genufi boten den leider nur spSrlich Anwesenden 
die drei Bruder Kellert mit dem Vortrag 
ausschlieBlich Saint-Saens'scher Kompositionen. 
Herrlich spielte im 1. Abonnementskonzert 
Casals das Haydnsche Cellokonzert in D-dur 
und zwei Bachsche Suiten. Das ziemlich wert- 
lose Konzert im alten Stil (in F-dur) von Reger 
erfuhr eine recht kuhle Aufnahme, obwohl das 
Orchester unter Andreae das bestmogliche 
leistete. Dem Pianisten Joseph Ebner fehlen 
die meisten Eigenschaften, um an einem offent- 
lichen Konzerte in der Tonhalle auftreten zu 
durfen. Die blofie Nervositat kann kaum fur 
ein fortwahrendes Danebenhauen entschuldigen. 
Dr. Berthold Fenigstein 



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Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 



Den zahlreichen Verdi-Erinnerungsbl&ttern der beiden vorigen Hefte schicken 
wir noch ein schones groiles Bildnis nach: eine dem Zeichner Jocosi zu- 
geschriebene Lithographie, die den Meister in der Vollkraft seiner Jahre 
uberzeugend und energievoll wiedergibt. 
Die beiden Abbildungen der Riesenorgel in der Breslauer Jahrh undert- 
halle veranschaulichen die in dem Artikel von Josef Schink erdrterten GroBenver- 
haitnisse dieses majestatischen Instruments. 

Friedrich W. Seyer hat zur „Zauberflote a zwolf Phantasieen gezeicbnet, 
die im Original auf einen Kreis von Liebhabern ihre Wirkung schon erprobt haben. 
Aus diesem Zyklus reproduzieren wir in Verkleinerung vier Blatter, um das Talent 
des jungen Kunstlers einem weiteren Kreis vorzustellen. Die Besonderheit seiner 
Arbeiten liegt darin, daft der Verfasser nicht vom Buhnenbild ausgegangen ist, sich 
also nicht vom szenischen Motiv leiten lieB, sondern daft er seine Darstellungen aus dem 
Geist der Dichtung gewonnen, sie ohne Nebenzwecke und als reine und freie phan- 
tastische Gebilde gestaltet hat. In den drei ersten Biattern ist das Agyptisch-Orientalische 
pathetisch-virtuos behandelt, die Gestalten sind voll Damonie, die Liniensprache voll 
Schwung und melodischer Kraft, und die Stilisierung zeigt eigene Auffassung, wenn hier 
auch gewisse AnklEnge an Klimts bizarre Linienfuhrung nicht zu verkennen sind. 
Auch der Symbolismus kommt zu seinem Recht, und man mufi die Eindringlichkeit der 
Zeichnungen um so hoher bewerten, als der Kunstler auf die suggestive Mitwirkung der 
Farbe Verzicht leistet. Das Tempelmotiv ist mehr als wirksamer Prospekt, es wird zum 
mitlebenden Faktor. — Anders das letzte Bild: hier erscheinen Tamino und Pamina, in 
prachtvoll fliefiende Gewander gekleidet und von der Schlange umrahmt, vor einem 
Naturhintergrund; man vermeint, vor einem mittelalterlichen Gobelin zu stehen, in 
dem sich primitiv Empfundenes mit dekorativen Elementen zu einem die Perspektive 
negierenden Gesamtbild verschmelzen. Hoffentlich flndet der Autor fur seinen Zyklus 
einen Verleger, der die Serie in der GroBe der Originale veroffentlicht. 



Nachdruck nur mit ausdrQcklicher Erlaubnis des Verlages gestattet 

Alle Rechte, Jnsbcsondere das der Obersetzung, vorbehalten 

Fur die Zurbcksendung unverlangter oder nicht an gem el deter Manuskripte, falls ihnen nicht geniigend Porto 

belliegt, ubernimmt die Redaktion keine Garantie. Sehwer leserliche Manuskripte werden ungepriift rurQckgestnd'. 

Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster 
Berlin W 57, BiilowstraDe 107 1 



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(\M\o\i* Original from 

v,UU tV l UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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GIUSEPPE VERDI 

Lithographic von Jocosi (?) 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 




DIE ORGEL DER JAHRHUNDERTHALLE IN BRESLAU 




DER SPiELTtSCH DER ORGEL DER JAHRHUNDERTHALLE IN BRESLAU 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 




AUS: ZWOLF PH ANTASiEN 
2U MOZARTS ZAUBERFLOTE 
VON FRIEDRtCH W. SEYER 

Nr. 2, Dti sol 1st dcr Tochtcr Better sein 



XIII 







Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 




AUS: ZWdLF PHANTAS1EN 
ZU MOZARTS ZAUBERFLOTE 
VON FRIEDRICH W. SEYER 

Nr. IK Ihr Gdtter, welch 1 eh Augenblick, 
Gewlbret ist una His Gluck 



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by 



Google 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



DIE MUSIK 

HALBMONATSSCHRIFT MIT 
BILDERN UND NOTEN 
HERAUSGEGEBEN VON 

KAPELLMEISTER 
BERNHARD SCHUSTER 



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HEFT 4 • ZWE1TES NOVEMBER-HEFT 
13. JAHRGANG 1913/1914 

VERLEGT BE1 
SCHUSTERS LOEFFLER- BERLIN W 



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Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Dean wer durchdrungen iat vom innig Wnhren, 
Dem mull die Form sich unbewufit vereincn, 
Und was dem Stumper mag genhrlicb scheioen, 
Das maO den Mcistcr gSttlich offenbaren. 

Platen 



INHALT DES 2. NOVEMBER-HEFTES 

WALTER NIEMANN: Jean Sibelius und die flnnlscbe Muelk 

JULIUS KAPP: PaganlnL In Paria and London 

MARTIN FREY: Die Hauptkadenz imWaudet dcr Zeiten. Eln 
Beitrag aur Harmonlelebre 

ERICH PREUND: »Borla Godttnow," Masikaliscbes Volks- 
drama In Tier Aufifigen von Modest Petrowitsch Mussorgsky 
Deutsche Uraufruhnwg mm Stadtt heater In Breilau 

ROBERT KONTA: Aufruf zur Grfindung einer Organisation 
von Komponleten e raster dramatischer Werke 

REVUE DER REVUEEN: Aus deutschen Mualkzeitichriften 

BESPRECHUNCEN (Bucber and Musikallen) Referenren: 
Wilhclm Altmann, WHibnld Nigel, Georg Capellen, Hermann 
Wetzel, Emil Thilo, Richard H. Sleln, Ernst Neufeldt, Max 
Doblnakl 

KRITIK (Oper und Konzert): Berlin, Breslatx, Dresden, DQsseN 
dorr, Elberfeld, Frankfort a. M^ Hamburg, Kfiln, Kftnigsberg L P., 
Magdeburg, Mannheim, Munchen, Paris* Prig, S trail burg 1. EL, 
WIen, Wiesbaden 

ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

KUNSTBEILAGEN: Paganlnl's Geburtibana In Genua, Paganlni'a 
Sterbehaus fn Nitza; Ptgaolnl, Zelchnung von Jean Ingres: 
Lithographic von J* Krfehuber; Karikatur unbekaiioter Hand 
auf Pageninl's Londoner Auftreieo; Paganini'B recbte Hand; 
Autograpb der Violinstimme sua 9 Le streghe* 

NACHEtlCHTEN: Neue Opern t Operarepertolre, Konzerte, 
Tageachronik, Totenacban, Verschiedenet, Aqi dem Verlag 

ANZE1GEN 



DIE MUSIK ertchelnt monetlkh nrelmtl. 
Abonaementsprela fttr das Qaartal 4 Me, 
Abonnementtpreii fllr den Jthrgang 15 Ml. 
Praia des einzelnen Heftes 1 MJt Vlertel- 
IsbfsdsbanddecJuD a I Mk- Samnel- 
ktften fllr die KuattbeMageo dee gutxen 
Jehrgangs 2,50 ML Aboanements dnjxk 
]ede Bach- and Muaikallenbendluag, fDr 
kletns PUUao ohne Buchhlndler Being 
darch die Pott 



Generalvertretnnf fllr Frenkrelch, 

Belglenund Eag land: Albert Gutmajiii, 

Pari*, 106 Boalevard Saint-Germain 

AUeinige biichhandlerlache Vertretnog Mr 
England and Kolonleen: 
Breltkopf ft Hlrtel, London, 
54 Grut Marlborough Street 

l&r A m erl ka: Breitiopf ft Hart»l,NewYoffe 

Br Frankrelch: CoataUit ft Go*, Paris 



- : :j, CoO^Ic 



Oriqinsl from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



JEAN SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 

VON DR. WALTER NIEMANN IN LEIPZIG 



Von Jean Sibelius reden, heiCt, sich mit dem innersten Wesen 
finnischer Musik auseinandersetzen. Als der Begriinder einer 
finnischen Kunstmusik, der Spohr-Schiiler Friedrich Pacius, Finn- 
lands Nationallied „Suomis Sang" auf Quantens Worte schuf, war der 
finnische Ton in der Musik, der seiner Spohrisch-verschleierten, resignierten 
und weichen Melancholie so schon entsprach, gefunden. Nicht sein auBerlich 
bleibendes Zuriickgreifen auf die unregelmaBigen Rhythmen und Motive 
finnischer Volkslieder, sondern dieser, dem sinnigen Norddeutschen aus dem 
Boden der Naturseinerzweiten Heimaterwachsene charakteristischeTonistes, 
der Pacius den unverganglichen Namen eines Vaters finnischer Musik verleiht. 

Wie in der alteren Malerei Finnlands, waren es auch in der Musik 
vorderhand kunstbegeisterte Liebhaber, die den Faden finnischen Schaffens 
weiterspannen und ihr Land namentlich mit einfachen und hiibschen Liedern 
beschenkten, deren Dichtungen fast ausschliefilich auf die beiden grofien, 
schwedisch sprechenden Dichter jener Zeit in Finnland, Runeberg und 
Topelius, zuriickfuhren. Es kam die Romantik, die in Deutschland das 
gelobte Land verehrte. Fur die Malerei Diisseldorf, fur die Musik Leipzig. 
Der Hamburger Pacius und der Danziger Richard Faltin legten den Grund 
zu Finnlands Musikorganisation; sie waren es, die die Meister der Altklassik 
und Wiener Klassik im hohen Norden wurzeln HeDen. Danemark erwuchsen 
die Hartmann und Gade, Norwegen die Kjerulf, Svendsen und Grieg, 
Schweden die Soderman und Norman, Finnland Robert Kajanus. Schiiler 
Svendsens, Verehrer Griegs, Liszts und Wagners, ward Kajanus Finnlands 
erster nationaler Instrumentalkomponist grofier Form. National mehr im 
Sinn ihres, der erhabenen Welt der „Kalevala a , Finnlands uraltem National- 
epos, entnommenen stoffiichen, als ihres rein musikalischen Inhalts, der 
die Abhangigkeit von seinen groflen deutschen und norwegischen Mustern 
nicht recht uberwinden konnte. 

Das ist der musikalische Boden, auf dem Jean Sibelius' Kunst er- 
wuchs. Es spricht fur ihre urfinnische Art, daC man, will man zu ihren 
Wurzeln gelangen, noch tief, tief unter den musikalischen Boden hinab- 
graben muD. Natur und Volk heiBen ihre eigentlichen und bestimmenden 
Lebens- und Schaffensmachte. Dazu treten als Stoff- und Gedankenwelt 
die Sage, der Mythos, die Geschichte der Heimat. 

Der Grundton von Finnlands Natur und Volk ist der allgemein nordische 
der Innerlichkeit, des Ernstes, der Schwermut. Der Finnlander lebt in 
stillem Kampf mit einer uber ungeheure Strecken Wald, Heide und Moor, 
Seen, Katarakte und Granitklippen sich breitenden, kargen Natur. Ein sehr 
kurzer Sommer, ein endloser lichtarmer Winter erschweren ihm diesen 

13* 



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' *1 



196 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEPT 1913 

Kampr. Finnlands Natur besitzt nlcht die grandlosen Theatereffekte norwe- 
giscber Berg- ™d Fjordkulissen, sondern eber die triumende AtelaachoHe 
des waldbedeckten und dfinn bevSlkerten Nordschweden; elnzlg das Labyrinth 
seiner ScbSrenkuste erinnert an die westUche Skandinaviens vom schwedischen 
Bohustln zum norweglscben Nordkap. 

Arm an SchXtzen, wie diese schwenn&tfgo und wnnderbar urwuchsige 
Natur, ist Finnlands Volk. Der Kampf rait Jabreszeit und Natur etaerseits, 
mit dem russischen Riesen, der ihm wine konstitutionellen Rechte In 
eiserner Umklammerung entwindet, andererseita, bat den FinnlXnder zu 
elnem stillen Helden erzogen. Die beiden Pole seiner Natur Bind Trote 
bis zum verbissenen Eigensiun, zur zlhen Hartnickigkeit und eine tiefe 
Schwermut, die aich bis zur fessellos vorw&rtsstunnenden Sebnsucht nacfa 
Sonne, nach Freiheit steigern kann. Ganz feblt ihm die elementare 
Frthlichkeit des Russen* Hier zeigt sich am deutlicbsten, dafi die Bnnisch- 
ugriscb-mongoiiscbe Rasse des Flnnen unter dem langen Einflufl der 
schwedischen Kultur lflngst zu einer skandinavischen geworden 1st 

Finnland ist ein armes, aber eln wie alle nordlschen Reicbe erstann* 
lich hochkultiviertes Land ; sein Volk ist ein Waldbauern- und Fiscbenrolk, 
das, so arm und dQnn es gesflet 1st, dank seiner Kultur und der gdstigen 
Bedeutung seiner KBstenstadte — voran Helsingfors, Abo, Hang5 und 
Wiborg " mit vollem Recht auf seinen, an unmittelbarer kflnstleriscber 
EmpOnglichkelt und Begabung ihm viclfach Qberlegenen, dock kulturcll 
unendlich viel defer stehenden rus&ischen Nachbarn hinabseben darf. 

Diesen innersten Lebens- und SchaffensmKchten alter Snnischen Kfinste 
tritt die Stoff- und Gedankenwelt seiner uralten Sagen und Mythen zur 
Seite. Es 1st daa erbabene Nationalepos der Kalevala, einer Schwester der 
gro&en germanischen und nordgermanischen Heldenepen aus grauer Vorzeit, 
die Dichtung und Kunst Finnlands im national en Sinn aufe wunderbarate 
befrucbtete, seit in den zwanziger Jahren des 1 9, Jahrhunderts Elias L&nnrot 
In unermfidlichem Eifer diese ehrwurdigen Runengeslnge durch den Hand 
des Volkea sammelte. Die Dichtung griff diese gewaltigen Stoffe zuerst 
auf und fugte ihnen solche aus der reichen Geschichte des Landes hinzu. 
Die Malerei, die in der alter en, vornehmHch an Dusseldorfo Genrekunst und 
Naturbeschreibung geschulten Romantik mit Vorliebe die heiroische Land- 
schaft, das heimlsche Volksleben liebevoll verhcrrlichte, unternabm mit ibren 
modcrnen t am fraDzdsiscben Impressionisms gescbulten Meistern wie Axel 
Gallfcn und Eero JSrnefelt das Wagnis, din iibermenscblicben Gestalten der 
finnischen Edda, desnordfocbenWalhal] in den engen Rabmenelneserdg^borenen 
Bildes zu bannen. Am letzten kam die Tonkunst* Kajanus machte die ersten 
entscbeidenden Versuche, Sibelius griff roll in diese versunkene Welt binein. 

Das ist der landscbaftliche, volkstfimliche und dichterisch-gedanklicbe 
Boden, dem Sibelius' Kunst entsprofi. Sie 1st zuerst Ton gewordene 



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NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 197 

finnische Natur. Ein Stuck wie „ Abends am Waldsee" aus der w Pelleas 
und Melisande a -Suite op. 46 (Sibeliana No. 1) lafit nicht an Maeterlinck, 
sondern an Munsterhjelms, im schwarzen Tannenbruch vergrabenen Wald- 
see denken, in dem der Mond aus phantastisch zerrissenen Wolken sich 
spiegelt. Es ist auch in den (ibrigen Bildern des Abends (z. B. Zehn 
Klavierstiicke op. 58, No. 5) von Sibelius die Stimraung siifier Traurigkeit, 
resignierten Unendlichkeitsgefiihls, die mit Sibelius als finnischer Naturton 
in die nordische Musik einzieht. Seine Bearbeitung der finnischen Volks- 
weise „Der Abend kommt", die Barcarolen und Nocturnos aus den Klavier- 
stucken op. 24, das Nocturno aus der Belsazar-Suite op. 51 (Sibeliana No. 2), 
sie sind voll von dieser Stimmung traumender Melancholie und Sehnsucht, 
die der geheimnisvollen Mystik nordischen Geistes nicht raehr fernbleibt. 

Es kommen dazu die Pastorales. Da blasen im einsamen Waldbruch 
zwei Hirten auf der Lur Frage und Antwort einander zu, necken und foppen 
sich musikalisch. Die Motive verschlingen sich, das Echo der Feme lafit 
die SchluBfalle sanft zuriickhallen; unermiidlich und gleichformig auf vier 
Tonen murmelt dazu in des Basses Tiefe der Bach. Wir kennen solches 
Hochlandbild aus den lyrischen Stiicken Griegs. Bei Sibelius ist soldi' 
Pastorale (Sibeliana No. 9) ein Hochwaldbild geworden, das das Pathos des 
norwegischen Meisters zur Idylle besanftigt oder, wie im „Hirt a (op. 58, 
No. 4), zur stillen, feinen Humoreske beschwingt. Echt aber wie diese oft 
elementaren Naturlaute ist ihre absichtlich primitive Fassung, die den 
liegenden BaB oder, wie die naive und frohliche Naturmusik des ersten 
und letzten Satzes seiner Klaviersonate op. 12, den Murky-BaO bevorzugt. 

Charakteristisch auch, wie der Nordlander Sibelius den finnischen 
Fruhling und Sommer besingt. Eine seiner schonsten kleinen Orchester- 
poesien von warmer und durchaus volkstumlicher Melodie, das „Fruhlings- 
lied", tragt den bezeichnenden und an Griegs „Letzten Fruhling" erinnernden 
Untertitel: „Die Traurigkeit des Friihlings". Es ist die Trauer iiber seine 
kurze Dauer, und rasch und intensiv, wie er eintritt, steigert sich sein 
tiefinnerlicherjubel zum glockendurchtonten Triumphgesang von elementarer 
Kraft. Und auch das Sommerlied aus op. 58 schlagt einen ahnlich ver- 
schiedenen Ton an, wie die idyllischen Friihlingslieder der deutschen 
Mendelssohn-Schule. In seiner gedrangten Kiirze, die auf seine kurze 
Dauer anspielen mag, ist es in seiner reifen Schwere ganz auf religiose Feier- 
lichkeit gestimmt, die sich gegen den Schlufi zur hymnischen Ekstase erhebt. 

Zum anderen ist Sibelius' Kunst der musikalische Ausdruck der 
finnischen Volksseele. Nicht als das Wichtigste seiner Volkstiimlichkeit 
erscheint uns, dafi er dem alten, im Geistlichen vielfach auf Ostschweden 
zuruckgehenden finnischen Volkslied haufig Melodik, Metrum und Rhythmik 
fiir seine Kunst entnahm. Oft ja treffen wir in ihr auf unregelmafiige 
oder miteinander wechselnde Metren — B /4» 1 L> 2 /a und 8 /a — des finnischen 



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198 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

Volksliedes, des finnischen Volkstanzes, auf seine bald lastend schwer- 
miitige, bald zackige und gem in den leicht dahinhiipfenden 2 / 4 -Takt ge- 
kleidete Melodiefiihrung. Die Volkstiimlichkeit bei Sibelius geht viel tiefer. 
Nichts ist fur ihre Echtheit bezeichnender, als dafi man in so manchem 
Werk des finnischen Meisters nach heimlich unterlegten finnischen Volks- 
weisen gefahndet hat, wahrend doch seine samtlichen Themen sein aus- 
schlieBliches geistiges Eigentum darstellen. So tief und fest wurzelt Sibelius 
im musikalischen Fiihlen und Denken seines Volkes! Um so bewunderns- 
werter, als Sibelius die ererbte schwedische Kultur aller bedeutenden Geister 
Finnlands keineswegs ganz verleugnen kann. 

Diese Volkstiimlichkeit, dieser innere nationale Ton, der bis auf die 
instinktive Anwendung der alten Kirchentonarten sich erstreckt, muB sich 
bei Sibelius im Charakter auch seiner Musik auBern. Noch heute sind 
die Stimmen derer nicht verstummt, die sie zerrissen, sprunghaft in den 
Stimmungen wechselnd, locker in der Form, wild, naturalistisch und un- 
logisch nennen. Dem liegt, wie wir spater sehen werden, zweifellos etwas 
Richtiges zugrunde. Nur, daB gerade diese bemangelten Eigenschaften 
vom finnischen Volkscharakter unzertrennlich sind, der in Sibelius' Musik 
seine rechte Auferstehung feiert. Seine Heimat hat das rasch und mit 
enthusiastischer Dankbarkeit erkannt. Das Ausland hat — begreiflicher- 
weise — iiber dem Befremdenden des musikalischen Charakters seiner 
Musik in Unkenntnis des finnischen Volkscharakters vielfach das Allgemein- 
Gultige nicht richtig erkannt oder es bei dem Hinweis auf die interessante 
rhythmische Verwandtschaft seiner Musik mit der magyarischen oder sla- 
wischen Musik aus rassepsychologischen Griinden bewenden lassen. Denn 
sie kann sich nicht anders auBern wie dieser finnische Volkscharakter 
selbst, mit dem wir eben erst Freundschaft schlossen. Sibelius' emphatische, 
sich oft hartnackig auf vielfache Wiederholung eines Tons, einer Phrase, 
eines Motivs verbeifiende Melodik ist sein Eigensinn und Trotz, ihre innere 
Intensitat und ihre Neigung zum Griiblerischen, Versonnenen und Selbst- 
qualerischen — das Streichquartett „ Voces intimae"! — seine tiefe Me- 
lancholic, ihr heiBes Vorwartsdrangen, ihre gewaltigen Steigerungen seine 
Sehnsucht nach Licht, Sonne und Freiheit. Ernst wie die Zeit ist diese 
Musik. Es fehlt ihr die Universalitat der Griegschen Muse. Doch auch 
darin, in dem gedampften Ton ihrer Frohlichkeit, ihrer Menuetten und 
Gavotten, ihres „Air vari6 a aus op. 58, die Sibelius' und aller groBen 
modernen Kiinstler Finnlands heimliche Liebe zu Paris und Frankreich 
zeigen, ist sie grundecht. Die breite und empfindungsgesattigte Art der 
Melodiebildung bei Sibelius hat vielfach unverkennbare Verwandtschaft mit 
der Tschaikowsky's, und der Symphoniker Sibelius hat zweifellos manche 
Anregung aus des russischen Meisters Symphonieen, voran der e-moll und 
der Path€tique, gezogen. Allein Sibelius ist zuriickhaltender im Ausdruck, 



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NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 199 

wenigerdekorativ, wenigergeschminkt und sentimental, weniger differenziert, 
wie der trotz allem herrliche und durch seinen russischen Fatalismus 
packende russische Meister. Der sinnliche Russe liefert unsere Nerven 
und Sinne ihm bedingungslos aus; der kiihlere und beherrschtere Finnlander 
wendet sich mehr an unser Herz. Satze, wie die halb-barbaresken Finales 
Tschaikowsky's, wird man bei Sibelius vergebens suchen. Dafur besitzt 
seine Melodik eine Intensitat der Empfindung, sein Ausdruck eine Warme 
und Echtheit, daD nur die Sonne kraftiger Lebensbejahung fehlt, um diese 
auf der Schattenseite des Lebens erwachsene, graue und ernste Kunst in 
weite Kreise zu tragen. Denn Camoens' Worte aus den Lusiaden: 

„Geboren werden wir zu solcher traur'gen 
Bestimmung: Leiden nur soil Dauer haben, 
Doch Gutes wandelt schleunig die Natur", 

sie sind aus der Seele jedes echten Nordlanders gesproctaen. 

Wenn Sibelius die uralten Mythen seines Volkes aufgreift und seinen 
Instrumentalwerken in der Mehrzahl' als heimliches oder verschwiegenes 
Program m unterlegt, so ist das die eine nationale Seite seines SchafFens. 
Die andere uns wichtigere bleibt, dafi ihre musikalische Gestaltung der 
innersten Volksseele entspriefie. Das ist immer der Fall. Es liegt in der 
Natur des Finnen, daD dabei das Sinnen und Traumen die Tat iiberwiegt. 
Sibelius hat dieser Melancholie des Sinnens und Traumens ganz eigenen 
und neuen Ausdruck in der nordischen Musik gegeben. Das sind solche 
Stellen, wo die festen Gestalten in dammernde Schemen und Umrisse zu 
zerflieCen scheinen. Die Bewegung lost sich auf und ruht in einem 
langen liegenden BaD auf dem Sextakkord. Die Wirkung solcher Sext- 
verbindungen ist zaubrisch; man erliegt der suggestiven Wirkung endloser 
Weiten von Zeit und Raum. Gade schlug in seinen ersten Werken diesen 
Ton des uns von Jonas Lie vertrauten nordischen Hellsehers an, als Ossians 
dustere Welt ihn inspirierte; Sibelius setzte ihn darin fort. 

Kein Werk von ihm zeigt das so fein wie seine symphonische Dichtung 
„Eine Sage". Die Sage selbst wird hier zu Musik; der finnische Ossian 
steht vor uns. Nur ein Seitensatz in c-moll ISfit die in Nebel und Schleier 
verhullten Gestalten zu Helden der Vorzeit sich verdichten; alles iibrige 
ist unkorperlich, unwirklich, ist der Spuk der dunklen Gewalten, die in 
der Seele jedes Nordlanders schlummern und sich bekampfen. Ein ge- 
waltiges Nacht- und Phantasiestiick, das Natur und Volk der Vorzeit mit 
alien und mit den kuhnsten Mitteln des Impressionismus vor uns erstehen 
UCt. Ibsen's a Nordische Heerfahrt" hat damit recht eigentlich ihre musi- 
kalische Einfiihrung, ihr Vorspiel erhalten. 

Damit sind wir bei der unerschopflich belebenden Quelle der nationalen 
Stoff- und Gedankenwelt unseres Meisters, der „Kalevala a , angelangt. Zwei 
der ersten und allerbekanntesten seiner Werke waren schon aus diesem 



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200 DIE MUSIK XIII 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

uralten Nationalepos genommen: die Orchesterlegenden „Der Schwan von 
Tuonela a und „Lemminkainen zieht heimwarts". Namentlich das zarte, 
impressionistische Stimmungsbild des auf den schwarzen Fluten des Stromes 
von Tuonela, dem finnischen Hades, klagend singenden und flugelrauschenden 
Schwanes mit dem Solo des Englisch-Horn hat Sibelius' Namen mit 
einem Schlage als einen unserer feinsten Orchesterkoloristen bekannt ge- 
macht. Nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil die auf die einfachste und 
knappste Formel zuriickgefiihrte Form des „Schwanes« in ihrer elementaren 
Einfachheit zum ersten Male und mit groBem Gliick reiner musikalischer 
Stimmungsmalerei im modernen Sinn dienstbar gemacbt erscheint. Das 
in den verschiedenfachsten Formen erweiterte und variierte Schwan-Thema 
des Englisch-Horn-Solo mit seinem unbestimmten Schillern zwischen Moll 
und Dur stutzt das ganze, in den zartesten und lichtesten Farben des ge- 
dampften Streichorchesters prangende Stiick. Ein sehnend aufsteigendes 
Gegenmotiv in Cello und Bratsche unterbricht es des ofteren in sprechender 
Klage und rundet das Bild zu Anfang und SchluC ab. Harfenrauschen leitet 
Kern und Gipfel, das tief-ausdrucksvolle Tutti in a-moll ein, das wie der 
Ausdruck des unerbittlichen Schicksals klingt. Das Ende bezieht sich auf 
den Anfang, nur daB das Streicher-Tremolo mit dem Riicken des Bogens (col 
legno) den gespenstischen und phantastischen Ton des Ganzen noch verstarkt. 

Demselben Sagenkreise erwuchs die unmittelbare Fortsetzung: 
„Lemminkainen zieht heimwarts". Lemmink&inen, der finnische Siegfried 
oder Achill, wandelt, nachdem treue Mutterliebe seine zerstuckelten und 
im schwarzen Todesstrom verstreuten Glieder wieder zusammengefiigt hat, 
seine Sorgen und Kiimmernisse in Streitrosse und zieht in die Heimat, 
wo die Kindheit ihn mit tausend Stimmen umklingt. Zeitlich unmittelbar 
vor dieser Tondichtung steht die Gewinnung der schonen, aber ebenso 
sproden Kylliki in Saari durch Lemmink&inen, die Sibelius zum — leider 
verschwiegenen — Programm seiner drei Lyrischen Stiicke fur Klavier 
„Kylliki a op. 41 gewahlt hat. Der Held entfuhrt die Widerspenstige, be- 
zwingt sie in Liebe, und beide schlieBen ein doppeltes und doppelt ge« 
brochenesGelubde: sie, den Vergniigungen ihrer Gespielinnen zu entsagen,er, 
den Krieg zu meiden. Das vom Zauberkamm herabtraufelnde Blut belebrt 
die in Reue sich Verzehrende, daB ihr Held in den schwarzen Todesstrom 
geworfen wurde, und seine Mutter eilt in das schwarze Reich Tuonela. Der 
Lemminkainen ist gleich dem Schwan mehr stimmungsreiche als bedeutende 
Musik, deren starkerer Naturalismus und lebhafteres Feuer uns, wie auch in 
seiner symphonischen Phantasie „Pohjolas Tochter", das nur dem Finnlander 
restlos zugangliche Verstandnis ihres Programms nicht ganz ersetzen kann. 

Eine andere Gruppe von Werken verherrlicht sein finnisches Vater- 
land. Die Tondichtung fur Orchester „Finlandia a gibt ein Bild aus der 
Vorzeit Finnlands nur in ihrer aus schmerzlichstem Pathos und religioser 



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NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 201 

Feierlichkeit erfiillten langsamen Einleitung im Ton alter Heldenballaden. 
Schon die aufstachelnden Rhythmen des Hauptteiles (Allegro assai) malen 
den Kampf. Und das mit Beethovenschem Ethos getrankte Gesangsthema, 
das den dritten, von immer heiCerer und wundervollerer Warme durch- 
gliihten Abschnitt des prachtigen Werkes beherrscht, kiindet, um was der 
Kampf ging: urns Morgenrot der Freiheit. Konnte die Musik zu alien 
reden, was sie in Gedanken in sich birgt: diese „Finlandia" und den 
„Gesang der Athener" dazu wurde Rufiland auf den Index setzen! Zu 
Sibelius tritt, mit ihm fuhlt das ganze Volk. Das ist das GroCe an dieser 
Musik in unserer uberm^Cig individualistischen und subjektivistischen Zeit: 
sie bewegt ein Volkerschicksal I Spezialistischer steckt sich die „Karelia B - 
Musik fur Orchester das Ziel. Die Bewohner der siidostlichsten finnischen 
Provinz Karelien sind das, als was die Bergenser in Norwegen, die Kopen- 
hagener in Danemark gelten: die Lebensfroheren und Lebhafteren, die 
sinnlicheren und dichterischen Naturen, die in starkem Gegensatz zum 
ernsten und tief veranlagten Tavaste-Finnen stehen. Die frische Frohlich- 
keit steckt auch in der ganzen Musik, die eine Ouvertiire und eine aus 
den drei Satzen Intermezzo-Ballade-Marsch bestehende Suite umfaBt. 
Die karelische Note zeigt sich namentlich in der kecken und frohlichen 
Rhythmik, in der scharfen Gegensatzlichkeit zwischen Scherz und Ernst; 
die volkstumliche in der Aufnahme der fein-archaisierend harmonisierten 
Volksweise „Tanz im Rosenhag", die das Horn in der Ballade intoniert, 
in den rustikalen Quintenbassen, die die hinreiDend schwungvolle Ouver- 
ture durchklingen. Damit ist der Charakter dieser Musik gezeichnet: echte 
volkstumliche Suitenkunst furs Volk, zur Unterhaltung. Und Suitenkunst sind 
auch die als op. 25 und 66 in zwei Teilen erschienenen „Sc6nes historiques" 
fur grofies Orchester, die in insgesamt sechs Satzen farbenprachtige und 
kraftige Bilder aus Finnlands Vor-, Minne- und Ritterzeit entrollen. 

Eine dritte Gruppe, die Schauspielmusik, birgt in der Musik zu 
Adolf Pauls Schauspiel „K6nig Kristian II* und dem Dramolet des ,Valse 
triste" zu Arvid Jarnefelts Drama „Kuolema a (Der Tod) zwei der aller- 
schonsten Werke von Sibelius, der der naiv und gesund empfindende Finne 
bleibt, auch wenn er zu Maeterlinck's visionarem „Pelleas und Melisande* 
oder zu Hj. Procop6s Drama w Belsazars Gastmahl* mit seinem orientalisch- 
exotischen Lokalkolorit die verbindende Musik in Form einer kleinen 
Orchestersuite schreibt. Von ihnen hat der n Valse triste" Sibelius' Namen 
recht eigentlich popular gemacht und in noch hoherem MaC wie der w Schwan 
von Tuonela* nicht ohne FehlschluB mit dem Pradikat eines grofien Klein- 
kunstlers der Musik belehnt. Das Programm zeigt Strindberg'sches Grausen. 
Die fieberkranke Mutter erhebt sich vom Bett und winkt im langsamen 
Traumtanz Gestalten und Paare herbei. Zweimal setzt der tolle Reigen 
ein, zweimal steigert er sich schlieClich zur wilden Stretta, da — jfihe 



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202 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

Pause, die Erscheinungen fliehen, in der Tiire steht der Tod. Das Stuck 
ist in seiner, aus tiefem Schmerz, aus damonischer Wildheit und Phantastik 
geborenen Grundstimmung eine der genialsten Programmusiken in jener 
intensiv beseelten Form des tiefmelancholischen Valse lente, den zuerst 
Chopin zum klassischen Zweig ernster Walzer-Dichtung erhob. Wie ge- 
wahlt und kuhn die Harmonik, namentlich in der gespenstischen Aus- 
weichung nach fis-moll vor der Reprise, wie sicher und innerlich gesteigert 
die geschlossene Form! Wie Dvoraks Slaviscbe Tanze, ist dieser w Valse 
triste* als dramatisiertes Ballet auf mancher unserer Buhnen heimisch ge- 
worden und hat damit die Frage nach einer Reorganisation des stereotypen 
Schulballets und einer Einbiirgerung jener Opernballets auf dem Kontinent 
erneut angeschnitten, die in Danemark eine so einzige Ausbildung und 
Bliite erfahren. Zwei weitere Kleinigkeiten fur Orchester, die Canzonetta 
in gis-moll op. 62 fur Streichorchester, eine schlicht klagende, sehnsuchts- 
volle und volkstumliche Melodie, und der Romantische Walzer fiir kleines 
Orchester — der nur wieder belegt, dafi wie Tschaikowsky's, so auch 
Sibelius' Starke nicht in der Form des deutschen gemiitlichen Walzers 
liegt — runden die „Kuolema a -Musik etwas matt ab. Auch fur das Tanz- 
Intermezzo ist Sibelius, der ihrer zwei geschrieben hat — „Pan und Echo* 
und eins aus op. 45 in b-moll — eine zu ernste und schwere Natur. 
Dagegen ist der feine melancholische Walzer der Svanehvit-(SchwanenweiD-) 
Suite zu Strindberg's gleichnamigem Marchendrama wieder eine, freilich viel 
weicher und trMumerischer geartete zarte Schwester des „Valse triste". Auch 
die Romanze in C-dur fiir Streichorchester op. 42 gehort in seinen 
Stimmungskreis. An ein Liebeslied denke man hier nicht. Ihr Inhalt ist 
aus Pathos und Schwermut gemischt. In der in Gegenbewegung und im 
Moll des balladesken Hauptthemas dahinschleichenden Ubergangsgruppe 
wird's eitel Griibeln, und das Seitenthema in E-dur klingt wie ein wehes 
Lacheln unter Tranen, wie bitteres Erinnern. Herbe und personlich wie 
der Eingang ist das Ende. Die kleine Tondichtung „Die Dryade" und der 
Trauermarsch fiir Orchester „In memoriam" schlieBen die Reihe der Werke 
kleinerer Form, die die besondere lyrische Begabung aller Nordlander 
prSchtig zeigen und namentlich darin eine Mission erfiillen konnen, daO sie 
Niveau und Programm unserer guten Unterhaltungskonzerte veredeln helfen. 
Die tragische Note der besten Werke von Sibelius schlagt der, den 
eleganten Saint-Saens freilich weit hinter sich lassende w Totentanz* der die 
„K6nig Kristian a -Musik abschlieDenden Ballade am starksten an. Diese 
Schauspielmusik gehort zu seinen allerschonsten Sachen. Pauls Drama 
schlieBt sich in den Kreis der Verherrlichungen der ungliicklichen Liebe 
zwischen dem Konig Christian II. von DSnemark, Norwegen, Schweden 
und der schonen und feinen hollandischen Biirgermaid Dyveke, die DSne- 
marks volkstiimlichsten romantischen Lyriker Peter Heise zu seinem 



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NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 203 

klassischen Liederzyklus „Dyvekes Sange a inspirierte. Das in seiner 
schlichten Warme und sanften Melancholie so herrliche Noctumo erzahlt 
uns von dem Liebesgliick der beiden; die Elegie fur Streichorchester, das 
eigentliche Vorspiel zum Drama, bereitet auf das tragische Ende — 
Dyvekes Vergiftung durch einen Nebenbuhler und des Konigs in sinnlose 
Raserei ausbrechenden Schmerz — vor. Eine der zarten Musette folgende 
altvaterische Serenade ist als Einleitung zum Hoffest des dritten Aktes 
gedacht, die Ballade gibt den grausig-realistischen Totentanz zum „Stoek- 
holmer Blutbad" hinzu. 

Das ist das Stoffliche und Gedankliche, das man kennen muB, um 
das rein Musikalische an Sibelius in diesen Werken um so besser wurdigen 
zu konnen. Seine vier Symphonieen (No. 1 e-moll, No. 2 D-dur, No. 3 
C-dur, No. 4 a-moll), sein Violinkonzert in d-moll, sein bisher einziges 
Streichquartett mit dem bezeichnenden Titel „ Voces intimae* bedurfen der 
vorherigen stoflflichen Erlauterung so wenig, wie seine Chorwerkeund Lieder. 

Um dem Symphoniker Sibelius gerecht zu werden — auch der Autor 
des Violinkonzerts gehort dazu — , muB man bedenken, wie schlecht im 
Grunde die kurzatmigen nordisch-nationalen Themen einer symphonischen 
Behandlung in unserm Sinn entgegenkommen. Bei Sibelius kommt ein 
zweites hinzu: sein durchaus impressionistisch geartetes Talent liegt auf 
dem Felde derProgrammusik, derStimmungs- und Tonmalerei, des modernen 
Orchester-Kolorismus. Wohl ist sein Violinkonzert fur den Solisten un- 
gewohnlich schwierig und formell ungewohnlich interessant, von tiefster 
Empfindung im Adagio durchstromt und von keeker nationalgefarbter Rhyth- 
mik und Melodie im Finale belebt. Wohl sind seine viersMtzigen Sym- 
phonieen bedeutend als Dokumente nationaler Symphonik und eines alle 
Konzessionen an das Publikum verschmahenden Charakters. Allein ihnen 
alien als Ganzes fehlen die Grundbedingungen des echten symphonischen 
Schaffens : Monumentalitat, Geschlossenheit und Festigkeit der Form, Ge- 
staltungskraft und organische, logische Entwickelung im ganzen und einzelnen. 
Man mufi sich an die fast mosaikartig nebeneinandergestellten Einfalle von 
oft hoher melodischer und harmonischer Schonheit halten, ohne aber dabei 
auf strenge Logik ihrer Verkniipfung Gewicht zu legen. Man muB sich 
an die intensive und edle Warme der Empfindung, an das Feuer des 
Temperaments und den kiihnen Wurf des Ganzen halten, will man fiber 
den Schwachen den Symphoniker Sibelius nicht vollig verurteilen. Fur die 
finnische Symphonik im besonderen kommt noch erschwerend hinzu, daB 
die bald schwermiitig sinnenden, bald heiB und trotzig dahinsturmenden 
finnischen Volksweisen und aus ihnen abgeleiteten volkstiimlichen Themen 
wohl naive Frische und herbe Urspriinglichkeit im Melodischen zeigen, 
dagegen an lebhafter und vielgestaltiger Rhythmik empfindlichen Mangel 
leiden. Sibelius aber als echter Nordlander und iiberzeugter Verfechter 



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204 DIE MUSIK XIII. 4: 2 NOVEMBERHEFT 1913 

des nationalistischen Prinzips in der Musik nimmt ihnen gegeniiber viel 
weniger einen symphonisch-polyphonen, als primitiv-homophonen und 
harmonisch-exotischen Standpunkt ein, der die Gleichartigkeit der Stim- 
mungen dieser Volksmusik nur zu oft bei grofler Form in Monotonie und 
Einseitigkeit verwandelt. So ist er, dem Griegs, von scharfem Kunstver- 
stand uberwachtes, uberaus langsames Schafifen fehlt, nicht immer imstande, 
diese in der Eigenart der finnischen Volksmusik selbst liegenden Gefahren 
fiir eine nationale Symphonik zu meiden und dafur die streng logische und 
organische Entwickelung seiner Gedanken an ihre Stelle zu setzen. 

So harren in seinen Symphonieen bald rhapsodische und episoden- 
hafte, bald rezitativische, bald balladische und epische Gedanken in ihrer, 
fiir eine Symphonie allzu lockeren Verbindung der harmonischen Durch- 
arbeitung und Einordnung ins Ganze. Uberall ein Aneinander und Neben- 
einander nach offenkundigem, aber verschwiegenem Programm, ein stetes 
Abbrechen und Durchbrechen durch Fugatos und Einschiebsel, fast uberall 
ein Ringen urn die Nachbildung von Tschaikowsky's „Path6tique*in finnischer 
Tonsprache, ein mehr oder weniger naturalistisches grau in grau Malen 
unter lastendem Druck, das keine defbe Volksfreude in den Scherzis, keine 
Flucht zur Natur in den meist herrlichen langsamen Satzen, kein blenden- 
des Orchesterkleid voll eigenster und uberraschendster Instrumentations- 
wirkungen, keine noch so sorgsam vorbereitete und intensiv beseelte Auf- 
fiihrung aufhellen kann. Urn so prfichtiger sind ihre Einzelheiten, ist die 
Kraft und Frische, das echte Pathos, die schlagfertige Charakteristik, die kraft- 
volle und originelle Rhythmik der Themen und Motive. Und immer sind 
es die Pole schmerzlich-lastender Schwermut und trotzig-sturmischer, bis 
zur Raserei gesteigerter verzehrender Sehnsucht nach Sonne und Freiheit, 
zwischen denen sich die symphonische Kunst von Sibelius bewegt. Der 
Mangel an Licht und Sonne schadigt auch die Filigranarbeit des funf- 
satzigen, sehr bedeutenden Streichquartetts, das ganz und gar intimste 
Viersprache zwischen den Instrumenten ist. Sibelius riihrt hier in den 
ersten drei Satzen an das Kapitel von Swedenborgs Geisterseher: das ist 
mystische Musik von jener erdentriickten Ubersinnlichkeit und Verfeine- 
rung der geistigen Impulse, wie sie Beethovens letzte Quartette zeigen, 
zum gespenstischen heimlichen Humor im zweiten, zum pathetischen im 
vierten Satz abgewandelt. 

Sibelius' Klaviermusik ist fraglos der schwachste Teil seiner Kunst. 
Mit wenigen Ausnahmen seiner friiheren Kompositionen — ich denke da 
z. B. an die in ihrer Sindingschen Klangpracht auch als Konzertnummer denk- 
bare, prachtige Des-dur Romanze aus op. 24 — entbehrt sie des klingenden 
und echten Klaviersatzes. Der im wesentlichen bereits Erw&hnung getanen 
Originalsachen an Zyklen mit Charakterstucken (op. 5, 24, 41, 58), Sonatinen 
(op. 67) und Rondinos (op. 68) und einer Sonate (op. 12) sind wenige. In 



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NIEMANN: SIBELIUS UND DIE FINNISCHE MUSIK 205 

seiner Klaviermusik hat sich Sibelius iiber Schumann und Tschaikowsky 
rasch zu sich selbst gefunden. 

Ein Blick auf seine Chorwerke und Lieder fiihrt uns zunachst auf 
die wichtige Frage: Wie steht Sibelius zu den Dichtern seiner Heimat? An 
weitaus iiberragender Stelle seiner Lyrik und zugleich als Fuhrer der 
kulturell und dichterisch weit iiberlegenen schwedisch-finnischen Lyriker 
steht der groBe altere idealistische Volksdichter Runeberg. Gegen ihn tritt 
sein Gesinnungsgenosse Topelius weit zuriick. Mit einzelnen Proben sind 
der schwedische Idealist Rydberg, Tavastjerna, der jung verstorbene 
genialische Wecksell und der schwedische Dramatiker Adolf Paul, von den 
schwedischen Modernen die feinen Stimmungslyriker Froding, Levertin und 
Hedberg vertreten. Von finnisch schreibenden Dichtern hat ihn der altere 
Oksanen (Ahlquist) zu der diisteren, tonmalerisch hochrealistischen,doch musi- 
kalisch nicht eben bedeutenden Ballade „Des Fahrmanns Braute" begeistert. 
Sie ist ein Hohelied auf Finnlands Kataraktenschrecken und eine finnische 
Melusinensage dazu: die eifersiichtige Stromnixe und Tochter Wellamos 
zerschmettert den Kahn mit dem Liebespaar Anna und Vilho an einem Riff. 

Auch sprachlich rein finnisch ist die Welt von Sibelius' Mannerchoren 
nach Dichtungen des Volksdichters Kivi mit den beiden grofien Orchester- 
balladen .Der Ursprung des Feuers" (nach der Kalevala), „Die gefangene 
Konigin" und einigen akademischen Gelegenheitskantaten. Selten nur wendet 
er sich mit Shakespeare, mit den deutschen Modernen Dehmel und Fitger, 
mit dem vlamischtfn Symbolisten Maeterlinck andren Stoffen, und einmal, 
in Victor Rydbergs „Gesang der Athener", der klassischen Schonheitswelt 
zu. Sibelius ward er zum Schicksals- und Zukunftssang seines Volks: 
„Herrlich zu sterben, wenn mutig im Vordertreffen du fielest" — im Alter- 
tum wie im heutigen Finnland. Die ganz einfache strophische Komposition, 
vom Orchesterritornell eingeleitet und unterbrochen, ziindet gewaltig durch 
den ruhig-verhaltenen, aber intensiven Siegeston, der sie in der Stimmung 
wie in dem unaufhaltsamen Marschrhythmus der vorbeiziehenden Jiinglinge 
visionar durchklingt. 

Die musikalische Welt der Lyrik von Sibelius, ihre technische Ein- 
kleidung liegen dem modernen deutschen Lied mit seinem symphonisch 
durchgearbeiteten Klavierpart fernab. Das Tor, das in sie hineinfiihrt, sind 
seine Transskriptionen einiger finnischer Volksweisen fiir Klavier, die zu 
seinen schonsten und charakteristischsten Sachen gehoren. Bedeutend in 
der Charakteristik sind namentlich wieder die ernsten: der duster iiber 
ostinater BaDfigur in qualenden Dissonanzen dahinbrutende „Bruderm6rder", 
das sanft verschleierte „Der Abend kommt, die Dammerung naht M mit 
seinem, alles unbestimnrte Zwielicht einer lichten nordischen Nacht und 
Quellenmurmeln verbreitenden ostinaten Triller in der Mittelstimme. Man 
sieht schon in diesen Ubertragungen, was Sibelius' Lied gibt: Impression, 



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206 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

die im Klavier nur das Wesentliche scharf und mit den einfachsten, dem 
Orchester entnommenen Mitteln beleuchtet, mit Harfenrauschen, Tremolo, 
einfacher Akkordik. Die dichterische Welt seiner Lyrik ist die Finnlands: 
Volksleben, Natur, Heimat, Lenz und Liebe, mit Vorliebe aber Not und 
Ernst des Menschenherzens bis zur herben Tragik des B Komm' herbei, 
Tod! a (Shakespeare) oder der „Schwarzen Rosen** (Josephson). Der keines- 
wegs immer leichte Weg zu Sibelius fiihrt durch seine Lieder, von denen 
einige wie „Schilfrohr sausle", der volkstiimliche „Jagerknabe tt Runebergs, 
Rydbergs „Herbstabend* u. a. groCe Verbreitung gewonnen haben. 

Sibelius ist heute die bedeutsamste schopferische Personlichkeit der 
nordischen Tonkunst, und wie einst sein freilich ganzlich andersgearteter und 
universellerer Vorganger Edvard Grieg hat er in Finnland bereits eine Art 
Schule gebildet, deren Vertretern — ich erinnere an den, am starksten 
dem franzosischen Neu-Impressionismus (Debussy) zugetanen Selim Palm- 
gren, an Erkki Melartin, Oskar Merikanto und Armas Jarnefelt — es 
unter den Jungeren nicht immer zum Vorteil gereicht, dafi in der modernen 
finnischen Musik, wenigstens fiir uns, eine auffallende stilistische Gleich- 
artigkeit herrscht, daQ Eigenheiten von Sibelius' Stil, z. B. die haufigen Sext- 
verbindungen, bis zur Manier von manchem unter ihnen nachgebildet werden. 

Dies und die fast vergotternde Liebe seines Volkes zeigt, was Si- 
belius der finnischen Tonkunst bedeutet: Den Erwecker ihres national- 
finnischen Tons, ihren Fiihrer und Meister in unserer Zeit. Was kann er und 
damit die finnische Musik seit Wagner nun uns bedeuten? Heimat, Kunst 
und Begrenzung durch Rassenfremdheit, die die lebendige Mitempfindung 
durch den Affekt herabsetzt, stehen einer wirklichen Assimilierung und 
allgemeinen Verbreitung finnischer Musik bei uns noch weit hinderlicher 
im Wege, als es bei der iibrigen, rein germanisch-skandinavischen Musik 
der Fall ist. Das allgemein Menschliche und Kiinstlerische ist aber gerade 
bei Sibelius so groB, dafi wir uber das Begrenzende und Befremdende 
seiner Kunst hinuber zugleich auch einen guten Teil finnischer Musik 
wurdigen und nachfiihlen konnen. 

Gegeniiber der vielfach iiberkultivierten und dann der Natur gefahr- 
lich entfremdeten Grundnote jiingstdeutscher Kunst verteidigt mit der nord- 
germanischen auch die finnische das Panier der Naivitat, Natiirlichkeit, 
Einfachheit und des inneren Zusammenhanges mit dem Volk. Werke wie 
Sibelius' „Finlandia a oder B Gesang der Athener* konnte heute — man 
mufi das mit Trauer sagen — kein moderner deutscher Komponist mehr 
schreiben, da die Scheide zwischen Volks- und Kunstmusik bei uns 
schneidend scharf zwischen Uberkultur und Unkultur trennt. So haben 
wir, wollen wir auch in der Musik die Gesundung, die einfache Pflicht, 
uns auseinanderzusetzen mit des Nordens grofitem zeitgenossischen Kom- 
ponisten, mit Jean SibeliusI 



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PAGANINI IN PARIS UND LONDON 1 ) 

VON DR. JULIUS KAPP IN BERLIN 



A Is Paganini in Paris erschien, stand dort in alien Gebieten des 
L\^ kulturellen und sozialen Lebens das Barometer auf Sturm. Der 
*> JL Kampf der Romantik gegen die Gesetze und Fesseln der klassi- 
schen Richtung tobte in alien Zweigen der Kunst. Die Julirevolution 
hatte uberall die jungen Brausekopfe aufgereizt und ihrem kiihnen, in 
gottlicher Frechheit uber alle herkommlichen Schranken dahinsturmenden 
Wollen den Weg freigemacht. Alle Bande waren gesprengt, der ent- 
fesselten Phantasie gehdrte das Feld. Auf eine Kunstepoche, die in aka- 
demisch-klassischen Doktrinen zu erstarren drohte, folgte jetzt als Reaktion 
eine Zeit wildesten Uberschwalls, radikalster Neuerungssucht. Je toller, 
verbluffender, desto besserl Ehe sich aus diesem genieschwangeren Tasten 
und Suchen eine neue, in sichere Bahnen geleitete moderne Kunst heraus- 
schalen konnte, feierte sie eine ausgelassene Walpurgisnacht, vor der sich 
die Anhanger der alten Schule scheu bekreuzigten, der aber das groBe 
Publikum, dem dieser kraftvolle Friihjahrssturm ein wohliges Gruseln, 
eine nervenkitzelnde Spannung schuf, willig, wenn auch meist obne tieferes 
VerstSndnis, Gefolgschaft leistete. 

Es laflt sich daher leicht nachfuhlen, welche Sensation in dem in 
solcher Garung befindlichen Paris die Ankundigung einer Erscheinung wie 
der Paganini's hervorrufen mufite, von deren unerhorten, noch nie da- 
gewesenen Neuerungen man auch hier wahre Wunderdinge vernommen, 
die man langst mit fieberhafter Spannung herbeigewiinscht hatte. Endlich, 
nachdem die Zeitungen schon so hftufig das falsche Gerucht seiner Ankunft 
verbreitet hatten, traf er Ende Februar 1831 in der Seine-Stadt ein. Trotz 
dreifach erhohter Eintrittspreise vermochte der grofie Saal des Opernhauses 
die Zahl der Besucher an seinem ersten Konzertabend nicht zu fassen. 

„Es war eine gottliche, es war eine diabolische Begeisterung," berichtet Ludwig 
Boerne von diesem denkwurdigen Ereignis, „ich habe so etwas in meinem Leben 
nicht gesehen noch gehSrt. Dieses Volk ist verruckt, und man wird es unter ihm. 
Sie borchten auf, daft ihnen der Atem verging, und das notwendige Klopfen des Herzens 
storte sie und machte sie bose. Als er auf die Butane trat, noch ehe er spielte, wurde 
er zum Willkommen mit donnerndem Jubel empfangen. Und da mufite man diesen 
Todfeind aller Tanzkunst sehen, in der Verlegenheit seines Korpers! Er schwankte 
umher wie ein Betrunkener. Er gab seinen eigenen Beinen FuBtritte und stieQ sie 
vor sich hin. Die Arme schleuderte er bald himmelwSrts, bald zur Erde hinab; dann 
streckte er sie nach den Kulissen zu und flehte Himmel, Erde und Menschen um 
Hilfe an in seiner grofien Not. Dann blieb er wieder stehen mit ausgebreiteten Armen 



] ) Wir entnehmen dieses Kapitel mit Genehmigung des Verlages Schuster 
& Loeffler der soeben erschienenen Paganini-Biographie von Julius Kapp. Red. 



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208 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

und kreuzigte sich selbst. Er war der prachtigste Tolpel, den die Natur erfinden 
kann, er war zum Malen. Himmlisch hat er gespielt. In Frankfurt hatte er mir bei 
weitem nicht so gut gefallen; das machte die Umgebung." 

Unter der durch das Spiel des sagenumwobenen Italieners elektri- 
sierten tobenden Menge saB in einer Ecke des Saales still in sich gekehrt 
ein schmachtiger, zwanzigjahriger Jiingling. Nur die feurig unter einer 
wiisten Haarmahne hervorfunkelnden Augen liefien die gewaltige Erregung 
erkennen, die sein Inneres durchwiihlte und ihn am liebsten hatte auf- 
schreien lassen wie ein verwundetes Wild. Weltentriickt starrte er auf 
jenen seltsamen Mann da vor sich auf der Biihne, dessen Erscheinen ihm 
blitzartig den eigenen Zukunftsweg, nach dem er seit lange tastend in der 
Irre ging, erhellt hatte. Franz Liszt war es, in dem diese schicksals- 
schwere Stunde den Virtuosen der Zukunft, der einst sogar noch Paganini's 
Triumphe in den Schatten stellen sollte, gebar. Des Geigers fabelhaftes 
Konnen lieC ihn ahnen, welche Leistungsmoglichkeiten auch seinem In- 
strument noch innewohnen miiBten, und er, der sich schon die ganze 
klavierspielende Welt untertan gemacht, schwur sich einen heiligen Eid, 
nicht eher zu rasten, als bis er in seinem Kunstgebiet mindestens dem von 
Paganini Erreichten Ebenburtiges geleistet. Mit Feuereifer ging er ans 
Werk. Fiir jedermann unsichtbar saB er, der schon als Knabe keine tech- 
nischen Schwierigkeiten mehr gekannt, ganze Tage vor seinem Instrument 
und ubte. „Entweder ich werde narrisch oder der Kiinstler, den die Welt 
jetzt braucht," stand mit ehernen Lettern vor seinem geistigen Auge. 
Paganini's kurz zuvor veroffentlichte „24 Capricci* waren die Zauberfibel, 
an deren Geheimnissen er zum Zauberer reifen sollte. Bei dem Versuch, 
diese technischen Wunder auf dem Klavier nachzuahmen, erschlossen sich 
Liszt allmahlich immer neue Wege, aus denen er sich schlieBlich eine 
ganz eigene Technik des Klavierspiels gewann. So war der groBte Meister 
der Geige, ohne es zu ahnen, zum Anreger und Lehrmeister des gewaltig- 
sten Klaviertitanen geworden. 

Paganini gab in Paris hintereinander elf Konzerte, die ihm zusammen 
iiber 160000 Franken einbrachten. Wie einst in Wien und Berlin, so 
verbreitete sich jetzt auch iiber Paris diese neueste Krankheit, die akut 
und sehr heftig auftretende, unheimlich ansteckende „Paganinitis a , eine 
Epidemie, deren Verlauf gliicklicherweise in den meisten Fallen ungeffihr- 
lich blieb und mit Entfernung des Bazillentragers sofort erlosch. Weniger 
angenehm waren ihrem Erreger die Begleiterscheinungen, die sich, wie 
bisher iiberall, so auch in Paris einstellten, und zwar hier in einem so 
heftigen Grade, dafi Paganini es fiir gut befand, dagegen Front zu machen. 
Er tat dies in einem offenen Brief an den Herausgeber der Revue musicale, 
Professor F6tis: 

„Das franzosische Publikum hat mich mit soviel Beweisen seiner Bewunderung 
und mit solchen Beifallsturmen uberschuttet, daB ich wohl oder iibel glauben muB, 



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KAPP: PAGANINI IN PARIS UND LONDON 209 

dafi ich in meinen Konzerten nicht allzuviel hinter dem glanzvollen Ruf, der, wie man 
sagt, mir nacb Paris vorausgeeilt war, zurfickgeblieben bin. Hegte ich daran noch 
Zweifel, so wurden sie zerstreut durch die Emsigkeit, mit der die Kfinstler meine 
Gestalt wiederzugeben sich bemfihen, durch die Unzahl von guten und schlechten 
Paganini-Portrats, die Paris fiberschwemmen. Doch diese Geschaftsspekulation be- 
gnfigte sicb nicbt bei Portrats. Als ich gestern den Boulevard des Italiens entlang 
ging, sah ich in eincm Schaufenster eine Lithographie: ,Paganini im GefSngnis*. 
Gut, sagte ich mir, das sind halt die Dunkelmanner, die eine Veriaumdung, von der 
ich seit funfzehn Jahren verfolgt werde, geschickt zu ihrem Vorteil auszunfitzen suchen 
Doch ich ging lachelnd heran, um mir die Einzelheiten, mit denen die Phantasie des 
Zeichners diese Mystifikation ausgestattet, zu betrachten. Da sah ich mich plotzlich 
von einer grofien Menschenmenge umringt, die meine Gestalt mit der jenes Jfinglings, 
der auf der Lithographie wiedergegeben war, verglich und konstatierte, dafi ich mich 
seit der Zeit meiner Gefangenschaft stark ver&ndert habe. Da merkte ich erst, daft 
diese Tolpel die Sache fur ernst nahmen, und daO die Spekulation mit dem Bild 
keine schlechte war. Die Herren Zeichner stellen mich als Gefangenen dar, doch 
was mich ins Geftngnis gebracht hat, wissen sie wohl ebensowenig, wie ich selbst 
und die Erfinder dieser Anekdote. Hierffir gibt es mehrere Fassungen, die alle als 
Vorlage fur ein Bild dienen konnten! Z. B. erzahlt man sich, dafi ich einen Neben- 
buhler bei meiner Geliebten ertappt und ihn tapfer von hinten, als er sich nicht zur 
Wehr setzen konnte, niedergestochen habe. Andere wieder behaupten, daft ich meine 
wutende Eifersucht an der Geliebten selbst gekuhlt hatte, doch fiber die Art und 
Weise, wie ich ihrem Leben ein Ende gemacht, ist man sich nicht ganz einig. Die 
einen lassen mich zum Dolch greifen, die anderen sie langsam mit Gift zu Tode 
martern. Kurz, jeder lafit da seine eigene Phantasie spielen; die Lithographen kSnnten 
es ja ebenso machen! Ich selbst erlebte vor ungefShr 15 Jahren in Padua folgendes: 
Am Tage nach einem erfolgreichen Konzert setzte ich mich, ohne dafi man mein Ein- 
treten bemerkt hatte, an die table d'hote. Einer der Gaste schwSrmte in schmeichel- 
baften Worten vom Eindruck des vergangenen Abends. Sein Nachbar stimmte ihm 
begeistert bei, fugte aber hinzu: ,An der Geschicklichkeit Paganinis ist schliefilich 
nichts Verwunderliches, er verdankt sie seinem achtjahrigen Aufenthalt im Kerker, 
wahrend dessen er eben nichts anderes hatte als seine Geige. Er war zu dieser 
langen Bufie verurteilt worden, weil er feige einen meiner Freunde, der sein Neben- 
bubler war, niedergestochen hatte/ Alles bezeugte seinen Abscheu fiber das Ver- 
brechen. Da wandte ich mich an denjenigen, der meine Lebensgeschichte so genau 
zu kennen schien, mit der Bitte, mir zu sagen, wo und wann dieses Abenteuer sich 
abgespielt habe. Aller Augen waren auf mich gerichtet, und das Erstaunen war un- 
beschreiblicb, als man in mir die Hauptperson dieser tragischen Geschichte erkannte. 
Der Erzahler geriet in arge Verlegenheit. Jetzt war es schon nicht mehr sein Freund, 
der urns Leben gekommen war; er hatte sagen horen . . . man hatte ihm bestatigt 
. . . er hatte geglaubt . . . aber es ware moglich, dafi ein Irrtum vorliege usw. — 
So spielt man mit dem guten Namen eines Kfinstlers, weil die Alltagsmenschen in 
ihrer Faulheit es nicht fassen konnen, dafi er als freier Mann ebenso fleifiig geubt 
haben konne, wie hinter Schlofi und Riegel. In Wien stellte ein noch lacherlicheres 
Gerucht die Leichtgiaubigkeit der Enthusiasten auf die Probe. Ich hatte dort meine 
Variationen Le Streghe (Die Hexen) mit grofiem Effekt gespielt. Ein Herr mit blassem 
Teint, melancholischem, steltsamem Wesen versicherte, an meinem Spiel durchaus 
nichts Erstaunliches gefunden zu haben: denn er habe deutlich wahrend der Hexen- 
variationen den Teufel neben mir stehen und mir die Hand und den Bogen ffihren 
sehen. Seine verblfiffende Ahnlichkeit mit meinen eigenen Gesichtszugen verrate 

XIII. 4. 14 



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210 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

deutlich meine Herkunft; er war rot gekleidet, hatte Horner auf der Stirn und einen 
Schwanz zwischen den Beinen. Es ist klar, daO nach einer so genauen Beschreibung 
die Wahrheit des Gehorten aufler Zweifel stand, und dafi nunmehr viele Leute uber- 
zeugt waren, hinter das Geheimnis meiner yBravourleistungen* gekommen zu sein. 
Lange Zeit beunruhigten mien derartige Geruchte, und ich bemubte micb, sie als 
Unsinn zu entlarven. Ich wies darauf hin, daft ich seit meinem vierzebnten Jahr 
ununterbrochen offentlich in Konzerten mich zeige, dafi ich sechzehn Jahre lang als 
Kapellmeister am Hofe zu Lucca angestellt war, und daQ im Falle der Richtigkeit 
meine achtjahrige Gefangenschaft wegen Totung meiner Geliebten Oder meines Neben- 
buhlers sofort hatte bekannt werden mussen, oder ich bereits mit sieben Jahren eine 
Geliebte gehabt haben mufite. Ich rief in Wien das Zeugnis des italienischen Bot- 
schafters an, der erklSrte, mich seit ungefahr zwanzig Jahren als Ehrenmann zu 
kennen, und brachte dadurch das Gerucbt vorubergehend zum Schweigen. Doch es 
bleibt bei solchen Dingen immer etwas haften, und ich war daher nicht erstaunt, ihm 
hier wieder zu begegnen. Was ist da nun zu tun? Ich sehe keinen anderen Weg, 
als es geduldig uber mich ergehen zu lassen, daQ die Bdswilligkeit der Menschen sich 
auf meine Kosten gutlich tut. Ich halte es jedoch fur meine Pflicht, zum Schlufi noch 
auf ein Ereignis hinzuweisen, das den uber mich umlaufenden beleidigenden Geruchten 
Nahrung geboten hat. Ein Violinist, namens Duranowski, lieB sich 1798 in Mailand 
von zwei ublen Kumpanen verleiten, eines Nachts auf einen reichen Priester einen 
Mordanschlag auszufuhren. Zum Gluck sank einem der Schuldigen kurz vor der Tat 
der Mut und er denunzierte seine Helfershelfer. Die Polizei lauerte Duranowski und 
seinem Komplizen am Tatorte auf und verhaftete sie. Sie wurden zu 20 Jahren 
schweren Kerkers verurteilt, aber der General Menou gab, nachdem er Gouverneur 
von Mailand geworden, nach zwei Jahren dem Kunstler die Freiheit zuruck. Auf 
dieser Grundlage, es ist kaum zu glauben, hat man die Geschichte uber mich erfunden. 
Es handelte sich um einen Geiger, dessen Namen auf i endete, also war es Paganini. 
Da man sich uber jede Wahrscheinlichkeitsmoglichkeit glatt hinwegsetzt, so bleibt mir 
nichts anderes ubrig, als nachzugeben. Es bleibt mir nur die eine Hoffnung, daQ 
nach meinem Tode die Verleumdung ihr Opfer freilassen wird und daQ die, die sich 
so grausam wegen meiner Triumphe an mir gericht, wenigstens meine Asche in Frieden 
lassen werden." 

Dieser Appell an die Offentlichkeit, der, soweit er sich auf Tatsachen 
zu stutzen sucht, durchaus unrichtige Angaben enthalt, verhallte ungehort, 
und auch Paganini's letzte Hoffnung, daQ nach seinem Tode all diese Ge- 
ruchte verstummen wurden, sollte nicht in Erfiillung gehen. Zu all dem 
Gerede, das den Kunstler reichlich argerte, gesellte sich unerwartet noch 
ein Vorfall, der in Paris boses Blut machte und die durch Paganini's Ver- 
teidigungsbrief etwas herausgeforderte dffentliche Meinung gegen ihn heftig 
anschwellen lieC. Man hatte ihn aufgefordert, bei einem im Opernhaus 
veranstalteten Wohltatigkeitsballfest mitzuwirken, und er hatte dies als 
seiner unwiirdig abgelehnt. Er wurde daher in den Zeitungen heftig an- 
gegriffen und des Geizes und kaltherzigen Egoismus beschuldigt. Paganini 
suchte zwar sofort durch eine dffentliche Erklarung den Entrustungssturra 
zu bannen: 

„Einige Zeitungen verkunden," lautet seine Zuschrift an die Revue musicalc, 
w daQ ich mich geweigert habe, bei einem von der Nationalgarde fur den 11. April im 



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KAPP: PAGANINI IN PARIS UND LONDON 211 

Opernhaus vorbereiteten Ballfest zu Gunsten der Armen zu spielen. Ohne mich hier 
in Erorterungen einzulassen, inwieweit es fur einen Kunstler angftngig oder uberhaupt 
moglich ware, sich mit oder ohne Orchester an einer derartigen Veranstaltung zu 
beteiligen, beschranke ich mich auf folgende Darlegungen, als einzige Antwort auf 
die gegen mich gerichteten Beschuldigungen. Der Saal des Opernhauses stand mir 
fur kommenden Sonntag zur Verfugung fur eines meiner Konzerte, und ich habe 
keinen Augenblick gezSgert, ihn fur die Vorbereitungen des Balls der Nationalgarde 
am folgenden Tag freizugeben; dieser Verzicht bedeutet fur mich ein Opfer oder 
wenigstens den Aufschub einer Einnahme von 15 bis 20000 Frcs. Ich fuge noch hinzu, 
da (J ich es in Wien, Berlin und alien Stadten, in denen ich langer verweilte, fur meine 
Pflicht hielt, fur die Armen zu spielen, und dafi ich sicher gerade in Paris, wo man 
mich mit solchem Wohlwollen tiberhaufte, hiervon keine Ausnahme machen werde. 
Ich bitte Sie daher, moglichst bald bekannt zu geben, dafi der Ertrag einer meiner 
nacbsten Soir6en in der Oper in vollem Umfang fur die Armen der Stadt bereit- 
gestellt wird. a 

Dieses so angekiindigte Wohltatigkeitskonzert fand auch wenige Tage 
spfiter statt, d. h. Paganini stellte die Einnahme seines nachsten Konzertes, 
die iibrigens die schlechteste von alien seinen Pariser Konzerten war, am 
Tag danach wohltatigen Stiftungen zur Verfugung. Der Aufenthalt in Paris 
war ihm durch all diese Streitigkeiten ziemlich verleidet, er brach ihn 
daher, fruher als ursprunglich geplant, ab, um noch den SchluC der 
Saison in London fur sich ausnutzen zu konnen. Vor der Abreise richtete 
er an den Dirigenten seiner Pariser Konzerte, Kapellmeister Habeneck, ein 
schmeichelhaftes Dankschreiben. 

„Ich will Paris nicht verlassen," heiflt es darin, „ohne Ihnen meinen Dank 
auszusprechen fur die Muhe, die Sie auf die Leitung meiner Konzerte verwandten 
und Ihr groQes Talent, das mit zu meinen Erfolgen beitrug. Man hatte mir das 
Orchester der Pariser Oper sehr geruhmt, aber Sie und ihre trefflichen Leute haben 
meine Erwartungen weit ubertroffen. Erst in Paris fand ich das erste Orchester 
Europas, das mir meine Musik so zu Cehor brachte, wie ich sie mir gedacht, und 
das mich vollendet begleiten konnte." 

Der Aufenthalt in London begann mit einem herben MiDklang. Der 
Direktor der Italienischen Oper, ein gewisser Laporte, figurierte als 
Paganini's Manager; er hatte aber im Vertrauen auf die Neugier und 
Reklamesucht seiner Landsleute den Bogen zu straff gespannt und fur 
das erste Konzert des italienischen Weltwunders auf englischem Boden 
so unerhorte Preise angekiindigt (sie schwankten zwischen 262 Frcs. fur 
eine Loge und 12,50 Frcs. fur den billigsten Einzelplatz!), daC sich in der 
Presse ein Entriistungssturm erhob und das Publikum die Gefolgschaft 
verweigerte. Paganini sagte daher ,gesundheitshalber tt einen Tag vor dem 
festgesetzten Termin das Konzert ab und kiindigte fiir wenige Tage spater 
ein neues Konzert zu normalen Preisen an. In einem Rundschreiben an 
die Presse suchte er den iiblen Eindruck seines verungliickten Debuts 
zu verwischen und als Mifiverstandnis hinzustellen: 

„Die knappe Zeit, die mir vor dem angekundigten Konzert im Kings Theatre 
zur Verfugung stand, erlaubte mir nicht, mich um die Organisation selbst zu kummern. 

14* 



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I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



L 



212 DIE MUSIK XIIL 4: Z NOV EMBER HEFT 1912 

In alien Slid ten, la denen Ich bfsher koazertierte, warden die Eintrftteprelse w 
doppelL Vie mm mif nun sigte, sind die Frefee der PUtze bier in itch weit hdfaer 
ilk inderwirts, and dirin litgt der Grand, diB roeia Maasger, der wte tout bei mir 
fiblich verftibr, dte Preise in hit licherliche Htiben talniuftcbraubte. Ich unterwerfe 
mlch nit&rlteb den Gewobnbeiten, die In der englfecbea Metropole ftblich slhd, and 
boffc mir die Acbtang des Pablikums, dessen Protection mir der htichsfe Gewinn 
lit, in erringen** 

Weniger nachgiebig zelgte sich der KOostler dem englischen Hof 
gegenuber* Er forderte far wine Mitwirkung in einem Hofkonzert 100 Pftind, 
and als men ihm die HUfte bot» antwortete er, Seine M*jc*t*t k5nne ibn 
noch vie] billiger hdren, weon si© seine Konzerte Im Theater besuche, 
aber feilschen Uefle er nictat mit sich. Die englische Press© blieb nacfa 
wle vor ibm wenlg gfinstig gesinnt und brandmarkte bei jeder Gelegenheit 
das Ausplunderungssystem, das dieser geizige Auallnder in England betreibe. 
Das Publikum liefi sich aber dadurch nicht beirren and drlngte sich in 
hellen Scharen zu seinen Konzerten. An ffinhehn Abenden liefi sich 
Paganini in London bSren und erzielte dabei eine Einnahme von rnnd 
260000 Francs I Hierzu kamen noch zuvor unerhBrte Betrlge, die ihm 
in hocharlstokratischcn Kreisen ffir Soireen geboten warden and ffir Privet* 
stunden, dte er vornehmen Ladies erteilte, die daranf brannten, dlesen 
HSllensobn einmal sub nlcbster Nflhe zu sehen und sich rubmen za 
kdnnen, seinen Unterticht genossen zu haben: ein Scherz, den aich der 
Kfinstler mit 1000 Mark fQr die Stunde bezahlen HeBI 

Als die Konzerteinnahmcn in London nacbzuUssen begannen, folgte 
aaf dns letzte, allerletzte, unwiderruflich letzte, das wirklich letzte Konzeit, 
and Paganini trat eine Reise durch die Provinz an, anr der er alle grdfieren 
und mittleren Sttdte der drei Kdnigreiche helmsuchte. Ffir die Tournec 
hatte er sich einem spekulativen englischen Impresario gverkauft", wie 
die Zeitnngen verlchtlich berichteten, d. ta, er erhielt eine bestimmte hate 
Monatseinnahine, wogegen er verpflichtet war, iiberall anfzutreten, wo aein 
Impresario, der allein das Risiko and den Gewinn an alien Veranataltungpn 
tnift Konzerte arrangierte. Paganini wurde damit der Begrunder eines 
Systems, das spftter von vielen Kunstlern, die der gescbSftlichen und 
orgnnisatorischen Schwierigkeiten ibres Berub ledig sein wollten, nach- 
geahmt wurde. Damals war es noch etwas Unerhfirtes, and dlese m Er~ 
niedrigang zum wiUenlosen Werkzeug eines Geschftftsmannes* wurde 
dem KQnstler als schmachvoll angereebnet, Auch aur dlese Fahrt durch 
das englische Land folgte ibm der Groll der Presae Bach. So versah eine 
Zeitung in Bristol die Anzeige seiner Konzerte mit folgender Rand- 
bemerkung: .Mitbfirger, mit dem Geffihl tiefeten Abscheus kfindlge ich 
die bevorstebenden Konzerte Paganioi's in uaserer Stadt an. Was sollen 
diese in den gegenwirtigen Zeiten des Uoglucks und der Not? Obendl 
werden Sammlungen fBr die Annen veranstaltet, wozu kommt aber dieter 



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KAPP: PAGANINI IN PARIS UND LONDON 213 

frerade Geiger? Er will das den Elenden bestimmte Geld entfiihren. 
LaDt Euch durch die ,musikalischen Ungeheuerlichkeiten 4 dieses Fremden 
nicht behexen, der nur die Naivitat John Bulls ausbeuten will." Doch 
das Publikum folgte iiberall willig seinem Ruf, und reich beladen mit dem 
Golde Albions kehrte Paganini nach nennmonatlichem Verweilen auf eng- 
lischem Boden und Absolvierung von insgesamt 132 Konzerten nach 
Paris zuruck. 

Hier hatte indes ein anderer, noch unheimlicherer Spielmann zum 
Tanz aufgespielt, dessen Weisen die Massen noch unwiderstehlicher nieder- 
zwang, als der Zauberbogen des Genuesen: der Tod wfitete mit Hilfe eines 
furchtbaren Genossen, der Cholera, in den Mauern der Stadt und raffte 
ein bliihendes Menschenleben nach dem anderen dahin. Paganini schreckte 
selbst vor dem Wettstreit mit diesem furchtbaren Nebenbuhler nicht zuruck. 
Neunmal lud er die Pariser wahrend dieser entsetzlichen Wochen der 
Trauer und Todesangst zu Konzerten in die GroCe Oper, und wenn die 
Einnahmen auch nur ein Viertel der Hohe des Vorjahres erreichten, so 
konnte er doch mit seinem Publikum zufrieden sein. Das zweite dieser 
Konzerte hatte den grofiten Zulauf: es fand zugunsten der Cholera- 
kranken statt. 

Ungefahrdet von der todbringenden Seuche verlieC Paganini nach 
drei Monaten wieder die Seinestadt, um, wie im Vorjahr, wahrend der Sommer- 
monate in England frischen Lorbeer zu erringen. Wenn er auch diesmal 
wieder rait Begeisterung aufgenommen wurde, so drangte sich die Menge 
doch nicht annahernd so gierig zu seinen Konzerten wie fruher, und der 
Ertrag der diesmaligen zwolf Londoner Soir6en war nur ein Viertel des 
vorjahrigen. Nach einer kiirzeren Tour durch Siidengland kehrte der 
Kiinstler im Herbst wieder nach Paris zuruck, wo er, abgesehen von einem 
Abstecher nach Rouen und Le Havre, den Winter verbrachte, ohne wesent- 
lich hervorzutreten. Erst im Friihjahr 1833 begann er wieder einen 
Zyklus von Konzerten in der GroCen Oper. Sehr verubelt wurde ihm 
seine Weigerung, an einer zugunsten der englischen Schauspielerin Hen- 
riette Smithson veranstalteten Matinee mitzuwirken. Diese wenige Jahre 
zuvor in Paris iiberschwenglich gefeierte Kunstlerin, jetzt Braut Hector 
Berlioz', hatte mit ihrem englischen Theater falliert und war in Not ge- 
raten. Alle bekannteren Pariser Kiinstler, so Chopin, Liszt, Hiller, kamen 
bereitwillig der bedrangten Kollegin zu Hilfe und beteiligten sich an einem 
von Berlioz veranstalteten Benefizkonzert. Nur Paganini schlofi sich aus. 
Er wurde deshalb heftig angegriffen. 

„Paganini hat eine Contribution von sieben- oder achtmalhunderttausend Francs 
in England einzutreiben geruht," schreibt bissig TEurope litt€raire, „der Zauber seines 
Bogens ist mSchtiger als das Szepter vieler Herrscher . . . MiQ Smithson bittet von 
inrem Schmerzenslager aus Herrn Paganini, ein kleines Stuckchen um ihretwillen zu 



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214 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

spielen . . . Herr Paganini lehnt ab! Primo mihi (Erst komme ich), diese Devise 
des Egoismus kann zuweilen gerechtfertigt sein, doch in diesem Fall gewiB nicbt. Es 
scheint aber, daQ Herr Paganini den unabSnderlichen EntschluS gefafit hat, gar nie zu 
dem Nacbsatz eras tibi (Dann kommst du) weiter zu schreiten. a 

Im Mai begab sich Paganini zum drittenmal nach England und kehrte 
nach einer leidlich erfolgreichen, aber anstrengenden Konzertsaison im 
Herbst wieder nach Paris zuriick, um den in diesem Jahre wieder heftiger 
auftretenden korperlichen Leiden durch Ruhe und sorgsame Pflege wirk- 
samer entgegenarbeiten zu konnen. Nachdem sich sein Befinden langsam 
gebessert hatte, trat er Ende Februar 1834, ohne den Winter iiber in Paris 
im Konzertsaal aufgetreten zu sein, eine Rundreise durch Belgien an. Doch 
diese endete mit einem eklatanten MiBerfolg. Nachdem er schon infolge der 
Hetze der katholischen Presse, die das Volk vor den Hexenkiinsten dieses 
„Verdammten a warnte und sich im Anschlufi an die Pariser Ereignisse 
fiber seinen Geiz in hafilichster Weise erging, in den meisten Stadtcn vor 
leerem Saal gespielt hatte, wurde er in Briissel bei seinem Erscheinen 
im Th6atre de la Monnaie ausgelacht, mit Kosenamen wie „Schwarzes 
Skelett" u. a. begriiOt, und auch sein Spiel vermochte die boshafte Heiter- 
keit der Horer nicht zu beschwichtigen. Paganini zog es daher vor, so 
schnell wie moglich dieses ungastliche Land zu verlassen, und begab sich 
von neuem nach England. Doch auch hier blieb der Erfolg diesmal in 
bescheidenen Grenzen. Eine solche, immerhin einseitige Ausnahme- 
erscheinung wie er, muBte eben bei allzu haufiger Wiederkehr ein gut Teil 
ihres geheimnisvollen Reizes einbiiBen. Der mystische Schleier schwand 
allmfihlich, was an dieser seltsamen Erscheinung die ersten Male frappiert 
und eben durch das Fremdartige hingerissen hatte, verlor auf durch 
Wiederholung abgestumpfte Sinne immer mehr an Einwirkung, der Rausch 
verflog und es blieb — nicht am wenigsten dank der hamisch zersetzenden 
Zeitungsangriffe — eine Art Katzenjammer zuriick. Man schamte sich 
gewissermaBen seiner ersten ubertriebenen Huldigungen und lieB den 
Kiinstler das jetzt entgelten. 

Zu allem UberfluB endete diesmal die englische Reise noch mit einem 
groBen offentlichen Skandal. Kaum war Paganini auf der Riickreise in 
Boulogne-sur-mer eingetroffen, als die franzosischen Zeitungen spaltenlange 
Berichte fiber eine geheimnisvolle Entffihrung einer Sechzehnjahrigen durch 
ihn aus London brachten. Sein Londoner Impresario, ein Mr. Watson, be- 
schuldigte ihn, seine Tochter, der er die Ehe versprochen und die er mit 
kostbaren Geschenken verblendet habe, zur Flucht aus England bet5rt zu 
haben. Er war den Flfichtigen nachgeeilt und hatte durch die Behorden 
in Boulogne die Auslieferung seiner Tochter erzwungen. 

„Was Paganini betrifft," fugten die Zeitungen boshaft hinzu, „so soil er durch 
diese EnttSuscbung nicbt sonderlich erschuttert worden sein: die SchSpfungen seines 
Genies, diese himmlischen Geliebten, die er mit einem einzigen Strich seines Zauber- 



rv . , f Y\£\oLr- Original from 

I i:u j,u:j :r, v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KAPP: PAGANINI IN PARIS UND LONDON 215 

bogens urn sich crwecken kann, durften ihn leicht trosten uber den Verlust einer 
gewohnlichen Sterblichen . . . a 

Paganini verteidigte sich in einem langen w Offenen Brief, stellte 
den Mr. Watson als ein ganzlich verkommenes Subjekt dar, der schon 
mehrfach im Gefangnis gesessen, seine Frau ins Elend gestofien habe, mit 
einer Maitresse schlimmster Sorte lebe und seine Kinder bis aufs Blut 
peinige und ausniitze. Die Tochter habe er zur Konzertspielerin ausbilden 
wollen, da sie sehr talentiert sei, der Vater habe dies aber aus Eigennutz 
abgelehnt. 

B Um sich den MiBhandlungen zu entzieben," fahrt Paganini fort, „floh sie aus 
dem Hause ihres Vaters und kam, eingedenk meines Anerbietens, aus eigenem 
Antrieb zu mir und bat um meinen Schutz und Hilfe. Ich habe also Mift Watson 
keineswegs entfubrt, wie der Betruger von Vater mich zu beschuldigen wagte. Wenn 
ich diese verwerfliche Absicht gehegt hfitte, so ware nichts leichter als das gewesen, 
denn wihrend Watson im Gefangnis saB, aus dem ihn meine Freigebigkeit ausloste, 
war seine Tochter frei und allein, da seine Geliebte jede Nacht das Haus verlieB, um 
den Gefangenen zu erfreuen. Doch, ich gestehe es kuhn, Mifi Watson war uber- 
zeugt, daQ sie in mir den Beschutzer finden wurde, den sie brauchte, und den Bei- 
stand, den ihr ihr Erzeuger versagte . . . Ich folgte also einer selbstlosen und 
edelwollenden Regung, die an Stelle des Tadels und einer niedertrdchtigen Beschul- 
digung das Lob eines jeden anstHndigen Menschen, der fahig ist, eine gute Tat zu 
wurdigen, verdiente. Fur diejenigen, die in meiner Handlung eine Ausschweifung und 
schSndliche Regungen erkennen wollen, habe ich nur mitleidige Veracbtung iibrig." 

Auf diesen stolzen Rechtfertigungsversuch des Kiinstlers erwiderte 
die Presse, zwar verbliimt aber doch deutlich genug, dafi sie den Beteue- 
rungen des beruhmten Paganini, „dessen Lob als Kiinstler sie so oft ge- 
sungen, dessen Charaktereigenschaften aber ihn als Menschen schon so 
haufig kompromittiert hatten", keinen Glauben schenke. Auch eine noch- 
malige Entgegnung auf diese beleidigende Beschuldigung vermochte die 
offentliche Meinung nicht zugunsten des Kiinstlers umzustimmen. 

Kaum war Paganini nach diesem peinlichen Vorfall in Paris einge- 
troffen, so eroffnete der allmachtige Kritiker des ^Journal des D6bats*, 
Jules Janin, gestutzt auf die Paganini ungunstige Stimmung des Publi- 
kums, einen heftigen Federkrieg gegen ihn. 

w Wie empfing man zuerst dieses groteske Etwas, diesen lebenden Leichnam 
Paganini bei uns! Man hStte die Mauern von Paris gesturmt, wenn die Tore nicht 
weit genug gewesen wfiren! . . . Um ihn zu horen, uberwand man sogar die Furcht 
vor der Cholera. Und heute? Jetzt ist er fur uns tot! Als Kiinstler ist er tot! Der 
Geizhals hat den Kunstler in ihm getStet. An jenem Tag, an dem Paganini, gold- 
beladen aus London zuruckgekehrt, sich weigerte, in dem Beneflz fur einige arme 
engliscbe Schauspieler [Harriett Smithson], deren letzte Hilfsquellen erschopft waren, 
zu spielen, verlor er bei uns jeden Kredit. Er kann reisen in Frankreich wohin er 
will, seine Geige wird uberall in ihrem Kasten bleiben mussen, zu unnutzem 
Scbweigen verdammt!" 

Indem er ihm die traurigen Erfahrungen in Belgien und London vor 
Augen stellt, weist er ihm in letzter Stunde noch einen Weg zurRettung: 



rv . , f Y\£\oLr- Original from 

I i:u j,u:j :r, v 1 1 n ) , I i ^ UNIVERSITY OF MICHIGAN 



216 DIE MUSIK X1IL 4: Z. NOVEMBER HEFT 1913 

Paganiai gebe ein gro&es Konzert zngunaten der tiberachwemmten von 
Saint-Etienne nod tiles soil vergessen sein. Die Presse wlrd ihm das 
Publiknm wieder zuHibren. Da Paganlni dicker Anfforderung nicht nacb- 
kam, so ernenerte J aula seine Angriffe in Terschftrfter Form in einem 
secbsspaltigen FeuiUeton: » Paganlni and die Oberschwemmten von Saint- 
Ettenae,* Paganlni erkannte, daS die Situation ffir ihn verloren war* 
Weitere Konzertreisen verspracben Kir die nKcbste Zeit doch nur geringen 
Ertrag, und da ihm der Aufentbalt in Frankreich wle England durcb die 
Vorttile der letzten Zeit begref Hicherweiae arg verleldet war, nberdlea seine 
Gesundheit nach den Anstrengungen nod Aufrogungen der unnmerbrochenen 
Virtuosenhhrten dringend einer Mngeren Erhotungszeit bednrfte, so zog er 
es vor, alien Wciterungen aus dem Wege zu gchen. In eioem kurzen 
Brief an die .Dfibata* erklirte er, er sei krank and kSnne, nachdem er 
schon Beit drai Monaten in Frankreich nicht mehr konzertiert babe, aucta 
jetzt nicht spielen; er begebe sich nach dem Suden, Mifimutlg und ver- 
folgt von dem Hohn der Gegner verlieB er Paris, in das er vor drel 
Jahren ala Triumphator eingezogen, and kebrte nach einer Abweeenbeit 
von fiber aecha Jahren, wihrend deren er die Huldignngen von hatb 
Europft cmpfangen und unerhdrte Reichtfimer gewonnen hatte, in sein 
Heimatland zurBck. 



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" " ::j ' ^°°N K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



DIE HAUPTKADENZ IM WANDEL DER ZEITEN 

EIN BEITRAG ZUR HARMONIELEHRE 
VON MARTIN FREY IN HALLE A. S. 



A uch die Kadenzen haben ihre Schicksale. Eine sehr bewegte Ver- 

/ \ gangenheit hat z. B. die wichtigste aller Kadenzen, die Hauptkadenz 

A> L SDT, hinter sich. Noch vor wenigen Jahrzehnten erschien sie 

in alien Lehrbiichern in einer triigerischen Gestalt, und zwar als 

2 
T S T D T. Sie wiirde vielleicht auch heute noch ihr Scheinleben weiter- 

fuhren, hatte nicht Prof. Dr. Hugo Riemann, der geniale Pfadfinder in dem 

Reiche der Harmonieen, einen Akkord daraus als Betruger entlarvt. Es 

handelt sich urn den sogenannten „dominierenden Quartsext-Akkord", der 

sich friiher in den Theoriebiichern eines groBen Ansehens und gewisser 

Vorrechte erfreute, die ihm nun mit einem Male genommen sind. War es 

dem Quartsext-Akkorde sonst nur erlaubt, auf leichten Taktzeiten, und auch 

hier nur auf leisen Sohlen, d. h. mit Sekundschritten, im Basse aufzutreten 

und ebenso unauffallig zu verschwinden, so durfte er dort ausnahmsweise 

in der Hauptkadenz mit einem Sprunge auf der Bildflache erscheinen. 

Aber es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen! 

Eines Tages, da kam der Doktor Eisenbart — pardon Dr. Riemann — und 

kurierte den Quartsext-Akkord nach seiner Art von seinem tonikalen Wahne. 

Er durchleuchtete ihn mit den X-Strahlen seines Forschergeistes und machte 

eine ebenso interessante als uberraschende Entdeckung. Und was stellte 

sich heraus, als dem musikalischen Schwindler die gut gewahlte Maske 

vom Gesicht gerissen wurde? Vor uns steht nun eine durch zwei Vor- 

halte unkenntlich gemachte Dominante. Der Quarten- und Sextenvorhalt 

hatten die Harmonie als zweite Umkehrung der Tonika erscheinen lassen. 

Also die reinste Vorspiegelung falscher Tatsachen! Fragen wir uns nun, 

was wir durch diese Erkenntnis gewonnen haben, so konnen wir antworten, 

daC die Einheitlichkeit der Hauptkadenz T S D T dadurch gestarkt worden 

ist, indem eine Durchbrechung der Regel durch eine sich zwischen Sub- 

dominante und Dominante einschiebende Tonika wegf&llt. 

Leuchtet die Riemannsche Erkenntnis jedem harmonisch Denkenden 

ohne weiteres ein — ein Beweis dafur ist die Ubernahme dieses Satzes 

in die Lehrbiicher verschiedenster Richtung — , so hat es doch seine 

Schwierigkeit, den jungen Schiiler von der Richtigkeit dieser Behauptung 

zu uberzeugen. Der Anfanger in der Theorie halt sich eben an das, was 

vor Augen ist, und ist nicht ohne weiteres geneigt, die neue Auslegung 

des dominierenden Quartsext-Akkordes der ersten Stufe als verkappter 

Dominante willig hinzunebmen. Die Erklarungen der mir zur Hand stehenden 



n ,, ( Y\£\oLr Original from 

I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



218 DIB MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

Lehrbikher sind nun lelder nicht so fiberzeugender Natur, daft man tinea 
Anflnger in derTheorie sofort fflr die neue Aufrassung gpwinnen kSnnte. 
Einen schlagenden Bewels durfte man aber als Lehrer zur Hand baben, 
venn man die Kadenz S D T im Wandel der Zeiten an lebendigen Bel- 
spielen vorfiihrt, an denen heate kein Mangel mehr 1st. Ich darf wohl 
annebmen, dafi jeder seiner Aufgabe vollbewufite Lebrer seinen Noten- 
bestand nicht nor bis zu dem leuchtenden Dreigestirn am Wiener Musik- 
bimmel, Haydn, Mozart vnd Beethoven, vollstlndig beisammen hat, sondern 
aufier Bach, Hindel, Domenico Scarlatti noch einige Koatproben von Samuel 
Scheldt, Job. Hermun Scheie, Frobetger, Farina, Faach und anderen 
iiteren Meistera beaitzt. 

Dann 1st es aber ein Ielchtes, dem Scbfiler ana der Literatur nach- 
zuveiaen, dafi im 15. und 16. Jahrbnndert der .dominlertnde Quartsext- 
Akkord* eigentllcb gar nicbt vorkommt, dagegen die Dominant ein der Haupt- 
kadenz S D T mit zwel Harmoniet6nen, und zwar mlt der Prim nnd Quint 
vertreten 1st und an Stelle der Terz der Quartenvorhalt auftritt. In den 
Werken ana Jeaer Epocbe kommt die Kadenz In dieser Geitalt ao oft vor, 
dafi ale Mr jene Zeit direkt typisch genannt werden mult. So bringt z. B. 
Heinricb laaak (ca. 1440 — 1514) — slefae Hugo Rlemanns *Musik- 
geschichte In Beisplelen*, Verlag: Seemann — in seiner .Sinfania La Morra* 
in 48 Takten siebenmal die Dominanthannonle in der Kadenz mit dem 
Quartenvorhalt (D|^) und nicht ein elnzigea Mai den Akkord Dj (den 
Quartsext- Akkord nacb der alten Auffaasung)* Heinricb Fink scbreibt in 
seinem 1536 gedmckten vierstimmigen deutschen Liede ,Auf gut Gelfick 
wag 1 ich's dahin" in 20 Takten f fin final Dtl nnd Ludwig Senfl (1492 
bis 1555) wendet den Akkord in der gezeigten Form in seinem Liede 
v Es jagt ein jager geachwinde doit oben vor dem Holz* in 44 Takten 
sechsmal an. In keinem der drei Werke 1st der Doppelvorbalt der 
Quarto nnd Sexte zu Bnden. Bei J, J. Froberger (1600 — 1667), einem der 
grOAten Klavienneister vor Seb, Bach, taucht er nur sebr vereinzelt anf. 
Ancb bei seinem Zeitgenossen Job. Hermann Scbein, einem Vorginger Bachs 
an der Tbomas-Schule, tritt der bewuBte Akkord in den mir vorliegenden 
Werken, die Hugo Riemann In .Reigen nnd Tinze ana Kaiser Matthias' 
Zeit* bei Kistner hat erschelnen lasaen, nnr in der schon erwfthnten Ge- 
stalt auf. 

In den Werken Hindel s und Bachs bat dagegen der doppelte Vor- 
halt bereits ein Heimatrecbt gefunden, Seit dieser Zeit hat er sicb be- 
hauptet und zeigt seinen Chnrakterkopf so htufig, dafi fBr den Iiteren 
Bruder nur selten Raum ubrigbleibt Man kann wobl sagen, dafi er mit 
seinem kernigen, kraftvollen Wesen einen starken volkst&mlichen Zug bat, 
der ihm uberall Tor und Tar offaete. 

Seit Chopin, dem genlalen NeutBner auf harmoniscbem Gebiete, Bndet 



t ^ I , Original from 

J - ^' tK> \ K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



FREY: DIE HAUPTKADENZ IM WANDEL DER ZEITEN 219 

man ofter auch Dominante mit Prim und Terz und dem Sextenvorhalt, ein 
Akkord, der einen aparteren, vornehmeren Charakter hat. Man denke sich 
in seinem Scherzo op. 31 im A-dur Satze in der Schlufikadenz die Quarte 
„a a statt der Terz ,gis" (in der rechten Hand), und man wird erstaunt sein, 
welche Wirkung die D 2 auf unser Ohr ausubt. Im c-moll Pr61ude op. 28 
No. 20 erscheint die Kadenz T S D T in den beiden ersten Takten mit D g 
gleich zweimal und verleiht dem Prelude dadurch einen eigenartigen Reiz. 
Auch Max Reger erzielt mit dem Akkorde am Schlusse des Themas in der 
e-moll Sonatine op. 89 und im Andante der zweiten Sonatine einen schonen 
Effekt. Genau genommen ist der Dominant-Akkord mit Sextenvorhalt doch 
schon ziemlich alt. Joh. Seb. Bach, der alle harmonischen Moglichkeiten 
eigentlich schon erschopft hat, verwendet ihn bereits in seinem Choral- 
buch (Breitkopf & Hartel) in No. 3 „Ach Gott vom Himmel sieh darein* im 
vierten Takte, nur dafi hier die Terz erst noch einmal zur Quarte geht 
und dann zuruckkehrt. Dasselbe ist im 110. Chorale der Fall. Trotzdem 
kann aber der Akkord D § - in der Kadenz doch als eine neuzeitliche 
harmonische Errungenschaft oder Erfindung bezeichnet werden, auch wenn 
ihn Beethoven in der A-dur Bagatelle op. 119 im zweiten Takte gelegent- 
lich einmal verwendet. Er hat entschieden im 19. und 20. Jahrhundert an 
Selbstbewufitsein im Auftreten gewonnen und seine Daseinsberechtigung 
erwiesen, wMhrend sein fruheres Erscheinen vielleicht mehr der Zufall in 
der Stimrafuhrung bewirkte. 

Durch ahnliche Beispiele wird es dem Lehrer ein leichtes sein, 
dem Schiller die GewiOheit zu geben, dafi die scheinbare Umkehrung der 
Tonika in der Schlufikadenz in Wirklichkeit die Dominantharmonie mit 
zwei Vorhalten ist und sie darum auch als solche bezeichnet werden muO. 

Quod erat demonstrandum! 



n . , ( Y\£\oLr Original from 

I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



„BORIS GODUNOW" 

MUSIKALISCHES VOLKSDRAMA IN VIER AUFZOGEN 
VON MODEST PETROW1TSCH MUSSORGSKY 

DEUTSCHE URAUFFOHRUNG AM 29. OKTOBER 
IM STADTTHEATER IN BRESLAU 

BESPROCHEN VON DR. ERICH FREUND IN BRESLAU 



Ein seltsamer, ein echt russischer Lebenslauf, der des Modest Petrowitsch 
Mussorgsky, der jetzt erst, 30 Jatare nach seinem Tode, die Heimat verlSBt 
und den Westen erobert. 1839 geboren, zuerst Gardeofflzier, legt er im 
Mannesalter den Degen hin und greift zur Leier. Er gerlt in den Kreis 
der Cui, Dargomyski und Rimsky-Korssakow und schreibt als Autodidakt drei 
Opem, von denen nur eine (eben unser „Boris") bei seinen Lebzeiten aufgefuhrt 
wird. 1881 stirbt er an den Folgen alkoholischer UnmaBigkeit. „Boris Godunow* 
betritt 1874 in Petersburg die Bubne. Seine eigenwillig genialische, technisch un- 
geschliffene Art reizt zu beftigen KSmpfen und erschwert ibm das Dasein, bis 
Rimsky-Korssakow, der Allerweltsbearbeiter, das beste Stuck aus der Verlassenschaft 
des seit 15 Jahren verstorbenen Freundes vornimmt und ihm ein neues orchestrates 
Prunkkleid an mi tit. Nun jubeln die Russen und nach weiteren 17 Jahren auch die 
Franzosen, als sie im Fruhjahre 1913 den „Boris Godunow* mit Schaljapin in der 
Titelrolle im Theater der ElysSischen Felder kennen lernen. Jetzt also ist Deutsch- 
land an der Reihe, urn zu dieser merkwurdigen kunstlerischen Erscheinung Stellung 
zu nehmen. Hoffentlich wird sie bei aller Herzlichkeit besonnener sein als die 
einiger deutscher Kritiker, die sich alsbald nach der Pariser Auferstehung des 
„Boris Godunow** seinen Komponisten erkoren, um mit ihm — Richard Wagner tot- 
zuschlagen. Fur diese Leute gibt es keinen richtigen „neuen Mann* 1 , der nicht 
berufen wire, einen von den „GroBen a zu entthronen. Die Binsenwahrheit, daB die 
Buhne — zumal die deutsche — Raum fur alle bietet, die etwas zu sagen haben, 
gilt ihnen nichts. 

Die unfreiwillige Komik der Proklamation, daB Mussorgsky der von diesen 
ungeduldigen Umwertern kunstlerischer Werte so heiB ersehnte Wagner-Oberwinder 
sei, enthullt sich auf der Stelle, sobald man das Libretto des „Boris Godunow" be- 
trachtet. Es ist wirklich ein Libretto, sogar eines von der Art, wie sie Scribe, nur 
mit groBerer Routine gewaffnet, als Mussorgsky, seinem Freunde Meyerbeer darbot. 
Wer nicht die Geschichte des gierigen Tartaren Boris Godunow ohnebin kennt, der 
durch die Ermordung des Zarewitsch Demetrius die Krone Iwans des Grausamen 
an sich riB, wird den 9 Bildern, in die das von Mussorgsky nach Puschkin's Demetrius- 
Drama und Karamsin's Historie zurechtgemachte Buch zerfftllt (wirklich zerflllt), 
verstSndnislos gegenuberstehen. Drei dieser Bilder zeigen Situationen aus dem von 
der Reue zerrutteten Zarendasein des Godunow, drei andere ebenso viele Etappen 
aus dem Aufstieg des falschen Demetrius, der aber plotzlich spurlos entschwindet, 
nachdem er hoch zu Rosse eine Schar aufruhrerischer Bauern zu „Kampf und 
Sieg" begeistert hat. Der Rest ist langweilige Staatsaktion, derber Trinkerspafi und 
niedliches Kinderspiel. Eine innere Verknupfung oder SuBerliche Erklarung der 
bunten Geschehnisse wird nicht einmal versucht. Szene um Szene steht einsam 
fur sich da. Wer den verbindenden Faden sucht, mag ihn sich bei Puschkin oder 
bei Karamsin holen. So sieht der Mann als Dramatiker aus, der uns den Schopfer 
des „Tristan" und der „Meistersinger a vergessen machen soil. 

Die musikalische Physiognomie Mussorgsky's zeigt allerdings die Zuge eines 
Fursten aus Genieland. Nur freilich bleibt fur uns, die wir den originalen „ Boris 



rv . , ( \>ooLf Original from 

I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



FREUND: BORIS GODUNOW 221 

Godunow" von 1874 nicht kennen, die Frage offen: Welchen Anteil hat Mussorgsky 
an der glanzvollen, an originellen Einfallen uberreicben Orchestrierung der Partitur 
und welchen Rimsky-Korssakow? Hochstwahrscheinlich ist dieser der eigentliche 
Schdpfer des instrumentalen Teils, denn erst durch Rimsky-Korssakow's helfenden 
Eingriff ward „ Boris Godunow" lebenskr&ftig und siegreich. 

Fur Mussorgsky bleibt immer noch Ruhmes genug ubrig. Denn er ist zweifellos 
ein musikalischer Charakteristiker allerersten Ranges. Er malt die dumpf-fromme 
Seele des russischen Volkes in starren, hieratischen, formlich nach Weihrauch duftenden 
Cboren; er flndet zarte, schwebende MSdchengesfinge und rhythmisch bizarre, zappelige 
Kinderliedchen; er laOt den Fuseldusel trunkener Bettelmonche sich in kriegerischen 
Balladen von tartarischer Wildheit austoben. Dann wieder zeichnet er, der bei der 
dramatischen Gestaltung des Titelhelden vollig versagte, den vom Verfolgungswahn 
geschuttelten Usurpator mit einer furchtbaren musikalischen Kraft, die zu erschutternden 
seelischen Offenbarungen hinauffuhrt. In alien diesen Wendungen seines reichen, 
schopferischen Geistes bleibt Mussorgsky Russe. Ms Sanger der Liebe aber wird er 
international. Ihr gehSrt der dritte Akt (er allein), und in dem schwSrmeriscben Duo 
zwischen Demetrius und der schonen Polin seiner Wahl (eine nicht sehr vergnugliche 
Mazurka hatte man der Dame hier gestrichen) schligt Mussorgsky eine breite Brucke 
zur Oper des Abendlandes. Aber auch hier ist er Pfadflnder, nicht Nacbabmer. Denn 
er hat diese schmeichlerischen, sufien, zdrtlich sich verschlingenden Melodieen 40 J ah re 
vor der Blute — Puccini's geformt. 

Die stilgerechte Wiedergabe dieses Opernwerkes ist wahrlich keine Alltags- 
angelegenheit. Schon die gewaltige Aufgabe, die dem Chore zufallt, weist nach dem 
engen Kreise der groOen OpernhSuser. Und anderthalb Dutzend Solisten mit schonen 
Stimmen und untadeliger Treffsicherheit fur verzwickte Intervalle hat auch nicht jede 
Butane in Bereitschaft. Um so schwerer wiegt die restlose musikalische Vollkommen- 
heit, in der das Breslauer Stadttheater Mussorgsky's Scbdpfung darbot. Julius Pruwer, 
dessen Kraft sich die Stadt jungst erst auf zehn Jahre gesichert hat, ist ein Kunstler, 
der niemals balbe Arbeit leistet. Unter seiner Fuhrung gibt es kein Schwanken. 
Chore und EinzelsSnger beugen sich seiner SuGerlich ruhigen, innerlich von schonem 
Temperamente bewegten Meisterschaft. Ihm ebenburtig zeigte sich der Intendant 
Woldemar Runge als Beherrscher der Szene. Ein wundervoller Rahmen, der Herr- 
licbkeit des Kremls zu Moskau getreulich nachgebildet, umspannte die Vorg&nge, und 
die Gewftnder der Bojaren strotzten von schwerer Kostbarkeit. Gruder-Guntram, 
der Boris, ist an Gestalt und Stimme kein Riese, wie Schaljapin, aber ein kluger Dar- 
steller und ein vornebmer Sanger, der den naturalistischen Deklamationsstil Mus- 
sorgsky's ausdrucksvoll belebt. Der junge, bluhende Tenor Glaesers erhob den 
falschen Demetrius zum echten Liebeshelden. Unter den zahlreichen Episodisten 
hatte Wilhelmi als Bettelmonch Warlaam die schwerste, aber auch dankbarste 
Position. Er schuf, grotesk singend und tanzend, ein Meisterstuck drastisch-volks- 
tumlicher Buffokunst. 

Die Horer gaben sich der herben Eigenart des Mussorgsky'schen Werkes 1 ) nicht 
ohne weiteres gefangen. Die ersten drei Bilder gingen nahezu eindruckslos voruber. 
Aber die Humore der Schenkenszene brachen das Eis, und nun steigerte sich der 
Erfolg bis zu sturmischen Schlufiovationen fur die Leiter und Ausfuhrenden des denk- 
wurdigen Abends. 



') Naheres uber Mussorgsky und die neurussische Schule findet der Leser in der 
ausfuhrlichen Studie von Oskar Riesemann „Die Oper in RuBland" („Die Musik", 
VI. 13 [RuBland-Heft], 14 und 15). Red. 



£ 1 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



AUFRUF ZUR GRONDUNG EINER ORGANI- 
SATION VON KOMPONISTEN ERNSTER DRA 
MATISCHER WERKE 

VON DR. ROBERT KONTA IN WIEN 



Das Elend vermogensloser Komponisten ernster dramatischer Werke ist seit 
jeher groB und wer da meint, daO in den letzten J ah re n ein Wandel zum 
Besseren stattgefunden hat, der gibt sicb einer argen Tauschung bin. Aller- 
dings erscheinen nicht selten die Namen neuer Komponisten in den Spiel- 
plftnen der Opernbuhnen und das erweckt den Anschein, als ob die berufenen Fak- 
toren ihr Augenmerk auf die Schaffenskraft Unbekannter ricbten wurden. Aber der 
SchluB daraus, daft es sich tats§chlich so verhalt, ist ein TrugscbluB: die Namen der 
wenigen Neuen erzShlen nichts von der erschreckend groBen Zahl der Verschwiegenen, 
von denen, die sich jahrelang vergeblich darum bemuhen, bei irgendeiner Opern- 
buhne ihre Arbeit unterzubringen, die unerbdrte Leiden und Erniedrigungen mit- 
machen, urn endlich erschopft im Kampfe um das Recht, vor der Offentlichkeit gebort 
zu werden, zu unterliegen. Das ist mit eine von den beschamenden und nieder- 
schmetternden Wahrheiten, die jeder kennt und mit einem Achselzucken abtun zu 
durfen glaubt, da es nach und nach beinahe so aussieht, als ob hier jede Hilfe ver- 
geblich sein muBte. Und das in aller Mund so beliebte „was Echtes ist, muB sich 
durchringen" ist ein Marchen und nicht einmal ein scbdnes, nein ein hIBliches, ein 
AUrchen, dessen Grundgedanken GemeinplStze und falsch gedeutete Biographieen sind. 
Gemeinplitze — weil das sogenannte „Sich-durchringen-Mussen a von der Menge als 
ein Durchringen durch SuBere Widerwartigkeiten gedeutet wird, anstatt zu uberlegen, 
daB das Durchringen dem Kampfe mit sich selbst und dem Erobern hoher Ideale 
gleicht; falsche Ausdeutung popularer Biographieen — weil beinabe alle Jbekannten 
Komponisten sich erbarmlich abquSlen muBten, bevor sie etwas erreichten, und weil 
sie es ja doch erreichten. Fehlt nur, daB „Komponist ernster dramatischer Werke" 
und „wirtschaftlicbes Elend a noch sprichwortlich miteinander verbunden werde. So 
ein Sprichwort konnte dann von Vater auf Kinder und Kindeskinder vererbt werden 
und damit wurde schon im Volke die Tradition fest wurzeln, daB Komponist und 
Elend von einander untrennbare Begriffe sind. 

So drSngt sich denn von selbst die Frage auf, ob dieses wirtschaftliche Elend 
eine unbedingte Notwendigkeit ist und ob es gar keine Mittel gibt, diesen Feind aller 
ernsten Arbeit zu bekampfen und ihn unschadlich zu machen? 

Das Elend des Komponisten ernster dramatischer Werke beginnt in dem Augen- 
blick, in dem er mit seiner kunstlerischen Schopfung zu Ende ist. Da tritt eine 
markwurdige Metamorphose ein: der Kunstler — ich spreche von Komponisten, denen 
noch kein Theater-Kassenerfolg beschieden war — verwandelt sich in einen Reisenden, 
der seine Ware von Haus zu Haus (Theater und Verleger) trfigt, der glucklich sein 
muB, wenn er seine Ware uberhaupt vor prufenden Augen ausbreitan darf und der 
wohl mit Rucksicht darauf, dafi der Kaufherr es sich doch immerhin vor Augen halt, 
daB er es mit einer qualiflzierten Ware zu tun hat, unter allerlei artigen Hoflichkeits- 
bezeugungen und Vertrostungen auf bessere Zeiten abgewiesen wird. Da setzt das 
Elend ein. Denn das Reisen von Stadt zu Stadt kostet Geld. Und dieses Geld muB 
beschafft werden, da noch nie ein Theaterdirektor oderein Verleger einen Komponisten, 
der noch keinen Kassenerfolg hatte, aufsuchten, vielmehr der Komponist den Direktor 
oder den Verleger besuchen muB. Sagt aber ein Direktor zu, dann nimmt das wirt- 



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i i:u j,.ul! :»y v iin ) , li UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KONTA: AUFRUF AN OPERNKOMPONISTEN 223 

schaftliche Elend erst recht seine Fortsetzung. Der Theaterdirektor verlangt meist 
das gesamte Material (Partitur, Klavierauszuge, Chor- und Orchesterstimmen) vertrags- 
mSBig unentgeltlich zugestellt; er rechnet sich die blofle Annahme einer Oper so 
hoch an, daQ er nicht auch noch die Herstellung des Materials bezahlen kann. Will 
demnach der gluckliche Komponist — und die Annahme einer Oper bedeutet einen 
Glucksfall — sein Werk auch wirklich horen, dann muQ er vor allem anderen an die 
1500 Mk. beschafifen; denn soviel macht die Rechnung des Kopisten aus, der, selbst 
ein armer Mann, ja mit vollem Recht nur gegen Barzahlung seine Schreibarbeit liefert. 
Diese Sum me laBt sich dann wesentlich verringem, wenn der Komponist eine so 
leserliche Originalpartitur schreibt, daQ der verantwortliche Dirigent danach studieren 
und dirigieren kann. Dann wandert aber dieses einzige Exemplar aus dem Hause 
des Komponisten fort und ist — da mogen die Empfanger die gewissenhaftesten Be- 
schutzer der Partitur sein — erbarmungslos den Gefahren der Vernichtung, sei es durch 
Brand oder sonst eine force majeur, preisgegeben. Der Einwand, der Komponist 
konote sich selbst eine Abschrift der Originalpartitur besorgen, wird mit der Er- 
wigung hinfillig, daQ die Arbeit des Abschreibens — an sich eine mechanische Folter- 
arbeit — dem Kunstler eine Unmenge Zeit sowohl zum Verdienen wie zum Schaffen 
neuer Werke entzieht. Und nur der, der selbst einen Wert geschaffen hat, kann es 
ermessen, welche Angst und Sorge den uberkommen, der sein geistiges Eigentum, 
das (im Falle des Komponisten eine Niederschrift) nur als ein „Einziges" vorhanden 
ist, fortgeben mufl. 

Hat aber einer das Gluck, daQ gar zwei Theater die Oper annehmen — etwa 
zur deutschen und osterreichischen Urauffuhrung — , dann verdoppelt sich das wirt- 
schaftliche Elend: der Tonsetzer mufl das ganze Material zweimal auf eigene Kosten 
herstellen lassen, d. h. er mufl fur 3000 Mk. aufkommen. Er wird sich wohl bemuhen, 
daft das eine Theater die Urauffuhrung an den Anfang, das andere Theater in die Mitte 
der Saison verlegt, um mit einem Orchestermaterial auszukommen, aber ein Theater- 
betrieb istallerlei unvorhergesehenen ZwischenfSllen unterworfen und die Verschiebung 
eines festgelegten Termines fallt durchaus in den Rahmen des Moglichen. Verschiebt 
aber das erste Theater den Termin der Auffuhrung auch nur um eine Woche, dann 
wird das andere Theater die Zeit zum Studieren zu knapp flnden, es verlangt das 
Material, und der verzweifelte Komponist, der um alles in der Welt nicht um das 
Gluck der Auffuhrung kommen will, mufl in aller Hast das Material beschafifen, wofur 
er mit Rucksicht auf die „dringende Arbeit" womoglich das Doppelte bezahlen mufl. 
Kann er das Geld nicht beschaffen und mufl er das Theater um eine Verschiebung 
des Auffuhrungstermines bitten, dann wird er die Erfahrung machen mussen, dafl das 
Theater, an das seine Bitte gerichtet war, fur ihn verloren geht. Nicht aus boser Ab- 
sicht des Direktors. Wer jemals Einblick in einen Theaterbetrieb gewonnen hat, der 
weifl, dafl jede Stunde mit Arbeit ausgefullt wird und dafl sich da die Begriffe „ver- 
schieben" und „aufheben a decken. 

Diesen krassen UbelstSnden mufl begegnet werden. Der Weg, der zu einem 
glucklichen Ende fuhren kann, wird auch hier auf dem Gebiete der Organisation 
zu suchen sein. Ich will mit diesem Artikel nicht mebr und nicht weniger erreicben, 
als daQ sich die Komponisten ernster dram atischer Werke organisieren. 
Nicht etwa, um billigere Wohnungen oder Lebensmittel beziehen zu konnen, sondern 
um die wirtschaftliche Not, die nach Beendigung eines Buhnenwerkes eintreten mufl, 
zu beheben. Freilich, zweierlei ist dazu erforderlich : die erfolgreichen Komponisten, 
d. h. die Komponisten, welche mit ihren Opern Geld verdienen, und die materiell gut 
situierten Komponisten ernster dramatischer Werke muflten sich der Organisation 
anschlieflen. Den erst Genannten wird der Entschlufl dazu nicht schwer fallen, wenn 



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224 DIE MUSJK XUL 4: 2. NOVfiMBERHEFT 1913 

sle Jmataade s(ad> »uf all das Elend lurBckzubllcken, dae ale bii m ibiem enten Er- 
folge mitmacben muflten, and weira sle ftberbaupt g&wlllt stad, ibren Kameraden mlt 
etaem Male zu belffea, die jetzt die gldchen QaeJen erleiden mfissen. Den anderen 
— ea sind ibrer nicbt vlele — mggea dleae Zeilen die Augen fiffben und m6gen ale 
zum Elatrltte in die Organisation veranluseiu 

Die Organisation aoll ror allem andern eina ezrdchen : aile Komponisten ernstcr 
dramatiscber Werke mftgea ibre nocb nEcht aagenommeaen Werke (weder von eiaem 
Tbetter nocb von eiaem Vorleger) einig* Wocben ling nlfgendwo anbieten; to lange 
Zeit, bit die Organiaetioa tebt uad febeasflbig 1st Mlt diesem Erffrige 1st acbtra sebr 
viel trreicbt. Uad aocb eiamal: Esbandelt alcb bier nkbt am die Aufbesseruag der 
wirtachaftlicben Uge der Komponisten ernster dramatiscber Werke ftberbsupt — deun 
wlr *Ue wlsseo, daft man vom Kottponierea ernster Opera Aire erete alcbt lebe* 
bann, dafi daber jeder Komponlst aelbir daf&r sorgea mutt, vie er selnen Lebens« 
umerbeJt flndea Icann, Neial Die m gruadeade Organisation der Kompo- 
nisten eraater dramatlaeber Werke aoll das wirtscbaftlicbe Elend, daa 
nacb Beendigaog elnes B&bncnwerkes den Schaffeaden ntederdrfLcfct> 
aus der Veil ichaffen. Das Heuaieren mit der aeuen Arbeit soil rer* 
miedeo werden und der Zvsng zur Verscbuldung durcb die »uf Koeten 
dea Kfinstlers geforderte Herstellung dea Materials soil auf bttren* 

lcb bltte eine Relbe von Voracbligen *u roacaea* wie diesea beiden Htapt- 
ubein abgebolfen warden kfante, icb kdante such noch weltere Aufesbea der Otgani- 
sation anfQbreo, deren Usungea in etwas fernerer Zuktinft iu sucbea wiren — aber 
icb will vorllufig nur dea Anatoli mr Grimdang der Organisation von Komponisten 
ernstcr dramttischer Werke gegeben babea and erwarte nua die Vorscblige und den 
Rat melner Leidcasgeaoasea. Zaacbrfften siad aa melne Adresse: Wien, IV r 'l, MQbl- 
gisse 5, erbeten. 



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( ( \< > il '* Oriqinsl from 

V,U c^ K UNIVERSITY OF MICHIGAN 



REVUE DER REVUEEN 



Aus deutschen Musikzeitschriften 

NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart), 34. Jahrgang, Heft 11 und 12 (6. Marz und 
20. Marz 1913). — Heft 11. „Ein Gang zu den Quellen der Spracbe. a Von M. Koch. 
— „Uber metrische Interpretationskunst. a Auch eine musikalische Zeit- und 
Streitfrage. Von Martin Frey. Verfasser erlautert am Beispiel von Beethovens 
Phantasie op. 77 die Wicbtigkeit der richtigen Stellung des Taktstrichs. — Heft 12. 
„Die Psychologie der musikalischen Ubung". Von Semi Meyer. XIII: „Ubung 
und Gewohnung." w . . . In alien Verzweigungen des Geisteslebens hat die Ge- 
wohnheit eine gewaltige Macht uber die Menschheit. Auch in einer Zeit, die den 
Gedanken des Fortschritts zu ihrem Leitstern gemacht hat, den fruhere Zeiten gar 
nicht gekannt haben, hat alles Neue den unvermeidlichen Kampf mit der Ge- 
wohnbeit zu bestehen. Unterstutzt wird die zuruckhaltende Kraft durch unsere 
Erziehung, die alles Gewesene unbedingt dem Lebenden vorzieht. Auf der Schule 
haben wir's nicht anders gelernt, als dafi nur tote Menschen oder gar tote Volker 
einer Anerkennung wert sind. Die Ubung, die uns ins Land der Kunst so langsam 
einfuhrt, mufi jeden minder beweglichen Geist in die Fesseln der Tradition nur 
noch fester einschliefien ..." — „Publikum, werde hart!" „Entdeckungen und Er- 
findungen" im Geigenbau und in der Presse. Ein Mahnwort von Eugen Honold. 
Wendet sich gegen die marktschreieriscb ausposaunten Entdeckungen des „tta- 
lienischen Geheimnisses", bei denen es heifie: „Viel Geschrei und wenig Wolle. 
All die Aufbauschungen und Sensationen sinken rasch genug in ihr eigenes Nichts 
zusammen. Aber sie richten in der verhaltnism&ftig kurzen Maienblute ihres 
sundigen Daseins doch Schaden genug an, und das Publikum ist der leidtragende 
Teil. Deshalb kann man nur immer wieder aufs neue predigen: Fallt nicht auf 
sogenannte epochemachende Erfindungen usw. herein! Prufet alles und das Beste 
behaltet! sagt die Bibel. Und ich mochte dazusetzen: Kaufet beim reellen Geigen- 
macher, beim gelernten Fachmann! Bei dem werdet ihr auch nie eine Annonce finden 
wie die: ,Jede Geige ein Meisterwerk* (bei 150 Mk. Maximalpreis!) . . . a — „Hebbels 
Verbfiltnis zur Musik und zu Musikern." Von Walther Bloch-Wunschmann. — 
„ Alexander S. Dargomyszsky." Von Marie Beflmertny. „ . . . Es herrscht jetzt 
kaum noch ein Zweifel, daB er mit seiner ,Russalka ( die erste dramatische Oper 
im eigenen Stile geschaffen hat. Er wollte auf diesem Wege selbstfindiger und 
inhaltsreicher Operndichtung noch einer weiteren Vervollkommnung zustreben, 
wie die Partitur des ,Steinernen Gastes* erkennen 15Bt. Er wird daher mit Wagner 
verglichen, hinsichtlich seines bahnbrechenden Einflusses auf die russische Oper, 
die er der falschen Sentimentalitat entkleiden und zu einem gehaltvollen dramatisch- 
musikalischen Werke ausgestalten wollte . . .* — w Alte italienische Sinnbilder der 
Musik. a Von Paul Riesenfeld. Uber Darstellungen in der italienischen Malerei 
der Renaissance, die stofflich zur Musik in naher Beziehung stehen oder musikalische 
Ausdrucksmittel reich verwenden. 

NEUE ZEITSCHRIFT FUR MUSIK (Leipzig), 80. Jahrgang, No. 5-19 (30.Januar 
bis 8. Mai 1913). — No. 5. „Die dekorativen und maschinellen Erfordernisse der 
Nibelheimszene." Eine JubilSumsgabe von Moritz Wirth. (Schlufi in No. 6.) — 
No. 7. „Liszt als Orgelkomponist." Von Theodor Bolte. „Fur die Entwickelung 
der Orgelkunst sind Liszts einschlagige Werke hochbedeutend und sollten zum 
eisernen Bestand aller konzertierenden Organisten gehoren. Bachs polyphone 
Stimmfuhrung erweiterte Liszt in seiner homophonen Harmonie und Akkord- 

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226 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

figuration, z. B. in der BACH-Fuge. Liszts Originalkompositionen fur die Orgel 
sind nicht ,aufterlicher Natur', wie ein Orgelmeister behauptet, und konnen es 
vermoge ihres strengen und figurierten Satzes mit Mendelssohn und Rheinberger 
ganz gut aufnehmen. Sie stehen auch an Tiefgang Bach nicht nach, ohne dessen 
technische Schwierigkeiten zu teilen . . . a — No. 8. „Die ersten Jugendwerke 
Liszts. a Eine Studie von August Stradal. „. . . Obgleich Liszt schon 26 J ah re 
tot ist, sind wir fiber gewisse Jugendwerke des Meisters vollstandig im unklaren, 
wobei ich die schwere Beffirchtung aussprechen mufi, daft vielleicht fiberhaupt 
keine vollstSndige Klarung in dieser Angelegenheit eintreten wird. Meines Wissens 
sind die Jugendarbeiten Liszts nur in der groften Liszt-Biographie Lina Ramanns 
eingehend besprochen worden, wahrend alle ihr nachfolgenden Liszt-Biographieen 
diese Jugendkompositonen gar nicht berfihren oder doch nur streifend erwabnen . . ." 
Verfasser berichtet fiber die verlorenen, bzw. verloren geglaubten Lisztschen Jugend- 
arbeiten, Erstausgaben usw. — No. 10. „Felix Draeseke f. a Von Friedrich Brandes. 
„... Draesekes geistige Physiognomie erinnert wie kaum noch die eines anderen 
Musikers an Beethoven, mit dem er auch aufterlich das traurigste Schicksal des 
Musikers hat teilen mussen: daft er seit langen Jahren schwerhdrig war, mag 
viele Eigenheiten seiner Musik mit erklSren, besonders ihre reine Geistigkeit und 
ihren Verzicht auf sinnliche Wirkungen, sicherlich auch ihre tiefe Innerlichkeit, ihre 
Abgewandtheit vom Effekt und von der Mode des Tages." — „Lieder und Balladen 
aus Island." Von Fritz Erckmann. „. . . Der Islander besitzt Gemfit und dichterische 
Veranlagung, was der Reisende nur selten beobachten kann. Wer ahnt, daft jener 
wild aussehende Bauernbursche, dessen struppig fiber die Stirne fallendes Haar 
noch nie von einer gfitigen Fee mit goldenem Kamme gekammt wurde, sich seine 
eigenen Verse macht, in denen er sein Liebchen oder in Ermangelung eines solchen 
sein Pferd besingt! Nicht genug damit. Der Islander ist auch musikalisch. In 
vielen Bauernhausern beflndet sich jetzt ein Harmonium, sehr haufig eine Zieh- 
harmonika und manchmal eine Gitarre. Wenn auch die meisten Lieder, die man 
hort, danischen, schwedischen und deutschen Ursprungs sind, so besitzt der Islander 
auch einheimische Weisen. Zu den alten Rimmur macht jeder seine Melodie fur 
neue sich wiederholende Strophen von drei bis vier Zeilen . . . a — No. 14. „Adolf 
Hagen." Zu seinem Abschied als Koniglich SSchsischer Hofkapellmeister. Von 
Georg Kaiser. „. . , Daft ihm in der stattlichen Reihe von 30 Dienstjahren 
mancherlei Enttauschungen nicht gespart wurden, lag sowohl an den besonderen 
Verhaltnissen, unter denen er zu wirken hatte, wie vielleicht auch ein wenig an 
seiner eigenen Personlichkeit, deren hervortretende Zfige Aufrichtigkeit und eine 
fast zu grofte Bescheidenheit sind ..." — „Hans Richter. a Zu seinem 70. Geburts- 
tage. Von -n- — No. 15. ^Isadora Duncan und ihre Schule." Von Sch. „. . . Als 
Isadora Duncan zuerst auftrat, glaubte man vielfach an den Beginn einer neuen 
Kunst, mindestens einer neuen Tanzkunst. Daft es damit nicht allzuviel auf sich 
hatte, das schien denen wohl schon damals gewift, fur welche Kunst ein tieferes 
personliches Erlebnis ist, als sich korperlich je vermitteln la fit . . . Daffir aber bat 
sie uns mit einem verheiQungsvollen Anfang bekannt gemacht. wo sich (vorab 
wohl durch die Energie ihrer Schwester Elizabeth) aus ihrem Wollen hervor- 
gegangene Gedanken allmahlich organisch mit den sozial und kulturell erwunschten 
neuen Formen der PSdagogik verbinden; und dieser Gewinn ist, wie inn die 
Duncan-Schule anstrebt, heute schon betrachtlicher als einer, der je auf kfinst- 
lerischem Gebiet zu erzielen gewesen wSre.** — No. 16. „Das Volk im Drama." 
Eine Anregung. Von Alfred Heu ft. „. . . Wenn man sieht, in welch mannigfacher 
Weise Wagner das Volk in seinen Werken verwendet, ist man sehr verwundert, 



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REVUE DER REVUKEN 227 

daB er gerade hierin so wcnig Nachfolge gefunden hat. Man wuBte nicht viele 
neuere Opern zu nennen, in denen eine bedeutende Volksdramatik getrieben und 
die Chordramatik weiter ausgebildet worden wire. Noch am ebesten ist dies wohl 
bei M. Schillings* , Moloch* der Fall, der gerade in seinen Choren am bedeutendsten 
ist. Das laBt dcnn auch die Behauptung aufstellen, daB der dramatische Chor in 
musikdramatischen Werken uberhaupt noch lange nicht wirklich ausgenutzt worden 
ist, und daB die Zukunft hier noch sehr viele Wege offen laBt . . . a - No. 18. 
.Goethe und J. F. Reichardt.* Von Edgar Istel. „. . . Reichardt, dessen einst 
gefeierter Name heute stark verblaBt ist, war (vielleicht Ph. Chr. Kayser aus- 
genommen) der erste Musiker von Bedeutung, der zu Goethe in ein naheres 
Verhaltnis trat. Seit der im Jahre 1774 erfolgten Bekanntschaft mit Goetheschen 
Werken fand er nacb seinen eigenen Worten ,des Genusses kein Ende mehr ( , 
und Zeit seines Lebens sind Goetbe-Dicbtungen seine Lieblingslekture geblieben. 
Immer wieder kehrte er zu ihnen zuruck, ihnen vorzuglich wandte er sich als 
Komponist zu, und in seinen Goethe-Liedern, die er zuletzt gesammelt erscheinen 
lieB, und die mehr als ein Zehntel seines etwa 1000 Lieder umfassenden fruchtbaren 
lyriscben Schaffens ausmachen, hat er sein Bestes gegeben . . , a — No. 19. „Zu 
Giovanni Sgambati's 70. Geburtstag." Von Max Unger. „. . . Sgambati's musikalische 
Wesensart ist eine Art italienischer musikalischer Romantik, der Tondichter also 
ein sonniger, moderner, italienischer Schumann zu nennen. Das Allerpersonlichste 
laBt sich ja schon schwer bei den schaffenden Kunstlern anderer Gebiete erklaren, 
bei den Musikern aber erst recht wegen der Gegenstandslosigkeit ibrer Kunst 
niemals unbedingt restlos. Aber die hauptsdchlichsten Punkte, wonach Sgambati 
zu beurteilen ist, konnen vielleicht ausfindig gemacht werden: Ich mochte sie 
sehen in der Lebens- und Farbenfreudigkeit, die seine Schopfungen vom grofien 
Orchester- bis zum kleinsten Klavierstuck haben, ferner in der eigenen, vornehmen 
Melodieenbildung und Harmonik (man kommt eben schwer um Beiworter wie 
,eigen ( und ,personlich' herum), in der Klarheit der Form, in den stets sicher 
getroffenen Stimmungen und endlich in der seine meisten Werke uberstromenden 
Wurde, seiner Grandezza des Romers . . ." 
SIGNALE FUR DIE MUSIKALISCHE WELT (Berlin), 71. Jahrgang, No.30 bis 39 
(23. Juli bis 24. September 1913). — No. 30. „0ber den Fingersatz auf der Violine." 
Von Josef Bloch. (SchluB in No. 31.) „. . . Es ist nicht der Zweck dieser Zeilen, 
eine Abhandlung fiber den Fingersatz zu bringen, mehr oder weniger bekannte 
Regeln zu wiederholen oder auch neue aufzustellen. Es sollen bloB, um einen 
Begriff von dem Anfang der Materie zu geben, alle Fingersatz-Moglichkeiten einer 
einfachen Tonleiter in mathematische Beleuchtung geruckt werden. Vielleicht 
l&Bt sich daraus ein praktischer Nutzen fur die Fingersatzlehre gewinnen." — No. 31. 
„KurkapelIen." Von Moritz Scheyer. „. . . Die Popularisierung schwieriger Werke 
mit ungenugenden Mitteln und am unrechten Orte ist nicht nur eine gewagte 
Sache, sondern auch eine Irrefubrung und schwere SchSdigung des Geschmacks 
und des Gehdrs, und eines jener beruchtigten Potpourris usw. ist in diesem Falle 
noch angebrachter und entschuldbarer als ein Beethovensches Andante oder ein 
Mozart-Menuett im Freien . . . a — No. 32. w Musik unter freiem Himmel.** Von 
August Spanuth. „. . . Man mag die Symptome noch so sehr willkommen heiBen, 
die von der Sehnsucht der Kulturmenschheit sprechen, den Weg zur Natur zuruck- 
zufinden, man mag sogar darin den Ausdruck dieser Sehnsucht entdecken, daB 
unsere Balletmadchen neuerdings die Trikots verschmihen, aber man soil nicht 
mit der muhselig gepflegten und erworbenen Kunst leichtsinnig experimentieren 
gehen, man soil der Musik nicht die Resonanz eskamotieren, kurz, man soil einen 

15* 



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228 DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 

Fisch nicht aufs trockene Land setzen. Finden unsere Sanger nicht etwa schon 
mehr als genug Anreizung zum Schreien in den Widerstanden, die das moderne 
Riesenorchester ihrer Stimme entgegensetzt? Die ,Oper im Freien* bedeutet eine 
Aussetzung der Kunst in der Wuste." — No. 33. „Ein Notschrei zur Versicherungs- 
pflicht der Musiklehrer. a Von X. „. . . Das Gesetz, das fur alle wirklichen An- 
gestellten eine Wohltat sein mag, wird fur alle Privatlehrer ein Schrecken und 
durch die unvermeidbare alleinige Ubernahme der BeitrSge geradezu eine Existenz- 
frage fur alle diejenigen, deren Einkommen gerade zum Lebensunterhalt ausreicht. 
Und das durfte leider fur die grofie Mehrzahl zutreffen ..." — No. 34. „Der Verein 
der Unvereinbaren. a Von August Spanuth. Mit diesem Ausdruck bezeichnet 
Verfasser den „ Verband deutscher Musikkritiker". „...Je grofier und starker, je 
einflufireicher der Verband wird, desto unmittelbarer wird fur ihn, respektive fur 
seinen Vorstand die Gefahr, die gewonnene Macht zu mifibrauchen; denn es ist 
eine angemafite Macht. Ebensovenig wie man ein Examen erflnden kann, durch 
das jemand seine Beflhigung zum Musikkritiker nachzuweisen vermochte, ebenso- 
wenig la (it sich der ,standard ( der Musikkritik durch eine Kontrolle heben, die sich 
der Staat Oder irgendein privater Verband anmafit. Das Gebet der Griechen zu 
einem unbekannten Gott mufite unerhort bleiben, und ein Verein der Unvereinbaren 
wird letzten Endes nicht ein en, sondern Zwietracht sSen." — No. 36. „Moderne 
Violinpadagogik." Von Josef Bloch. Verfasser stellt u. a. die Fragen: Welcher 
Zusammenhang besteht zwischen Padagogik und Mathematik? Wozu brauchen 
wir die Anatomie beim Violinunterricht? „Die Mathematik verhilft uns zur genauen 
Berechnung der VerhSItniszahlen in der Theorie der Intonation. Ferner konnen 
wir z. B. alle Fingersatz-Moglichkeiten einer aus 16 Tonen bestehenden auf- und 
absteigenden F-dur Tonleiter berechnen. Als Resultat erhalten wir: Spielbare 
Fingersatze auf der E-Saite allein: 768488. Spielbare Fingersatze auf der A-Saite 
allein: 62170943." Die Kenntnis der Anatomie ist „auch deshalb erwunscht, weil 
dadurch der Unterricht in die richtigen Wege geleitet wird. In Anbetracht dessen, 
daft wir es mit Zoglingen von verschiedener Korperbeschaffenheit zu tun haben, 
wird der Unterricht nur dann erspriefilich sein, wenn er sich dem Organismus 
und der Individuals des Lernenden anpafit. Daraus folgt, dafi man den gewohnten 
schablonenhaften, immer tiber einen Leisten geschlagenen Unterricht meiden 
soil und nach Moglichkeit der Entfaltung der korperlichen und geistigen Indivi- 
dualist mehr Raum geben soil ..." — No. 38. „Neue metrische Auslegung in 
Beethovens Siebenter." Von Alexander Siloti. Verfasser fragt: „Mufite nicht 
das Scherzo aus Beethovens Siebenter Symphonie im 6 /<-Takt statt im 8 /*-Takt 
stehen?" .,... Hat man... das ganze Scherzo im 6 /i-Takt durcbgespielt, so mufi 
man sich sagen, dad es unbedingt nur im G /i-Takt moglich ist! Das Scherzo ge- 
winnt durch den °/4-Takt an PrSzision und ,Leichtigkeit*, wird mehr scherzoartig 
als im 8 /4-Takt. Ich richte an meine Kollegen daher die grofie Bitte, sich diese 
Muhe zu machen und das ganze Scherzo einmal im °/i-Takt durchzuspielen; dann 
erst mogen sie mir sagen, ob ich mich irre oder nicht ..." — No. 39. , A. E. M. Gr^try." 
Von Walter Petzet. — „Die Konzertierenden und ihre Agenten." Von August 
Spanuth. „. . . Da . * . auch der Kunstler die Materie notig hat, sollte er nicht 
einen Augenblick zogern, Bezahlung fur seine Leistungen zu verlangen, und zwar 
moglichst hohe. Er kann aber nur Geld erwarten, wenn die Verwertung seiner 
Kunst nach modernen geschaftlichen Grundsatzen betrieben wird . . . Naturlich kann 
und mufi der Kunstler verlangen, datX die geschaftliche Handhabung eine reinliche 
bleibe, und das wird er am ehesten durchsetzen konnen, wenn er selbst genau so 
reinlich verfShrt, wie er wiinscht, dafi der Agent verfahre, und sich dabei aller 
Heuchelei enthalt." Willy Renz 



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BESPRECHUNGEN 



BUCHER 

41. Johannes Joachim und Andreas Moser: 

Briefe von und an Joseph Joachim. 
Bd.3. Verlag: Julius Bard, Berlin. (Mk. 10.— ) 
Auch der dritte, abschliefiende Band dieses 
Briefwechsels entbalt des Hocbinteressanten 
viel und bringt manches in der Moserschen 
Biographie Joachims nur kurz Erwahnte zur 
niberen Kenntnis. Auf rund 520 Seiten erstreckt 
er sich fiber 38 Jahre, von der Obersiedelung 
Joachims nach Berlin (1869) bis zu seinem Tode 
(1907). Besonders viel erfahren wir fiber die 
Begrundung der Koniglichen Hochschule ffir 
Musik in Berlin, insbesondere fiber die Schwierig- 
keiten, geeignete Lehrkrafte zu flnden. Inter- 
essant ist es, dafi Joachim ursprfinglieh (vgl. 
S. 18) keine Violinspielerinnen aufnehmen wollte, 
aber falls sich genfigend Klavierspielerinnen 
finden wfirden, fur diese eine besondere Klasse 
zu organisieren geneigt war. Einige Urteile 
Joachims fiber Komponisten seien hier wieder 
crwShnt. Gelegentlich der Aufffihrung von 
Bargiels 13. Psalm schreibt er 1890 (S. 373), 
dafi ihm der erste Chor besonders gut gefallen 
habe, ffigt aber hinzu: M wenn's ja auch leider 
nie ohne gewisse Starrheiten im Verlauf des 
Werkes bei ihm abgeht". Sehr hfibscb schreibt 
er 1887 an Richard Barth fiber Brahms (S. 305): 
„Hast Du Dich recht an der Violin-Sonate in 
A und dem Trio op. 101 erquickt? Ich kenne 
kein Kammermusikstfick aus dem letzten halben 
Jahrhundert, das mir in gleichem MaBe nach 
jeder Richtung staunenswert erscheint: tiefe 
organische Mannigfaltigkeit bei aller Gedrangt- 
heit der Form, bei allem Festhalten der pr3g- 
nanten Stimmung, reizvolle Erfindung, wahrlich 
ein Meisterwerk bis in die kleinste Faser! Wir 
durfen uns glucklich schStzen, dafi das zweite 
Hundert so beginnt." Sehr entbusiastisch fiufiert 
er sich 1890 fiber die Rhapsodie ffir Mannerchor 
und Altstimme (S. 372): „Bin ich einmal fiber 
etwas, das Brahms gesagt oder getan hat, bis 
zur Verstimmung verwundet, so brauche ich 
nur an das C-dur zu denken, um mir fiber 
seinen hohen Wert als Mensch wieder klar zu 
sein. a Bereits 1877 stellt er fest (S. 174), dafi 
sich die Brabmsschen Werke in England fiber- 
raschend schnell verbreiten. Er ffigt hinzu: „Mit 
Schumann ging es weit langsamer voran. Auch 
das B-dur Quartett, von den Berlinern so schnode 
behandelt, schlug ein. a Ein Jahr spater schreibt 
er an Spitta (S. 196): „Oberraschen wurde dich 
die Oberhandnahme Brahmsscher Werke, in- 
strumentaler und vokaler, in den englischen 
Programmen. Kaum Mendelssohn ist so viel 
gemacht worden, als er in der Mode war. Die 
Tiefe bei seiner Originalitfit scheint einen ge- 
heimen Zauber auszufiben, auch bei denen, 
welche sich sonst vor Neuem wehren." Sehr 
geschatzt mufi Joachim die Messensatze von 
Max Bruch haben, da er sich bei Siegfried Ochs 
1891 (S. 409) ffir sein mannhaftes, schones Ein- 
treten fur dieses Werk bedankt. Wahrend er 
von Dvorak's Serenade ffir Blasinstrumente 
sowie Violoncell und Kontrabafi 1879 sagt (S. 211): 
„Da ist viel Echtes, von Gottes Gnaden drin a , 
schreibt er von der zweiten Serie der Slawi- 
schen Tanze Dvorak's: „Nachdemf die erste J 

O 



Freude an der Frische der Empfindung vorbei, 
finde ich, dafi die Tanze eine oftere Wiederkehr 
zu ihnen nicht vertragen. Es ist doch manches 
recht trivial, ja die sfifilichen Terzen werden 
mir oft unleidlich." Hochst gunstig urteilt 
Joachim fiber die B-dur Symphonie des leider 
gar zu sehr in Vergessenheit geratenen Hein- 
rich von Herzogenberg(S.351),dagegenkonnte 
er sich mit dessen ungedruckt gebliebenem 
Violinkonzert (S. 355) nicht recht befreunden. 
Wenig Gefallen fand er auch an Bernhard 
Hopffers Oper „Frithjof a , die seiner Meinung 
nach recht roh im Berliner Opernhaus 1871 
aufgeffihrt wurde (S. 71). Ein gewisses Inter- 
esse zeigte Joachim 1877 ffirjean Louis NicodS, 
besonders ffir dessen Schumanniana genannte 
Klavierstficke (S. 184): „Talentvoll sind sie ent- 
schieden, aber allerdings mehr noch der Manier 
als dem tiefen Gemfit Schumanns nach emp- 
funden. Immerhin erstaunte mich die Art 
Produktivitat an einem jungen Musiker aus 
Kullaks Ecke. a Ober Richard Wagner lesen 
wir zunachst S. 47: „Das ,Rheingold* [das Joachim 
1870 in Mfinchen horte] hat mich keine neue 
Seite Wagners kennen lehren; es ist eigentlich 
fast langweilig mit seiner ewig schauerlichen 
Dekorationsmusik. Selbst Brahms mufite mit 
einstimmen, obwohl er gerne bewundernd von 
Wagner sich vernehmen lafit. a Als Joachim 
1888 in Amsterdam nur in dem ersten Teil eines 
Wagner-Konzerts ausgehalten hatte, schreibt er 
(S. 321): „Nie hat mich die Langeweile nerven- 
qualender gepackt als beim ,Parsifal*. Wann 
wird diese Krankheit, die fiberall grassiert, 
weichen? Man mochte verzweifeln, dafi sie so 
viele gute Organismen zum Teil gepackt hat." 
Merkwfirdig berfihrt auch Joachims Urteil fiber 
die „Meistersinger a , die er 1888 in Bayreuth 
gehort hatte (S. 332): „Die breite Redseligkeit 
in Ernst und Scherz, die Verschwommenheit 
der Melodiebildung und Harmoniefolgen ver- 
derben mir das Totalbild, obwohl ich manches 
hinreifiend Geniale bewundern mufi und mich 
so gem dem energischen Geist hingabe, der im 
Ganzen waltet. Unmoglich. u 

Unter den Klavierspielern schatzte 
Joachim ganz besonders Julius Rontgen, den 
er fur eine der echtesten Kfinstlernaturen hielt 
(S. 321) und in den letzten Jahren seines Lebens 
Francis Tovey (S. 499 und 512), den er sogar 
Borwick vorzog. Nicht gerade zahlreich sind 
die Urteile fiber Violinisten; sehr warm tritt 
er 1882 ffir den damals 23jahrigen Johann 
Kruse ein (S.237: „Sein Vortrag ist von warmster 
Begeisterung getragen — ich habe seiten so 
schon Quartett spielen horen"). Sehr abfailig, 
mit einem bosen Seitenhieb auf Ferdinand 
David urteilt er fiber dessen Schfiler August 
Wilhelmj im Jahre 1872 (S. 95); dessen Spiel 
bezeichnet Ernst Rudorff fibrigens in einem 
Briefe an Joachim S. 244 als „hundsgemein a . 

Rudorffs zahlreiche Briefe sind fibrigens 
unter den an Joachim gerichteten mit die inter- 
essantesten, die sich in diesem Bande finden; 
mag man fiber seine Urteile denken, wie man 
will, sie verraten stets eine wirkliche Person- 
lichkeit, nicht blofi etwa in seinem strammen 
Antisemitismus (S. 221}. Rudorff trat fibrigens 
iehj energisch, wenC^Wbia+cfripMich, gegen 

11 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



230 



DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



die Aufnahme von Damen in das Hochschul- 
orchester ein (S. 230 f:) „Man sollte wenigstens 
Sorge tragen, daB nicht auch in Zukunft unsere 
Orchester gar aus Minnern und Weibern zu- 
sammengesetzt werden"! Man lese auch, was 
Rudorff S. 476 uber die w Tannhauser a -Ouverture 
schreibt, wie er Schmerz und Scham empflnde, 
dafl Joachim diese Musik mit seinen Schulern 
studiere und vorfuhren wolle. Vgl. auch S 503. 
Recht beachtenswert sind auch die Briefe von 
Max Bruch, aus denen wir unter anderm er- 
fahren, daB dessen Konzertstuck „In Memoriam" 
(fur mien ein ebenso dankbares wie groBartiges 
Violinstuck) den groBen Toten des Jahres 1888 ge- 
weiht ist, fernervon Hans v. Bronsart, Heinrich 
von Herzogenberg, Hermann Levi (dessen 
Wagner-Glaubensbekenntnis S. 211!) und vor 
allem von Philipp Spitta. Man lese dessen 
prachtvolle Beurteilung des Zweiten Klavier- 
quartetts von Herzogenberg S.413 und merke 
sich, daft er 1888 schreibt (S. 334): w DaB diese 
Bayreuther Buhne bestehen bleibt, freut 
mich, denn es wird doch eine Menge von 
Menschen wieder daran gewohnt, einem Kunst- 
werk mit Ernst und Sammlung gegenuberzu- 
treten. Die Theaterzustande in den groBen 
Stadten, Berlin voran, sind doch geradezu nichts- 
wurdig und emporend, und an ihnen wird auch 
nicht viel geindert, wenn auch vielleicht einmal 
ein besserer Intendant und gewiegtere Kapell- 
meister am Platz sind." S. 89 wird von einem 
Sextett von Svendsen gesprochen. Gemeint ist 
aber sicherlich dessen Oktett; ein Sextett von 
diesem Komponisten ist jedenfalls nicht im 
Druck erschienen. Wilhelm Altmann 

42. Georges Servieres: EmmanuelChabrier 

(1841—1894). Verlag: F. Alcan, Paris 1912. 

(2.50 Fr.) 

Die Arbeit Servieres' ist dem Andenken des 
mit Chabrier befreundeten, ausgezeichneten 
Schriftstellers Ch. Malherbe gewidmet. Cha- 
brier's Werke sind, von Klavierstucken abgesehen, 
in Deutschland nicht sehr bekannt geworden. 
In Dresden gab man seine hubsche komische 
Oper: „Der Konig wider Willen* („Le roi malgre* 
lui a ), aber sie konnte ebenso wenig wie die 
groBen Opern ^Gwendoline" und „BriseTs tt 
Wurzel fassen. Chabrier war ein vielseitig ge- 
bildeter Mensch, ein froblicber Gesellschafter 
und guter Musiker, wohl wert, daB ihm ein 
grofleres literarisches Denkmal gesetzt wurde. 
Servieres grundet die AusgSnge seiner Arbeit 
in der Hauptsache auf J. D6saymard's Schrift 
uber Chabrier (Revue d'Auvergne, Clermont- 
Ferrand 1908), weiB aber manches Neue ins- 
besondere uber fruhe Kompositionen beizu- 
bringen. Als Lehrer Chabrier^s nennt er auBer 
den bekannten E. Wolff und A. Hignard noch 
Th. Semet, Professor vom Konservatorium. Aber 
keiner dieser Manner gewann eine entscheidende 
Bedeutung fur Chabrier, der sich fast aus- 
schlieBlich selbst berangebildet hat. Der bei 
Riemann als erste Arbeit genannten Operette 
w L^toile a (1877) gingen voraus: „Vaucochard et 
fils I"« (ca. 1864) und „Fisch-ton-kan a , offenbar 
ein chinesisches Stuck, Jean Hunyadi" (ca. 1867), 
von welcher Oper einiges in die Musik zu 
^Gwendoline" ubernommen worden sein durfte. 
Das meiste dieser Kompositionen soil derart ge- 
wesen sein, daB es keiae "Ahnung yinder zu- 

C 1 



kunftigen Bedeutung des Komponisten hitte auf- 
kommen lassen konnen. Servieres geht nun 
weiter auf die Lebens- und Schaffensgeschichte 
seines Helden ein, analysiert die Kompositionen 
groBenteils und formuliert sein Gesamturteil 
uber Chabrier in einem besonderen Kapitel, von 
dem Satze M. R. Hahns ausgehend, dafi Chabrier 
„die Ruhe ein Unbekanntes ist* 4 : er brauchte 
GerSusch, Bewegung, konnte eine melodische 
Periode nicht normal exponieren, besafi die 
geistigen Werkzeuge fur thematiscbe Arbeit 
nicht. So stellen sich ihm allerlei Wiederbolungen 
und Transpositionen ein; da er deren Hiufung 
furchtet, verflllt er auf allerhand rhythmische 
und harmonische Wurzmittel. Dies ungeflhr 
ist der Ausgangspunkt der Beurteilung Cbabrier's, 
die nun noch im einzelnen durchgefuhrt wird. 
Das auf recht m&Bigem Papiere gedruckte Bucb 
enthfilt allerlei cbarakteristische Belege fur 
Servieres' Behauptungen. Den ScbluB machen 
ein Katalog der Werke, die Bibliographie und 
Ikonographie. Die gut geschriehene Arbeit sei 
hiermit empfohlen. Wilibald Nagel 

43. Beitr&ge zur Aktiftik und Musikwissen- 

Rcbaft. Herausgegeben von Carl Stump f. 

7. Heft. Verlag: J. A. Barth, Leipzig 1913. 

(Mk. 5.—.) 

Erich v. Hornbostel weist nach, daB Ton- 
leitern bzw. Intervalle als Kriterium fur Kultur- 
zusammenhange nur mit groBer Vorsicbt und 
niemals fur sich allein verwendet werden konnen, 
daB vielmehr in erster Linie die absoluten Ton- 
hohen hierfur in Betracht kommen. Alfred 
Guttmann fubrt die Minderwertigkeit vieler 
Untersuchungen uber den Gesang auf die 
mangelnde Fuhlung zwischen den Kunstlern 
(Sangern und Lehrern) und den Wissenschaftlern 
(Halsarzten und Physiologen) zuruck. Kenn- 
zeichnend fur die hieraus sich ergebende Ein- 
seitigkeit sei die Behandlung der w Stimmfuhrung* 
und der „Register*-Frage. Wihrend Felix Koneger 
in den Mitbewegungen beim Singen eine Er- 
klfirung aller gesanglichen Phanomene sieht und 
somit O. Rutz („Neue Entdeckungen von der 
menschlichen Stimme") zu verteidigen sucht, 
halt Guttmann am Zusammenwirken von Stimm- 
lippen und Ansatzrohrals wesentlicherBedingung 
des Klangcharakters der Stimme fest. Auch auf 
dem so heftig befehdeten Registergebiet muQ 
man dem Verfasser beistimmen, wenn er be- 
hauptet, daB es stimmphysiologisch kein Ein- 
register gibt, aber gesangspadagogisch sich mittels 
Ausgleiches der verschiedenen Register dennoch 
die Wahrnehmung eines Einregistcrs erreichen 
laBt. Den groBten Raum des Heftes nimmt der 
interessante Aufsatz von Katharina v. Maltzew 
uber das Erkennen sukzessiv gegebener musika- 
lischer Intervalle in den auBeren Tonregionen 
ein. Die Experimente mit Versuchspersonen 
fuhrten zu folgenden Resultaten: Die Fehlerzahl 
nimmt nach den Grenzen der Tonreihe bin zu. 
Die Zahl der Verwechselungen ist kleiner bei 
musikaliscb-geiaufigenlntervallen(inkl.Sekunden) 
als bei ungelSufigen (Tritonus und groBerSeptime). 
Die Fehlerzahl wSchst mit der Erweiterung des 
Intervalles. In den tiefen Lagen wird die Auf- 
fassung durch die mitwirkenden Obertone be- 
einflufit. Die Beurteilung von Sukzessivinter- 
vallen kann weder als eine Erkennung von 
Verschmeypjiq^&Jf^nprvpch auch von Distanz- 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BESPRECHUN iEN (MUSIKALIEN) 



231 



graden aufgefafit werdcn. Jeder derartigen Inter- 
vallbeurteilung liegt ein charakteristischer Be- 
wufitseinsinbalt zugrunde, der unmittelbar wieder- 
erkannt und beurteilt wird. Bei der Erklarung 
der Versuchsresultate interessiert besonders die 
Hypotbese vom normalen Falschhoren in der 
zweiten Hfilfte der viergestrichenen und in der 
funfgestrichenen Oktave, sowie in der ersten 
Halfte der Kontra-Oktave. SchlieBHch unter- 
zieben Walter Frankfurther und Rud. Thiele 
die Bezoldsche Spracbsext einer experimentellen 
Nachprufung. Georg Capellen 

44. F. A. Steinhausen : Diephysiologischen 
Fehler und die Umgestaltung der 
Klaviertechnik. Zweite Auflage, bearbeitet 
von Ludwig Riemann. Verlag: Breitkopf 
& Hartel, Leipzig 1913. (Mk. 6.—.) 
Das Buch ist beute acht Jatare alt und ist 
nocb immer das beste seiner Art, d. h. unter 
den Buchern, die versuchen, das Klavierspiel 
als bewegungsphysiologischen Vorgang zu fassen, 
ohne sicb in Detailfragen der Spielpraxis ein- 
lassen zu wollen. Sein Wert liegt in der Soliditat 
dernaturwissenscbaftlichenUnterlagen,aufdenen 
derVerfasser, ein Arzt, aufbaute, seii<e Schwfichen 
in der mangelnden pianistischen Erfahrung. 
Leute, die fiber die letztere verfugen, baben wir 
zu Hunderten, und docb bat keiner von diesen, 
so nahe es ihnen doch liegen sollte, etwas an- 
nShernd so Wertvolles fiber ihr Handwerk zu 
sagen gewufit, als dieser „Nichtfachmann**, der 
leider inzwischen starb. Auch alle unsere Musik- 
schriftsteller, die sich dem Problem der Klavier- 
technik neuerdings gewidmet haben, sind, was 
klare, wissenschaftliche Durchdringung der Prin- 
zipien dieses Naturvorgangs anlangt, weit binter 
Steinhausen zuruckgeblieben. Sie baben alle 
von ihm zu lernen versucht und auch alle mehr 
oder, minder gelernt, dann aber hat ihnen wieder 
die Oberffille der Einzeltatsachen, wie sie gerade 
dem Praktiker verwirrend entgegentreten, den 
Oberblick genommen, sie sind teils in alte Vor- 
urteile zurfickgefallen, teils haben sie aus Mangel 
an naturwissenscbaftlichem Wissen und aus Un- 
fihigkeit, naturwissenschaftlich nuchtern zu 
denken, die klaren Grundlehren verwischt. End- 
licb sind sie als echte Musiker wie die Kampf- 
bahne ubereinander hergefallen und haben viel 
scbones Papier und noch kostbarere Zeit damit 
vergeudet, sich einander Torheiten und noch 
Schlimmeres nachzusagen. So ist das Bild, das 
beute die Lehre vom Klavierspiel bietet, nicht 
gerade erfreulich, trotz des Strebens nach Klar- 
heit, das alter Enden zu erkennen ist. Und darum 
ist ein Neuerscheinen des Steinhausenscben 
Buches recht willkommen zu heiften, denn bei 
ihm werden die Musiker immer wieder anfangen 
mussen. Ich mochte bier noch einmal betonen, 
daQ mir die Formulierungen Steinbausens oft 
bedenklicberscheinen, in ihrer Unbekfimmertbeit 
um die Tatsachen der Spielpraxis. Vieles ist 
nur mit Einscbr&nkungen und Erganzungen zu 
billigen, und ich meine, bier hatte der Heraus- 
geber mehr vermitteln sollen. Dagegen kann 
ich seinem Be it rage in Kapitel IX: „Das Stein- 
hausensche Prinzip in der Praxis* nicht sehr 
zustimmen. Sachlich kann es bei der not- 
wendigen Kurze nicht viel bieten, denn dieser 
Wirrwar widerstreitender Meinungen ware nicht 
einmal in einem dicken Buche zu lpsen. Der 

f)::j :i/nn :v/ 1 iDUQ 

O 



stellenweisewiederpolemischeTondes Verfassers 
aber ist, wie ich schon bemerkte, derSacheeher 
hinderlich als fordemd. Hermann Wetzel 

45. Eri&uterunRen zu Franz Liszts Sym- 

phonieen und symphoni^chcn Dich- 

tun^en. Herausgegeben von Alfred HeuC. 

Verlag: Breitkopf & Hartel, Leipzig 1913. 

(Mk. 2.-.) 

Als Gabe zu Liszts 100. Geburtstag hat der 
Verlag die bekannten ErlSuterungen, die bisher 
nur den einzelnen Werken vorgedruckt waren, 
zu einem BSndchen vereinigt. Es wird ge- 
wifl manchem, der sich fiber Liszts Schaffen 
als Instrumentalkomponist orientieren will, will- 
kommen sein, besonders da Namen wie Hermann 
Kretzschmar, Georg Mfinzer und Alfred Heufi 
fur die Gfite und Sachlichkeit der Erlfiuterungen 
bfirgen. Emil Thilo 

MUSIKALIEN 

46. Hans Hermann: Sieben Duette fur zwei 

Sings timmen und Klavier. op. 53a. 

(No. 1: Sicheres Glfick, No. 2: Sommer- 

morgen, No. 3: Irmelin'Rose, No. 4: MSrchen, 

No. 5: Landschaft, No. 6: Du und ich, No. 7: 

Harmonic) Verlag: N. Simrock, G. m. b. H., 

Berlin und Leipzig. (Mk. 1.50) — Lieder. 

(No. 1: VergiBmeinnicht, No. 2: Ich nab' mir 

mein Kindel, No. 3: Sechse, sieben Oder 

acht!, No. 4: Sie liebten sich beide, No. 5: 

Abendgebet.) Verlag: Wilhelm Hansen, 

Ghristiania, Kopenhagen und Leipzig, (je 

Mk. 1.20—1.50.) 

Die Duette werden vermutlich einen grofien 

Publikumserfolg haben. Sie sind klangvoll ge- 

setzt, bieten (mit Ausnahme von No. 4) ffir Sanger 

und Spieler keinerlei Schwierigkeiten und bewegen 

sich in gewohnten Babnen. Kompositorische 

Gewandtheit und sicberer Instinkt ffir a*uflere 

WirkungsfShigkeit zeigen sich allenthalben. Die 

Texte zu No. 2, 3 und 4 rechtfertigen die Hin- 

zuziehung einer zweiten Singstimme nicht. Aber 

das macht nichts. Terzen und Sexten klingen 

ja immer gut. Die einstimmigen Lieder zeigen 

im allgemeinen denselben Gharakter. Doch das 

Schlummerliedchen (^Ich nab' mir mein Kindel"), 

das in der tieferen Ausgabe noch reizvoller als 

in der Originalausgabe wirkt, kann auch vom 

kunstlerischen Standpunktaus empfohlen werden. 

Es trifft sehr glficklich den Volksliedton und ist bei 

aller Innigkeit frei ron vulgfirer Sentimentalitat. 

Aucb das ^VergiBmeinnicht** - Liedchen zeigt 

kunstlerische Qualitfiten. Freilich: die Routine 

fiberwiegt uberall die schopferische Erfindung. 

47. Emile Jaques-Dalcroze: Zehn Lieder. 

Heft I: GruB, Schmied Schmerz, Regenlied, 

Entzfickung, Hatgesagt — bleibt nicht dabei; 

Heft II: Das Lied von feme, Gewitter, Spinn 

Mfigdlein spinn, Wenn's dammert, Spinnlied 

Verlag: N. Simrock, G. m. b. H., Berlin und 

Leipzig. (Heft I und II je Mk. 2.50.) 

In diesem neuen Werke lafit der als Komponist 

bisher zu gering, als Padagoge zu hoch geschatzte 

Autor das vermissen, was mich personlich bei 

seinen fruberen Kompositionen oft entzfickt hat: 

die melodische, harmonische und rhythmische 

Pikanterie. (Auch beiGroBeren, bei Wagner z. B., 

lassen die entzucktenSinne zuweilen ein kritiscbes 

IJrteil einfach nicht a Qff^JRjf I^TWr^fVo R4 e s e Lieder 

R " UNIVERSITY OF MICHIGAN 



232 



DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



elektrisiercn nicht, sie sind ganz und gar nicht 
mit den Sinnen geschrieben, sondern ein klarer 
Kunstverstand und ein vornehmer Geschmack 
haben sie geschaffen. Keineswegs nach dem 
Grundsatze „L'art pour Part"; auch fehlt es ihnen 
nicht an GefuhlswSrme. Aber im grofien und 
ganzen wendet sich das Werk doch mebr an die 
Kenner als ans Publikum. So setzt der Komponist 
z. B. im „Lied von ferne a der Gesangsmelodie 
zumeist nur eine einfache Liedmelodie auf dem 
Klavier entgegen; man bort nicht mehr als zwei 
Tone zu gleicher Zeit, aber man hdrt (wenn man 
Musiker ist) zwischen den beiden Tonen all das, 
was sich nicht separat aufzeichnen, sondern nur 
durch die melodisch-rhythmische Bewegung der 
beiden Stimmen andeuten ISfit. Wie die Klavier- 
stimme (die eigentlich von Violine und Cello 
ausgefiihrt werden mufite) bald kanonisch zu der 
Gesangsstimme gefuhrt ist, wie sie bald uber, 
bald unter ihr schwebt oder sich mit ihr kreuzt, 
wie sie von der zweiten Oktave kaum merklich 
verstarkt wird, das alles ist mit grotler Meister- 
schaft und uniibertrefflicher Feinheit gemacht. 
Aber, wie gesagt, nichts furs Publikum. Dieses 
Lied hacte in einer einmaligen, kleinen Auflage 
(von hochstens 200 Exemplaren) auf Butten ge- 
druckt und kostbar gebunden werden mussen. 
Die anderen Lieder kommen dem Geschmack 
und Verstandnis der Menge weit mehr entgegen. 
Doch ist auch ihnen ein zur Askese neigendes 
Kunstempfinden eigen. Mancherlei Kleinigkeiten 
storen, so z. B. im ersten Liede die Betonung 
wieder (mit besonderem Akzent), im vierten ein 
paar allzu konventionelle Figuren, im funften der 
geradezu beleidigend unsinnige vorletzte Takt, im 
neunten eine fatale Wagner-Reminiszenz. Aber 
der aufierordentlich gunstige Gesamteindruck 
wird dadurch nicht wesentlicb beeintrachtigt. 

48. Rudolf Karel: Slawisches Scherzo- 
Capriccio fur Orchester. op. 6. Ver- 
lag: N. Simrock, p. m. b. H., Berlin und 
Leipzig. (Part. Mk. 6.—.) 

Was Vater Straufi von den symphonischen 
Dichtungen seines Sohnes Richard sagte, trifft 
auf dieses Scherzo zu: „Man bekommt dabei ein 
Gefiihl, als ob man die Hosen voll Maikafer hat.** 
Das Gekribbel wird hier von rhythmischen 
Zuckungen begleitet und stellenweise unter- 
brochen. Wenn diese auch nicht gerade den 
Geist anregen, so wirken sie doch stark auf die 
Gehorsnerven. Ohne ein paar BrutalitSten der 
Posaunen gehts dabei nicht ab. Immerhin ist 
dieses temperamentvolle Werkchen ein ganz 
prachtiger Ohrenschmaus, der dem Publikum 
sicherlich behagen wird. Also: Auffuhren! 

49. Ernst von Dohnanyi: Drei Stiicke fur 

Klavier. op. 23. No. 1 : Aria, No. 2: Valse 
Impromptu, No. 3: Capriccio. Verlag: N. Sim- 
rock, G. m. b. H., Berlin und Leipzig, (je 
Mk. 2—.) 

La recherche de la paternite* est interdite. 
In Frankreich gilt diese Gesetzesbestimmung 
sogar fur die leibliche Abstammung, in Deutsch- 
land nicht einmal fur die geistige. Wer der 
Vater ist, wird bei uns in streitigen Fallen zu- 
meist „vors Jerichte ausjemacht". Da bei den 
„drei Stucken" der Fall sehr einfach liegt, und der 
kritische Richter eigentlich ohne zureichenden 
Grund „in Betrieb gesetzt" wird, so sei nur be- 
merkt, dafi die Drilli^ge die Zuge des Kom- 

C 1 



ponisten der „Feuersnot a tragen, und daO ibre 
Amme offenbar Johannes Brahms war. In for- 
maler Hinsicbt sind sie etwas uberernabrt; und 
ihre sinnliche Entwickelung hat die geistige be- 
trilchtlich uberholt. Immerhin werden die 
Klavieristen voraussichtlich „wild a nach ihnen 
werden, und zwar mit vollem Recbte. Denn 
hier kann man „loslegen" (und wie!), hier kann 
man „sich austoben". Der Kritiker steht etwas 
betreten abseits, er wagt nicht recht die Frage 
nach geistigen Werten. Und schlieClich: Die 
drei Stucke sind glanzend gemacht, von brillanter 
Wirkung, eine wahre Wonne fur zwei recbt- 
schaffene KlavierhSnde, dabei solide in ihrer 
Struktur; was will man mehr? 

Dr. Richard H. Stein 
50. DenkmAler der Tonkunst in Bayern. 
ll.Jahrgang, Band 2. AusgewSblte Werke 
von Agostino Steffani. 2. Teil. Heraus- 
gegeben von Hugo Riemann. Verlag: 
Breitkopf& HSrtel, Leipzig 1911. (Mk. 20.-.) 
Wer den Namen Steffani's hort, denkt wohl 
zunSchst an zweierlei: an die bedeutsame Rolle, 
die er in des jungen Handel Lebensgang gespielt 
hat, dadurch, dafi er ihm die fur alles Spatere 
entscheidende Richtung nach Hannover und da- 
mit nach England gab, und an die beruhmten 
Kammerduette. Die Kammerduette sind im 
Munde jedes konservatorischen Musikgeschichts- 
lehrers. Gekannt sind sie wohl nur von wenigen. 
Denn sonst mufiten sie in ihrer Kraft und 
Herrlichkeit ISngst Gemeingut der musikalischen 
Gebildeten sein. VorlSufig schlummem sie nocb 
in ihrem schonen kostspieligen DenkmSler-Band 
ihrer Auferstehung entgegen, harrend, dafi eine 
wohlfeile, allgemein benutzbare Ausgabe (d. b., 
wie die Dinge nun einmal liegen, eine Ausgabe 
ohne alte Schlussel und mit italieniscbem und 
gutem deutschen Text) sie dem Gebrauch aller 
erschliefie. Wie es scheint, werden sie bis dabin 
noch eine gute Weile schlafen mussen. Was der 
vorliegende Denkm31er-Band bringt, reicht seiner 
Bedeutung nach an Steffani's Meisterwerke nicht 
heran. Es ist eine Oper „Alarico il Balta*, 
die 1687 fur Munchen geschrieben wurde. Es 
ist die funfte seiner 18 uns bekannten Opera. 
Sie fallt noch in die erste Hfilfte seines Schaffens, 
in seine Munchner Zeit, die mit seiner Berufung 
nach Hannover ein Jahr sp§ter ihren AbscbluB 
fand. Erst vor kurzem sind zwei handschriftliche 
Partituren des Werkes, die eine in Schwerin, die 
andere in Munchen entdeckt worden. Beiden 
fehlt der Komponistennamen, und erst durch ein 
Textbuch der Munchner Bibliothek hat die Autor- 
schaft SterTani's ein wand frei festgestellt werden 
konnen. Der w Alanco M ist eine spezifisch lyrische 
Oper ohne grofie Ausstattung, ohne Schlachten- 
bilder, Aufzuge und Mascbinerie. Liebe, Eifer- 
sucht, Rache und Versohnung sind, wie sonst 
auch in derOper derZeit ublich,dielngredienzien, 
aus denen der Librettist Orlandi das Textbuch 
zusammensebraut hat. Sich in dem krausen 
Durcheinander seiner „Handlung a selbst an der 
Hand von Riemanns kurzer Inbaltsangabe zurecbt- 
finden zu wollen, wSre vergebene Liebesmuh. 
Man gibt den Versuch bald auf. Es ist aucb im 
Grunde ganz gleicbgultig, ob nun der Feldherr 
Stilicho, Alarich der Gotenkonig, Sopran 
singend, die Thrazierkonigin Semiamira, Sabinii, 
die spliwarzaugige Romerin, die blonde Placidii 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN) 



233 



odcr wer sonst diese Heldenoper agieren, ob sie 
im funften christlichen Jahrhundert oder sonst- 
wann spielt. Es sind ja doch immer dieselben 
physiognomielosen Marionetten, die uns das 
Theater der Barockzeit vorfuhrt. Und auch in 
der Struktur der Oper durfen wir nichts anderes 
als das Bekannte erwarten: Rezitative und Arien, 
Arien und Rezitative in endloser Folge. Keine 
Kleinigkeit sich da durchzufinden. Nach dem 
ersten Dutzend Arien (63 sind's im ganzen) ist 
das asthetische Unterscheidungsvermogen, der 
geistige Geschmackssinn vollkommen irritiert. 
Es ist kaum mehr moglich, die allenfalls vor- 
bandenen Unterschiede noch zu fassen. Und 
man muB es schliefilich dem Herausgeberglauben, 
wenn er sagt, daft die Hauptpersonen charak- 
teristiscb gegeneinander abgehoben seien. Schade, 
daO in der Einleitung, wie das sonst wohl ge- 
scbehen ist, nicht die besten Stucke heraus- 
gehoben sind. Man hStte von ihnen aus weiter 
in diesen Arienurwald vordringen konnen. So 
stebt man ziemlich waffenlos dieser Fulle des 
anscbeinend Gleichartigen gegenuber. Man spurt, 
das ist guter Stil der Zeit, aber wirklich gepackt, 
zur Reaktion gezwungen, wird man nirgends. 
Die Rezitative gar ermuden unsaglich durch die 
stereotypen gleichen Wendungen. Folgende mit 
dem cbarakteristischen liegenden Bali ist die 
haufigste: 



Gesang 
(Sopran) 



Continuo < 










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Sie wirkt das erste Mai angenehm in ihrer ruhigen 
rdyllischen Stimmung. Auf die Dauer und in 
alien nur mdglichen Situationen angewendet, 
wird sie schwer ertraglicn. Riemann gibt in der 
Einleitung eine bewunderungswiirdige philolo- 
gische Arbeit, einenQuellennachweis der 18 nach- 
weisbaren Buhnenwerke Steffani's, der fur alle 
spitere Forschung auf diesem Gebiet grund- 
legend, fur alle Shnlichen wissenschaftlichen 
Unternehmungen vorbildlich sein wird. Weniger 



befreunden kann ich mich mit seiner Anderung 
derTakteinteilung, deren Notwendigkeit ich nicht 
einsehe. Eine Erleichterung fur den Spieler, 
wie die Einleitung meint, ist sie ganz und gar 
nicht. Riemanns Continuo-Aussetzung ist uber- 
aus kunstvoll, vielleicht zu kunstvoll. Unmog- 
lich war mir von jeher seine Geheimlehre der 
Phrasierung. Ich habe mich seinerzeit ehrlich 
bemuht, in diese schwarze Magie der Bogen und 
Strichel und Kreise einzudringen. Ohne Erfolg. 
Ich bin zu dumm dazu. Nicht einmal begriffen 
hab ich, was ein Bindebogen soil, der vor den 
ersten Takt greift, wenn gar kein Auftakt da ist. 
Und nun hab ich das Ungluck, daO die meisten 
phrasierten Riemannausgaben fur mich unbrauch- 
bar sind. Nicht gerade diese, hier ist's nicht so 
schlimm. Aber z. B. die der Klavierwerke 
Friedemann Bachs. Ist der Mann nicht schon 
allein knifflig genug? Und nun? Ich mull 
buchstabieren und komme nicht zum Ziel. Ich 
hore, daft sogar die „Musikgeschichte in Bei- 
spielen" Riemannisch phrasiert sein soil. Schade. 
Ich hatte mich so sehr darauf gefreut. 

Dr. Ernst Neufeldt 

51. Sammlung musikalischer Einblatt- 

drucke: No. 1: Der I. Psalm, No.2: Der 

XXIII. Psalm, No. 3: Der CXXI. Psalm. 

In Reimen von Matthias Jorissen (1798) 

mit alten, von Claude Goudimel harmo- 

nisierten (1565) Hugenottenweisen. Vier- 

stimmig. Musikalisch - bibliophiler Verlag 

Josef von Szalatnay, Kattowitz und Leipzig. 

(Wohlfeile Ausgabe je Mk. 1.80, Liebhaber- 

ausgabe je Mk.2.50.) AuBerhalb des Rahmens 

der „Sammlung a als „Drei Psalmen", B Three 

Psalms* 4 , n Trois Psaumes", B Drie Psalmen", 

w Tfi Zalmy a , „Harom Zsoltdr", in Reimen 

von Matthias Jorissen (1798), einem un- 

bekannten Dichter (1629), Clement Marot 

und Thdodore de Beze (1552), Johannes 

Eusebius Voet (1773), JiH Strejce (1587), 

sowie von Szenci Moln&r Albert (1607). 

(Wohlfeile Ausgabe je Mk. 4.80, Liebhaber- 

ausgabe je Mk. 6.60 in gemeinsamem Urn- 

schlage.) Ebenda. 

Ein neuer Verlag tritt hier mit der Idee auf, 

das weite Gebiet der Musik der Bibliophilie zu 

erschlieOen. Man kann nur Freude daran haben, 

wie gut die vorliegenden ersten Publikationen 

ausgefallen sind. Auf dem chamoisfarbenen 

Butten der wohlfeilen Ausgabe ergibt die eigen- 

artige, auf die FarbendreiklSnge von Schwarz- 

Rot-Blau,resp.Schwarz-Grun-ViolettundSchwarz- 

Gelb-Rot abgestimmte typographische Anordnung 

ein wirklich schones Satzbild, das sich freilich 

noch bedeutend besser von dem prachtigen 

hollandischen Butten der in nur 50 Exemplaren 

hergestellten Liebhaberausgabe abhebt. Die nach 

einer alten Vorlage eigens fur diesen Zweck 

entworfene Notentype erhoht den Reiz der in 

der Offlzin von W. Drugulin in Leipzig sehr 

sorgfiltig hergestellten Drucke, fur deren Ver- 

breitung es nur von Vorteil sein durfte, daft den 

alten von Claude Coudimel harmonisierten 

Hugenottenweisen interkonfessionell gehaltene 

Texte unterlegt sind. Nach diesem schonen 

Auftakt wird man die Fortsetzung der Sammlung 

mit Freuden erwarten. Max Dubinski 



H:::! :>/.-: :v,- C iUOQI'C 



Uriqinal from 
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KRITIK 



OPER 

BERLIN: Man schwebte nun wieder zwischen 
Wagner und Verdi. „Tristan u , das po- 
tenzierte Ichdeseinen hier; „Don Carlos 4 *, ein 
Gelegenheitswerk voll interessantester Ausblicke 
dort. Mit heiligen, unheiligen Schauern treten 
wir in die Atmosphare des Hordramas; mit 
Zweifeln nShern wir uns der Durchgangsoper. 
Die heiligen Schauer aber, die man in den 
Berliner „Tristan*-Auffuhrungen wohl oft spuren 
konnte, verfluchtigen sich diesmal nach wenigen 
Taktcn. Wir fuhlen nicht mehr die Kunst, son- 
dern die Kunstlichkeit der Vorhalte. Das Unter- 
bewufttsein, das sich der Poesie verschwistert, 
wird vom dauernden Bewufitsein abgelost. Ich 
suche den Grund und finde ibn — im Orchester. 
Nicbt eigentlich in ihm, sondern in dem, der 
es regiert, in Leo Blech. Eifrig ist er, hochst 
eifrig. Und ich w&re der letzte, ihm die Palme 
zu weigern, wenn es galte, einen allgegenw2rtigen, 
tuchtigen Dirigenten zu nennen. Aber zwischen 
„Tristan a und Blech laufen keine Faden. Man 
braucht nicht Richard Strauft gegen ihn aus- 
zuspielen, dessen Erotik in der Darstellung des 
B Tristan* schopferisch wird. Aber selbst jener 
als nuchtern verschrieene Karl Muck wullte 
mit seiner uberlegenen Personlichkeit die Urn- 
risse des Werkes so hinzustellen, daO wir trotz 
alien L&ngen TristanglSubige blieben. Alle Vor- 
wurfe, die wir sonst gegen die Hofoper richteten, 
muOten dem ^Tristan" gegenuber verstummen 
oder gedSmpft werden; eben darum, weil hier 
kein Oberkommando, keine In^zenierung ent- 
scheidend eingreifen konnte. Hier aber fehlen 
die groften Umrisse und die feinen Schwebungen. 
Wir sehen eine hochst exakte Menschlichkeit 
am Werke. Und es ist nicbt meine Schuld, 
wenn ich nun kritisch von Szene zu Szene 
weiterging und allerlei Zweifel an mir nagen 
fuhlte. Nur eine wuftte sie zu bannen: Martha 
Leffler-Burckard. Eine Isolde, wie ich 
sie nie sonst erlebt babe; sinnlich und doch 
uberlebensgroO. Wahrhaft erscbutternd schon 
im ersten Akt; voll Hingabe im zweiten. Hin- 
gabe an wen? Und hier fallen Schatten in die 
Erinnerung. Kraus-Tristan ist mitleiderregend; 
eine Ruine, die man zum Aufbau des Werkes 
nicht mehr benutzen durfte. Wie ich den 
Bayreuther glSnzenden Siegfried einst feierte, 
so muft ich den immer nur halben, nun aber 
unmoglichen Tristan bedauern. Er schwebt in 
best&ndiger Angst um das Elementarste, urn 
seine Stimme. Deutet hustelnd eine (leider 
chronische) UnpfiBlichkeit an. Sein Notbehelf, 
das Flachsingen, Iegt die letzten Stimmreste 
blofl und betont das Unpersdnliche der Gestalt 
noch mehr im Gesange. Das Schdnste im 
zweiten Akt wird zu einem Exerzitium. Mit 
Pumpen und mit Rohren wird der SchluB er- 
reicht. Denn glucklicherweise redet Marke lange, 
redet durch den Mund Knupfers ein wenig 
farblos, so daft Tristan und wir mit um so 
grofterem Recht erleichtert aufatmen konnten. 
Aber Isolde kehrt zuruck und entiaftt uns mit 
den starksten, ja unvergefilichen Eindrucken. 
(Warum schenkte man sie uns nicht fruher, als 
noch die Bruchstelle der Mittellage als kleiner 
Schonheitsfehler gelten durfte?) Ihr stand als 



C 1 



Brangane Frau Arndt-Ober zur Seite, die, an 
sich achtbar, noch ein wenig im Diesseitigen 
haftet. Alles ubrige, der Kurvenal, das Zelt 
auf dem Schiff, der Mondschein des zweiten 
Aktes, der sonderbarerweise sitzende Tristan 
des dritten waren, das begreift man, ohne Be- 
lang, wo solche Werte auf dem Spiel standen. 
Es ist peinlich, also zerlegen zu mussen. Als 
wir Verdi's „Don Carlos 44 zu horen bekamen, 
stand Edmund von Straufi am Pult. Wir waren 
ganz selbstverstandlich auf nichts Iralienisches 
gefaBt und begnugten uns mit der wackeren Ge- 
sinnung, die aus seiner routinierten Stabfuhrung 
sprach. Verdi mit dem Taktstock gerade im „Don 
Carlos 44 festlichen Sinnes nachzugehen, ware 
nicht unlohnend gewesen. Ich habe den Geist 
dieses entwickelungstrachtigen Embryos jungst 
hier beschworen. Die Auffuhrung, die auf dem 
Fufie folgte, hatte dem Werk noch mehr Sym- 
pathieen werben konnen, wSre es rein vor uns 
getreten. Es gibt keinen Stil fur den „Hon 
Carlos 44 ; denn er selbst ist scbwankenden Stils. 
Aber brauchen wir zu zweifeln, daft diese Oper 
mit dem doppelten Gesicht doch mehr vom Geist 
der Vergangenheit als von dem der Zukunft ihre 
darstellerische Beleuchtung erwartet? Wir hatten 
nun zwei Gegenpole: Knupfer, den Philipp, 
und Jadlowker, Don Carlos. Dieser bringt 
noch die angenehme Ruckstandigkeit mit, die 
den Besitzer einer so prachtvollen Stimme zum 
echtesten Mittler gerade solcher Werke macht; 
jener durchtrankte den Konig mit musikdrama- 
tischem Sinn. Hat er ihn so bis in alle Fasern 
erlebt und vor uns gestellt? Ich glaube nicht. 
Verdi hat wie stets auch hier der unglucklichen 
Natur Mitleid, Liebe und Cbarakterisierungs- 
kunst geschenkt, hat Philipp sinnvoll uber die 
Umgebung gehoben. Aber er verlangt von ihm 
noch ein Mehr an Klang, der vom Herzen kommt 
und zum Herzen geht, etwas Damonisches, das 
in diesem Philipp nicht lebte. Der grofie Mo- 
nolog im dritten Akt schurft tiefer. Nebenbei: 
warum bleibt der Konig nicht sitzen? Denken 
wir ihn uns doch zusammengesunken, gebrochen 
inmitten der kahlen Pracht des Palastes, als 
Herrscher leidend und als fuhlender Mensch, 
von der Emporung bedroht und zur Entsagung 
gezwungen. Dieses Selbstgesprach ist eine 
Kostbarkeit. Sie strahlte nicht ganz in ihrem 
eigenen Glanz. Aber um so besser gelang das 
Rezitativische. Die Elisabeth der Hafgren- 
Waag ist eine wunderschSn klingende Un- 
personlichkeit. Die Eboli sang ihre Kanzone 
und hatte Blut und Leben: Frau Arndt- 
Ober. Der Posa des Herrn Bronsgeest, der 
Groftinquisitor des Herrn Schwegler, alles 
ehrenwert. Wir sahen auch das Bombenfinale 
des zweiten Aktes mit dem kinohaften Zu- 
behor der Ketzerverbrennung. Wird es mog- 
lich sein, dieses Werk noch einmal von der 
Germanisierung so zu retten, wie wir's frag- 
mentarisch durch die Monegassen erlebten? 
Ich furchte, nicht. — Nach Verdi kam Saint- 
Saens. Ja, er selbst in „Samson und Dalila". 
Strichlos hatte er sie gewunscht, und man ge- 
wfihrte es ihm. Selbst die gekurzte Oper findet 
uns bei allem musikalischen Reichtum zuweilen 
ungesammelt. Uberflufi an Choren; Stillstand; 
ein Mangel, an Tiefe, in dem gescheiten, allzu- 
Onqinal from 

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KRITIK (OPER) 



235 



gcscheiten Mcnschen ermudet. Kommt noch 
binzu, daB der Komponist am Pult allzu geruhsam 
fiber die peinlichen Differenzen zwischen Buhne 
und Orchester hinwegborte. Ich konnte es nicht. 
Berger war der Samson. Ein wie kunstlicher, 
eingezwSngter Tenor ist diese prachtige, me- 
talliscbe Baritonstimme von einst geworden! 
DaB er ein Held und musikalisch angemessen 
bleibt, sei ihm bestatigt. Wieder die Arndt- 
Ober als Dalila. Und pr§chtig bei Stimme. Sie geht, 
und wir haben neuen Verlust obne Ersatz zu 
beklagen. 

Das Deutsche Opernhaus sterilisierte den 
„Trovatore a . Verdi zu Ebren und sich zum 
Nutzen. Gab ihm uberdies ein schmissiges Ballet, 
um das sich der Rest gruppierte. Wir abnen 
schon, daB es sehr brav zuging. Alexander 
Kirchner, Luise Marck, Emmy Zimmer- 
man n; der eine hatte dies, die andere das, 
keiner alles, was hier nottut. Morike und 
Verdi! Lauter Ungleicbungen. Lagenpusch 
aber ist, wie immer, sehr ruhrig. Eine Auf- 
fuhrung, die ich mir in Parenthese denke. 
— Auch die Neueinrichtung von Lortzings 
B Undi;ie* kann ich nicht als Tat einschatzen. 
Erstens: gerade wer den Meister der Vorstadt- 
oper an seinem Platz liebt, wird diesen Ausflug 
ins Romantische nicht mit vollem Herzen mit- 
machen. Zweitens ist es eben darum vom Obel, 
daB man Scbwachen gewissenbaft und pietatvoll 
betont. Je rascher, desto besser. Zwar ist es 
ehrenvoll, wenn derTheaterdirektor (Hartmann) 
mit dem Musikhistoriker (Kruse) geht; doch 
bringt es nur dann Gewinn, wenn beide den 
Zwang der Buhnenwirklichkeit anerkennen. 
Kebrt also, bitte, zu den Strichen (im 1. und 
2. Akt) zuruck. (Ich scbmeichle mir nicht, auf 
jemanden Eindruck zu machen, der wie der 
Direktor soviel Tinte und Geist auf die Ange- 
legenheit verwandt hat.) An der Spitze dieser 
im groBen und ganzen — beides wortlich ge- 
nommen — bedSchtig-sorgfaltigen Auffuhrung 
stand Hans Leschke; leidlich geschickt. Hertha 
Stolzenberg als Bertalda wie immer ein- 
drucksvoll und, wenn man von kleinen SchSrfen 
der Hone abhort, angenehm. Elisabeth Boehm 
van Endert eine poetische, doch stimmlich 
scbwankende Undine. Paul Hansen eine Hoff- 
nung; Julius Lieban genieBt die Rechte des 
Veterans; Werner Engel ein trink- und stimm- 
fester Kuhleborn; Peter Lordmann von unver- 
wustlicher Brauchbarkeit. InbSherenTonen ware 
von der Hartmannschen Inszenierung zu reden. 
Kuppelhorizont plus Beleuchtung schaffen uns un- 
gewohnliche landscbaftliche Reize; und derselige 
Lortzing hat sich gewiB so viel echten Marchen- 
zauber nie traumen lassen. Adolf Wei B man n 
DRESLAU: Im Stadttheater begann die neue 
*-* Ara der stadtiscben Eigenleitung mit einer 
vom Intendanten W. Runge geleiteten Inszenie- 
rung des „Rienzi a , die ihr Bestes in der sicheren 
Beberrscbung der Massenaufzuge gab. Das 
musikalische Ensemble mit Trostorff in der 
Titelrolle bedeutete einen neuen Sieg des aus- 
gezeichneten Pruwer, der auf zehn Jahre als 
„Stidtischer Kapellmeister" an Breslau gebunden 
wurde. Zwei neue Dirigenten, die Herren Weill 
und Giuseppe Rio, stellten sich bald darauf vor, 
dieser mit der „Afrikanerin*, jener mit „Figaros 
Hocbzeit*. Seine Vielseitigkeit bewafirfe Pruwer. 



durch eine aufs feinste durchgearbeitete, im 
liebenswurdigsten Lustspielstil gehaltene Auf- 
fuhrung des „Fra Diavolo", in der Hochheim 
mit Verve den Titelhelden agierte. Von neu- 
geworbenen Kr3ften fuhrten sich die Dramatische 
Floch (Selika und Senta),die jugendlicheSSngerin 
Reinhardt (Agathe und Friedjensbote), die 
Soubrette Bauer (Zerline und Annchen), der 
Tenor Schmieter (Pedro), der Bariton Gruder- 
Guntram (Sebastiano, Nelusco), der Bassist 
von Zopoth (Kardinal, Landgraf) ein. Eine 
Erkrankung Trostorffs bewirkte, daB sich Heir 
Hochheim als Rienzi zum ersten Male im 
w schweren a Heldenfache nicht ohne Gluck ver- 
suchte. Als Tannh^user, fur den wieder einmal 
die Pariser Bearbeitung ausgegraben wurde, 
gastierte Herr Kirch ho ff von der Berliner Hof- 
oper. Auch sonst brachte die junge Spielzeit 
bereits einige Aushilfs- und Anstellungs-Gast- 
spiele. Zu Verdi's hundertstem Geburtstag 
wurde der „Maskenball a gegeben mit dem er- 
freulich aufstrebenden Tenoristen GUser als 
Richard und dem ausgezeichneten Hecker als 
Renato. Dr. Erich F re und 

r\0SSELDORF: Die neue Spielzeit wurde mit 
*^ einer ruhmenswerten Vorstellung des ff Fi- 
delio" unter F r 6 h 1 i c h s Leitung eroffnet. An- 
laBlich der Verdi-Feier soil ein Zyklus von 
Opern des Meisters aufgefuhrt werden. Als 
Vorboten kamen bisher „Rigoletto a mit Melitta 
H e i m aus Frankfurt a. M. als ganz hervorragen- 
der Gilda, August KieB, einem neueingetretenen 
stimmlich und darstellerisch vielversprechenden 
Bariton als Rigoletto unter des talentvollen 
Kapellmeisters Werner Wolff Leitung, ferner 
am hundertsten Geburtstage Verdi's der „Fal- 
staff a unter Alfred Frohlich, mit Gustav Wa- 
schow, Richard Hedler, Agnes Wedekind- 
Klebe, Auguste M tiller (Elberfeld) in den 
Hauptpartieen des FalstafP, Ford, der Alice Ford 
und Mrs. Quickly geradezu glSnzend heraus. 
Der neue Kapellmeister Wolff fand ferner Ge- 
legenheit, seine Begabung zu zeigen bei AnlaB 
einer w Tannh3user a -Vorstellung mit dem stimm- 
lich guten, aber noch der kunstlerischen Kultur 
seiner Vortragsweise benotigenden Tenor Egon 
R e i c h e n b ach in der Titelrolle, und bei einer 
Neueinstudierung der „Entfuhrung a von Mozart, 
die, mit Hofopernsfinger Anton Hummelsheim 
(Hannover) als Belmonte, einen besonders gun- 
stigen Eindruck hinterlieB, wahrend die Auf- 
fassung der „Walkure a doch noch zu wenig 
Stilgefuhl und Sicherheit verriet. Die Jahr- 
hundertfeier der Befreiungskriege gab der 
Theaterleitung Veranlassung, Alfred Kaisers im 
letzten Jahre hier zur Urauffuhrung gelangte 
Oper w Theodor Korner" wieder auf den Spiel- 
plan zu setzen. Frohlicbs temperamentvoller 
Leitung verdankte das anspruchslose Werk auch 
diesmal einen schonen Erfolg. 

A. Eccarius-Sieber 
CLBERFELD: Unser Stadttheater ist jetzt in 
" stadtische Verwaltung iibergegangen, die 
kunstlerische Oberleitung liegt in den HSnden 
Arthur von Gerlachs als stadtischen Inten- 
danten. Der Beginn der neuen Spielzeit mit 
„Figaros Hochzeit** und „Lohengrin*\ stilgerecht 
von v. Gerlach und dem Oberspielleiter Robert 
Bottcber inszeniert_und vom ersten Kapell- 
Tme.ister Ernst K noctUgbpriioaJ sTifcKhim Zeichen 






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236 



DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



der Feier des 25j&hrigen Bestehens des jetzigen 
Hauses. Puccini's „Madchen aus dem golde- 
nen Westen", das unter v. Gerlach und Knoch 
gut herauskam, hat in ausgezeichneter Besetzung 
der drei Hauptpartieen durch Agnes Poschner 
(Minnie), Erich Hunold (Sheriff) und Karl 
B a u m (Johnson) eine uberaus freundliche Auf- 
nahme gefunden und es bereits bis zu acht Auf- 
fuhrungen gebracht. Auch Alfred Kaisers Frei- 
heitsoper B Tbeodor Korner**, die zur Feier des 
Gedenktages der Volkerschlacht bei Leipzig ge- 
geben wurde, hatte als der JubilSumsstimmung 
dieses Jahres entsprechend Erfolg. Unter ver- 
standnisvoller Leitung von Hans Knapperts- 
busch erwiesen sich die beiden tragenden 
Frauenrollen der Antonie Adamberger und Chri- 
stine Hofer bei Kate J aenicke, die auch eine 
treffliche Rose Friquet war und als Cherubin 
erfreute, und Greta J a n s s o n gut aufgehoben, 
wahrend der neue erste lyrische Tenor Armand 
Pardy sich als Titelheld nicht unvorteilhaft ein- 
fuhrte. Verdis hundertstem Geburtstage trug, 
wenn auch etwas post festum, die w Rigoletto tf - 
Auffubrung Rechnung. „Das Glockchen des 
Eremiten**, w Martha** und „Undine** lieften in 
wohlvorbereiteten, abgerundeten Auffuhrungen 
erkennen, daC der Spieloper in dieser Spielzeit 
eine sorgfaltigere Pflege zuteil werden soil und 
in Hans Knappertsbusch fur die Spieloper 
ein temperamentvoller Dirigent gewonnen worden 
rst. Unter den neuen KrSften traten noch in 
Max Landeck (Sylvain) und Gottfried H age- 
do rn (Prediger) klangvolle Stimmen und in 
Joachim F a b e r (Basilio, Thibaut) ein hervor- 
ragendes Spieltalent in die Erscheinung. Mit 
der „Dame in Rot** von Robert Winterberg hat 
auch in derOperette unser diesjahriges Personal, 
vor allem die Soubrette Margarete v. Niedeck 
(Kitty), einen guten Anfang gemacht. 

F. Schemensky 
CRANKFURT a. M.: An Verdi's „Falstaff a 
* erprobte die Oper ihre Ensembletuchtigkeit. 
Unter Egon Pollaks Leitung erklang das 
wundervolle Werk in einer selbstverstandlichen 
Naturlichkeit und leichten Grazie, daft kein Wort 
der Anerkennung fur eine solch auftergewohn- 
liche Dirigentenleistung zu hoch gegriffen ist. 
Pollak verstand es vorziiglich, die tausend geist- 
spriihenden Einzelheiten im Ausdruck zu 
scharfen und in den dramatischen Flufi einzu- 
fugen; und immer schwebte fiber dem Ganzen 
der leichte und graziose Atem der Komodie. 
Robert vom Scheidt stellte einen dramatisch 
sehr wirksamen und gesanglich hervorragenden 
Falstaff auf die Buhne. Im Ensemble uberboten 
sich an Lebhaftigkeit der Darstellung und ganz 
erstaunlicher musikalischer Sicherheit die Damen 
Boennecken, F o r t n e r-H a 1 b aerth und 
Cornelius, sowie die Herren Brinkmann, 
Schramm, Weindel und Stock. Fur 
das unpaftlich gemeldete Frl. Uhr sprang Frau 
Rudy aus Karlsruhe ein. Der Kunstlerin ist 
nachzuruhmen, daft sie in diesem Ensemble 
nichts verdarb. Regisseur Krahmer sorgte fur 
eine sehr gute Regie und kam auf den guten 
Einfall, die Schluftfuge vor beleuchtetem Hause 
singen zu lassen. Es war eine wurdige Verdi- 
Feier. Karl Werner 

UAMBURG: Unsere beiden Opernhauser be- 
1 l teiligten sich lebhaft und zielbewuftt an den 

C 1 



Feiern, die allenthalben zur festlichen Begehung 
des Volkerschlachttages veranstaltet wurden. Die 
Neue Oper gab, vermutlich einer Anregung 
ihres Dirigenten Dr. Gohler folgend, die in 
Deutschland fast noch unbekannte „Ger mania* 
Alberto FranchettPs und nahm sich damit eines 
Werkes an, das sehr wohl die Neigung deutscher 
Leiter leistungsfShiger Buhnen beanspruchen 
darf. Es ist nicbt gerade geniale Musik von 
starker SelbstSndigkeit, die sich in dieser Partitur 
vorfindet, aberdie Tonsprache Franchetti's ist so 
gewahlt, sein tecbnisches Konnen in strenger 
deutscher Schule so weit gereift und seine Er- 
findung so flussig, daft seine Oper als solide 
Arbeit eines gediegenen Musikers durchaus 
ehrenvoll bestehen kann. Mit sehr viel Ge- 
schmack und sehr stimmungsvoll hat Franchetti 
in seine Partitur deutsche Weisen hineingewoben, 
wobei namentlich die Benutzung von Lutzows 
wilder Jagd gute Dienste leistet. Das Textbuch, 
ein klein wenig Gartenlaube-Sentimentalitat 
streifend, ist im ganzen nicht besser und nicht 
schlechter als die Dutzendware, mit der Libret- 
tisten die armen Komponisten auf das Glatteis 
zu locken lieben. Die Auffuhrung unter Leitung 
der Herren Gohler und Moris (Regie) war aus- 
gezeichnet und stellte abermals der Leistungs- 
fahigkeit unserer jungen zweiten Oper ein glan- 
zendes Zeugnis aus. Die Premiere brachte das 
erste Hamburger Auftreten des BerlinerTenoristen 
Hermann Jadlowker, der in einer bei der Ur- 
auffuhrung in Mailand von Caruso kreierten 
Bombenrolle einen sensationellen Erfolg hatte 
und der jetzt am Hamburger Kunstmarkt dem- 
zufolge einen hohen Kurswert besitzt. 

Im Stadttheater feierte man den Gedenk- 
tag mit einer Neueinstudierung des ^Siegfried**, 
den Dr. Loewenfeld ganz wundervoll poetisch 
inszeniert hatte. Weingartner dirigierte und 
probierte bei dieser Gelegenheit die Striche aus, 
die nach seiner Ansicht notig sind, um das In- 
teresse an dem Werke bis zu Ende wachzuhalten. 
Eine Notwendigkeit zu solchen Strichen, die 
vielleicht unter Umstanden diskutabel wSren, 
liegt fiir uns nicht vor: wir haben die geeigneten 
Krafte, die die riesigcn Anforderungen mit 
Leichtigkeit bewSltigen, und wenn es diese Krafte 
aushalten, ohne an Spannkraft einzubuften, dann 
kann es auch der Horer wohl ertragen. Aber 
ganz abgesehen von der prinzipiellen Seite dieses 
Falles scheinen Weingartners Striche, die an 
zahllosen Stellen bald kurzere, bald 12ngere Aus- 
lassungen vornehmen, mir nicht glucklich. Der 
erste Akt namentlich zerfSllt in seinen musi- 
kalischen und dramatischen Organismus unter 
der Unzahl der operativen Eingriffe, die Wein- 
gartner an ihm vorgenommen hat. 

Heinrich Chevalley 
1ZONIGSBERG i. Pr.: Mit einem abermaligen 
^ Fortschritt in Buhneneinrichtung und Regie 
sind wir in die neue Spielzeit getreten. Ist es 
auch nicht billig zu verlangen, daft alle Lucken 
eines seit Jahrzehnten veralteten Fundus mit 
einem Schlage erganzt werden, so mufi doch 
festgestellt werden, daft das hundertjahrige 
Konigsberger Stadttheater sich den Anspruchen 
zeitgemafter Operninszenierung technisch durch- 
aus angepaftt hat. Die Verwaltung des neuen 
Apparates in der Oper ist obendrein in die 
Hande eQi|CJ^ ji^aj^n^^i gegeben, der mit ihm in 

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KRITIK (OPER) 



237 



geistig interessanter und stichhaltiger Weise 
umzugeben weiB: in Charles Moor ist uns ein 
Regisseur gewonnen, der wirklich musikdrama- 
tisch arbeitet, den Buhnenvorgang als musik- 
dramatisches Ausdrucksmittel durcbgestaltet; 
und nun brauchen wir uns vor der bevorstehen- 
dcn „Parsifal a - und zyklischen „Ring a -Auffuh- 
rung in szenisctaer Hinsicht nicht mehr gar so 
sehr zu furchten. Aucb unsere beiden Haupt- 
kapellmeister Frommer und Sen ink, unsere 
guten Tenore Fanger und Favre haben wir 
nocb, dazu die sehr zu schatzende Jugendlich- 
Dramatische Erna Fiebiger und manche andere 
tuchtige Kraft, und noch geht es uns ganz gut. 
Doch schon wirft die ratselvolle Zukunft ihre 
Schatten voraus; ein Tenor, der was taugt, bleibt 
nicht in Konigsberg, sowohl Fanger wie Favre 
sollen uns verlassen, und schon das erste Ersatz- 
Gastspiel hat gezeigt, wie schwer es sein wird, 
geeignete Nachfolger fur sie zu finden. 

Dr. Lucian Kamietiski 
MAGDEBURG: In unserem Stadttheater, das 
*** durch die Direktion Vogeler (fruher in 
Halberstadt) vielleicht einen Direktor erhalten 
bat, wie ihn diese Ubergangszeit braucht, kam 
zum ersten Male fur Deutschland die neue Oper 
von dem Wiener Komponisten Max von Ober- 
Ieithner w Aphrodite" zu Gehor. Das Text- 
buch entstand aus dem gleichnamigen Roman 
yon Pierre Louys, aus den neunziger Jahren, 
fiber dessen Sumpf wuster Erotik, die in dem 
Textbuch nicht ganz verhullt wird, selbst in 
Paris langst Gras gewachsen ist. LiebstSckl 
gewann durch seine Bearbeitung wenigstens 
etwas an kulturfahigem Boden. Gleichwohl, ein 
Geschlecht von sympathischen Menschen wird 
man auf ihm vergebens suchen. Der Mann und 
die Weibchen; das animalisch Erotische in un- 
gezugelter Nacktheit. Versuchte Schfindung, 
Diebstahl, Kreuzigungstod hinter der Szene, 
Mord, Giftbecher, Sakrileg. Das ist fur eine und 
eine halbe Stunde schon eine Leistung! Chrysis, 
wie sie nach dem Erleben aller Moglichkeiten 
der Liebe die Gunst eines Gottes ersehnt. Er 
erscbeint ibr in der Gestalt des Bildhauers 
Demetrios, der das Standbild der Aphrodite nach 
dem Bilde seinerGeliebten,derK6niginBerenike, 
in Marmor gebildet hat. Demetrios und Chrysis. 
Preis ihrer eifersuchtigen Liebe: der von Deme- 
trios zu stehlende Schleier der Bacchis, die statt 
ihrer mit dem Preise der Schonheit gekront 
wurde. Weiter: der Raub der demantnen Nadel 
der Priesterfrau, die nur durch den Tod ihrer 
TrSgerin gewonnen werden kann, und endlich 
der Raub des kostbaren Schmuckes, der am 
Halse der marmornen Gottin glanzt; erst durch 
Zertrummerung des Standbildes wird er frei. 
Demetrios vollbringt diese drei verbrecherischen 
Taten und schlagt schlieBlich sein Meisterwerk 
in Stucke. Aber ihm wird kein Lohn; die ver- 
brecherische Laufbahn von einer halben Stunde 
Dauer hat ihn zerknickt. Er verschmSht Chrysis 
und sinkt dahin, von einem mitleidigen Doich- 
stofle getroffen. Chrysis aber muB den Gift- 
becher trinken und hat in griechischer Schonheit 
auf der Bubne zu sterben. Oberleitbner hat 
uber diese alexandrinisch-pariser Gesellschaftdie 
Mantel buntfarbigen Orcbesterklangs geworfen. 
Seine Motive atmen aber gleichwohl nicht viel 
inneres Leben. Fremdlftndisches Kalorit in 

C 1 



Ganztonleitern und ihren Akkordfolgen. Geist- 
volle sympathische Arbeit, aber es fehlen die 
groBen Bogen, die allein dramatisch fortzuziehen 
vermogen. Am Unmusikalischen des Textbuches 
muBtediesergeistvolleOpernkomponistscheitern. 
Josef Go 11 rich gab der Partitur viel Feuer und 
Schwung, ohne sie indessen fur die deutsche 
Buhne retten zu konnen. Max Hasse 

IMANNHE1M: Mit einer Neueinstudierung von 
*** G lucks „Iphigenie in Aulis" wurde die 
neue Opernsaison eroffnet, mit dem neu ein- 
studierten „Maskenball a von Verdi begann ein 
Ve r d i - Z y k 1 u s, der indessen nur langsam 
vorwartsschreitet. Von alteren Spielopern wurden 
„Fra Diavolo", „Der schwarze Domino" und 
„Maurer und Schlosser" zu neuem Leben er- 
weckt, dann feierte Mozarts w Entfuhrung aus 
dem Serail" nach jahrelangem Schlummer ein 
frohliches Erwachen. Max Lipmann als Bel- 
monte, Karen Oderwald-Landerals Konstanze, 
Gertrud Runge als Blondchen, Karl Man g als 
Osmin und Max Felmy als Pedrillo gaben eine 
vorzugliche Besetzung ab und die Auffuhrung 
errang unter der vortreiflichen Leitung von Ar- 
thur Bodanzky einen gianzenden Erfolg. — 
Leo Slezak gastierte als Eleazar und Rhadames; 
er imponierte in erster Linie durch seine pha- 
nomenale Stimme, mit der indessen die feinere 
stimmliche Kultur nicht auf gleicher Hohe steht. 

K. Eschmann 

MUNCHEN: Unsere Hofoper veranstaltet 
gegenwartig Auffuhrungen VerdischerMei- 
sterwerke. „Rigoletto tt , w Traviata a , w Maskenball a , 
„Troubadour a , w AYda" und n OthelIo a sind bereits 
absolviert, und noch in dieser Woche wird der 
^Falstaff* 4 — fur Munchen eine Novitat — den 
Zyklus abschlieBen. Jeder musikalische Mensch 
freut sich daruber, das Andenken Verdi's geehrt 
zu wissen. Denn wir lieben diesen letzten 
grofien Italiener, ohne uns uber seine Schwachen 
zu tauschen. Mit all seinen Unbedenklichkeiten 
und Cruditaten steht er doch wie ein Stuck 
Natur vor uns Kindern einer ewig reflektieren- 
den Zeit. Wir bewundern seine originate Phan- 
tasie, seine dramatische Schlagkraft und Cha- 
rakterisierungskunst, wir bewundern vor allem 
die echt romanische Sicherheit seiner Technik 
und seine echt romanische Liebe zu dem Ma- 
terial seiner Kunst. Unsere Dirigenten Bruno 
Walter und Otto HeB besitzen jenen verfeiner- 
ten Klangsinn, der allein alle Schonheiten Verdi- 
scher Instrumentation fuhlen und herausarbeiten 
kann. Da sie zu ihrer Aufgabe auch das erfor- 
derliche Temperament mitbringen, konnten sie 
uns vortreffliche Gesamtleistungen bieten, weit 
bessere als der schwerblutige, unsensible Rohr. 
Unser Buhnenensemble ist bei allem hingeben- 
den FleiB (gleich alien ubrigen deutschen En- 
sembles) mit dem Verdi'schen Vortragsstil nur 
zum Teil vertraut. Es wird bei uns eben auch 
noch zu wenig legato gesungen und zuviel ge- 
schrieen. Nur Fraulein Fay und Fraulein Pe- 
rard-Petzel sowie Herr Brodersen, der ein 
vorzuglicher Rigoletto ist, zeigten sich ihren 
Aufgaben durchaus gewachsen, wahrend die 
Leistungen der Frau Bosetti gesanglich wie 
musikalisch auf der Hohe absoluter Vollendung 
standen. Alexander Berrsche 

DARIS: Das hochmoderne Musikdrama von 
F Wolf-Ferrari .I^f^f^^ Madonna* 

11 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



238 



DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



ist trotz aller Hindernisse endlich doch an der 
Grofien Oper zur Auffuhrung gelangt. Schon 
im Frubjahr solltc es mit Mary Garden gegeben 
werden, aber wenige Tage vor der Generalprobe 
meldete sie sich krank, und keine andereSa*ngerin 
der Grofien Oper wollte diese Gelegenheit er- 
greifen, sich mit Ruhm zu bedecken. Direktor 
Messager konnte scbliefilich dem Streik nur da- 
durch begegnen, dafi er in Andr6e Vally eine 
neue Kraft anwarb, die nicht zu den Berufs- 
kreisen gehort und ihre ansehnlichen Snmm- 
mittel bis dahin nur im Salon verwertet batte. 
Auflerdem mufite der venezianische Kapell- 
meister Preite herbeigerufen werden, urn die 
Vorstellungen zu leiten, obschon die Grofie Oper 
fiber drei st&ndige Dirigenten verfugt. Aucb die 
Pariser Kritik hat sich an der Verschworung 
beteiligt, indem sie das vom Tondichter selbst 
geschaffene Textbuch fur roh und banal erklfirte 
und die Musik noch schlimmer wegkommen 
liefl. Dennoch liefi schon die Generalprobe den 
Eindruck zuruck, dafi der elementare Ausdruck 
der Leidenschaft zwischen Text und Musik eine 
ungewohnliche Einheit schaffe, die das Publikum 
unwillkurlich feQle, und die Verketzerung durch 
die Kritik hat auch dem weiteren Erfolg nicht 
geschadet. Wenn man bedenkt, dafi Andr6e Vally 
in der anspruchsvollen Partie der Maliella zum 
erstenmal die Buhne betrat, und zwar die Riesen- 
buhne der GroBen Oper, die selbst geubten 
Buhnensangem eine unerwartet schwere Aufgabe 
stellt, so mufi man zugeben, dafi ihre Leistung 
wenigstens in gesanglicher Beziehung mehr als 
befriedigend war. Der Tenor Campagnola 
und der Bariton Marcoux, dem s pater Sizes 
folgte, gaben ihre Partien mit einem Realismus 
wieder, der an der Grofien Oper unerhort ist, 
aber in diesem Werke ganz am Platze war. Die 
„Pagliacci" von Leoncavallo, die noch am ehesten 
mit dem neuen Werke verglichen werden konnen, 
haben sich in der Grofien Oper nicht heimisch 
machen konnen, aber dem „Schmuck der Ma- 
donna" wird, wie es bis jetzt scbeint, ein besseres 
Schicksal beschieden sein, weil das Orchester 
reicher gestaltet ist und besser in den grofien 
Raum des Hauses hineinpafit. 

Aus einem einaktigen Drama eine vieraktige 
Oper zu machen, ware selbst dann ein gefahr- 
liches Unternehmen, wenn der Tonsetzer eben- 
soviel Genie hat wie der Dichter. Im Falle der 
r Drei Masken a von Charles Mer6 und Isidore 
de Lara, die nach dem Theater von Marseille 
nun auch das neue Pariser Opernhaus Astrucs, 
das Theater der elysfiischen Gefilde, mit 
ansehnlichem Erfolg zur Auffuhrung gebracht 
hat, kann man aber nur von einem gewissen 
Talent der Urheber sprechen. Der tragische 
Einakter hatte vor funf Jahren dem winzigen 
Theater MSvisto einen vorubergehenden Glanz 
verliehen, und nicht zu leugnen ist, dafi es ein 
ausgezeichneter tragikomischer Einfall M6r6s 
war, an einem Faschingsabend die Leiche des 
Sohnes als schwer betrunkenen Gast in das Haus 
des Vaters fuhren zu )as*en, wo dadurch eine 
echt korsische Familienrache befriedigt wird. 
Lara hat auch fur diese Schlufiszene, die seinen 
vierten Akt allein ausfuHt, eine nicht sehr feine, 
aber packende musikaliscbe Behandlung ge- 
funden, aber die drei ersten Akte bilden zu 
diesem Schlufiakt in dichterischer und noch mehr 

C 1 



in musikalischer Beziehung nur eine durch un- 
notiges Beiwerk in die BreitegezogeneEinleiiung. 
Da Lara bestSndig furchtet seine Musik gelre als 
allzu konservativ, hat er fur den dritten Akt eine 
Karnavalmusik geliefert, bei der man sich gerade- 
zu die Ohren zuhalten mufi. Das vulgare L&rm- 
werkzeug des Bigophons wird hier zum ersten- 
mal in das symphonische Orchester eingefubrt, 
um sich an einem burlesken Totenmarsch zu 
beteiligen. Als Ganzes ist die neue Partirur 
Laras weniger wertvoll als die seiner „Sanga" 
und seiner letztjihrigen „Nail", aber er hat jeden- 
falls noch nie eine so wirksame Szene gestaltet 
wie die, wo die drei maskierten Morder mit der 
maskierten Leiche bei ihrem Totfeinde eindringen 
und durch derbe Scherze die Entdeckung des 
Leichnams verzSgern. Das ganze Werk wird 
uberdies durch das Wiegenlied einer alten Amme 
durchzogen, das sehr gut wirkt und immer wieder 
mit Genugtuung begrufit wird. Frau Marie" de 
Lisle sang es mit viel Empfindung, und so war 
ihr Erfolg mindestens ebenso grofi als derjenige 
von Rose F6art, welche die weibliche Haupt- 
partie des verfuhrten Madchens innehatte, dessen 
Verfuhrung in der angegebenen grausamen Weise 
von seinen drei maskierten Brudern geahndet 
wird. Ein bisher unbekannter Orchesterdirigent 
Theodor Mathieu zeichnete sich nicht weniger 
aus als der Tenor Lapelletrie und der Bariton 
Albers. Felix Vogt 

DRAG: Von zwei ausgezeichneten Neueinstu- 
* dierungen im Neuen deutschen Theater 
ist zu berichten. Als Vorfeier zu Verdi's hun- 
dertstem Geburtstage wurde wFalstaff" gegeben. 
Das entzuckende Werk bleibt aber immer nur 
ein Leckerbissen fur Feinschmecker, wogegen 
das breite Publikum uber die meisten Schon- 
heiten leider hinweghort. Die Auffuhrung war 
ausgezeichnet. Hans Pokorny, der uns leider 
mit Ablauf der Spielzeit verlafit, hatte in der 
Titelrolle einen grofien Erfolg. Aber auch Hed- 
wig von Debicka und die junge, ungemein 
talentierte Eisner waren ganz hervorragend. 
Kostlich war die Neueinstudierung von Mozarts 
„Entfuhrung aus dem Serail*. Unter Zem- 
lin sky's stilvoller Leitung ubte das Werk eine 
ziindende Wirkung aus. Nicola Zee ist ein 
Osmin von profunder komischer Wirkung. Die 
Damen Debicka und Eisner waren vollwertig. 
Der Verdi-Zyklus begann mit einer Auffuh- 
rung von „ AVda a , in der die heimischen Krifte, 
alien voran die grofizugige Emmy Hoy als 
Ai'da, besseres leisteten als die Gfiste, von denen 
Mariska A Id rich von der Hammerstein-Oper 
in Newyork direkt enttauschte und Augustino 
Scam pi ni, als zweiter Caruso vorausgelobt, 
uber das Mittelmafi eines guten italienischen 
Tenors nicht hinausging. Sonst verdient noch 
die stilvolle zyklische Auffuhrung des „Ring" 
ruhmend hervorgehoben zu werden. 

Dr. Ernst Rychnovsky 
CTRASSBURG: Nachdem uns von August an 
^ ein Wiener Operettenensemble mit mittel- 
mafiigem, teilweise minderwertigem Personal ein 
mittelmafiiges, teilweise minderwertiges Reper- 
toire vorgesetzt hatte, nahm von Mitte September 
die Op^r wiederum ihren Anfang, und zwar mit 
der ,Judin*. Weiterhin gelangte neueinstudiert 
Mozarts reizende „Entfubrung a zu Gehor, 
leider .getrubt durch einen lyrischen Tenor 
Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRITIK (OPER) 



239 



(Poerner), an dessen Kunst man keinerlei 
Freude haben kann; auch die Wiederauf- 
nahme von Kienzls gefalligem „Kuhreigen" war 
anerkennenswert. Pfitzner zeigte in Direktion 
dcs ^Tristan* und des „G16ckchen des Eremiten" 
seine gleichmaBige Beherrschung des ernsten 
und des heiteren Stils. Sonst fullten noch „Der 
liebe Augustin", w Fidelio a , w Lohengrin", die 
ziemlicb uberflfissige „Undine* (die erst im Vor- 
jahre zur Genuge abgespielt war), noch dazu in 
recht unvollkommener Auffuhrung, den Spiel- 
plan, dazu als einzige bisherige Novitat die 
Nichtigkeit „Hoheit tanzt Walzer 44 ! Hier trat ein 
neuengagierterOperettentenor,OttoBeer,auf,der 
aber die fur dies Fach erforderliche Eleganz und 
Leichtigkeit des Gesangs vermissen laBt. Besser 
gefabren sind wir mitdem Engagement des Herrn 
Bischoff, an dem wir nun einmal einen wirk- 
lichen Heldentenor mit Kraft und Leichtigkeit 
der Hone besitzen; sein Eleazar, Florestan, 
Tristan usw. waren vortrefFliche Leistungen. Auch 
der Ersatz fur die jugendliche dramatische 
Sangerin (bisher Dina MahlendorfT), Frau Dit- 
Beraneck, berechtigt zu guten Erwartungen, 
ebenso wie der Spieltenor Fritz Muller- Raven, 
dessen angenehmes Organ nur noch an Starke 
zu wunschen fibrig UBt. So bietet die Oper 
unter Pfitzners Leitung alle Voraussetzungen fur 
eine ersprieBliche kunstlerische Wirksamkeit 
unter der Voraussetzung allerdings, dafi es gelingt, 
das gar zu spirliche und konventionelle Reper- 
toire auf eine hohere Stufe zu heben. 

Gustav Altmann 
WHEN: Die Direktion Gregor, das unfrucht- 
** barste aller bisherigen Opernregimes, 
dauert weiter; fahrt fort, an den Pflicbten gegen 
die beutige Produktion voruberzugehen, die neuen 
Werke von StrauB und Schillings, Pfitzner, Sieg- 
fried Wagner als nicht vorhanden zu be- 
trachten, Neuszenierungen wertvoller und teurer 
Scnopfungen in wenigen Proben herzustellen 
und auf Minderwertigkeiten einen FleiB zu ver- 
wenden, der den Wichtigkeiten entzogen wird 
und das ganze Gleicbgewicht und die Konti- 
nuitit der Arbeit st6rt. 1m Verdi-Zyklus 
sind alle Vorstellungen, auch die neu heraus- 
gebrachte des „Ernani", gerade zur Not zurecht- 
geflickt worden, in hastigen Proben mit ein 
paar neuen Dekorationen, dort und da der Dar- 
stellung ein Licht aufsetzend und im iibrigen 
den Siingern und Dirigenten vertrauend, deren 
Sicberheit immerhin vor den argsten Unfallen 
schutzen mochte. Die Ursache: weil die ganze 
verfugbare Probenzeit von Herrn Direktor 
Gregor fur seine — an sich ganz vollendete, 
mit unsaglicher Muhe durchgebildete, in der 
Bildwirkung und in jedem Detail der Darstellung 
sebenswerte — lnszenierung von Puccini's 
Goldgraberfilm mit Musik „Das Madchen aus 
dem goldenen Westen" besetzt war. Das 
Werk ist in Berlin bekannt und ist in diesen 
Blattern ausfuhrlich behandelt worden. Wes- 
halb wenige Worte daruber genugen mogen, 
daB hier stofflich ein Tiefstand erreicht worden 
ist, den man nicht einmal nach der aus Blut- 
dunst und Weibrauch gemischten „Tosca a fur 
mdglich gehalten hatte; daft nichts depri- 
mierender sein kann, als einen Tondichter von 
derartiger melodischer Poten/, raffinierter Deli- 
katesse, solchcr Meisterschaft im Jkauen der 

f)::j :i/nn :v/ i iDUQ 

£ 1 



verfiihrerischsten Stimmungstr^nke und in der 
fabelhaften Bravour, in einem knappen Rhyth- 
mus, einer steil aufschielienden Gesangs- 
phrase, einer aparten Klangmischung oder in 
jahen Kontrasten briinstigster Erotik und bru- 
talster Grausamkeit jede Situation musikalisch 
aufs knappste festzulegen und zu konturieren — 
daB solch ein Tondichter derart der Reumittel 
sadistischer Blutrunstigkeit bedarf, um sich zur 
ProduktivitSt zu stimulieren. Der Weg von der 
„Tosca tt uber dieses Werk fuhrt geradezu zum 
n Schinderhannes tt oder ahnlichen Produkten 
vulgarster Panoptikumphantasie . . . Wie stark 
sein Talent ist, spurt man in jedem Takt; man 
ist angewidert, und er zwingt doch zum Auf- 
horchen. Seine Technik ist unfehlbar, ist von 
einer sparsamen Treffsicherheit, von der jeder 
der heutigen Dramatiker lernen konnte, und ist 
so stark, daB sie sogar das Manko der Erfindung 
wegt^uscht und daB sich bei diesen musivisch 
von zwei zu zwei Takten sich fortsetzenden Ge- 
sangslinien doch immer der Eindruck einnistet, 
eine breite und eindringliche Kantilene zu horen. 
Miniaturarbeit, aber mit einem Temperament 
und einer Hitze des Atems, daB man Dra- 
matik zu erleben glaubt. Dieser handfeste 
Theatermann hat oft Einfille von exotischer 
Zartheit und uberraschender plastischer Kraft; 
und dieser subtile Erfinder zeigt sich gleich dann 
wieder als kluger Routinier, der das rechte Rezept 
bar, sinnlich aufzureizen und Nervenschauer 
mit angenehmem Gruseln ertragen zu machen. 
Leider aber erstreckt sich das RezeptmaBige 
auch schon auf die Art seiner Melodik, besonders 
aber auf Harmonik und Modulation; man kennt 
seine Quarten- und Quintenfolgen, seine Ganz- 
tonschritte bis zum OberdruB, dieses ganze Ver- 
fahren zur Herstellung banalitatfreier i\lusik. 
Aber — er „hat a das Publikum; und der Arger 
daruber und uber seine Neigung zu Kolportage- 
stoffen w3re nicht so groB, wenn er nicht bei 
alledem ein „ganzer Kerl a ware; einer, dem 
nicht nur alles Technische gelingt, weil er weiB, 
was er will, sondern dem oft mitten in der ver- 
dorbensten Routine plotzlich Dinge gelingen, 
die ans Geniale streifen; die Stilisierung der 
Niggerweisen, die Blutstropfen in der Harfe, 
das Verstummen der Musik und das fast uner- 
trSglich spannende unartikulierte Vibrieren des 
Orchesters in der Spielszene (freilich der Zirkus- 
trick, wenn vor dem Salto mortale die Musik 
plotzlich schweigt!) — das und vieles andere 
ist so genial erfunden und so fabelhaft gekonnt, 
daB man es gar nicht verschmerzen kann, diese 
Begabung in so unedler Sensation verschwendet 
zu sehen. Die Vorstellung des Werks war von 
einer fast betrubenden Vollkommenheit. Von 
Gregors vorzuglicher, minutios ins Detail gehen- 
der und doch den theatralischen Zug des Ganzen 
wahrender Regie wurde schon gesprochen. Herr 
Reich we in hat das Orchester mit Sicherheit, 
Verve und feinster Farbengebung gefiihrt, und 
in den Hauptrollen waren Mizzijeritza (als 
Minnie von beherzter Anmut und passionierter 
Schlagkraft), Alfred Pice aver (als ideal 
singender edler Riuber), Rudolf Hofbauer 
(als tuckischer Sheriff eine psychologische 
Charakterstudie von feinstem Reiz und glaub- 
hafter Evidenz des Bosen), neben ihnen in 
famosen Episoden d^j^^^lms, Ritt- 

L UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



mann, Goddard, Breuer, Madin, Preufi 
und Leuer so vollendet, dafX sich ein starker 
Publikumserfolg einstellte. 

In der Volksoper: Puccini aufs Oster- 
reichische ubertragen und in verjGngten Pro- 
portionen: Franz Neumanns auf deutschen 
Buhnen wohlbekannte „Liebelei a nach 
Schnitzlers Drama, in einer von Herrn Mar- 
kowsky sorgsam inszenierten, von Herrn 
Tittel mit Temperament geleiteten Auffuhrung, 
in der neben dem allzu mondSnen Frl. Roeder 
(Schlagermizi) und den durchaus vortrefflichen 
Herren Lufimann (Fritz), Brand (Theodor), 
Klein (fremder Herr) und Bandler (Weiring) 
die Christine Vika En gels in ihrer ruhrenden, 
bangen Hingabe, ihrer wahrhaften Empfindung 
und ihrer zarten Leidenschaft in Gesang und 
Spiel zu Herzen ging. Die nicht eigenartige, 
aber warme, herzliche und dabei vornehme und 
gewandte Musik, die sich nur etwas zu schwer 
an gewisse alltagliche Dialogwendungen hangt, 
ist doppelt sympathisch. Durch ihre Ehrlich- 
keit, ihre sehr hubschen und innigen Einfalle. 
Und weil sie wider Willen die musikalische 
Moglichkeit der modernen Konversationsoper 
glatt ad absurdum fuhrt. Richard Specht 
YWIESBADEN: Die neue Musiksaison begann 
™ mitder Vorfuhrungder StrauGschen w Ariadne 
auf Naxos**. Das zuerst auflodernde lnteresse 
flaute bald wieder ab: schon bei den Wieder- 
holungen fehlte der lebenskrSftige Wiederhall 
im Publikum. Uber die stilistischen Mangel 
der im ubrigen so kuhn erdachten Partitur ver- 
mochte man sich doch nur schwer hinwegzu- 
setzen,unddieKomodieinderHofmannsthalschen 
Verarbeitung langweilte trotz des sehr flotten 
Spiels unserer Darsteller. Vortrefflich fiihrte 
sich die neue Primadonna Gabriele E n g 1 e r t h 
als Ariadne ein; sie gab seitdem auch als Rezia, 
Senta, Aida usw. Proben einer bemerkenswerten 
gesangsdramatischen Begabung. — Von unver- 
wustlicher Anziehungskraft waren die Opern 
von Verdi, die bei Gelegenheit der 100. Ge- 
burtsfeier dieses Meisters auf dem Plan er- 
schienen: „Traviata", ^Troubadour** (mit Urlus 
aus Leipzig als Manrico), „ATda u (mit Slezak 
als Rhadames), „Othello u , darin unser Tenorist 
Forchhammer (als Othello) von neuem seine 
pr&chtige dramatische Gestaltungskunst offen- 
barte. Prof. Otto Dorn 

KONZERT 

BERLIN: Den 1. Symphonieabend derKonig- 
lichen Kapelle dirigierte nicht Richard 
StrauB, sondern in Vertretung Leo Blech. Das 
Programm begann mit der Ouverture „Rosa- 
munde** von Schubert, brachte danach Haydns 
Symphonie in G (mit dem Paukenschlag), das 
Konzert fur Flote und Harfe von Mozart und 
schloll mit Beethovens Achter. Das Mozartsche 
Werk, in Paris fur den Herzog von Guines und 
dessen Tochter von dem jugendlichen Tonsetzer 
geschaffen, obwohl ihm weder die Flote noch die 
Harfe als Klanginstrumente sympathisch waren, 
enthSlt namentlich im Andantino ein Gebilde 
von beruckendem Klangreiz; es wurde von 
Emil Prill und Josef Ziegenhein mit vollen- 
deter SchSnheit der Tongebung gespielt. Leo 
Blech zeigte sich auch an diesem Abend als 

C 1 



tuchtiger Meister des Taktstockes. — Fur das 
1. Konzert des Philharmonischen Chores 
hatte Siegfried Ochs zwei Neuheiten ausgewShlt: 
eine Trauerode fur Chor und Orchester von 
Hans Koefiler auf eine Dichtung von Max 
Kalbeck und „Das Gluck von Edenhall", die 
bekannte Uhlandsche Ballade fur Chor und 
Orchester von Engelbert Humperdinck. Die 
etwas schwerblutige Musik der Trauerode, in 
der das Orchester vor der Menschenstimme und 
in ihm das Blech stark bevorzugt ist, schreitet 
wuchtig, feierlich ernst wie ein Trauermarsch 
an dem Horer voruber. Das instrumentale 
Hauptmotiv wird zu bedeutsamer Klangpracbt 
gesteigert, doch fuhlt man sich zum ScbluB 
mehr niedergedriickt als erhoben, da die flnstere 
Grundstimmung sich ohne mildernden Gegen- 
satz festsetzt. In Humperdincks Ballade ver- 
nehmen wir alle Vorzuge des naiv schaffenden 
Tondichters, der im Orchester mit sicher ge- 
staltender Hand jede Wendung des Gedichtes 
liebevoll ausmalt, wahrend er den Chor das 
Wort rezitieren lafit. Die Musik ist durchaus 
popular gehalten und bereitet den Ausfuhrenden 
ebensowenig wie den Horenden Schwierigkeiten. 
Der Schwerpunkt des Programms ruhte auf dem 
Kyrie, Sanktus und Agnus Dei von Max Bruch, 
einem herrlichen Werk, mit dem sich der Ton- 
setzer einen Ehrenplatz neben unseren ersten 
Meistern erobert hat. Die melodische Erfindung, 
wie der vornehme Aufbau des Satzes, die vollen- 
dete Schonheit, die uns aus der sinnvollen Ver- 
wertung der angewandten Klangmittel entgegen- 
stromt, notigen, wie schon bei fruheren Auf- 
fuhrungen, zu ruckhaltloser Bewunderung. Hier 
entfaltete denn auch der Verein unter seinem 
Dirigenten die voile Kraft seines Konnens; man 
merkte alien an der Auffuhrung Beteiligten die 
Liebe zu dem Werke an. Bruckners Tedeum, 
ebenfalls ein Prachtstuck in dem Repertoire des 
Philharmonischen Chores, bildete den SchluQ des 
Abends. Lillian Wiesickes schlanker weicher 
Sopran neben dem Berliner Vokalquartett 
(Eva Lelimann, Marta Stapelfeldt, Richard 
Fischer und Eugen Brieger), Bemhard Irr- 
gang vor der Orgel, unsere Philharmoniker, 
alle setzten mit dem Chor ihre besten KrSfte 
voll ein fur das Gelingen des interessanten 
Abends. — Maria Philippi sang, von Edwin 
Fischer am Bechstein begleitet, aulier Lieder- 
gruppen von Brahms und Schumann eine Reihe 
neuer Lieder ihres Begleiters, die manchen fein- 
sinnigen Zug in der Deutung des Dichterwortes 
zeigten. Die SSngerin bewahrte sich wieder als 
treffliche Kunstlerin, die mit ihrem warmen 
sympathischen Organ, mit ihrem geistig belebten 
Vortrag ihre Horer zu fesseln weiB. — Walther 
Kirchhoff, der mit Begleitung des von Hugo 
R u del dirigierten Philharmonischen Orchesters 
einen Wagner-Abend gab, sang vor gefulltem 
Hause und versetzte sein Publikum in belles 
Entzucken. Was man auch fur gerechten Einwand 
gegen das Herausgreifen von Bruchstucken aus 
Wagners Werken erheben mag, das voile Haus 
jubelte dem Sanger ruckhaltlos zu, der, glanzend 
disponiert, alles was er sang, zurGeltung brachte. 
Selbst in dem doch ziemlich wuchtig instrumen- 
tierten Schmiedelied aus ^Siegfried** klang die 
Stimme sieghaft uber das Orchester hinweg, und 
man verstand jede Silbe des Dichterwortes. Es 
Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



241 



ist eine wabre Freude, zu erlcben, wie sich dieser 
dcutsche Tenor zu immer reiferem Konnen, zu 
reicherem Aurbluhen des Organs entfaltet. — 
Die Singakademie fuhrte in ihrem 1. Abonne- 
mentskonzert Handels ,Judas Maccabaus** auf. 
Schade, daB die Titelpartie mil dem Kammer- 
sanger Ludwig Hell besetzt war, der weder sein 
Organ richtig geschult noch eine Ahnung von 
Handels Sti) hat. In den gewaltigen Chorsdtzen 
des Werkes erfreute die Sangerschar unter 
Georg Scbumanns energiscber Leitung durch 
die Ausdrucksfahigkeit, die Kraft und den Glanz 
derTonfulle. Die anderen Solopanieen waren im 
Sopran durch Anna Kaempfert, im Alt durch 
Tilly Koenen, im BaB durch J. von Raatz- 
Brockmann angemessen besetzt. In dem hin- 
reiCcnd schonen Siegeslied „Seht, er kommt 
mit Preis gekront" wirkten Knabenstimmen aus 
dem Koniglichen Domchor mit. Die Freiheits- 
chore hat die Singakademie, wie das Programm 
meldete, zum ersten Male nach den denkwurdigen 
Tagen der Leipziger Volkerschlacht gesungen; 
die erste vollstandige Auffuhrung des ganzen 
Werkes erfolgte dann im AUrz des folgenden 
Jahres. — Von den vier angemeldeten Orchester- 
konzerten unter Max Fiedlers Leitung fand 
das 1. unter Mitwirkung von Hermine 
d'Albert statt, die vier Lieder des Dirigenten 
mit Orchesterbegleitung sang, groBzugig an- 
gelegte, mit weitgespannter Melodic ausgestattete 
Gesange,die durch kunstlerischen Vortrag zu voller 
Wirkung gebracht wurden. Webers „Oberon a - 
Ouverttire leitete das Programm ein, eine Sym- 
phonic von Rachmaninoff in e op. 27, ein zwar 
interessantes, aber durch die Lfinge doch etwas 
ermudendes Werk, und die Orchester-Variationen 
fiber ein Haydnsches Thema von Brahms bildeten 
den Inhalt des Abends. Der beliebte Dirigent 
wurde von den Horern mit Beifall uberschuttet. 

— Im 2. N ikisch- K onzert wurden Mendels- 
sohns „Hebriden a -Ouverture, Chopin's Klavier- 
konzert in e (Ossip Gabrilowitsch), eine 
Konzert- Ouverture w Cockaigne tt von Edward 
Elgarund Tscbaikowsky's pathetische Symphonie 
gespielt. El gar's Musik hebt recht ulkig, wie 
echter Karnevalsscherz an, halt aber nicht, was 
sie zum Beginne verspricht; sie zerflattert in 
Bruchteile, es fehlt die logische Entwickelung 
im Aufbau. Der Pianist spielte Chopin's Konzert 
mit klarflussiger, sauber ausgefeilter Technik, 
es fehlte aber dem Vortrag ein gewisserZauber, der 
fur den Tondichter charakteristisch ist; es klang 
mehr wie ein Etudenwerk. Den Hohepunkt des 
Abends bildete dieTschaikowsky'scheSymphonie, 
vom Orchester unter Nikischs Leitung faszi- 
nierend, wirklich hinreiBend schon ausgefuhrt. 

— Die Gesellschaft der Musikfreunde hat 
jetzt die Leitung ihrer Konzerte Ernst Wen del 
ubertragen, der an dem ersten Abend Wagners 
Ouverture zum „Fliegenden Hollander" und 
daraus auch die Ballade der Senta mit Emmy 
Destinn als Solistin dirigierte; die Sangerin, 
die ohne Lowen den Saal betrat, trug alsdann 
noch zwei Lieder von Liszt (den Fischerknaben 
und die Loreley) mit weichem, suBem Tone vor. 
Liszts' „Faust a -Symphonie mit Johannes Sem- 
bach im Tenorsolo und dem Berliner 
Lehrergesangverein (Felix Schmidt) im 
SchluBchor bildete den SchluB. Der Dirigent 
zeigte vollige Herrschaft uber die Musik, die 

xiil 4. rv-i *iv,v! -V..-C i()(H) 

£ 1 



! / L 



er auffuhrte, ohne die Partitur aufzuschlagen; 
mit eleganter Haltung fuhrt er den Taktstock; 
aus dem Mephisto-Satze holte er die Pikan- 
terieen der Instrumentierung mit Raffinement 
heraus — jedenfalls ist er eine Individualist unter 
den jetzt lebenden Orchesterdirigenten. — 
Hjalmar von Dameck gab einen Wein- 
gartner-Abend; es wurden eine Sonateln D fur 
Violine und Klavier op. 42, ein Quintett g op. 50 
fur Klavier, Klarinette, Violine, Bratsche und 
Violoncell gespielt, auBerdem sang Lucille 
Marcell-Weingartner zwei groBere Lieder- 
gruppen ihres Mannes. Die Sangerin hat mich 
recht enttauscht. Das Organ ist volltonig, klingt 
aber im Konzertsaal zu hart, fur den Liedervortrag 
zu wenig geschult. Die Atemfiihrung ist ganz 
mangelhaft; es kommt der Sangerin gar nicht 
darauf an, mitten im Wort zu atmen. Jede 
intimere Wirkung ist ausgeschlossen, da man 
kein Wort des Gedichtes versteht, die Zunge 
drangt sich gar zu zischelnd zwischen die Zahne. 
Das Quintett, um dessen Ausfuhrung sich auBer 
dem Konzertgeber mit seiner Violine und dem 
Komponisten am Klavier die Herren Oskar 
Schubert, BennoSchuch und Otto Nieder- 
mayr wohlverdient machten, ist ein merk- 
wurdiges Stuck; Liszt und Richard StrauB baben 
dabei ihren Segen erteilt. Kammermusik ist 
das nicht mehr, dazu ist alles viel zu orchestral 
gedacht und nun hdcbst interessant ubertragen 
auf die genannten Instrumente. Die Harmonik 
ganz hypermodern; man fuhlt, daB der Tonsetzer 
auch einmal so etwas Richard StrauB riskieren 
will. Die Formen der Kammermusik sind voll- 
standig gesprengt. Wie der namliche Tonsetzer 
die Sonate in D und dies Quintett in g kurz 
hintereinander schaffen konnte, scheint recht 
sonderbar: in der Sonate geht alles harmonisch 
hochst einfach, kaum uber Tonika und Domi- 
nante hinaus her, und im Quintett findet sich 
das Ohr in der Tonalitat kaum zurecht. Seinen 
eigenen Stil, seine eigene Ausdrucksweise bat 
Weingartner bisher, obwohl er doch viel kom- 
poniert, ebenso wenig gefunden wie d'Albert. 
Seine Erfindunggreift fortwfthrend nach fremdem 
Gut; auf Tritt und Schritt begegnet man guten 
Bekannten. Der Saal war ubrigens nicht voll 
besetzt; aber der Komponist, der nebenbei be- 
merkt wunderbar schon Klavier spielt, wurde, 
namentlich mit der Sangerin, von seinen An- 
hSngern mit Beifall uberschuttet, obwohl die 
Lieder reichlich banal sind. Das Allerbanalste, 
in dem der liebe Schwan aus dem „Lobengrin tt 
weit seine Schwingen ausbreitet, muBte natur- 
lich wiederholt werden. E. E. Taubert 

AuBerordentlich interessant, aber auch 
amusant war ein Konzert der SociSte* des 
instruments anciens aus Paris; ganz Er- 
staunliches leisteten wieder die Herren Maurice 
Hewitt (Quinton), Henri Casadesus (Viole 
d'amour), Marcel Casadesus (Viole de gambe) 
und Maurice Devilliers (Basse), die diesmal 
eine neue, und zwar vortreffliche Cembalo- 
spielerin in Regina Patorni mitgebracht hatten. 
Wenn man nur wiiBte, inwieweit sie die Kom- 
positionen von Benincori und Destouches (Fete 
galante) bearbeitet haben. Eine Virtuosenleistung 
ersten Ranges bot ubrigens der Viola d'amour- 
Spieler noch in einer Phantasie von Niccolini. — 
wei Meister, Raoul P,aJgno uncLEugene Ysaye, 

UNIVERSITY OF MOIGAN 



Zwc 



242 



DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



brachten in dem Riesensaal der Philharmonic 
selbst ein so zartes Genilde wie Mozarts D-dur 
Sonate fur Klavier und Violine aufs beste zur 
Geltung; auBerdem spielten sie C6sar Frances 
einzige und Beethovens sogenannte Kreutzer- 
sonate, die beide langst eine stehende Nummer 
bei solchen Sonatenabendcn geworden sind. — 
Artur Schnabel und Karl Flesch hoben 
zwischen Schumanns Sonate in d und der 
Schubertschen ziemlich selten offentlich ge- 
spielten Phantasie op. 160 in meisterlicherWieder- 
gabe die Sonate op. 6 in G des jugendlichen 
Neutoners E. W. Korngold aus der Taufe. Nach 
ihr zu urteilen, ist er kaum der sehnlichst er- 
vartete musikalische Messias. Sie hat mancher- 
lei Vorzuge, vor allem sucht Korngold darin 
melodios zu sein; aber seine Melodik ist oft zu 
verschwommen, die Themen treten nicht ge- 
nugend prfignant hervor. Die naturlich ganz 
moderne Harmonik ist vielfach zu unruhig, zu 
bizarr und ausgeklugelt. Als Fehler erscheint 
mir, daft diese Sonate zu konzertmiBtg gehalten 
ist; das Scherzo ist in der Hauptsache ein 
richtiges Virtuosenstuck, bei dem der junge 
Komponist offenbar nicht daran gedacht hat, daB 
Sonaten vor allem fur die Hausmusik bestimmt 
sein sollen. Nicht vorteilhaft fur die Wirkung 
isr, daB in den vier Satzen, denen ein gemein- 
samer Gedanke zugrunde zu liegen scheint, vor- 
wiegend duselbe elegische Stimmung vor- 
herrscht; das wird auf die Dauer ziemlich lang- 
weilig. Besonders im ersten Satz, der sehr 
schone Ein^elheiten enthfilt, vermiflt man gar 
zu sehr die Gegensdtze in der Thematik. Das 
sehr bizarre, phantastische, ubrigens gar zu sehr 
ausgedv hnte Scherzo bringt als zweites Thema 
auch wieder einen zu ruhigen Gedanken; dazu 
kommt dann auch wieder ein getragenes so- 
genanntes Trio. Das Adagio will zuerst gar nicht 
recht in FluB kommen; die zarte, duftige Musik 
des Mitteltetls aber nahm mich ganz gefangen. 
Im Finale steht an zweiter Stelle ein capriccioses, 
geistreiches Thema; nicht recht motiviert er- 
scheint mir die daran sich schliefiende Fuge. 
Der ruhige Ausklang des Satzes wirkt sehr 
schon. Alles in allem ist diese Sonate, in deren 
erstem Satze einige ganz wuste Stellen vor- 
kommen, nicht mehr als eine starke Talent- 
probe; mdglich, daft sie bei nSherer Beschaftigung 
ntcht bloB interessiert, sondern auch einem lieb 
wird, daft die, wenn ich so sagen darf, mollusken- 
artigen Gebilde dann festere Formen annehmen. 
— Das RosS-Quartett verzichtete diesmal im 
Programm auf ein eigentliches Quartett, trat 
unter Mitwirkung von Franz Jelinek fur 
Bruckners Quintett ein, dessen weihevolles 
Adagio besonders gut geriet, und entfesselte mit 
dem Brahmsschen Ersten Sextett (zweites Violon- 
cell: Eduard Ros6) wahre Jubelstiirme. — Einen 
Quintett-Schubert-Abend veranstaltetcf das Boh- 
mische Quartett; in dem Forellenquintett 
assistierten Karl Friedberg am Klavier und 
Herr (joedecke vom Philharmonischen Or- 
chester als Kontrabassist vortrefflich; in dem 
einzigschonen Streichquintett safl Herr Zelenka 
am Pult des zweiten Violoncells. Die ZuhSrer 
waren hochbefriedigt. — Nur mit groBter Be- 
gcisterung kann ich von dem Petersburger 
Streichquartett berichten, das in idealster 
Weise furS.Tanejew's Zweites und furGlazounow's 

C 1 



Funftes Quartett eintrat. AuBerdem holten sich 
der zweiteGeiger Naum Kranz und derBratscher 
Bakaleinikow noch einen Sondererfolg durch 
die virtuose Wiedergabe der bekannten Passa- 
caglia von H&ndel-Halvorsen. — Ein erstklassiges 
Quartett ist unstreitig auch das Flonzaley- 
Quartett. War es ein Scberz, daB es zwischen 
Mozart und Haydn Arnold Schonbergs op. 7 zur 
Auffuhrung brachte? Ich bin seinerzeit hier 
sehr warm fur dessen Streichsextett eingetreten, 
muB aber dieses ohne Unterbrechung 49 Minuten 
dauernde Quartett als Ganzes rundweg ablehnen, 
trotzdem ich einzelne hochpoetische, warm 
empfundene Stellen, vor allem das Thema im 
6 /i Takt und die ziemlich ausgesponnene E-dur 
Episode im "/g Takt, anerkennen muB. Man hat 
meist den Eindruck, daB der Komponist nur 
versuchen wollte, was an Verworrenheit und an 
MiBtonen dem heurlgen Publikum geboten werden 
kann. Die Anforderungen, die er infolge seiner 
hypermodernen Harmonik und seinerverzwickten 
RhythmikandieAusfuhrenden stellt,sind horrend. 
Ihnen gait in der Hauptsache der Beifall; docb 
ruhten die Schonberg-Anhanger nicht, bis er 
selbst trotz starken Zeichen des Mifivergnugens 
auf dem Podium sich zeigte. — Wie immer 
wunderbar schon spielte das Brusseler Streich- 
quartett Haydn, Mozart und Beethoven; dessen 
cis-moll kronte den Abend. — Die Kammer- 
musikvereinigung der Kdniglichen Ka- 
pelle fuhrte Bachs Suite in h, in der Emil Prill 
herrlich die FISte blies und Robert Kahn den 
Cembalopart auf einem lbachord ausfuhrte, 
leider mit Weglassung zweier Sitze auf, ferner 
Beethovens reizendes kleines Trio op. 1 1 mit 
Klarinette und eine Kassation von Haydn, die 
Adalbert Gulzow, der unermudliche Leiter 
dieser Vereinigung, ausgegraben hat; dazwischen 
sang Claire Dux die sehr modernen, wirkungs- 
vollen Lieder op. 20 von Leo Blech und dessen 
Kinderlieder op. 21, vom Komponisten vortreff- 
lich begleitet. — Mischa El man behauptet sich 
nach wie vor unter den ersten Geigern; mit 
Begleitung des von Max Fiedler geleiteten 
Bluthner-Orchesters brachte er zwischen Lalo's 
Spanischer Symphonie und dem Beethovenschen 
Konzert ein noch ungedrucktes des Deutsch- 
Amerikaners Max Vogrich zur Urauffuhrung, 
bei dem seine sieghafte Technik, seine groBe 
Leidenschaft und musikalische Gestaltungskraft 
dem anwesenden Tonsetzer zu einem starken 
Erfolg verhalf. W E pur si mouve" ist dieses 
Konzert, das mehr eine symphonische Dichtung 
ist, uberschrieben; auch hat jeder Satz ein Dante- 
sches Motto. Ein wuchiiger Hauptgedanke hilt 
die vier Sitze zusammen. Der erste geht gleich 
in ein zartes Adagio uber, fur dessen Instrumen- 
tation das „Lohengrin tt - Vorspiel vorbildlich ge- 
wesen ist. Auch der dritte Satz ist ein Adagio, und 
aucb im vierten ist das zweiteThema sehrgetragen. 
Trotzdem ist der Stimmungsgehalt der einzelnen 
Satze ausreichend verschieden gestaltet. Die 
Melodik ist vornehm und groBzugig, keineswegs 
alltSglich. Die Instrumentation ist zwar farben- 
reich, tragt aber der Solostimme zu wenig Rech- 
nung; darum durfre sich das hocbinteressante 
Werk kaum recht einburgern. — Im Koniglichen 
Opernhause fand eine Matinee zum Besten 
des zu errichtenden Meyerbeer-Denkmals 
statt mheinem sehrgescbickt zusammengestellten 
Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



243 



Programm und unter Mitwirkung erster Krafte. 
Begonnen wurde mit der unverdientermaBen in 
Vergessenheit geratenen Ouverture zum Schau- 
spicl „Struensee a unter Leo Blech, deren glanz- 
volle Instrumentation und prachtvoller Aufbau 
von jedermann anerkannt werden muB. Blech 
fubrte uberhaupt mit Schwung, ja Begeisterung 
den Taktstock mit Ausnahme des „91. Psalms", 
der vom Koniglichen Opernchor unter Hugo 
Rudels eindringlicher Leitung klangschon und 
fein abgetont gesungen wurde. Stellenweise 
macht dieser Psalm doch nicht den Eindruck 
tiefempfundener religioser Musik, beweist aber, 
daB Meyerbeer aucb den a cappella Satz vortreff- 
lich beherrscbte. Vor dem Psalm trug Otto 
Sommerstorff einen sicberlich gut gemeinten, 
aber Meyerbeer zu sehr verhimmelnden Prolog 
von Joseph Lauff vor. Frau Arndt-Ober (Arie 
der Fides aus dem zweiten Akt des „Propheten a ) 
wurde gefeiert, noch mehr Frau Andrejewa- 
Skilondz, die an Stelle der erkrankten Frau 
Bosetti die schwierige Koloraturarie der Konigin 
aus den „Hugenotten" mit verbluffender Technik 
vortrug. Im Kostum und mit aufgestellter Deko- 
ration sang Francesco d'Andrade hochst leben- 
dig die Ballade von „Adamastor, dem Konig der 
Wellen" aus der w Afrikanerin"; leider war der 
Kunstler stark indisponiert. Viel Anklang fand 
der von Balletmeister Graeb arrangierte „Fackel- 
tanz", der als effektvolles Musikstuck auch heute 
noch von alien MilitSrkapellen gespielt wird. 
Zum SchluG wurde der vierte Akt der „Huge- 
notten" aufgefuhrt. Als Valentine betrat Emmy 
Destinn nach langerer Pause zum ersten Male 
wieder die Konigliche Opernbuhne. Hermann 
Jadlowker sang den Raoul. Beide Kurstler 
waren glinzend disponiert. Von den ubrigen 
Mitwirkenden zeichneten sich besonders Herr 
Hoffmann (St. Bris) und Herr Bronsgeest 
(Nevers) aus. Wilhelm Altmann 

Hermann Henze, der sich im vergangenen 
Winter als Dirigent vorteilhaft eingefuhrt hatte, 
gab ein Konzert mit dem Bluthner-Orchester. 
Die symphonische Ouverture „Ekkehard a von 
Franz Schreker, die bei dieser Gelegenheit 
ihre erste Auffuhrung in Berlin erfuhr, ein 
Jugendwerk des in letzter Zeit auf dramatischem 
Gebiet bekannt gewordenen Tonsetzers, zeichnet 
sich durch Schwung, ubersichtlichen Aufbau 
und wirksame Steigerungen aus; die Unperson- 
lichkeit der Tonsprache vermag freilich keine 
tiefergebenden Eindrucke zu erzielen. Hatte 
sich der Dirigent seinerzeit mit Bruckners Ro- 
mantischer uberraschend gut abgefunden, so 
versagte er diesmal der Brucknerschen Dritten 
gegenuber fast vollig. Wie kann man, um nur 
eines zu nennen, die Dorpertanzweise des 
Scherzos so grundlich miBverstehen und den 
waschechten LSndler des Trios in einem der- 
artigen Eiltempo berunterspielen, daB der Cha- 
rakter dieses ganzen Satzes bis zur Unkennt- 
lichkeit verwischt wird! Auch die Wiedergabe 
der ubrigen Sitze lieB sehr viel zu wunschen 
ubrig; es war ein Mu^izieren, das in seiner 
Unbeseeltbeit und oberflScblichen Glfitte direkt 
verstimmend wirkte. Viel besser gelang dem 
Dirigenten die Begleitung von funf GesSngen 
mit Orchester von Reger, Mahler und Hausegger, 
denen Frau Cahier's prachtvoller Alt und 
hochentwickeltes Vortragstalent zu starker Wir- 

f)::j *i/nn :v,- C ilK)0 

O 



kung verhalf. — Gemeinschaftlich konzertierten 
Alphonse Van Neste (Viola da Gamba), Suzanne 
Linden (Cembalo) und Arlette Linden (Gesang). 
In einer Handelschen Sonate und reizvollen alten 
kleinen Stucken fur Gambe und Cembalo zeigten 
die Instrumentalisten sicheres Stilgefuhl und 
Sinn fur feine klangliche Schattierungen. Die 
Opernsfingerin Frl. Linden bot franzosische 
Lieder aus dem 18. Jahrhundert, ohne in Stimme 
und Vortrag uber die fur solche entzuckenden 
Stuckchen erforderliche Leichttgkeit, Frische und 
kokette Anmut zu verfugen. — Auch Julius 
Neudorffer-Opitz kann seine Herkunft von 
der Buhne nicht verleugnen. Am besten gelingt 
ihm Lyrik mit dramatischem Einschlag, wahrend 
seine Wiedergabe von echten Liedern in punkto 
feiner Nuancierung und zarten Ausdrucks nicht 
alle Wunsche erfiillt. Im ubrigen ist Neudorffer 
ein musikalisch empfindenderintelligenter Kunst- 
ler, dessen ausgiebigen, wohlgeschulten Bariton 
auch im Konzertsaal zu horen sich lohnt. In 
Fritz Fuhrmeister hatte er einen anschmieg- 
samen Begleiter. — Das auf Mitwirkung eines 
Solisien verzichtende 1. Hausegger-Konzert 
nahm einen uberaus anregenden Verlauf. Der 
Dirigent hatte ein Programm zusammengestellt, 
dessen Ausluhrung seine Eigenart in hellste 
Beleucbtung ruckte ( w Freischutz a - Ouverture, 
Schuberts Unvollendete, „DonJuan a von StrauB 
und Beethovens Funfte). Mag man mit Haus- 
eggers Auffassung in manchen Einzelheiten 
nicht ubereinstimmen, wie z. B. mit den auf- 
failig gedehnten Tempi der Ouverture und vor 
allem des Schlusses der Funften, deren uber- 
schSumender Jubelhymnus dadurch eher zu 
einem Fest gebandigter Kraft wurde, mag sein 
geflissentliches Betonen manches Episodischen 
zuweilen die Einheitlichkeit der Gesamtwirkung 
gefahrden, — man hat bei Hausegger doch immer 
das bestimmte Gefuhl, daB solche Eigenwilligkeit 
nicht der Sucht nach Nuancen, dem Bemuhen, 
es um jeden Preis anders machen zu wollen 
als andere, entspringt, sondern tief in seiner 
Natur begrundet ist. Trat in seiner Nachschaffung 
Beethovens Hauseggers scharfer Kunstverstand 
zuweilen etwas in den Vordergrund und hatte 
man seinem Schubert etwas mehr Herzlichkeit 
gewunscht, so offenbarte sich seine innerste 
Wesensart auch diesmal wieder, wie schon so 
oft, am deutlichsten bei einem Glanzstuck des- 
kriptiver Musik: die wahrhaft funkenspruhende 
Vorfubrung des „Don Juan" war schlecbthin 
meisterhaft. Im ubrigen ist es erfreulich, daB diese 
Konzerte allem Anschein nach jetzt doch mehr 
Anteilnahme von seiten des Publikums flnden 
als in fruheren Jahren. — Am 2. Abend der 
Berliner Vereinigung fur moderne Kam- 
mermusik (Marix Loevensohn und Genossen) 
gab es zwei Urauffuhrungen Das funfsdtzige 
Streichquartett op. 14 von Egon Welles z ist die 
beachtenswerte Schopfung eines zweifellos be- 
gabten Tonsetzers, in dessen Brust zurzeit noch 
zwei miteinander im Widersireit liegende Seelen 
wohnen: eine gemaBigt-moderne und eine aus- 
gesprochen futuristische. Geht es im ersten 
und im SchluBsatz harmonisch und melodisch 
zuweilen etwas bunt zu, so rufen so manche 
anderen Stelien, besonders im dritten (Tempo di 
Musette) und im vierten (Andante poco soste- 

ruto) Satz, die berechugte Hoff.nung wach, dieser 
Cfriqmal frcflja, 
1 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



244 



DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



den Horer annoch etwas benebelnde musi- 
kalische FederweifJe werde sich dereinst doch 
noch klaren. Das wahre Gesicht des Tonsetzers 
scheint mir nicht aus den wild-genialiscb sicb 
gebardenden Partieen hervorzulugen, sondern 
aus den andern. Die Cellosonate (Manuskript) 
op. 5 von Max Trapp verzichtet ganzlich auf 
alle himmelsturmerischen Alluren; sie bietet 
ansprecbende Gedanken in klarer Fassung, 
fesselt durch solide Arbeit und wurde durch 
Zuruckdammung einer gewissen Redseligkeit 
(im Adagio-Intermezzo) an Wirkung entschieden 
gewinnen. Kate Neugebauer-Ravoth sang, 
von den Komponisten begleitet, eine Reibe 
Lieder von Fritz Kauffmann und Julius Weis- 
mann, unter denen die Weismannschen an Er- 
findung und Gestaltung sich als die bei weitem 
bedeutenderen erwiesen. Willy Renz 

Julius von Raatz-Brockmann (Lieder- 
und Balladenabend) erfreute wieder seine zahl- 
reichen Zuhorer durch seine prachtige Stimme 
und den intelligenten Vortrag, obwohl der 
Kunstler anfangs durch eine kleine Indisposition 
an der Entfaltung seiner vollen Krafte gehindert 
wurde; bei den Liedern von Straufi war jedoch 
von einer Behinderung nichts mehr zu ver- 
spuren, da sie geradezu meisterhaft klangen. 
Eine neue Ballade „Rahab, die Jerichonitin" 
von Viktor von Woikowsky-Biedau konnte es 
nicht einmal zu einem Achtungserfolg bringen; 
die Komposition ist eine Mischung aller Kunst- 
gattungen und ohne jede Originalitat. — Ziemlich 
trostlos sah es in dem 9. Einfuhrungskonzert 
der diplomierten Mitglieder des Verbandes 
der konzertierenden Kunstler Deutsch- 
lands aus, das vor fast leeren Banken stattfand. 
Ellen Neumann (Mezzosopran) und Hugo 
Tbienhaus (Bariton) sind mit ihrer musi- 
kalischen Ausbildung noch lange nicht so we it, 
um sich in Berlin in einem offentlichen Konzert 
horen lassen zu dfirfen. — Alice Peroux- 
Williams ist eine SSngerin, der man gem 
begegnet; ibre wohlgebildete Stimme und ihr 
Vortrag erheben sich weit fiber das Durch- 
schnittsniveau unserer Gesangskunstlerinnen. 
Bei den deutschen Liedern storte etwas die 
auslandische Aussprache, aber man mufite sich 
doch fiber den Wohlklang der Stimme freuen. 

— Hermann Weissenborn ist ein Sanger, der 
scbon jabrelang regelmaBig Liederabende ver- 
anstaltet, ohne sich weiter zu vervollkommnen; 
er gab wie immer eine gute Durchschnitts- 
leistung. Einige Lieder von Fr. E. Koch, die 
er zum ersten Male sang, fanden beim Publikum 
grolien Beifall; es sind nette Sachelchen, die in 
Dilettantenkreisen mehr Liebhaber finden durften 
als bei Musikern. Max Vogel 

Waclaw Piotrowski ist ein sehr mafJiger 
Geiger, der weder mit neueren noch mit aiteren 
Werken Gluck hat. Immerhin war es von 
Interesse, eine Sonate von Benda zu horen. 

— Ein neuer Saal, „Meistersaal a benannt, 
ist mit einem hubschen, anspruchslosen Pro- 
gramm eroffnet worden. Auf die Ausstattung 
des Saales ist viel Muhe verwandt worden, 
doch hitte man bedenken sollen, daft von 
dunklen Bronze- und Holztonen sehr schwer 
eine anregende Stimmung zu erwarten ist. 
Die Akustik erwies sich sowohl bei der Kammer- 
musik — die Professoren Mayer-Mahr, 

O 



Bernbard Dessau und Heinrich Grfinfeld 
spielten frisch und bieder das Trio B-dur von 
Schubert — , wie bei den Gesangsvortragen als 
zureicbend. Diese bot Lula Mysz-Gmeiner 
in etwas mehr zwingender als bezwingender 
Art, und Leo Gollanin, der trotz seiner 
ErkSltung sehr angenehm wirkte. Ein Mifi- 
griff waren die beiden von Matthias von Erd- 
berg gesprochenen und von Felix Dyck be- 
gleiteten bos-sentimentalen „Gedicbte in Prosa a 
von Turgenjew mit entsprechender Musik von 
Arensky. — 3. Esplanade-Musikabend. 
Anmutender wirkt schon der andere neue, in 
dieser Saison eroffnete Musikraum: heller 
Marmor und auch sonst viel WeiB, sowie das 
pulsierende Rot der Vorhange ergeben einen 
schonen Akkord und stimmen vortrefflich zur 
eleganten IntimitSt des ganzen auQeren Arran- 
gements. Ob dieses auch in der Wabl der 
Krgfte glficklich ist, ist eine andere Frage. 
Vom genannten Abend kann man das nicht 
behaupten. Pugno amfisierte und erfreute 
durch sein feines, gut vorbereitetes Spiel, die 
temperamentvolle und echt franzosiscbe 
Kfinstlerin Aino AcktS enttluschte durch 
ihre forcierte Manier, und van Rooy war zu 
groBzugig-derb fur die tiefen Stficke, die er 
vortrug. Ober den jugendlichen Geiger Charles 
Sommer, der mitwirkte und der wabrschein- 
lich eingeffihrt werden sollte, laftt sich vor- 
lauBg nur sagen, dafi er ein kaltes, nicht eben 
bedeutendes Talent ist. — John Powell ist 
ein sehr begabter Pianist, der sich zwar fiber- 
schatzt — sonst konnte er sich nicht mit der 
ungemein anspruchsvollen Sonate f-moll von 
Brahms hervorwagen — und der noch zuviel 
durch mechanische Bewegung aus dem In- 
strument und zu wenig aus seiner Seele schopft, 
der aber, wenn er viel, viel fibt, von sich reden 
machen durfte. — Elena Gerhard t sang mit 
sfiQester Stimme und vorbildlicher Technik 
einige Manuskriptlieder vom fruhverstorbenen 
Erich J. Wolff. In „Verspatung tt flel das 
geistvolle Zwischenspiel, welches das traurige 
Warten des Kindes malt, angenehm auf, „Die 
widerspenstige Braut" war mehr konventionell 
w reizend**, in w Es ist ein Schnitter" ist zu 
wenig Eigenes geboten, und „Erhebung tt wirkt 
banal; tiefste, schonste Empfindung hingegen 
klingt aus dem Lied „Der Trauernde". — Else 
Schmidt-Held singt mit massigtr, nicht ge- 
nfigend geschulter Stimme, und auch in ihrem 
Vortrag ist mehr Natur als notig ist. Die 
neuen Lieder von Karl Hallwachs sind 
mittelmaBige Kompositionen zu mittelmaBigen, 
ja nichtigen Worten. Man kann die Musiker 
nicht genug vor solchen ausgelebten Texten 
warnen; da nehme sich jeder die beiden letzten 
bedeutenden Tonsetzer zum Muster: Brahms 
und Hugo Wolf. — Heinrich von Opienski 
ist ein tfichtiger, warmblfitiger Musiker, der 
mit Orchester, Gesangstimme und Klavier 
sicher umzugehen versteht, dem aber eins, 
allerdings das Wichtigste, fehlt: der heutige 
Seelenrhythmus. Seine Trauer und seine 
Freude sind nur als Tatsachen, als Namen die 
unseren, aber wir erleben sie vollig anders: 
wir sind weit davon entfernt, die Tragik w einer 
koniglichen Liebe** so zu empfinden wie der 
Komponist, oder xlen „kalt und kuhl funkelnden 

unqinal from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



245 



Sternen" nacbzuklagen. Fur Opienski's Kunst 
setzten sich die KammersSngcrin Felicia Ka- 
schowska und der Pianist Ignaz Tiegermann 
mit Liebe ein. — Die Cellistin Beatrice 
Harrison hat in kurzer Zeit so auBerordent- 
liche Fortschritte gemacht, daB man sie zu 
den wenigen nennenswerten Kunstlerinnen ihres 
Faches zahlen kann, und wenn man mit ihrer 
jungen, kraftigen, durch und durch musikalischen 
Auffassung vorlieb nimmt, muB man sie neben 
ihre bestbekannten Kollegen stellen. Sie spielte 
drei Konzerte: Haydns „modernes a , freund- 
liches in D-dur, pVAlbert's — der Komponist 
dirigierte — leidenscbaftliches in C-dur und 
Saint-Saens' in a-moll, eines seiner besten und 
gebaltvollsten Werke uberhaupt. — Alexander 
Heinemann bekampfte eine sichtliche Indis- 
position und sang mit alter Kunst und altem 
Beifall neben anderen einige neue Lieder von 
Christian Sinding, Viktor von Woikowsky- 
Biedau und Richard Stohr. Die weitaus be- 
mcrkenswertesten unter diesen sind die von 
Stohr: durchweg effektvolle Stucke im besten 
Sinne. Besonders zu empfehlen sind: „Der 
Morgen" und „Die Werkeluhr". 

Arno Nadel 
Melanie und Hans Michaelis, die auf 
zwei Geigen konzertierten, liefien ein gut ab- 
getontes Zusammenspiel horen, wShrend das 
Technische bei beiden noch der Abrundung be- 
darf. Sie hoben ein wirkungsvolles Divertimento 
fur zwei Geigen und Klavier (Alexander Neu- 
mann) von Heinrich G. Noren aus der Taufe 
und verhalfen ihm zu einem guten Erfolge. — 
Auch bei llja Schkolnik (Violine) kann man 
sich mit dem Musikalischen wohl einverstanden 
erkiaren, wahrend der Ton oft noch zu robust 
und nicht ganz schlackenfrei klingt. Der Be- 
gleiter am Klavier Natanael Broman brachte, 
ohne besonders aufzufallen, einige Solostucke 
korrekt zu Gehor. — Marta Haller hatte sich 
ihr Programm sehr klug zusammengestellt. 
Ihrem hohen, lichten Sopran liegen alle zarten 
musikalischen Gebilde ausgezeichnet. Auch die 
Technik und der Vortrag stehen auf nicht ge- 
wohnlicherStufe. — Der Pianist Birger Hammer 
weiB stets zu interessieren, wenn man auch mit 
seiner Auffassung nicht immer einverstanden 
sein kann. Seine reife Technik, sein Tempera- 
ment und sein Feingefuhl bringen meist pr3ch- 
tige Leistungen zustande. — Das 8. E i n f u h r u n g s- 
konzert des Verbandes ko nzertierender 
Kunstler Deutschlands stand wieder nur 
auf einem Durchschnittsniveau. Martha Freye 
hat singen gelernt, bleibt aber der Poesie ihrer 
Vortrige alles schuldig. Eva Rottscher steckt 
mit ihrem Koloratursopran ganz im Dilettantismus. 
Helene Crancy - Moller (Rezitation) zeigte 
hubsches Vortragstalent mit Ieider auch nicht 
freiem Tone. Das Beste war die Klavierbegleitung 
von Willy Crancy. — In dem Abschiedskonzert 
von Margarete Arndt-Ober mit dem Bluthner- 
Orchester feierten die herrlichen Stimmittel der 
Sangerin wahre Triumpbe, wahrend die Behand- 
lung der Stimme noch manches zu wunschen 
ubrig laBt. Hohe Stellen klingen oft gepreBt 
und die tiefen Tone zu robust. — Aus dem Spiel 
von Ella Jonas-Stockhausen (Klavier) spricht 
viel Personliches. Alles ist wohldurchdacht, und 
sie zeichnet, mit vielleicht etwa&r starker Be-l 
f)::j ;i/cC! :)vl lOUQl 



tonung des Virtuosen, immer in groBen Linien. 
— Die Stimme der Mezzosopranistin Paula 
Werner-Jensen klingt am besten in der 
Mittellage, die unfreie Hohe und Tiefe fallen 
dagegen etwas ab. In der poetischen Aus-r 
schopfung ihrer VortrSge steht sie aber auf 
hoher Stufe. — Piet Deutscb ist bemerkens- 
wert durch die Art, wie er seinen nicht groBen 
Bariton beherrscht und durch die Intelligenz 
seiner VortrSge. Mehreren Liedern seines Be- 
gleiters Fritz Crome verhalf er zu gutem Er- 
folge. Ich nenne als die besten: „Ich bitte euch* 
und das kuhne: „Und wenn ich die Welt an die 
Kehle fasse." — Gerta Doepner (Gesang) und 
Use Doepner (Cello) sind junge Anftngerinnen, 
die aber eine Zukunft haben dank ihres Talentes 
und ihrer guten Schule. Wenn auch noch nichts 
Personliches aus ihren Gaben spricht, so merkt 
man doch aus alien echtes Musikertum. Sie 
hatten einen trefflichen Begleiter: Romuald 
Wikarski. — Uber die Sopranistin Kate 
Schmidt ist nicht viel zu sagen, denn man 
hStte dann, abgesehen von einigen gut sitzenden 
hohen Tonen, nur zu tadeln. — Hans Klein- 
holz verfugt uber eine hubsche Stimme, die er 
nur noch etwas gar zu vorsichtig behandelt. 
Gerade dadurch gelingt manches nicht so, wie 
es ihm wohl vorschwebt. — Sympathisch wirkt 
der weiche Bariton von Karl Kienlechner. 
Mancher Ton rutscht ihm freilich noch in den 
Hals. In seinen Vortragen war mir vieles zu 
weichlich und nicht mannlich genug. Marix 
Loevensohn steuerte in seiner bekannten 
meisterhaften Art Cellovortrage bei. — Die 
Sangerin ErnaGerstmann besitztansprechendes 
Material, das sie auch im piano gut zu ver- 
wenden weiB. Mit der Atemtechnik steht sie 
oft noch auf gespanntem FuBe. — Anna Erler- 
Schnaudt (Alt) und Max KrauB (Bariton) 
hatten sich zu einem Lieder- und Duetten-Abend 
zusammengetan. Die Sangerin weiB ihre urn- 
fangreiche und ausgiebige Stimme gut zu be- 
herrschen. Im Uberschwang des Gefuhles tut 
sie nur manchmal etwas zu viel des Guten, so 
daB sich dann ein zu haufiges Portamento be- 
merkbar macht. Ihr Partner hat glanzendes 
Material, das er auf dem besten Wege ist, ganz 
in seine Gewalt zu bekommen. Emil Thilo 

In recht ungunstiger Disposition sang Mar- 
garet* Prochnewski-Petzhold Lieder aiterer 
wie neuerer Meister und lieB deshalb die Frage 
unentschieden, ob ihr Organ schon dauernd oder 
nur zeitweise an Wohlklang beeintrSchtigt sei. 
James Simon, der auch Chopin's Ballade op. 52 
spendete, begleitete sie wundervoll. — Marguerite 
Berson hatte sich nicht mit Brahms' Violin- 
konzert einfuhren sollen, fur das ihre Technik 
kaum, ihrgeistiges Erfassen aber keineswegs aus- 
reichte. Etwas besser gelang ihr Lalos Sym- 
phonic espagnole, den zweiten Satz bewaitigte 
sie mit ihrer kraftvoll energischen Bogenfuhrung 
ganz passabel; schliefllich war aber doch alles 
noch zu wenig ausgereift, um einen Platz in 
einem Berliner Konzertsaal zu verdienen. — 
Isa Berger Rilba hat an der Entwickelung 
ihrer hohen Sopranstimme mit Erfolg gearbeitet. 
Dem Klange nach ist jetzt ihr hohes Kopf- 
register, das muhelos bis ins f 8 reicht, von 
seltener Schonheit und Klarheit; technisch, 
das beiBt was Kehlte'^jg^^H'Kiffll nat sie zwar 

V UNIVERSITY OF MICHIGAN 



246 



DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



manches erreicht, aber doch noch nicht genug, 
urn eine so anspruchsvolle Arie wie die der 
Konstanze aus Mozarts w Entfuhrung a ohne 
Bedenken auf das Program m eines Berliner 
Konzertes setzen zu durfen; vornehmlich bedarf 
ihr Triller, der noch immer ungewandt und 
unklar klingt, wesentlicher Vervollkommnung. 
Eine Reihe neuer Lieder von Georg Schumann, 
unter denen das „Trutzliedchen u wohl das 
inhaltlich wertvollste ist, gaben ihr Gelegenheit, 
Vortrag und Auffassungsgabe zu bekunden. — 
Recht gunstige Eindrucke hinterlieB der Lieder- 
abend von Dora Wittekindt, zumal es sich 
hier urn ein erstes Auftreten handelte. Die 
Stimme der Dame, ein voluminoser Alt, klingt 
am schonsten im piano; leider verwendet es 
die SSngerin nach Art aller Kunstnovizen nur 
recht s pari ich und bringt sich dadurch selbst 
um manche schone Wirkung. Im forte klingt 
das Organ meist scharf, eine Folge zu gewalt- 
samer, fur den Konzertgesang nicht geeigneter 
Tongebung. Auch dem Atem fehlt noch die 
ruhige Geschmeidigkeit; die Vokalisation ist 
in Ordnung bis auf ein paar spitze, unscbonei; 
im Vortrag und in der musikalischen Auf- 
fassung dagegen bekundete sie Geschmack und 
Talent. Eduard Behm begleitete mit wunder- 
voller Feinfuhligkeit. — Ernst Alfred Ayes 
Organ, ein scbmacbtiger Bariton, ist im Klange 
reizlos, aber bis auf einige recht flache hohe 
T6ne Ieidlich geschult. Im Vortrag zeigten sich 
Unmanieren und in der Auffassung Gescbmack- 
losigkeiten, wie ein oft ganz unmotiviertes Zer- 
reiflen des Tempos. — In Reinhold Koenen- 
kamp Iernte ich einen intelligenten, musikalisch 
vornehm erzogenen Sanger kennen, dessen 
Stimme, ein nicht unsympathischer Tenor, was 
Vokalisation und Tragfahigkeit des Tons betrifft, 
erfreulichen Ernst der Studien erkennen laBt. 
Wurde es ihm gelingen, eine im mezza voce 
viel hluflger als beim forte auftretende Unfrei- 
heit der Tonbildung zu besiegen, so wurde sein 
Organ unzweifelhaft durchweg das gewinnen, 
was ihm jetzt zu seinem Schaden fehlt, namlich 
metallischen Glanz. Seinem vortrefflichen Be- 
gleiter, Prof. M. Stange, ersang er mit drei 
geschickt und wirkungsvoll konzipierten Liedern 
einen schonen Erfolg und durfte sogar selbst als 
Komponist eines Liedes den Dank des Publikums 
entgegennehmen. — Keinen guten Abend hatte 
Tilly Koenen mit ihrem Schubert-Wolf-Abend. 
Die Stimme der Kunstlerin in ihrer glanzvollen 
Pracht und Uppigkeit ist auf dramatische Wir- 
kung zugeschnitten. Wo die Eigenart der von 
ihr gewfihlten Lieder dies zulieB, loste sie ihre 
Aufgabe mit gewohnter Verve. Nicht so gluck- 
lich war sie dagegen beim Vortrag rein lyrischer 
Stucke, wie Schuberts „Ave Maria a oder „An 
die Musik a . Das sind Lieder, die man von 
viel unbedeutenderen Sangerinnen schon viel 
besser gehort hat. Ein als Zugabe gespendetes, 
selten gesungenes Lied von Schubert, „Der Hirt 
auf dem Felsen 4 *, zeigte ihr Organ in dem Riesen- 
umfang von zwei Oktaven und einem ganzen 
Ton. — In angenehme Erinnerung brachte sich 
der als trefflicher Techniker und tuchtiger 
Musiker bestens bekannte Geiger Theodore 
Spiering mit einem popuISren Violin-Abend, 
in dem er auBer Mozarts Es-dur Konzert eine 
selten gehorte C-dur Pbaatasie op. 131 von Schu- 



mann in dankenswerter Weise zu Gehor brachte. 
Chausson's poeme op. 25 ist eine konventionelle, 
nicht sonderlich geistvolle Arbeit. Vieuxtemps' 
a-moll Konzert machte den Beschlufi. Dr. Rudolf 
Siegel dirigierte. — Einen sehr schonen Erfolg 
ersang sich auf dem fur sie noch ungewohnten, 
heiBen Boden des Konzertpodiums die Konig- 
liche Sfingerin Margarete Parbs. Sie hat von 
der Buhne her erfreulicherweise fast nur Gutes 
in ihre Konzerttatigkeit mit binubergenommen, 
das beiflt nur das, was auch dem Konzertgesang 
zurZier gereicht, vor allem ihre hohe Intelligenz 
und Lebendigkeit des Vortrags, der immer, selbst 
in den larmoyanten GesSngen eines J. P. A. Schulz, 
Reichardt oder Himmel eigenartig und cbarakter- 
voll blieb. Ihre Stimme, ein ausgiebiger Mezzo- 
sopran, ist besonders in der Lage um f* herum 
von uppigem Wohllaut und frischem Reiz; so- 
bald es der Kunstlerin gelingt, ihre Atemkultur 
nach den Anforderungen des Konzertgesangs zu 
verfeinern, hat sie die Anwartschaft, eine unserer 
interessantesten Konzertsangerinnen zu werden. 
— Keinen guten Verlauf nahm der Vortrags- 
abend des Prof. Feuchtinger, der in der 
Theorie fur eine Kultur des Zungenbein- 
muskels als des allein seligmachenden Faktors 
der GesangspSdagogik eintrat und sich hieruber 
in nicht sehr flieBender, aber doch nicht un- 
interessanter Weise auslieB. Hfitte er es damit 
bewenden lassen, so waren wenigstens die Ehren 
des Abends gerettet geblieben. Um aber seine 
Theorie in die Praxis zu ubersetzen, muBte er 
uns nun auch noch einige seiner Schuler vor- 
fuhren, und da zeigte es sich freilicfa, daB 
gerade das Gegenteil von dem erreicht war, was 
er vorber behauptet hatte, nfimlich bei alien 
dreien ein verbluffend gleicher false her Sitz 
der Tone „uber den Bruch hinaus" (um seinen 
Ausdruck beizubehalten). Der Abend erhielt da- 
durch einen unfreiwillig heiteren Abschlufi,dessen 
Kosten die drei armen Dressierten zu tragen 
hatten. — Einen glSnzenden Erfolg erspielte sich 
derjungeamerikanischeGeigerFrankGittelson. 
Bachs E-dur Konzert habe ich kaum je zuvor 
so stilvoll, innig und doch mit so schlichter 
GrSBe vortragen horen. Wie ein groBer, seelen- 
voller Gesang quoll das herrliche Adagio aus 
seinen Fingern hervor, dem auch Edmund von 
StrauB mit dem Bluthner-Orchester in hervor- 
ragendem MaBe gerecht wurde. In Kauns inter- 
essantem Phantasiestuck zeigte er seine Technik 
ebenso entwickelt wie sein musikalisches Ver- 
stSndnis und bestatigte diese Eindrucke durch 
den hochachtbaren Vortrag von Brahms' Violin- 
konzert. Emil Liepe 

Max Schroth sang Lieder und Balladen. 
ff Sang a ? Es war kein Vergnugen, zu horen, wie 
eine so ungelenke Stimme forciert wurde, um 
aus ihr mehr berausbolen zu wollen, als beim 
besten Willen im Bereiche der Moglichkeiten lag. 
Stimmliche Kultur fehlt ihm fast ginzlicb. Mag 
sein, daB durch Krankheit usw. der sinnliche 
Reiz seiner Stimme verloren ging; dann wurde 
er aber besser daran tun, nicht zu konzertieren, 
resp. zu warten. Mein Unbehagen wurde noch 
dadurch gesteigert, daB der Begleiter, Clemens 
Schmalstich, seine Aufgabe sehr leger aufzu- 
fassen schien. Wozu dieses PrSludieren vor 
jeder Programm-Nummer? Von der „pianisti- 
schen**^^^^^^^^ 1 icn 8 anz schweigen. — 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



247 



Von Gwendolyn und Arthur Williams horte 
icb eine neue Sonate in a fur Klavier und Vio- 
loncello von Karl Klingler. Ich kann mich 
kurz fassen: Klingler hat sich da ins Lager der 
Modernen begeben, was er lieber nicht tun sollte. 
Es liegt ihm nicht so, wie der klassische Stil 
jener Kammermusik, deren vorzuglicher Ver- 
mittler er uns schon so oft gewesen. Anlage 
der Tbematik, Figuration usw., besonders die 
spieltechnischen Varianten des Streichinstru- 
mentes verweisen auf klassische kompositions- 
tecbniscbe Deutung des Sujets. AuBerdem 
spielten die beiden Regers F-dur Sonate op. 78 
und Beethovens Sonate in D op. 102/2, technisch 
und musikalisch fast einwandfrei. Der Cellist 
durfte mehr noch aus seiner Reserve beraus- 
gehen, die Pianistin dagegen das Pedal mit 
groBerer Sorgfalt benutzen. — Hertha Dehm- 
lows Stimme ist im letzten Jahre ganz bedeu- 
tend veredelt worden. Aucb jetzt noch mitunter 
zu dunkel gefirbt, bescbrinkt sich dieser bis- 
herige Hauptfehler ihrer Stimme nur mehr auf 
einzelne Vokale. Unmdglich doch statt w bald" 
bold, statt „Grab a Grob, statt w Leid a Loid zu 
singen. Im Franzosischen war's noch Srger, 
begunstigt durcb die notwendige nasale Grund- 
firbung der Sprache. Die Gruppe von Claude 
Debussy (u. a. „Mandoline") wirkte daher am 
wenigsten kunstlerisch vollendet. Rein gesangs* 
technisch ist an Frl. Dehmlows Stimme kaum 
noch etwas auszusetzen. — Arthur E g i d i ab- 
solviene sein 3. Konzert (Bach -Abend) unter 
Mitwirkung von Gustav Werner vom Deutschen 
Opernbause. Da bat ibm aber der Zufall einen 
bosen Streich gespielt, denn Werner ist ein vdllig 
unbraucbbarer Tenor. Diese Erkenntnis, die 
Egidi ein wenig zu spit gekommen sein mag, 
wirkte offenbar auf den Konzertgeber ein. Der 
Bach klang zu monoton. Die Tbematik und 
Phrasierung waren zu wenig plastiscb beraus- 
gearbeiiet. Jedenfalls bat Egidy das Verdienst, 
in seinen drei Konzerten ein interessantes neues 
Orgelwerk in hochst eindrucksvoller Weise vor- 
gefuhrt zu baben. — Der jugendliche Eddy 
Brown erbracbte von neuem den Beweis, dafi 
er ein sehr beffihigter Geiger ist. Vorlauflg legt 
er jedoch nocb zu groBen Nachdruck auf tech- 
niscbe Spezialitfiten. Seine Bogenfuhrung ist 
fast vollendet zu nennen. In manueller Hinsicbt 
durfte er sich noch groBerer Korrektheit be- 
fleilligen, besonders in Doppelgriffen bei schwie- 
rigem Lagenwechsel. — In der Philharmonie 
das 1. „Elite-Konzert". Mitwirkende: Claire 
Dux, Edith von Voigtlaender, Hermann Jad- 
lowker und Emil Sauer. Otto Bake begleitete. 
Das gewohnte Bild im Saal: GroBe Fiiile, im 
Parkett eine Modenscbau, eine Unzabl unmusi- 
kalischerMenschen, die sich denAnschein geben, 
Kunstverstandnis zu besitzen. In Anbetracht 
dessen das beruhmte „hochkunstlerische Pro- 
gram m a . Man weiB nie, gibt dieses oder das 
Auditorium AnlaB zur„Elite*-Signierung. Hoffent- 
licb machen die Kunstler bei dieser Gelegenheit 
ein Gescbaft. — Anna von Gabain zShlt zu den 
ernst zu nehmenden unter den klavierspielenden 
Damen. Ihr technisches Vermogen hfilt ihrem 
kunstlerischen die Wage. Es ist eine Freude, 
sie zu horen. Diesmal absolvierte sie ein fiuBerst 
anspruchsvolles Programm mit Werken von 
Reger, Draeseke, d'Albert und 



Albert und Brahms. Die 

C 1 



Konzertgeberin bewies wiederum in schlagender 
Weise, dafl es fur die Ausfuhrung eines schwie- 
rigen Werkes nicht notwendig ist, dafi man 
„auswendig* spiele. Sie spielte alles nach Noten. 
Man sollte zu dieser Art des offentlichen Musi- 
zierens allgemein zuruckgreifen. Ich bin fest 
davon uberzeugt, daft dann das letzte Stundcben 
der Tasten-Akrobaten geschlagen hatte. — Fanny 
Federbof-Mollers Stimme fehlt so ziemlich 
alles, was zur „Ausbildung* gehort. Die Qualitat 
ihres Organs ist teilweise nicht ubel, anderer- 
seits aber, besonders in der Hone, recht zweifel- 
haft. Der Vortrag 13Bt sehr viel zu wunschen 
ubrig. Infolgedessen konnten einige erstmalig 
gesungene Lieder von Sigfrid Karg-Elert 
wenig auf Erfolg rechnen. Es waren dies „Rosen- 
lieder" (drei Impressionen) und w Drei Nixen- 
lieder**, sSmtlicbe mit unglaublich l&ppischen 
Texten. Auch die musikalische Faktur dieser 
neuen Lieder ist verschwommen. Mit oder ohne 
Absicht, jedenfalls wirken sie nur als momentane 
Einfalle, nicht aber als streng zu bewertende 
organische Gefuge. — Ary van Leeuwen, der 
bekannte Soloflotist der K. K. Hofoper in Wien, 
kehrte wieder bei uns ein. Er spielte im 
Verein mit Paula Weinbaum (Alt), Theodor 
H.John (Viola) und Paul Schramm (Cem- 
balo) ausschlieBlich Werke von Job. Seb. und 
K. Ph. E. Bach. Seine bewundernswerte Vir- 
tuositat, gepaart mit feinstem musikalischen 
Empfinden und Stilgefuhl, garantiert fur die 
seltensten Genusse. Ob es allerdings wunscbens- 
wert ist, unser Klavier bei Bach durcb 
das historiscbe Cembalo zu ersetzen, mocbte 
ich nach diesem Abend fast verneinen. 
Das Volumen des Instruments ist fur grdBere 
RSume und besonders bei Kammermusik zu 
durftig. U. a. wurde auch ein neues Instrument 
von A. van Leeuwen vorgefuhrt, und zwar ein 
Albisipbon. Es ist eine BaBflote neuer 
Konstruktion, gebaut nach Angabe von Abelardo 
Albisi, Solofldtist der Mailander Scala. A. van 
Leeuwen spielte das merkwurdige Instrument 
als Erster zum ersten Male in Deutschland. 
VorlSufig scbeint mir die Sache noch ein wenig 
problematisch zu sein, tonlich sowobl als auch 
nach der asthetischen Seite bin. Man muB ab- 
warten, ob diese Flotenkategorie in mehr ver- 
vollkommneter Art Eingang findet in unser 
Symphonie-Orcbester. Wunschenswert ware es 
jedenfalls. — Im Bluthner-Saal borte ich, be- 
gleitet vom Hausorchester, unter der straffen, 
sacbkundigen Leitung Wassili Safonoff's eine 
junge, sehr talentierte Geigerin zum ersten Male: 
Isolde Menges. Zwar noch keine vollendete 
Kunstlerin, aber eine, die es werden wird. Ihren 
Namen wird man sich merken miissen. Tech- 
nisch und aucb tonqualitativ muB die junge Dame 
sich noch gehorig vervollkommnen In musi- 
kalischer Hinsicht ist sie von verbluffender Fruh- 
reife. AuBer den Konzerten von Brahms und 
Tschaikowsky spielte sie noch einige kleinere 
Kompositionen von Chopin-Auer, Fr. Kreisler 
und Brahms-Joachim, die ihr fast besser gelangen 
als die groBen Konzcrte. 

Carl Robert Blum 

Das Klavierspiel der Schwestern Rose und 

Ottilie Sutro liiBt eine gute Zusammenarbeit 

und musikalisches Verstandnis erkennen. Die 

Urauffuhrung zweiej r fUefn^nf|^(j^jke im Fugen- 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



248 



DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



stil op. 19 von Pierre Maurice war eine wohl- 
gelungene. Dieser Komposition kann man nur 
kurze Lebensdauerprophezeien. — Bruno H inze- 
Reinhold, derernst denkende und nur nach der 
Seite des Ausdrucks strebende Pianist, gab unter 
Mitwirkung von Anna Hinze-Reinhold ein 
Konzert, das ihm und seiner Partnerin einen 
unbedingten Erfolg sicherte. Besonders hervor- 
zuheben ist die Wiedergabe der MSrkischen 
Suite op. 92 fur zwei Klaviere von Hugo Kaun, 
die sicher durchgereift erklang. Dem Werke 
kann man weiteste Verbreitung wunschen. — 
Eine groBzugige Spielerin ist Erika Woskow. 
Die Variationen und Fuge fiber ein Thema von 
Bach von Max Reger bewaltigte sie mit be- 
wunderungswerter Sicherheit nach musikalischer 
wie rein technischer Seite. Etwas mehr Ober- 
armtatigkeit sowie weicheres Einschmiegen in 
die Tastatur ware von Nutzen zur Bildung eines 
volleren und weiter tragenden Tones — Das 
neugebildete Marteau-Quartett brachte an 
seinem zweiten Abend Werke von Brahms, 
Jaques - Dalcroze und Schumann. Gegenuber 
dem ersten Abend hat sich das Zusammenspiel 
besser gestaltet. Dem Cellisten ware ein 
festerer und sichererer Ton besonders in der 
Kantilene zu wunschen. Ein Mehrherausgeben 
und etwas mehr Leben sollte kultiviert werden, 
damit nicht allzusehr Vornehmheit und Reserve 
dem inneren Werte der Werke Abbruch tun. — 
Edouard Risler war trefflich disponiert. Er 
hatte einen groBen Abend. Werden auch ein- 
zelne Teile sehr dozierend wiedergegeben, so 
ist der groBe Zug niemals zu verleugnen. Tech- 
nik tritt zurvick, und nur der gewollte Ausdruck 
des Kunstwerkes tritt in den Vordergrund. Eine 
aufrichtige und ehrliche Arbeit. Op. 57 von 
Beethoven war eine grofie Tat. — Mira Pollheim 
ist eine tuchtige Pianistin Die Technik ist weit 
vorgeschritten und ihr musikalisches Kdnnen ist 
fein durchgebildet. Zur Vervollkommnung ihrer 
Technik mochte ich empfehlen, Accorde und 
Oktaven nicht herauszuhauen, sondern mehr 
mittels Gleitung aufzusetzen. Richard Bur- 
meister leitete das Orchester, vielmehr seine 
Schulerin um die Klippen von Liszts Concert 
path6tique und Konzert Es-Dur. — Ernst von 
Len gy el verspricht ein groBer Pianist zu werden. 
Steht sein Hauptkonnen einstweilen noch zu 
sehr im Sinne der Technik, so wird mit den 
Jahren der geistige Gehalt mehr in das Vorder- 
treffen gefunrt werden. Die Anlagen sind in 
bester Weise vorhanden. Hanns Reiss 

Frederic Lamond, der Beethoven-Spezialist, 
errang mit den Diabelli-Variationen nur einen 
Achtungserfolg, wahrend er nach dem Vortrage 
des Turkischen Marsches sturmisch gefeiert 
wurde. Zu Unrecht! Den belanglosen Marsch 
spielen Hunderte weit besser als er, wahrend 
ihm den Aufbau der Variationen so leicht keiner 
nachmachen wird. An Einzelheiten merkte man 
leider wieder, daB Lamond kein groBer Techniker 
ist, und daB sich seine TemperamentsauBerungen 
schon deshalb stets in bescheidenen Grenzen 
halten. Seine Beethoven-Interpretationen sind \ 
fast immer allzu sachlich, allzu durchdacht; sie 
verdienen objektiv gewiB allerhand Anerkennung; 
aber sie begeistern nicht, weil es ihnen an Ge- 
fuhlswarme fehlt. Lamond gestaltet seinen Beet- 
hoven oft vortrefflich, aber er erlebt ihn nicht; 

C 1 



da rum ist sein Spiel immer nur Reproduktion, 
niemals Neuschopfung. — Auch das Klingler- 
Quartett 13Bt sich zuweilen in seinem Streben 
nach Joachimscher Klassizitat zu kuhler Sach- 
Iichkeit verleiten. Es vermeidet allzu absichtlich 
jedes Pathos, jede starkere Temperaments£uBe- 
rung. Immerhin sind seine Vortrage stets eine 
wahre Erquickung fur diejenigen, die auf reine 
Intonation und klare Gestaltung das Hauptgewicbt 
legen. Die Wiedergabe eines Mozartschen Quar- 
tetes war von feinstem Stilempflnden getragen. 
Dagegen wurde Haydns Kaiserquartett unbegreif- 
licherweise wie ein hubscbes Spielzeug behandelt. 
Am meisten litt hierunter der letzte Satz, bei 
dem man den Ubergang von c^moll nach C-dur 
nur als eine spielerische Nuance empfand. — 
Im Gegensatz zu Lamond ist Wilhelm Backhaus 
ein Musiker, der sich zuweilen weniger durch 
sein Gestaltungsvermogen als durch seine Finger 
inspirieren laBt. Nach seinem Beethovenabend 
gab er ein Konzert mit Cbopin'schen Werken. 
Verbluffend war wiederum die Leichtigkeit, mit 
der er alle technischen Schwierigkeiten uberwand. 
DaB er diesmal Selbstbeherrschung genug besaG, 
um alle virtuosen Regungen zu unterdrucken, 
muB freudig anerkannt werden. Nicht einen 
Fingerakrobaten, sondern einen feinsinnigen Mu- 
siker am Klavier horte man. Ober Verschieden- 
heiten der Auffassung soil nicht gestritten werden. 
Man darf jederzeit von der w feststehenden** Tradi- 
tion abweichen, wenn die Abweichung nicht will- 
kurlich erscheint, sondern uberzeugend wirkt. — 
DaB es keine feststehenden Normen gibt, bewies 
auch Ludwig Wullners erster Liederabend. 
Lessing stellte einst die Frage, ob Raffael nicht 
einer der groBten Maler gewesen ware, selbst 
wenn er keine Hande gehabt hatte. Wullner 
ist sicherlich einer unserer hervorragendsten 
Liederinterpreten, trotzdem er rein stimmlich 
mit keinem anderen beruhmten Sanger kon- 
kurrieren kann. DaB er Schuberts „Winterreise* 
vortrug, war in jedem Fall ein Fehler. Es gibt 
ja so unendlich viele Lieder, bei denen das 
Deklamatorische die Hauptsache ist. Wullner 
sollte die Grenzen seines Spezialgebietes nicht 
uberschreiten. Als Schubertsanger ist er meines 
Erachtens trotz der Innerlichkeit seines Vortrages 
unmoglich; vor allem deshalb, weil die Gefuhls- 
wertesehrvielwenigerindenWiihelmMullerscben 
Versen, als in den Schubertschen Melodieen 
liegen, die man singen muB, aber nicht dekla- 
mieren, flustern und hinausschreien darf. — 
Im Gegensatz zu Wullner zahlt Ludwig HeB zu 
den Stimmgewaltigen. Diesmal war er anfangs 
recht matt. Es scheint uberhaupt, daB er stets 
ein Dutzend Lieder gesungen haben muB, bevor 
er sich im Vollbesitz seiner Stimmittel befindet. 
Zwei Lieder von Wolf und zwei von Liszt wuBte 
er (mit sehr geschickter Verwendung der Kopf- 
stimme) so tief innerlich zu interpretieren und 
so klangschon vorzutragen, wie man sie selten 
gehort hat. Leider dampften am Schlusse zwei 
uble Schmarren von Eugen Haile die Begeisterung 
recht erheblich. Es gibt in der Tat kaum etwas 
Geschmackloseres als „Es regnet* von Haile. 
Derlei nach Liedern von Wolf und Liszt vor- 
zutragen, ist unverzeihlich. In Amerika kann 
man so etwas vielleicht machen, in Deutschland 
nicht. Das mdge der Konzertgeber berucksich- 
tigen, .wenn er. von seiner Amerikafahrt heim- 

6 ' Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRIT1K (KONZERT) 



249 



gekehrt ist. — Einen ungetrfibten Genufi bereitete 
den Horern ein Konzert von Joseph Lhe*vinne. 
Der bekannte Kunstler bewies von neuem seine 
glanzende pianistische Begabung. Schlechthin 
vollendet war sein Zusammenspiel mit seiner 
Gatrin in Mozarts Es-dur Konzert fur zwei 
Klaviere und Orchester. Eine grofiere Pra*zision 
im Mechanischen und eine reinere Harmonie 
im Geistigen ist zwischen zwei Klavierspielern 
kaum denkbar. Es empfiehlt sich fibrigens, dem 
Beispiel des Kfinstlerpaares zu folgen und die 
beiden Flugel in entgegengesetzter Richtung 
neben einander zu stellen. Man soil dem andern 
Spieler in die Augen sehen konnen und nicht 
nach den Fingern schielen. Der bebabige Dirigent 
(w\ v. Safonoff) dirigierte ohne Taktstock und 
versenkte zumeist den Daumen der Linken in 
die Westentasche; aber es ging auch so. — 
Minder Erfreuliches ist fiber einen Novitaten- 
abend Henri Marteau's zu berichten. Ein sym- 
phonischer Prolog zu Kleists „Prinz von Homburg" 
von Wiilibald Kaehler erwies sich als eine zu 
dick instrumentierte, sonst aber ganz passable 
Kapellmeisterarbeit; eine symphonische Dichtung 
„Das Leben ein Traum" fur Violine und Orchester 
von Otto Neitzel aber wurde zu scharfster Ab- 
lehnung herausfordern, wenn man nicht dem 
geschatzten Verfasser seiner anderweitigen Ver- 
dienste halber Rucksicht schuldig ware. Der 
einzige Gewinn des Abends war ein zwar uber- 
langes, aber klangschones und vortrefflich 
gearbeitetes „Passacaglia-Konzert tt von Hans 
KoeBIer, das vom Konzertgeber ganz wunder- 
voll gespielt wurde. Komponist und Interpret 
fanden reichen und wohlverdienten Beifall. — 
Das erste diesjahrige Loevensohn- Konzert 
brachte ein neues Streichquartett (op. 16) von 
Paul Scheinpflug, dessen erster Satz anlafilich 
des Danziger Tonkunstlerfestes 1 ) seine Urauf- 
fiihrung erlebte. Das Werk fesselt von der ersten 
bis zur letzten Note und bietet im Detail mancherlei 
Reizvolles. Aber es ist allzu formlos und strebt 
wie so viele moderne Quartette nach orchestralen 
Wirkungen. Die Wiedergabe durch das Loeven- 
sohn-Quartett war sehr fein abgetont und ver- 
dient auch wegen ihrer temperamentvollen Ge- 
staltung uneingeschranktes Lob. Als Mitwirkende 
sang Frieda Langendorff (anstelle von FrSulein 
Oblhoff) Lieder von Marx und Wolf, ohne den 
Erfolg zu erzielen, d n sie als Buhnens§ngerin 
zu finden pflegt. Den Schlufi des Programms 
bildete „auf vielseitiges Verlangen" eine Wieder- 
holung von Joseph Jongens zweidimensionalem 
Klavier-Quartett op. 33. (Es ist sehr lang und 
sehr breit, aber leider gar nicht tief.) 

Richard H. Stein 
Gunna Breuning, Paulus Bache und Max 
Trapp haben sich zu einer Triovereinigung zu- 
sammengetan, und was sie an ihrem ersten 
Abend boten, versprach viel fur die Zukunft. 
Der erste Satz des Brahmsschen c-moll Trio 
op. 101 wurde voll Schwung und Feuer gespielt, 
wenn auch ein wenig derb angefafit; eine prach- 
tige Letstung war die Wiedergabe des zweiten 
Satzes mit seinen gebeimnisvoll flusternden Stim- 
mungen; beim dritten Satz mufl man sich be- 
kanntlich huten, sufilich zu werden; dieser Ge- 



J ) Vgl. die Analyse des Komponisten in der 
,Musik a , XI, 16, S. 229 f. 



yr. ., p£ra 

C 1 



fahr sind die Konzertgeber nicht immer ent- 
gangen. Sehr dankenswert war es, einmal wieder 
Beethovens Kakaduvariationen hervorzuholen; 
sie wurden famos zusammengespielt, und es 
fehlte auch nicht am notigen Humor; wie er- 
gotzlich ist es doch, wenn der Scbalk im Moll- 
sStzchen sein Schelmengesicht hervorsteckt; so- 
gar eine Spieluhr imitiert er, bis er das Thema 
im Kontrapunkt zu Tode hetzt — um zum Schlufi 
wieder eine scheinheilige Miene aufzustecken! 
— Auch das Hefi-Quartett hat sich neugebildet. 
Der treffliche Fuhrer hat die Herren Albert 
Stoessel, Richard Heber und Max Baldner 
um sich versammelt, und wenn auch die Horer- 
gemeinde ein wenig zusammengeschmolzen ist, 
so sind doch sicher nicht die besten ausgeblieben. 
Das Zusammenspiel liefi wohl hier und da noch 
einen Wunsch offen, aber ein ernster kunstle- 
rischer Geist waltete sowobl fiber Brahms (op. 
51, 2) wie fiber C6sar Franck, obwohl ich die 
Wahl des Franck'schen D-dur Quartetts gerade 
fur dieses 1. Konzert nicht fur glucklich hielt. 
Alle Satze leiden an einer fast hypertrophischen 
Lange und sind mehr ergrubelt als erdichtet. 
Nur der zweite Satz mit seiner dammernden 
Grazie macht eine Ausnahme. Er wurde ubrigens 
famos gespielt; das huschte wie auf silbrigen 
Elfenffifien dahin. — Willy Hefi begegnete ich 
am nachsten Tag wieder als Solist im Konzert 
des Berliner Liederkranz. Seine kristall- 
klaren, technisch aufs feinste ausgemeifielten 
und elegant gespielten Vortrage losten rauschen- 
den Beifall aus. Der Liederkranz hatte ein Pro- 
gramm aufgestellt, das eigentlich dem Geiste 
des Mannergesanges insofern zuwiderlief, als der 
Keim und Hauptbestandteil jedes Chorgesanges, 
das leichte Volkslied, ganz unberucksichtigt ge- 
blieben war; es ist aber bisweilen eine grofiere 
Kunst, kleine Volkslieder vollendet wiederzu- 
geben, als sich mit Kunstarbeiten schwersten 
Kalibers abzuqualen. Davon abgesehen zeigte 
der Verein sich auf einer stattlichen Hohe kunst- 
lerischer Leistungsfahigkeit; nur bei Cornelius' 
„Alter Soldat" geriet er ernstlich ins Schwanken. 
Karl Kampfs w Die Stadt u stand zum erstenmal 
auf dem Programm; es ist eine ernste gediegene 
Arbeit, mit feinster Stimmungsmalerei durch- 
setzt, wirkungsvoll im Aufbau, aber auch enorm 
schwer. Vielleicht hdtten sich noch mehr Kon- 
traste herausholen, uberhaupt die ganze Wieder- 
gabe durchsichtiger gestalten lassen. — Die ge- 
schatzte Geigerin Edith von Voigtlaender hatte 
sich mit Arthur van Eweyk zu einem Konzert 
vereinigt. Das respektable Konnen der ersteren, 
ihre edle Tongebung und ihre gute Musikernatur 
machten ihre VortrSge recht erquicklich. Sie 
spielte unter anderem das Phantasiestuck op. 66 
von Kaun, das sich nicht anspruchsvoll gibt, 
sondern Musik um der Musik willen ist; einmal 
fangen allerdings die Walkuren darin an zu 
jauchzen, und gegen den Schlufi tritt das tech- 
nische Moment stark in den Vordergrund. Eine 
ganz wundervolle Schopfung aber ist desselben 
Komponisten Abendlied mit obi. Violine. Eweyk 
sang es; er war leider nicht gut disponiert; 
die Hohe machte ihm Schwierigkeiten. Trotz- 
dem konnte man sich seiner gediegenen Kfinstler- 
schaft erfreuen. Nur mochte ich sowohl ihm 
wie der Konzertgeberin einen Schufi mehr Tem- 
rament wfinschen. I«teressanfe waren die vier 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



250 



DIE MUSIK XIII. 4: 2 NOVEMBERHEFT 1913 



Lieder des (im fibrigen doch wohl immer noch 
zu hoch eingeschMtzten) Joseph Marx: das sehr 
melodische „Wie reizend bist du a , das zarter 
Stimmungen voile „Abends tt , das w Standchen tt , 
das einfache melodische Linien mit kunstvolier 
Begleitung umgfirtet und mit pikanter Rhythmik 
wfirzt und nur in der zweiten Strophe aus der 
Rolle fSllt, und endlich das gesuchte und ge- 
scbraubte „WofQr a . Max Laurischkus be- 
gleitete sehr fein; er war der Geigerin auch in 
Brahms' sonniger „Meistersinger a -Sonate (op. 100) 
ein trefflicher Gefabrte. — Lolo Barnay sieht 
sehr sfifi aus und singt stellenweis sehr sfifi. 
Das ist bei deutschen Volksliedern nicht immer 
angebracht: w In einem kfihlen Grunde" z. B. 
behandelte sie geradezu als „Schmacbtlappen M 
(sit venia verbo!). Fur lustige Volkslieder aber 
fehlt ibr Humor uni Temperament. Auflerdem 
mufi sie an ibrer Hohe arbeiten, die im forte 
hart und schrill klingt. — Hedwig Dam man 
konnte ihre an sich scbonen Stimmittel nicht 
zur Geltung bringen, da sie unglaublich befangen 
war. Ich will ibr wfinschen, dafi die Zeit dieses 
Lampenfieber kuriert. Die VortrSge der Mit- 
wirkenden, Else Direnberger (Violine) und 
Edmund Goldfisch (Klavier), bewegten sich auf 
dem Niveau einer tficbtigen, wenn auch nicht 
uberragenden Kunstlerschaft. — Vivian Gosnell 
steckt noch stark im AnfSngertum. Sein klang- 
voller Bariton wird einstweilen noch nicht nach 
Gebfihr ausgenutzt; alles ist auf mezza voce ge- 
stimmt, wahrend die Stimme im forte noch sehr 
hart und rauh klingt. Die kleinen italienischen 
Sachen sang, bzw. sSuselte er nicht fibel, aber 
dem Schubertschen .Prometheus" fehlte alle 
kfinstlerische Kultur, und der falsche Einsatz 
in der „Lotosblume a hdtte unbedingt nicht vor- 
kommen dfirfen. — Messchaert! Ein herr- 
licher Liederabend. Der Sanger war vorzuglich 
„in Form", und alle Vortrage gewihrten ausnahms- 
los reinsten Genufi. Wie achtunggebietend ist 
doch beispielsweise seine Technik, fiber den 
schwindenden Glanz seiner Hohe durch aus- 
giebige Verwendung der Kopfresonanz hinweg- 
zutauschen. Wie stilecht und stilrein die Auf- 
fassung, ob er Schubert, Brahms oder Wolf singt. 
Wie golden sein Humor, wenn er die kSstlichen 
Pointen in Wolfs „Musikant a oder der „Storchen- 
botschaft" herausholt. Ware es nicht fiberhaupt 
einmal eine lohnende Aufgabe fur einen wirklich 
guten Sanger, einen ganzen Abend lang den 
Humoren bei Wolf, Haydn, Mozart, Weber, Loewe, 
Schubert usw. nachzuspuren? Einstweilen fiber- 
lafit man den Humor noch immer den Volkslied- 
,und Lautensangern. So haben sich neuerdings 
Elsa Laura von Wolzogen und Carl Clewing 
zu gemeinsamem Wirken zusammengetan. Frau 
von Wolzogens nette Vortragsweise ist ja be- 
kannt. Clewing ist ihr an stimmlichem Fond 
bedeutend fiber; auch als Vortragskfinstler ge- 
hort er zu den besten — aber das Lautenspiel! 
Dadurch, dafi er die Saiten statt von der Scite 
von oben anreiftt, schlagen sie wieder auf das 
Holz zurfick und geben einen unangenehm 
klirrenden Klang, bei dem natfirlich auch Reso- 
nanz und Tragfabigkeit vollkommen verloren 
geht. Auflerdem war das Instrument den ganzen 
Abend total verstimmt. Das Hildebrandtslied 
ist ubrigens nicht das alteste Volkslied, sondern 
die alteste erhaltene Heldensage, die sich in 

C 1 



ppateren Jahrhunderten zu vielen Volksliedern 
kristallisierte. Aber Clewings charmante Vor- 
tragskunst hilft selbst fiber solche literarische 
Entgleisungen weg. Max Burkhardt 

BKESLAU: Der Orchesterverein hat seine 
Tatigkeit wieder in vollem Umfange aufge- 
nommen. Das 1. Abonnementskonzert brachte 
die Symphonie No. 4 B-dur von Beethoven und 
die Brahms-Variationen fiber den Choral St 
Antoni, beide in tadelloser Ausffihrung unter 
Leitung Dohrns. Aaltje Noordewier-Red- 
dingius erbracbte namentlich in der Bacbscben 
Kantate „Jauchzet Gott in alien Landen" einen 
gelungenen Beweis ibrer hochentwickelten Ge- 
sangskunst Da zu dem 2. Abonnements- 
konzert ein Solist nach dem andern absagte, 
blieb nichts fibrig, als dem Konzert einen 
rein orcbestralen Cbarakter zu geben. Dohrn 
beschrankte sich auf zwei Symphonieen : Brahms* 
Dritte und die Siebente von Bruckner. Das 
Experiment, ein solistenloses Konzert zu ver- 
anstalten, gelang fiber Erwarten gut. Wenn auch 
die Generalprobe betrichtlicbe Lficken im Zu- 
hdrerraumc aufwies, so war doch die Aufffihrung 
gut besucht, und dank der vorzfiglichen Wieder- 
gabe beider Werke hat sich das Publikum bei 
Brahms und Bruckner sehr wohl befunden. — 
Aucb die Kammermusik-Abende mit Dohrn, 
Wittenberg, Behr, Hermann und Melzer 
haben wieder eingesetzt. Der erste Abend 
brachte in vortrefflicher Ausffihrung je ein 
Streichquartett von Mozart und Beethoven und 
als Neuheit ein interessantes Konzert fur Klavier 
und Violine mit Streichquartett- Begleitung in 
D-dur von Ernest Cbausson. — Hermann Behr, 
der Dirigent der volkstfimlichen Mittwoch- 
Konzerte wartete in seinem 1. Konzert mit 
der c-moll Symphonie von Brahms auf, deren 
Gebalt mit grofierEnergie herausgearbeitet wurde. 
In demselben Konzert spielte Nora Duesberg, 
eine ganz ausgezeicbnete Wiener Geigerin, das 
Violinkonzert von Tschaikowsky. — Julia Culp 
gab einen von etwa 2000 Personen besuchten 
Liederabend. — Recht interessant gestaltete sich 
ein Konzert des Breslauer Vokal-Quar- 
tetts von Martha Aumann-Lindner, Helene 
Borck, Maxjanssen und Otto Gaertner. 
Dieses Quartett hat sich zur Aufgabe gestellt, 
vokale Kammermusik zu pflegen und den groften 
Scbatz zu heben, den wir in den alten Madri- 
galen besitzen. Gleich das 1. Konzert gelang 
fiber alle Erwartung. Man horte Vokalsatze von 
Pitoni, Bennett, Praetorius, Leo HaQler und 
Friederici in einer aufs feinste abgewogenen Aus- 
ffihrung. — Das grolle Konzert, mit dem unsere 
Jahrhundertausstellung geschlossen wurde, fand 
wieder in der Jahrhunderthalle vor 5000 Zu- 
horern statt. Leider war diesmal der Klang- 
korper nicht auf die numerische Hohe gebracht 
worden, die die groBe Halle nun einmal braucht. 
Die Neunte Symphonie von Beethoven und die 
Alt-Rhapsodie von Brahms klangen zu sehr en 
miniature, so dafi tiefere Wirkungen nicht erzielt 
wurden. Josef Schink 

pvRESDEN: Das 1. Symphoniekonzert 
^ der Serie B brachte als Neuheit eine Sym- 
phonie h-moll von Kurt Striegler, die bier 
ihre Uraufffihrung erlebte. Der Komponist 
ist an derselben Stelle bereits einmal mit einer 
Symphonie a- moll zu Worte gekommen und hat 

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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



251 



mit ihr damals Hoffnungen erweckt. Sein neues 
Werk erfullt diese nur insofern, als es den 
Tonsetzer jetzt im Vollbesitze der technischen 
Fertigkeit zeigt. Er instrumentiert gut, weili 
wuchtige Steigerungcn herbeizufuhren und mit 
sein em thematischen Material gescbickt zu ar- 
beiten. Aber rein musikalisch steht die neue 
Symphonie hinter der alteren nach meiner Mei- 
nung zuruck. Sie ist in der Erfindung weniger 
originell, zeigt mehr die glatte Mundart des 
Eklektikers als die tiefe Sprache des eigenen 
Empflndens; es ist sehr anstandige Kapell- 
meistermusik,die auf die Dauer nicht zu unseren 
Herzen spricht, obgleich es ihr an schdnen Ein- 
zelbeiten gewift nicbt mangelt. Die Neuheit, 
deren vier S3tze obne Pausen ineinander uber- 
geben, fand in Ernst v. Scbucb den liebevoll- 
sten Interpreten und brachte dem Verfasser leb- 
baften Beifall und mehrere Hervorrufe ein. 
Solist des Abends war Wilhelm Backbaus, 
der das bier noch unbekannte Klavierkonzert 
Es-dur von Otto Neitzel spielte und diesem 
geistsprubenden, klangfeinen und in der Zu- 
sammenwirkung von Klavier und Orchester oft 
uberraschenden Werke zu einem unbestrittenen 
Siege verbalf. — Ira 1. Pbilbarmonischen 
Konzert erwies sich Bronislaw Huberman 
mit dem Vortrag des Beethovenkonzerts als 
einer der allerersten Geigenkunstler, der seine 
fabelhafte und unfehlbare Tecbnik durchaus in 
den Dienst einer gereiften, beseelten Empfindung 
stellt. Elena Gerhardt vermocbte mit einigen 
Gesangen mit Orchester nicht recht zu erwar- 
men, fand aber fur ihre Lieder am Klavier, die 
KarlPretzsch meisterhaft begleitete,sturmische 
Anerkennung. — In Alice P6roux-WiIliams 
lernte man eine Gesangskunstlerin von hervor- 
ragenden Eigenschaften kennen, Helga Petri s 
Liederabend verstarkte die Wertschatzung ihres 
liebenswurdigen, durch hingebenden Fleifi ge- 
stfitzten Talentes, und Max Pauers grofie, viel- 
seitige Kunstlerschaft machte seinen Klavier- 
abend zum genuftreicben Erlebnis. Josef Pern- 
baur (Leipzig) stellte sich mit Rudolf BSrticb 
und Arthur Stenz erstmalig als Mitglied des 
Dresdener Trios vor, das an ihm einen Kla- 
vierkunstler von feinstem Ensemblespiel ge- 
wonnen hat. F. A. Gei filer 

pvOsSELDORF: Der stadtische Musik- 
*^ verein unter Karl Panzners vielgeprie- 
sener Leitung brachte im 1. Abonnementskonzert 
Schuberts grolie C-dur Symphonie in idealer 
Wiedergabe, sowie eine delikat gespielte kleine 
Nachtmusik fur Streichorchester von Mozart. 
Als Solist beteiligte sich Bronislaw Huberman, 
der Goldmarks Violinkonzert op. 28 hier zum 
ersten Male, und zwar als eleganter Techniker 
mit sensiblem Ton und Vortrag erfolgreichst 
vorfuhrte. Die groften Orchesterkonzerte 
unter Panzner bieten auch in diesem Jahre 
wieder hervorragend wertvolle Programme, die 
verraten, daft dem Dirigenten dabei keinerlei 
Konzessionen an den Geschmack des Publikums 
und sonstiger Berater zugemutet werden. Das 
1. Konzert bescherte Haydns D-dur Symphonie 
(No. 14), hier eine Neuheit, Schuberts Rosa- 
mundenmusik und Beetbovens D-dur No. 2 in 
wunderbar abgeklSrter, tonlich entzuckender und 
stilstrenger Ausdeutung und trug dem gefeierten 
Dirigenten grofle Ovationen ein. Das Z. Konzert 

f)::j :i/nn :v/ C jOOO 

C 1 



eroffnete August Scharrer als Gastdirigent mit 
seiner d-moll Symphonie „Per aspera ad astra" 
op. 23, die sich als interessante und wertvolle 
Schdpfung auswies und in guter Wiedergabe viel 
Beifall fand. Dann vermittelte uns Frau Chop- 
Groenevelt die Bekanntschaft mit dem 
jedenfalls klangschdnen und sehr geschmackvoll 
komponierten Klavierkonzert op. 50 von Hugo 
Kaun, das sie mit klarster Technik und viel 
musikalischer Intelligenz wirksam zum Vortrag 
brachte. Auch die temperamentvolle, glanzend 
instrumentierte Kameval-Ouverture von W. 
Braunfels errang, von Panzner geradezu hin- 
reiliend interpretiert, einen vollen Erfolg. Von 
privaten Konzerten verdient der Kammermusik- 
Abend des Dusseldorfer Streichquartetts, 
der in der reizvollen Wiedergabe des Forellen- 
quintetts (Schwarzam Klavier) gipfelte, erwShnt 
zu werden. A. Eccarius-Sieber 

CLBERFELD: Die Elberfelder Konzert- 
" Gesellschaft veranstaltet auch in diesem 
Winter sechs Konzerte in der Stadthalle und vier 
Solisten-Konzerte im Kasino. Das 1. Konzert 
brachte Haydns ewig junge Jahreszeiten", in 
denen Mientje La u p r e c h t - van Lam men 
als herzige Hanne glanzte. Auch das stadtische 
Orchester stand unter Hans Haym auf gewohnter 
Hone. Von Rudolf Moest haben wir schon 
starkere Eindriicke mitgenommen, als diesmal 
von seinem Simon. Paul Schmedes wirkte 
als Lukas mehr durch seine hocbstehende Vor- 
tragskunst, als durch sein nicht mehr einwand- 
freies Material. Die Chore zeichneten sich durch 
Klangschonheit und Frische aus. 

F. Schemensky 
CRANKFURT a. M.: Mit einer wurdigen Auf- 
* fuhrung von Beethovens GroBer Messe er- 
offnete der Ruhlsche Gesangverein den 
Reigen der grolien Chorkonzerte. Man mufi 
dem energischen und ungewohnlich begabten 
Dirigenten Karl Schuricht nachruhmen, daft 
er mit einer Intensitfit sondergleichen auf ein 
intellektuelles Eindringen in den geistigen Gehalt 
bei seinem Chor hingearbeitet hat. Das Werk 
ist dem Chor sozusagen ins Fleisch gewachsen, 
daher denn auch die auCergewohnlich tiefe 
Wirkung dfeser Auffuhrung. Solistisch standen 
die Damen Anna Kaempfert (Sopran) und 
Maria Philippi (Alt) vollig auf der Hohe ihrer 
Aufgabe, bei den Herren Dr. M. Romer (Tenor) 
und Carl Braun (BaO) storte oft die unfeine 
Tongebung. L»as Violinsolo spielte Hans Lange 
mit ganz uberirdisch scbonem, ausdrucksvollem 
Ton. — Ausder ReihebelangloserkleinerKonzerte 
ist ein Abend der Gesellschaft fur Ssthetische 
Kultur besonders zu erwahnen: hier spielten 
Ludwig Rottenberg und Bernhard Sekles vier- 
hfindig Stiicke von Mozart, Brahms und Schubert 
mit solch prachtvoller musikalischer Anmut und 
poetischer Musikalitat, daft das Publikum fast 
das Atmen vergaft. Hedwig Schacko zeigte in 
einem Liederabend ihrem alten Stammpublikum, 
daft ihre liebenswurdige Liederkunst noch besteht. 

Karl Werner 

HAMBURG: Alle Konzertinstitute, die das 
musikalische Leben Hamburgs mit reichlicher 
Nahrung speisen — gegen 600 Konzerte sollen 
bereits fest angemeldet sein — haben ihren vollen 
Winterbetrieb aufgenommen. Die Berliner 



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hilharmoniker unter Arthur Nikisch, die 

nginal Trom 



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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



252 



DIE MUSIK XIII. 4: 2. NOVEMBERHEFT 1913 



Hamburger Philharmonie unter Siegmund 
von Hausegger, die Philharmonischen 
Konzerte unter Eibenschutz, die zahllosen 
Volks- und popularen Konzerte, sie alle haben 
ihre ersten Schlachten bereits geschlagen. 
Nikisch, dessen ungeheure Beliebtheit in einem 
fast auf den letzten Platz ausabonnierten Konzert- 
saal Ausdruck findet, wiederholte hier die 
Orchesterwerke seines ersten Berliner Konzertes: 
die tragische Symphonie von Draeseke, fur die 
ibm die ernsteren Musikfreunde dankbar waren, 
wenn auch dies Werk, in dem Konstruiertes und 
Gewolltes, Prinzipielles und Reflektiertes die 
Oberhand behalten, der breiten Menge eigentlich 
wenig gibt. Bei Hausegger konzentrierte sich 
das Interesse auf zwei bemerkenswerte Erst- 
auffuhrungen. Gernsheims neues Violin- 
konzert erlebte, von Marteau meisterlich vor- 
getragen, die Urauffuhrung, und Max Regers 
„B6cklin-Suite tt , die vordem nur in Essen zu 
horen gewesen war, wandte sich zum ersten 
Male an das Auditorium einer musikalischen 
Grolistadt. Reger als Programmusiker, Reger 
als Komponist von vier symphonischen Dich- 
tungen nach Bocklinscben bekannten Gemalden 
mutet fast wie eine Sensation an und entbehrt 
zum mindesten nicht eines gewissen pikanten 
Reizes. Denn sofort taucht die Frage auf: Macht 
Reger eine entscheidende Scbwenkung, hat er die 
Basis seiner kunstlerischen Anschauungen ver- 
andert, ist er des trockenen und gelehrten Tones 
uberdriissig? Oder ist das nur eine kunstlerische 
Extratour, so ein kleiner Ferienabstecher in 
fremdes Gebiet? Die Beantwortung der Frage 
bleibt der Zukunft vorbehalten, einstweilen wird 
man diese erste Begegnung Regers mit den 
Prinzipien der Programmusik kaum anders denn 
als eine Kollision zwischen Regers Eigenart und 
der Moderne — die allerdings auch bald schon 
Mode von gestern geworden ist — bezeichnen 
konnen. Einen Vorteil freilich gewann sich 
Reger aus dem programmatischen Vorwurf, den 
Vorteil eines fur seine VerhSltnisse ungewohnt 
farbigen lnstrumentationsantriebes. Reger hat 
nie zuvor etwas geschrieben, was so schon klingt 
wie diese vier Stucke, in denen er scheinbar 
erst seinen Sinn fur ein differenziertes Orchester- 
kolorit, fur Mischfarben und instrumentale 
Stimmungsmalerei entdeckt hat. Aber dariiber 
hinaus scheint doch die Rucksicht auf das Pro- 
gramm ihm zu einer Fessel geworden zu sein; 
seine technische Phantasie, der Reichtum seiner 
kombinatorischen Begabung, die Kunst seiner 
organischen Entwickelungen, die aus einem 
knappen Thema immer neue Bluten hervor- 
zaubern, sind durch das Programm unterbunden. 
Reger gleicht dem Spazierganger, der, um den 
Weg nicht zu verfehlen, etwa immer um dieselbe 
Litfaftsfiule promeniert; die Furcbt, etwas zu 
sagen, was nicht zum dichterischen Thema ge- 
hort, hemmt ihn, gibt seiner Musik etwas Kurz- 
atmiges und etwas Enges. Unter den vier 
symphonischen Bildern steht am hochsten und 
Bocklin am nachsten seine Auffassung der 
„Toteninsel a . Die Aufnahme der vier Stucke 
war ziemlich kuhl; freundlicher empfangen sah 
sich Gernsheim, der sein Violinkonzert selbst 
dirigiert hatte. Der Meister, der die Schwelle 
des patriarchalischen Alters bereits uberschritten 
hat, steht jenseits alter Entwickelungsperioden, 

C 1 



er steht uber den Uberrascbungen. Wie er 
heute schafft, schopft er aus dem Reichtum 
seiner Erfahrungen, aus einem gediegenen 
Konnen und ehrlichen Wollen, das sich von 
jeder extremen Betonung gleich weit zuruckhalt. 
Am effektvollsten gibt das neue Konzert sich in 
einem in Nocturnostimmung getauchten Adagio- 
satz. Einen sensationellen Erfolg als Liszt- 
Spieler holte sich bei Eibenschutz Paul Gold- 
schmidt, der Liszts A-dur Konzert und die 
„Totentanz a -Variationen mit blendender Bravour 
und mit rassigem, nervigem, rhytbmischem 
Empfinden spielte. Heinrich Cbevalley 
1^ OLN: Mit dem Vorsatze, besonders treffliche 
*^ auswSrtige Quartettgenossenschaften nach 
Koln als Gaste zu bringen, hat sich bier eine 
„Vereinigung Kolner Kammermusik- 
freunde** gebildet, die in jeder Saison eine 
beschrankte Anzahl Konzerte (diesmal drei) zu 
veranstalten gedenkt und von seiten der Lieb- 
haber des vornehmen Kunstzweiges so warm 
begruGt wurde, daB zu dem ersten im Hotel 
Disch statrgehabten Abend Wochen voraus alles 
ausverkauft war. Den recht glucklichen Anfang 
machte das Flonzaley-Quartett, dem man 
eine prachtvolle Ausfuhrung des Brabmsschen 
Klavierquartetts A-dur unter Mitwirkung der ein- 
heimischen Therese Pott, der Sonate fur zwei 
Geigen und Cello von G. Sammartini sowie des 
Streichquartetts C-dur von Dvofik dankte. An- 
mutige Liedergaben bot zwischendurch Tilly 
Cahnbley-Hinken mit stimmungsvollen 
Stucken von H. Wolf und C. Ramrath. — In der 
Musikalischen Gesellschaft zeigte sich der 
Pianist Mark Giinzburg in der Technik zeit- 
weilig nicht recht disponiert, wahrend er sonst 
gut abschnitt und ebenso aufgenommen wurde. 
Einen einhelligen groCen Erfolg holte sich der 
Geiger Alexander Schaichet, der sich mit 
Mozarts Konzert Es-dur nach Durchgeistigung, 
Temperament und vornehm geklfirten virtuosen 
Eigenschaften als hervorragend pradestinierter 
Vertreter seines Instruments einfuhrte. Auch die 
Sopranistin Marietta Amstad erzielte mit ihrem 
auf nicht gerade bedeutende stimmliche Mittel 
sich stiitzenden, aber ausdrucksvoll-gewandten 
und personlichen Reizes nicht entbehrenden 
Vortrage einer Reihe franzosischer Lieder aus 
dem 18. Jahrhundert sebr sympathische Wir- 
kungen. — Das 1. Gurzenich konzert setzte 
mit dem von Richard Straufi zur Einweihung 
des Wiener Konzerthauses geschriebenen w Fest- 
lichen Praludium a ein, das sich als ein in der 
Erfindung nicht eben sonderlich eigenartiges, 
aber geistreich angelegtes und unter eindrucks- 
voller Behandlung der Orgel im Orchester pomp- 
haft gefuhrtes, sehr kunstvolles Gelegenheits- 
stuck von viel Pathos erwies. Sein bravourSser 
Interpret Fritz Steinbach vermittelte ihm freund- 
liche Aufnahme. Mit Beethovens Achter Sym- 
phonie brachten Dirigent und Orchester spater 
eine oft gewurdigte Glanzdarbietung. Muriel 
Foster bot mit dem Altsolo in Brahms' Rhap- 
sodie sowie Hugo Wolf-Liedern nicht sehr warme, 
aber feinkunstlerisch ausgefeilte Leistungen, 
wShrend Joan Manen mit Bruchs Phantasie und 
seiner Paganini-Caprice No. 24 alles elektrisierte. 

Paul Hiller 

K6NIGSBERGi.Pr.:UnsereMusikverhaltnisse 
sindjiun so weit geordnet, daQ wir ein starkes 

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KRITIK (KONZERT) 



253 



und gutes Zentralorchester haben, dessen Fufi- 
punkt aufierhalb des Theaters liegt: das von den 
einen sehnlichst erhoffte, von den anderen mit 
Bangen erwartete Stadthallenorchester hat 
sich kunstlerisch bereits aufs beste bewahrt, im 
Konzertsaal namentlich in dem ersten der 
standigen Symphon iekonzerte (Leitung Max 
Brode, Solist Bronislaw Huberman), wo es 
etwa in der groBen c-moll Symphonie von Saint- 
Saens ausgiebige Gelegenheit hatte, alle seine 
Register zu zeigen. Die finanzielle Zukunft des 
Unternehmens ist freilich eine bisher noch nicht 
geloste Frage — moglicherweise steuern wir auf 
diesem Umwege auf ein stadtisches Orchester 
zu. Auch ein einheimisches Streichquartett, 
das uns im letzten Winter fehlte, hat sich wieder 
gebildet unter der Fuhrung des fruheren Theater- 
konzertmeisters Carl Becker, mit dem in 
fruheren Ensembles bewahrten CellistenHermann 
Hopf, und ein erster Abend des neuen Quartetts 
hat bereits bewiesen, daft die Lucke durchaus 
vollwertigausgefulltist. Von unseren Dilettanten- 
vereinen trat bisher nur der von Max Brode 
geleitete Instrumentalverein „Philharmonie tt 
(begrundet durch den bekannten Komponisten 
Sobolewski) anlafilich seines funfundsiebzigsten 
Stiftungsfestes mit einem Jubilaumskonzert her- 
vor. Endlich darf ich unter den einheimischen 
Konigsberger Veranstaltungen den ersten meiner 
eigenen Versuche nennen, unser weiteres 
Konzertpublikum durch Wort und Ton fur lebens- 
starke altere Musik und historische Musik- 
anschauung zu gewinnen; aus dem Eindrucke, 
den die starke Personlichkeit Monteverdi's, 
des Hauptgegenstandes meines ersten Vortrags, 
nach den vermittelten Musikproben (Sopran: 
Linda Kamieriska, Alt: Gertrud v. Borze- 
sto wski)offenbar hinterlieli,glaube ich schlieBen 
zu konnen, daC derlei Bestrebungen hier keines- 
falls aussichtslos sind, und halte es fur meine 
Pflicht, solche Abende moglichst zu einer stfin- 
digen Einrichtung zu machen. Das ubrige war 
vorlaufig Einfuhr: der Berliner Domchor 
kam, Artur Schnabel, der Liebling der Konigs- 
berger, kam und musizierte mit Karl Flesch, 
kurz darauf mit Therese Schnabel und dem 
neuerdings uberraschend sich verinnerlichenden 
Artur van Eweyk; es kamen Alexander 
Petscbnikoff, der vielversprechende Pianist 
Richard Buhlig, ein begabter junger Baritonist 
Hans Meier und andere noch, die alle nicht 
eigentlich das musizierende Konigsberg charak- 
terisieren. Dr. Lucian Kamieiiski 

MAGDEBURG: Die Konzertsaison nahm hier 
*** in ublicher Weise ihren Anfang durch zwei 
Konzerte des stadtischen Orchesters im 
Stadttheater. Solisten: Kirchhoff und Rosen- 
thal; Dirigent: Krug-W a ld|see. Das 1. Konzert 
des Kaufmanniscben Vereins dirigierte Stein- 
bach. Mit ibm ziebt immer hier Brahms ein 
(c-moll Symphonie). Carl Friedberg spielte die 
symphonischen Variationen von C6sar Franck. 
Fur den Winter wurden Weingartner und Nikisch 
eingeladen. Das nachste Konzert in der Har- 
moniegesellschaft dirigiert Reger. So ist man 
mit Erfolg bemuht, unserm Konzertleben auch 
einmal einen hoheren Schwung zu geben; nur 
die Konzerte des stSdtischen Orchesters arbeiten 
hierin auf konservativem Boden weiter. 

Max Pi a s s e 

., C iUOQ 

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MANNHEIM: Die Musikalischen Aka- 
*** demieen huben bei Mozart und Beethoven 
an, die „Maurerische Trauermusik" und Beet- 
hovens Achte Symphonie wurden von Arthur Bo- 
dan zky hervorragend geboten. Valborg Svard- 
strom sang mit gutem Verstandnis und sicherer 
Technik neben Liedern von Beethoven die nach- 
komponierte Konzertarie zu „Idomeneo a (Szene 
und Rondo). Hugo Birkigt spielte das Violin- 
solo dazu tonschon und ausdrucksvoll. Aufier 
zwei Orgelkonzerten Arno Landmanns — das 
letzte war ein Max Reger-Abend — , einem Lieder- 
und Arien-Abend von Leo Slezak sind nur 
zwei Kammermusik-Abende von besonderer Be- 
deutung gewesen. Das Flonzaley-Quartett 
brachte uns Arnold Schonbergs op. 7 und Hugo 
Wolfs Italienische Serenade, dazu eine Sonate 
in d-moll fur zwei Violinen und Cello von 
Leclair. Das Mannheimer Quartett spielte 
Mendelssohns Quartett in Es-dur (op. 12), ein 
Divertimento op. 20 von Bernhard Sekles und 
Beethovens Quartett in a-moll (op. 132). 

K. Eschmann 
UNCHEN: Noch im Dienste des Sikular- 
gedachtnisses fur den Bayreutber Meister 
stand ein in groBem Stile veranstaltetes Konzert, 
in dem Bruchstucke aus „Parsifal" (der zweite 
Akt von der Blumenmadchenszene und der 
dritte vom Auftritt Parsifals an) zur Auffuhrung 
gelangten. Die Solisten waren ersten Ranges 
(Berta Morena, Johannes Sembach, Anton 
van Rooy, Felix von Kraus), das Orchester 
(Konzertverein) tiichtig, nur die Chore nicht 
ganz genugend, das Ganze durch Franz Beidler 
gut einstudiert und mit sicherer Hand geleitet. 
Die Teilnahme des Publikums war sehr lebhaft, 
aber der Eindruck doch wohl nicht so stark, 
wie man erwarten konnte. Ein von Bruno 
Walter geleitetes Konzert des Hoforchesters, 
dessen Ertrag der Witwen- und Waisenkasse 
dieser Korperschaft zufloC, sollte durch die Mit- 
wirkung von Edyth Walker eine besondere An- 
ziehungskraft erhalten. Aber der Besuch blieb 
mafiig. Einen Wagner-Abend mil Orchester gab 
der Tenorist Walter Kirchhoff, dessen gesang- 
liche Leistungen mehr imponierten als die 
Orchesterdirektion Hugo Hud els. Im Volks- 
Symphoniekonzert spielten unter Paul Prill: 
Ernst Riemann das Mozartsche Kronungs- 
konzert, Robert Reitz das Ungarische Konzert 
von Joachim. Ein amenkanischer Dirigent, 
Weston Gales, vermochte mit der Leitung von 
Werken Wagners, Dvorak's und Humperdincks 
nicht von der Notwendigkeit seines Auftretens 
in Deutschland zu Ciberzeugen. Wahrend Felix 
Berber und Walter Braunfels in dem ersten 
ihrer Sonatenabende nur altere Meister spielten 
(Bach, Leclair, Mozart und Beethoven), benutzte 
der leider von Miinchen scheidende Violoncellist 
Emmeran Stoeber sein Abschiedskonzert zur 
Vorfuhrung seiner neuen Werke, des ersten Satzes 
aus einerSymphonie furVioloncell undOrchester, 
op. 11, von Gottfried Rudinger — sehr talent- 
voll, aber zu lang und nicht immer gliicklich 
instrumentiert — und eines „Sommermarchen a 
betitelten Divertissements fur Violoncell allein, 
op. 30, von Josef Haas — sehr geschickt und 
launig gemacht, aber doch (wie schlieBlich alle 
Solowerke fur dieses Instrument) etwas proble- 
matisch. Von groIien,_ Gei^ern ^horte man im 



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i_ ueigern .norte 

Unqmal from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



254 



DIE MUSIK XIII. 4: 2 NOVEMBERHEFT 1913 



eigenen Konzerte bis jetzt nur erst Joan Man6n, 
hinter dem der einheimische Richard Heber- 
lein weit zuruckstehen mufite. Starker wirkte 
Anni Betzak. Sonst waren unter den kon- 
zertierenden Instrumentalsolisten die Klavier- 
spieler gleich von Anfang an in der erdrucken- 
den Oberzahl. Von Meistern ersten Ranges 
sind Emil Sauer und Wilhelm Backhaus zu 
nennen. Leonid Kreutzer spielte u. a. die 
b-moll Sonate, op. 74, von Glazounow. Josef 
Pembaur versuchte fur die c-moll Sonate, op. 10, 
von Emil Schennig zu interessieren, mit nicht 
allzu viel Gluck. Sonst brachte das Bestrehen, 
das Programm etwas interessanter zu gestalten 
— ein Bestreben, dem man doch, zumal unter 
der jungeren Generation der Konzertierenden, 
jetzt haufiger begegnet — , manches Erfreuliche 
und Interessante. Es Helen auf die von Carola 
Lorey-Mikorey gebrachtenVariationen uberein 
Hfindelsches Thema von Robert Volkmann, durch 
Alfred Hoehn: Introduktion und Fuge von Cynll 
Scott (Jies freilich mehr interessant als erfreulich), 
auf zwei Klavieren von den Herren Fritz Be rend 
und Franz Dorfmuller das prSchtige opus 18, 
Prelude, Fugue et Variation von C6sar Franck 
und das reuend zopfige B-dur Duo von Boieldieu. 
Sigfrid Karg-Elert gab mit eigenen Komposi- 
tionen, unterstiitzt von Hermann Zilcher, einen 
Propaganda-Abend fiir das Mustel-Harmonium, 
wo eine Sonate in fis-moll hervorragte. Ich 
nenne von Klavierspielern ferner Gottfried 
Galston, Sara Freid, Felix Dyck; unter den 
einheimischen Dr. Richard Gschrey und die 
talentvolle Debutantin Erna Elfenbein. Nume- 
risch schlossen sich den Klavierspielern, wie 
immer, die Sanger und Sfingerinnen an. Lula 
MyszGmeiner trat, sekundiert von ihrem 
nicht gam ebenbunigen Bruder Rudolf, in 
dankenswerter Weise fiir den gehaltvollen 
Dehmel-Zyklus Hermann Zilchers ein. In dem 
Liederabend von Maria Philippi produzierte 
sich der mitwirkende Pianist Edwin Fischer 
auch als Liederkomponist. Raoul Walter 
brachte nicht unsympathische Volkslieder von 
Georg MeBner, neben weniger Sympathischem 
von Wilhelm M tiller. Ein sehr fesselndes 
Programm hatte der von Berlin nach Munchen 
ubergesiedelte Baritonist Otto Schwendy: 
u. a. Lieder von Thuille und sehr wertvolle 
neue GesSnge von Heinrich K. Sen mid, neben 
denen sich ziemlich leicht wirgende SSchelchen 
von Hugo Rasch etwas deplaziert ausnahmen. 
Leonore Wallner berucksichiigte die zeitge- 
nossische Lyrik gar mit funf Namen: Arnold 
Mendelssohn, Paul Klengel, Frederick Delius, 
Richard Wetz und Rudolf Bergh. Vielversprechend 
debutierte die einheimische Hildegard Hem- 
meter, und auch aus Amalie Hermann, die 
man (u. a. mit Liedern von Pfitzner und Wolf- 
Ferrari) neben dem Dresdener Tenoristen 
Robert Broil in einem der unglucksel'gen 
Einfuhrungskonzerte des Verbandes konzertie- 
render Kunstler horte, kann etwas werden. 
Karl Rehfufi aus Frankfurt sang mit starkem 
Erfolg Schuberts „Schdne Mullerin 44 , Gabriele 
Kottmayr hatte sich mit dem Pianisten Walter 
Hafiler verbunden und Elsa Laura von Wol- 
zogen erfreute ihr Publikum, obgleich sie 
nichts Neues brachte, — wahrend Robert 
Kothe mit einer neuen (10.) Folge seiner Lieder 

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zur Laute vor seine Freunde und Bewunderer 
trat. die ihn auch diesmal wieder mit begeistertera 
Beifall uberschutteten, insofern mit Recht, als 
auch dieses neue Programm ganz reizende 
Sachen enthalt. Rudolf Louis 

OARIS: Die groften Sonntagskonzerte baben 
* wie iiblich mit der zweitcn Woche des Ok- 
tobers wieder begonnen, aber bis jetzt nur eine 
Neuheit zutage gefordert. Es war ein „drama- 
tisches Gedicht* (seltsamer Titel fur ein Ton- 
werk) von Achille Philip „Les Djinns*. Aus 
dem bekannten Gedicht Victor Hugos hat schon 
C6sar Franck ein bemerkenswertes kleines Or- 
chesterstuck gemacht und daherwar es fur einen 
Neuling etwas verwegen, das gleiche Gedicht 
fur eine Singstimme mit Orchesterbegleitung zu 
komponieren. Dennoch hat Chevillard recht 
getan, das Werk mit derOpernsangerin D aumas 
im Konzert Lamoureux zur Auffuhrung zu 
bringen, denn das Anschwellen und Verschwin- 
den des orientaHschen Gespensterchors, das 
Hugo im Versmaft so gut wiedergegeben, recht- 
fertigt die neue Behandlung. — Im Konzert 
Colonne brachte zwar Piern6 eine Neuheit 
von Saint-Saens zur Auffuhrung, aber diese 
stammt schon aus dem Jabre 1855 und der 
Meister hatte nur ungern in die Auffuhrung dieses 
Jugendwerkes gewilligt. Es ist eine namentlicb 
an Mozart erinnernde Ouverture zu eincr ko- 
mischen Oper, die ungeschrieben blieb. Fur 
Paris neu war die dreisltzige Maurische Rhip- 
sodie von Humperdinck, die im Konzert 
Lamoureux gut aufgenommen wurde, obschon 
die Kritik nachher fand, daft der Orientalismus 
des deutschen Meisters im Vcgleich zu dem 
der modernen Franzosen und Russen doch etwas 
zu schuchtern sei. Aus Mangel an bedeutenden 
Neuheiten griff Pierae" schon im 3. Konzert 
Colonne zu dem behebten Ausweg. ein reines 
Beethovenkonzert zu geben, das eigentlich eher 
an den SchluB als an den Anfang einer Konzert- 
serie gehort. Die allzu viel gehorte Neunte 
Symphonie wurde aber wenigstens durch die 
Grofie Messe abgeld^t und als selteneres Stuck 
wurde der Elegische Gesang in neuer franzo- 
sischer Obersetzung von Ropartz durch ein 
hervorragendes Soloquartett vorgetragen. — Auch 
im Theater derChamps-Elysees baben die 
Orchesterkonzerte des Mittwocbabends wieder 
eingesetzt. i>as gleiche Programm wird hier nur 
mit geringer Verinderung der Solostucke zwei- 
mal gespielt. In den beiden ersten Konzerteo 
war Claude Debussy der Held des Tages. Er 
dirigicrte selbst sein dreisatztges symphonisches 
Gedicht w Iberia", das wohl bis jetzt seine her- 
vorragendste Arbeit fur Orchester ist. Nicht 
ungern horte man auch sein Jugendwerk n L* 
Damoiselle Elue* 4 wieder, zumal da Frau Worska 
die Hauptpartie entzuckend vortrug. 

Felix Vogt 
DRAG: Die Konzertflut ist nach des Sommers 
' Ebbe punktlich auch fiber uns hereinge- 
brochen. Wenn die Zeichen nicht trugen, wird 
es heuer wust zugehen, denn bis jet/t sind be- 
reits mehr als dreiflig Konzerte uber das Normale 
angesagt. Und was sonst noch kommen mag, 
das sich bis jetzt nicht vor die Offentlichkeit 
traut? Das Plus an Konzerten ist vorderhand der 
Eroffnung eines neuen Konzertsaales zuzu- 
schreiben, den das Musikhaus Mojmtr Urban ek 

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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



255 



sich in ihrem Liederabend (mit Pfitzner) als 
Meisterin des bel canto und des, allerdings etwas 
gleichm&Big gefarbten Liedergesangs; 6 Kinder- 
Heder von Edmund v. StrauB sind ganz niedlich, 
aberherzlich unbedeutend. — ImTonkunstler- 
verein spielte die Baseler Geigerin Anna 
Hegner mit wohltuender Reinheit und Reife, 
leider etwas unbedeutende Sachen. Der Pianist 
Egon Petri besitzt eine vortreffliche Technik; 
die Art jedoch, wie er die Brahmsschen Paganini- 
Variationen durcb ein morderliches Rekordspiel 
urn ihre geistigen QualitSten brachte, vermag ich 
nicht zu billigen. Dr. Gustav Altmann 

^^MEN: In feierlicher Weise, durch drei auf- 



mitten in der Stadt errichtet hat und „Mozar- 

teum a nennt. Die Konzerte daselbst ragten 

allerdings higher fiber das Mittelmali nicht hinaus. 

Alexander Dillmann gab einen seiner uber- 

flussigen Wagner Abende am Klavier, Bertha 

Manz enttauschte durch geringes Konnen, 

Gabriele Leschetitzky dagegen hatte einen 

groBen Erfolg namentlich als Brahmsinterpretin. 

Einen seltenen Enthusiasmus erweckteder kleine 

Geiger Pepa Barton, in dem ohne Zweifel eines 

der bemerkenswenesten Geigertalente heran- 

wichst. Robert Kot he, der famose Lautens§nger, 

hat nach lingerer Zeit wieder einmal auch in 

Prag seine fein ziselierte Kunst vorgefuhrt und 

Marie Louise Debogis durch ihren subtilen Ge- ** einanderfolgende Festkonzerte, wurde das 

sangsvortrag die groBeZahl ihrer Anh3nger um neue Wiener Konzerthaus eroffnet. Ein 

ein. betrachtliches vermehrt. 1m Deutschrn alien modernen Bedurfnissen angepaflter Bau. 

Kammermusikverein hat, vom Ros6-Quartett Drei Sale: — ein sehr groBer, festlich hell 

gespielt, ein handschriftliches Klavierquintett stimmender, nur zu wenig ruhig gehaltener, 

von Robert Haas als starke Talentprobe sehr mehr durch Dekor und „hinzugefugten tt Zierat 

gefallen. Die prSgnante Kurze jedes Satzes, von als durch die Giiederung in groBe, glatte, farbig 

denen namentlich der zweite durch aparte Har- kontrastierte Flachen wirkend, fur Symphonie- 

monieen hervorsticht, failt angenehm auf. Auch und Oratorienauffuhrungen; ein mittlerer, in 

die populiren Sonmagnachmittag-Konzerte der seiner vornehmen Flachenwirkung weitaus an- 

Tschechischen Philh ar moniker unterdem sprechender, fur Auffuhrungen mit kleiner 

verdienstvollen Dirigenten Dr. Wilhelm Ze- Orchesterbesetzung und ein kleiner, ganz ent- 

manek haben bereiis wieder begonnen. Aus zuckender, in goldgelber Seide und matt- 

dem bisher gelei>teten Pcnsum ist vor allem der schimmernden Wanden, furintime Musik. Jeden- 

Bacb-Abend hervorzuhcben. Als der Organist falls eine Statte, die rasch zum Empfangen guter 

von Weltruf hat harl Straube auch in Prag Musik stimmt und fiir deren Errichtung alle 

gewirkt. Dr. Ernst Rychnovsky Wiener Musikfreunde (vi lleicht nur mit Aus- 

STRASSBURG: Langsam erwacht das neue nahme der jetzt doppelt geplagten Kritiker!) 

Leben in der Ko^zertsaison. Eingeleitet dem Konzertverein und seinem opferwilligen 

wurde sie durch ein wohlgelungenes Konzert Vorstand frohen Dank sagen werden. Die vier 

des Bremer Lebrergesangvereins, der Konzerte, in denen Beethovens ^Neunte* und 

unter seinem Dirigenten Ernst Wend el eine das von d'Albert ein wenig allzu „genial a ge- 

hohe Ausbildung in der Kunst des Manner- spielte G-dur Konzert, Symphonieen von Haydn 

gesangs aufwies; der mitwirkende Geiger Ad und Mozarr, Kammermusik, Lieder (von Meister 

Metz zeigte lobliche Qualitaten. — Die katho- Messchaert gesungen, als ob er sie gedichtet 

liscben Kirchenchore unter Leitung des hattc), Bruckners Tedeum, Schuberts Es-dur 

Domorganisten Abb6 Victor! boten eine gut Messe, die Altrhapsodie von Brahms und das 

vorbereitete Wiedergabe des Tinelschen Ora Meistersingervorspiel ausgefuhrt wurden — alles 

toriums „Franziskus*; die Musik ist v«»n einem unter der Leitung Ferdinand Lowes, dieses 

vornehmen Eklektizismus, etwas an C6sar Franck noblen Musikers, des mannhaften und wahr- 

erinnernd, wohlklingend und geschmackvoll. Fur haften Kunstlers und warmfuhlenden Dirigenten, 

das Sopransolo war Frau Lotze-Holz etwas dem der Konzertverein und sein Orchester sein 

zu bocbJramatisch,vortreflflich jedoch der Pariser heutiges Niveau verdankt — wurden durch ein 

Tenor Plamondon und der hiesige Bariton eigens fur diesen schonen Anlaft komponiertes, 

Schutzendorf. — Das 1. Abonnements- „FestlichesPraiudium tt von Richard StrauB 

konzert brachte Mahlers fSlschlich als eroffnet. Eine strahlende Intrata, zuerst in 

^Symphonic* bezeichnetes w Lied von der Erde* michtigen Orgelakkorden aufstrebend, dann in 

jene mit rafflnierter Kunst gemachte, aber eben einem breiten Gesangsthema hinstromend, das 

doch auch nur „gemachte a Vertonung von sechs schliefilich zu einem in frohem Ernst bewegten 

chinesischen GeJichten. Gesanglich zeichneten Hymnus fuhrt, dem Mittelpunkt des ganzen, 

sich dabei unsere Opernkrfifte Fritz Bisch off und meisterlich gefugten, ganz unimpressionistisch 

Agnes Hermann aus, d. h. soweit sie neben dem in freudiger Diatonik beharrenden, breit ge- 

Orchester uberhaupt zu horen waren. Mit Beet- gliederten Werks, in dem offenbare Zitat- 

bovens Zweiter schloB das von Pfitzner wendungen — wie Euryanthens w Vertrau auf 

schwungvoll dirigierte Konzert. — Durch einen Gott* — eine sinnspruchartige Wirkung zu uben 

schonen Abend erfreute der M2nnergesang- bestimmt sind und das am Schlufl, in einer 

verein, der uns die prichtige Sopranistin Emma groBartigen thematischen Kombination das 

Bellwidt und den jungen, aber in der Tat hoch- Hymnenmotiv von Trompeten aus der Hohe be- 

begabten Geiger Feuermann zu horen gab — henschend hinausschmettert. Ein etwas archa- 

Als trefflicher Pianist erwies sich Alfred Ho eh n, i-ierendes Stuck voll echt StrauBschen Jubels, 

hie und da noch mit etwas jugendliehem Ober- ein klarer bundiger FestgruB, wie ihn nur ein 

schwang. Auf zwei stark futuristisch angehauchte Meister senden kann. Wenn auch das Wesen 

Stucke von Cyrill Scott und Balakirew hatte dieses Meisters sich in anderen Werken noch 

man gern verzichtet; solch kakophonische Un- weit ekstatischer und kiihner fesselnd aller 

musik macht wahrlich niemandem Freude. Frl. Seelen bemachtigt. Hier aber wie schon in der 

Herman n,nnsereOpernmezzosopranistin, zeigte «Anadne tt — und, wiejes heiBt. nochviel starker 

/ ' J, Original from 

r, v ii ju^jv UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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256 



DIE MUS1K XI1L 4: 2. NOVEMBERHBFT 1913 



und bewuBter la der neuen „Deutsctaen Motette* 
— eine nacndenklicb stimmende Neigung zu 
klsssiscner Einfscbbelt, zur Bfindlgung ill der 
Qberecbftumenden Ffille zu rubiger Linl© and xu 
grofien, schlfcbten Quartern; and ela Stch- 
entfcrnen von alkm bizarren und blofl ,ioter- 
esaamen*, Bel cinem, der wie Rictaard Strati H, 
die »Ohren von fibermorgen* bit, ela Zcicbcn 
sonderlicber Art, das gerade in der Zeit des 
inuslkaliscben Futurism us Acbtung itad Auf* 
merksamkeir gcbietct. — Den ErSffnuogskoozer- 
ten foJgte ein Geigentbend Bronlslaw Huber- 
mad» t ela Ltederabe&d Julia Culpa, — beidea 
Kfinstler, fiber die neue Wane nicbt gefiinden 
werden kdnnea und also aucb nlcbt gesucbt 
werdea ftollen. — Die Pbil bar moniker, die 
Mahiers SOL Geburtstag unbemerkt vorfibergehen 
JleGen, baben Veingertuer bei der glcichen 
Gelegenbeit urn so eiurmlscber und durcb ein 
eigenea Festkonzert geebrt, bei dem Komposf- 
tfonen desjubilara (die synipnoniscbe Dicbtung 
„K5nig Lear", die Justige Ouvertfire* und da- 
zwiscben Lleder, die ton Dr. Ludwlg Tullner 
zu Melodraroen umgedeutet wurden) und dazu 
Beetbovens ^Ffinfte* aufgefuhrt wurden. Eine 
zunichat befremdende Zusaramenstelluflg, die 
♦aber offenbar nur in der Absjcbt gcscfrcben iat, 
neben ebarakteristiacbe Kompositionen des Ge- 
feierten aucb cine seiner cbarakteriatlscbesten 
DIHgeatenleistungen an stellen. Vie der Uater- 
f elcbnete fiber Weingirtners Tondicbtungen und 
aucb fiber gewisse Seltea seines Bectboven- 
dirlgterena denkt, bat er an dieter und anderer 
Stelte ao oft ausgetprocben, dafi er rich 



dessen diesmal ffigllcb entscbligen kann, urn 
bei dieser festllcben Gelegenbeit nicbt all 
gtf mlkber Storcnfiled zu gclten. Genug in 
der Feststeliung, dan Veingertner, durcb seine 
Qualtttten ebenso wie durcb seine uo wider- 
■teblicheLiebenawurdigkelt, seine weltmlnnitcbe 
Eleganz und durcb Beine gewionende Art einer 
der verwfibnteaten Liebliuge w*iens T bo jubelnd 
gefeiert vurde, wie is Wien eben nur neliettc 
Musifcer, Bfibaeakfinatler und populire Burger 
metater gefeiert werden kdnnen. 

Richard Specfat 

WIESBADEN: Daa 1. Konzert iro Korbiuse 
w unter Carl Scburiehts temperamentvoller 
Leitung bracbte ala Hauptwerk die bier lange 
nicbt mebr geb&rte Straunsche JSvmpbonJi 
Domestics'; und mit Strautocben Liedern batte 
Edith Walker glftnzendea Erfotg. — Im Hof* 
tbeater-Konzert gelangte unter Manastidt die 
Mahlerscbe Symphonic »Daa Lied too der Erde* 
zu Gebor. Das Werk apracb zwar nlcbt soglefcb 
allgemeln an — aeine Re lie alad mm Teil won! 
mebr Intlmer Art — , docb an dem IciDen 
cxotiachen Anbaucb der Partitur durfte roan, 
zunitl bei ao erlesener Wiedeigabe, aeine Freuoe 
baben. Jobanna Kid fesselte durcb ibren sym* 

gatbiscbeji Geaang; die Tenorpanle vertrat Hn 
ieverL — Sehr glfickllcb debutlerten in 
eigenen Koazerten: Jobanna Klein, eine ge- 
schmackvoUe Pianistin aus Elly Ney'a Schule, 
und E. Lindner, der aicb wieder alt ein tecb- 
nlacb und muaikaliscb gediegeaer Vfolinvirtuos 
erwiea. Otto Dora 



ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

Mlt Erlaubnls dea Verlages Scbuater & Loenler gebea wlr dem Artikel tou Julius Kapp 
einige seiner Pagan In 1* Biograpbie entnommeDe Bilder bei, Dem Bl arte mlt dem G e- 
faurts- uad dem Sterbebause Pagan in i^a listen wlr die 1819 entstandene Zeicb- 
nung von Jean Ingres folgen, die ebenso wie die Litbograpble von Joseph Kriebuber 
die marksnten Zuge des graft en Vlnuosen cbarakteristUcb wiederglbt. Die Karl- 
katur too unbekannter Hand, zur Zeit des Londoner AuFtretens Pagaaini's entstanden, zeigt 
neben einem A urogram m ein StGck einer G-Siite von des Kfinstlers berfibmter Guamertua- 
Vloline, die jetzt lm stldtlscben Museum In Genua aufbewabrt wird. ScblieQIicb bringen wlr 
unseren Letern den Abgufi der recbten Hand Paganlnl's und das Autograph der Violin- 
fitimme von ^Le streghe*. 

lm Verdi-jubillumsjabre darf die aoeben von Jobinnes Schiffner in Berlin voJlendete 
Bfiste des Meisters um so eber auf Beacbtung reebnen* ala aie von elgenartiger AufTassung zeugt 



Ntchdruct nur mil bnondsrer Erkabfll* dci VerUffli t««tittct 

All* R«cfat«, lubci«a<lnt du der GbenetnuiCj v«rbelulitta 

fir dli Zur&ckMsdaiii nnTirlinftar od«r ntcht ipfeneldeter AUaoskripCB, WU Ibnsa nlcbi f*dB|ead 

Pono baHici^ ttbcmJuunt dJv Red*ktiaD ktlos Gvmnti*. Sebw«r traerllcb* AUatuluipte nrdca vnceprffl 

tnrflckgeaattdt. 

Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeifiter Bernhard Schuster 
Berlin W 57, BfilowstniBo 107< 

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PAGAN1NJS GEBURTSHAUS IN GENUA 




PAGANINIS STERBEHAUS IN NIZZA 



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PAGAN1NI 

Zekbnung von Jem Ingres 

1819 



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PAGAN1NI 

Liihographie van Kriehuber 
Wien, 1828 



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KARIKATUR UNBEKANNTER HAND 
AUF PAGANINIS LONDONER AUFTRETEN 

litis Joseph Joicbims NtchliG) 



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PAGANINIS RECHTE HAND 








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AUTOGRAPH DER VIOLINSTIMME VON PAGANINIS *LE STREGHE 1 

Mtitand, 1813 



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verdi^bOste 

Von Johannes Sebiffner 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



DIE MUSIK 

HALBMONATSSCHRIFT MIT 
BILDERN UND NOTEN 
HERAUSGEGEBEN VON 

KAPELLMEISTER 
BERNHARD SCHUSTER 




HEFT 5 • ERSTES DEZEMBER-HEFT 
13. JAHRGANG 1913/1914 

VERLEGT BEI 
SCHUSTERS LOEFFLER- BERLIN W 



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Wenn eure Gemalde wahr sind, so werden sie vor den Wecbselfailen der 
Mode sicher sein . . . Man darf nicht glauben, auf der Natur gegrundete 
Werke konnten unter dem EinfluG der Zeit zu leiden haben. Die Natur, 
diese gottliche Mutter, ubertragt auf den Maler, der sie treu wiederzugeben 

weifl, ihre Unsterblichkeit. 

Gr6try 



INHALT DES 1. DEZEMBER-HEFTES 

MAURICE MOSZKOWSKI: Ober kritische Neuausgaben von 
Musikwerken 

HENRI DE CURZON: Gr6try (f am 24. September 1813) 

FRIEDRICH WELLMANN: Beethoven und Bremen 

JOHANNES H. HaTZFELD: Franz Witt. Ein Gedenkblatt zu 
seinem 25. Todestage (2. Dezember 1888) 

MAX AREND: Erganzungen und Berichtigungen zu Wotquenne's 
Thematischem Verzeicnnis der GJuckschen Werke 

REVUE DER REVUEEN: Aus deutschen Musikzeitschriften 

BESPRECHUNGEN (Bucher und Musikalien) Referenten: 
Ernst Rychnovsky, Wolfgang Golther, F/. Stubenvoll, Ernst 
Schnorr von Carolsfeld, F. A. Geifller, Walter Dahms, Wilhelm 
Altmann, Jeno Kerntler, Arnold Schering 

KRITIK (Oper und Konzert): Aachen, Antwerpen, Baden-Baden, 
Basel, Berlin, Bremen, Briissel, Dessau, Dresden, Essen, 
Frankfurt a. M., Genf, Hamburg, Heidelberg, Johannesburg, 
Kassel, Koln, Leipzig, London, Munchen, Schwerin, Stuttgart, 
Weimar 

ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

KUNSTBEILAGEN: Andr6 Ernest Modeste Gr6try (nach dem 
Gemalde von Robert Lefevre; Faksimile eines Briefes an 
Beaumarchais); Hector Berlioz, nach Josef Kriehuber; Reger- 
Buste von Bianca Ehrlich; Portrats von Hans von Bronsart 
und Franz Witt 

NACHRICHTEN: Neue Opern, Opernrepertoire, Konzerte, 
Tageschronik, Totenschau, Verschiedenes, Aus dem Verlag 

ANZEIGEN 



DIE MUSIK erscheint monatlich zwcimal. 
Abonnementspreis fflr das Quartal 4 Mk. 
Abonnementspreis fOrdenJahrgang 15Mk. 
Preis des einzelnen Heftes I Mk. Viertel- 
jahrseinbanddecken a 1 Mk. Sammcl- 
kasten fQr die Kunstbeilagen dcs gan/en 
Jahrgangs 2,50 Mk. Abonnements durch 
jede Buch- und Musikalienhandlung, fflr 
kleine Plfitze ohne Buchhandler Bezug 
durch die Post 



Generalvertretung fflr Krankreich, 
Belgien und En gland: Albert Gutmann, 

Paris, 106 Boulevard Saint-Germain 

Alleinige buchhandlerische Vertretung fflr 

England und Kolonieen; 

Breitkopf & Hftrtel, London, 

54 Great Marlborough Street 

fflr A m e r i k a: Breitkopf & HarteI,NewYork 
fQr Frankreich: Costal lat & Co., Paris 



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Uriqinal from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ober kritische neu-ausgaben 
von musikwerken 

VON MAURICE MOSZKOWSKI IN PARIS 



Neue Ausgaben von klassischen Werken, welche bereits als Gemeingut der 
Kunstgebildeten wenigstens gel ten, pflegen, wo es sich nicht um kauf- 
mlnnische Spekulation handelt, aus der Erkenntnis von der Unzulfinglich- 
keit der fruheren hervorzugehen. a 
Mit diesen Worten beginnt Hans von Bulow die Vorrede zu seiner 
Ausgabe der Chromatischen Phantasie und Fuge von Sebastian Bach. Als 
die Erfordernisse einer neuen und nutzbringenden Bach-Ausgabe bezeichnet 
er dann spaterhin 

„Erleichterung der Ausfuhrung durch praktische Fingersatzbezeichnung, bei welcher 
die Rucksicht auf Bequemlichkeit, sogenannte Handlichkeit, sich stets einer genauen 
Satz-Interpunktion, einer logischen rhythmischen Pbrasierung unterzuordnen hat; end- 
lich organische Vorschriften fiber die Qualit&t der Bewegur.g, des ZeitmaBes." 

Man wird diesen Prinzipien gewiO zustimmen diirfen und ihre Giiltig- 
keit auch aufrecht erhalten, wenn es sich um neue Ausgaben von anderen 
Werken handelt, die ebenfalls jener Epoche entstammen, in der die Kora- 
ponisten kaum etwas anderes als die Noten niederschrieben, sich aber aller 
Andeutungen uber Tempo, Tonstarke, Phrasierung, Fingersatz usw. ent- 
hielten. Der in unseren Tagen lebende Klavierspieler weiB, oder sollte 
wenigstens wissen, daB mit wenigen Ausnahmen alle dahin gehorenden 
Bezeichnungen in den Werken von Froberger, Kuhnau, Bach, Handel, 
Scarlatti usw. nicht von den Komponisten, sondern von spateren Heraus- 
gebern und Bearbeitern herriihren und daher also nicht immer mit be- 
dingungsloser Unterwerfung aufgenommen zu werden brauchen. 1st er also 
dessen eingedenk, so wird er die betreffenden Vortragsbezeichnungen des 
Herausgebers, wenn dieser eine musikalische Autoritat ist, mit Respekt 
und Aufmerksamkeit priifen, sich aber auch Abweichungen von ihnen 
gestatten, wo er sich durch seinen eigenen Geschmack dazu berechtigt 
glaubt. 

Die Forderung der „Objektivitfit" bei Ausfuhrung von Musikwerken 
ist ja iiberhaupt nur cum grano salis zu verstehen. Der Spieler soil den 
Intentionen des Komponisten mit Gewissenhaftigkeit folgen, soil nichts von 
dessen Angaben uber den Vortrag seiner Stticke iibersehen und alle Finger- 
zeige beniitzen, die ihm das Studium der Musikgeschichte und die Kenntnis 
der Tradition an die Hand geben, um sich uber den Stil der verschiedenen 
Musik-Epochen und die personliche Eigenheit jedes einzelnen Komponisten 
zu informieren. Hat er sich auf diese Art mit dem Charakter des vorzu- 
tragenden Stiickes vertraut gemacht, so soil er dann aber einen kleinlichen 
Pedantismus zu vermeiden suchen und nicht nach dem Ideale einer phono- 

17* 



n . , f Y^\oLr- Original from 

I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



260 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMRERHEFT 1913 

graphenhaften Individualitatslosigkeit streben. Bis wie weit es dem Aus- 
fuhrenden gestattet ist, bei der Wiedergabe einer musikalischen Komposition 
seine eigene Personlichkeit zu betatigen, und in ein Werk Nuancierungen 
hineinzutragen, die der Komponist nicht angegeben hat, ja, die ihm viel- 
leicht nicht einmal vorgeschwebt haben, das wird die musikalische Asthetik 
niemals mit mathematischer Genauigkeit feststellen konnen. Man hat seiner- 
zeit sehr haufig Anton Rubinstein und Hans von Biilow als typische Re- 
prasentanten subjektiver und objektiver Vortragskunst angesehen, und als 
beide in Berlin in zwei nahe aufeinander folgenden Konzerten dieselbe 
Beethovensche Sonate gespielt hatten, bemerkte ein geistreicher Musik- 
freund ebenso witzig als zutreffend, beim ersteren habe man ein Land- 
schaftsbild gesehen, beim letzteren eine Generalstabskarte. 

Wenn dieser Vergleich nun aber sehr zu ungunsten Bulows aus- 
gefallen war, so darf man dies nicht schlechterdings auf Rechnung seiner 
sogenannten Objektivitat setzen. Biilow besaB einen nur wenig reizvollen 
Anschlag und sein Klavierspiel hatte zuweilen einen recht doktrinfiren An- 
strich. Beides hat aber nichts mit der Objektivitat zu tun und als Dirigent, 
wie auch als Herausgeber von klassischen Klavierwerken war Biilow mit- 
unter sogar sehr subjektiv. Dies bringt uns nun auf unser eigentliches 
Thema, namlich die Erorterung der Grenzen, innerhalb deren ein kritischer 
Herausgeber von Musikwerken Anderer subjektiv sein darf. Hier muG man 
nun den Anfang damit machen, dafi man diese Neuausgaben in zwei 
Kategorieen scheidet. Die eine bezweckt ausschlieBlich eine kritische Revision 
des Textes, und bei ihr besteht die Arbeit des Herausgebers also darin, 
die authentische Fassung der betreffenden Kompositionen mit moglichst 
grofier Sicherheit zu reproduzieren, was durch Priifung und Vergleichung 
der bereits vorhandenen Ausgaben, durch Einsicht in das Manuskript, so- 
fern dies noch auffindbar und zuganglich, gelegentlich auch wohl durch 
Uberlieferung oder zufallige, an anderen Orten gefundene Fingerzeige an- 
zustreben ist. In diese Kategorie gehoren also z. B. die von Breit- 
kopf & Hartel unter dem Titel w Denkmaler deutscher Tonkunst* veran- 
stalteten Klassikerausgaben, diejenigen der Berliner Akademie der Kun*te, 
die sich w Urtext klassischer Musikwerke" nennen, Krolls Ausgabe von 
Bachs Wohltemperiertem Klavier usw. Die zuletzt genannte unterscheidet 
sich ihrem Wesen nach von den beiden andern nur dadurch, daG der 
Herausgeber ihr Fingersatze beigegeben hat. 

Die zweite Kategorie kritischer Neuausgaben urn fa fit die Arbeiten 
derjenigen, die sich zum Zwecke gesetzt hatten, die von ihnen revidierten 
Kompositionen dem Verstandnis der Spieler naher zu bringen und ihm 
deren Ausfuhrung durch gute Fingersatze, sinngemaBe Phrasierung, An- 
gaben iiber Pedalgebrauch und sogar gelegentliche kleine Textveranderungen 
zu erleichtern. Diese kleinen Textveranderungen wachsen sich nun aber 



n . , ( \>ooLf Original from 

I i:u j,u:j :», v 1 1 n * , r UNIVERSITY OF MICHIGAN 



MOSZKOWSKI: KRITISCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN 261 

mitunter zu recht groflen dort aus, wo der Herausgeber es auch fur 
angezeigt halt, irgend eine {Composition zu modernisieren. Dies kann 
mitunter ganz zulassig und der betreffenden Komposition vorteilhaft sein, 
in anderen Fallen aber auch einer Verunstaltung gleich kommen. Als zu- 
lassig wird man es ansehen diirfen, wenn der Herausgeber sinngemafi 
irgend eine Stelle modifiziert, bei der der Komponist sich offenbar wegen 
der zu seiner Zeit noch eingeschrankten Klaviatur einen Zwang auferlegen 
muBte. Aber nattirlich darf dann die eigentliche Intention keinem Zweifel 
unterliegen. Nicht unberechtigt diirfte es ferner sein, gelegentlich einmal 
eine Verdoppelung in Oktaven vorzunehmen, z. B. im BaB, urn dem Ein- 
tritt eines Fugenthemas mehr Majestat zu geben. Ja, es lieCen sich sogar 
Falle finden, wo noch erheblichere Retouchen wohl zu rechtfertigen waren, 
denn tatsachlich lieCen die Komponisten in friiheren Zeiten dem Aus- 
fuhrenden doch viel mehr Freiheit, als man heute gemeinhin glaubt, und 
sehr haufig duldeten sie nicht nur die von ihnen eingestreuten Verzierungen 
und harmonischen Ausfuhrungen, sondern setzten Solche geradezu voraus. 
(Dies allerdings nur in bereits sehr entlegenen Kunstepochen.) Aber in 
noch einem andern Falle darf der Herausgeber sich gestatten, seinen 
Komponisten zu „korrigieren a , oder, besser gesagt, eine Korrektur in dessen 
Werk in Vorschlag zu bringen, namlich in dem, wo nach seiner An- 
sicht eine wirkliche Zerstreutheit oder Nachlassigkeit vorliegt. Dies scheint 
mir z. B. in Schumanns Kompositionen an zwei Stellen recht sicher zu 
sein. Die eine davon findet sich in No. 3 der „Kreisleriana tt , wo 
Schumann sich nach meiner festen Uberzeugung in den letzten einund- 
zwanzig Takten beziiglich der Zeitwerte geirrt und diese doppelt so lang- 
sam geschrieben hat, als er zu tun vermeinte. Man spiele nur den ganzen 
Passus (von der Bezeichnung „Noch schneller* ab) einmal recht genau 
im Takt durch und wird dann wohl finden, dass beim Eintritt der Synkopen 
die Sache vollstandig ins Stocken gerat, wenn man nicht zu einem Doppio 
movimento" (ibergeht. 1 ) 

Ein anderes Versehen scheint mir Schumann im Finale seiner 
„Etudes symphoniques" untergelaufen zu sein. Im fiinfzigsten Takte nach 
der As-dur Vorzeichnung erscheint namlich in der Tenorstimme ein Frag- 
ment des Themas, dessen Rhythmus aber hier — sehr zum Nachteil der 
Wirkung — verandert ist. 

Das Thema des Finale beginnt bekanntlich folgendermaBen : 



! ) Im Gegensatz hierzu wird eine nur scheinbare Zerstreutheit Schumanns 
haufig mit Unrecht bespottelt. In seiner g-moll Sonate steht am Anfang als Tempo- 
Bezeichnung w So schnell als moglich" und im Verlauf desselben Satzes wird dann 
ein „Nocta schneller** gefordert. Da aber von hier ab die technische Schwierigkeit 
sich bedeutend verringert, so lalit das Folgende eine Steigerung des Tempos recht 
gut zu. 



n . , ( \>ooLf Original from 

I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



262 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 




und an der von mir zitierten Stelle heifit der Rhythmus: 






Ich halte es fiir gestattet, hier und in den folgenden fiinf Takten eine dem 
Rhythmus des Themas entsprechende Umgestaltung vorzunebmen. 

In die Kategorie nicht zu beanstandender Korrekturen schlieDe ich 
beispielsweise auch die ein, die Biilow in einer Begleitungsfigur des groCen 
Rondos (op. 129) von Beethoven vorgenommen hat. (Dreizehn Takte vor 
dem Eintritt des Themas in B-dur.) Da es sich hier um ein posthumes 
Werk handelt, so kann man auch vermuten, daO Beethoven selbst vor 
seiner Veroffentlichung noch Einiges an ihm retouchiert haben wurde. 
Bulow gibt zudem in einer Fufinote die originale Fassung der betreffenden 
Stelle an und hat daher die Befugnisse, die man vernunftigerweise einem 
kritischen Herausgeber zugestehen mufi, nicht uberschritten. Den Vorwurf, 
es anderorts getan zu haben, kann ich ihm freilich nicht ersparen. Warum 
hat er die Beantwortung des Themas in Bachs Chromatischer Fuge andern 
zu miissen geglaubt? Wir konnen uns heute, wo es uns gut scheint, uber 
Regeln tonaler Beantwortung eines Fugenthemas hinwegsetzen, haben aber 
kein Recht, unsere Ansichten hieriiber denen der Klassiker zu substituieren. 
Im oben erwfihnten Falle war eine Anderung des Comes ganz besonders 
unstatthaft, weil sie spatere Reperkussionen in der namlichen rhythmischen 
Gestalt ganz unmotiviert erscheinen lassen muD. 

Bulows Verfahren scheint mir hier daher eigenmachtiger als bei den 
Oktaven-Verdoppelungen, die er einigen Rezitativ-Passagen in der voraus- 
gehenden Phantasie hinzugefiigt hat. Diese sind zwar diskutabal, beriihren 
aber schliefilich doch den Kern der Sache nicht. Wenn in Berlin fruher 
irgend ein Geiger franzosischer Schule das E-dur Praludium von Bach noch 
so ausgezeichnet, aber etwas mehr w sautill6* spielte als es die Joachimsche 
Tradition will, so erklarten die dortigen Hochschul-Schfifchen natiirlich 
sofort, w daB der keinen Bach verstiinde". Das groOe Geschrei, das 
etliche Zionswachter wegen der oben erwahnten Oktaven-Verdoppelungen 
erhoben haben, ist wirklich nicht viel verstSndiger als die verdammende 
Kritik der in verba magistri schworenden Hochschulklasse. 

Noch grofiere Rechte als in der chromatischen Phantasie von Bach 
hat sich Bulow im „Momento capriccioso* von Weber angemaDt. Hier 
verandert er nicht nur Lage und Harmonie mancher Akkorde, sondern 
komponiert an einer Stelle zwei Takte hinein, die iibrigens wohl kaum 
eine Verbesserung bedeuten. 



n . , ( \>ooLf Original from 

I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



MOSZKOWSKI: KRITISCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN 



263 



Gelegentlich finden sich auch in sonst sehr guten Ausgaben Ver- 
Snderungen, die eine ganz fraglose Verschlechterung des Urtextes darstellen, 
Warum schreibt Klindworth in Chopin's Terzen-Etude statt: 

8va „ 




die linke Hand folgendermaCen: 



i 



In sehr raschem Tempo klingt beides ziemlich egal, aber in Chopin's 
Notation ist die Harmonie reiner; es lag also kein Grund vor, sie zu 
verschlechtern. 

Sehr seltsam sind in Mozarts a-moll Rondo die Abweichungen einiger 
modernen Ausgaben von den alten. Der Anfang des Mittelsatzee in A-dur 
heiflt bei Riemann („Altmeister des Klavierspiels"): 




N^^ ^ A ^ 



£=?: 



3* 



bei Kuhner (Edition Litolff): 



n 



^^Eii 



Die meisten modernen Ausgaben aber haben dagegen: 



13 



m^m-H ^m 



Und so lauten diese Takte auch in der altesten Ausgabe, deren ich 
habhaft werden konnte. (Breitkopf & Hlrtel, Typendruckausgabe.) Riemann 
und Kuhner mussen offenbar noch eine andere kennen, in der das Zeichen 
ess nicht nach sondern uber der ersten Note steht. Aber dies wurde ich 
dann unbedingt fur einen Druckfehler halten, und auOerdem wSre die 
Verzierung dann sowohl von Riemann wie von Kuhner ungenau realisiert. 



C 1 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



264 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



Kuhner verkehrt die Folge der Verzierungsnoten und Riemann gibt sie 
rhythmisch inkorrekt wieder. 

Noch sonderbarer ist Riemanns Notation der Trillerstelle in demselben 
Stuck: 

m — - fr 



•■*~^++^>+*^^+*+^+^ ■*+>***■ +****■ 




die in seiner Ausgabe so aussieht 

tr 



■r^*r +■ ^ **++ * ■+■+■ +•■+■■* +-■+■■+ +^-^ +--^*- *■■+>+ *^+--* 



ft C 



$^^mȣm sm 



Nach dieser Schreibart diirfte der erste Triller also nicht die Wechsel- 
note c haben, sondern miiBte mit ais und h gemacht werden. Fur diese 
Korrektur wird wohl kaum eine Rechtfertigung zu finden sein. 

Dali ubrigens in bezug auf die Ausfuhrung des Trillers (namentlich 

in alteren Werken) die Meinungen haufig auseinander gehen, ist ja eine 

bekannte Tatsache. Man notierte ihn nicht immer auf die gleicbe Art 

und findet zudem in den alteren Lehrbiichern verschiedene Anweisungen 

iiber seine Ausfuhrung. Indessen herrschte friiher doch wohl ziemliche 

Einstimmigkeit fiber einen Punkt: Der mit einer aufsteigenden Note 

endende Triller bekam einen Nachschlag, und dies namentlich, wenn die 

Note hoher als eine Sekunde stieg. (Die Regeln fur eine Folge von 

mehreren Trillern lassen wir hier aus dem Spiel.) Heute wird von dieser 

Vorschrift, und durchaus mit Unrecht, haufig abgewichen. So finden wir 

z. B. in Heinrich Germers Schrift „Die musikalische Ornamentik* nach 

einer etwas zusammenhangslosen Abhandlung iiber den Triller die folgende 

Bemerkung: 

,. tr 
„Auch der Triller im Anfangsmotiv von Beethovens op. 96 



ist am besten so zu interpretieren 



i 



— rf g -*-»-zi=£^=i= 



oder 



m 



da erscheint er als verlangerter Pralltriller und stellt das Motiv kernig und bestitnrat 
hin, wahrend ein Triller mit Nachschlag dasselbe weichlich und verschwommen 
erscheinen laflt." 

Diese Aussieht kann ich durchaus nicht teilen und finde im Gegenteil 
die oben angegebene Triller-Ausfuhrung steif und unschon. 

An einer anderen Stelle der namlichen Schrift sagt Germer: 

„Wenn Beethoven im ersten Allegrosatze seines op. 2 No. 3 die getrillerte Note 
ausgeschrieben so anwendet: 



ni:j :i/fir! :v,C iUOQI'C 



Uriqinal from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



MOSZKOWSKI: KRIT1SCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN 



265 



£t£n tz± **+± £■ 




so ist die gleiche Ausfuhrung bei der analogen Stelle in Mozarts B-dur Sonate: 

tr tr tr 



w * m 




auch wohl gestattet." 

Es besteht aber gar keine Analogie zwischen den beiden zitierten 
Stellen, denn die erste davon ist uberhaupt kein Triller. 

Eine ganz eigenartige Ansicht aber stellt Germer am SchluB seines 
Kapitels iiber den Triller auf: 

„SchIieBlich sei noch eines Trillers Efwahnung getan, von welctaem merk- 
wurdigerweise offiziell nie die Rede ist, und der doch bei keinem Geringeren als 
Beethoven eine sehr wichtige Rolle spielt. Es ist das der Triller mit der unteren 
Wechselnote ohne Nachschlag. In seinen sSmtlichen- Konzerten pflegt er die 
langeren Triller vor einem SatzabschlutJ mit demselben in rhythmisch ausgeschriebener 
Form einzuleiten, und zwar bald mit der oberen, bald mit der unteren Note anfangend. 
Als vorzuglicbe Studie dafur sei Variation IV der Kreutzer-Sonate empfohlen. Auch 
im Finale von op. 35 hat Beethoven jedenfalis diesen Triller, als neben der Melodie 
fortgehend, beabsichtigt. Er schreibt ihn nicht aus, sondern deutet ihn nur in Form 
einer kleinen Vorschlagsnote an, was denn zu den wunderlichsten Interpretationen 
seitens Uneingeweihter Veranlassung gegeben hat. Er mud so lauten: 




*: 



rfrrf sz&ss^^E 



erst im funften Takte tritt der Triller mit der oberen Wechselnote ein und lautet von 
da ab: 




Die Vorschlagsnote a in Beethovens Notierung 



h 






-Vi^o— 



tr tr 

nimmt Germer also fur eine Anweisung, auch den Triller mit a und b zu 
machen! Dies ist wohl die „wunderlichste aller Interpretationen", die dieser 
Triller noch gefunden hat. 

Es ist wirklich merkwiirdig, zu wieviel Irrtiimern eine scheinbar so 
harmlose Verzierung wie der Triller von jeher AnlaC gegeben hat. Hier 
z. B. noch ein anderer von allerdings nur geringer Bedeutung. 



£ 1 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



266 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 

In Beethovens D-dur Sonate (op. 10 No. 3) findet sich folgende Stelle: 



m 



pn 




Die korrespondierenden Takte bei der Wiederholung in D-dur erfahren 
bei Beethoven eine Abanderung in: 



g 



IXr-#— ^^= 



tr 



$EE^EE££gE$EEEl 



Hier hat Beethoven, wie man sieht, den Triller-Nachschlag weg- 
gelassen, und das offenbar, weil ihm der Triller dafur zu kurz erschien. 
In den meisten modernen Ausgaben ist diese scheinbare Nachlassigkeit aber 
w korrigiert a und der Nachschlag erganzt worden. GroB ist der dadurch 
angerichtete Schaden allerdings auch nicht. Hingegen ist eine wirkliche 
Nachlassigkeit Beethovenscher Notierung, namlich die in der bekannten, 
viel zitierten Gruppetto-Stelle aus dem ersten Satz der C-dur Sonate op. 2, 
jetzt endlich wohl definitiv richtig gestellt worden. Es mag ubrigens hier- 
bei bemerkt werden, daB die an Beethovens Notierung festhaltenden 
Pianisten regelmaBig den Fehler begehen, das Gruppetto mit der Hauptnote 
zu beginnen, und solchergestalt aus dem Gruppetto ein Gruppo machen. 

Noch in einer andern Sonate ist Beethovens Intention infolge einer 
mangelhaften Notierung fast immer mifiverstanden worden, Wir meinen 
damit den langen Triller im Adagio der Sonate op. Ill (zwolf Takte vor 
dem Eintritt der Es-dur Vorzeichnung). Wahrend der Dauer von zwei Takten 
verlangt Beethoven hier von der rechten Hand einen Doppeltriller, der 
sehr unbequem liegt und daher gegen den vorausgehenden einfachen Triller 
immer etwas lahm herauskommt. 




Fiir eine Nachdruck-Ausgabe von A. Diabelli & Co. hat Beethoven 
hier den Fingersatz von \ \ hinzugefiigt. Obgleich es nun auch moglich 
ist, diesen Fingersatz so zu verstehen, daB c b 8 mit J und " mit J genommen 
werden soil, so erscheint es doch fast zweifellos, daB Beethoven einen 
Triller von |} und *J gemeint hat, weil dieser nfimlich nicht nur viel leichter 
auszufuhren ist, sondern auch unvergleichlich besser klingt. Hugo Riemann 
gebuhrt die Anerkennung, dieses Kolumbus-Ei der klavierspielenden Welt 
prMsentiert zu haben. 



n . , ( \>ooLf Original from 

I i:u j,u:j :», v , i n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



MOSZKOWSKI: KRITISCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN 267 

Zu den so iiberaus zahlreichen und gar nicht genug zu schatzenden 
Verdiensten des in alien Zweigen der Musikwissenschaft hervorragenden 
Mannes muO man auch dasjenige rechnen, eine Ausgabe der Beethoven- 
schen Klaviersonaten verfafit zu haben, die nach einer gewissen Richtung 
als aufierst wertvoll bezeichnet werden darf. Riemann hat auf diese Arbeit 
eine auBerordentliche Sorgfalt verwendet, den Text genau revidiert, mit Vor- 
tragsbezeichnungen bereichert und mit vielen nutzlichen und feinsinnigen 
Anmerkungen ausgestattet. Selbstverstandlich hat er auch alle jene sinn- 
losen Phrasierungszeichen, die eine Routine friiherer Zeiten in der musi- 
kalischen Notation eingeburgert hatte, ganz radikal ausgemerzt. Ob aber 
seine eigenen Phrasierungsprinzipien in ihrer Totalitat eine bleibende 
Geltung erlangen werden, daruber herrscht heute noch bei den urteils- 
fahigen Musikern groOe Meinungsverschiedenheit. Unter den Theoretikern 
zahlt Riemann bereits sehr viele, unter den praktischen Tonkunstlern aber 
relativ nur wenige Anhdnger. Ich personlich vermag ihm bei den letzten 
Konsequenzen, die er aus seiner Theorie der „Anakrusis a , dem Leitmotiv 
seines Lebens, zieht, nicht immer zu folgen. So kann ich z. B. im ersten 
Teile der Beethovenschen Sonate op. 7 nicht die Struktur erkennen, die 
Riemann durch seine Phrasierungsbezeichnung (und auch in einem seiner 
Aufsfitze) klarzulegen sucht. Ebensowenig werde ich im ersten Satz der 
d-moll Sonate op. 31 seinem Legatobogen folgen und die chromatische 
Passage des zwanzigsten Taktes in den einundzwanzigsten einmunden lassen, 
ohne einen rhythmischen Einschnitt zu machen. 1 ) Im zweiten Satz der 
Fis-dur Sonate werde ich fortfahren, so zu lesen, wie nach Riemann nicht 
gelesen werden darf, wogegen ich z. B. andererseits mit seiner Umstellung 
der Taktstriche in den Sonaten op. 27 No. 1 und op. Ill durchaus ein- 
verstanden bin. 

DaB Riemann iibrigens die Struktur Beethovenscher Themen nicht 
immer so auffaflt, wie der Komponist selbst es unzweifelhaft getan hat, 
kann man aus seinem Aufsatze „Was ist ein Motiv? a entnehmen. Er 
demonstriert an zwei Beispielen, der Leonoren-Ouverture und dem Scherzo 
aus der Neunten Symphonie, daB Beethoven hier seine Motive in einer 
Weise verarbeitet, die, vom Standpunkte der modernen Phraseologie aus 
betrachtet, ihrer Struktur durchaus nicht entspricht. Riemann sagt nun 
nicht etwa, daB Beethoven irgend etwas hatte anders machen sollen, kon- 
statiert aber einen Widerstreit zwischen dem Rhythmiker und dem Kom- 
positionspraktiker und ruft schliefllich aus: „Wer hat recht?" 



*) Handelte es sich urn ein Orchesterstuck, so lage die Sactae anders. Der 
D-moll Akkord im 21. Takt wurde alsdann durch den Hinzutritt neuer Instrumente 
in genugender Weise abgegrenzt werden. Der Klavierspieler, dem das Hilfsmittel der 
Klangfarben-Verschiedenheit nicht zur Verfugung steht, muB seine Zuflucht zu einer 
Interpunktionswirkung nehmen. 



n . , ( \>ooLf Original from 

I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



268 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



Mein Gott, da aus den theoretisch falsch entwickelten Motiven schliefi- 
lich zwei Meisterwerke entstanden sind, so wird man wohl sagen miissen, 
daD Beethoven recht batte. Die ganze Sache aber erinnert stark an einen 
Bericht, des osterreichischen Generals Alvinczy, der nach einer gegen 
Bonaparte verlorenen Schlacht an den Kriegsrat in Wien berichtete, daD 
Bonaparte ihn zwar besiegt habe, aber gegen alle Regeln der 
Strategie. 

DaD ich trotz meiner hier dargelegten Einschrankungen ein sehr auf- 
richtiger Bewunderer Riemanns bin, mochte ich ubrigens eindringlich be- 
tonen. Einen Hang zur Ubertreibung aber finde ich sowohl in seinen 
theoretischen Schriften wie auch in seinen mit gar zu viel Vortrags- und 
Phrasierungszeichen beladenen Ausgaben und ganz besonders in seinen 
Fingersatzen. Wenn ich in Bezug auf die letzteren von Ubertreibung rede, 
so meine ich darait, daD er die modernen, hauptsachlich von Bulow, Tausig 
und Klindworth aufgestellten Prinzipien bis in die auOersten Konsequenzen 
verfolgt, was dann zu einer ganz nutzlos erschwerten Kopf- und Finger- 
arbeit fiihrt. 

Ich greife zur Erlauterung des eben Gesagten einige Takte aus Beet- 
hovens F-dur Sonate (op. 10 No. 2) mit Riemannschem Fingersatz heraus: 




Ich glaube kaum, daD viele Klavierspieler ihn adoptieren werden. 

Die Veroffentlichung der Riemannschen Ausgabe fallt in das Jahr 1884, 
also in eine Zeit, in der, wenigstens in Deutschland, der Fingerwechsel 
bei Tonwiederholungen in hochster Bliite stand. Seitdem hat Klindworth 
bereits etwas eingelenkt, und Bulow gestand mir einmal offen zu, daD er 
nur durch die meist mangelhafte Repetitionsmechanik der fruheren Klaviere 
zu einem so ubertrieben haufigen Fingerwechsel gedrangt worden sei. Ich 
glaube ubrigens, daD er sich diese Motivierung erst spater zurecht- 
gelegt hat, denn auch bei schlechten Klavieren erleichtert der Finger- 
wechsel nicht immer die Repetition. Eugen d'Albert zeigt sich nach dieser 
Richtung hin in seiner Beethoven-Ausgabe als scharfer Reaktiondr, ist aber 
im ubrigen fur einen so grofien Virtuosen im Fingersatz nicht gerade er- 
finderisch. 

Formulieren wir nun nach dieser kleinen Abschweifung auf ein Spe- 



£ 1 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



MOSZKOWSKI: KRITISCHE NEUAUSGABEN VON MUSIKWERKEN 269 

zialgebiet eine Konklusion des Ganzen. Sie lautet so, daO wir gegenwartig 
von den Klavierkompositionen aller verlagsfreien groBen Komponisten eine 
stattliche Anzahl von Ausgaben besitzen, die zum groBen Teil sehr ruh- 
menswert sind, das Verstandnis dieser Werke auBerordentlich fordern helfen 
und ihr Studium wesentlich erleichtern. Andererseits aber wird durch 
diese manchmal sehr individuell gefarbten Ausgaben auch eine Gefahr ber- 
vorgerufen, namlich die, daO die klavierspielende Welt nach und nach den 
direkten Kontakt mit dem Originalbild der betreffenden Kompositionen 
verliert und die Intentionen des Herausgebers von denen der Komponisten 
nicht mehr zu unterscheiden vermag. Es sollte daher mit alien Mitteln 
darauf hingewirkt werden, dafi dem Musiktreibenden immer die Moglich- 
keit einer Vergleichung mit dem Original offen bleibe, und dies ist natur- 
lich nur dadurch zu erreichen, daO man die altesten Ausgaben immer 
wieder in Neudruck erscheinen 12Bt. Geschieht dies nicht, so wird schlieB- 
lich nur der in Bibliotheken stobernde Musikforscher den Urtext unserer 
musikalischen Klassiker kennen, das groCe Publikum aber manchmal wahre 
Palimpseste in die Hand bekommen. 
Also B videant consules! a 



Copyright in America 1912 by Theodore Presser 



( \ * £\oIf Original from 

i.j:;j Men :;»y v ii h ),ll UNIVERSITYOF MICH 



GRETRY 

(f AM 24. SEPTEMBER 1813) 
Von HENRI DE CURZON IN PARIS 1 ) 



Grfctry ist unter den Musikern der Dichter der Ausdruckswahrheit. 
Zu seiner Zeit nahm er deshalb unter den fur das Theater 
schaffenden Meistern eine hohere, etwas isolierte Stellung ein. 
Darin ist der eigentliche Kern seiner Urspriinglichkeit zu suchen. Er ist 
wahr, einfach und hat den Sinn fur die Poesie der Dinge. Sein Urteil ist das 
eines Realisten, sein Verstand der eines Wegbahners, seine lachelnde, ein 
wenig unbekiimmerte Phantasie die eines Dichters. Ohne eigentlich auf 
dem Theater und auf dem Sondergebiet der komischen Oper und des 
musikalischen Lustspiels, wo bereits das Bediirfnis nach Wahrhaftigkeit 
und Folgerichtigkeit den Ausdruck regelte, eine Umwalzung herbeizufuhren, 
verlieh er dieser Darstellung der einfachsten Dinge auf dem Theater 
einen neuen, vorher nicht gekannten verfiihrerischen Reiz. Man war ent- 
ziickt, bei so wenig Aufwand von Gesuchtheit und Gelehrsamkeit so gar 
nichts von Theaterkonvention zu finden und bei allem Realismus einer so 
feinen Abstufung des Empfindens, einer so lebendigen Abwechslung der 
Bilder, einer so naturlichen Anmut zu begegnen. 

Dieser Folgerichtigkeit des musikalischen Ausdrucks, dieser Natur- 
lichkeit der Sprache verdankte Gr6try den glanzenden Erfolg, der ihm 
von seinen ersten Werken an zuteil wurde. Mit dieser Poesie der Wahr- 
heit bezauberte er sogleich Deutschland. Es ist sicherlich nicht ohne 
Interesse, hier daran zu erinnern, dafi der Kurfiirst von Koln seit dem 
Jahre 1771 an seinem Theater in Bonn, wo er damals Hof hielt, der Reihe 
nach acht in Paris mit ganz auDerordentlichem Erfolg gegebene Gr6try'sche 
Werke auffuhren lieC; daC besondersbei „SiIvain a derGroBvater und der Vater 
Beethovens mitwirkten, und daO Beethoven selbst in seiner Eigenschaft 
als Akkompagnist am Theater seine junge Einbildungskraft am GrStry'schen 
Repertoire befruchtete. Es sei ferner das lobende Urteil des Kritikers 
Forkel vom Jahre 1782 angefiihrt: „in alien Werken Gr6try's findet sich 
eine wahrhaftige Deklamation, der er immer eine melodische Wendung zu 
verleihen versteht." Es ware endlich schwierig, iiber das Genie Gr6try's 
ein entscheidenderes Urteil zu finden, als das von Weber im Jahre 1817 
(in seinen dramatisch-musikalischen Notizen iiber Dresdener Erstauf- 
fiihrungen) abgegebene: 

„Vielleicht ist Gr6try der einzige der in Frankreich erbluhten Komponisten, 
der bedeutend lyrischen, ja sogar oft romantiscben Sinn hatte. Die mitunter wirklich 
ruhrende Unschuld seiner Melodieen, deren Rhytbmen sich immer nach dem Be- 

2 ) Autorisierte Ubersetzung aus dem Manuskript von Willy Rem in Berlin- 
Schoneberg. 



rv . , ( \>ooLf Original from 

i i:u j,.ul! :»y v ii ju^jv UNIVERSITY OF MICHIGAN 



CURZON: GRfeTRY 271 

durfnisse des Augenblicks und nicht nach festgestellten Formen richteten und er- 
zeugten, sind vergeblich zu erreichen versucht worden . . .* 

So kdnnen wir uns jetzt bereits iiber die Stellung Gr6try's in der 
Entwickelung der dramatischen Musik Rechenschaft geben. Diese Stellung 
ist viel bedeutender, seine Aufgabe war viel notwendiger, als man ge- 
meinhin annimmt. Zugegeben, sein Name fuhrt uns eine reizende, liebens- 
wurdige Zeit ins Gedachtnis, etwas naiv im Geschmack und im Ausdruck, 
deren Ziige sich langst verwischt baben und fast nur noch geschichtlichen 
Wert besitzen. Und zweifellos ist Gr6try ein echtes Kind jener Zeit; er 
verkorpert sie in seiner ganzen Erfindungsfrische und in seinem Bediirfnis 
nach szenischer Wahrheit. Aber bei naherem Studium zeugen seine Werke 
und seine theoretischen Gedanken von einer Unabhangigkeit und einer Kraft, 
die ihn in Wirklichkeit als einen Vorbereiter erscheinen lassen. Sie fesseln 
nicht bloB auch noch heute unseren modernen, anspruchsvoller gewordenen 
Geist, sondern ihr Beispiel kann fur uns nach wie vor niitzlich und frucht- 
bar sein. Man muB Gr6try seinen Rang unter den Meistern der Tonkunst 
anweisen, die dem Modegeschmack entriickt sind, aus dem einfachen Grunde, 
weil ihre Kunstlehre durch die Zeit nichts verliert. Er hat im iibrigen, 
was ziemlich selten ist, diese seine Lehre selbst schriftlich niedergelegt. 
Seine musikalischen Schopfungen werden durch seine Vorschriften gestiitzt, 
und diese erstrecken sich sogar noch weiter und nehmen einen hoheren 
Flug als jene. Er liefert Beispiele, aber er gibt sich iiber die inneren 
Beweggrunde seines kiinstlerischen SchafTens und iiber seine Gedanken 
Rechenschaft und formuliert sie zu Grundsatzen. Um in der Geschichte 
der dramatischen Musik ein Analogon zu finden, muB man bis zu Richard 
Wagner vordringen; wir werden, nebenbei bemerkt, sehen, daB ein solcher 
Vergleich durchaus begrundet ist: auf dem engen Gebiet, auf das sich 
Gr6try's Streben beschrSnkte, entwickelt er eine Anschauung von der 
.musikalischen Handlung", die vdllig modern anmutet. 

Das kommt daher, daB er eine wahre Leidenschaft fiir die melodische 
Wahrheit besaB, und daB zu seiner Zeit niemand uber einen solch klaren 
Blick verfiigte. Von sich aus, ohne jeden Vorganger, hat er sich zu ihr durch- 
gerungen. Das Studium der alten italienischen Meister offnete ihm zuerst 
die Augen; das Beispiel der ersten franzosischen Musiker, die diesen Weg 
einschlugen, stachelte dann seinen Wetteifer an; schlieBlich hat er auf 
Grund eigener Beobachtungen, allein, vollig unabhangig einen Aufschwung 
zu eigenem Leben, zu individueller Freiheit genommen. Seltsam — dieser 
Aufschwung und diese Selbstandigkeit hangen vielleicht mit einem Mangel, 
einer Liicke in seiner Bildung zusammen, deren er sich selber wohl be- 
wuflt war: seine Kenntnis des rein Handwerklichen, der technischen Grund- 
lage seiner Kunst war sehr schwach. Aber war Gr6try auch nicht ge- 
lehrt, so besaB er dafiir ein ungemein entwickeltes Empfindungsvermogen, 



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272 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 

dessen immer wahre, schlichte Einfalt urn so beredter wirkte, um so 
ruhrender, wie Weber sagt. 

Seine Melodie, ob vokal oder instrumental, ist aktiv, lebendig, immer 
auf den Biihnenvorgang gerichtet, in fortwahrender Ubereinstimmung mit 
der Handlung und den Charakteren; abwechslungsreich und geschmeidig 
paflt sie sich allem an und durchdringt alles. Seine geniale Begabung 
ist aus Unmittelbarkeit und Beobachtung zusammengesetzt; letztere uber- 
wacht erstere. Und diese im Grunde so seltene Mischung von Realem 
und Ideellem, dieses genaue Gleichgewicht zwischen den verschiedenen 
Elementen des Kunstwerkes, diese harmonische Anmut in der Klarheit 
und Deutlichkeit der Gedanken sind so kostbare Eigenschaften, daD sie ge- 
niigen, Gr6try einen Platz unter den GroBmeistern der Buhne anzuweisen. 

Um seine ganze Urspriinglichkeit zu verstehen und sich ihrer Be- 
deutung bewuCt zu werden, muD man zunachst einmal seine musikalischen 
Werke selbst betrachten, sodann, aber mit nicht geringerer Aufmerksam- 
keit, seine theoretischen Ausfiihrungen studieren, die besser als jede 
kritische Erorterung die Grundziige und Konsequenzen seines kunstlerischen 
Schaffens darlegen. Das will ich im folgenden der Reihe nach tun. 

Andr6 Ernest Modeste Gr6try ist am 11. Februar 1741 in Luttich 
geboren, in bescheidenem Milieu, das ihm jedoch Geschmack an der 
Musik und praktische Ubung darin beizubringen geeignet war. Sein 
Vater war Violinist an einer Kirche; natiirlich tat der Junge als Chorknabe 
seine ersten Schritte ins musikalische Leben. Aber der vonibergehende 
Aufenthalt einer italienischen Truppe erfullte ihn mit einer glfinzenden 
Hoffnung: er wollte schreiben, Opern komponieren. Bald darauf, im Alter von 
18 Jahren, beschloB er, sich an der Quelle selbst zu unterrichten: er 
reiste nach Italien, und zwar zu FuC. Die Schilderung dieser Reise, auf 
der ihm ein junger Student der Chirurgie als Genosse und ein alter 
Schmuggler aus seiner Heimat als Fuhrer diente, stellt eines der an- 
ziehendsten Kapitel seiner im Greisenalter verfaOten Memoiren dar. Bei 
dieser Romfahrt stiirzte sich Gr6try ubrigens nicht ganz ins Ungewisse, 
Es gab dort ein Liitticher Kolleg, das auf die Dauer von funf Jahren 
zwanzig junge Kunstbefltssene aufnahm, ohne sich ubrigens um ihre Studien 
zu bekummern: jeder muCte sich selbst den Weg suchen, der fur ihn 
der geeignetste war. Gr6try fand im Anfang keinen und probierte allerlei. 
Aber eines Tages begegnete er, wie spater Mozart, in Bologna dem ge- 
lehrten, vaterlichen P. Martini, dem einzigen Vertreter einer groOen Tradition 
und tiefer Ehrfurcht vor der Kunst. Bei ihm empfing Gr6try den ersten 
Unterricht. Das Studium Pergolese's bedeutete den zweiten. Das Theater 
zog ihn im ubrigen ausschlieOlich an, und sein erster, von 1766 datierender 
Versuch war ein italienisches Intermezzo. Aber erst das Studium der 



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CURZON: GRfeTRY 273 

reizenden Partitur w Rose et Colas" von Monsigny entschied tatsichlich 
iiber seine Zukunft. Entschlossen, alles daranzusetzen, urn selbst auf 
■diesem Weg der komiscben Oper fortzuschreiten, lehnte er den ihm von 
Luttich angebotenen Posten eines Kantors ab und wahlte, anstatt in sein 
Vaterland zuruckzukehren, Paris zu seiner neuen Heimat. 

Er liefl sich dort im Sommer 1767 nieder. Die ersten Zeiten waren 
ziemlich enttauschend, wie es aus Mangel an Beziehungen und Ver- 
bindungen meist der Fall zu sein pflegt. Indessen lieflen ihn das Wohl- 
wollen, das ihm Philidor, einer der originellsten Meister der Zeit, und 
•die gluckliche Bekanntschaft mit dem Textdichter Marmontel bald bekannt 
werden. „Der Hurone", seine erste Oper (1768), nach einem Voltaire'schen 
Sujet, wurde ein richtiger Modeerfolg. Ich sprach schon von der Uber- 
raschung, die der neue, abwechslungs- und farbenreiche Stil des jungen, 
tags zuvor noch unbekannten Musikers hervorrief: er setzte im Anfang die 
Orchestermitglieder bei den Proben auOer Fassung. Aber indem Gr6try seine 
Beobachtungen erweiterte und sie auf verschiedengeartete Stoffe anwandte, 
gluckte es ihm sehr bald, auf dem beschrittenen Wege vorwartszukommen. 
.Lucile" (1769), „ein tugendhaftes und ehrbares Gemalde der ehelichen 
Sitten" (in dem sich das beruhmte Quartett findet w Ou peut-on fitre 
jnieux qu'au sein de sa famiHe?") war von auBerordentlicher Wirkung 
auf die Gemiiter, und zwar nicht bloC im Theater, sondern auch im 
hauslichen Leben. In musikalischer Hinsicht war es indessen „Das 
sprechende Gemalde" (1769), das zum erstenmal die ganze Unmittelbar- 
keit und Eigenart des Gr6try'schen Talents, zugleich den Schwung und die 
Schmiegsamkeit seiner genialen Beanlagung oflfenbarte. Er hatte das 
Stuck, wie er uns selber erzahlt, in freudiger Stimmung, lachend und 
tanzend niedergeschrieben; die Nach welt lacht und tanzt noch immer 
mit ihm, wenn sie es hort, denn diese entziickende kleine Komodie h&lt 
sich noch auf dem Spielplan. Und in der Tat, wie glucklich weifi Gr6try 
unter Benutzung des eigenen lautlichen Klanges der Textworte ihren Sinn 
jnusikalisch auszudeuten und zu betonen, in der Wahl der Instrumente, im 
Rhythmus wie in den Gesangstimmen! Welches Stilgefuhl den Personen und 
der Handlung gegenuber und welcher Sinn fur das Malerische! Welch feiner 
lronie zwischen Colombine und Cassandra, welch prickelnde Leichtigkeit 
^wischen Colombine und Pierrot, welche Anmut und welcher Geschmack 
bei Isabelle! 

Im Gegensatz dazu erinnerte w Silvain* (1770) an „Lucile a , aber 
der Ausdruck ist hier erheblich gesteigert, das Empfinden echt dramatisch, 
die Wirkung rein und ergreifend infolge innerer Wahrhafiigkeit. Das 
Duett „Dans le sein d'un pdre" zwischen Silvain und seiner jungen Gattin 
Helene kann als Musterbeispiel wahren Ausdrucks auf der Biihne 
gelten. B Die beiden Geizigen" (1770) brachten dann den dargestellten 

XIII. 5. 18 



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274 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 

Personen ganz entgegengesetzte Empfindungen in originellster Art, aber urn 
sie in Buffomanier zu verspotten, auf die Biibne. Es gibt da in harmonischer 
Hinsicht phantastische Einfalle (wie z. B. die murrisch-zankische, fiebernde 
Begleitung der Arie des alten Geizigen und die Nachahmung der lauernden, 
kratzenden und bin und berrennenden Maus), die einfach genial sind. 

Ich kann hier nicht alle folgenden Opern aufzahlen. Aber ich er- 
wahne nebenbei „Zemire und Azor" (1771), eines der bedeutendsten 
und bemerkenswertesten (und ungerechterweise heute ganz und gar ver- 
gessenen) Werke Gr6try's. Nirgends auch nur der geringste VerstoB gegen 
den Gescbmack; unmittelbar aus der Situation flieDende Komik im Verein mit 
reinem Empfinden; jede Person durch das Orchester wie durch denGesangin 
ihrem individuellen Charakter gezeichnet. Man kann nicht geistvoller die 
naive Furcht und die drollige gute Laune Alis schildern, nicht reiner Zemirens 
kindliche Ergebenheit, nicht iiberzeugender den Schmerz ihres Vaters. 

Betrachten wir noch den „Hausfreund a (1772), voll feiner, delikater 
Heiterkeit, und den .Prachtigen" (1773), mit dem beriihmten Rosen- 
terzett. Es handelt sich darum, stumme Gefuhle zu tonendem Leben zu er- 
wecken, da der „Prachtige" Clementine nur unter der Bedingung sehen darf, 
daO das junge Madchen kein Wort redet: die Rose, die sie in der Hand halt, 
muB fiir sie sprechen, und musikalisch laBt sich keine bessere Aus- 
deutung dieser kleinen Handlung denken, bei der selbst das Schweigen 
beredt ist. Da ist ferner „Das Rosenmadchen von Salency" (1774), 
in dem GrStry die Eindriicke der Natur und der in ihr Lebenden aufs 
gliicklichste vermittelt. Eine Erzahlung von Sturm und Wogengebraus 
(„De ma barque 16gfcre . . .*) ist wegen der geschmackvollen Verwendung 
ihrer schildernden Ziige lange Zeit beriihmt gewesen. Dann „Die 
falsche Magie" (1775), in der ein paar Duette in rhythmischer Hinsicht 
wahre Muster beschwingter Feinheit darstellen. 

Zu den anziehendsten Partituren GrStry's gehoren ferner „Das Urteil 
des Midas* (1778) mit seiner feinen Verspottung der herkommlichen 
Opernarie und „Der eifersuchtige Liebhaber" (1778), der noch groCeres 
Gliick machte. Das Werk ist eine wirkliche lyrische Komodie voll neuer 
Einfalle. Ensemblestiicke, Dialoge kennzeichnen die verschiedenartigen 
Empfindungen der Personen in ganz moderner Weise. Die Verlegenheit 
einer sich in ihrer Erzahlung verhaspelnden Person wird in genialster Weise 
durch die Verwirrung der von ihr zu singenden Melodie wiedergegeben. 
„Die unvorhergesehenen Ereignisse" (1779), w Aucassin und Nico- 
lette" (1779), w Andromache a (1780) hatten wenigerGliick, aber B Colinette 
bei Hofe u (1782), „Die Karawane von Kairo a (1783), „Panurge* (1785> 
erzielten dafiir, dank ihrer malerischen Farbigkeit, einen ihren eigentlichen 
Wert erheblich iiberragenden Erfolg. 

„Die Dorfprobe" (1784) und ^Richard Lowenherz 8 (1784) be- 



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CURZON: GRfeTRY 275 

zeichnen den Gipfel von Gr6try's Talent und Ruhm. Das erste der 
beiden Werke, die eigentlich nie vom Spielplan batten verschwinden durfen, 
ist ein Bauernstiick, ebenso echt im Ton wie geistreich in der Idee. Das 
zweite erhebt sicb von feinster, lieblichster Anmut zum begeistertsten 
romantischen Schwung, und zwar immer mit einfachen, klaren und natiir- 
licben Mitteln; einzig die Wahrheit des dramatischen Ausdrucks bedingt 
die musikalische Illustration. Die Wiederkehr des melodiscben Motivs 
v Une fifcvre brulante" z. B. ist durch die Handlung selbst gerechtfertigt. 

Von dieser Zeit an begann GrStry's Schaffenskraft zu ermtiden; er 
fand blofl gelegentlicb seine frische Unmittelbarkeit wieder. Als seiner wurdig 
kann man nur noch nennen: „Der Graf von Albert" (1786), dessen 
dramatischer Stoff es ibm angetan hatte, und seine in vollem komischen 
Gegensatz dazu stehende Fortsetzung („Suite a ) vom Jahre 1787; „Raoul 
Blaubart" (1789), in dem sicb wiederum durch die folgerichtige Ent- 
wickelung der handelnden Personen charakterisierte Szenen finden, in deren 
Anlage und Durchfuhrung Gr6try sich auszeicbnet; B Wilhelm Tell" (1791), 
den er mit schweizerischen Volksweisen und mit einem alpinen Kolorit 
ausstattete; endlich „Anacreon" (1797), der einzige Erfolg der Pariser 
Oper wahrend der Revolution, in dem der ganze jugendfrische melodische 
Reiz des Kiinstlers auf so mancher Partiturseite noch einmal aufbluht. 

Zu dieser Zeit lebte Gr6try bereits als Philosoph. Er hatte sich 
nach der „Eremitage" im Tal von Montmorency, wo Jean-Jacques Rousseau 
gestorben war, zuriickgezogen. Dort hing er seinen Ideen nach, dort 
schrieb er seine Memoiren und noch zahlreiche andere, weniger interessante 
„Gedanken eines Einsiedlers". Hochbetagt, voll innerer Ruhe, umgeben 
von einmiitigen Sympathieen, verschied er, gerade vor einem Jahrhundert, 
am 24. September 1813. 

* * 

Seine Memoiren batten einen sehr groGen Erfolg beim Publikum und 
hinterlieDen einen tiefen Eindruck bei den Musikern. Ob wohl jemand eine 
Ahnung davon hatte, wie weit ihre Tragkraft, ihre Bedeutung fur die Ent- 
wickelung der Kunst die der Werke ubersteigt, die gewissermaflen zum Vorwand 
gedient haben? Diese Werke selbst, so vollendet sie in ihrer Art sind, gehoren 
einer langst vergangenen Zeit an und bedienen sich langst iiberholter MitteL 
Gr6 try's theoretische Gedanken dagegen stehen in gewisser Beziehung auDer- 
halb der Zeit und iibersteigen im iibrigen seine Krfifte, wie sein Scharfblick 
hinsichtlich des Ideals der dramatischen Musik seine Fahigkeiten, zu dem 
ersehnten Ziel zu gelangen, iibertraf. Die Nachwelt erst sollte sich dessen 
bewufit werden, daO hier ein grofier Geist ganz schlicht und unabhangig 
zu der Einsicht gekommen war, in welchem Sinne es vorwarts gehen musse, 
daC ihm diese Einsicht vor jedermann gekommen war, und daO er es sogar 
voraussah, fiir lange Zeit weder auf Nachfolge noch auf Verstandnis rechnen 

18* 



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276 DIE MUSIK XIII, 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 

zu diirfen. Wenn er fiir die Reform besser gerustet gewesen ware, wenn 
er theoretisches Wissen und Konnen mit Flug der Phantasie, schopferische 
Kraft mit gesundem Menschenverstand in seiner Person vereinigt hatte, 
ebenso CharakterPestigkeit, und wenn er schlieOlich in seinen musikalischen 
Lustspielen sich jedes Wettbewerbs mit Fremdem hStte enthalten konnen, 
so ware Grdtry in Wahrheit der Richard Wagner der komischen Oper 
geworden. 

Horen wir ihm einmal zu: 

„Die Musik ist Unsinn, wenn der OrchesterlSrm das deutliche Verstehen der 
Textworte verhindert; sie ist Unsinn, wenn sie eitle Gelehrsamkeit auskramt; sie ist 
Unsinn, wenn sie durch Verswiederholung eine Empfindung, eine Situation fiber Ge- 
buhr ausdehnt; sie ist Unsinn, wenn sie nicbt jede Person des Stuckes in der ihr 
zukommenden Sprache reden ISQt; sie ist Unsinn, wenn sie sich mehr bervortut, als 
es die bandelnde Person oder die Situation erfordern; sie ist scblieOlich Unsinn, wenn 
sie sich nicht in so volliger Obereinstimmung mit der Dichtung befindet, dafi man 
sozusagen den Musiker vom Dichter nicht unterscbeiden kann." „Jawohl, ich wage 
eine nochmalige Revolution in der Musik vorauszusagen, und sie ist gar nicht so 
fern . . . Freilich sind wir noch weit von dem von uns alien ersehnten Ziel entfernt 
Solange man nach dem Anhoren einer Oper sagt ,Die Musik hat den Erfolg gemacht*, 
solange kritisiert man mebr den Musiker als den Dichter, oder der Erfolg, von dem 
man spricbt, ist nicbt dramatiscber Natur, sondern er ist der gleiche, den der Musiker 
in einem Konzert davontrftgt . . ." „Die Vokalmusik wird niemals vollendet sein, 
wenn sie nicht die wahren Akzente des Wortes kopiert; ohne diese Eigenschaft bat 
sie lediglich symphoniscben Charakter . . ." „Die Geheimnisse der Kunst beruben 
lediglich in der richtigen Deklamation . .." „Der Kunstler kann nur durch das Studium 
des Menschen, seiner Sitten und Leidenschaften — wobei er diese nicht vermengen 
darf, sondern die kennzeichnenden unterscheidenden Merkmale auseinanderhalten mull 
— zum Ausdruck des Wahren gelangen . . ." „LaBt uns stark in der Wahrheit sein; 
das Orchester wird uns immer nach Wunsch dienen . . ." 

Wie Gluck, wie iibrigens alle seine Vorlaufer auf musikdramatischem 
Gebiet, stellie Gr6tiy die Gesetze des Lebens und des Fuhlens fiber die 
des Wissens, iiber festgesetzte Regeln. Er forderte Handlung an Stelle 
bloDer Musik, Eingebung an Stelle des MiCbrauchs des Wissens. Er stellte 
die Melodie iiher die Harmonic lch habe ihn deshalb auch in die Nahe 
Wagners geriickt. Sehen wir einmal genauer zu: Diese von Gr6try immer 
wieder geforderte Vorherrschaft der Melodie in der dramatischen Musik, 
auf der er alien gegnerischen Auslassungen gegeniiber unter Zuhilfenahme 
ebenso richtiger wie genialer Beweise bestand — im Instrumentalen wie 
im Vokalen — , muB man bei ihr nicht an den Kunstler denken, der, 
haufig mit analogen Ausdrucken, ihre Notwendigkeit fiir die Entfaltung 
jedes musikalischen Organismus mit wundervoller Energie verkundete, und 
der veisicherte, ohne sie „sei nichts und werde nichts sein konnen-? 
Gr6try bebafi nicht die Kraft, aus dem Orchester das zu machen, was 
sich seiner ahnenden GewiBheit nach daraus machen lieO, und uberdies 
zeigten ihm die Beispiele, die er vor Augen hatte, selbst das Glucks, bei 



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CURZON: GRfeTRY 277 

genialen Ideen im Grunde nur zogernde, tastende Versuche. Mozart kannte er 
nicht, und der von ihm aufs hochste bewunderte Haydn war in seinen Augen 
unvollkommen, weil er die Fulle seiner Eingebungen nach der Seite des 
Ausdrucks hin nicht hatte handelnden Charakteren und Personen zugute 
kommen lassen. Aber Gr6try war durch Nachdenken zu der Oberzeugung 
gefiihrt worden, dafi die konventionelle oder vom Text unabhangige Be- 
gleitung sich erkaltend auf den schonsten Gesang lege und dafi das zu 
erreichende Ziel in einer gleichberechtigten Beredsamkeit von Orchester und 
Gesang bestehe. Die Musik — stellte er einmal als Grundsatz auf — mufi 
singen, sie mufi mit den Stimmen singen, mit der Begleitung, wenn sie kann, 
aber dann unter der Bedingung, dafi diese „ebenfalls inspiriert ist und nicht 
das Resultat gewaltsamer Arbeit". Wenn Wagner erklart, jeder Takt 
eines musikdramatischen Werkes habe nur dann Berechtigung, falls er 
etwas von der Handlung ausdrucke oder vom Charakter des Handelnden, 
sagt er damit etwas anderes, als Gr6try wahrend seines ganzen Lebens 
instinktiv gefiihlt und mit Beispiel und Lehre verfochten hat? 

„Nutzlose Schonheit ist schadliche Schonheit." Ein wahrhaft lapidares, 
eines Meisters wiirdiges Wort! „Eine Einzelheit an falscher Stelle, und 
ware sie an sich noch so entzuckend, ist immer ein Widersinn . . ." »Der 
Geist, den man in der Musik aufbringen will, verdirbt oft den, den man 
bereits in den Textworten hat . . ." Anders gesagt: Wahrheit, selbst auf 
Kosten der Wirkung. Und keine „Manier a , denn sie entspringt „An- 
strengungen, die man gemacht hat, um die mangelnde natiirliche Be- 
gabung zu ersetzen.* GrStry zieht deshalb „eine mittelmafiige natiirliche 
Anlage einer guten Manier" vor. Aus diesem Grund wandte er sich 
auch gegen die iibertriebene Schatzung theoretischen Wissens. Und zwar 
nicht etwa, um sich selbst wegen seiner Schwache in dieser Beziehung 
zu rechtfertigen. Er wufite sehr wohl, daO er vom Handwerk nicht all- 
zuviel verstand, dafi er ofters Fehler machte; aber er war sich auch klar 
dariiber, dafi er bei dem Streben, solche zu vermeiden, seine natiirliche 
Begabung der Gefahr der Versteinerung ausgesetzt hatte. Er erkannte, dafi 
„der inspirierte Kiinstler zuweilen auf das Wissen verzichten kann, aber 
haufig tauscht er sich auch: er hat keinen Charakter, weil er keine 
Grundsatze hat". Indessen fiigt er hinzu: „Die Wissenschaft kann nur 
eine Definition haben: das Studium der Natur; sobald sie sich davon ent- 
fernt, so ist, wir wollen es kecklich sagen, dieseWissenschaft ein Mifibrauch". 

Auf jeder Seite der Gr6try'schen Memoiren begegnen wir Grundsatzen, 
die noch nach 50 Jahren fur revolutionar gegolten hatten; einen so weiten, 
fur die damalige Zeit ungeahnten Horizont eroffnen sie fur die Zukunft 
der Kunst. Die Ubereinstimmung des musikalischen Ausdrucks mit der 
Situation und den Personen; die gegenseitige innere Durchdringung von 
Musik und Dichtung; das Verwerfen jeder leeren Wortwiederholung; das 



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278 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 

Suchen nach charakteristischcn Motiven fiir die auf die Biihne gestellten 
Typen; die richtige Deklamation, die einer graziosen, aber falschen Wendung 
vorgezogen wird; der Gedanke, daB der dichterische Vorwurf des Dramas 
notwendig die einzig ihr zukommende Musik in sich enthalten musse, — alles 
Beobachtungen und Forderungen, die auch heute noch so manchen Opern- 
partituren gegeniiber am Platze waren, in denen ein Ubermafl von verwickeltem 
Konnen die Gedankenarmut und die Impotenz nicht verschleiern kann. 

Die theoretischen Erorterungen Gr6try's haben ubrigens auch eine 
merkwurdige praktische Seite. Man hat, im Hinblick auf Wagner und 
Bayreuth, oft an seine Forderungen erinnert: Der Zuschauerraum soil dem 
Auge und Ohr so angepa&t werden, daB weder vom musikalischen, noch 
vom sprachlichen und szenischen Detail auch nur das geringste verloren 
geht; er soil deragemaB hochstens 1000 Personen fassen; es soil nur eine 
Art von Platzen geben, in Amphitheaterform, ohne Logen; das Orchester 
soil verborgen werden, unsichtbar fiir die Zuschauer . . .*) 

Die Selbstandigkeit seiner Ideen ist es, was man immer am meisten 
an GrStry bewundern muB. Ich habe seine leidenschaftliche Verehrung 
fiir Pergolese bereits erwahnt, der ihm das Wesen der natiirlichen Dekla- 
mation geoffenbart hatte. Aber er zogerte nicht, den unheilbaren Nieder- 
gang, dem die italienische Schule entgegentrieb, weil sie ihre Vorganger 
nicht begriffen hatte, offentlich zu verkiinden. In Paris verlieB Gr6try 
das italienische Lager, sobald er Gluck schatzen gelernt hatte: 

„Als ich ihn zum erstenmal horte," antwortete er denen, die ibm seinen Abfall 
vorwarfen, „glaubte ich mich nur durch die dramatiscbe Handlung gefesselt und ich 
sagte wie Ihr: Da ist kein Gesang darin. Aber ich war bald angenehm enttauscht, 
denn ich fuhlte, dafl es die zur Handlung gewordene Musik selbst war, die mich 
erschiittert hatte . . ." 

In welchem MaBe er sich neidlos vor der Macht des Genies beugte, 
mogen seine Worte beweisen: 

„Ein anderer ist wahr, wenn er einfache Gefuhle schildert; sobald er es aber 
unternimmt, sie bis in ihre Hochspannungen zu verfolgen, so ist er bloB ein Kind, 
das die Keule schwingen will. Ich spreche hier von mir." 

Mit diesem Ausspruch konnte ich schliefien, aber es gibt da unter 
den an junge Musiker gerichteten Worten noch ein anderes, das fur eine 
Studie iiber GrStry in Wahrheit als SchluB dienen kann: 

„Wenn eure GemSlde wahr sind, so werden sie vor den Wechselfallen der 
Mode sicher sein . . . Man darf nicht glauben, auf der Natur gegrundete Werke 
kdnnten unter dem EinfluB der Zeit zu leiden baben. Die Natur, diese gottliche 
Mutter, ubertragt auf den Maler, der sie treu wiederzugeben weiB, ihre Unsterblichkeit." 



l ) Auch eine Errungenschaft der allerjungsten Zeit, den „Schalldeckel a , hat Gr6try 
bereits gefordert: n Eine steinerne Brustung . . . muBte das Orchester von der Biihne 
trennen, damit der Ton nach dem Saal zuruckgeworfen wurde." Anm. des Obers. 



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BEETHOVEN UND BREMEN 

VON PROF. FRIEDRICH WELLMANN IN BREMEN 



Wenn wir nach dem Marchen von den „Bremer Stadtmusikanten* 
urteilen, so miissen wir annehmen, daO der Ruf dieser Kunstler 
auBerordentlich weit verbreitet gewesen ist, denn Grimm hat 
das Mfirchen im Paderbornschen und im Hessenlande kennen gelernt. 
Aber aus den Bemerkungen der unglucklichen Tiere fallt nicht gerade ein 
gutes Licht auf Bremens Musik, wenigstens nicht auf die Stellung der 
Stadtmusikanten; denn die Beschaftigung bei diesem Korps wird nur dem 
Totgeschlagenwerden noch eben vorgezogen. Nun war es allerdings um 
die Ratsmusik der Hansestadt, von der wir etwa seit 1525 etwas wissen, 
meistens schlecht bestellt; das Gehalt war gering, die Konkurrenz trotz 
aller Privilegien gefahrlich. SchlieDlich wurden die vier Stadtmusiker im 
Jahrc 1751 mit den Regimentshautboisten zu einer groBeren, leistungs- 
fahigeren „Bande* vereinigt, aber auch das half nicht viel, und dieser 
.chorus musicus" loste sich allmahlich in nichts auf. Dafur aber taten 
sich die ubrigen Musiker, die in Bremen zahlreich vertreten waren und 
am Theater und mit Privatstunden ihren Unterhalt verdienten, zusammen, 
und aus ihnen entstand im Laufe der Jahre ein brauchbares, vollstandiges 
Orchester. Die Musik nahm dann schnell einen gewaltigen Aufschwung. 
Im ersten Dezennium des 19. Jahrhunderts hatte sich in der Hansestadt 
ein Kult fur Beethovens Musik herangebildet, „wie er in jenen Jahren 
und selbst im zweiten Jahrzehnt noch nirgends in Deutschland zu finden 
war". So sagt Schindler, der aufmerksame Geschaftsfuhrer Beethovens, 
in der Biographie seines geliebten Meisters, von deren dritter Auflage vor 
einigen Jahren Kalischer einen Neudruck herausgegeben hat. Dieser 
Beethovenkult hatte seinen Ausgangspunkt und sein Kraftzentrum in 
den Privatkonzerten des hochmusikalischen und energischen Domkantors 
Wilhelm Christian Miiller, der, aus einem thiiringischen Dorfchen ent- 
sprossen, im Jahre 1778 bereits nach Bremen kam und dort Zeit seines 
Lebens fur die Musik mit unermudlichem Eifer tMtig gewesen ist, bis er 
1831 im Alter von 80 Jahren aus dem Leben schied. 

Zu dem musikalischen Kreise, den er im Laufe der Jahre um sich 
schuf, gehorten etwa 24 Bremer Familien, Kaufleute und Gelehrte; einen 
Hauptanteil an der praktischen Ausubung der Musik nahmen der Musik- 
direktor Johann Heinrich Lowe, ein geborener Marker, und die beiden 
hochbegabten Kinder des Kantors, von denen die Tochter eine gediegene 
Klaviervirtuosin und der Sohn ein tiichtiger Geiger geworden waren. Hier 
wurde das Edelste und Beste aus der Musik studiert, theoretisch erlautert 
und besprochen und endlich auch praktisch vorgefiihrt. Musiker des 



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280 DIE MUSIK XIII. 5: I. DEZEMBERHEFT 1913 

Orchesters vervollstandigten die Besetzung der Stficke. Der durch groBe 
Kenntnis gebildete und durch ein feines musikalisches Empfinden geleitete 
Geschmack des Dr. Muller sorgte dafiir, daB von allem Neuen schnell das 
Beste hier bekannt wurde. Beethovens Bedeutung erkannte er sofort und 
machte es sich nun zur LebensauPgabe, die schwer verstandliche Ton- 
sprache des groBen Meisters den Mitgliedern seines Kreises und dadurch 
dem grofieren Publikum der Hansestadt zugfinglich und lieb zu machen. 
Und dalS es ihm gelungen ist, dafiir haben wir ein beredtes Zeugnis durch 
die Konzertprogramme der Bremer Zeitungen jener Jahre, in denen so 
manches Werk des Wiener Gewaltigen auffallend schnell nach der Ver- 
offentlichung erscheint. So finden wir im Anfange des Winters 1809 
bereits die Fiinfte und Sechste Symphonie, Februar 1811 die Egmont- 
Ouvertiire! 

Naturlich blieb Beethoven dieser Erfolg nicht unbekannt, und ein 
freundschaftlicher Verkehr entwickelte sich allmahlich zwischen Bremen 
und Wien; zunfichst nur brieflich. Beethoven interessierte sich lebhaft fur 
die Nachrichten aus der Hansestadt, und Nannette Streicher, mit der Muller 
wegen verschiedener Lieferungen von Instrumenten korrespondierte, muBte 
ihm alle Neuigkeiten mitteilen; sie scheint ihm sogar ihre an die Bremer 
gerichteten Briefe vorgelegt zu haben. (Vgl. Kalischer, Beethovens Briefe 
Bd. Ill, No. 619 und 651.) Erst im Jahre 1820 wurde die Bekanntschaft 
personlich, dadurch, daB Muller mit seiner Tochter den Meister in Modling 
besuchte. 

In Miillers Privat-Konzerten spielte als Erlauterer musikalischer Ge- 
danken, als Literaturkenner und Dichter ein talentvoller, aber phantastiscb 
beanlagter junger Mann eine bedeutende Rolle. Es war Karl Jacob Ludwig 
I ken. Als nun der schon in alien Landen Aufsehen erregende Wiener 
Tonkunstler im Jahre 1819 seinen 49. Geburtstag feierte, sandten ihm 
Dr. Muller und seine Tochter Elise als Haupter der Bremer Beethoven- 
Gemeinde ihre herzlichen GriiBe; und als Iken, der im Miillerschen Kreise 
ebenfalls ein begeisterter Verehrer jenes Meisters geworden war, die Bitte 
aussprach, einige hymnische Dichtungen von ihm mit einzulegen, mochten 
die Freunde es ihm nicht abschlagen. Elise schrieb aber in banger Vor- 
ahnung der Wirkung dieser Poesie gleich hinzu, daB sie ihrem Freunde 
zuliebe beiliegende Blatter mitgesandt hatte. 

Zwei einleitende Sonette, „Die Rheinnixe* und ,Die Donaunixe", 
verraten Formtalent und wahre Empfindung. 

Die Rhein-Nixe 
Des Rheinstroms Nixe sang in suBen Tonen, 
Ihr war das Herz so voll, zum OberflieBen ; 
Da muBt' es sich in krlftgem Drang ergieBen, 
Und sie gebar den Sohn des holden Schonen. 



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WELLMANN: BEETHOVEN UND BREMEN 281 

Wer kommt ihm gleich von alien deutschen Sohnen, 
Dem solche Bluten in der Brust entsprieBen, 
Die ihm den Beifall seines Volks verhieBen, 
Und jedes Erdensohnes Leid versohnen. 

Dem Strom entstromte solcber Tone Rauschen, 
Die Mutter selbst mufl an der Quelle lauschen, 
Das liebe Bonn, es staunt ob solcbem Zeicben. 

Die Gottin selbst vermag dem Sohn zu lehren 
Nichts mehr. Er folgt nur eignen Ohres Horen, 
Und scbweigend muB dem Sohn die Mutter weicben. 

Die Donau-Nixe 
Und sie entsendet ihn nach zwanzig Jahren 
Zur nahen Freundin, ob sie unterweise 
Den ungestumen Jungling, daB er weise 
Und sanft sich stimme, wie die Vater waren. 

Doch liebt er, in dem Trotze zu beharren, 
Nicht schleicht die Donau-Nympbe still und leise; 
Er kSmpft, ob er den Lorbeer ihr entreiBe 
Und er erringt den Preis, wie ihr erfahren. 

Und staunend siebt sie da den Schmuck sich rauben, 
Und selbst die Themse naht mit Siegeskrfinzen, 
Vom fernsten Ufer tont ihm Preis und Wonne. 

Bald werden funfzig Sonnen schon entgl&nzen. 
Ihr Cotter, wiegt ihn ein in Rosenlauben, 
DaB spit erst scheide solchen Lebens Sonne. 

In ungebundener Form schliefit sich daran eine von Begeisterung 
flammende Anrede an den Gewaltigen, in der sich neben echter warmer 
Herzenssprache bereits gewisse Ubertreibungen bemerkbar machen. 

Sie vollstandig wiederzugeben, wiirde uns zu weit fiihren, aber 
einige Stellen daraus diirften der Mitteilung wert sein. So heiBt es z. B. 
nach einem zitatenreichen Anfange: 

„VerstoBe uns nicht, wir liegen Dir zu FuBen, gib uns Gehor und vergib uns 
nur, wenn wir unseren Dank und unsere Anbetung in Worten, in Lauten stammeln, 
uber die Du erbaben bist, und die nur an der Erde kleben, wenn die Musik aus den 
Herzen der Menschen wie die Lerche in den Himmel hinaufsteigt und uns zu besseren 
Wesen veredelt." 

Aus diesem Passus spricht eine tiefe, echte Begeisterung fur Musik 
uberhaupt, und Beethoven mag ihn trotz seines uberschwenglichen Tones 
mit Anerkennung gelesen haben, zumal er wuBte, daB gerade seine Musik 
es war, die den Hanseaten zu solcher schwarmerischen Ergriffenheit ge- 
bracht. Herzlich und wahr klingt auch der SchluB dieser Anrede: 

„Wenn Du einmal mit den Schickungen nicht zufrieden bist und Schmerzen 
Dich qualen, dann sollst Du nicht vergessen, daB noch Freunde in der Feme sind, 






Uriqinal from 
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282 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 

die auch duldcn und harren, und zu denen auch wir gehoren, die sich mit Dir vcr- 
wandt fuhlen und die Deiner mit der treuesten Liebe eingedenk sind. 

,M6chtest du dem Angedenken 

Eines Freunds ein Lficheln schenken.' 
Dies ist unser einziger, unser sehnlichster Wunsch und die suGeste Erwiderung, 
wenn unser Erkennen vom Meister nicht verkannt wurde." 

Leider vermochte der jugendliche Schwarmer es nicht, hiermit zu 
schlieCen. Sein poetisches Feuer ergriff ihn mit unwiderstehlicher Gewalt, 
und in zusammenhangsloser Reihenfolge fiigt er ErguB urn ErguB hinzu, 
Geschmackloses mit Poetischem mengend. Denn den Vers 

w Wenn's Liebchen gruBt, pocnt uns das Herz. 
Du gruBest uns mit Liebesschmerz. 
Die Macht der Tone wSchst so voll; 
Das Herz schlfigt, wie es schlagen soll. a 

kann selbst der liebenswurdigste Kritiker nicht gerade zur geschmack- 
vollen Poesie rechnen. 

Etwas anmutiger und mit einem gewissen Geschick zusammengestellt 
ist eine kleine Wanderung durch Beethovens Kompositionen in gebundener 
Form. Da heifit es unter anderem: 

„Bald fuhrst du uns zur heilgen Statte, Und mit himmelhoch jubelnder Phantasie 

Wo Christus einst am Olberg litt; Zum Ratsel deiner Funften Symphonic, 

Der heilgen sieben Stimmen Sang Fort zum Quartett- und Quintetten-Geton, 

Ertont uns im Septettenklang, Dort mischt sich der Flugel mit Hornern 

Bald zu Lenoren, Marcellinen, so schon. 

Zu schauerlicher Schicksalsbahn, Zu Faust und Gretchen, zuruck zum Lande, 

Fidelio und Florestan, Wo die Zitronenwalder bluhn 

Bald zu Prometheus' Feueresse, Bei feierlicbem Nachtgesang 

Daft sich der Tanz zum Klange messe. Notturnen und Serenadenklang" usf. 

Von hier zum Trauermarsche des Heroen 

Wenn auch dem Rhythmus mitunter Gewalt angetan ist und manches 
nicht eben poetisch genannt werden kann, so muB doch die umfassende 
und offenbar genauere Kenntnis aller Gebiete Beethovenscher Musik 
unser Erstaunen erregen und muBte dem Meister ein wohltuender Beweis 
dafiir sein, daB man in Bremen tatsachlich mit groBem Eifer seiner Muse 
huldigte. 

Aber immer noch liefl den Schwarmer sein poetischer Drang nicht 
zur Ruhe kommen, und er fiigte noch eine „Traum-Vision* hinzu, die 
nun allerdings bis zur Albernheit ubertrieben und phantastisch genannt 
werden muB. Es ware grausam, wollte ich den geneigten Lesern das 
ganze in ungebundener Form verfaBte Poem auftischen. Sie werden an 
einer Probe genug haben. 

Der Dichter wandert im Traume durch die Welt der Fixsterne; alle- 
gorische und mythologische Gestalten schweben da im bunten Gemisch 
umher. Schliefilich fiihrt ihn Ganymed zur MilchstraBe. 



rv . , f Y\£\oLr- Original from 

I i:u j,u:j :r, v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



WELLMANN: BEETHOVEN UND BREMEN 283 

„Hinter diesem Sternen-Ncbel a , sagt er dann zum Wanderer, „bis hinauf zur 
MilchstraGe sind deine Kunstler versammelt; nimm dir einen in den Sinn, und du 
wirst den, den du am liebsten hast, in seiner Glorie sehen. In dem Augenblick sah 
ich von oben einen Stern auf den Chor herabfallen. Jetzt offnete sich der Sternen- 
staub; in einera runden Amphitheater erhob sich ein Orch ester, in der Mitte unten sah 
ich Beethoven an einem goldenen Flugel, jede Taste schlug an eine Harmonika, die 
Dichtkunst scbwebte uber ihm und hielt eine Sternenkrone uber seinem Haupte. 
Traumgestalten lagen vor ihm in der Luft, die Tragodie blickte ihn freundlich an, 
und die Oper reichte ihm Palmen und Hirtenkr&nze. Die drei Parzen hielten 
Mozarts Bild in den Wolken, Apoll und die Musen schlugen ihre Leyer, und das 
Ganze schloB sich nach oben mit dichten Haufen geflugelter Engelsscharen." 

Ganz so uberladen und schwulstig, wie uns dieses Bild erscheint, 
mag es wohl in jener sentimentalen Zeit, in der ein Barockgeschmack noch 
nicht ganz verwunden war, nicht geklungen haben, aber es ist kaum anzu- 
nehmen, daO Beethovens kiinstlerisches Herz Gefallen daran gefunden habe. 

Jedenfalls trug diese phantastische MiOgeburt nicht gerade dazu bei, 
den Gewaltigen fur die beigelegten „Erlauterungen a verschiedener seiner 
Kompositionen empfanglicher zu stimmen. Er hatte schon mehrfach von 
seinen Bremer Freunden derartige Elaborate, schriftliche Fixierungen von 
Vortragen der Privat-Konzert-Abende erhalten, und sie waren gewiD nicht 
wenig stolz darauf. Nur die Rucksicht auf die wirklich ehrlichen Emp- 
findungen jener treuen Gemeinde vermochte ihn an einer kraftigen Er- 
widerung zu hindern. 

Das Geburtstagsgeschenk des Jahres 1819 war ihm aber doch zu stark. 
Schindler hat in der dritten Auflage seiner Biographie eine solche Er- 
liuterung abgedruckt. Sie betrifft die Siebente Symphonie und leistet 
Erstaunliches im Herausfinden ganz besonderer Feinheiten. 

Im Schindlerschen Beethoven-Archiv der Berliner Koniglichen Biblio- 
<hek sind noch mehrere, die mit jener zusammen nach Wien gelangten. 
Vielleicht ist es nicht unzeitgemaB, ein solches „Programm" zur D-dur 
Symphonie der programmliebenden Musikwelt mitzuteilen. Es scheint auch 
von dem besagten Dichter Karl Iken herzuruhren. Die tollsten Stellen hat 
Dr. Muller einfach durchgestrichen. Es bleibt aber immer noch genug stehen. 

„Wir ahndeten", so heiBt es dort, „einen Feldzug von Rittern im romantischen 
Geiste des Mittelalters, wie etwa die Kreuzritter in ihrer schwarmerischen Begeisterung 
nach Jerusalem Ziehen, um das heilige Grab zu erobern, wie sie mit freudigem Mute 
auszieben, um die Schmach der Christen zu r&chen. Immer ist diese heroische Kraft 
aber gemSfiigt durch dazwischentonende weibliche Stimmen, durch einen gefublvollen 
Gesang voll zarten Frauensinnes, durch Anmut und Liebe, die oft bis zur tiefsten 
religiosen Empflndung gesteigert wird. Es kommt uns vor, als wenn die zartliche 
Gattin beim Abschied ihren Ritter noch weinend bis an das Schlofitor ihrer Burg 
begleiiet und als wenn sie ihm noch etwas nachruft, wShrend unten im Tal schon die 
Reisigen und Knappen versammelt sind, um den Kriegszug anzutreten. *Die ganze 
Dichtung ist dabei immer mit scharfen Umrissen bezeichnet, sie steht faQlich und 
anschaulich da, sie ist mit so scharfen Typen gestempelt, daft man gleich sagen kann, 
das bedeutet dies, dies bedeutet das . . . ,Kannst du sagen, das ist, da alles im 



n . , f Y^\oLr- Original from 

i i:u j,.uj :»y v iin * , r UNIVERSITY OF MICHIGAN 



284 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 

Kreislauf der Zeit untergeht?' sagt Werther in dem Roman von Goethe, und doch 
kann man es bier sagen, und vor allem mochten wir wunschen, daB man den Tag 
fiber einige Stunden im Werther gelesen babe, wenn man den Abend ein solcbes 
Konzert boren will. Die Darstellung dieser Traumbilder, dieser dunklen Gesichte, 
ist so charakteristisch, so ausgeprSgt, daB sie beinahe in die Wirklichkeit ubertreten, 
das heiBt mit anderen Worten, daQ sie beinabe Oper sind. Auch Ufit sich der 
Opernstil gar nicht verkennen. Halt man aber biergegen z. B. die Haydnschen 
Symphonieen, ... so weifi man eigentlich gar nicht, was man hdrt. Sie sind durch- 
aus unbestimmt, vage, nur allgemein ansprechend, ins Blaue gespielt und z. B. 
tfindelnd oder ernsthaft, tragisch oder komisch, wie's eben fillt, nie aber motiviei%. 
wie es bei Beethoven der Fall ist ... Beethoven legt uns gerade die schwersten 
R&tsel vor . . . aber nicht deswegen, weil sie einen unbestimmten Charakter tragen, 
sondern weil das Ganze zu sehr mit Bildern uberfullt, die Beziehung unter ihnen 
dunkel bleibt, das Band sich oft zu verlieren scheint, welches alles zusammenhalt 
und das Ganze oft bizarr zusammengesetzt ist." 

Diese Erlauterung trifft gewiO zum Teil etwas rechtes, sie ist ein 
noch unklares Empfinden der Pragnanz und der subjektiven Tonsprache 
Beethovenscher Werke, aber die Art, in der hier dem Tondichter Gewalt 
angetan wird, hatte genugt, auch ein weniger reizbares Gemut, als es 
Beethoven besaD, in Flammen zu setzen. Es folgte nun aber gar direkt 
die Aufforderung zu einer Erklarung des Meisters: 

„M6chte der verehrte Kunstler, Herr von Beethoven, uns doch sagen konnen, 
ob er auch dieser Meinung ist, und vor allem, ob in seinen Symphonieen wohl ein 
versteckter Zusammenbang sei, dessen Erklarung er uns absicbtlicb verschwiegen 
habe, da doch bei der Pastorale eine solche Erklarung in Worten dabeigeschrieben 
ist, wo es eigentlich nicht einmal so nStig war als bei den andern, z. B. der Fun ft en 
in c-moll und anderen.** 

Das gab den Ausschlag. Beethoven konnte und wollte nun nicht 
langer schweigen. Er sah, dafi seine Gemeinde in Gefahr gerate, das 
Wesen seiner Musik ganzlich falsch aufzufassen. Die Folge war ein 
energischer Protest gegen eine derartige Auslegung und Sezierung eines 
Kunstwerkes, den er seinem Sekretar Schindler in die Feder diktierte. 
Dieser Protest traf zugleich mit einem freundlichen Briefe an Mullers in 
Bremen ein und war dazu angetan, die uberschSumende Begeisterung 
empfindlich niederzudriicken. 

Nach diesem und anderen Schreiben Beethovens an Dr. Muller ist 
schon von Schindler und seitdem bis auf den heutigen Tag eifrigst ge- 
forscht worden; aber in Mullers NachlaB, den Manuskripten der Bremer 
Stadtbibliothek, ist nichts davon zu finden, und auch im Testamente seiner 
Tochter Elise, die 1849 starb, kein Wort davon erwahnt. Wo sie ge- 
blieben sind, weifl niemand. Vielleicht tauchen sie noch einmal aus der 
Verborgenheit auf 1 ) und halten den Enthusiasten, die das „Heldenleben* 

l ) Der Wellmannsche Artikel gibt vielleicht den AnlaB, von neuem nach dem 
Verbleib dieser jedenfalls hochst interessanten Briefe Beethovens zu forschen. Vir 
publizieren ihn nicht zuletzt aus dem Grunde, die Offentlichkeit auf diese ver- 
schollenen Beethovenschen Schriftstucke hinzuweisen. Red. 



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WELLMANN: BEETHOVEN UND BREMEN 285 

und die „Sinfonia domestica" fur der Giiter hochstes erklaren, die An- 
sicht des groflen Meisters uber Programmusik vor Augen. 

In Bremen aber lieC man sich trotz des erniichternden Donnerschlages 
aus Wien nicht entmutigen. Immer eifriger betrieben Miiller und seine 
Freunde die Verkiindigung des neuen, musikalischen Heiles, immer weitere 
Kreise ergriff die Begeisterung fur den kuhnen Tondichter; und als Meth- 
fessel 1820 Beethoven in Hamburg zur Anerkennung verhalf, da waren 
die groDen Symphonieen in Bremen bereits Gemeingut der musikalisch 
Gebildeien geworden. 

Aus dem kleinen Korps der Stadtmusikanten, das erst vier, dann 
fiinf und sechs Mann zahlte und gewifi zunftmaGig schlecht und recht 
seine Streich- oder noch lieber seine Blech- und Holzmusik machte, hatte 
sich im Laufe der Jahrhunderte ein stattliches Orchester entwickelt, das 
an den Symphonieen von Stamitz, Haydn und Mozart zu hoher Leistungs- 
fahigkeit herangebildet wurde und unter einem tiichtigen Dirigenten den 
gewaltigen Schopfungen Beethovens vollig gewachsen war. Johann Heinrich 
Lowe, der seit 1805 die Leitung dieses Orchesters ubernommen hatte, war 
gewiB kein handwerksmaBiger Zunftler mehr wie fast alle seine Vorganger, 
aber er konnte sich doch nur schwer in die neue, eigenartige Tonsprache 
finden, in der jener Priester des Schonen zu der aufhorchenden Welt redete; 
er setzte die Werke eines Andreas Romberg noch denen eines Beethoven 
gleich und ist erst allmahlich unter dem Einflusse Wilhelm Christian Mullers 
ein Bewunderer und Verkundiger der neuen Lehre geworden. Als er 1815 
wegen eines Augenubels seine Stellung aufgeben rouOte, folgte ihm aber 
in Karl Friedrich Ochernal ein Mann, der von Anfang an der Beethovenschen 
Musik ein voiles Verstandnis entgegenbrachte; und als zu derselben Zeit 
der als Komponist und Orgelvirtuose in ganz Deutschland ruhmlichst be- 
kannte Wilhelm Friedrich Riem Organist an der Domkirche wurde, standen 
dem unermudlich tatigen Dr. Miiller zwei Heifer zur Seite, wie er sie sich 
besser nicht wtinschen konnte. Diese drei Manner vollbrachten das groBe 
Werk, Beethoven aus der Abgeschlossenheit der Privatkreise heraus dem 
groQen Publikum nicht nur zuzufuhren — das hatte auch Lowe schon 
getan — sondern ihn auch den Bremern verstandlich und damit lieb und 
wert zu machen. Und von der Zeit an ist er den Bremern lieb und wert 
jgeblieben bis auf den heutigen Tag, wo ein Panzner und Wendel ihn uns 
in verklar tester Gestalt darzustellen verstanden. Das Marchen von den 
Bremer Stadtmusikanten aber mit seinen hohnischen Anspielungen auf die 
iraurigen Zustande in der Hansestadt trifft heute unsere Musik nicht 
mehr; das verdanken wir dem Genius des groDen Meisters und seinen 
Bremer Freunden, vor allem dem Dr. Wilhelm Christian Miiller. 



£ 1 



Original from 
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FRANZ WITT 

EIN GEDENKBLATT ZU SEINEM 25. TODESTAGE (2. DEZEMBER 1888) 
VON JOH. H. HATZFELD IN SANDEBECK 



Dr. Franz Witt, ein groOer deutscher Meister* ist die Oberschrift einer Bro- 
schure Cyrill Kistlers. Wir werden viellcicht fiber den hocbzielenden 
Titel zu lacheln versucht sein, vielleicht aber auch des Lessingschen 
Wortes uns nachdenklich erinnern, dafi einige beruhmt sind, andere es ver- 
dienen zu sein. Es soil bier weder fur das eine noch fur das andere gestritten werden. 
Witt ist aucb ohnedem einer derjenigen, die ihren Platz in der Gescbicbte baben. 

Man kennt Witt — kennt ihn vielleicht auch nicht — als den Restaurator der 
Kirchenmusik und Grunder des Gdcilienvereins fur alle Lander deutscher Zunge. 
Nach vielen Predigern in der Wuste war er es, der dieser Aufgabe mit Taten zu Leibe 
ging, und das mit einer Zahigkeit und Energie, die ibm neben seinen Erfolgen auch 
viele Feinde schuf und ihm selbst in unseren Tagen noch eifrige Gegner wach erhalt. 
Der Beruf eines Erneuerers ist bei keiner der gelehrten Zunfte akkreditiert; 
man kann sich darum auch nicht durch abgelegte Examina sozusagen staatlich dafur 
abstempeln lassen. Man muB einfach in ihn hineinwachsen. Das bringt dann etwas 
von einem Selfmademan mit sicb, einer Sorte Leute, die bekanntlich nicht bloli in 
Amerika wachsen, in Europa freilich immer rarer werden. Witt macht da keine 
Ausnahme. Gewifi ist er aus Regensburg hervorgegangen, hat von Schrems und 
Proske gelernt, aber man erhalt noch lange nicht Witt, wenn man jene drei addiert. 
Als im Jahre 1865 seine Broschure erschien „Der Zustand der katholiscben Kirchen- 
musik, zunichst in Altbayern", da klang schon das Zwingende und Imponierende 
dessen durch, der auf eigenen Pfaden zur Erkenntnis gekommen war. Und es ist 
bezeichnend genug, dafi er sein Program m, mit dem er im Jahre 1867 an die Spitze 
des von ihm gegrundeten Vereins trat, nie einer Korrektur zu unterwerfen genotigt war. 
Was er erstrebte, war: „Wiirdiger Gottesdienst! Erbauung, Veredelung, Erziehung 
des Volkes durch ernste, weihevolle Musik bis ins kleinste Dorf hinab!" Dazu sollte 
seine Organisation dienen, dazu grundete er seine Blatter („Fliegende Blatter fur Kirchen- 
musik** und „Musica sacra"), von denen er, Shnlich Chrysander, ganze Jahrgange allein 
schrieb, dazu suchte er auf zahlreichen Wanderfahrten, Kursen usw. mit dem zundenden 
Feuer seiner Rede zu begeistern, dazu fuhrte er eine Korrespondenz von etwa 
2000 Brie fen jahrlich, in seiner nervosen Beweglichkeit und seiner ungeheuren 
Arbeitskraft unwillkurlich an Wagner erinnernd. 

Es war Zeit, daB einer kam wie er. Die Opernkomponisten scbrieben zwar 
noch — fast mdchte man sagen aus alter Gewohnheit — in religidsen Szenen eine 
religios gefarbte Musik, die Kirchenmusiker aber „revanchierten" sicb dadurcb, daB 
sie die Opernmanier, und zwar nicht die der geistlichen Szenen, in ihre Messen 
und Offertorien herubernahmen. Man lese die sog. „Tonbilder a in Witts BISttem. 
Eine asthetische Farbenblindbeit, wunderlich und Srgerlich zugleich. Witt stach ihr 
den Star mit der ihm eigenen, bei derlei Operationen auch einzig empfehlenswerten 
Raschheit und Entschiedenheit. Und damit — war der Kampf eroffnet. Witt fuhrte 
ihn scharf in der Form, aber peinlichst loyal und, was das meiste besagen will, 
wirksam — die schnelle Ausbreitung seiner Organisation beweist das. Sein unglaub- 
liches GedSchtnis, das allein, abgesehen von dem „Alten", an 300 Messen und eben- 
soviel Motetten, Vespern usw. damals bekannter Komponisten fast parti turgetreu fest- 
hielt, war ihm dabei eine unschatzbare Stutze. Es produzierte mit Sicherheit fur jede 
Behauptung wenigstens ein Beispiel. Sein Stil war dabei klar, prazis, von einer 
eigentumlichen Eleganz, beweislosen Phrasen abhold. Trotzdem, es ware gegen alles 



rv . , ( \>ooLf Original from 

I i:u j,u:j :», v 1 1 n ) , I i UNIVERSITY OF MICHIGAN 



HATZFELD: FRANZ WITT 287 

Herkommen gewesen, batte man ihn gleich verstanden. Ganz davon abgesehen, daQ 
man auf vielen Choren die „Personalien wahren" muQte, war da das banale Hindernis, 
daQ eben viele nicht aus ihrer Haut heraus konnten. Weniger Streit gab's urn den 
gregorianischen Choral, fur den Witt erneute Pflege verlangte. Um so mehr dafur urn 
die Frage, was von der brSuchlichen Produktion unkirchlich und was an seine Stelle zu 
setzen sei. Weil Witt das meiste verwarf und auf die Alten als Vorbilder hinwies, 
schalt man ihn einen Reaktionar. Ach nein, reaktion&r war diese Feuerseele nicht. 
„Wir gehen zuruck bis da, wo wir eine unzweifelhaft kirchliche Musik treffen und 
von da — wieder vorwarts". So war's gemeint. Und so hat er's auch gleich aus- 
gesprochen. Schon anno 1865. „Ich bin nicht ausschlieQlich fur die Art und 
Weise der Alten. . . . Sollen wir Palestrina kopieren? Das sei feme! . . . Das 
Original ist uns lieber als die Kopie. . . . Das hochste Lob fur einen Kirchen- 
komponisten wird es sein, wenn man von ihm sagen kann, in seinen Werken wehe 
Palestrinas Geist, und doch habe derselbe Geist einen ganz anderen, nicht 
palestrinischen, nicht mehr veralteten, sondern lebensfrischen und zeit- 
ge ma lien Ausdruck gefunden." (In Oberhoffers CScilia IV, S. 1.) Und ebenda: .nicht als 
wenn im tonus jonicus oder aeolicus die Frommigkeit saQe, der Geist ist's, der lebendig 
macht". „Also der Ausdruck ist das Entscheidende, nicht die Form, mithin nicht die 
Tonart, nicht das Chroma u. a." (Musica sacra 1880, S. 5.) Als wahrer Fortschrittler 
wollte er nicht bloG fiber Palestrina, auch fiber Haydn usw. hinaus. DaQ er dazu auch 
die Mangel der Alten betonte, schuf ihm obendrein eine Gegenstromung im eigenen 
Verein, die ihre stSrkste Stutze merkwurdigerweise im demokratisch-fortschrittlichen 
Rheinlande hatte. DaQ Witt die kirchliche Instrumentalmusik ha*tte verdrangen wollen 
— auch eine Version, die noch umlauft — widerlegt sich einfach dadurch, daQ er 
selber solche geschrieben hat. Uberhaupt war Witt ein starkes kompositorisches 
Talent. Konnte es nicht ausbleiben, daQ im Zwange des Bedurfnisses manch un~ 
gleichmaQiges mit unterlief, so bin ich doch uberzeugt, daQ eine Reihe seiner Werke 
wieder zu hoheren Enren kommen werden, als man ihnen derzeit zubilligt. Un- 
bestritten bewundert wurde das Direktionstalent Witts. Kistler sagt, daQ es ihn hin- 
gerissen habe. Liszt sprach sich Shnlich aus. Wenn man nun noch hinzufugt, daQ 
der vielbeschaftigte Mann noch Zeit fand, die Scuola gregoriana, eine Hochschule fur 
Kirchenmusik, in Rom einzurichten und zu erhalten und dazu noch die Arbeit der 
Eitner usw. durch eigene Forschungen zu unterstutzen, so hat man wenigstens im 
UmriQ ein Bild seines Interessengebietes, zu dem bei allem auch die Seelsorge noch 
geborte. Neben Liszts durfte Witt auch Wagners Freundschaft sich erfreuen, der in 
ihm eine verwandte Seele fuhlte. Ehe Wagners Bearbeitung des Stabat mater von 
Palestrina 1 ) in Druck gegeben wurde, lag sie Witt zur Durchsicht vor, der sie nachher 
auch mit einer sehr warmen Empfehlung in den Cacilienvereinskatalog aufnahm 
(naheres w Musica sacra" 1913, S. 129—131). Von Wagners Werken durfte er 1877 
sagen, daQ ihm ^Lohengrin", „RheingoId a und die „Walkure* so geliufig seien, als 
die „Missa Papae Marcelli". 

Fruh stellte sich bei dem allzu arbeitsfreudigen Manne ein nervoses Leiden ein, 
das seinem Leben mit 54 Jahren ein Ziel setzte. w Das Grab aber schloQ sich 4 *, so 
schrieb damals das „Munchener Fremdenblatt", B uber der irdischen Hulle eines Mannes, 
der mit machtiger Hand in einen Zweig der Kirchenkunst und Kulturgeschichte ein- 
gegriffen und diesseits und jenseits des Meeres eine Bewegung hervorgerufen hat, 
die mSchtig und berechtigt genug ist, um nicht, wenn zwei Augen brachen, am Ende 
zu sein." 



2 ) Siehe daruber w Die Musik" IV, 2, S. 231—237 



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nj:i yy v iiK jj^jv UNIVERSITY OF MICHIGAN 



ERGANZUNGEN und berichtigungen zu 

WOTQUENNFS THEMATISCHEM VERZEICH- 
NIS DER GLUCKSCHEN WERKE 

VON DR. MAX AREND IN DRESDEN 



1. Von Clucks kleinem dramatischen Pastorale „La Danza* (Text von 
Metastasio) ist die Partitur erhalten und war schon Anton Schmid bekannt. Dagegen 
wird das Textbuch von Wotquenne als unaufgefunden bezeichnet. Ich babe es in der 
Dresdener Hofbibliothek mit Hilfe des Zettelkatalogs entdeckt. Die Signatur ist 
w Lit. Ital. D 360 tt . Der genaue Titel lautet — die Zeilen durch | angedeutet — : La 
Danza. | Componimento | Drammatico pastorale | a due voci | cbe serve 
d'introduzione | ad un ballo. | Cantato in Laxemburg | alia presenza | delle | 
Maesta | Loro Imperiali | e Reali. | Vienna | Nella Stamparia di G. L. N. de 
Ghelen. | L' Anno MDCCLV. Dann finden sich die Angaben der Ausfuhrenden, 
wie sie Wotquenne angibt. Sehr intercssant aber und ein vollstandiges Novum ist 
die Angabe iiber das folgende Ballet: 

Ballano 

Le Signore: Joffroj Cam pi 

Bianchi Schraetter 

Veiskern Grummanin 

Li Signori: Angiolino Bodin 

Mecour Cascione 

Gobert Gregoire 

Gajer Checco 

La musica del ballo & del Signore Giuseppe Starzer. 

Wir erfabren also hier, daB Josef Starzer, der bekannte Balletkomponist, der 
1787, ziemlich gleichzeitig mit Cluck, starb, das folgende Ballet komponiert bat. Da- 
mit fillt die von Wotquenne ausgesprochene Ansicht (Seite 220 des Tbematischen 
Verzeichnisses), daB Clucks Ballet-Pantomime Alessandro w der kleinen Oper ,La 
Danza 4 als Ergfinzung dienen" sollte. Schmid erzShlt uns ausdrucklich, daQ „La 
Danza" mit demselben folgenden Ballet kurz darauf in Wien wiederholt worden 
sei, also mit dem Starzerschen Ballet. Das Textbuch enthalt fiber die durch das 
Ballet auszudruckende Handlung keine Angaben, schlieBt vielmehr mit den Worten 
der „ Danza" ab. 

Bei dieser Gelegenheit bitte ich, im Namen der „Gluck-Gemeinde", alle 
Freunde Glucks, auf den bibliotheken ihres Wohnsitzes die Zettelkataloge der ita- 
lienischen und franzosischen Literaturen auf Glucksche Operntexte bin nachzusehen 
und etwaige Mitteilungen an die „Gluck-Gemeinde M zu senden. Hdchstwahrscbeinlich 
sind noch eine Reihe der bisher nicht aufgefundenen Textbucher erhalten — man 
vergleiche dazu Wotquenne's Thematisches Verzeichnis — und konnen uns mehr 
oder minder wichtige biographische und sonstige Notizen vermitteln. Ich bin namens 
der „Gluck-Gemeinde a fur jede Mitteilung eines solchen Fundes im voraus dankbar 
und gebe hier meine Adresse zu diesem Zweck: Mathtldenstrafie 46 in Dresden. 

2. Wotquenne erwShnt Seite 220 seines thematischen Katalogs einen einzelnen 
Marsch von Gluck, den er nicht unterbringen kann. Dieser Marsch laQt sich jedoch 
mit einer an GewiBheit angrenzenden Wahrscbeinlichkeit als Beginn der funfren 
Szene des ersten Aktes von „Demofoonte" (Mailand 1743) einreihen. Von w Demo- 



( H nno | r Original from 

j-i i,-ul: :;.y vnn^iL UNIVERSITY OF MICHIGAN 



AREND: ERGANZUNGEN ZU WOTQUENNE'S GLUCK-VERZEICHNIS 289 

foonte* ist uns nicht die Partitur erhalten. Wohl aber das Textbuch und als 
Bruchstucke die einzelnen Nummcrn der Partitur, vielleicht mit Ausnahme der 
Ouverture. Ich sage vielleicht, denn es ist nicht unwahrscheinlich, daB die Ouverture 
sich unter den einzelnen neun Ouverturen befindet, die uns erhalten sind. Man 
kann sich daher die Partitur mit Hilfe des Textbuches zusammenstellen. Nun finden 
wir in der vierten Szene des ersten Aktes den Timante allein, der eine Arie singt 
und dann abgeht, so daB die Buhne leer ist. Fur die funfte Szene gibt der Dichter 
folgende Regievorschrift: „Porto di mare festivamente adornato per V arrivo della 
Principessa di Frigia. Vista di molte navi, della piu magniflca delle quali al suono 
di varij stromenti barbari, preceduti da numeroso corteggio, sbarcano a terra.* Dann 
tritt Creusa und Cherinto auf. Creusa singt: 

Ma che t' afPana, o Prence? 

Perch £ mesto cosl? 
Nach dem Abgang des Timante finden wir in anderen Kompositionen des 
Metastasio'schen Textes regelmafiig einen Marsch. Ich habe u. a. die be id en Hasse- 
schen Opern „Demofoonte a , deren Partituren sich hier in Dresden befinden, daraufhin 
nachgepruft. AuBerdem liegt die zwingende Notwendigkeit, daB hier ein festlicher 
Marsch erklingt, in der dramatischen Situation. Wotquenne schlieBt selbst aus dem 
Sttl, dafi der „Marsch* „vermutlich einem Werke aus Glucks erster Periode" an- 
gehore. Hinzu kommt, daB er sich, ebenso wie die meisten Fragmente des Gluckschen 
„ Demo foonte", in der Pariser Konservatoriumsbibliothek findet. Die UmstSnde zu- 
sammengenommen, wird man diesen Marsch ohne Bedenken der Partitur des 
„Demofoonte tt einreihen konnen. 

3. Bei dieser Gelegenheit will ich auf ein kleines, auch von Liebeskind an- 
scheinend ubersehenes Versehen Wotquenne's, auf das mich Riemann aufmerksam 
machte, hinweisen. Die siebente, von Gluck nicht im Druck herausgegebene Trio- 
sonate in E dur befindet sich nSmlich nach Angabe Riemanns, die ich nicht nach- 
gepruft habe, handschriftlich in der Berliner Kgl. Bibliothek, nicht in Dresden. 
Bekanntlich hat Riemann im Collegium musicum alle sieben Gluckschen Triosonaten 
mit ausgearbeiteten Cembalo-Stimmen im Druck herausgegeben, so daB die Wichtigkeit 
des Fundortes der Handschrift jetzt wesentlich geringer ist als vorher, keineswegs 
aber aufgehoben ist. 



XIII. 5. 19 



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REVUE DER REVUEEN 



Aus deutschen Musikzeitschriften 

SIGNALE FUR DIE MUSIKALISCHE WELT (Berlin), 71. Jahrgang, No. 40 bis 45 
(1. Oktober bis 5. November 1913). — No. 40. „Das Konzertubel". Von August 
Spanuth. „. . . Man leite den Strom einer ehrlichen Entrustung fiber die Konzert- 
misere in das richtige Bett; man erschwere das Konzertieren jedem, der nicht aus- 
reichend dazu veranlagt ist. Die Trotzkopfe, die von ihrem Vorhaben nicht abzu- 
bringen sind und sich durchaus in Berlin eine legitimierende Kritik holen wollen, 
kdnnen viellcicht durch Totschweigen kuriert werden . . . Wenn sich alle Zeitungen 
zu diesem Prinzip bekennen wurden, durfte man ein merkbares Abflauen uberflussiger 
Konzerte schon bald erwarten." „Die Konzertdirektionen und Agenturen mSgen zwar 
keine tadellosen Institute sein, aber ehe man ihnen kurzweg den Hals umdreht, trage 
man Sorge, daB nichts Schlimmeres an ihre Stelle tritt. Soil es sich aber urn ein all- 
gemeines groBes Reinmachen im Musikgeschaft handeln, dann muQten auch noch 
manche andere Untersuchungen angestellt werden. Die Prozente der Konzert- 
direktionen mogen hoch sein, aber wenn es nun Konservatoriumsdirektoren geben 
sollte, die ihren Lehrern noch weit hohere Prozente des Schulerhonorars abnehmen? 
Und bei ihnen ware das noch gravierender, weil sie doch nicht wie die Agenten 
bloBe Geschaftsleute sein, sondern als Pfidagogen eine Rolle spielen wollen." — 
„Zu Siloti's metrischer Auslegung des Scherzos in Beethovens Siebenter". Er- 
widerung von Max Steinitzer. „. ..Niemals. . . kann derfunfte Takt des Stuckes... 
zur schweren ZShlzeit werden; das nahme dem ganzen Thema das Beflugelte." 
— No. 41. „ Verdi, der Begrunder der modernen Spieloper a . Von Felix Wein- 
gartner. „ . . . Auch unsere moderne komische Oper krankt wie so vieles andere 
an Wagner. Die ,Meistersinger' sind Wagners schonstes Werk, ja ein Wunder- 
werk schlechthin. Aber ihr schwerer, den verbramten Prunkgewandern der Nurn- 
berger Patrizier vergleichbarer Stil pafit nur fur sie, fur sie ganz allein, und erdruckt 
jeden leichteren Stoff. Das ist dieses Werkes hoher Vorzug und sein schwerer 
Nachteil fur alle, die ihm zu nahe kommen wollen. Unsere komische Oper hat 
sich teils vom Einflufi der ,Meistersinger* nicht genugend frei gemacht, teiis lieb- 
augelt sie mit der Operette oder wurstelt mit einer Art von raffinierter Bauern- 
schlauheit beide Stile durcheinander. Den Stil des ,Falstaff' mochte ich, ohne 
ihn damit ergrunden zu kdnnen, kurz folgendermaBen charakterisieren: Innigste 
Durchdringung von Wort und Ton ohne polyphone Uberladung. Dies 
sei das Prinzip einer modernen komischen Oper! Das Leitmotiv im Wagnerschen 
Sinn ist damit von vornherein ausgeschlossen oder zum mindesten auf den 
Charakter eines Erinnerungsmotivs, wie es die alten Meister und auch Verdi selbst 
anwenden, beschrankt; die Forderung nach melodischem und thematiscbem Reich- 
turn, der die leitmotivische Schnitzelpolyphonie von selbst verdrSngt, ist gestellt. 
Mit der Erfullung dieser* Forderung ware aber selbst einer Nachahmung des 
,Falstaff*-Stiles der eigene Wert gewahrt . . .* — n Verdi und Goethe*. Von Friedrich 
Spiro. „. . . Viermal hat sich Verdi mit grofiem Eifer und wechselndem Erfolg 
an Theaterstucken Schillers versucht . . .; sehr viel weniger bekannt, aber zum 
mindesten ebenso beachtenswert, ja wegen des schonen Resultates und der bei 
ihm singularen Form noch hubscher ist es, daB er zwei Dichtungen Goethes 
komponiert hat ..." Es handelt sich um Gretchens Monologe „Meine Run* ist 
hin a und w Ach neige, du Schmerzensreiche", die in den in den funfziger Jahren 
erschienenen secbs „Romanze di Giuseppe Verdi" enthalten sind. „ . . . Beim ersten 



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REVUE DER REVUEEN 291 

hat Verdi unwillkurlich, aber bezeichnenderweise, dieselbe Tonart gewShlt wie 
Schubert: auf Andeutung des Spinnrades wie uberhaupt auf jede Tonmalerei hat 
er verzichtet, ohne jedoch die Klavierbegleitung monoton werden zu lassen, nur 
ist sie eben trotz manchen leisen Rhythmenwechsels ganz Begleitung, einfache 
harmonische Unterlage, weil alle Kraft, alles Leben, aller Ausdruck und alle 
Passion nach guter volkstumlicher Weise in die Melodie verlegt ist. Diese 
Melodie, in alien sechs Romanzen uppig, warm und von edler Naturlichkeit, frei 
von alien Schreieffekten, erhebt sich in den beiden Gretchen-Monologen zu auBer- 
ordentlicher Hohe; die Szene vor der Mater dolorosa hat in der veroffentlichten 
Musik zu ihr schwerlich ihresgleichen . . . a — Das Heft enthUlt ferner noch: 
„Zwei Briefe Verdi's", „Verdi und die Wiener Kritik" (Glossen zur Entwickelungs- 
geschichte der modernen Oper) von Ferdinand Scherber und „Zur Verdi-Kritik" 
von August Spanuth. „ . . . Mit Recht ruhen die Wurzeln der Kraft, die einen 
schaffenden Kunstler emporwachsen 13Bt, im nationalen Boden; schieBt der Baum 
aber sehr hoch empor, und halten ihn keine auBerlichen Hindernisse davon ab, 
so mag er mit einer Krone m&chtiger Zweige auch uber das einheimische Gebiet 
noch hinauswachsen. Der kultivierten Nachbarn angenehme Pflicht ist es dann, 
die Frucbte, die er auch auf ihr Gebiet fallen laBt, willkommen zu heiBen, nicht 
aber, dem Baum durch Vorurteile und Enge der Begriffe Licht und Luft zu ver- 
bauen. So mSchtig und groB emporzuwachsen aber, daB er die ganze Kulturwelt 
unter seine Zweige bringt, ist freilich nur ganz wenigen beschieden gewesen. 
Verdi zfihlt nicht zu diesen seltensten Ausnahmen, er gehort nicht in die Klasse 
Goethes oder Beethovens; aber er war doch so bedeutend, daB es sich lohnt, 
ihn von innen heraus zu verstehen, nicht bloB ihm mit dem Ohr zuzuhdren . . ." 

— No. 42. „Das Wiener KonzerthausV Von — rb — w . . . Jedenfalls ist mit dem 
Bau des Konzerthauses und der Akademie eine wirkliche Tat vollbracht worden, 
die schon als solche hohe Anerkennung verdient. Denn bier, wo noch immer 
das dolce far niente des sorglosen Sudlanders in leisen Melodieen durch die 
StraBen rauscht, gibt es oft die ungeahntesten und kleinsten Hindernisse, die die 
groBte Tat zum Straucheln bringen. Mogen sich keine Parteien um das Konzert- 
haus bilden, und moge nur gute Musik darin gemacht werden!** — No. 43. .,Ein 
unbekannter Symphoniesatz von Anton Bruckner". Von C. Hynais. Behandelt 
den zweiten Satz (Andante molto, Es-dur) von Bruckners allererster, in Linz im 
Jahre 1862 vollendeter Symphonic — No. 44. „Genesius, nicht Gewesius". Von 
August Spanuth. „. . . Alles in allem: eine Arbeit, die wirklich nicht den 
Spott, sondern die grundlichste Beachtung der musikalischen Welt verdiente . . ." 

— No. 45. w ,Sprachsch6nheiten* in klassischen Opern". Von Ernst Heine- 
mann. Verfasser macht VorscblSge zur Abschwachung von offenbaren Text- 
verstoBen und sprachlichen Geschmacklosigkeiten bei Mozart und Beethoven. 

ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG (Berlin), 40.Jahrgang, No. 16 bis 20 (18. April 
bis 16. Mai 1913). — No. 16. „Ist Musik Luxus?" Eine Betrachtung von Arthur 
Schlegel. Verfasser verneint die Frage: „. . . sie ist eine Notwendigkeit, wie 
ja schon viele erkannt haben, aber mitunter gerade maBgebende Kreise nicht." — 
„Richard Wagner und sein Kollege ReiBiger." Mit unveroffentlichten Briefen 
Reifiigers und Protokollen uber Richard Wagner und anderem Material. Von Johannes 
Reichelt. „. . . Zwei bisher unveroffentlichte Briefe an den gefeierten Kom- 
ponisten Flotow und an den Verleger Bohme (C. F. Peters) in Leipzig geben daruber 
AufschluB, wie geringschatzend ReiBiger uber Richard Wagners Musik sprach, wenn 
er wuBte, daB es nicht zu Wagners Ohren kam; ebenso ein bekannter Brief 
ReiBigers an den Generaldirektor v. Luttichau, der schlieBlich auch seine Ab- 

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292 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 

setzung als Kapellmeister der Dresdener Hofoper herbeifuhrte . . . Nachfolgendes 
authentische Material fiber Wagners Kollegen ReiBiger durfte in Richard Wagners 
Verbalten zu ReiBiger Licht bringen ..." — No. 17. Festnummer aus AnlaB der 
in Berlin stattfindenden Bach-Beethoven-Brahms-Festwoche. w BerIin^ als Musik- 
feststadt." Von Paul Schwers. Dafl sich die Berliner Musikfeste „zu einem 
stSndigen und kunstlerisch unentbehrlichen Faktor des Berliner Musiklebens heraus- 
bilden mogen, das ist der Wunscb, den ich der ersten Musikfestwoche mit auf den 
Weg geben mochte . . ." — „Bach-Beethoven-Brahms-Autographen in der Berliner 
Koniglichen Bibliothek." Von Hermann Springer. — „Beethoven in Berlin." 
Von Adolf Wei Urn an n. „. . . Wohl nirgends dningt sich die Vernunft vor wie bier, 
nirgends wie hier sucht man sich, bevor etwas gefailt, Rechenschaft daruber zu 
geben, ob und warum es gefallen durfe. Berlin ist nicht sprode nur aus Bequem- 
lichkeit, sondern weil es voll ist von denkenden und moralischen Menschen. So 
war es bis vor einigen Dezennien, bevor noch die Nervositat der Weltstadt der 
Vernunft einen Streich spielte. Man nennt diesen Mangel an Schwungkraft ein 
Symptom unkunstlerischen Wesens. Und doch lebt in den Menschen dieser Stadt 
eine tiefe Neigung zur Musik. Sie wird als Bildungsmittel geschatzt, man freut 
sich ihrer, man weiht ihr einen fast gottesdienstlichen Kultus. Was man also ehrt, 
daran will man nicht rutteln lassen. Und bemerkten wir . . . miBf&llig den storenden 
EinfluB der Vernunft, die Treue gegen ererbie und erkannte Werte, die Herzens- 
sache ist, durfen wir nicht unterschatzen: Berlin verwehrt zwar dem Genie zu- 
nachst den Eintritt, aber es sorgt durch die Treue bestens fur seine Unsterblicb- 
keit. Der Fall Beethoven beweist es. a Verfasser legt die Beziehungen Beethovens 
zu Menschen und Musik Berlins dar und schlieBt: .. . . Ist nun nicht Wunder- 
voiles geschehen? Sind wir nicht Zeugen eines erhebenden Scbauspiels? Die 
staunenswert gesteigerten, verfeinerten musikalischen KrSfte der Weltstadt wissen 
nichts Hoheres, als sich wieder im Dienste jenes GroBen zu sammeln. Aus der 
Zersplitterung, aus der Nervenkunst flnden mude Seelen andachtiger denn je den 
Weg zu Beethoven. Auch der fortschrittliche erleuchtete Geist klammert sich an 
diese SSule, er kehrt sehnsuchtig zum Ausgangspunkt zuruck. Da ist das Kapitel 
von der Treue Berlins, der Beethovenstadt." — „Erinnerungen an das Berliner 
Musikleben vor 50Jahren." Von Otto LeBmann. „. . . In einer Hinsicht wenigstens 
unterschied sich das Musikleben von fruher von dem heutigen sehr zu seinem 
Vorteil: das musikalische Publikum durfte sicher sein, wenn es Konzerte besuchte, 
selbst von unberuhmten Kunstlern relativ genieBbare Leistungen zu horen. Die 
heute zu einer Kalamitfit gewordene Uberschwemmung der Konzertsale mit 
kunstlerisch unzulSnglichen Darbietungen kannte man nicht; wer offentlich sich 
h6ren lassen wollte, tat es denn doch mit einem gewissen Respekt vor dem offent- 
lichen Urteil. . ." — w Beethovens WeihekuB." Von La Mara. Ober den KuB, 
den Beethoven am 13. April 1823 Franz Liszt bei seinem zweiten Konzert im 
kleinen Wiener Redoutensaal auf die Stirne druckte. — „Goethe und Wagner." Von 
K. Woltereck. „. . . So ist versucht worden, nachzuweisen, daB Goethe und 
Wagner, die beiden grSBten Bildungsfaktoren unserer Zeit, in ihrem VerhSltnis 
von Leben und Dichten, in manchen Motiven ihrer dramatischen Dichtungen und 
in der Entwickelung als dramatische Dichter viele gemeinsame Zuge zeigen, die 
immer doch ganz ihre eigenen sind. Und auch im fiuBeren Rahmen ihres Lebens 
lassen sich noch manche zufallige, aber doch sonderbare Parallelen finden. . ." — 
„Vom Musikerlehrling zum Musikdirigenten." Von H. Kraus. Aus einer wurttem- 
bergischen Zinkenistenordnung vom Jahre 1721. — „C. M. von Webers erste 
Polemik." Von Willy Redhardt. Ober einen Streit Webers bei Gelegenheit der 



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REVUE DER REVUEEN 293 

Auffuhrung seines „Waldmadcbens" in Freiberg i. S. — „Aus den musikalischen 
Erinnerungen eines alten Tonkunstlers." Von Adolph Kohut. Mitteilungen aus 
dem NachlaB des sachsischen Pianisten Justus Dietz. — No. 18. „Zur Wiederein- 
fuhrung der Schnabelflote." Von Johannes Conze. „. . . Die Applikatur der 
Schnabelflote wurde genau der ublichen Flotenapplikatur entsprechen. Die gerade 
(senkrechte) Haltung wurde fur den Spieler sogar eine Erleichterung bedeuten. 
Die ganze Neuerung bestSnde also eigentlich nur im Aufsetzen eines Schnabel- 
mundstucks mit Sternspalte. Es durfte nicht schwierig sein, Fldten mit aus- 
wechselbaren Mundstucken (Schnabelmundstuck und Quermundstuck) zu konstruieren. 
Kleine Stimmungsdifferenzen muBten bei der Schnabelflote naturlich auf andere 
Weise beseitigt werden konnen als bei der Querflote. Welcher Instrumenten- 
bauer tritt mit der ersten modernen Schnabelflote hervor?" — No. 19. „Zwei 
akustische Studien." Von Fritz Vol bach. (SchluB in No. 20.) Vorabdruck aus 
des Verfassers Schrift „Die Instrumente unseres Orchesters." — „Unser Opern- 
spielplan." Von KarlStorck. (SchluB in No. 20.) w . . . Wir unterscbatzen unser 
Publikum. Es ist gar nicht wahr, daB dieses Publikum fur gute Musik, auch fur 
gute Neuheiten nicht zu baben ist. Man darf es ganz ruhig sagen, daB unser 
Theater jenes Publikum haben wird, das es haben will. Es ist da viel gesundigt 
worden, und die schwerste Sunde ist es, daB durch die bohen Preise fur Opern- 
vorstellungen weite Teile der Bevolkerung vom Besuch unserer Opernbauser 
ferngehalten werden. Hier hat die offentliche Tatigkeit zuerst einzusetzen. Aber 
so gut seinerzeit die ,Zauberflote' sofort popular werden konnte, so gut der ,Frei- 
schiitz' vom ganzen Volke mit Jubel aufgenommen wurde, so gut uberhaupt unser 
Volk von der Mitte des achtzehnten bis in die Mitte des neunzehnten Jahr- 
hunderts seine Lieblingslieder aus guten Opern und Singspielen genommen hat, 
so gut muB das auch heute noch gehen. Die Tatsache, daB dagegen alle neuen 
volkstumlichen Licder die elendesten Erzeugnisse der Schundoperettenliteratur 
sind, spricht Bande. Gebt dem Volke gute Nahrung, es wird mit Freude danach 
greifen !* 
NEUE ZE1TSCHRIFT FUR MUSIK (Leipzig), 80.Jahrgang, No. 26 und 27 (26. J uni 
und 3. Juli 1913). — No. 26. „Die zweite Speerszene. Eine unbekannte 
Szene im Rheingold". Zweite Jubiiaumsgabe von Moritz Wirth. — B M8ngel des 
Gesangsunterrichts". Von H.Walter. Ober die Unzuianglichkeit des theoretischen 
Gesangsunterrichts an den hoheren Schulen. — ff Vom Bayreuther Festspielzettel". 
Von Paul Bulow. „. . . Soviel ich weiB, ist wunderbarerweise bis jetzt uber 
die unSsthetische Form und besonders uber den dem kunstlerischen Zwecke 
ganzlich fernstehenden Inhalt des Theaterzettels der Bayreuther Festspiele nie 
etwas Rugendes geschrieben worden. Einen gleichen Eindruck wird aber jeder 
kunstlerisch empfindende Festspielbesucher erhalten, wenn er sich dieses ab- 
stoBende Reklameblatt von Theaterzettel betrachtet. . ." — No. 27. W E. T. A. Hoff- 
manns ,Undine' als ,Kunstwerk der Zukunft <a . Eine Jahrhundert-Erinnerung von 
Edgar Istel. „. . . , Undine* ist noch keine Erfullung, nur eine VerheiBung, aber 
eine VerheiBung von solch merkwurdiger Deutlichkeit, daB erst wir Heutigen den 
Weg erkennen konnen, den sie gezeigt. ,Undine' wies direkt auf das ,Kunstwerk 
der Zukunft*, auf Weber und Wagner bin. Beide haben von Hoffmann gelernt, 
besonders Weber praktisch, und zwar gerade an der , Undine*. Wagner, der die 
Oper wohl nie gekannt hat, ist jedoch aufs tiefste von ihren Prinzipien beeinfluBt, 
indirekt durch die Vermittelung Webers und direkt durch Hoffmanns Schriften, 
die er schon in derjugend leidenschaftlich las und selbst im hochsten Alter noch 
liebte. . .« Willy Renz 



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BESPRECHUNGEN 



BUCHER 

52. Walter Niemann : Die Musik seit 
Richard Wagner. Verlag : Schuster 
& Loeffler, Berlin und Leipzig 1913. 
(Mk. 5.—.) 

Man kann nicht immer ruhigen Blutes bleiben, 
wenn die Rede auf Richard Wagner und die 
moderne Musik in Kreisen kommt, die hier wie 
dort das Recht gepacbtet zu haben vermeinen, 
daft sie alles besser wissen als andere oder doch 
mindestens ebenso gut. „Greulichen Unsinn 
kramst du aus" mochte man mit Mime zitieren 
oder mit Siegfried „Gut waYs den Schlund dir 
zu schliefien, den Rachen reckst du zu weit." 
Aber schliefilich beruhigt man sich doch mit 
dem schwachen Trost, daft OberflSchlichkeit 
und halbes Wissen nie aus der Welt geschafft 
werden konnen. Aber eines muB man doch 
immer wieder wenigstens versuchen: die Leute 
aufzuklaren, daft manches sich doch anders 
verhait als einfacher Untertanenverstand sich 
trSumen ISfit, selbst wenn man nicht von eitel 
Hoffnung erfullt ist, dafi die Lehre auf frucht- 
baren Boden fallen wird. 

Fur einen der wertvollsten Behelfe, das 
musikliebende Publikum fiber den Zusammen- 
hang zwischen der Kunst Richard Wagners und 
der Kunst der Gegenwart sachkundig aufzu- 
klaren, halte ich das Buch Walter Niemanns 
uber „die Musik seit Richard Wagner". Ich 
schatze Niemann schon aus der Zeit, da mir 
als sein erstes Werk seine aufschlufireiche 
Studie tiber die abweichende Bedeutung der 
Ligaturen in der Mensuraltheorie der Zeit vor 
Johannes de Garlandia zukam, kenne ihn also 
nun gut ein Dutzendjahre und habe seit dieser 
Zeit an jeder seiner Veroffentlichungen meine 
aufrichtige Freude gehabt. Schon wegen der 
erquickend ehrlichen Gesinnung, die sich in 
ihnen aussprach. Er blieb sich treu, auch wenn 
er arg befehdet ward. Und nun liegt sein 
Reifstes vor uns, und ich darf ohne jede Ein- 
schrankung behaupten, daft es niemanden geben 
wird, der aus dem Buche nicht starke An- 
regungen mitnihme. Manches, was bisher sozu- 
sagen in der Luft bing, bringt Niemann auf die 
einfache Formel, ohne jedoch je in den trockenen 
lehrhaften Ton zu verfallen, dessen auch er satt 
ist. Und selbst dort, wo man anderer Meinung 
ist als Niemann, bedeutet das Eingehen auf 
seine Ansichten und die Auseinandersetzung 
mit diesen einen seltenen Genuft. 

Fur sein jungstes Buch will sich Niemann 
den Vorwurf des Subjektivismus gern gefallen 
lassen, denh ein objektives Urteilen gibt es 
nicht. Den Parteistandpunkt aber kennt es 
nicht. Es weist jede Sonderstellung, jedes 
musikalische Partei- und Cliquentum weit und 
nachdrucklichst von sich. Es will nur eines: 
unparteiische Gerechtigkeit. Jeder unbefangene 
Beurteiler wird Niemann unumwunden zuge- 
stehen, dafi sein Streben nach moglicbster Un- 
parteilichkeit von Erfolg gekront war. Manch- 
mal freilich habe ich die Empfindung, dafi Nie- 
mann in seinem geradezu fanatischen Eifer 
nach Wahrheit des Guten vielleicht doch etwas 
zu viel tut und im Leaser den Eindfiruck wacb- 
ruft, al^l *oJ>- 1 fB-f- = ^i^'/kl^iit <. 1 «9d|3iC|^^4i > (lirgert sei. 



So die Bemerkung auf Seite 88 uber Richard 
Straufi'aRosenkavalier" und „Ariadneauf Naxos", 
auf deren Wurdigung er nicht eingehen will, 
„denn auch ihren Sensationserfolgen haben die 
inneren und dauernden nicht standgehalten". 
Aber man wird rasch versohnt, wenn man an 
anderer Stelle wieder das viele Schone liest, 
das Niemann uber Strauft zu sagen weifi. 

Walter Niemann teilt seinen Stoflf in vier 
Bucher. Das erste ist der Romantik und dem 
Klassizismus gewidmet. Wagners Verhaltnis zur 
Romantik und Nachromantik erfahrt hier eine 
scharfe Beleuchtung. Es ware, meint Niemann, 
aufierordentlich ungerecht, die Schopfungen der 
Romantiker und Nachromantiker in Bausch und 
Bogen als ausschliefilicb genrehaft zu ver- 
dammen oder ihnen die Verantwortung dafur 
zuzuschieben, dafi so viele Halbmusiker oder 
Dilettanten sich auf die ihnen leicht zu erjagende 
Beute der kleinen Liedform stiirzten. Gerade 
Wagner selbst hat einem Lachner, einem Mendels- 
sohn und Schumann, einem Hiller mit der leiden- 
schaftlichen Einseitigkeit des ganz und gar von 
den eigenen Planen, Anschauungen und Reformen 
erfullten genialen und weit uberlegenen Kunst* 
lers die scharfsten und unverdientesten Zensuren 
erteilt. Und seine engere Gemeinde, voran die 
monomanen und orthodoxen Wagnerschen Dog- 
matiker und engherzigen Musiker wie der Schu- 
mannverSchter Josef Rubinstein, haben brav mit- 
geholfen, uns das Bild der Romantik und des 
Klassizismus arg verzerrt zu uberliefern. Mit 
Recht weist dann Niemann darauf bin, dafi 
gerade unsere Hausmusik, die man bemuht ist, 
vor der Operetten- und Tingeltangelmusik zu 
immunisieren, den Nachromantikern sehr dank- 
bar sein mufi. Ihre Klavierstucke, Lieder und 
Kammermusiken sind meist nicht so schwer, 
dafi sie ein tuchtiger Dilettant nicht bewaltigen 
konnte. lm Klavierspiel zu vier HInden, das 
ja heute schon fast ausgestorben scbeint, haben 
die Nachromantiker in den ungunstigsten Zeiten 
das reiche Erbe der Klassiker und Romantiker 
treu bewahrt. Gerade hier zeigt sichs', dafi ihre 
Zeit eine neue Blute der idealisierten Tanz- 
formen bedeutet. Ihrer Romantik entsprechen 
reizende Kleinarbeit und eine alien Stimmungen 
gewachsene seelische Vertiefung. Dieser Zu- 
wachs an Seelischem erstreckt sich bis auf die 
Etude. Aber je mehr die Nachromantik sich 
von der Zeit der Grofimeister uber Wagner und 
Liszt der Gegenwart nihert, desto deutlicher 
nimmt sie in _den Formen ihrer Werke die 
Zeichen der Ubergangszeit an. Die Formen 
schwanken, verbinden sich, stromen ineinander, 
alles strebt nach Entwicklung, nach Wachstum. 
Neben der Sonate steht die Suite und Serenade, 
neben der Variation der Zyklus mit poetischen 
Stimmungsbildern, neben der Symphonie die 
Sinfonietta. Die Symphonie nimmt Elemente der 
programmatischen symphonischen Dichtung an 
und verzichtet zuweilen auf das unbedingte Vor- 
recht der ViersStzigkeit und des genrehaften 
Charakters ihrer Mittelsatze. Das Lied zieht 
Elemente der dramatischen Kantate, das Genre- 
stuck Elemente der poetischen Programmusik 
herbei. Die einfache dreiteilige Liedform wird 
durch Sofll^ejijfT^nje^i^fen, die Tanzform durch 

^^^liYbfMar^ 6116 " undab - 



BESPRECHUNGEN (BOCHER) 



295 



gewandelt. Die Suite teilt sich immer deutlicher 
in eine unter EinfluB der immer gewaltigeren 
musikalischen Renaissancebewegung alter- 
tumelnde gebundene und in eine moderne. Der 
Ouverture tritt das Vorspiel, der symphonische 
Prolog zur Seite. 

Ungemein aufschlufireich ist, was der Ver- 
fasser im z we it en Buche uber den EinfluB 
Wagners auf das Opernschaffen der Gegenwart 
sagt, wie da die Wagnersche Phraseologie, die 
Wagnersche Formel rein SuBerlich nachgeahmt 
wurde, ohne daB die Nachtreter auch in Wagners 
Geiste geschaffen hStten. Leider verbietet es 
der Raum, aus der Fulle der Gedanken, die 
Niemann gerade zu diesem Thema vorbringt, 
aucb nur eine kleine Auslese zu bringen. Das 
Bucb uber die Neuromantik wird dem groBen 
Publikum vielleicht die meisten Aufscblusse 
bringen, zumai die jungere Generation mit den 
Werken Ricbard Wagners aufgewachsen ist und 
die moderne Opernproduktion miterlebt. 

Das dritteBucb behandelt die Moderne. Als 
die Grundelemente, die dem taglich schwanken- 
den und ewig wandelbaren Begriff der deutschen 
musikalischen Moderne unserer Zeit einige Be- 
stimmtheit und Festigkeit verleihen, erscheinen 
Niemann die langsame Umwandlung der ver- 
geistigten und verinnerlichten Seelen- und 
Herzenskunst zur verauBerlichten und artisti- 
schen Nerven-, Klang- und Stimmungskunst, die 
Tonmalerei, der Naturalismus und Realismus in 
der Klangcharakteristik, die Romantik und In- 
timitSt, die Wichtigkeit des umgebenden Milieus 
in Klima, Ort, Erziebung, Nation, Sitte, die 
nebeneinander herlaufenden Anschauungen von 
der Kunst fur alle und der Kunst fur Kenner. 
Ich kann es nicht unterlassen, an dieser Stelle 
besonders auf Niemanns feinsinnige Charakteri- 
sierungen modernerTonkunstler wie Regers oder 
Pfltzners hinzuweisen. 

Das vierte Buch ist der nationalen Musik und 
der musikalischen Heimatkunst gewidmet. Es 
ware zwar sehr verlockend, auch hier sich mit 
einzelnen Anschauungen des Autors nSber aus- 
einanderzusetzen, aber ich kann nur noch auf 
das Buch als Ganzes binweisen unddem Wunsche 
Ausdruck geben, dafl sich alle an der Musik 
interessierten Kreise, die Musiker von Beruf und 
die Laien, recht eingehend mit diesem prSch- 
tigen Buche beschaftigen. Es wird ihr Schade 
nicht sein. 

Zum Schlusse mochte ich noch anmerken, 
daB Leo Blecb kein Osterreicher ist, sondern 
1871 in Aachen geboren ward und nach musi- 
kalischen Studien bei Bargiel und Humperdinck 
in Berlin erst 1899 nach Prag gekommen ist, so 
daB man ihn nicht widerspruchslos wird zu den 
osterreicbischen Komponisten zahlen konnen. 

Dr. Ernst Rychnovsky 

53. Carl Siegmund Benedict: Richard 

Wagner, sein Leben in Briefen. Eine 

Auswabl aus den Briefen des Meisters mit 

biographischen Einleitungen. Verlag: Breit- 

kopf & HSrtel, Leipzig 1913. (Mk. 5.—.) 

Die Ausgaben der Wagnerschen Briefe, bis- 

her 17 Bfinde, sind alle in den Verlag von Breit- 

kopf & HaYtel ubergegangen. Damit ist die 

Grundlage fur eine kunftige kritische Gesamt- 

ausgabe geschaffen, die freilich noch in weiter 

Feme stent, da noch zahlreiche Briefe unzu- 

o 



ganglich sind und die bereits gedruckten einzelne 
Lucken aufweisen. Es war ein glucklicher Ge- 
danke, aus dieser Fulle von charakteristischen 
und inbaltsreichen Briefen eine biograpbische 
Auswahl zu treffen, wie auch Schillers und 
Goethes Leben auf Grund ihrer Briefe erzahlt 
wurde. Mitkurzen Einleitungen und Anmerkungen 
konnen die notigen Erganzungen beigefugt werden, 
so daB ein abgerundetes und vollstandiges Ge- 
samtbild sich ergibt. Benedict bat sich geschickt 
und taktvoll dieser dankbaren Aufgabe unter- 
zogen. Die Biographie in Briefen ist ein wert- 
volles Seitenstuck zur Autobiographic Hier 
waltet die Stimmung des Augenblicks, wShrend 
die Autobiographic eine wohlbedacbte Ruckschau 
auf die Vergangenheit darstellt, wobei manche 
Zuge verblassen und zurucktreten. Der Heraus- 
geber nahm nur solche Briefe auf, in denen 
„die ganze Seele des Meisters mit der ihm 
eigenen Wfirme und Leidenscbaft" sich aus- 
spricht. Also keine Mosaik aus Bruchstucken, 
sondern lauter vollstandige Urkunden, aus denen 
die voile Personlichkeit Wagners zu uns spricht. 
Das Buch gliedert sich in sechs Abschnitte: die 
Jugend-undWanderjahre(1813-42),dieDresdener 
Kapellmeisterzeit (1842 — 49), die Verbannung der 
Zuricher Zeit (1849-58), der Irrnis und der 
Leiden Pfade von Venedig bis Munchen (1858—64), 
Munchen und Tribschen (1864—72), Bayreuth 
(1872—83). Im ganzen sind 112 Briefe auf- 
genommen, die an Personen gerichtet sind, 
welche in Wagners Leben eine gewisse Be- 
deutung haben. Die Einleitungen sind wie die 
Anmerkungen absichtlich so kurz als moglich 
gehalten, um den unmittelbaren Eindruck der 
Briefe nicht zu storen. Auch die Anmerkungen 
beschrSnken sich auf knappe Angaben, etwa so, 
wie KloB im Briefwechsel zwischen Wagner 
und Liszt verfuhr. Was die auBere Gestalt des 
Buches betrifft, so hatte ich eine Unterscheidung 
der Einleitungen von den Briefen im Druck 
gewunscht; vor allem aber sollten die einzelnen 
Seiten durch Uberschriften dem Leser das Auf- 
suchen der einzelnen Briefe erleichtern. 

Uber die Wahl der Briefe kann man naturlich 
fur einzelne Ffille auch anderer Meinung sein. 
Mancher wird diesen oder jenen Brief vermissen. 
Auch die Adressaten erschopfen keineswegs den 
ganzen Freundes- oder Bekanntenkreis des 
Meisters und gewihren daher kein vollstandiges 
Bild von Wagners brieflichem Verkehr. Aber 
solche Einwinde verschwinden vor der uberaus 
gunstigen Gesamtwirkung des Buches, das vor- 
zuglich geeignet ist, anschaulich und lebendig 
in Wagners Leben und Wirken einzufuhren. 
Die Briefe sind immer die unmittelbarsten und 
wertvollsten biographischen Zeugnisse. Sie bieten 
aber auch hohen Ssthetischen GenuB, da Wagners 
Briefe von seltener Schonheit und kunstlerischer 
Wirkung sind. Sie verdienen vielfach den Vor- 
zug vor den Schriften und enthalten jedenfalls 
deren unentbehrliche Erganzung. 

Wolfgang Golther 
54. I riii a von HOpflingen-de Lyro: Re- 
naissance der Gesangs- und Sprech- 
kunst. Verlag: Wilbelm Braumuller, Wien 
und Leipzig 1913. (Mk. 5.—.) 
Ein leises, aber schwer niederzuzwingendes 
MiBtrauen ergriff mich, als ich den Titel dieses 
ziemlich korpulenten Buches (XX und 374 Seiten) 
Original from 



C 



UNIVERSITYOF MICHIGAN 



296 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



las. Nicht zuletzt gegen mich selbst, ob ich 
die Selbstverleugnung aufbringen wurde, micb 
da durcbzulesen. Nun ich damit fertig, gestehe 
ich gem, daft mein anfangliches MiBtrauen einer 
angenebmen Enttauschung Platz gemacht hat. 
Nicht als ob wir hier endlich das langst er- 
sehnte, den Gegenstand vollig meisternde Werk 
vor uns batten. Auch iaflt der Titel eine Er- 
fullung erwarten, wo uns der Inbalt selbst doch 
nur wieder mit einem pium desideratum ent- 
lafit. Ferner gehort das Buch vollstandig der 
mechanistischen Schule an, liest sich also fur 
einen uberzeugten Anhanger der Taylor'schen 
Theorieen nur mit leisem inneren Protest 
gegen den allgemeinen Standpunkt der Ver- 
fasserin. Wenn sie sich noch in einem 17. Kapitel 
uber den ausscblaggebenden Einfluft derNach- 
ahmung beim Tonbildungsunterricht und die 
Wichtigkeit der Erziehung des Ohres fur 
die G esangsqualitaten eines Tones etwas 
verbreitet hfitte, so hatte dies den Wert ihrer 
Ausfuhrungen erheblich gesteigert und sie ihrts 
rein mechanistischen Charakters entkleidet. 
Von diesen prinzipiellen Einw3nden abgesehen, 
enthSlt das (wie die Verfasserin selbst an eimgen 
Stellen einrfiumt) etwas redselige Buch eine 
Fulle richtiger, anscheinend auf Erfaruung be* 
ruhender Beobachtungen und darau* fo gerichtig 
entwickelter Lehren. Den Einfluft physiologischer 
und anatomischer Belehrung auf den Schuler 
scheint mir die Verfasserin zu ubersch&tzen. 
(Das Buch enth&lt naturlich den ublichen ana- 
tomischen Atlas, zusammengesetzt aus den un- 
vermeidlichen Tafeln aus Gutzmann, Gerber, 
Heitzmann usw.) Jede nicht ganz unbefangene 
Kenntnis dieser Dinge stort meines Erachtens 
den ruhigen, automatischen, nur durch das Ohr 
zu kontrollierenden Ablauf der Stimmen- 
funktionen. Im Anschluft an Bukofzer empfiehlt 
die Verfasserin (S. 160 und 357) das „italienische tt 
t (ein Mittelding zwischen dem harten t und 
dem weichen d der deutschen Sprache) als 
geeignetsten „Einsatzkonsonanten", da die Den- 
talis ihrer Benennung entsprechend hart hinter 
der oberen Zahnreibe gebildet werden, dem 
einzig richtigen Anschlagspunkt des Tones. 
Da es sich darum handelt, die Vokale moglichst 
weit „vorne a zu bildcn, ist jedoch ein Kon- 
sonant, der dem ersten Artikulationsgebiet 
(Gerber S. 347) angehort, vorzuziehen und als 
den geeignetsten „Ansatzkonsonanten a mochte 
ich in Obereinstimmung mit Muller-Sollner 
das leichte drucklose m bezeichnen. Wo das 
richtig gesummte m sitzt, muft auch der richtig 
gebildete Vokal sitzen. Was die Verfasserin 
uber die Textbehandlung sagt, hat durchaus 
Hand und Fuft und ihre Bemerkungen zur 
Hygiene der Singstimme bekunden, daft sie 
das Ergebnis vielfacher persSnlicher Erfahrungen 
sind. Recht dankenswert ist die Betonung von 
Reclams Rat, der den Berufssangern empfiehlt, 
an den Tagen, da sie nicht offentlich auftreten, 
zur Stunde ihrer gewohnten Produktion zu 
Hause Skalen zu uben, und den Schauspielern, 
Resonanzubungen zu machen, um die Leistungs- 
fahigkeit der Stimme zu einer bestimmten 
Stunde durch Angewohnung zu erhohen. Das 
ausfuhrliche Inhaltsverzeicbnis lafit zwar den 
Wunsch nach einem Sach- und Literaturregister 
nicht ganz verstummen, gibt aiber immerhin 

(V 



D '!!;]"':! 



einen ausreichenden Begriff von der Fulle des 
Stoffes, den die Verfasserin in angenehmem 
Wiener Deutsch anregend und unterhaltend 
zugleich behandelt. Dr. Fr. Stubenvoll 

MUSIKALIEN 

55. Desire P&que: Zehn Kompositionen 
fur Orgel. Werk 57. Verlag: N. Simrock, 
G. m. b. H., Berlin 1913. (2 Hefte zu je 
Mk. 3.-.) 

In der Orgelliteratur war der Name D£sir6 
Paque's bisher unbekannt. Die hier vorliegenden 
zehn kurzeren Stucke sind zwar zunachst fur 
den Konzertsaal gedacht, konnen aber mit Aus- 
wahl (z. B. Meditation et Pastorale, Pr61ude- 
Impromptu, Canon, Adagio, Trio) auch gut in 
der Kirche Verwendung finden. PSque's Musik 
tragt internationale Zuge, es sind darin Merk- 
male nordischer, deutscber und romaniscber 
Herkunft anzutreffen, in sehr personlicher Weise 
zu neuer Einheit verschmolzen. So resultiert 
ein eigenartig Neues, dem man sein Interesse 
nicht versagen kann. Es fehlt nicht an Stellen, 
die harmonisch kuhn gestaltet sind und uber- 
raschenden Gebrauch der Cbromatik aufweisen, 
so in der w Fugbette sur le nom Bach", Prelude, 
Adagio. Von wenigen etwas leichter wiegenden 
Takten abgesehen, herrscht fast uberall die 
Schonheitslinie vor und eine vornehmeAusdrucks- 
weise in untadeliger technischer Arbeit. Jeden- 
falls wird man nicht ohne Genuft zu diesen 
ubrigens beinahe durchweg leicht spielbaren 
Stucken greifen, die, durch geschmackvolle Re- 
gistrierung in ihrer Wirkung noch gehoben, ein 
Program m zu beleben gar wohl geeignet sind. 

56. Karl Hoyer: Einleitung, Variationen 
und Fuge uber den Choral .^Jerusalem, 
du hocbgebaute Stadt" fur Orgel. Ver- 
lag: F. E. C. Leuckart, Leipzig 1913. (Mk.2.50.) 

Angeregt durch Regers Cboralphantasieen 
hat es Hoyer verstanden, wohlgeformte und 
wirksam erfundene Musik von gewthltem Aus- 
drucke zu schreiben, die ehrlich und ohne 
chromatische Oberladung durchaus modern emp- 
funden, echt orgelmaftig und dabei nur von 
mittlerer Schwierigkeit sich von selbst ihren 
gebuhrenden Platz erringen wird. Sehr wirksam 
ist die mit grofter technischer Sicherheit auf- 
gebaute Schluftfuge mit Choral, deren Thema 
aus dem Choral selbst entwickelt ist. 

Dr. Ernst Schnorr von Carols fe Id 

57. Hermann (iiftdcncr: Erstes Liederheft. 
Verlag: W. Karczag & K. Wallner, Wien 
und Leipzig. (Mk. 3.—.) 

Diese Liedcr sind wohl eigentlich fur Ge- 
sang und Harfe geschrieben und als Ges&nge 
aitester Art gedacht, wobci die Begleitung nur 
auf wenige Wechselakkorde sich beschrankte. 
Ihr Wert liegt bauptsaehlich in der Singstimme, 
die durchaus vorherrscht und mit erfreulicber 
Frische der Erfindung ausgestattet ist. Es waltet 
geradezu ein volksliedaniger Zug in den Weisen 
Gradeners, was kein germges Lob bedeutet. Um 
so peinlicher fuhlt man sich von der Begleitung 
beruhrt, die uber die primitivsten gebrocbenen 
Harmonien nicht hinauskommt und durch deren 
unausgesetzte Verwendung ermudend wirkt und 
keine feinere Herausarbeitung zul&fit. Mag aucb 
Grade^er jdiesftpXliJettantische Form der Be* 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN) 



297 



gleitung mit Absicht gewShlt haben, um seinen 
Liedern den Charakter von rhapsodischen Im- 
provisationen zu verleihen, so ist er doch in der 
Durchfuhrung dieses Grundsatzes viel weiter 
gegangen als es beutzutage zul&ssig ist. Denn 
gerade wenn man mit Freuden die Tatsache be- 
grufit, dafl in letzter Zeit in der Liederkompo- 
sition wieder mehr Wert auf klare, sangbare 
Melodie gelegt wird, muB man doch fordern, 
dafi die wertvolle Bereicherung der Ausdrucks- 
mittel, die uns die letzten 25 Jahre gebracht 
baben, nicht vollstflndig auBer Acht gelassen 
werde. Wenn Gradener kunftig zu seiner mube- 
losen Erfindung noch eine gute, kunstreiche, 
wenn auch durcbaus nicht gekunstelte Klavier- 
begleitung fiigen wollte, wurde er sich selbst den 
besten Dienst erweisen und seinen weiteren Ar- 
beiten die aufmunterndste Anteilnahme sichern. 

58. D6sirc P&que: Sieben Lieder fur eine 
Singstimme und Klavier. Verlag: N. 
Simrock, G. m. b. H., Berlin und Leipzig. 
(Mk. 4.-.) 

Fur diese franzostschen Gesfinge, deren 
Texte in der Verdeutschung von Erna Gumpel 
noch prosaischer klingen als im Original, werden 
sich deutsche Musiker und Musiklernende kaum 
erwSrmen konnen, denn es liegt zu wenig Seele 
darin. Auch die musikalische Faktur ist wenig 
fesselnd. Die Melodie hat entweder etwas Leie- 
riges oder sie bleibt im DeclamS srecken, Stil- 
einbeit mangelt ebenso wie tieferes Empfinden. 
Relativ am besten ist meiner Meinung nach 
No. 6 „Der Abend* 4 , obwohl dabei die Oktaven- 
parallelen in ibrer hartnSckigen Beibehaltung so 
unschdn sind, daQ selbst ein von pedantischem 
Regelzwang freier Beurteiler daran Anstofi 
nebmen mufi. In der Harmonik sind die Lieder 
recbt uninteressant,dieallt§glicbstengebrochenen 
Akkorde werden zur Bewegung verwandt, und 
der Inhalt entspricht dieser SuBeren Form. Es 
hat wenig Sinn, derartige Erzeugnisse auf den 
uberfullten Markt zu werfen, wo so viele be- 
gabtereTonsetzer nicht zuWorte kommen konnen, 
weil ihnen die Beziehungen zu einem Verleger 
fehlen. F. A. GeiBler 

59. Joseph Pembaur d. J.: Marienlieder fur 

eine Sin gstimme und Klavier. Wunder- 
horn-Verlag, Munchen. (lV\k. 2. — .) 
Pembaur bemuht sich in diesen drei Liedern, 
einen kirchlichen Ton durch homophonen Satz 
und eigenartige, bisweilen zunachst fremd an- 
mutende Akkordverbindungen zu erzielen. Am 
besten gelungen erscheint mir „Ich sehe dich in 
tausend bildern*. In alien drei Liedern schwingt 
ein mystischer, religioser Unterton, der den Horer 
ergreift. 

60. Heinrich Kaspar Schmid: Funf Ge- 
dichte fur eine Singstimme und 
Klavier. op. 17. (Mk. 3.— .) — Kleine 
Lieder fur eine Singstimme und 
Klavier. op. 20. (Mk. 2.50.) Wunderhorn- 
Verlag, Munchen. 

Diese Lieder sind voll echter Lyrik. Die 
Singstimme bat dankbare Aufgaben, und in der 
stets feinsinnig durchgearbeiteten Begleitung 
ist kein Zuviel. Aus dem ersten Hefte hat 
mich besonders „Rotkehlchen a entzuckt. Alle 
Lieder aus opus 17 mussen im Konzertsaal von 
Erfolg sein, noch mcbr aber die. aus opus 2Q. 

o 



Das sind liebliche Gebilde von zartesten T6- 
nungen, die alle gleich meisterhaft gestaltet sind. 

Waiter Dahms 

61. Alberto Bachmann : Sonate pour Piano 
et Vio Ion. Verlag: Adolph Fiirstner, Berlin. 
(Mk. 4.-.) 

Von diesem Tonsetzer kannte ich bisher nur 
elegante, sehr violinmaBige Salonstucke. Diese 
aus vier knappen Satzen bestehende Sonate in 
d-moil stellt der Phantasie und dem Empfinden 
des Autors das beste Zeugnis aus; seine Ge- 
danken, die er in einer mitunter reichlich bril- 
lanten Form niedergelegt hat, sind keineswegs 
alltfiglich; namentlich gilt dies von dem ersten, 
auch rhythmisch recht interessanten Satze, dessen 
Hauptthema sofort gefangen nimmt. Im Scherzo 
steckt viel Esprit; der gesangvolle Mittelsatz, in 
dem durch Synkopierung der Melodie besonderer 
Reiz abgewonnen wird, bringt einen schSnen 
Gegensatz. Die einfache Melodik des Adagios, 
das am wenigsten darauf schlieBen lSBt, daQ der 
Komponist Pariser ist, ist gewinnend. Das be- 
sonders schwierige Finale ist fur eine Sonate zu 
konzertmaBig gehalten, wie denn uberhaupt die 
Anspruche an die Ausfuhrenden nicht gering 
sind. Fur offentliche Auffuhrungen mdchte ich 
diese Sonate besonders empfehlen. 

62. Heniot Levy; Sonate fur Pianoforte 
und Violine. op. 6. Verlag: Ries & Erler, 
Berlin. (Mk. 12.-.) 

Diese in streng klassischem Stil gehaltene 
viersStzige Sonate, die geubte und leistungs- 
fahige Ensemblespieler verlangt, verrSt entschie- 
den kompositorische Begabung; die Tbemen sind 
durchweg plastisch und sogar von einer gewissen 
Groftzugigkeit, doch neigt der Komponist zur 
Weitschweifigkeit. Viel Leidenschaft steckt in 
dem ersten Satz, der durch seine Rhythmik be- 
merkenswert ist, besonders das zweite Thema 
wird man lieb gewinnen. Warme Empfin- 
dung und Sinn fur einschmeichelnde und doch 
nicht weichliche Melodik lafit das Adagio er- 
kennen. Pikant und sehr ins Ohr fallend ist 
das Scherzo. Das Finale tragt mit Recht die 
Bezeichnung Allegro resoluto; das zweite Thema 
wirkt machtvoll. Es lohnt sich die BeschSf- 
tigung mit dieser Sonate, die ubrigens Leopold 
Godowsky gewidmet ist. 

63. Peter htojanovtts: Klavierqua rtett. 
op. 15. -- Klaviertrio. op. 16. Verlag: Fr. 
Kistner, Leipzig, (je Mk. 9.-.) 

Zweibeachtenswerte, nreit ausgefuhrte Werke, 
deren Melodik einen starken sudslawiscben Ein- 
schlag hat, mitunter also traumerisch-lieblich, 
ich sage nicht: sufilich-weichlich ist. WirkungN- 
voller und datum fur den Konzertgebrauch 
empfehlenswerter ist wohl das Quartett, dem 
grofier Schwung, Kraft und ein brillantes aufieres 
Gewand nachzuriihmen ist. Besonders gilt dies 
von den beiden EcksStzen. Viel Eigenart, auch 
in der Klangwirkung, steckt in dem Scherzo; 
der langsame Satz diirfte trotz groBer Feinheiten 
im einzelnen verhaitnismadig am wenigsren nach- 
haltig fesseln. Im Trio steckt viel Pathos, be- 
sonders im letzten Satz. Der erste, uberwiegend 
in langsamem Zeitrr.aB gehaltene ist von leiser 
Wehmut erfullt. Ein pikantes Scherzo und 
ein einschmeichelndes Intermezzo sind die 
MittelsStze. Der Komponist, der die musi- 
kalischen Formen ^^^w^f^^herrscht, be- 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



298 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



muht sich auch erfolgreich, seine Harmonik und 
Rhyttamik interessant zu gestalten. 

64. A. Kopylow: 3* me et 4*™ Quatuor pour 
2 Violons, Alto et Violoncelle. op. 32 
und 33. Verlag: J. H. Zimmermann, Leipzig. 
(Partitur je Mk. 2.—, Stimmen Mk. 9.—.) 

In meinem Artikel „Die Kammermusik der 
Russen tt (Die Musik Bd. 23) habe icta die beiden 
ersten Quartette Kopylow's bereits als hochst 
beachtenswert bezeichnet. Die beiden vorliegen- 
den, von denen das dritte in A-dur, das vierte 
in C-dur stent, verdienen nicht minder, von alien 
Quartettfreunden gekannt zu werden. Gewatm 
es schon eine Freude, die sorgfaltig gearbeiteten 
Partituren zu lesen, die von volligerBeherrscbung 
des Quartettstils der Klassiker Zeugnis ablegen 
und das wechselreicbe Spiel, das gegenseitige 
Sichablosen der einzelnen Instrumente aufs 
klarste erkennen lassen, so ist es noch schoner, 
wenn diese wirklich erklingen. Hier haben wir 
wieder einen Komponisten, der Schonheit der 
auBeren Form mit wirklicber Erfindung verbindet 
und in der Harmonik und Rhythmik eigenartig 
ist. In letzterer Hinsicht hat er eine Vorliebe 
daftir, im Dreivierteltakt zwei Takteinheiten wie 
drei des Zweivierteltakts zu behandeln. Es ist 
schwer zu sagen, welches der beiden Werke 
schoner und ansprechender ist. Opus 32 bringt 
im ersten Satz gleich eine ungemein frische 
Melodie, der dann ein geradezu bezauberndes 
Gesangsthema mit einer ostinaten chromatischen 
Begleitungsfigur folgt. Das Scherzo beschwort 
in seinem Hauptteil die Geister des Mendels- 
sohnschen „Sommernachtstraum a herauf, um im 
Mittelsatz ein sehr reizvolles echt russisches 
Zwischenspiel zu bieten. Der langsame Satz in 
Liedform beginnt choralartig in einfach frommer 
Weise, die durch eine Art Scherzo unterbrochen 
wird. Das rondoartige Finale wirkt vor allem 
durch die an einen derben Volkstanz gemannende 
urwuchsige Hauptmelodie. Opus 33 tragt im 
ersten sehr einfach und klar gehaltenen Satz, 
vor allem im Hauptthema, russischen Charakter. 
Eine Glanznummer fiir virtuose Ausfuhrung ist 
das Scherzo, das in seinem Hauptteil von einer 
Lebendigkeit und Frische sondergleichen ist und 
durch einen kurzen elegischen Zwischenteil 
unterbrochen wird. Wie ein richtiges Volkslied 
mutet trotz der feinen Arbeit der langsame Satz 
an. Das Finale beginnt sehr wuchtig, fast or- 
chestral, hat einen sieghaft trotzigen Zug in der 
Hauptsache; als Gegensatz erscheint ein un- 
gemein liebliches, dem Ohr sich einschmeicheln- 
des Thema. — Beide Werke konnen von Dilet- 
tanten bewaltigt werden. In deren Interesse 
bedaure ich, daB der Preis der Stimmen, die 
freilich hochst opulent gestochen sind, verhaltnis- 
maBig hoch ist. 

65. Ferdinand Kflchler: Praktische Violin- 

schule. Verlag: Hug & Co., Basel. (Mk.5.— .) 
Auf dem Titelblatt hatte vermerkt sein mussen, 
dafi diese naturlich auch Ubungsstiicke aus be- 
kannten alteren Violinschulen (vor allem der 
Hubert Riesschen) enthaltende Schule die 
zweite umgearbeitete Auflage eines 1910 er- 
schienenen Werkes ist. In dieser neuen Auflage 
bekennt sich der Verfasser durchaus zu den von 
Dr. F. A. Steinhausen in seinem bekannten 
Werke „Die Physiologie der Bogenfuhrung auf 
den Streichinstrumenten a ^ewonnenen Resultaten, 



vor allem erklart auch er die fruher fast aus- 
schlieBlich geforderte Unbeweglichkeit des Ober- 
armes fur sinnlos. Nur die erste Lage behandelt 
er. Der Schuler wird langsam aber sicher ge- 
fordert und erhalt auBer Obungen genugend 
melodische Stucke, vor allem ChorSIe und Volks- 
lieder, um nicht das Interesse zu verlieren. Auf 
jeden Fall gehort diese Schule zu den beachtungs- 
werten. 

66. Amadeo von der Hoya: Mod erne 
Lagenstudien fur Violine. Verlag: 
F. E. C. Leuckart, Leipzig. (Mk. 26.—.) 

Der bekannte Linzer Violinpadagoge hat mit 
diesem Werke, dessen erster Teil die festen 
Lagen in funf Heften, dessen zweiter Teil den 
Lagenwechsel in vier Heften behandelt, mit be- 
wunderungswurdigstem Scharfsinn ein Gebiet 
erschopft, das selbst in den groBen Schulen von 
Singer-Seifriz, Moser-Joachim und Sevcik etwas zu 
kurz gekommen war. Dabei geht er nicht uber 
die funfte Lage hinaus; es durfte aber schwer 
sein, noch andere Moglichkeiten in bezug auf 
Lagenwechsel herauszufinden, als sie der Ver- 
fasser erdacht, fast mSchte ich sagen, erklugelt 
hat. Wahrend ich von der uberaus groBen 
Nutzlichkeit der von ihm fur die festen Lagen 
gebotenen Studien, die die trefflichste Erganzung 
zu jeder Violinschule bieten, durchaus uberzeugt 
bin, neige ich der Ansicht zu, dafi man den 
Lagenwechsel weit besser und vor allem mit 
mehr musikalischem GenuB aus dem Studium 
der Violinkonzerte, uberhaupt der Vortrags- 
literatur lernt; doch zweifle ich nicht, daB, wer 
die Energie hat, auch Hoyas Lagenwechsel- 
Ubungen grundlich durchzustudieren, jeder tech- 
nischen Schwierigkeit Herr werden rn^uB; un- 
billig w2re es zu verlangen, daB diese Obungen 
auch dem Geiste und dem Empfinden Nahrung 
geben sollen. 

67. Ernst Brtkggemann: Drei Ieichte Sona- 
tinen fur Violine in der ersten Lage 
und Klavier zum Studium wie zum 
Vortrag. op. 5. Verlag: L. Schwann, Dussel- 
dorf. (No. 1 Mk. 1.20, No. 2 Mk. 2.— , No. 3 
Mk. 2.40.) 

Auf das angenehmste enttauscht war ich, als 
ich diese Sonatinen mit einem Freunde durch- 
spielte; sie haben nichtsTrockenes, Schulmeister- 
liches an sich, sondern zeugen von frischem 
musikalischen Empfinden und feiner Beherr- 
schung der musikalischen Formen. Jeder Schuler 
wird sie mit Anregung spielen, aber auch Er- 
wachsene werden sich an den hubschen musika- 
lischen Einfallen des Komponisten erfreuen; er 
hatte ubrigens einen Fingersatz hinzufugen sollen, 
der auf die hoheren Lagen Bezug nimmt, in 
denen manche Stellen sehr gut ausgefuhrt werden 
konnen. Sollte ich einer dieser drei Sonatinen 
den Vorzug geben, so ware es der ersten; in 
der dritten ist ubrigens ein reizender Kanon. 
Einige Druckfehler, vor allem Weglassung des 
Sechszehntelstriches, werden niemanden storen. 
Wilhelm Altmann 

68. Serge Bortkiewicz: Konzert (B-dur) fur 

Klavier und Orchester. op. 16. Verlag: 

Fr. Kistner, Leipzig. (Mk. 9.—.) 

Nach den Erfahrungen der letzten Jahre zu 

urteilen, scheint es nicht allzuleicht geworden 

zu sein, ein in jedem Sinne gutes Klavierkonzert 

zu schretlfen.jJXie Verbindung eines ernsten und 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN) 



299 



dabei doch gefalligen thcmatischen Inhalts mit 
einer interessanten DurchfGhrung desselben im 
Rahmen des freien Stils, dabei ein klangvoller, 
brillanter und doch nicht in blolXe Virtuositat 
ausartender Klavierpart: das sind Bedingungen, 
denen es nicbt so leicht ist, in gleichem Mafie 
gerecbt zu werden. Sind doch bekanntlich in 
den letzten Jahren verschiedene Klavierkonzerte 
namhafter Autoren aufgetaucht, die in irgend- 
einer Weise obigen Anforderungen nicht zu ge- 
nugen schienen und deshalb nach einigen 
Achtungserfolgen wieder der Vergessenheit an- 
heimgefallen sind. Diesem Werke des talent- 
vollen jungen russischen Komponisten muQ — 
wenn man prophezeien darf — ein viel besseres 
Los beschieden sein. Ich habe kein Shnliches 
Werk moderneren Ursprungs gesehen, das alien 
obigen Anforderungen so glanzend genugte. Der 
Pianist wird es mit Freuden begrQBen, weil es 
sehr wirksam ist; der Musiker auch, weil er sein 
Vergnugen daran finden wird ; auch durfte es zum 
Scbluft dem Publikum sehr willkommen sein, 
das, wenn auch musikalisch genugend gebildet, 
nicbt immer nur „Interessantes tt haben will, 
sondern mal auch „etwas furs Herz a im besten 
Sinne des Wortes. Das Werk ist in drei nicht zu 
langen Satzen aufgebaut. Ein jeder Satz bildet 
ein in sich geschlossenes Ganzes ; das Konzert soil 
nicht, wie das moderne Schlagwort lautet, „ohne 
Zwischenpausen gegeben werden". Diese Ruck- 
kehr zur Slteren Mode ist besonders bei Kon- 
zerten sehr angebracht; es gewShrt dem Publi- 
kum Gelegenheir, seinen Beifall nicht erst am 
Schlusse zu SuiJern (was dem ausfuhrenden 
Kunstler selten unangenehm ist) und bietet 
beiden die Moglicbkeit, sich in Ruhe fur die 
folgende Aufgabe und fur die noch bevor- 
stehenden Genusse vorzubereiten. Nichtsdesto- 
weniger ist die Zusammengehdrigkeit der drei 
Satze durch die thematische Arbeit vollstandig 
gewahrt. Nach ein paar aufterst charakteristischen 
einleitenden Takten des Orchesters (die spater 
auch sehr oft auftauchen) hebt das Klavier mit 
seinem Hauptthema, sozusagen der „Seele des 
Werkes", an, das in verschiedenen, Varianten 
nicht nur den ersten Satz beherrscht, wo es 
sozusagen zu seinem groflten Triumph erhoben 
wird, sondern auch noch vor der Koda des 
dritten Satzes als willkommene Reminiszenz 
auftaucht. Thematisch ist diesem Motiv, nebst 
den oben erwahnten ruhigen einleitenden Mo- 
tiven, ein durchweg lyrisches Seitenthema zu- 
gesellt. Eine aus dem Hauptthema gebildete 
effektvolle Kadenz geht der Koda des ersten 
Satzes voran. Der zweite, ruhige Satz bringt 
eine geschickte Verbindung eines choralartigen 
und eines lyrischen Motivs, wobei die oben er- 
wfihnten einleitenden Motive — in rhapsodischer, 
rezitativischer Weise behandelt — die Verbindung 
zwiscben ihnen herstellen. Der dritte Satz ist 
hauptsSchlich auf ein recht flottes, slawisches 
Tanzmotiv aufgebaut. Das sehr lyrische, etwas 
modern italienisch klingende Seitenthema wirkt 
in seinem Gegensatze ausgezeichnet. Vor der 
letzten Wiederkehr des Tanzmotivs kommt die 
erwartungsvoll vorbereitete Reminiszenz an das 
Hauptthema des ersten Satzes, woran sich dann 
der effektvoll gesteigerte Schlufi desWerkesan- 
schliefit. — Pianisten sei das Werk^atrfs warmstej 

(V 



empfohlen. Sie und das Publikum werden ihre 
Freude daran haben. Fur seinen Weg kann ich 
dem Konzert nur Schones wunschen — und noch 
das Allerbeste zum SchluB: moge es nicht so 
schnell iiberspielt werden, wie man es bei 
seiner SinnfSlligkeit befurchten konnte. 

Dr. Jeno Kerntler 
69. Denkmfiler der Tonkunst in Oster- 
reicli. XX. Jahrgang. I. Teil. 40. Band. 
Jacob Handl (Gallus): Opusmusicum, 
IV. Teil. Bearbeilet von Emil Bezecny 
und Josef Mantuani. Verlag: Artaria 
& Co., Wien 1913. (Mk. 20.—.) 
Des groften Jacob Gallus Technik im viel- 
stimmigen und vielchorigen Vokalsatze zu be- 
wundern, fand man bereits in fruheren Jahr- 
gangen der osterreichischen DenkmSler Ver- 
anlassung. Jetzt folgt nun der vierte und letzte 
Teil (1587) seines umfangreichen Opus musicum. 
In 57 Motetten entfaltet er auch hier wieder 
eine unglaubliche Vielseitigkeit in der Behand- 
lung der mehrchorigen Schreibweise, die bis 
zur Aufstellung von vier gesonderten Chor- 
gruppen geht und in gleichem MaQe Homo- 
phonie wie Polyphonie ausbeutet. Wer das 
beruhmte w Ecce quomodo moritur" des Gallus 
kennt, weili, welchen Klangzauber der Meister 
mit den einfachsten Mitteln erreichen konnte. 
Der neue Band bringt Satze, die hinter diesem 
nicht zuriickstehen. Man sehe etwa das zarte 
sechsstimmige „Jesu dulcis memoria" (No. 38) 
oder das ebenfalls sechsstimmige w O sacrum 
convivium (No. 9), wo des Komponisten Neigung 
zu uberraschenden, herben diatonischen Aus- 
weichungen hervortritt. Trotzdem ist eine ge- 
wisse Gleichformigkeit der Klangfarben nicht 
zu verkennen, ebenso das Vorherrschen echt 
Gallus'scher Lieblingswendungen. Indessen ist 
zu beachten, daft Gallus selbst keineswegs blofte 
a cappella-Ausfuhrung im Sinne hatte. In einer 
interessanten lateinischen Vorrede an die 
„eifrigen Musikfreunde" rechtfertigt er sich 
gegen den Vorwurf, in seinen Kompositionen 
mehr Sanger beschaftigt zu haben als ein ge- 
wohnlicher Kirchenchor aufbringen kann. „Da 
es jedoch schwerlich eine einigermaBen an- 
gesehene Gemeinde gibt, bei der nicht Blaser 
(tibicines) unterhalten werden, oder — fur den 
Fall, dafl den Sangern Orgeln oder Instrumente 
zu Hilfe kommen mussen — einen Chor ohne 
Orgel, so weiB ich nicht, warum meine Ge- 
sSnge so vielstimmig sein sollen, dafi man sie 
nicht so wie sie stehen ausfuhren konnte. a 
Indem er ferner auf das salomonische Orchester 
der Bibel hinweist und auf die getrennte Auf- 
stellung der Levitenchore, „die unter Leitung 
Salomos sowohl mit Tuben wie mit Menschen- 
stimmen, mit Cimbali, Cithari und allerlei Art 
von Musikanten zusammen musizierten", ergibt 
sich fur den modernen Chordirigenten die Auf- 
forderung, die Kompositionen nach Gutdunken 
auf Stimmen und Instrumente zu verteilen oder 
gegebenenfalls die Orgel begleitend hinzu- 
zuziehen. Auf diese Weise lassen sich nament- 
lich die Stucke fur drei und vier obligate (und 
naturlich getrennt aufzustellende) Chore zu 
machtigen Wirkungen steigern. 



c 



,-, Dr. Arnold Sen e ring 

Unqinal from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRITIK 



OPER 

A NTWERPEN: Die beiden hiesigen Opern- 
** buhnen, die franzosiscbe und die 
vlamische, die im allgemeinen auf grund- 
verschiedenes Publikum angewiesen sind, 
wetteifern, ihren Zuhorern das Beste zu 
bieten. Ersterer gelang es freilich bis jetzt 
nur zum Teil, sich in besondere Gunst zu 
setzen. Das Repertoire bot wenig Abwechselung, 
und Auffuhrungen des „Tell a , der Jiidin", der 
„Afrikanerin" konnen nur mit allerersten KraTten 
und in schoner Aufmachung heute noch unser 
Interesse wecken. Giinstigeren Eindruck hinter- 
HefJen Stucke moderner Komponisten, wie 
Puccini's „Vie de Boheme", „Tosca* und „Ma- 
dame Butterfly" und Massenet's „Manon a und 
„Werther u dank den hervorragenden Leistungen 
von FrI. Cesbron von der Op6ra Comique und 
des vorzuglichen Tenors Mario. Frigora 
fungiert an diesem Theater als gewandter Kapell- 
meister. — Sehr gliicklich eroffnete die vla- 
mische Oper ihre Saison. Unter Leitung der 
Kapellmeister Schrey und Dr. Becker wurden 
dort, in glanzender Ausstattung, sachgemafter 
Regie, recht vollkommenen Einzel-, Ensemble- 
und Chor-Leistungen, uns die besten Werke 
deutscher Meister — ^Hollander", „Tannhauser a , 
„Freischihz tt , ^Hoffmanns Erzahlungen" und 
„Martha a — in fast mustergultiger Weise zu 
GehSr gebracht. Des hiesigen Konservatorium- 
direktors Wambach Oper „Quentin Massys" ge- 
fiel wieder aufierordentlich, und zwei Einakter, 
„Heidebienchen" des hiesigen Musikers Ver- 
heyden und „Der Heilige* des Hollanders 
Ryken, hatten als Neuheiten sehr guten Erfolg. 
Ein solcher war auch der ersten Auffuhrung in 
Belgien von Tschaikowsky's „Eugen Onegin* 
beschieden. Obwohl weder Textbuch noch die 
Musik des russischen Symphonikers sich fur die 
Buhne sonderlich eignen, brachte das Publikum 
dieser vom Kapellmeister Schrey liebevoll ge- 
deuteten vornehmen Partitur ein feines Ver- 
standnis entgegen. A. Honigsheim 

OASEL: Weder die sehr erfreulichen Reper- 
" toireverhaltnisse, noch dieanerkennenswerten 
Leistungen des Personals vermochten bis heute 
dem Theater das Interesse wiederzubringen, das 
es teils durch eigene Schuld, teils durch die 
Konkurrenz von Vari£t6 und Kino etnbufite. 
Diese betrubende Erscheinung, die ubrigens 
keineswegs als fiir unsere Stadt spezifisch be- 
trachtet werden darf, ist darum doppelt bedauer- 
lich, weil wir als Leiter der Oper in Gottfried 
Becker eine ganz hervorragende Kraft besitzen, 
in der sich feines musikalisches Empfinden mit 
gereifter Technik und vollendetem Geschmack 
verbinden. Unter seiner Leitung buchten wir 
sehr stimmungsvolle Auffuhrungen des „Rhein- 
gold a , der Verdi-Opern „Aida a und „OthelIo a 
und der genialen Musik zu Daudets „Arl£sienne M 
von Georges Bizet. Sehr gluckliche Wiedergabe 
fanden u. a. auch „Mattha tt , „Freischutz tt und 
„Zar und Zimmermannn** unter Max Laudien. 

Gebhard Reiner 
OERLIN: Bagatellen. Der gute alte Boieldieu 
" kam im Koniglichen Opernhause zu 
Ehren. Rein zufallig. Richard Strauft' Ver- 
dienst ist's, seine „Voitures vers6es tt zur Auf- 
fuhrung empfohlen zuhaben. Georg Droescher 

el 



bearbeitete den Dupatyschen Originaltext, und es 
entpuppte sich daraus „Der Satan sweg*. Unter 
diesem Namen wird nun die auferstandene An- 
tiquitat eine Zeit lang im Spielplan gedeihen, um 
den Satansweg aller nicht auf den Knalleffekt 
berechneten, aller feinen und kleinen Werke zu 
gehen. Aber es verlohnt sich, ihr Recht auf das 
Dasein ein wenig zu prufen und zu bestatigen. 
Sie ist die zweite Fassung eines Vaudeville w Le 
sgducteur en voyage", das Boieldieu anno 1806 
in Petersburg geschrieben hatte. Ein reizendes 
Sachelchen. Und der Inhalt? Der in Paris und 
die Pariser verliebte Provinzler Dormeuil lafit 
einen locherigen Weg absichtlich nicht aus- 
bessern, um mit Pariser Gasten, die im Loch 
stecken bleiben, wenigstens zeitweilig GroG- 
stadtluft zu atmen. Aber eines Tages hat er 
erstens die Nachteile eines aufregenden Pariser 
Besuches zu spuren und bleibt zweitens, als er 
sich seiner entledigen will, am Satansweg hSngen. 
Das ist amusanter wenn man's erzahlt, als wenn 
man's in der Oper szenenlang erlebt. Es mufite 
denn auch in die Darsteller ein Gran jenes 
esprit gaulois geschlupft sein, den man sich 
hierzulande krampfhaft, aber vergeblich ein- 
zuimpfen sucht. Doch es gibt etwas, wo auch 
schwerfailige Worte nicht toten konnen: den 
tsprit der Boieldieu'schen Musik. Sie enthalt 
grazioseste Nummern: so ein parodistisches 
Duett, reizende Ensembles, die allerdings wieder 
gebieterisch Beweglichkeit der Sanger fordern, 
Man kann sich nun ungefahr denken, wie die 
Auffuhrung verlief. Sie hatte zwar in Richard 
Straufi am Pulteine Stutze; er brauchte nur, was 
ihn mit Mozart verbindet, fur Boieldieu nutzbar 
zu machen; und er tat's, wenn auch nach mangel- 
haften Vorproben. So dauerte es einige Zeit, 
bis alles stimmte. Abersonst! Frl. Al fermann, 
im Koloraturgesang sehr tuchtig, ist passabel; 
auch Frau v. Scheeles Komik ist zu ertragen. 
Hoffmann als Dormeuil dagegen ist unmoglich; 
und Frau Andrejewa-Skilondz salzlos. 

Die gute Laune vergeht einem vollends, 
wenn man sich der Novitat erinnert, die 
das Deutsche Opernhaus uns zu bieten 
fur gut fand. Es bescherte uns „Das Not- 
hemd**, ein dreiaktiges Buhnenspiel von Victor 
v. Woikowsky-Biedau. Wurde wirklich Herr 
Direktor Hartmann nicht von Gewissensbissen 
gcplagt, als er uns mit diesem Opus behelligte? 
War er sich nicht bewuflt, personliche Ruck- 
sichten uber sachliche gestellt zu haben? Das 
junge Unternehmen ist von mir stets verdienter- 
maRen so freundlich behandelt worden, daD ich 
meinen Arger nicht zuruckzuhalten brauche. Ich 
meine: fiir solche Stoffe sind wir endgultig ver- 
dorben, mogen sie auch (im aiteren Sinn) noch 
so buhnenwirksam sein. Wir empfinden hier 
nichts, absolut nichts. Die Zauberkraft der 
Tugend und Unschuld, die den Braven schutzt 
und sich gegen den Bosewicht wendet, mag 
einem Tugendbund gefallen; fur ihn lafit sich 
das Stuck als Propagandamittel verwerten. Soli 
schon wagnerisiert werden, dann begnuge man 
sich nicht mit schablonenhaften Typen, stellc 
Menschen von Fleisch und Blut hin, von sun- 
digem Fleisch und kochendem Blut. Aber was 
soil uns diese saftlose Kreuzung von „Loben- 
grin* und den „Meistersingern tt ? Ich fange be- 
reits an, mich.faute de mieux fur den B5se- 
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KRITIK (OPER) 



301 



wicht Neidhart zu erwarmen, da wird er zum 
falschen Angeber, und ich mufJ ihm anstiindiger- 
weise meine Sympathieen entziehen. Die Musik 
des Herrn Victor v. Woikowsky-Biedau e^pt- 
waffnet durch ihre Harmlosigkeit. Si- wagnen- 
siert naturlieh auch, aber im Siegfriedschen 
Sinne. Das ist fast schon ein Kompliment. 
Denn es bedeutet, dafi der Auchkomponist eine 
nubsche Begabung fur das Volkstiimliche be- 
sitzt. Fur diese liefert er manche Probe, so in 
einigen Liedern, im Tanze des dritten Aktes, der 
denn auch fein durchsichtig instrumentiert ist. 
Leider will er sich aber nicht nacb der Uecke 
strecken und bandelt im Bann einer Wagner- 
Hypnose, die im letzten Vorspiel zu erheiternden 
Wirkungen fuhrt. Es stcckt ein gut Teil GrofJ- 
mannssuchtindieserallesandere alsdramatischen 
Musik. Man kann unter solchen Umstanden auch 
die Auffuhrung mit kurzen Worten abtun. Sie 
schien mir bereits fur ein leises Schuldbewulk- 
sein zu sprechen. Sie unterstrich in ihrem 
darstellerischen Teil das Scnablonenhafte und 
war in der Regie sorgloser, als es sonst hier 
der Fall ist. Felicitas Hall am a als Armgard 
blieb statuenhafte Tugend, die alle sundigen 
Tricbe sofort niederschlagen muCte; ihreschone, 
doch ginzlich verbildete Stimme strebt ebenso- 
wenig wie der Mensch danach, Ausdruck zu 
werden; Paul Hansen, ihr Partner, wirkte an- 
genehm als guter Tenor; der Bosewicht Neidhard, 
von Eduard Schuller gegeben, konnte etwa 
im Bauerntheater von Pradl mit Erfolg gastieren. 
Eduard Morike aber peitschte das Orchester 
zu Blechorgien an, die die Grundschwache der 
Panitur in ein grelles Licht riickten. Hoffcn 
wir, dafi nun nicht etwa alle bisher verborgenen 
Opernmanuskripte von Mitgliedern des Auf&ichts- 
rates zum Touen gebrachi werden. 

Adolf WeiGmann 
ORE MEN: Die Erstauffuhrung von „Genesius a 
" von Felix Weingartner unter Leitung des 
Komponisten gestaltete sich zu einem Triumph 
fur den feinsinnigen Dirigenten und Musiker. 
Glanzvoll waren Alois Hadwiger in der Titel- 
partie und Hertha Pfeilschn eider als Pelagia. 
Willy Bader vertrat den milden Heiligen 
Cyprian, Guido Schutzendorf den Kaiser 
Diokletian und Kathinka Pecz die Claudia. Die 
Regie (Curt Strickrodt) hatte fur auBerordent- 
lich effektvolle Buhnenbilder Sorge getragen. — 
Bei der zweiten Neuheit, „Grigri u von Paul 
Lincke, dingierte der Komponist gleichfalls. — 
GroBe Anziehungskraft ubte das Gastspiel von 
Emmy Destinn in der „Afrikanenn a aus. 
Neben ihrer Selica bestanden in den Haupt- 
rollen mit Ehren J uan S p i w a k ( Vasco de Gama), 
Guido Schutzendorf (Nelusco) und A. Hanna 
Siegert als kehlfertige, sympathische Ines. 

Prof. Dr. Vopel 

BROSSEL: Die Monnaie-Oper ist seit Anfang 
September wieder in voller Tatigkeit. Das 
Personal ist zum groflten Teil dasselbe wie ver- 
gangenes Jahr; einige „Neue", wie die Prima- 
donna Panis, sind ausgezeichnet. Als Verdi- 
Feier wurden mit eigenen Kraften „Rigoletto" 
(mit dem famosen Bariton Rouard) und „La 
Traviata" wurdig aufgefuhrt, und dann lieU die 
Direktion drei „stars u , Destinn, Martin el li 
und Dinh Gilly, kommen, die unter dem Maestro 
Polacco in glinzender Weise B Ai(ta tt sangenl 

(V 



Von denselben wurde dann auch noch „La Fille 
du Far West" unter gleicher Begeisterung ge- 
sungen. Eine interessante Novitfit war die 
choreographische Auffuhrung der bekannten und 
bedeutenden Orchester-Variationen „Istar" von 
dMndy, mit der vorziiglichen Tanzerin Cerny. 
Zusammen mit „Istar a fand eine szenische 
Wiederholung von d , lndy , s„Lied von derGlocke" 
unter Leitung des jungen begabten Lauweryns 
statt. Als erste groBe Novitat erschien Wolf- 
Ferrari's „Schmuck der Madonna", die aber 
bei vorziiglicher Auffuhrung unter Lauweryns 
keinen grofien Anklang beim Publikum findet. 
Dem Werk fehlt die edle Melodik — daruber 
konnen die lebhaften Volksszenen des 1. Aktes 
und die berauschenden Tanze des 3. Aktes nicht 
hinwegtauschen. Die Person des dummen, um 
Liebe flehenden Gennaro ist direkt abstoftend. 

Felix Welcker 
pvESSAU: Otto Neitzels dreiaktige Oper 
*-* »Die Barbarina* 4 ging am 18. November 
am Hoftheater unter Franz Mikoreys gediegener 
Leitung in hiesiger Erstauffuhrung in Szene und 
hatte bei lebensvoller Darstellung und prachtiger 
aufierer Ausstattung einen lebhaften Erfolg zu 
verzeichnen. Unter den Mitwirkenden zeichnete 
sich Marcella Roseler in der Titelpartie be- 
sonders aus. Ernst Hamann 

pvRESDEN: Mit der Urauffuhrung der drei- 
**^ aktigen Oper „Coeur Afi" von Eduard 
Kunneke bewies die Leitung der Hofoper 
abermals, daft es ihr um die Forderung junger 
Talente und um eigene neue Taten zu tun ist. 
Kunneke hat sich mit seiner Oper „Robins 
Ende" vor vier Jahren mit Ehren eingefuhrt und 
verrat auch in seinem neuen Werke, dessen 
Textbuch nach Scribe's bekanntem Lustspiel 
„Der Damenkrieg" geschickt bearbeitet ist, eine 
unverkennbare Begabung fur die Biihne und 
fur den lyrtschen Einschlag. Schade nur, daB 
diese beiden Elemente sich noch nicht zu einem 
Ganzen bei ihm vereinigt haben. Alle Teile 
seiner Musik sind an sich reizend, manches ist 
sogar in Erfindung und Ausfuhrung ganz vor- 
trefflich geraten, aber die stilistische Einheit 
fehlt dem Werke, und dieser Mangel ist einem 
Dauererfolge nicht gunstig. Das Beispiel ist 
sicher lehrreich: Da hat ein kluger und be- 
gabter Tonsetzer zu einem guten Text eine 
Musik geschrieben, in der Leidenschaft, drama- 
tische Spannung, groBe Steigerungen sich eben- 
so finden wie Sentimentalitat, Komik und 
Walzerweisen; er meinte also gewifi, alle In- 
gredienzien eines grofien Erfolgcs in der Hand 
zu haben, zumal da er die moderne Dekla- 
mation der Wechselreden durch geschlossene 
Nummern unterbricht. Und dennoch kam nur 
bei der erstenVorstellung der ubliche Premieren- 
erfolg zustande, bei der zweiten war das Haus 
schon leer, und so hat man die Oper bereits 
wieder abgesetzt, was um desWerkes selbst wie 
um der darauf verwandten Muhe willen nur zu 
bedauern ist. Diese Oper ist eben mchr aus Er- 
wagung und kluger Berechnung als aus inner- 
stem Herzensdrang geschaffen, und dafur hat 
das Publikum ein feines Ahnungsvermogen. 
Vielleicht ware das Ergebnis besser gewesen, 
hatte man fur die tragende Partie der GrSfin 
eine Sangerin mit glanzenderen Mitteln und 
mehr hinreiBendeC^SQPl^flfei friebenswiirdig- 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



302 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



keit bestimmt als Gerda Barby aufzubringen 
vermag. In der von Hermann Kutzschbach 
mit Leichtigkeit, Feinbeit und Scbwung ge- 
leitetenVorstellung ragten Minnie Nast, Desider 
Zador, Fritz Soot und Hans Rudiger hervor. 
— Einen groBen, edlen Genuft gewahrte das 
Gastspiel Karl Perron's, der im „Bajazzo a 
und in „Tiefland" seine bekannten Meister- 
leistungen bot und uns wieder erkennen lebrte, 
wie viel wir durch sein Ausscbeiden aus dem 
Verband der Hofoper verloren haben. Eine 
neue Mignon von Crete Merrem, ein viel- 
verheiBender neuer Wilhelm Meister von 
Richard Tauber, auf dessen tenoristische Ent- 
wickelung ich die grofiten Hoffnungen setze, und 
ein neuer Lothario von Waldemar Staegemann, 
dessen Organ fur diese Partie entschieden zu 
hell klingt, stellten sich an einem Abend vor. 
Auflerdem ist noch zu berichten, daB Fritz Soot 
in Puccini's „Boh6me a die Partie des Rudolf mit 
auBergewohnlichem Erfolg seinem Repertoire ein- 
gefugt hat. Der Versuch der Generaldirektion, 
durch einen spaten Anfang der Vorstellungen 
den Besuch zu steigern, ist bis jetzt vollig ge- 
scheitert, denn wir haben noch nie so leere 
Hauser gesehen wie gerade jetzt. Moge man 
deshalb bald wieder zu dem fruhzeitigeren 
Anfang zuriickkehren. F. A. GeiBler 

LJAMBURG: Unsere beiden Opern leben in 
** einem unfriedlichen Nebeneinander, in einer 
latenten Kampfesstimmung dahin. Und beide 
machen sich dadurch das Leben schwer und 
die Geschafte nicht eben leichter. Keine Frage: 
die Neue Oper hat den schwereren Stand, weil 
sie den schlechteren Besuch und die Schwierig- 
keiten des durch die Vormachtstellung des 
Stadttheaters eingeengten Spielplanes zu ertragen 
hat. Aber auch im Stadttheater hat man schon 
Spielzeiten mit besser besucbten Hausern ge- 
sehen. Optimisten reden daher heute bereits von 
einer Vereinigung der beiden Unternehmungen, 
die sicher beiden mancherlei Vorteile gewahren 
wurde; aber ehe es dazu kommt, wurde es 
genugen, wenn vorlauflg einmal eine Einigung 
und eine gewisse prinzipielle Verstandigung in 
den Angelegenheiten der Spielplane erzielt wurde. 
So wie die Dinge jetzt liegen, dafi z. B. beide 
Theater am selben Abend Rossini's „Barbier u 
oder Mozarts „Figaro a geben, mussen beide 
notgedrungen Schaden erleiden. Und es kann 
weder fur die Neue Oper, die in der Hauptsache 
doch schon aus raumlichen Rucksichten auf 
die leichter gewogenen Werke der Spieloper 
und auf musikalische Kammerkunst angewiesen 
ist, von besonderem Vorteile sein, wenn sie sich 
an Aufgaben heranwagt, die wie die „Stumme 
von Portici" den grolien Apparat und die groBen 
Dimensionen unserer Stadttheaterbuhne bean- 
spruchen; noch kann es andererseits im Interesse 
des Stadttheaters liegen, wenn es der Neuen 
Oper mit den Werken Konkurrenz zu machen 
versucht, die nun einmal sich gliicklicher im 
intimen Rahmen eines kleineren Hauses prUsen- 
tieren. Auch das Wettrennen um Novitaten von 
zweifelhaftem Werte und ebenfalls zweifelhafter 
Eintraglichkeit wurde aufhoren, ebenso wie die 
Preisuberbietung zur Gewinnung hervorragender 
G3ste. Alle diese rein praktischen Erwagungen 
sollten, wenn man nicht eines der beiden Institute 
oder vielleicht auch alle beide schlieBlich in den 



n 



i/Co 






Ruin hineintreiben will, zu einem vernunftigen 
„viribus unitis" fuhren. — Die kunstlerischen 
Leistungen beider Buhnen leiden naturlich bis 
zu einem gewissen Grade jetzt unter der Hast 
des forcierten Betriebes. So brachte die Neue 
(^per die „Stumme von Portici" in Brechers 
Bearbeitung in einer keineswegs einwandfreien 
Auffiihrung heraus: erfreulicher Mitwirkung des 
Chores und des Orchesters standen in dieser 
Auffiihrung sehr wenig abgerundete solistische 
Darbietungen gegenuber, und erst ein Gastspiel 
Hermann Jadlowkers in der Masaniello-Partie 
vermochte der Auffiihrung starkere dramatiscbe 
Impulse zu geben. Im Stadttheater brachte 
Dr. Loewenfeld in einer sehr reizvollen 
Inszenierung und in einer uberaus amusanten, 
feinen Detaildurcharbeitung den Rossini'schen 
„Barbier" heraus. Felix Weingartner dirigierte 
mit Esprit und mit der notigen leichten Hand 
dies graziose Werk, das auch solistisch bis auf 
die wenig gluckliche Wiedergabe der Titelrolle 
in sehr ansprechender Weise zur Geltung ge- 
bracht wurde. Danach versuchte man es mit 
einer Neueinstudierung der „SaIome", fur die 
aber, nachdem Brecher und Edyth Walker uns 
verloren gegangen sind, die geeigneten Krifte 
uns fehlen. Kapellmeister Meyrowitz hat zu 
Straufi doch nur das mehr neutrale Verbiltnis 
des gewandten und temperamentvollen Opern- 
dirigenten, aber die Witterung fur das Wesent- 
liche des StrauB-Stils und der StrauQ-Koloristik 
mangelt ihm. Ebenso fehlte Frau Easton fur 
die Wiedergabe der Titelpartie das Oberzeugende ; 
sie ersetzt vieles durch Routine, aber gerade 
das Entscheidende bei dieser Aufgabe kann 
keine Routine der Welt ersetzen. 

Heinrich Chevalley 

JOHANNESBURG: Die Wiederkehrder B Quin- 
lanOperaCompany" bedeutete ein wich tiges 
Ereignis fur die hiesige musikalische Welt. 
Ihr energischer Leiter, Thomas Quinlan, lieQ 
im Zeitraum von drei Wochen 18 Opern auf- 
fuhren. Von besonderem Interesse war eine 
„Meistersinger tt -VorstelIung, „Der Ring 
des Nibelungen" und „Louise a von Char- 
pentier. Die Leitung der Wagnerschen Werke 
lag in den bewahrten HSnden Richard Eck- 
holds. Leider flel der Besuch der Quinlan 
Oper in die bosen Tage des Streiks, so dafl die 
Auffiihrung der „Gotterdammerung" infolge der 
ernsten Unruhen in der Nahe des Opernhauses 
unterbleiben mufite. Gerade der Ausfall dieses 
Musikdramas ist um so bedauerlicher, als die 
Tetralogie dem groBten Teil des Publikums 
ganz neu war und die Unvollstandigkeit der 
Auffiihrung notwendigerweise den Gesamtein- 
druck abschwachte. Die Hauptrollen im „Ring* 
erfuhren zumeist eine tuchtige Verkorperung. 
Im Vordergrunde standen Edna Thornton 
(Fricka, Erda) und Robert Parker (Wotan, 
Wanderer), die wir beide schon im Vorjahre 
als hervorragende WagnersSnger kennen lernten. 
Eine Glanzleistung bot Herr Samuel als 
Alberich. Neu im Ensemble war Franz Costa 
(Heldentenor der Nurnberger Oper), der als 
Siegfried einen schonen Erfolg errang, als 
Brunnhilde lernten wir Perceval Allen, eine 
der besten englischen Wagnersangerinnen, 
kennen. In den „Meistersingern a entzuckte 
Robert Parker als Hans Sachs durch den 

Original from 
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KRITIK (OPER) 



303 



schonen metallischen Klang seiner Stimme. 
Glanzend bewfchrte sich neben ihm Maurice 
D'Oisley, der sowohl gesanglich als aucb 
durch sein friscbes Spiel den schweren An- 
fordemngen der Davidrolle voll gerecht werden 
konnte. Der „Walther Stolzing" des Herrn Hed- 
mond wurde leider durch stimmliche Miidig- 
keitserscheinungen getrubt. Das „Evchen" liegt 
der jungen amerikanischen Sangerin Felicie 
Lyne offenbar nicht recht. Sie ist mehr im 
Koloraturgesang zu Hause, was sie als Gilda 
im „Rigoletto* und Rosina im „Barbier u aufs 
uberzeugendste bewies. In beiden Opern hatte 
sie in dem Bariton Samuel in Gesang und 
Spiel einen prftchtigen Partner. Tulio Voghera, 
der uns scbon in der letzten Saison als tuchtiger 
Dirigent der italienischen Opern auffiel, leitete 
die von ihm einstudierte Auffuhrung der „L o u i s e" 
von Charpentier. Das Werk erzielte keinen 
einmutigen Beifall, was vielleicbt durch die 
allzu breite und doch armliche Handlung ver- 
schuldet ist. Die Titelrolle vertrat Jeanne 
Brola, die durch die allzu tragische Auffassung 
dieser Rolle nicht so befriedigte, wie mit ihren 
Leistungen als „Tosca" und „Madame Butterfly", 
wo sie ihr dramatisches Talent voll entwickeln 
konnte. Den AbscbluQ der Saison bildete 
„Samson und Dalila", die als eine uberaus ein- 
heitliche Auffuhrung bezeichnet werden muft. 
Als Dalila wurde Edna Thornton sturmisch 
akklamiert. — Ein Wort des Lobes gebiihrt 
noch Herrn Quinlan fur die herrliche Aus- 
stattung, die er samtlichen Werken zu teil 
werden liefi. Trotz der uberaus kleinen Dimen- 
sionen der Standard Buhne wurden besonders 
in „Rheingold", „Aida" und „Samson und 
Dalila" in szenischer Beziehung uberraschende 
Wirkungen erzielt. M. Pol la k 

KOLN: „Der Abenteurer", ein Spiel in vier 
Akten von Julius Bittner. Urauffuhrung 
am 30. Oktober. Der groBe Tag, den manche 
Leute von der Neuheit fur unser Opernhaus er- 
wartet hatten, ist es zwar nicht geworden, und 
man konnte hier Bittnersche Freunde horen, 
die da meinten, diese neueste Etappe in seiner 
Laufbahn als Opernkomponist fuhre nicht auf 
sein Ziel zu, vielmehr etwas abseits, aber die 
Bekanntschaft mit des Wiener Bezirksrichters 
jungstem Musenkinde braucht niemanden zu 
gereuen, denn sie ist immerhin keine uninter- 
essante. Im Mittelpunkte der mit ihren zum 
Teil recht grotesken Personen und oft bis zur 
Unverstfindlichkeit bizarren Wendungen stark 
operettenhaften Handlung steht der zur Heilung 
des Grafen Wolkenburg von der Melancholey 
auf dessen niederosterreichisches SchlolJ be- 
rufene Wiener Wunderdoktor Jerome de Mont- 
fleury (recte Andreas Blumenbichler), der den 
Grafen kompromittierende und enterbende Fa- 
milienmemoiren stiehlt und zuriickgibt, da- 
zwischen aber zwei schnell betorte Weiber zur 
Strecke bringt: des Grafen Geliebte, eine Wiener 
Balleteuse, und des Grafen altjungferliche liebes- 
durstige Schwester. Wegen der mit letzterer 
zelebrierten Liebesnacht erhalt der Schwindler 
sie vom Bruder zur Frau. Montfleury zieht aber 
das freie Abenteurerleben vor und balanciert als 
Seilt3nzer uber den SchlofXgraben von dannen, 
wihrend die von ihm hypnotisierte GrSfln ihn 
im Brautgemache erwartet. Der gemutsdosige, 



D'::j"«i,-'L 



C iOoqIc 



Harfe zupfende und dichterisch dilettierende 
Graf sowie seine zu einem „Dichterhof" um 
ihn gruppierten schmarotzenden Freunde (Kari- 
katuren) vermogen nur wenig zu interessieren, 
doch bringt die Handlung ein paar aparte, hubsche 
Szenen und der leider zu Unrecht literarisch 
gemeinte Text einige amusante Pointen. Ich 
stelle Bittners Musik, wenngleich sie keine rechte 
Originalitat und keine Stileinheit zeigt, uber sein 
Textbuch. Klar ersichtlich war Straufi* „Rosen- 
kavalier" musikalisch-geistiger Pate des „Aben- 
teurers", und das wird seiner Reputation nicht 
schaden, weniger jedenfalls als die einmal sehr 
uberraschend Gehor verlangende selige „Lucia" 
Donizetti's. Erhebliche Vorzuge des in der ge- 
bundenen Dialogform sehr gewandten, viele 
hubsche Melodik einflechtenden Tonsetzers sind 
zweifellos auch hier vielgestaltig lebensvoller 
Orchestersatz, wirksame Personen-Charakteri- 
sierung, Gefiihl fur Stimmungen und, trotz 
mancher bedenklichenlnkonsequenz,ZielbewuCt- 
sein im Detail. Die von Fritz RSmond aller- 
liebst inszenierte, von Gustav Brecher fein- 
geistig geleitete Auffuhrung nahm mit Karl 
Schroder, Julius vom Scheidt, Marie Fink 
und Katharina Rohr in den Hauptrollen einen 
vortrefflichen Verlauf. Dem Werke stand das 
Publikum ziemlich fremd gegenuber, doch fuhrte 
freundlicher Beifall Bittner wiederholt vor die 
Rampe. — Von zwei im ^Hollander" auf An- 
stellung gastierenden Baritonisten bot Harry 
de Garmo aus Lubeck, wenngleich seine schone 
Stimme unten nicht ausreicht und zu jugend- 
lich timbriert ist, im ganzen sehr Anerkennens- 
wertes, indes der Freiburger Sanger Willi Moog 
sich durch geradezu unerhortes Falsch- und Zu- 
tiefsingen als indiskutabel erwies. — Es ist hier 
seit Jahren Brauch, im Opernhause am Aller- 
heiligen-Feiertage Liszts w Legende von der 
heiligen Elisabeth" aufzufiihren, wenngleich 
das mehr nuraufStimmungsmomenten basierende 
Werk musikalisch der schonen Dichtung Otto 
Roquettes keineswegs ebenburtig ist. So gab es 
auch diesmal mit Wanda Achsel (Elisabeth), 
Karl Giesen (Landgraf Hermann) und Karl 
Renner (Ludwig) eine sehr stilvolle Auffuhrung. 

Paul Hiller 
I EIPZIG: Die hiesige Oper steht scitgeraumer 
*-* Zeit im Zeichen der Anstellungsgastspiele. 
Nach alien Himmelsrichtungen streckte man die 
Fuhler aus, um vor allem das bisher von Fritz 
Rapp bestellte erste BaBfach auszufullen, sowie 
fur den lyrischen Tenor Karl Schroth und ein 
paar andere Facher Ersatz zu erhalten. Und 
da nun auch Urlus auf einen Amenkaurlaub 
gegangen ist, wird man audi fernernoch manches 
Gastspiel von Heldentenoren zu gewartigen 
haben. Fur Schroth hat man sich nach erfolg- 
reichem Gastspiel als Tamino bereits den jungen 
verheiftungsvollen Hans Lifimann, den Bruder 
der bekannten SSngerin gesichert, der zuletzt 
an Buhnen in Bergamo und Mailand tatig war. 
Von anderen GSsten seien nur genannt: L6on 
Rains, dem man gute gesangliche Tugenden, 
aber wenig Spielubung nachsagte, Modest 
Menzinsky, der vortreffliche Hans Spies, 
Jean Miiller, Gmur, der als Lerchenau in 
der trefflichen Neueinstudierung des w Rosen- 
kavalier" gut gefiel, ferner Walter Soomer 
und Garl Perron, die als Sachs und Wotan 

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304 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



sehr gefeiert wurden; von Damen Priska Aich, 
die als Pamina viel gesangliche Anmut be- 
kundete, und Julie Koerner, deren Agathe 
nicht widerspruchslos blieb. AufJer einer treff- 
lichen Tat unseres Operndirektors Lohse, der 
Neueinstudierung von Verdi's „Othello a , w3re 
noch einer guten Auffuhrung der Puccini'schen 
„Tosca a deshalb zu gedenken, weil der Kom- 
ponist zugegen war. Dr. Max Unger 

lyiONCHEN: Der Verdi-Zyklus derHofoper hat 
*** mit einigen ausgezeichneten Auffuhrungen 
des ^Falstaff* 4 abgeschlossen. Bruno Walter 
hatte alle Kostbarkeiten dieser reichen Partitur 
wohl gehutet und an ihren Platz gestellt, und 
auch die Besetzung war durchweg vorzuglich. 
Feinhals hat mit der Titelrolle sein Repertoir 
durch einen ganz neuen Typus bereichert und 
sich In Darstellung und Gesang von allem Opern- 
schema erfreulich entfernt. Die drei Justigen 
Weiber" wurden von den Damen von Fladung, 
Dahmen und Wilier mit unverwustlicher, aber 
doch diskreter Laune dargestellt, wahrend das 
schmachtende Liebespaar dem Fraulein Ivogun 
und Herrn von Schaik Gelegenheit gab, ihre 
sehr hoffnungsvollen jungen Begabungen zu er- 
proben. Alexander Berrsche 

SCHWERIN i. M.: Das Grofiherzogliche Hof- 
theater hat seinen allverehrten Chef ver- 
loren; am 4. November ist Generalintendant 
Freiherr von Ledebur nach 30jahriger. mit 
kunstlerischen Erfolgen reichgesegneter Amts- 
tatigkeit im 73. Lebensjahre infolge Herzschlages 
santt verschieden. Viel, sehr viel hat der Ver- 
storbene fur das Schweriner Hofiheater und 
speziell fur die Hofoper geleistet. Er hinterlaftt 
seinem noch nicht bestimmten Nachfolger eine 
uberaus leistung>fa"hige und tadellos geschulte 
Hofkapelle mit anerkannt tuchtigen Fuhrern, 
daneben ein Solo- und Chorpersonal, das hohen 
Anspruchen zu genugen imstande ist. Er hinter- 
laftt auch ein Opernrepertoire, das in seinem 
Wert jedenfalls zu den besten der deutschen 
Buhnenrepertoires gehort. Von den bedeutend- 
sten Komponistcn fchlt darin niemand, und alle 
klassischen Werke hat es uns oft in hinreifiender 
Schonheit enthullt, so in diesem Winter noch 
wieder „Fidelio tt , „Freischutz", w Othello u , „Lohen- 
grin tt , „Tannhauser" u. a. Mit Unrecht hat man 
auch jetzt in seinen Nekrologen dem Freiherrn 
von Ledebur, wie schon fruher, nachgesagt, er 
babe Richard Wagner hintenangestellt. ('as ist 
grundfalsch; Wagners Werke kamen alljahrlich 
wiederholt am Schweriner Hoftheater heraus 
Den schon fruher viel gespielten Werken wurden 
durch Ledebur auch „Rheingold", „Gdtter- 
dfimmerung" und „Tristan a hinzugefiigt. In 
diesem Herbst wurde die Spielzeit mit dem 
„Fliegenden Hollander" eroffnet, es kamen also 
in einem Monat schon drei Wagneropern her- 
aus; der „Ring a wird wie alljahrlich folgen. — 
Ausnehmend gut wird zurzeit Verdi's „Othe)lo** 
gegeben. Adolf Grobke in der Titelrolle und 
Ottilie Schott als Desdemona bieten geradezu 
gianzende Leistungen. Auch „Das Mfidchen 
aus dem goldenen Westen" hat hier seinen 
Einzug gehalten und schafft voile Hauser. Die 
Schweriner Damen baben sicb anscheinend in 
diese Kinooper verliebt, sie ist ja so „ruhrsam a 
und dazu so „spannend". Es gibt aber auch 



D'::j"«i,-'L 






viele, und das sollen Leute mit einigem Kunst- 
verstandnis sein, die mit unserm Fritz Keuter 
sagen: B Wer et mag, de mag et, wer et nicb 
mag, de mag et woll nicb maegen". 

Paul Fr. Evers 

CTUTTGART: Das erste Ereignis der Opern- 
^ saison war das dreimalige Gastspiel von 
Caruso (in „Tosca a , w Carmen" und „Rigo- 
letto* 4 ); es verlief unter alien Anzeichen einer 
wirklich starken fiulieren und inneren Publikum- 
erschutterung. Zu einer solchen konnte es 
die Urauffuhrung von Walter Braunfels' 
„Ulenspiegel a nicht bringen. Die Schwacbe 
des dramatischen Untergrundes im Text erhilt 
in der klanglich reich gestalteten, aber inhalt- 
lich wenig unmittelbare Eindruckskraft be- 
sitzenden Musik nicht genugenden Ausgleich. 
Der gebuhrende Hocbachtungsbeifall fur die 
ernste, von starker Begabung und reicbem 
Konnen getragene Arbeit und die von grund- 
licher, aufopferungsvoller Vorarbeit zeugende 
Auffuhrung unter Max v. Schillings* und Emil 
Gerhausers Leitung konnte uber die Tatsache 
eints Fehlschlages nicht hinwegtauschen. In 
dieser Urauffuhrung hatten wir aber auch, wie 
schon in mancher Neueinstudierung alterer 
Opern, in der noch jungen Opernzeit Gelegen- 
heit, uns des neuen Besitzes stimmlich und 
darstellerisch ausgezeichnet begabter Sanger zu 
erfreuen. Von diesen sind besonders zu nennen 
der heldisch lyrische Tenor Rudolf Ritter, der 
stimmprfichtige Bassist Otto Helgers, der vor- 
nehme lyrische Bariton Scheidl, der intelligent 
charakterisierende Bariton Ziegler und die mit 
jugendfrischer und feingebildeter Stimme empor- 
strebende Koloratursangerin Kassowitz. Star- 
ken Eindruck und anhahendes Interesse emelte 
Waltershausens w Oberst Chabert" mit Hermann 
Weil und Hedy Iracema- Br ugel m an n in den 
Hauptpartieen. Oscar Sch roter 

W/EIMAR: Eroffnet wurde unser Hoftheater 
^^ mit einer geradezu vorbildlicben Auf- 
fuhrung von Mozarts „Zauberfldte a . Herr 
von Schirach hatte fur eine Stileinheit in der 
vollstandig neuen und bis ins kleinste wobl- 
durchdachten Inszenierung gesorgt, um die uns 
jedes # groliere Theater beneiden kann. Frei von 
alien AuBerlichkeiten ein wurdiger Rahmen fur 
Mozarts Meisterwerk. — Als ortliche Novitat 
gelangte eine einaktige Oper: ff Im Brunnen* 
von Wilhelm Blodek zur erfolgreicben Auf- 
fuhrung. Eine liebenswurdige, volkstumliche 
Musik, verbunden mit einer lustigen Handlung, 
rechtfertigte die Ausgrabung. Von besonderer 
Schonheit ist ein den Mondaufgang begleitendes 
Orchesterintermezzo. — Der neue zweite Kapell- 
meister Latzko stellte sich bis jetzt mit der 
exakten Leitung des zum Verdi-JubilSum neu- 
einstudierten „Mas ken balls' 1 , des „Freiscbutz a 
und der beiden unzertrennlichen veristiscben 
Zwillinge „Cavalleria" und n Bajazzo" vorteilhaft 
vor. Das ndtige Theaterrubato und die individua- 
listisch gestaltende und fortreiBende Kraft mufi 
sich allerdings noch einstellen. Eine Pracbt- 
leistung bot Herr Bergmann als Rene" im 
„Maskenball b . Die ubrigen Opernabende waren 
in der Hauptsache Wagner gewidmet. 

Carl Roricb 

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KRITIK (KONZERT) 



305 



KONZERT 

A ACHEN: Mit Mahlers Achter Symphonie be- 
** gann die diesjahrige KonzertsaUon. Ein 
gewaltiger Auftakt. 700 Musiker und Sanger 
vcreinigten sich unter der strammen Leitung 
des Musikdirektors Busch, urn diesem eigen- 
artigen Werk zu einer sehr gelungenen Auf- 
ffihrung zu verhelfen. Das Publtkum zeigte 
wabrend der Generalprobe und des Konzertes 
lebbafteste Beteiligung. Busch behandelte den 
ungebeuren Apparat mit staunenswerter Be- 
sonnenheit, das Orchester phrasierte klar und 
eindringlich, der Cbor war prompt in seinen 
Einsatzen, so daQ die Hymne Veni creator so- 
wie vom zweiten Teil besonders der SchluB- 
cbor vortreffiich herauskamen. Von den Solisten 
zeichneten sicb in erster Linie die Damen 
Foerstel, Cahnbley-Hinken und Philippi 
aus. Urn ein Wortchen fiber das Werk selbst 
zu sagen, so scheint mir die Orchester- und 
Chormasse den geistigen Gehalt der Komposition 
zuweilen zu erdrficken. Der zweite Teil ist 
doch vorwiegend lyrisch. Man wundert sich 
wohl fiber die Zusammenstellung der Kirchen- 
hymne mit dem zweiten Teil des „Faust tt . Der 
Goethe-Kenner Mahler wird auf Veni creator auf- 
merksam geworden sein durch die Bemerkung 
in den Spruchen in Prosa: „Der herrliche 
Kirchengesang ,Veni* ist ganz eigentlich ein 
Appell ans Genie; deswegen er geist- und kraft- 
reiche Menschen gewaltig anspricht." Der sehr 
gunstige Verlauf der ganzen Veranstaltung auDerte 
seine Wirkung in einem lebhafteren Z iSpruch 
der Abonnements- und anderen Konzerte. Es 
ist kaum ein Platz mehr zu haben. Etwas er- 
klart sich dies auch aus der geringen Zufrieden- 
heit des Publikums mit den heurigen Theater- 
verhaitnissen; trotz des erhohten staJtischen Zu- 
schusses hapert es in der Auswahl des Ge- 
botenen und den solistischen Kraften mehr als 
in anderen Jahren. — Das 1. Abonnements- 
konzert brachte ein „Stabat Mater" ffir Alt (Marie 
Leroy aus Paris), Frauenchor und kleines 
Orchester von Emanuel M6or. Die mit aparten 
GedankengSngen ausgestattete Kantate ermfidet 
durch den gleichformigen Ton des Ausdrucks, 
fiber den auch die ausdrucksvolle, dunkel 
timbrierte Altstimme nicht hinweghelfcn konnte. 
In der Kirche wfirde das Werk mit Orgel- 
begleitung eher gefallen. Der Pianist Cortot 
aus Paris spielte das seltener gehorte c-moll 
Konzert von Saint-Saens wundervoll. Unser 
Orchester erntet unter Busch Lorbeeren. Ganz 
kurz sei auf eine kostliche Wiedergabe der 
Pastoralsymphonie Beethovens, auf DvoHk's 
Heldenlied und Bruckners Ffinfte (beide zum 
ersten Male in Aachen) hingewiesen. Der 
Pianist van de Sandt spielte Chopin sehr fein. 
Frau Mysz-Gmeiner brachte Lieder von 
Schubert und Loewe, die Boh men im 2. Kammer- 
musik-Konzert ihren Landsmann Dvorak und 
Beethoven op. 59 No. 3 unubertrefflich im 
Zusammenspiel und zartesten Duft des Klanges. 

Prof. Liese 
D ADEN-BADEN : Aus dem sommerlichen Musik- 
" leben, das sich hier wie an alien Kurorten 
in rubigen Bahnen bewegt, hob sich dieses Jahr 
ein Konzert, das wohl mehr interesse verdient 
hStte als etwa die Erstauffuhrung einer Qperetten- 

XIII. 5 fJ-Tli/n:! :v,-C iOOO 

n 



novitat von zweifelhaftestem musikalischen Wert: 
es war ein Sonderkonzert unveroffentlichter 
Werke der Tonkunst aus dem 18. Jabr- 
hundert. In der Donaueschinger Furstlich 
Furstenbergischen Hofbibliothek hat man bei 
der derzeitigen Sichtung der dort ruhenden 
Ffille alter Notenmanuskripte eine Reihe inter- 
essanter Kompositionen von Dittersdorf, Haydn, 
Kreutzer u. a. aufgefunden, die teils unbekannt 
waren, teils als verschollen galten. Der Ffirst 
von Ffirstenberg hat nun fur eine Aufffihrung 
einzelner dieser Werke durch das hiesige 
stadtische Orchester die Manuskripte in liebens- 
wfirdiger Weise zur Verffigung gestellt. Kapell- 
meister Burkhard (Donaueschingen), der mit 
Prof. Heinrich die Sichtungsarbeiten vornimmt, 
leitete das hiesige Konzert. Zur Auftubrung 
kam eine gefailige, wenn auch nicht gerade 
bedeutende Serenade von Dittersdorf, deren 
Figuration in den raschen S&tzen an Mozart 
erinnerte. Im Mittelpunkt des lnteresses stand 
eine Haydn-Symphonie in D-dur, der man 
skeptisch gegenfiber trat, die aber bei strenger 
Kritik doch als Werk des Ahmeisters der Sym- 
phonie gelten konnte; sie zahlt zwar nicht zu 
seinen reifsten Werken, weist aber in dem 
flussigen Allegrosatz, dem derbfrohlichen Menuett 
und dem reizvollen humorgewfirzten Rondo recht 
originelle Gedanken auf. Den nachhaltigsten 
Eindruck vielleicht hinterliefien zwei von George 
A. Walter feinnuanciert und geistvoll vorge- 
tragene Arien aus Haydn's Oper„Ritter Roland"; 
aut die einen sonnigen Humor ausstrahlende 
Arie des Don Pasquale mit ihrer originellen 
Klangmalerei in der Orchesteibegleitung sei 
besonders hingewiesen. Auch die frischlebendige 
Ouverture zur genannten Oper verdient Interesse. 
Kapellmeister Burkhard, ein junger, srebsamer 
Musiker, gab den Werken eine stilsichere, ge- 
diegene Interpretation. — Die Primadonna von 
der Op£ra Comique in Paris, Maggie Teyte, 
brachte zusammen mit dem Tenor Vincent 
von der Covent Garden-Oper in London in 
Kostfimen Lieder aus dem 18. Jahrhundert sowie 
Weckerlins entzfickende kleine Oper„La Laitiere 
de Trianon* 4 in szenischer Darstellung im Konzert- 
saal zur Aufffihrung. Der ganze Zauber der 
Rokokozeit lebte in diesem Konzert auf. — Den 
Auftakt ffir die groBen Herbstkonzerte gab 
Ernest van Dyck, der mit Wagner, Schubert, 
Strauft und zwei gehaltvollen Balladen von dem 
hier lebenden Komponisten Eugen von Volborth 
aufwartete und durch den immer noch strahlenden 
Glanz seiner warmblfitigen Stimme, seine vor- 
nehme Gesangskultur und den ausdruckstiefen 
Vortrag Bewunderung fand. Das Stadtische 
Orchester unter Paul Hein machte u. a. mit 
einer interessanten Symphonie von Kalinnikow 
bekannt. An Eugene Ysaye*s grofiem edlen Ton 
und an seiner seelenvollen Kantilene konnte 
man sich im 22. Violinkonzert von Viotti, der 
„Havanaise tt von Saint-Saens und einer kleinen 
stimmungsvollen eigenen Komposition („Reve 
d'enfant**) in kritiklosem Genielien im 2. Herbst- 
konzert erfreuen. Das Orchester, das einleitend 
Beethovens Erste Symphonie spielte, gab der 
Tondichtung „L'apprenti sorcier" von Paul Ducas, 
die Paul Hein bereits vor 12 Jahren in Deutsch- 
land zuerst aufffihrte, viel Geist und Farbe. Die 

jgrofie Attraktion der, -Herbstkonzerte bildete in 
f r- unqinaT from 

- UNIVERSITY OF MlffllGAN 



506 



DIE MUS1K XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



deren 3. Leo Slezak; der gottbegnadete Sanger 
wufite in Arien und Liedern mit seinem hell- 
leuchtenden, durch eine staunenswerte Technik 
unterstutzten Tenor das begeisterte Publikum 
zu nicht endenwollenden Beifallssturmen hin- 
zureiBen. Debussy's „Petite Suite" sowie die 
Oberon-Ouverture brachte dem Orchester mit 
Paul Hein viel Anerkennung ein. Mit einem 
Beethoven-Goetbe-Abend beschlossen Frederic 
Lamond und Irene Lamond-Triesch die 
Herbstkonzerte. Lamond dirigierte die Coriolan- 
ouverture, das Rondino fur Blasinstrumente und 
die Funfte Symphonie, wahrte dabei anerkennens- 
werte Zuruckhaltung in eigenmSchtiger Aus- 
deutung, trat aber dann um so mehr im Klavier- 
konzert in G-dur von Beethoven aus der Reserve 
und gab in seiner uberzeugend personlichen 
Vortragsart hier sein Bestes. Irene Triesch 
rezitierte mit der ganzen Fulle ihrer reichen 
Ausdrucksmittel Balladen von Goethe und das 
Kapitel „Samson und Delila" aus dem Buche 
der Richter. — Em Wunderkind in des Wortes 
bester Bedeutung lernte man in dem zwolf- 
jfihrigen Geiger Duci Kerekjarto kennen; sein 
verstfindnisvolles gefuhlstiefes Spiel fand eben- 
solche Bewunderung wie seine keine Schwierig- 
keiten kennende Technik. Ein weit das Durch- 
schnittsmaB uberragender Pianist ist der fein- 
fuhlige Franz Xaver Muhlbauer, der in einem 
Klassiker wie Moderne umfassenden Programm 
einen schonen Beweis seiner echten soliden 
Kunstlerschaft gab. August Scharrer brachte 
mit dem Chorverein Max Brucbs „Odysseus a 
zu einer innerlich belebten, an dramatischen 
Hohenpunkten reichen Auffiihrung und erntete 
nebst den zum Teil aus Vereinsmitgliedern be- 
stehenden Solisten verdiente Anerkennung. — 
In diesem Winter wird hier ein besonders 
reges Musikleben herrschen; wird doch Paul 
Hein in den Abonnements- und Symphonie- 
konzerten etwa 25 Novitaten zur Auffiihrung 
bringen. Dr. Hans Munch 

OASEL: In den beiden ersten Symphonie- 
" konzerten der Saison, in denen Hermann 
Suter in gewohntgewissenhafter, wohlerwogener 
Wiedergabe Brahms' „Erste", Schumanns Sym- 
phonic d-moll, Wagners „Siegfried-Idyll a und 
Straufl* „Don Juan* 4 vermittelte, bestritten Ru- 
dolph Ganz und Aaltje Noordewier den so 
listischen Teil. Ersterer bot in technisch uber- 
aus glanzender, musikalisch etwas kuhl-reser- 
vierter Interpretation das C-dur Klavierkonzert 
Beethovens und die „£tudes en forme de varia- 
tions a op. 13 von Schumann. Letztere eine 
Reihe gutgewShlter Lieder von Schubert und 
StrauB in intelligenter, vielleicht zu intelligenter 
Ausfuhrung. — Zu Volkskonzerten im edelsten 
Sinn gestaltete Adolf Hamm seine obligaten 
drei Orgelabende, in denen unter Zuzug von 
Solisten Orgel-, Vokal- und Instrumentalwerke 
aller Epochen stimmungsstarke Auffiihrung 
fanden. Schonen Erfolg erspielte sich der 
Zuricher Organist Ernst Isler in einem eigenen 
Konzerte speziell mit der Wiedergabe von Werken 
Regers, und ein gemeinsames Munsterkonzert 
vereinigte das Trio Casals-Hamm-Philippi 
zu einem an exquisiten Gaben reichen Abend. 

Gebhard Reiner 
DERL1N: In dem ersten von seinen vier an- 
*-* gekundigten Symphonie-Abenden brachte 

/nil :«v C lOOOlc 



D 



.'r;!- 



Theodore Spiering eine Reihe neuer Orchester- 
werke: Max Regers Konzert im alten Stil 
(dreisgtzig), „in a summer garden" von Frederick 
Delius und Hauseggers Dionysische Phan- 
tasie. Die vier Bet- und BuBlieder fur BaB mit 
Orchesterbegleitung von E. N. v. Reznicek, die 
Paul Knupfer singen sollte, muBten wegbleiben, 
da der Sanger plotzlich erkrankt war. Das 
Regersche Werk (op. 123) zeigt, dafi der frucht- 
bare Tondichter das Orchester jetzt wirkungs- 
und klangvoller zu behandeln gelernt hat, eine 
Kunst, die Delius und Hausegger sich schon 
zu eigen gemacht batten, ^als sie mit ihren 
ersten Werken an die Offentlichkeit tratcn. 
Schumanns Zweite Symphonie bildete den SchluB 
des Programms. Spiering bewahrt sich ebenso 
tuchtig als Dirigent wie als Geiger und fuhrt 
den Taktstock genau so sicher wie den Violin- 
bogen. — Im 2. Symphonieabend der Konig- 
lichen Kapelle hat Richard StraufJ Gustav 
Mahlers w Lied von der Erde" zu wunderbarer 
Wirkung zu bringen verstanden; man spurte 
in jedem Augenblick, wie der Dirigent mit 
warmer Liebe den Mahlerschen Orchestersatz, 
die eigenartige Stimmung gerade dieser Musik 
zu ihrem vollen Rechte kommen lassen wollte. 
Unterstiitzt wurde er dabei aufs beste von Frau 
Charles Cahier, die ihren Anteil an den sechs 
Gesangen, namentlich den bedeutenden SchluB, 
mit wahrhaft erschutterndem Ausdruck gab. Herr 
Jadlowker wuBte leider mit seiner Partie gar 
nichts anzufangen; er verstand offenbar gar 
nichts von seiner Sache, auch sein Organ klang 
ganz stumpf. An Beethovens Zweiter durfte 
sich nach Mahlers reichlich pessimisiischer 
Musik das Publikum erholen. — Der Berliner 
Lehrer-Gesangverein (Felix Schmidt) gab 
sein erstes Konzert dieses Winters. In die 
Mitte des Programms war der groBe Preischor 
„1813" gestellt worden, den Friedrich Hegar auf 
Adolf Freys Gedicht fur das vierte Kaiser-Wett- 
singen komponiert hat. Der Dirigent hatte die 
ursprungliche Fassung des Chores gewahlt, der 
in Frankfurt in gekurzter und erleichterter Fassung 
gesungen worden war. Einige dem Verein ge- 
widmete Chorstucke, wie w Echo tt von Otto Taub- 
mann und Rudolf Bucks „Ostmarkisches Bauern* 
lied", ferner „Die Nacht" von Franz Schubert, 
mehrere Chore aus dem Volksliederbuche, sowie 
der kleine Preischor „Wanderlied" von Behm 
bildeten den Inhalt des Programms, in dem 
Zelters „Meister und Gesell" mit seinem kost- 
lichen Humor einen Glanzpunkt abgab. Auch 
eine junge Violinspielerin, Alexandra Feldser, 
erntete mit Stiicken von Vieuxtemps, Bruch u. a. 
reichen Beifall. — Im 3. Nikisch-Konzert, 
das mit der Tragischen Ouvertiire von Brahms 
begann und mit der zu „Genoveva" von Schumann 
schloB, wurde die neue Romantische Suite op. 125 
von Max Reger gespielt, deren erste zwei SStze, 
Notturno und Scherzo, durch die Feinheit 
und Klangschonheit der Orchesterfarbung uber- 
raschten. In der Themenbildung, der Melodie- 
fiihrung und Rhythmik vernimmt das Ohr nur 
wenig greifbar plastische Gebilde, der Aufbau 
der Satze erscheint nicht architektonisch fest; 
aber die Stimmung der Eichendorffschen Ge- 
dichte, die den Tondichter zu seiner Musik in- 
spiriert haben, ist doch glucklich getroffen. Im 
Finale greift Reger auf Wendungen des Notturno 

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KRITIK (KONZERT) 



307 



zuruck; leider will sich hier aber keine ge- 
schlossene Entwickelung einstellen, es zerflatttrt 
gar zu sehr in Einzelheiten, dehnt sich auch im 
Verhaltnis zum Inhalt zu sehr in die Lange. 
Pablo Casals, der Dvordks Cellokonzert in h 
und spater die Suite in C fur Cellosolo von 
Bach spielte, zeigte sich als ein Meister seines 
Instrumentes. Er ist kein Virtuose, sondern 
ein Kunstler, sonst hStte er sich wohl etwas 
anderes als die Bachsche Suite zum Vortrag 
gewahlt, mit der er das Beste des ganzen Abends 
gab; jeden einzelnen der sechs Satze brachte 
er klangschon,den geisltigen Inhalt mit vollendeter 
plastischer Gestaltung zur vollen Geltung. — 
Leo Slezak, von Prof. Dachs am Klavier be- 
gleitet, gab einen Liederabend. Ein stimm- 
gewaltiger Sanger, der sich in starken Gegen- 
satzen zwischen ff und pp nicht genug tun kann; 
die Horer jubeln ja, wenn er die hohen Tone 
in den Saal schmettert und dann plotzlich eine 
ganze Phrase kaum vernehmbar hinhaucht. Ein 
Lied wirklich in seiner Stimmung zu erfassen, 
ist er nicht imstande; ein feiner empfindender 
Mensch hat diese Art Tenore bald recht satt. — 
Eine verdienstliche Tat hat das Marteau-Quar- 
tettvollbracht, indemesdrei Kammermusikwerke 
Fried! ich Gernsheims, das Quartett in cop. 25, 
das Klavierquartett in F op. 47 und die Sonate G 
op. 85 fur Klavier und Violine auffuhrte; der 
Komponist spie te in den beiden letzten Werken 
den Klavierparr. Uberall zeigt sich die reicbe 
musikalische Erfindung, warmblutiges Tempera- 
ment und die sichere Gestaltungskraft des 
Meisters, der, an den Klassikern herangebildet, 
doch niemals nur nachformt, sondern im leben- 
digen Kontakt mit seiner Zeit aus dem Vollen 
schafft und seine Eigenart reif ausgebildet hat. 
— In seinem 1. Winterkon?ert sang der Berliner 
Sangerverein (Caecilia Melodia) unter dem 
Chormeister Max Eschke Hegars „Trompete 
von Gravelotte" und „1813 a , drei kraftvolle, 
charakteristisch gestaltete Chore von Hugo 
Kaun, vier Lieder von Kremser, Behms Wander- 
lied u. a. und erfreute durchweg durch Reinheit 
der Intonation, deutliche Textaussprache, rhyth- 
mische Sicherhcit; eine gesunde naturliche Auf- 
fassung und Frohsinn im Singen kennzeichnen 
diesen Mannerchor, dem man gerne zuhort, auch 
wenn man kurz vorher den Lehrergesangverein 
gehort hat. Mathilde Gilow hat einen sym- 
pathisch anklingenden hohen Sopran, der selbst 
ein so schwieriges Stuck wie Alabieffs „Nachti- 
gall u geschmackvoll vorzutragen vermag. Josef 
WeiB spielte ein paar seiner Virtuosenstiicke. 

E. E. Taubert 
Die Berliner Mozart-Gemeinde veran- 
staltete zur Feier des Jubilaumsjahres 1913 ein 
Konzert, das vom Berliner Brahms- Verein 
und dem Zehlendorfer Chorgesangverein 
mit Zuziehung des Philharmonischen Orchesters 
ausgefuhrt wurde. Wieder lernte man den Leiter 
aller drei genannten Vereine, Fritz Ruck ward, 
als trefflichen Musiker schatzen und konnte 
sich uber die Chorleistungen im allgemeinen 
nur freuen. Nicht gerade hervorragend war das 
Soloquartett mit Mary Mora von Goetz, Hetta 
von Schmidt, Georg Funk und Wilhelm 
Guttmann besetzt; am Cembalo wirkte Max 
Laurischkus, an der Orgel Johannes Senft- 
leben. Fur HSndels 100. Psalm und fur 

n'inli/r?:! :v,- V ilX)0 

n 



Mozarts stark verweltlichte sog. Kronungsmesse, 
deren Agnus Dei besonders melodisch ist, konnte 
man sich nicht mehr so recht erwarmen: um so 
mehr wirkten BeethovensChor-Phantasie, deren 
obligate Klavierstimme vortrefflich von Waldemar 
Lutschg ausgefuhrt wurde, und das Triumph- 
lied von Brahms. — Nur mit Begeisterung kann 
man von dem Konzert desKonigl. Hof- und 
Domchors reden, dessen Leistungsfahigkeit 
Hugo Rudel sehr gehoben hat; das Programm 
bot in seiner ersten Halfte altere, in seiner 
zweiten lebende Meister. Hochst eindrucksvoll 
war Hauseggers 6stimmiges Requiem, durch 
feine Tonmalerei ausgezeichnet W. von Baufi- 
nerns Weihe der Nacht, doch den Hohepunkt 
der Chorleistung bildete die 16stimmige Hymne 
op. 34 No. 2 von Strauft. — Sehr gut fuhrte sich 
eine neue Trio-Vereinigung ein, die der Lehrer 
an der Kgl. Hochschule Prof. Ludwig Hirsch- 
b e rg mit zwei weit jungeren Herren, dem Geiger 
Richard Kroemer und dem Violoncellisten des 
neuen Marteau-Quartetts Georges Georgesco 
gegrundet hat. — Als Meister ihres Instrumentes 
erwiesen sich wieder die Geiger Franz von Vec- 
sey und Michael Preft, die mit dem Philhar- 
monischen Orchester konzertierten; ersterer be- 
geisterte mich durch den Vortrag des Bachschen 
Konzerts in E; letzterer, dem das Brahmssche 
sehr gut lag, verhalf dem Phantasiestuck von 
Hugo Kaun wieder einmal zu einem grofien Er- 
folg. — Eine sehr talentvolle Schulerin Hans 
Sitts, Katharina Bosch, die mit dem Bluthner- 
Orchester konzertierte, trat fur das Konzert ihres 
Lehrers op. Ill, der selbst das Orchester leitete, 
und auch fur des gleichfalls am Dirigentenpult 
stehenden Julius Weismann Konzert op. 36 
mitgroftter Hingabe ein; letzteres ist ein gehalt- 
volles, ernstes, in bezug auf Ausdruck und Ge- 
staltungsfahigkeit grofle Anspruche stellendes, 
leider viel zu stark instrumentiertes Werk, das 
eigentlich nur im Finale besonders dankbar fur 
die Solostimme ist. Wilhelm Altmann 

Uberaus anregend und genufireich verlief das 
vom Moskauer Synodal-Chor veranstaltete 
Konzert. Man hat hier schon mehrfach Ge- 
legenheit gehabt, Vertreter des hochentwickelten 
russischen Kirchengesangs zu horen. Der aus 
42 Sangern (25 Knaben und 17 Erwachsenen) 
bestehende Moskauer Chor, der in dem jungen 
N. Golowanow einen hervorragend befahigten 
Dirigenten besitzt, darf zu den ausgezeichnetsten 
Vereinigungen dieser Art gerechnet werden. Er 
verfugt uber sorgfaltig ausgewahltes, teilweise 
prachtvolles Stimmenmaterial (die Soprane sind 
in Klang und Ausdruck von fast madchenhafter 
Zartheit, im forte von strahlendem Glanz; 
weniger bestechend sind Alt und Tenor, unuber- 
trefflich dagegen die des ofteren in die Kontra- 
oktave hinabkletternden Basse), genugt in rhyth- 
mischer und besonders in dynamischer Hinsicht 
den strengsten Anforderungen und lafit, was 
Warme und Lebendigkeit des Vortrags anbelangt, 
keinen Wunsch unbefriedigt. Die in farben- 
reiche Kirchengewander gekleideten Gaste trugen 
denn auch mit Kompositionen von Ippolitow- 
Iwanow, Kalinnikow, Lwowsky, Tschaikowsky, 
Rachmaninoff, Kastalsky u. a. einen gewaltigen 
Erfolg davon. — Einen „Bach-Beethoven-Abend 
mit fun f Blasinstrumenten" veranstalteten Elsa 



nd George A. Waltp-jf p j i: ^pjtg^ ^fj^rkung der 

UNIVERSITY OF M^HIGAN 



1n< 



308 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



Kammermusiker H. W. de Vries (Flote), Gott- 
lieb Schreiber (Oboe), Waldemar Conrad 
(Klarinette), Louis Scheiwein (Fagott) und 
Georg Bottcher (Horn). Zum Vorrrag ge- 
langten sechs Bachsche Arien (mit Solooboe, 
-flote und -horn), in denen der vorzuglich dispo- 
nierte Sanger wieder durch sichere Beherrschung 
des Bacbschen Stils, reifes musikalisches Emp- 
finden und feinsinnige Behandlung seines wohl- 
geschulien Organs erfreute. Einen nicht minder 
kunstlerischen GenufJ bedeutete die durch 
geistigte Wiedergabe des Liederkreises an die 
feme Geliebte; drei Liedern von Beethoven 
hatte Walter ein instrumental Gewand an- 
gezogen, meines Erachtens ein ziemlich 
flussiges Unterfangen. Elsa Walter ist eine 
feinfuhlige Begleiterin und treffliche Rammer- 
spielerin; in Beethovens Sonate D-dur op. 10 
No. 3 bewies sie Gestaltungskraft und Musikalitfit. 
Das fesselnde Programm bot ferner in aus- 
gezeichneter Wiedergabe Beethovens Quintett 
op. 16. Willy Renz 

Willy Haehnel (Violine) ist noch kein 
fertiger Kunstler; seine Technik ist noch nicht 
sicher genug und der Vortrag zu suBlich. Um 
den grofien Bluthner-SaaleinigermaBen zu fullen, 
wirkte Paula Nivell mit, die fur den Vortrag 
der Arie der Rosine aus dem „Barbier" wobl- 
verdienten Beifall erntete. — Bertha Manz 
(Mezzosopran) bemuhte sich vergeblich. Die 
Leistungen der mitwirkenden Herren Rudolf 
Bartich (Violine) und Friedrich Miiller-Bar- 
neck (Klavier) standen auf einem hoheren 
Niveau. — Helene Glinz versteht es, mit ihrer 
anmutigen hohen Stimme und einem netten 
Vortrag ihre Zuhorer fur sich einzunehmen. — 
Margarete Heim ist ebenfalls ein ansprechendes 
Gesangstalent. Die VortrSge auf zwei Klavieren 
von Lotte Groll und Walter Ziegler lieBen 
vorUufig nur auf grofien FleiB schlieBen. — 
Max Trapp ist mehr Musiker als Pianist, was 
naturlich fur inn einnimmt. Hoffentlich eignet 
er sich noch eine zuverlSssigere Technik an. 

Max Vogel 

Josef Pembaur ist,wenn er sich in m derne, 
malerisch empfindsame Stucke wie „Ondine u 
(M. Ravel) und „Reflets dans Peau" (Debuss>y) 
vertiefr, mit dem Klavier ein einziger Organis 
mus. Seine Schwachen jedoch, schwebende 
Zugellosigkeit und grundlose Pathetik, zeigen 
sich am deutlichsten in groBeren klassischen 
Stucken : die Wiedergabe der „Appassionata tt war 
seelisch wie technisch ein Unding. — Nichts 
weniger als GenufJ bereiteten die Lieder von 
Gustav Leonard. Handwerklich-musikalische 
Begabung, die von einer erschreckend geringen 
Selbstkritik gehegt wird, brachte da viel Boses 
zutage. Und drei tuchtige Kunstler: Meta 
Zlotnicka, Louis van Laar und Anton 
Sistermans muBten sich in die Darbietung 
teilen. Sistermans allerdings gab nur seine 
grobere Kunst her. — Willi Kewitsch (Sopran), 
Paul Schram m (Klavier). Die Sangerin brachte 
mit etwas scharfem Temperament, aber sonst 
ausgezeichnet neue Lieder zum Vortrag: sieben 
mit Triobegleitung von Robert Kahn, gefallige, 
aber dem neuen Tage abgewandte Stucke, und 
einige von zwei ernsten jungeren Musikern: von 
Lissauer und Carriere. Das Entzucken 
Konzerts aber bildete„ das geistyolle Spiel 

(V 



ungemein begabten Pianisten Schramm, dessen 
vibrierende Art ihresgleichen sucht. - Lula- 
Mysz-Gmeiner und Rudolf Gmeiner sangen 
einen behmel-Zyklus von Hermann Zilcher 
(14 GesSnge), der eine Unendhchkeit von 
schreienden Sentimentalitaten umfaBr, die von 
„truber Liebe" umgrenzt sind. Als die besten 
Stucke erschienen mir wEingang 14 , „Nachtgebet 
der Braut 44 , „Blick ins Licht" und „hin Grab*. 
Lula Mysz-Gmeiner sang energisch, zart, rein 
— und immer herrlich; ihr Partner half ihr mit 
schoner Stimme und nicht eben bedeutender 
Kunst. — Im 3. der Loevensohn-Kon- 
zerte, die wegen ihrer Uneigennutzigkeit nicht 
fiber- genug gelobt werden konnen, horten wir sieben 
Manuskriptlieder von S. Lieberson, die Wil- 
helm Guttmann, ein Sanger von seltenen 
Gaben, SuBerst wirksam vortrug. Nach der sehr 
ernst zu nehmenden Diktion des Heineschen 
„Es war ein alter Konig" hStte man allerdings 
mehr erwartet als nur ein musikalisches „Scha- 
kern mit den Weidenkatzchen". Ernest Chaus- 
son's leidenschafiliches, aber im Grunde hng- 
weiliges Konzert fur Klavier, Violine und Streich- 
quartett spielten die Herren: Kreutzer, van Laar 
(Solo-Violine), Hait, Kursch, Kutschka und 
Loevensohn mit feinem Stilgefuhl. — Aucb die 
Kammersangerin Elisabeth Boehm van Endert, 
deren sprodes Material wenig Reizvolles dar- 
bietet, sang zwei neue Lieder mit Orchester von 
Clemens Schmalstich, die mehr geschickt ge- 
macht als empfunden sind. Besser lag ihr scbon 
die „Mittelalterliche Venushymne* 1 von d^Albert, 
die leider den Schlufi eines bekannten Klavier- 
werkes von Franck zu einem wichtigen Motiv 
verwendet. Arno Nadel 

Durch stilgemSBe und bis ins kleinste fein 
abschattierte Vorfuhrungen verlief der Trio- 
Abend von Robert Kahn (Klavier), Joseph 
Rywkind (Violine) und Artnur Williams 
(Cello) sehr genuGreich. — Dieses Trio unter- 
stutzte auch den Liederabend von Rose Walter, 
die mit ihrer hubschen und gut kultivierten 
Stimme einem Liederzyklus mit Triobegleitung 
von Robert Kahn zu schonem Erfolge verhalf. — 
Der Cellist Anton Pokrovsky weifi wenig zu 
interessieren; das Beste an seinen Leistungen 
i>t der umfangreiche Ton. — Der jugendliche 
Geiger M. Piastro ist freilich auch noch nicht 
ganz konzertfertig, spielt aber viel temperamem- 
voller und sehr musikalisch. — Durch technisch 
reifes und wohldurchdachtes Klavierspiel und 
ein sehr interessantes Programm nahm Elsa 
Rau fur sich ein. — Der Clara Krausesche 
Frauenchor (Dirigentin: Clara Kra use) brachte 
mit dem Bluthner-Orchester zwei wohlgelungene 
Erstauffuhrungen: w Athenischer Fruhlingsreigen* 
von F. Frischen und „Das blaue Gemach" 
von A. FickSnscher. Ich gebe dem ersteren 
Werke den Vorzug wegen seiner naturlichen 
und dem Text aufs glucklichste angepaBten 
musikalischen Illustration. Die Sologesange der 
Altistin Agnes Fridrichowicz waren in jeder 
Beziehung ein groBer GenuB. — Die junge 
Pianistin Hansi Blechmann mag durch 
Podiumangstlichkeit noch an der vollen Ent- 
faltung ihrer Fahigkeiten gehindert sein, man 
kann ihr aber jetzt schon groBes technisches 
Konnen und reines musikalisches Empfinden 



des 
des 



beze 



TOinalfr<i i ft Weingartner hie,t e,nen 



UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



309 



Vortrag uber Richard Wagner zur Erinnerung 
an dessen 100. Geburtstag. Etwas direkt Neues 
bracbte der Vortragende nicht, aber in klarer 
Obersicht und auf temperamentvolle Weise 
Zeigte er als Grundzuge der Wagnerschen 
Kunst die Idee der Erlosung und des Helden- 
tums. Dann ging er auf das Problem der Kunst 
tiber, das in Verbindung von Wort und Ton 
besteht, den Einfluli Schopenhauers und die 
Entwickelung Wagners bei jedem einzelnen 
Werke. Eine unbegrenzte Liebe und Verehrung 
fur den Dichterkomponisten sprach aus den 
Worten des Vortragenden. Emil Thilo 

Gunstige Eindrucke hinterliefS das Spiel des 
jugendlichen Geigers L£szlo Ipolyi, der neben 
schon rectat befriedigend entwickelter Technik 
gesundes Auffassungs- und Vortragsvermogen 
bekundete. Wurde er beim gestoBenen Staccato 
wie beim Legato weniger mit dem ganzen Arm 
als nur mit dem Handgelenk arbeiten, so wurde 
sein Spiel auBerlich an Eleganz und sein Ton 
an Elastizitiit und Warme gewinnen. — Wilhelm 
Guttmann zeigte sich aufs neue als intelligenter, 
musikalisch empfindender Sanger. Seine Stimme 
ist nicht das Beste an ihm und bedarf gelegent- 
lich noch bezuglich freier, runderer Tongebung 
erneuter Aufmerksamkeit. Seine ganze gesang- 
liche Beanlagung ist rein lyrisch, und uberall 
da, wo er sich in diesem Fahrwasser bewegte, 
erzielte er kunstlerisch wertvolle Erfolge. Seinem 
meisterhaften Begleiter Eduard Behm ersang 
er mit einer Anzahl von Manuskriptliedern einen 
sehr schonen Erfolg; als besonders wertvoll 
erwies sich unter ihnen „Der erste Schnee", 
ein sehr feines Stimmungsbild, und „Fruhlings- 
ruhe a , wahrend das Publikum „Sieger a und 
B Zigeunerst&ndchen" besonders auszeichnete 
und da capo verlangte. — Hochkunstlerischc 
Genusse zeitigte der erste der diesjahrigen Trio- 
abende des Georg Schumann-Trios. An 
klanglicher Ausgeglichenheit, absoluter Sauber- 
keit und durchdachter Vortragsweise sind die 
Darbietungen dieser erstklassigen Triovereinigung 
kaum zu ubertreffen, und das Beste ist, daft 
jedem der drei Kunstler in gleichem Mali das 
gleiche Lob gebuhrt; so vermochten sie dank 
ihrer Kunst den drei Beethovenschen Werken 
op. 1 No. 3, op. 70 No. 1 und op. 97 zu tief- 
gehender Wirkung zu verhelfen. — Die aus 
14 Herren bestehende Konzertvereinigung 
des K aiser-Wil helm -Gedachtni ski rchen- 
chors sang unter Leitung ihres Dirigenten 
Alexander Kiefllich Gesange von Palestrina, 
Lasso, Kiel und Vitali und zeigte hier neben 
meist sauberer Intonation klangliche Ausge- 
glichenheit und recht hiibsches Stimmaterial. 
Auch einigen Neuheiten verhalfen sie zu 
lebensvoller Wirkung, so W. Bergers „An den 
Scblaf" (einer sehr feinen, stimmungsvollen 
Komposition) und besonders Karl Kampfs 
poetisch durchgeistigtem „Morgen an der Ost- 
see", wShrend Franz Mikoreys geschraubte, 
wenig sympathische Musik zu „Fruhling und 
Frauen** auf groflere Massenwirkung rechnete. 
Zwischendurch erfreute Hilde Fordan-El- 
gers durch beifallig aufgenommene Violinvor- 
trage. — Auch Sam Fid elm an n gehdrt zu 
den Geigern, denen man infolge ihres ehrlichen 
Strebens und Konnens gem zuhort. Sein Ton 
ist zwar klein, aber kbensvoll und s^m^pathisch. 



und seine Technik schon jetzt derartig ent- 
wickelt, daC er z. B. den nicht durchweg sonder- 
lich violinmafligen Passagen in Karlowicz* der 
Erfindung nach etwas mattem Violinkonzerte 
gerecht zu werden vermochte. — Der Lieder- 
abend von Irmgard Kraus-Sonderhoff hielt 
leider die anfangs in Brahms' Zigeunerliedern 
erweckten gunstigen Eindrucke im weiteren Ver- 
lauf des Konzerts nicht aufrecht. Mit Fritz 
Cromes GesSngen, die der SBngerin fast durch- 
weg zu hoch lagen, vermochte sie die gesang- 
lichen MSngel ihrer Schulung nicht zu verdecken, 
wenn es ihrauch gelang, durch ihren intelligenten 
und von innerer Warme zeugenden Vortrag 
vieles zu uberbrucken und dem talentierten 
Komponisten zu Anerkennung zu verhelfen. 
Ihre Stimme ist nach Registersitz, Volumen und 
Timbre die echte Altstimme; es ist demnach 
nicht wohlgetan, bei einer offentlichen Produk- 
tion fast durchweg in hoheren Lagen, die eigent- 
lich das Gebiet des Soprans sind, herumzusingen 
und die Stimme dauernd zu unnaturlichen An- 
strengungen zu zwingen. — Ein auffallend 
schones, nach der Hohe zu glanzvoll ausgiebiges 
Tenormaterial zeigte Carl Ludwig Lauen stein. 
In vieler Hinsicht ist dies wertvolle Material 
schon zu kunstlerischer Reife erzogen. Was 
deutlichere Aussprache und namentlich plan- 
voile Verwertung der Konsonanten betrifft, bleibt 
noch viel zu tun ubng, ebenso in der kunst- 
lerischen Disziplin des piano, das jetzt meist 
dumpf und gaumig klingt. Die offenbare In- 
telligenz des Sangers trat namentlich in der 
achtbaren BewSltigung einiger schwieriger, aber 
keineswegs wertvoller Neuheiten von Mauke 
und Bitter vorteilhaft zutage. Der Begleiter 
M. Raucheisen hatte sich groflere Rerserve 
auferlegen sollen. Emil Liepe 

Willy Burmester gehort zu den Genialen, 
die nicht immer mit gleicher Gute ihre Gaben 
spenden. Diesmal aber war er ganz besonders 
gut ^aufgelegt", und so war es nicht verwunder- 
lich, dafi er Gegenstand ekstatischster Ovationen 
war. Emeric Kris ist als Begleiter recht gut 
am Platze, als Solist zu aufierlich. — Der jugend- 
liche Cellist Hans Bottermund konzer- 
tierte mit dem Bluthner-Orchester unter der 
etwas schulmeisterlichen Direktion Johannes 
Reicherts. Er spielte die Konzerte von 
d'Albert in C und von Dvofdk in h mit groOem 
musikalischen Verstandnis und mit respektabler 
Technik. Besonders bemerkenswert seine Ar- 
peggien, Piccicati (die von groBer Klangschon- 
heit sind) und Flageoletts. —John Thompson 
und Marie Barinowa betStigten sich kla- 
vieristisch. Ersterer steckt vorlauflg noch ganz 
im Technischen. Sein recht buntes Programm 
erledigte er mit mehr oder weniger gutem Ge- 
lingen. In musikalischer Hinsicht ist ihm noch 
ein geruttelt MaC grofieren VerstMndnisses fur 
die Meisterwerke unserer Literatur zu wunschen. 
Erfreulicher war der Abend der Frau Barinowa. 
Sie steht vollig uber der Materie. Wer Beet- 
hoven und Chopin mit solch innerem Ver- 
standnis, mit so poetischer Auffassung zu deuten 
weifX, der ist zu GrdfJerem berufen. Nur eines 
mochte ich ihr fur die Zukunft raten: Bach 
darf man nicht zu klavieristisch auffassen, das 
polyphone VerstSndnis_kommt da etwas zu kurz, 
find — ihr HauptfehfeJf'Wnalefrfi&litraste von 

11 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



310 



DIE MUS1K XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



Licht und Schatten mussen sorgsamer verteilt 
werden. Die Dynamik ist nicht al fresco zu 
deuten, das wirkt manieriert. — Zwei Orgel- 
konzerte* von Karl Straube erregten in be- 
sonderem Mafie die Neugierde der Bach- und 
Orgelinteressierten Welt Groli-Berlins. Gewili 
hat mancher tiefe Eindrucke, reiche Belehrung 
und Anregung mit nach Hause nehmen konnen. 
Und wer zu denen gehort, die Bach in liberalster 
Weise modernisiert zu geniefien belieben, der 
ist ganz gewili auf seine Rechnung gekommen. 
Wer aber historische Auffassung schatzr, wem 
Bach viel zu hoch steht, um seiner Eigenart 
durch moderne ubertriebene Effekte (und nur 
von diesen rede ich hier) das eigentliche Lebens- 
element, das Grofiartige, Ernste, Monumentale, 
zu nehmen, der konnte sich mit Straubes 
(gewili diskutabler, in mancher Hinsicht teil- 
weise berechtigter) Bach-Auffassung nicht vollig 
einverstanden erklaren. Dali Straube spiel- 
und registriertechnisch „an sich" einwandfrei 
ist, das versteht sich bei solchem Meister von 
selbst. Ich wollte hier nur opponieren gegen 
eine Bach-Auffassung, die ich als manieriert be- 
zeichnen mufi. Die grofiten Leistungen dieser 
beiden interessanten Konzerte waren unstreitig 
die „Neun Orgelchorale" von Bach, Regers hier 
erstmaliggehSrtesop. 127, „Einleitung, Passacaglia 
und Fuge", das er eigens fur die Einweihung 
der Breslauer Orgel komponierte (schade, daC 
man ihm die „Gelegenbeit a oft zu deutlich 
anmerkt), die Bachsche g-moll Phantasie und die 
Fuge in C (Toccata und Adagio waren wenig 
erfreulich). Die hochst virtuose Interpretation 
der c-moll Passacaglia beendete sehr wirkungs- 
voll diese in der Hauptsache den Manen unseres 
grolien Sebastian Bach gewidmete Veranstaltung. 
— Von kammermusikalischen Darbietungen 
horte ich den 3. Abend von Artur Schnabel, 
Carl Flesch und Jean G6rardy, die „Jungfern- 
rede" einer neuen Trio-Vereinigung: Earl 
William Frederick Morse (Violine), Felix 
Robert Mendelssohn (Violoncello), Adolf 
Waterman (Klavier) und einen „Modernen 
Sonaten-Abend" von Arnold Wagner (Klavier) 
und Petrescu Woiku (Violine). Die Leistungen 
der ersten Vereinigung sind zur Genuge be- 
kannt. Die neue Vereinigung widmete ihr 



als ziemlich wertvoll zu bezeichnen, doch 
machten sie in der Art dieser Ausfubrung keine 
besonders gute Figur. Der Pianist ist feiner ge- 
bildet, der Geiger naturlicher. — Den BeschluB 
meiner diesmaligen Rezensionen machen zwei 
Liederabende von Axel Ringstrom (Tenor- 
bariton) und Selma vom Scheidt. War das 
Programm des ersteren etwas bunt, so zeigte 
das der bekannten Weimarer Kammersangerin 
erfreuliches Stilgefuhl. Sie hatte es uber- 
schrieben: „Das Lied in der Form der Arie 
vom 17. Jahrhundert bis auf Mozart." Die Be- 
gleitung besorgten Eduard Behm und Fritz 
Lindemann. Die Gesangskultur des Sangers 
lafit kaum etwas zu wunschen ubrig. Da ist 
ein schoner, resonanter Ton, brillante Atem- 
technik, wundervolle mezza voce. Nach der 
vortragstechnischen Seite aber sieht's bei Ring- 
strom ziemlich arg aus. Eifrigstes Studium 
mufi da Wandel schaffen. Bei Frl. vom Scheidt 
waltet beinahe ein umgekehrtes Verhaltnis. 
Doch sind bei ihr die Ursachen rein natur- 
licher Art. Ihre einstmals scbone Stimme fangt 
an, in der Hohe scharf zu werden. Ihr Vortrag 
jedoch ist in jeder Hinsicht anerkennenswen. 
Carl Robert Blum 
Sophie Sack ist Naturspielerin. Musika- 
lischer Instinkt und Temperament sind ihre 
Vorzuge. Eine Draufgangerin, die mit den Jahren 
durch Ebenmafi wohl ausgereifte Leistungen zu- 
stande bringen wird. — Georg Zscherneck ist 
ein tuchtiger Klavierspieler. Andere Vorzuge 
habe ich keine entdecken konnen. — Edouard 
Risler spielte Bach, Beethoven, Schumann und 
Chopin. Die Kinderszenen von Schumann 
wurdenmeisterhaftvorgetragen.— Clara Gun ther 
spielte dermafien Klavier, dali ich fur ein Durch- 
halten des Abends furchtete. Vollige Steifheit 
des ganzen Spielmechanismus, von tonalerSchon- 
heit keine Ahnung. Entweder vollige Umbildung 
oder ganzliches Aufhoren. — Georg von Lale- 
wicz gab einen Schumann-Abend. Solch be- 
scheidenes Zurucktreten des Ichs gegenuber 
dem Kunstwerke kann nur segenbringend sein. 
Es war ein Abend voll des Schonen. — Albert 
Da widow mulite geistig auf einer bedeutend 
hoheren Stufe jstehen, um ein op. Ill wieder- 
zugeben. Eitle Uberschatzung ist eine Fallbrucke. 



erstes Programm Beethoven (Trio in B, op. 97), | — Ruby Holland spielte vortrefflich. Von der 



Chopin (Sonate in g, op. 65, fur Violoncello 
und Klavier) und C6sar Franck (Sonate fur 
Violine und Klavier). Die Wahl zweier So- 
naten entsprang wohl dem Wunsche, die 
Leistungen der einzelnen besonders zu do- 
kumentieren. Nun, das ist auch zum Teil 
wohl gelungen. Am fahigsten erschienen mir 
die Streicher, wogegen der Pianist durch be- 
sondere Unsauberkeit der Technik und durch 
zu geringe plastische Gestaltungskraft un- 
angenehm auffiel, Dem Geiger gebricht es an 
einem vollen, gut tragenden Ton (vielleicht hielt 
er sich irrtumlicherweise zu sehr zuruck?), und 
der jugendliche Cellist mulite in puncto Phra 
sierung noch eingehendere Studien 
aulierdem weniger aulierlich spielen. 
Letztgenannten ging esganz modern zu 
von Karol Szymanowski (op. 9), 
Enesco (op. 6) und Louis Vierne 



ungen Dame wird man noch mehr horen. 

Hanns Rei ss 
Wenn d'Albert Klavier spielt, pflegt er ein 
paar dutzendmal daneben zu greifen; von 
Emil Sauer hort man nie eine falscbe Note. 
Trotzdem hat man mit Recht d^lbert als 
Pianisten stets hoher eingeschatzt. Carl Fried- 
berg steht zwischen beiden: Beethovens Sonate 
op. 109 z. B. spielt er musikalisch fast so klar 
und groti wie d'Albert und technisch fast so 
vollendet wie Sauer; aber das Letzte in musi 
kalischer und technischer Hinsicht fehlt. Er 
ist iiberhaupt nach keiner Richtung hin ein 
Blender; kein Wunder, dali ihm in Berlin nicht 
treiben, ' der wohlverdiente Erfolg zuteil wird. Auch 
Bei den | Sauer spielte diesmal Beethovens op. 109; sehr 
Sonaten i schon, gewili; nur: was ihm noch viel besser 
Georges gelang, war die „Spieldose tt von Sauer. (Das 



(op. 23) ist's!) Ubrigens andert Friedberg seltsamer- 
standen auf dem Programm. Diese Werke j weise seine Programme stets in letzter Stunde; 
sind schon bekannL die beideni letzteren auch vernjrtjtlklu SWVr-ffri fcststellen, wer von seinen 

: :;,yC iOOJ>lc UNIVERSITY OF MICHIGAN 



D'::j"«i,-'L 



KRIT1K (KONZERT) 



311 



Kritikern wirklich da war. — Ein vortrefflicher 
Musiker und Pianist ist auch Edwin Fischer. 
Einzelbeiten bei Chopin und Liszt zeigten, daft 
er mehr kann, als er gibt, und daB es ihm wohl 
nur an Selbstvertrauen fehlt. Sein Spiel wirkt 
noch etwas unfrei, lSBt Gestaltungskraft und 
Formvermogen vermissen Ein definitives Urteil 
kann man uber ihn zurzeit noch nicht fallen. — 
Das rein Technische beherrscht auch Georg 
Grunberg sehr gut; doch spielte er Sonaten 
von Schubert und Schumann unter stSndigem 
MiBbrauch des Pedals so seelenlos herunter, 
daB der Gesamteindruck wenig erfreulich war. 
— Nicht besser ist es um Vera Kaphun- 
Aronson bestellt: alles unheimlich exakt, 
aber saft- und kraftlos; man glaubte ein Pianola 
zu horen. So ein richtiger, derber Patzer wurde 
geradezu erlosend gewirkt haben. — Ganz anders 
Edouard Risler, dessen 3. Konzert zunachst 
wieder Bach und Beethoven brachte. Er stellt 
sein technisches Konnen stets in den Dienst 
einer hoheren Idee und vermag sogar bei dem 
seltsamen Versuch, die Phantastische Symphonie 
von Berlioz auf dem Klavier wiederzugeben, 
noch kunstlerische Wirkungen zu erzielen. 
Freilich, daB er keine starke Personlichkeit ist, 
kann trotz seiner eminenten Ffihigkeiten nicht 
ubersehen werden. — Angelika Rum m el und 
llonaK.Durigo bewiesen von neuem, daB sie uber 
ein sehr schones stimmliches Material verfugen; 
unnotiges Forcieren hat jedoch bei beiden bereits 
allerhand Ermudungserscheinungen gezeitigt, 
denen die Sangerinnen um so groBere Auf- 
merksamkeit widmen sollten, als man mit Recht 
den Reiz ihrer Stimme stets weit boner geschatzt 
hat als ihren musikalischen Vortrag. Auch die 
Begleiter sind diesmal zu nennen: Alexander 
Neumann, weil er unerlaubt oft danebengriff, 
und Robert Kahn, weil sein vornehm diskretes 
Spiel rein musikalisch die Leistung der Sangerin 
erheblich ubertraf. — Ein Swan Hennessy- 
Abend brachte neben mancherlei Belanglosig- 
keiten fur Klavier eine sehr hubsche Suite fur 
Streichquartett (op. 46) und ein paar gefallige 
Lieder, bei deren Interpretation eine anmutige 
junge Dame, Marguerite Sonntag, sehr viel 
guten Willen bekundete. — Ein August Ludwig- 
Abend sollte in Wort und Musik „die Schaffens- 
norm fur die Musik der Zukunft" fixieren. Der 
Prospekt verhieB ferner: „Erfullung der in der 
gesamten Tonkunst herrschenden Sehnsucht 
nach Wohlklang", „eine neue Art Tonkunst", 
ein „neues Tonsystem" („Konzentrationsmusik a ), 
„neu entdeckte" Akkorde und dergleichen. Man 
bekam, unter pianistischer Mitwirkung von 
Mark Gunzburg, ein paar zum Teil recht 
hubsche Musikstucke zu horen, die jedoch 
nichts irgendwie Neues boten, und auBerdem 
einen Vortrag, der allerdings von neuen Ent- 
deckungen wimmelte: die Fuge keine selb- 
stSndige Kunstform, die „Zauberflote" bei der 
ersten Auffuhrung durchgefallen, und so. Es 
gibt auf alien kunstlerischen Gebieten Neuerer 
wie August Ludwig; man wird ihnen sein Mit- 
gefuhl nicht versagen konnen, denn sie meinen 
es alle so gut; aber man muB sie trotzdem auf 
das Irrationale aller geschicbtlich und theoretisch 
schlecht fundierten Reformbestrebungen auf- 
merksam machen. Und man muB ihnen auBer- 
dem sagen, daB kein GroBer es rfoflg. hat,. aJlfe 
fl':!l":!/r?r! :v,- V AH IV It 

O 



anderen Lichter auszublasen, damit sein eigenes 
Licht Ieuchte. Richard H. Stein 

Ellen Sarsen nutzt ihre an sich nicht ublen 
Stimmittel gar nicht aus; sie singt nicht, sondern 
sie sauselt, und da sie auBerdem ein Program m 
zusammengestellt hatte, das keine laute Note 
aufwies, so litt der Abend unter bedeutender 
Einformigkeit. — Anna Reichner-Feitens 
Stimme ist nicht immer frei; es gibt da einige 
gepreBte T5ne, die ausgemerzt werden mussen. 
Im Vortrag waren einige Sachen sehr beachtens- 
wert. — Bernhard Ulrich ist noch nicht reif 
fiir die Oifentlichkeit, besonders nicht fur so 
groBe Aufgaben wie „Odins Meeresritt". Ansatz 
und Vokalisation sind sehr anfechtbar. Der 
Rezitator Otto Montua brachte trotz seines nicht 
eben groBen Organs seine Vortrage zu be- 
deutender Wirkung. Max Burkhardt 

DaB der russische BaBbaritonist Sergej War- 
jag in trotz gutturaler Tongebung und mangel- 
hafter Sprechtechnik interessieren konnte, ver- 
dankterseinem hochkultivierten,vontreffsicherer 
Intelligenz geleiteten Vortrag, sowie einem aus- 
gesprochenen Gharakterisierungstalent. Die klug 
gewahlten russischen Opernfragmente ( w Boris 
Godounow" von Moussorgsky) und Lieder von 
Rimsky-Korssakow dienten den Vorzugen des 
Sangers gut, wahrend Loewe und hauptsfich- 
lich Schubert („Tartarusgruppe tt , ^Wanderer" 
usw.) hohere Gesangskunst eifordem, als 
dem Sanger momentan zur Verfugung steht. 
Oskar Wappenschmitt begleitete mit techni- 
scher SouverfinitSt und Stilgefiihl. — Uta Hahn 
hatte mit derart ungeeigneten und verbildeten 
Stimmitteln nicht vor die Offentlichkeit treten 
sollen. Das Interesse konzentrierte sich auf 
den mitwirkenden Pianisten Paul Schramm, der 
u. a. mit einer fulminanten Wiedergabe von Liszts 
„Waldesrauschen a kraftvolle Personlichkeit und 
gediegenes Konnen dokumentierte. — Erfreu- 
liches, wenn auch noch nicht Gleichwertiges bot 
Dora Thuringer. Sie ist ausgesprochene Kolo- 
ratursangerin und besitzt als solche beachtens- 
werte QualitSten; auch Ausdruck und Vortrags- 
talent sind in nuce vorhanden. Aber noch ver- 
liert die SSngerin beim Ansatz den Atem, statt 
ihn zu spannen und restlos in Klang und Re- 
sonanz zu verwandeln. Daher die hauflgen 
Kakophonieen und Detonationen in der unge- 
nugend gestutzten Hohe, sowie die mangelnde 
Priignanz der Sprache. Trotzdem gelingen leichte 
und grazile Sachen beute schon relativ gut, 
wahrend stfirkere Akzente noch mitunter ver- 
sagen. Theodor Munzersdorfs Begleitung 
half uber manche FShrlichkeit gewandt und 
sicher hinweg. — Berechtigung, Schubert, Wolf 
und Reger zu singen, hat Elsa Glass-Sant 
mit einem warmen, gut tragenden Mezzosopran. 
Schade, daB der letzte Teil des Programmes — 
einschlieBlich der ziemlich farblosen und wenig 
interessanten Manuskriptlieder von Roderich v. 
Mojsisovics — nicht glucklich gewahlt war. 
Coenraad V. Bos' Begleitung war musikalisch, 
nur eine Nuance zu kraftig. — Charlotte Her- 
pens Gesangskunst ist trotz temperament- und 
charmvollen Vortrags noch ziemlich unreif, 
hauptsachlich was Kopfresonanz, Phrasierung 
und Sprachbehandlung anbelangt. Vorderhand 
demonstriert sie lediglich voluminoses und ent- 
wickelungsfahiges i€lm^i*1^MutiATon begleitete 

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312 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



verstandnisvoll und schmiegsam. — Was da- 
gegen mit weniger uppigen Mitteln rechte Kunst 
zu leisten vermag, bewies Eva von Skopnik, 
die Hubert Patdky's an reifes Konnen appellie- 
rende Lieder in ihrem Sjimmungsgehalt restlos 
erschopfte. Auch Brahms, Wolf und Reger 
waren in ihrer und Max Laurischkus' mei- 
sterlichen Interpretation genuBreich zu boren. 
— Minna Dahlke-Kappes steht noch nicht 
im Zenith ihrer stimmlicben Kultur. Sie druckt 
auf den Ton, und auch der Ausdruck bedarf der 
Verinnerlichung. Von den Manuskriptliedern 
verdienen die Hermann Gischlers wegen ihres 
Personlictokeitsgehalts und der Originalitfit der 
Rbythmik und Melodik Erwahnung. Otto Bake 
begleitete vorzuglich. Rudolf Wassermann 

BREMEN: Das 1. Philharmonische Kon- 
zert unter Ernst Wendel trug in seinem 
ersten Teile der Jahrhundertfeierstimmung 
Rechnung. H2ndels „Hallelujah a und Wagners 
„Kaisermarsch a unter Mitwirkung des Phil- 
harmonischen Chors sowie Beethovens 
c-moll Symphonie wurden gebiihrend gewurdigt. 
Meisterhaft spielte Eugene Ysaye das d-moll 
Konzert von Bruch. lm 2. Konzert erlebte 
Max Regers Balletsuite op. 130 ihre Urauf- 
fuhrung. Die sechs charakteristischen Stucke 
(Entree, Colomb'ne, Harlequin, Pierrot und 
Pierrette, Valse d'amour, Finale) fanden bci der 
glanzenden Interpretation Wendels groBen An- 
klang. Der kunstlerische Schwerpunkt des 
Abends lag in der pathetischen Symphonie von 
Tschaikowsky, die man zum Andenken an den 
20. Todestag des Komponisten gewShlt hatte. 
Julia Culp entfesselte mit drei Liedern von 
Beethoven mit Orchesterbegleitung („Die Trom- 
mel geriihrt* 4 , „Freudvoll und leidvoll** und 
^Adelaide 14 ) sowie mit sechs Schubert-GesSngen 
Beifallssturme. — H. G. Norens Kammermusik- 
Abend bot nur Werke vom Konzertgeber, eine 
Klavierviolinsonate in a-moll (op. 33) und ein 
Trio in d-moll von guten musikalischen Quali- 
taten; ferner sang Signe Noren-Gjertsen 
mehrere Lieder ihres Gatten. — Hans Heine- 
manns Chopin-Abend und Otto Vietors und 
Martha Arndts Solistenkonzert (drei Werke fur 
zwei Klaviere, darunter eine Sonate in einem 
Satz von Hans Huber) verdienen lobende Er- 
wShnung. Prof. Dr. Vopel 

DROSSEL: Eugene Ysaye hateinenoffentlichen 
" Protest erlassen, daB es in einer Stadt wie 
Brussel immer noch keinen groBen Konzert- 
saal gibt. Seine Konzerte waren die letzten 
Jahre in dem schonen Alhambratheater, das aber 
aus technischen Grunden nicht mehr zu haben 
ist. So ist er gezwungen, in den kleinen Saal 
„Patria tt zu fluchten, der sich aber fur groBe 
Orchesterkonzerte nicht eignet. AuBerdem be- 
findet sich dieser Saal im katholiscben Vereins- 
hause, wodurch viele liberate Elemente ab- 
gehalten werden, dahin zu gehen — in Belgien 
ist alles „Politik**. So war das 1. Konzert nur 
schwach besucht, das starke Orchester klang 
viel zu wuchtig. Die Auffuhrung unter Ysaye 
war sehr lobenswert. Schumanns „Dritte a , das 
interessante ^Pagan-Poem* 4 von Loeffler und ein 
Piemontesischer Tanz von Sinigaglia bildeten 
das Programm. Als Solist wurde Eisenberger 
mit dem 24. Konzert von Mozart und dem cis- 
moll von Rimsky-Korssakpw mit Recht sehr 



gefeiert. — Das 1. Concert populaire unter 
Lauweryns, der sich zum erstenmal als 
Konzertdirigent mit Erfolg vorstellte, brachte 
die Euryanthen-Ouverture, Schuberts „Unvoll- 
endete", Mendelssohns „Italienische tt und Berlioz' 
„R6miscben Karneval*. Emmy Destinn bot 
mit ihrer prachtvollen Gesangskunst unter groBer 
Begeisterung die Agathen- und Donna Anna-Arien. 
Sehr interessant war das 2. Concert populaire, 
fur das man Reger mit seinen „Meiningern" 
verpflichtet hatte. Das war ein aufmerksames, 
diszipliniertes Musizieren, an dem man seine 
helle Freude hatte. Oberon-OuvertQre, Ballet- 
musik aus „Rosamunde a und Beethovens „Funfte a 
waren die sehr beifallig aufgenommenen Dar- 
bietungen. Szigeti spielte das Brahmsscbe 
Violinkonzerthervorragendschon. — VonSolisten- 
konzerten sind zu nennen Kreisler, Norman 
Wi 1 k s und B u h 1 i g, alle sehr warm aufgenommen. 

Felix Welcker 
pvRESDEN: Das 2. Sy mphoniekonzert der 
*^ Serie A brachte als Neuheit eine Symphonie 
D-dur von Erwin Lendvai, die mit ihrer Form- 
losigkeit und ihrem fremdartigen, groBenteils 
mystisch - religiosen Inhalt trotz zablreicher 
Schonheiten im einzelnen es kaum zu einem 
Achtungserfolg brachte, obwohl die Ausfuhrung 
durch die Konigl. Kapelle unter Hermann 
Kutzscbbach und die ernst zu nehmende Arbeit 
des Komponisten wohl eine wfirmere Aufnahme 
verdient batten. Wenn auch Lendvai in seiner 
Symphonie noch nicht abgeklarte, reife Kunst 
bietet, sondern uber ein Tasten, Suchen und 
Schwarmen kaum hinauskommt, so stecken 
doch in ihr musikalische, besonders koloristische 
Werte und seine Begabung fur Stimmungskunst 
ist unverkennbar. — Im 1. Konzert der Ver- 
einigung der Musikfreunde erscbien Max 
Reger als Cast mit seiner Meininger Hof- 
kapelle. Die Interpretation der F-dur Sym- 
phonie von Brahms konnte nur wenig be- 
friedigen; Reger dirigierte zu schwer, zerriB und 
zerdehnte die einzelnen Satze und brachte 
Fermaten nach eigenem Gutdunken 6n; auch 
klang das Orchester, besonders in den Holz- 
blSsern, etwas zu hart. Ganz prachtvoll dagegen 
kam Regers w Romantische Suite" zur Geltung, 
die diesmal einen wesentlich starkeren Eindruck 
hinterlieB als seinerzeit bei der hiesigen Ur- 
auffuhrung unter Schuch. Die SSngerin des 
Abends, Anna Stronck-K appel, genugte nur 
bescheidensten Anspriichen. — Der Dresdner 
Mozartverein bot seinen Mitgliedern als w Neu- 
heit" das Konzert c-moll fur zwei Violinen von 
Job. Seb. Bach, das die Schwestern Reemy 
technisch sauber, aber doch allzu damenhaft 
ausfuhren. Jean Louis Nicod6 dirigierte am 
SchluB unter starker Wirkung sein „Deutsches 
Gebet a . — Ein Kompositionsabend von Hans 
Fahrmann muBte die Wertschatzung dieses 
hochbegabten Tonsetzers aufs neue verstSrken. 
Eine Sonate fur Orgel (es-moll), die Kraft, Glanz, 
Innigkeit und harmonischen Reichtum zeigt, 
sowie ein Symphonisches Konzert b-moll fur 
Orgel und Orchester erzielten in ausgezeichneter 
Wiedergabe durch Eugen Richter eine tiefe 
Wirkung, die durch Julia Rahm- Rennebaum 
mit einigen empfindungstiefen Gesangen Fihr- 
manns noch verstarkt wurde. — Das Petri- 
Quartet^^^i ^tj T| durch die Wiedergabe 

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KRITIK (KONZERT) 



313 



des prachtvollen, mit Unrecht bisher vernach- 
l&ssigten Streichquartetts e-moll von Verdi ein 
Verdienst. Das Pete rsburgerStreich qu arte tt 
entzuckte wiederum durch herrliches Zusammen- 
spiel und edelsten Klang der wertvollen Stradi- 
vari-Instrumente, hatte auch in Lydia Kobe- 
latzky-IUyna eine schatzenswerte S3ngerin 
mitgebracht. Mit Vortrflgen fur zwet Klaviere 
sicherten sich Rose und Ottilio Sutro die 
WertscbStzung der Kenner; ein Sonatenabend 
von Huberman und Backhaus zeigte die 
beiden beruhmten Virtuosen als geschmackvolle 
Kammermusikspieler. In seinem Musiksalon 
trat Bertrand Roth als Komponist einiger Stucke 
fur Geige und Klavier erfolgreich bervor, auch 
neue Lieder von Walter Dost fanden, von Martha 
Gunther schon gesungen, verdiente Beachtung. 
Ein Geigenabend von Karl Flesch, der u. a. 
auch neue Stucke von Heinrich Noren vortrug, 
sei noch hervorgehoben. F. A. Geifller 

ESSEN: Mit der Urauffuhrung von Regers 
Bocklin-Suite setzte die winterliche Musik 
ein. Bis auf den nicht recht gelungenen Schluft- 
satz, das Bacchanal, sind es sehr stimmungs- 
volle Bilder von zum Teil ganz duftiger Farben- 
gebung, womit Reger den Empfindungsgehalt 
der Toteninsel, des geigenden Eremiten und | 
des Spieles der Wellen in Tone bannt. Mehr i 
als sonst neigt Reger hier der Linie zu; das j 
Klangschwelgen beginnt festerer Gestaitung zu | 
weichen. Unter des Komponisten Leitung gab 
es mit unserm glSnzenden Orchester eine Auf- 
fuhrung ersten Ranges. Als Gegenstuck bot 
Abendroth die Siebente von Beethoven mit 
feurigem Schwung und trotz des sturmischen 
Jubels den letzten Satz mit plastischer Klar- 
heit. Straufi* Festliches Prfcludium hatten wir 
wenige Tage nach den Wienern, verspurten aber 
keine Sebnsucht, es wieder zu horen. Pfitzner 
spielte im Musikverein mit hiesigen Kunstlern 
sein Klaviertrio, und Frau Lauprecht sang 
Lieder von ihm. Ein kubler Abend,beidem Pfitzner 
nicht in Stimmung kam und die Horer des- 
gleichen. Immer fester schlagt jedoch Bruckner 
hier Wurzeln, dank Abendroths unentwegtem 
Eintreten fur ihn, das uns diesmal die Dritte 
Symphonie bescherte. Den Lisztschen „Tasso u 
brachte Abendroth ebenso virtuos wie von innerm 
Erleben getragen, — faszinierend. Den heuer 
iiblichen Wagnerzins entbot der Kruppsche 
B i 1 d u n g s v e re i n unter Obsners Leitung. 
Bruchstucke aus den Opern und dem „Parsifal a . 
Es ist bemerkenswert, dafl Leute, die tagsiiber 
den Hammer schwingen, mit solcher Lust im 
„Parsifal a sangen, und an zwei Abenden uber 
viertausend Arbeiter und deren Angehorige mit 
Begeisterung zuhorten. Hier macrit wirklich das 
Volk fur das Volk Musik. Max Hehemann 

FRANKFURT a. M.: Das 2. T o n k u n s 1 1 e r- 
Konzert brachte unter Max Kaempfert 
als Hauptstuck Brahms' c-moll Symphonie, der 
Wagners aulierordentlich eindringlich interpre- 
tierte Faustouverture und ein concerto grosso 
von Handel vorausgingen. Die Leistungen des 
Orchesters nehmen einen erfreulichen Aufstieg. 
Als Solist war der Bassist Paul Bender er- 
schienen. Soweit ein Buhnensanger im Konzert- 
saal seiner Aufgabe gewachsen sein kann, be- 
hauptete er sich in einer „Messias a -Arie und in 
Liedern (mit Klavierbegleitung). /Am . meiMeji] 

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imponierte seine wuchtige Stimme. — Die Chor- 
konzerte haben eine sehr willkommene Ergan- 
zung erfahren. Der V ere in fiir Kirchen- 
gesang hat den Schritt aus dem Dom mit 
ausgesprochenem Erfolg gewagt. Unter Leitung 
des energischen und feinffihligen Dirigenten Pius 
Kalt sang der Verein mit prachtvollem Chor- 
klang und ganz entziickend feiner Ausarbeitung 
Stucke aus der leider so ganz tibersehenen alten 
a cappella-Literatur. Man kann das Frankfurter 
Musikleben nur zu solch einem Chor begluck- 
wiinschen: er scheint berufen, eine empfindliche 
Lucke auszufullen. Fur das kunstlerische Streben 
des Dirigenten sind die Wahl der Solovortrage 
charakteristisch: Hans Lange (Violine) spielte 
mit Florence Bassermann (Klavier), Ary 
Schuyer (Cello) und Hans Bassermann 
die h-moll Sonate von Bach, das A-dur Trio von 
Franz Xaver Richter und das D-dur Trio von 
Joh. Ludwig Krebs. — Der Frankfurter 
Volkschor brachte unter Prof. Fleisch den 
„Messias a zu einer eindrucksvollen Wiedergabe, 
bei solistisch ausgezeichneter Mitwirkung von 
Antoni Kohman (Tenor), Alice Aschaffen- 
burg (Alt) und Sophie Metzen (Sopran). Der 
Volkschor „Union" erzielte mit dem „Judas 
Makkabaus* einen starken Erfolg; hier wuBten 
Ejnar Forchhammer (Tenor), N. Naumow 
(Bafi), Paula Schick-Nauth (Alt) und Else 
Gentner-Fischer (Sopran) das Publikum zu 
begeistern. — An kleinen Konzerten ist sonst 
kein Mangel : Lieder und Klavierabende die Fulle. 
Von ihnen seien Frau Mysz-Gmeiner, die 
Zilchers Dehmel - Zyklus zu auBergewohnlich 
tiefer Wirkung brachte, der ausgezeichnete 
Chopin-Spieler Josef Schwarz und die fein- 
sinnige Konzertsangerin Alice Lenn6, deren 
subtile Vortragskunst sehr gefiel, erwahnt. 

Karl Werner 

GENF: Am 4. Oktober, zu fruh fiir unsere 
Gewohnheiten, gab Pablo Casals mit dem 
Pariser Pianisten Dumesnil, der sich hier 
gut eingefuhrt hat, ein Konzert. An Solisten 
horten wir noch den hier viele Verehrer zShlen- 
den Edouard Risler mit dem Pariser Tenor 
Clement, dem ein bedeutender Ruf voraus- 
ging. In einem Klavierabend stellte sich der 
Pianist Schidenhelm hier vor, der danische 
Geiger Gustavson konzertierte mit seinem 
Landsmann Louis Froehlich und die jugend- 
liche Geigerin Leech-Carreras mit Marguerite 
Roesgen, einer jungen Genfer Pianistin. Am 
8. November begann unsere offizielle Konzert- 
saison mit dem 1. Abonnementskonzert 
unter Stavenhagens bewShrter Leitung. Eine 
wenig gehorte Symphonie in D-dur von Mozart 
(1782 komponiert) eroffnete den Reigen. Der 
Solist war Rudolph Ganz, dessen glanzende 
Technik wieder im hellsten Lichte strahlte. Er 
brachte uns das Dritte Konzert des Basler 
Meisters Hans Huber und ein Konzertstuck 
von femile Blanchet, dem Lausanner Komponisten. 
Das Hubersche Werk zeigt festes Gefuge und 
Beherrschung der Mittel, aber die wenig interes- 
sante Erfindung und die uberladene Ornamentik, 
Tonleitern, Kadenzen — ein etwas Sltlich an- 
mutender Hausrat — ermuden auf die Dauer. 
Mehr fesselte uns das Werk Blanche^s. Wenn 
auch seine Architektur keine so solide ist, wie 
dje Hubersche, so fQfeb^iwlrf lo^lmimit Interesse 

1 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



314 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



den Einf&llen des Autors. Er hat etwas zu sagen 
und sagt es auf originelle Weise. Pianist und 
Dirigent haben keine leichte Aufgabe: es gibt 
da eine Menge rhythmischer Komplikationen. 
In den Erfolg teilten sich der Pianist und der 
anwesende Komponist. Das Konzert schlofi mit 
einer glanzenden Auffuhrung des Lisztschen 
„Tasso", den Stavenhagen in liebevollster Weise 
einstudiert hatte. Oscar Schulz 

UAMBURG: Aus der Konzert-Hochflut, die 
** sich in diesen Wochen in breitem Strom 
iiber uns ergielit, aus dieser Hochflut, die mit 
dem Heute alle Erinnerungen an das Gestern 
und Ehegestern wegschwemmt, haften im Ge- 
dSchtnis eigentlich nur die groften Orchester- 
konzerte, die wir Nikisch und Hausegger 
verdanken. Beide hatten grofie Abende: Haus- 
egger zollte wie alljahrlich Meister Bruckner 
seinen Tribut mit einer wundervollen, geistig 
hochstehenden Wiedergabe der c-moll Symphonie, 
die er fast strichlos — nur wenige Takte in dem 
halbstundigen Adagiosatze fehlten — zur Auf- 
fuhrung brachte, und Nikisch wiederholte unter 
tiefgehenden Eindrucken die pathetische von 
Tschaikowsky. Max Fiedler brachte sich mit 
einem Beethoven-Kolossalprogramm bei seinen 
zahlreichen hiesigen Freunden, die ihm sein 
Verhalten gegen Hamburg in seinem Amerika- 
Engagement lfcngst verziehen haben, in Erinne- 
rung. Der schlechte Besuch der Hamburger 
Konzerte macht im ubrigen weitere Fortschritte; 
eigentlich konnten die Konzertgeber sich die 
Saalmiete ersparen und die paar Kritiker, fur die 
sie konzertieren, zu sich ins Hotel bitten. Raum 
ware in der kleinsten Hutte und fur alle Be- 
teiligten ware das unendlich viel bequemer. Eine 
Ausnahme in dieser Beziehung machte der Zu- 
drang zu Edyth Walkers Liederabend, der im 
dichtgefullten grofien KonventgartenSaal an- 
nahernd 2000 Menschen versammelte, die der 
glSnzend disponierten, auch als Liedersangerin 
sehrbedeutenden KQnstlerin mitRechtzujubelten. 
Heinrich Chevalley 

HEIDELBERG: Das 1. Konzert des Bach- 
Vereins (Leiter: Philipp Wolfrum) bestritt 
Leo Slezak, der in vier Abschnitten mit durch- 
weg wertvollen, zum Teil altbekannten Liedern 
und Arien die grofie Hdrerschaft derart be- 
geisterte, daft man ganz vergaft, daft der Kunst- 
ler auch Fehler hat. Diese liegen zumeist auf 
dem Gebiet der Aussprache. Dreimal muftte 
sich Slezak zu Zugaben verstehen. Wolfrum 
begleitete entzuckend. Das 2. Konzert bewegte 
sich ausschliefilich auf klassischem Boden: 
Gr6try, Handel und Mozart hatten das Wort. 
Von ersterem wurde eine Lustspielouvertlire 
und die von Mottl bearbeitete Balletsuite, von 
Handel das Orgelkonzert No. 2 in B-dur, von 
Mozart die D-dur Symphonie (K. V. No. 504) 
dargeboten. Poppen bewahrte sich wieder als 
Meister der Orgel. Nur teilweise vermochte mit 
Arien von Handel und Mozart Frau Densz zu 
genugen. Die Kammermusikkonzerte Otto 
Seeligs vermittelten im ersten Abend durch 
das Ros6-Quartett einen Hoehgenuft mit 
Hans Pfitzners Streichquartett op. 13 (D-dur), 
dem sich Mozarts Klavierquartett in Es (K. V. 
No. 493) und Beethovens op. 130 anreihten. Den 
Klavierpart bei Mozart vertrat stilvoll Direktor 
Seelig. Im zweiten Abend konzertierten die 



D'::j"«i,-'L 



Briisseler (Tscbaikowsky's op. 30 und Beet- 
hovens op 18 No. 4), unterstutzt von Martha 
Fickler, die Lieder von Haydn und Beethoven 
nach schottischen, walisischen und irischen 
Volksmelodieen gew&blt hatte. Ferner sind 
Liederabende zu registrieren von Else Often, 
Lisa und Sven Scholander, Ludwig Wullner, 
Frl. Fickler; Frl. Sack gab erfreuliche Proben 
ihres pianistischen Konnens. 

Karl Aug. KrauB 
JOHANNESBURG: Die Quinlan Operngesell- 
J schaft bot uns auch das hier so tiberaus 
seltene Vergnugen, ein Orchesterkonzert zu 
horen. Richard Eckhold bot in plastischer 
Ausarbeitung die Leonoren - Ouverture. Der 
Konzertmeister des Orchesters, Percy Frostick, 
spielte das „Rondo capriccioso" von Saint-Saens 
mit Eleganz und bemerkenswerter Bogentechnik. 
Leider war das Werk durch die allzu tempera- 
mentvolle Leitung des Dirigenten Tulio Voghera 
nachteilig beeinflufit, dagegen befriedigte er uns 
wieder mit seiner schonen Wiedergabe von 
PreMude und Arie aus „Louise tt . — Von hiesigen 
Konzerten interessierte besonders ein Abend 
der Musical Society, an dem Selma Sacke 
und Lorenzo Danza das ganze Repertoire be- 
stritten. Einen bedeutenden Eindruck machte 
die junge Geigerin durch den Vortrag der 
Chaconne, der „Habanera" von Saint-Saens und 
der „Zigeunerweisen tt von Sarasate. Im letzten 
Konzert derselben Gesellschaft horten wir das 
Klavierkonzert von Grieg, von Herrn Lloyd 
mit klarer Technik schon vorgetragen. Das 
Konzert wurde vom Amateurorchester unter 
W. Peters Leitung leider nicht sehr an- 
schmiegend begleitet. Lloyd ist ein Pianist, dem 
wir besonders die Bekanntschaft moderner 
Komponisten zu verdanken haben; so brachte 
er kurzlich verschiedene Kompositionen von 
Debussy zu Gehor und fesselte uns mit dem 
geschmackvollen Vortrag dieser ultramodernen 
Studien. — Die Philharmonische Gesell- 
schaft bot eine Auffuhrung von Coleridge 
Taylor's „TaIe of Japan". Die Musik in ihrer 
modernen japanischen Harmonie ist stellen- 
weise sehr romantisch. Nennenswert war als 
Solopartie Mift Blowden Hopkins, die sich 
hauptsfichlich zur Oratoriensangerin eignet. — 
Der deutsche Club veranstaltete einen Abend, 
an dem Milly Wildner und Lorenzo Danza 
eine Griegsche Sonate in vollendeter Weise 
vortrugen. M. Pollak 

KASSEL: Zu den drei hiesigen Konzert- 
direktionen hat sich nun auch das Waren- 
haus Tietz gesellt. Naturlich bei niedrigeren 
Preisen und „bester Ware* 4 ein starker Run, der 
Saal ausverkaufr. Im Mittelpunkt des Interesses 
stehen aber noch die Konzerte der Konig- 
lichen Kapelle (Prof. Beier), die uns zuerst 
einen Wagner-Abend bot mit dem „Liebesmahl tt 
(Lehrergesangvcrein), der „Faust-Ouverture" und 
der Pariser „Tannhauser**-Musik. Kirchhoff 
und Frl. Kronacher teilten sich in die Solisten- 
Ehren. Spohr (c-moll Symphonie), Tschaikowsky 
(Violinkonzert), Debussy (zwei Stiicke aus ^Le 
Martyre de saint SSbastien"), Reger (Violin- 
sonate), Strauft (Festliches Praludium), — kann 
man mehr verlangen als diese Buntheit des 
2. Abends? Mehr als die effektvolle Straufl- 
Musik-^wefiktei dlt Mystik Debussy's Interesse, 

UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRITIK (KONZERT) 



315 



aber auch — Kopfschuttein. Den Violinwerken 
war Felix Berber ein wiirdiger Interpret. — 
Die Herren Hoppen, Onken, Keller, 
Kuhling bereiteten mit Haydn- und Beethoven- 
Quartetten und Mozarts Klarinettenquintett viel 
Freude. — Von Geigern borten wir Kreisler, 
Thibaud und Schmuller, von denen der 
erste ein groBes Programm mit Alexander 
Neumann glanzend erledigte, Thibaud, beson- 
ders mit Bachs Chaconne, tiefen Eindruck er- 
zielte und Schmuller mit Reger dessen Suite 
op. 93 und die Brahms-Sonate G-dur trefflich 
zu Gehor brachte. Regers Klarinettensonate 
vermittelten meisterhaft ihr Schopfer und Aug. 
Lohmann. — An Rosenthal bewunderte man 
vor allem die erstaunliche Technik, mit der er 
Werke wie die Paganini-Variationen von Brahms 
und eine Humoreske eigener Komposition aus- 
fuhrte, wShrend Carl Friedberg sich als 
tuchtigen Chopin-Interpreten erwies. — Von 
Gesangskunstlern wurden sehr bejubelt Hein- 
ricta Hensel und Lilly Hoffmann-OnSgin, 
die von ihrem Gatten feinfuhligst begleitet wurde. 
Auch Gertrud Fischer-Maretzki (von Reger 
begleitet), Elisabeth Boehm-van Endert, Elsa 
GlaB-Sant (Coenraad V. Bos) und der Balladen- 
singer Karl Gotz hatten sich warmen Beifalls 
zu erfreuen. Einen sehr interessanten Abend 
bot Sigfrid Karg-Elert als Meister auf dem 
Kunstharmonium. Dr. Brede 

KOLN: Das 2. Gurzenich-Konzert brachte 
das langere Jahre nicht gehorte H S n d e 1 sche 
Oratorium ^Israel in Agypten", dessen fur des 
Altmeisters kunstreiche Eigenart in besonderem 
Matte charakteristischer Bestand an prachtvollen 
Cborsatzen und feingeformten Aden, sowie 
Bravourduetten den Freunden dieses zur hochsten 
Blute gediehenen Oratorienstils naturlich ein 
sehr willkommenes Abendprogramm bedeutete. 
Der Auffuhrung lag die Ausgabe der Handel- 
gesellschaft zugrunde, die nach Fritz Stein- 
bach s Einrichtung durch einige gut gewahlte 
Solonummern aus verwandten Werken des 
Meisters und auch sonst in dankenswerter Weise 
erginzt worden war. Gestutzt auf hervorragende 
Ctaor- und Orchesterleistungen, bot unser Diri- 
gent eine so klar anschauliche wie weihevolle 
Darlegung der machtvollen Schopfung, so daft 
den Horern, soweit immer genannte Faktoren 
maBgebend waren, hoher GenuB bereitet wurde. 
Die Solisten behaupteten leider kein einheltliches 
kunstlerisches Niveau. Wahrend Tilia Hill, die 
man hier noch nicht kannte, sich durch ausge- 
zeichnete Vortragseigenschaften nicht minder als 
durch den vornehmen Ton ihrer Stimme als 
Konzertsopranistin trefflicher Art einfuhrte, ver- 
darb Anna Erler-Schnaudt diesmal viel durch 
recht empfindliches Unreinsingen und stellen- 
weise nur muhsames Bewaltigen der hohen Lage. 
Die erste BaBpartie hatte in Alfred Kase einen 
nach jeder Richtung vorzuglichen und sehr sym- 
pathischen Vertreter, dann aber zeigte sich der 
mit der zweiten BaBpartie betraute Fritz Hopf 
gesangskunstlerisch keineswegs auf der Hone 
der Situation. Besser schnitt der hinsichtlich 
derTonbildung allerdings zu wunschen lassende 
Tenorist Theo Bachenheimer ab. — In der 
Musikalischen Gesellschaft fand das 
Sevcik-Quartett mit Smetana, Dvorak und 
Weingartner SuBerst warme Aumahrae; dann er- 

D'lIjIU-'UIJ :)v VlOOQ 



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zielte die Karlsruher Sopranistin Hildegard 
Schumacher kiinstlerisch undstimmlich durch- 
aus berechtigten schonen Erfolg. Der war in 
noch groBerem MaBstabe C6cile Valnor bei 
ihrem Liederabend beschieden. DasGurzenich- 
Quartett loste zumal mit Friedrich Kloses ge- 
staltungskraftigem Quartett Es-dur (vide Jenaer 
Musikfest) starkes Interesse und voll wurdigenden 
Beifall aus. Paul Hiller 

I EIPZIG: Das Jubilaum der Leipziger Volker- 
*-* schlacht gab auch fur das 1. Gewand- 
hauskonzert den Ausschlag. Die w Egmont a - 
Ouverture, Liszts „Heldenklage" und die w Eroica a 
bildeten, von Nikischs Hand feinnervig ge- 
glattet, eine Dreiheit von Eckpfeilern. Der 
Bruckner-Dirigent Nikisch entwaffnete im 2. Kon- 
zert mit der Symphonie in c-moll auch die 
scharfst gewetzte kritische Feder; nicht minder 
prachtig erklangen aus seinem sicheren Ein- 
fiihlungsvermogen die Urauffuhrungen der er- 
traumten Klangimpressionen „Erster Kuckucks- 
ruf im Fruhling" und „Sommernacht am Flusse" 
von Fr. Delius. Louise Debogis, die Solistin 
des 1. Konzertes, weckte den Appetit auf ein 
paar vokale Kostproben ahnlicher Herkunft, 
da sie der Stimmungskunst eines Liszt am 
besten gerecht wurde. Braucht man uber die 
SSngerin des 2. Abends, Julia Culp, mehr als 
ihr Programm mitzuteilen? Also: sie sang Lieder 
von Schubert (leider mit einer von Schonberg 
zum Teil ganzlich verinstrumentierten Begleitung) 
und von ihrem allzufruh heimgegangenen, 
schaffensgewandten Begleiter Erich J. Wolff. 
DaB Nikisch als Dolmetsch des groBten Klassi- 
zisten schwerlich erreichbar ist, dessen wurde 
man im folgenden Konzert (1. Brahmsabend, 
c-moll Symphonie) von neuem inne, und da 
noch der grundmusikalische Carl Friedberg 
den Platz am Flugel eingenommen hatte, senkte 
man willig die kritische Feder und gab sich gern 
einzig dem hohen kunstlerischen Genufi hin. 
— Die Philharmoniker Windersteins ver- 
mittelten im 1. Konzert in eindringlicher Weise 
einige Wagneriana und Fr. Gernsheims hier schon 
in guter Erinnerung stehendes Vorspiel „Zu 
einem Drama". Solisten waren Melanie Kurt, 
die sich in der „Tristan u -SchluBszene durch ihren 
schwungvollen Vortrag besonders auszeichnete, 
und W. Lindsay, dessen Lisztsspiel viel musi- 
kalisches Innenleben verriet. — Recht ver- 
heiBungsvoll laBt sich das Musizieren der 
Streichervereinigungen an. Das Flonzaley- 
Quartett machte uns mit dem leider recht 
fahrigen Quartett op. 7 von Schonberg bekannt. 
Die Petersburger waren in ihren bisherigen 
zwei Abenden in vorzuglicher Verfassung; sie 
brachten die anspruchslosen „Miniaturen tt ihres 
Griinders, des Herzogs G. Alex, zu Mecklen- 
burg-Strelitz, mit. Tilly Cah nbley-Hinken 
zog sich in demselben Konzert, obwohl indispo- 
niert, mit Gluck aus der AffSre. Der zweite 
Abend der Petersburger hatte fast ausschlieB- 
lich russischen Anstrich: TanSjeff, Tschai- 
kowsky u. a. waren vertreten mit Kammer- 
musik und Liedern (Lydia Kobelatzky-Illyna), 
der Klavieranteil lag in den Handen der 
Temperamentspielerin Else Gipser. Ein Wein- 
gartner-Abend des leistungsfahigen Sevcik- 
Quartetts wurde wegen UnpSBlichkeit gleich 
zweier Mitwirkend^^Uje^inrpjjGw^k-Schumann- 

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316 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



Weingartner-Konzert. — Die Solisten mussen heute 
mit einer kurzen Statistik furlieb nehmen: aufter 
den bekannten Pianisten Lamond, Backhaus, 
L. Kreutzer, P. Weingarten konzertierten 
der tiichtige, aber wandelbare Josef Wei ft, der 
gediegene G. Zscherneck, der liebenswurdige 
Fr. v. Bose, die verinnerlichten Kunstler A. v. 
Roessel und E. Weinreich und die ver- 
heiftungsvolle Lili Kroeber-Ascbe; von Strei- 
chern der werdende Saleski, die fertigen 
J. Preft und R. Reitz, der treffliche J. Blumle 
und der noch ungleichmaftige Leistungen bietende 
I. Schkolnik. Gutes, aber noch nicht letzte 
Gesangskunst, gewahrten K. Steinbruck und 
J.Hedmondt, bestes jedoch Kate Neugebauer- 
Ravoth. In Kompositionskonzerten stellten 
sich Paul Pfitzner als treffliches Formentalent, 
Kurt R i c h t e r als in vielen Beziehungen noch 

unausgereift vor. Mit seiner Ouvertiire „Aus 

Jugendtagen", die Nikischim4. Gewandhaus- 
konzert pr§chtig herausbrachte, zeigte einer 
der Nestoren unter den lebenden Tondichtern, 
Carl Goldmark, wie erin unverminderterjugend- 
frische sich selbst treugeblieben. R. Strauft' 
Symphonische Phantasie „Aus Italien", das Werk, 
das ihn aus dem „absoluten* Heerlager in das 
„programmatische a hintiberfuhrte, bildete, farben- 
freudig errichtet, den anderen orchestralen Eck- 
pfeiler des Abends. In Bronislaw Huberman, 
der Tschaikowsky (Konzert und Serenade 
mSlancolique) hochmusikalisch und vergeistigt 
vermittelte, war einer der Berufensten aus dem 
jungeren Geigernachwuchs gewonnen worden. 

— Windersteins Philharmoniker hatten 
sich in Brahms' D-dur Symphonie, und, wie uns 
schien, noch mehr in Bizet's zweite Orchester- 
suite aus ^Arl^sienne" versenkt und stellten 
ihren feinfuhligen Konzertmeister H. Schachte- 
beck mit Beethovens beiden Violinromanzen 
und den anmutigen lyrischen Tenor Paul 
Schmedes mit den knifflig und charakteristisch 
erfundenen „Glockenliedem tt von Schillings und 
der Adelaide heraus. — Unter Richard Wetz, 
dem Stellvertreter des nach Hamburg abgeord- 
neten Georg Gohler, sang der Riedel-Verein 
das Deutsche Requiem von Brahms(Gewandhaus- 
orchester, Soli: Anna Stronck-Kappel, Hjal- 
mar Arlberg), das hier, da mir keine Karten 
zugingen, lediglich registriert sei. — Sehr an- 
regend verlief des trefflichen Dirigenten H. 
Laber „Moderner Abend** mit einer jugend- 
frischen, aber nicht gerade themenkraftigen 
Symphonie von Hans Huber, einem etwas 
meistersingernden Festzug von Fr. Klose und 
einem nicht sehr dankbaren,abergutgearbeiteten 
Klavierkonzert von Martucci, wofur die tuchtige 
und sorgfaltige Am6Iie Klose eine Lanze brach. 

— Zu einem schonen kiinstlerischen Erfolg ge- 
staltete sich der Sonatenabend von B. Lhotsky, 
dem Vorgeiger des Sevfok-Quartetts, mit der 
einheimischen Temperament- und Feinspielerin 
Anny Eisele (Mozart, Brahms und Strauft). 
Die gleichzeitige erste Kammermusik im 
Gewandhaus, die Beethovens op. 130, Haydns 
op. 77, No. 1 und Gesange mit Bratsche von 
Brahms (Emmi Leisner und Herrmann) 
brachte, ging mir daher begreiflicherweise ver- 
loren. — Ein Noren-Abend (die Sopranistin 
Signe NorenrGiertsen, der wohlbeschlagene 
Violinist Louis van Laaj, der ausgezeichnete 



Cellist Marix Loevensohn und die erst- 
klassige Klavierspielerin Ella Jonas-Stock- 
hausen) war mit einer Violinsonate, Liedern 
und einem Klaviertrio wohl geeignet, neue 
Freunde fur den Komponisten zu werben. — 
Von Geigern gaben eigene Konzerte Franz 
von Vecsey und Carl Flesch; sie bewabrten 
sich in bekannter Weise. Der hochbegabte 
Ignaz Friedman zeigte uns an Chopin immer 
mehr neue und ungeahnte Ausdeutungsmoglich- 
keiten. Sein Schiiler Ignaz Tiegermann stellte 
gute technische Tugenden heraus, wird aber 
noch der Verinnerlichung seines Meisters nach- 
eifern mussen. In Aurelio Giorni erkannte 
man einen sorgfSltigen, aber noch etwas knorrigen 
Klavierspieler. Lotte Groll und Walter Ziegler 
sollen sich auf ihren beiden Klavieren wieder so 
wohlbeschlagen wie voriges Jahr erwiesen haben. 
Als gesangs-kunstlerisch begabter denn ver- 
innerlicht stellte sich Isa Berger-Rilba vor; 
Seraphine Schelle war noch nicht am Ende 
ihrer Studien, Helene Schutz soil sich zu grofte 
Aufgaben gestellt haben, wogegen man bei 
Meta Steinbruck (am Klavier Sigfrid Karg- 
Elert) einen hiibschen Erfolg feststellte. An 
Dora Heims muftte am besten ihr feingebildeter 
Pianokopfton zusagen, und im Liederabend der 
noch nicht ganz auf den Parnaft ihrer Kunst 
gelangten Nathalie Aktz6ry fesselte mien am 
meisten ihr, wenn auch noch so viele ver- 
schiedene Namen aufweisendes, so doch ein- 
heitlich gedachtes Programm (Italiener, Russen 
und Franzosen). Dr. Max Unger 

LONDON: Oktoberkonzerte. A. Or- 
chesterkonzerte. Der vielseitige Henry 
Wood eroffnete die Samstag Nachmittag-Recitals 
des Queen's Hall Orchestra mit Scriabin's 
Symphonie No. 3 in C (op. 43) „Le divin poeme a 
(Das gottliche Gedicht"), die damit ihre eng- 
lische Erstauffuhrung erlebte. Nach dem futu- 
ristischen w Prometheus a des gleichen Kom- 
ponisten, der in der vorigen Saison Aufsehen 
erregte, erwartete das Londoner Publikum eine 
ganz besondere Sensation und hatte sich daher 
iiberaus stark eingefunden. Fur die Futuristen 
bedeutete jedoch die Symphonie eine Ent- 
tSuschung, da sie sich in Grenzen halt. Sie 
zerfallt in drei Satze: „luttes a , w volupt6s" und 
w jeu divin", die, ohne Unterbrechung gespielt, 
50 Minuten dauern. Dem Tondichter Nahe- 
stehende wollen wissen, daft er musikaliscb 
etwa Folgendes darin auszusprechen beabsichtigt: 
Des Daseins hochstes Ziel besteht in der Ver- 
wirklichung der eigenen Individualitat. Die 
grublerische Suche nach seinem Selbst fuhrt 
ihn zu dem Schlusse: „Ich bin = ich schaflfe 
in Freiheit." Die Symphonie soil nun die 
Freude fiber dieses freie Schaffen aussprechen. 
Ferner: alle Leidenschaften ruft der Mensch 
selbst in sich hervor und kann sie auch selbst 
unterdrucken. Und zuletzt erklart der Kom- 
ponist, daft nur in ruheloser, nie endender 
Tatigkeit das Heil der Menschheit liege. Ob 
Scriabin dieses psychologische Programm auch 
tatsachlich in Musik umsetzen konnte, bleibe 
anheimgestellt. Die Tonsprache des russischen 
Musikphilosophen zeigt zum Teil starke An- 
lehnungen an Chopin, teils erinnert sie an 
Wagner. Den originellsten Eindruck hinterlieft 
dei* lyrische, klangschone Mittelsatz w volupt^s M . 

Origin anroiTi 
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KRIT1K (KONZERT) 



317 



Als Novum ist festzustellen, daft in dem auf 
110 Mitwirkende verstarkten Orchester zum 
erstenmal unter den Streichern sechs Damen 
(4 Geigen und 2 Bratschen) spielten, was eine 
wichtige Neueinfuhrung bedeutet. Im gleichen 
Recital spielte Pablo Casals mit vollendeter 
Meisterschaft das h-moll Cellokonzert von 
DvoMk. Die am Schlusse gebracbte Ouvertfire 
zu „Ivan dem Grausamen" von Rimsky-Kors- 
sakow ist Theatermusik, die nicht in den Konzert- 
saal gehort. — Aufs lebhafteste zu bedauern ist 
es, wenn eine der besten hiesigen Vereinigungen 
von lnstrumentalisten, das London Symphony 
Orchestra wahrend seiner ganzen diesjfihrigen 
Saison keine einzige Novitat, sondern nur alt- 
bewfihrte Werke auffiihrt. Die Institution wurde 
seinerzeit vor allem mit der Absicht begrundet, 
die jungbritische Schule zu fordern, und sie ha< 
mit ihren zahlreichen Elgar-Auffuhrungen glor- j 
reiche Jahre unter Hans Richter hinter sich. | 
In dieser Saison treten als Gastdirigenten | 
Steinbach, Mlynarski, Safonoff, Mengelberg und j 
Nikisch auf. Steinbach eroffnete den Reigen | 
mit einer prachtvoll plastischen Wiedergabe 
von Brahms' „Dritter tt , von der besonders der 
letzte Satz unter seiner Fiihrung tiefen Ein- 
druck hinterlieft und der c-moll Symphonie 
von Beethoven. Hervorzuheben ist auch seine 
uberaus kraftige Interpretation von Bachs 
Brandenburgischem Konzert No. 6 und Beet- 
hovens w Leonoren a -Ouverture No. 3. — Die 
allabendlichen, heuer sehr stark besuchten 
„Promenade-concerts a unter Wood an der 
Queen's Hall fanden am 25. Oktober ihr Ende. 
Als interessanteste Novitat ist Dohnanyi's 
Suite fur Orchester op. 19 zu bezeichnen, die 
wiederholt werden muftte. Der erste anmutige 
Satz in Variationen verriit keine besondere 
OriginalitSt, dagegen ist der zweite langsame, 
von einem eigenen, sofort bestrickenden Reiz, 
und das frische, lebendige Finale zeigt in seinem 
FluB schone Erfindungskraft. Entschiedene Be- 
gabung in ihrer echten, ungekunstelten Lustig- 
keit beweisen auch die spezihSch britischen 
Variationen furStreichorchester Ernest Austin's 
„The Vicar of Bray tt („Der Vikar von Bray"). 
Von ausgesprochener, sofort fesselnder Eigen- 
art ist Frederick Delius' Klavierkonzert in 
c-moll, das Theodor Szanto, dem es gewidmet 
ist, vortrefflich wiedergab. Der Tondichter hat 
das 1897 komponierte Werk seither umgearbeitet. 
Percy Pitt's „Arie fur Streichinstrumente" 
wirkte durch ihre Einfachheit und das Echte 
ihrer Empfindung. Ein „Idyll a von Eric Coates 
ist ansprechende Musik. Des in London 
so erfolgreichen Russen Stravinsky Suite 
„L'oiseau de feu tf empfindet man im Konzert 
saal als eine Anomalie; derartige musikalische 
Raketen und Feuerwerke gehoren auf die Biibne 
und zum Ballet. Dagegen empfing man von 
G. H. Clutsam's hier zum erstenmal gespielter 
Einleitung zum dritten Akt von „Konig Harle- 
kin u und dem darauffolgenden Tanz einen recht 
gunstigen Eindruck. Havergal Brian's Ouver- 
ture „Dr. Merrybeart" („Dr. Lustig") wirkt ebenso 
wie „Der Vikar von Bray" durch das spezifisch 
Englische. Aus der groften Liste der Novitaten 
heben wir noch Georges Dorlay's ^Concerto 
passion^* hervor, det.sen Melodik Begabung 
verrat. Im Solopart zeichnete sich^C. War-i 

O 



D'::j"«i,-'L 



wick-Evans aus, der auch das Solo in einer 
tuchtigen Auffuhrung von StrauB' „Don Quixote" 
spielte. Gabriel Faur6's Ballade fur Klavier 
und Orchester op. 19 ist ein romantisches, zum 
Teil stark auf das Virtuosenharte zugespitztes 
Stuck. Der Husse Sergius Wassilenko fubrte 
sich mit seiner pastoralen Suite „An die Sonne" 
ein. Cecil Baumer erschien vorteilhaft in 
Mc. Dowelfs Klavierkonzert No. 2 in d-moll. 
Carrie Tubb sang mit Erfolg die grandiose 
Schluftszene aus Straufi' „Salome a , die Wood's 
Orchester glSnzend herausarbeitete. Mit pracht- 
vollem Klang und Rhythmus brachten die 
Spieler auch Elgar's stets willkommene„Enigma a - 
Variationen und Berlioz' Scherzo „Queen Mab" 
zu Gehor. Auch Brahms' w Vierte u wurde, ganz 
besonders im letzten Satz, hinreifiend wieder- 
gegeben. — B. Kammermusik. Die Classi- 
cal Concert Society hatte zwei sehr erfolg- 
reiche Recitals. In dem einen waren Pablo 
Casals und Johanne Stockmarr in Beet- 
hovens Cellosonate in C eine starke Attraktion. 
Die hohe Kunst der Pianistin kam noch lebendiger 
in Brahms' hier selten gehortem Trio in a-moll 
op. 114 zum Ausdruck, in dem der vortreffliche 
Charles Draper den Klarinettenpart inter- 
pretierte. Casals zeigte seine aufterordentliche 
Begabung noch in Bachs unbegleiteter Suite 
in G. Im 2. Konzert trat das stets mit Freude 
gehorte Rose-Quartett wieder auf. In ihren 
Brahms-Auffuhrungen bieten die WienerKiinstler 
stets die Lese ihrer Meisterschaft. Sie bescherten 
uns das c-moll Quartett op.51 No. 1 und das a-moll 
Quartett op. 26, in welch letzterem F. S. Kelly 
am Klavier sali. Das klangschone Flonzaley- 
Quartett lieli sich in Beethoven, Schubert und 
Schonberg erfolgreich horen; man zahlt es hier 
zu den besten Streichvereinigungen des Konti- 
nents. Das tuchtige Wessely-Quartett be- 
gann seine 13. Saison mit Mozarts Quartett op. 22, 
Schuberts Quintett in C op, 163 und Glieres 
Quartett in g-moll op. 20. Besonders schon ge- 
lang ihm das Schubert-Quintett, in dem C. A. 
Crabbe das zweite Cello spielte. — C. Von den 
Solisten erdffnete Mischa Elman den Reigen, 
der mit Vollendung Beethovens g-moll Sonate, 
Bruchs d-moll Konzert und Ernsts w Othello a - 
Phantasie vortrug. Fritz Kreisler nahm die 
Londoner neuerdings im Sturm mit einem Pro- 
gramm, das allerdings stark dem populiiren Ge- 
schmack huldigte, seine Kunst jedoch von alien 
Seiten zeigte. Harold Bauer utyerzeugte wieder 
von seinem griindlichen Konnen auf dem Flugel 
und seinem feinen Empfinden. Sein Zusammen- 
spiel mit Jacques Thibaud bedeutet stets einen 
hohen GenuB. Grofter Beliebtheit erfreut sich 
hier Teresa Carreno, die sich wie Bauer vor 
ihrer amerikanischen TournSe verabschiedete. 
Ein feiner Chopinspieler von origineller Auf- 
fassung ist Pachmann, der u. a. Schumanns 
selten gespielte „Grande humoresque* 4 op. 20 vor- 
trug. Der Pianist Archy Rosenthal absolvierte 
ein erfolgreiches Bach-Beethoven-Chopin-Kon- 
zert und spielte auch Mc. Dowell's ^Tragische 
Sonate 4 *. Florizel v. Reuter, das einstige 
Wunderkind, produzierte sich mit Erfolg in einem 
Recital mit Orchester, das Wood leitete. Er 
spielte das Brahms- und Dvor£k-Violinkonzert, 
die jedoch beide uber seine Krafte gingen. Sig- 
mund Feuermann^fljejj^r^iizjf^n^hrige w Wun- 

C UNIVERSITY OF MICHIGAN 



318 



DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 



dergeiger", leistete fur sein Alter wahrhaft Be- 
deutendes in Beethovens Kreutzer-Sonate und 
Bruchs Violinkonzert in g-moll. Ein Sanger von 
Geschmack ist Paul Draper, der selten gehorte 
Lieder von Schubert und Brahms vortrug. In 
einem zweiten Programm gab erMahlers „Lieder 
eines fahrenden Gesellen" mit schonem Erfolg 
zum besten. L. Leon hard 

VAUNCHEN: WShrend Bruno Walter das 
*** Programm des 1. Abonnementskonzertes der 
Musikalischen Akademie (Hoforchester) mit 
Mozart, Beethoven und Mendelssohn bestritt, 
brachte Ferdinand Lowe im 1. Abonnejnents- 
konzert des Konzertvereins gleich eine 
Novitat: das zur Einweihung des Wiener Konzert- 
vereinshauses komponierte Festliche Praludium 
fur Orchester und Orgel von Richard Straufl — 
ein aulierlich pomposes, aber innerlich recht 
schwaches Stuck. 1m gleichen Konzert spielte 
Karl Flesch, der wenige Tage darauf auch in 
einem eigenen Abend Triumphe feierte, das 
Brahmssche Violinkonzert ganz wunderbar schon. 
DasherkommlicheAllerheiligen-Konzertdes Hof- 
orchesters und Lehrer-Gesangvereins 
wurde heuer zu einer wurdigen Gedachtnisfeier 
fur Verdi benutzt: das Requiem des italienischen 
Meisters erlebte unter Bruno Walter mit einem 
Solistenquartett ersten Ranges (B o s e 1 1 i, C a h i e r, 
Erb, Bender) eine glanzende Auffuhrung. Mehr 
zweiten Ranges, wenn schon nicht ohne Ver- 
dienst, war eine von dem begabten jungen Italiener 
Carlo Gall one dirigierte Verdi-Feier, die neben 
Opernbruchstiicken (auch Ouvertiiren!) eine sehr 
schone Auffuhrung der „Laudi alia Vergine 
Maria" fur Frauenchor brachte. Unter den 
Solisten der Veranstaltung ragte neben Anna 
Malatesta und Julius Runger der vielver- 
sprechendejunge Tenor Karl Fischer hervor. Die 
Munchener Hofopernsangerin Luise Perard- 
Petzl machte in einem eigenen Konzert, das 
Franz v. Hoefilin dirigierte, mit vier Orehester- 
gesangen von Hermann W. Walte rshausen 
bekannt. Paul Prill, der den von ihm geleiteten 
Volks-Symphoniekonzerten mehr durch die Wahl 
als durch die Ausfuhrung der Programme kiinst- 
lerisches Interesse zu geben versteht, hatte man 
zu danken fur die Auffuhrung der Kammer- 
symphonie, op. 27, von Paul J u o n (mit dem Kom- 
ponisten am Klavier) und der Ersten Symphonie, 
op. 16, von Sgambati. Nicht recht verstandlich 
ist mir das Eintreten von Kiinstlem wie Pab]o 
Casals und Marie Leroy fur den Komponisten 
Emanuel Moor. Jener spielte von ihm — zu- 
sammen mit dem Geiger Richard Rettich und 
dem Komponisten — das Trio in C-dur, op. 81, 
und ein Prelude in E-dur, op. 123, diese sang 
in einem Volks-Symphoniekonzert U Extase (nach 
V. Hugo) und in ihrem Liederabend klavier- 
begleitete Gesange neben solchen von FaurS, 
Duparc u. a. Von den drei Melodramen, die 
Ludwig Wu liner mitbrachte: „Die Wallfahrt 
nach Kevelaer" (Heine), „Das klagende Lied" 
(Martin Greif) — Musik zu beiden von H. Cuy- 
pers — und „Hektors Bestattung" (Homers Ilias), 
Musik von Botho Sigwart — vermochte keines 
musikalisch lebhaft zu interessieren. — Sehr 
stark und auch kunstlerisch ertragreich war der 
Konzertbetrieb in den letzten Wochen nament- 
lich auf dem Gebiete der Kammermusik. Die 
Munchener, die in Johannes ^Hegar einen 

■■---■■ tV 



neuen Violoncellisten bekommen haben (an Stellc 
des nach Berlin ubersiedelnden Heinrich Kiefer) 
erfreuten mit der ganz vortrefTlichen Wiedergabe 
des Streichquartetts in Es von Friedrich Klose 
und des Klavierquintetts in C von Hans Pfitzner 
(unter Mitwirkung August Schmid-Lindners), 
die Brusseler (gleichfalls mit einem neuen 
Violoncellisten) spielten neben Beethoven und 
Haydn das klangschone Streichquartett in Des, 
op. 15, von Dohn£nyi, und der Deutscben 
Vereinigung fur alte Musik verhalfen 
Werke von Johann Sebastian und Friedemann 
Bach, Rameau, Scarlatti, Handel und Attilio, 
und die Mitwirkung von Elfriede Schunck 
(Cembalo), Emil Wagner (Viola d'amore) und 
Blasern des Hoforchesters zu einem wohlge- 
lungenen Abend. Das Trio der Geschwister 
Klengel machte mit einem Klaviertrio in f-moll, 
op. 8, von J. B. Foerster bekannt, und auch 
das dsterreichische Trio (Paul Schramm 
und Genossen) wartete mit selten Gehortem auf: 
Variationen und Fuge uber ein Volkslied von 
Paul Carriere und dem B-dur Trio vonV. d'lndy. 
Der Geiger Richard Rettich exekutierte mit der 
Pianistin Pauline Friefi die beiden Sonaten: op. 7 
von Juon und op. 28 von Julius Weismann, auCer- 
dem eine fiinfsatzige Suite von Rettich selbst. 
Die Miinchner Mozart-Gem einde, der jetzt 
Margarete Quidde vorsteht, ehrte das Andenken 
ihres verstorbenen Vorstandes, Prof. Emil Pott, 
mit einem Abend, dem sie bald einen zweiten 
folgen liefi, an dem sich der Pianist Paul Gold- 
schmidt besonders auszeichnete. Eine neue 
Kammermusik-Vereinigung, die der Pianist 
Georg Stoeber und der Konzertmeister W.Wolf 
mit Blasern des Hoforchesters gebildet haben, 
debutierte mit einem Quintett fur Blasinstrumente 
von J. Miroslav Weber und dem Trio fur Klavier, 
Violine und Bratsche, op. 5, einem Jugend- 
werk von Ludwig Thuille. Ganz glanzend 
fuhrte sich die gleichfalls neue Trio-Ver- 
einigung Felix Berber, Johannes Hegar, 
Hermann Zilcher mit Tschaikowsky's a-moll 
Trio, op. 50, und dem F-dur Trio, op. 8, von 
Pfitzner ein. Werke von Siegfried G. K alien- 
berg (eine Klaviersonate, der langsame Satz 
einer Klavier-Violinsonate und Lieder), fur die 
der Neue Verein eintrat, fanden Teilnahme bei 
solchen, die, wenn ich so sagen darf, mehr lite- 
rarisch als musikalisch horen. Verungliickt war 
eine Veranstaltung der Vortragsvereinigung 
deutscher Kiinstler, die fur Gesangskompo- 
sitionen von Lorenz Seemann, Hans Kotschke, 
Heinrich Bienstock und Georg Gohler Interesse 
wecken sollte. Das Ehepaar Bruno und Anna 
Hinze-Reinhold musizierte auf zwei Klaviercn : 
ein Phantasiestuck in c-moll von J. Guy Ropartz 
und eine Kleine Suite von Debussy; Herr Hinze 
allein eine Phantasiesonate, op. 68, von Ernst 
Ed. Taubert. Wahrend Alfred Schroeder fur 
die Klaviersonate in E-dur, op. 2, von E. W. Korn- 
gold eintrat, brachten die anderen Pianisten: 
Ossip Gabrilowitsch, Frederic Lamond, 
Edwin Fischer, Lester Donahue nur Bekann- 
tes. Von Gesangskunstlern nenne ich Adolf 
Wallnofer, der in einer durch Gesangsbeitrage 
illustrierten Conf6rence seine Resonanztontheorie 
entwickelte, Julia Culp, die ebenso wie Elena 
Gerhardt Lieder von dem kurzlich verstorbenen 
Erich ,4. Wolff ^ane, Edith Walker (^Hermann 

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KRiTIK (KONZERT) 



319 



und Thusnelda" und w Der Hirt auf dem Felsen a 
von Schubert), Nathalie AktzSry (Lieder von 
Moussorgski,Glazounow, Rachmaninoff, Borodin, 
Wassilenko, Debussy, Chausson, Moret), die 
Baritonisten Helge Lindberg, Julius Neu- 
dorffer - Opitz (Max Mahler) und Vernon 
d'Arnalle, die Tenoristen Adalbert Ebner und 
Paul Landeg, dann noch — mit der Pianistin 
Sandra Droucker zusammen — Maria Lydia 
Gunther (C. Beines) und Gabriele RoBle. 
Zur Laute lieBen sich horen: Robert Kothe 
mit einer neuen, der zehnten Folge seiner 
Volkslieder, Lisa und Sven Scholander und 
Frida Munnich- Profil. Ungeheures Aufsehen 
erregte der fabelhafte Gitarrenvirtuos Miguel 
Llobet. Ein Oratorium: „Die Passion Jesu 
Christi", Worte von Msgr. Jac. Abweger, Musik 
von Friedrich Seitz, kam in der Ludwigskirche 
(Chorregent Eduard Meyer) zur Aufftihrung. 
Das geigende Geschwisterpaar Melanie und 
Hans Michaelis machte sich um Kompo- 
sitionen von Hermann Zilcher und Heinrich 
Noren (Divertimento, op. 42) verdient; Lieder 
von Zilcher sang die talentvolle Eva Bruhn. 
Endlich sind noch zu erwahnen zwei groBe 
und ein kleiner Geiger: Franz von Vecsey, 
Bronislaw Huberman und Alfred Pellegrini 
aus Dresden, und eine Violoncellistin: Lotte 
Hegyesi, die am Klavier von Hans Weisbach 
unterstutzt wurde. Rudolf Louis 

SCHWER1N i. M.: Konzerte gab es schon in 
Fuller Tilly Koenen sang, Julia Culp sang, 
das Marteau-Quartett spielte, und noch viele 
andere Kiinstler mit weniger klangvolleren Stim- 
men kamen nach Schwerin, um sich horen zu 
lassen. Manche fanden kein voiles Haus; es 
scheint fast, als wenn bei unserm Publikum sich 
schon jetzt eine gewisse Konzertmudigkeit be- 
rnerkbar macht. Besonderen Wert hatte das von 
Willibald Kaehler musterhaft dirigierte erste 
Orchesterkonzert. Es kamen u. a. Webers 
Kantate „Kampf und Sieg", sowie die Ftinfie 
Symphonie von Beethoven ganz ausgezeichnet 
zum Vortrag. Paul Fr. Evers 

STUTTGART: Der „Musikbetrieb u ist in vollem 
Gange. Es ist auch schon Oberproduktion 
da, wie viele mangelhaft besuchte Konzerte, 
auch solche bester kiinstlerischer Qualitat, be- 
wiesen. Steigender Frequenz erfreuten sich bis 
jetzt nur die Abonnementskonzerte und die 
Kammermusik-Abende des Wendling-Quartetts. 
Diese feststehenden vornehmsten Veranstaltun- 
gen in unserer Musikpflege setzten aber auch 
gleich am Anfang mit voller eigener Kraft und 
Zuziehung namhafter, zugkr^ftiger Solisten ein. 
Das 1. Abonnementskonzert der Hofkapelle 
unter Schillings' Leitung wurde mit dem 
„Meistersinger a -Vorspiel eroffnet. Das 2. brachte 
den GenuB der lange nicht gehorten Meister- 
ouverture „Die Hebriden" von Mendelssohn, in 
warmblutiger, flussiger Ausfiihrung. Der Solist 
des 1., Emil Sauer, erntete mit seinem Klavier- 
konzert No. 2 als Komponist und als technisch 
und musikalisch hochstehender Klavierspielerdie 
reichsten Beifallsehren. Gleich lebhaft wurde 
auch der Solist des 2. Konzertes, Carl Flesch, 
nach dem schonheitsgesattigten Vortrage des 
Violinkonzerts in A-dur von Mozart gefeiert. 
Den ScbluB dieses Abends bildete das n Fest- 
liche Praludium" fur groBes Orch^ster und 

(1 



Orgel op. 61 von Richard StrauB. Dieser 
neueste StrauB imponiert nur mit glanzend 
organisierter Klangmasse. Die schopferische 
Muse war bei der Konzeption dieses Werkes 
nicht in festlicher Gebelaune. DasWendling- 
Quartett verlegte seine Kammermusik-Abende 
auf die Bfihne des „Kleinen" Hoftheaters und 
hat damit einen noch groBeren Kreis von Zu- 
horern gewonnen, der die bis jetzt unter 
pianistischer Mitwirkung von Max v. Pauer 
und £douard Risler gebotenen feinen Genusse 
mit lebendigster Beifallsfreude aufnahm. Neben 
Klassischem von Beethoven, Schubert, Schumann 
und Brahms erschien als Novitat das Klavier- 
quartett in c-moll op. 15 von Gabriel Faur6, 
ein nicht gerade stark eigenstandiges, aber klang- 
lich und inhaltlich sehr reizvolles Werk. Die 
Kammermusik war auch durch das Brusseler 
Streichquartett, das hier zum ersten Male 
erschien, in vornehmster Weise vertreten. Es 
verhalf mit seiner volltonigen und kunstlerisch 
reich belebten Ausfuhrung besonders dem Streich- 
quartett in Des-dur von Ernst von Dohnanyi 
zu einem starken Erfolg. Das Stuttgarter 
Trio (Angelo Kessissoglu, Gregor von 
Akimoff und Peter Donndorf) eroflfnete seinen 
Kammermusikzyklus mit einem eindruckvollen 
und erfolgreichen Brahms-Abend. Verdi's 
Gedenktag feierte der Verein fur klassische 
Kirchenmusik unter Erich Bands Leitung 
mit einer vorzuglich gelungenen Aufftihrung 
des Requiems. An groBeren Konzertveranstal- 
tungen ist noch ein Bach-Abend des Wtirttem- 
bergischen Bach-Vereins mit kammer- 
musikalisch fein gearteten Auffuhrungen von 
Instrumentalwerken unter Karl Wendlings 
Leitung und der Mitwirkung von Max Pauer 
(Chromatische Phantasie und Fuge) und Alfred 
Saal (Cellosonate) zu nennen. Die Solisten- 
abende reihten sich dicht und bunt aneinander. 
Das Obergewicht bis zur Oberlastung hatten 
die Liederabende. Lula Mysz-Gmeiner und 
Berta Morena trugen bis jetzt den Sieg davon, 
doch auch die einheimischen Gesangskrafte 
Meta Diestel, Ludwig Feuerlein, Helge 
Lindberg, Gertrud Betzler und Margarete 
CloB behaupteten sich neben diesen GroBen 
sehr ehrenvoll. Wilhelm Backhaus und Joan 
Man6*n eroffneten die Konzertsaison mit groBen 
Erfolgen. Oscar Schroter 

WEIMAR: Einen recht erfreulichen Auftakt 
bildete eine Jahrhundertfeier der ver- 
einigten Lehrergesangvereine von Apolda, 
Eisenach, Jena und Weimar. Ein stattlicher 
Klangkorper, der durch schones Stimmaterial 
erfreute. Hildegard Wolffs Gesang konnte in 
keiner Weise befriedigen. Ein Gluck fur sie, 
daB ihr Begleiter P. Schramm durch seine 
trefflichen Solovortrage das Publikum zu fesseln 
wuBte. Auch der Konzertsanger Otto Bromme 
hatte zu friih den verhangnisvollen Schritt in 
dieOffentlichkeit gewaet. Die Klavierduettistinnen 
Geschwister Satz enttauschten diesmal; ihr 
Spiel lieB die notige Sauberkeit und straffe 
Rhythmik vermissen. Einen vorzuglichen 
Organisten lernten wir in Robert Steiner aus 
Bern kennen. Der Klavierpoet Ansorge hatte 
an seinem ersten Abend kein besonderes Gluck 
und schien von nervosen Depressionen be- 
einfluBt. O berfluss (^ r j l J ? jf r a | ( ^| ]in ^ onzert der 

l " UNIVERSITY OF MICHIGAN 



320 DIE MUSIK XIII. 5: 1. DEZEMBERHEFT 1913 

Sangerin K u c h 1 e r - We i B b r o d und des j arbeitenden offenbaren Busoni-Schulers Gottfried 
komponierenden Pianisten W. Renner. Willy , Galston, wahrend das poetische und hoch- 
Burmester hatte wie immer das Publikum kunstlerische Klavierspiel Lambrinos den 
auf seiner Seite. Ein Wagner-Abend des stark Freunden wahrer Kunst einen echten GenuC 
posierenden Alexander Dillmann (Klavier) im I bereitete. Lula Mysz-Gmeiner sang, wie 
Verein mit einem mehr mit dem Dynamischen immer, vollendet, kokettierte etwas mit ibrem 
rechnenden Tenor R. Tom lie h und unserer i piano und liefJ die notigen Ruhcpausen durch 
mit Unrecht zum dramatischen Fach umsatteln | ihre hochbegabte Schwester Luise pianistisch 
wollenden Selma vom Scheidt hinterlieft recht ; ausfullen. Das 1. Abonnementskonzert des 
heterogene Eindrucke. Genie und Kraft aufierten | Hoftheaters unter Raabes souveraner Leitung 
sich in den draufgangerischen Klavierinter- war den drei ersten Symphonieen Beethovens 
pretationen des mit technischen Blendern j gewidmet. Carl Rorich 



ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

Die Studie Hejiri de Curzon's fiber Gr6try illustrieren wir durch ein Portrat des 
Meisters, eine Litographie von Belliard nach dem nach dem Leben geschaffenen Ge- 
malde von Robert Lefevre, sowie durch eine Probe seiner Handschrift, die 
einem Brief Gr£try's vom 18. August 1791 an Beaumarchais entnommen ist. 

Des 110. Geburtstages (11. Dezember) von Hector Berlioz sei durch sein Portrat 
nach Josef Kriehuber gedacht, das die vielen von uns im Laufe der Jahre veroffentlicbten bild- 
lichen Darstellungen des Kunstlers um ein charakteristisches Stuck bereichert. 

Im vergangenen Sommer hat die Berliner Bildhauerin Bianca Ehrlich im Meininger Heim 
Max Regers zwei Busten des Tonsetzers geschaffen, eine groBere, etwas idealisierte, und eine 
kleinere, ganz aus der Wirklichkeit entstandene. Erstere fuhren wir unseren Lesern im Bilde 
vor. Beide Arbeiten der begabten Kiinstlerin sind im Verlag von Gebruder Micheli in Berlin 
erschienen. 

Zum Gedenkartikel Johannes Hatzfelds gehort das Portrat von Franz Witt. 

Am 3. November schied in Miinchen Hans von Bronsart im Alter von 84 Jahren aus 
dem Leben. Mit ihm ist ein hochbegabter Kunstler, ein lauterer, vornehmer Charakter dahin- 
gegangen, einer der letzten Paladine Liszts und des neudeutschen Kreises, einer der treuesten 
Freunde und MitkSmpfer Hans von Bulows, den er 1877 als ersten Kapellmeister nach Hannover 
berufen hatte. Als Sohn des Generalleutnants Bronsart von Schellendorf in Berlin geboren, 
studierte er bei Dehn und bei Liszt in Weimar und machte dann langere Konzertreisen als 
Pianist. 1860-62 dirigierte cr die Euterpe-Konzerte in Leipzig, 1865-66 als Nachfolger Bulows 
die Veranstaltungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Berlin. Von 1867—87 wirkte er als 
Intendant des Hoftheaters in Hannover, von 1887—95 als Generalintendant der Weimarer Hof- 
bubne. Nach seiner Pensionierung lebte Bronsart in Pertisau am Achensee und in Munchen. 
Als schaffender Kunstler hat er sich besonders mit seinem g-moll Trio und dem fruher viel 
gespielten Klavierkonzert in fis-moll einen geachteten Namen erworben. Er schrieb ferner zwei 
Symphonieen, die dramatische Tondichtung „Manfred a , ein Streichsextett, Chorwerke und Klavier- 
stGcke. 



Nachdruck nur mit besonderer Erlaubnis des Verlages gestittct 

Alle Rccbte, insbesonderc das der Obersctzung, vorbehalten 

F&r die ZurGcksendung unverlangter oder nicbt angeracl deter Manuskripte, fills Ibnen nlcht genfigeod 

Porto beillegt, Dbernimmt die Redaktion kelne Garantie. Schwer leserliche Manuskripte werden ungeprGft 

zuruckgesandt. 

Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster 

Berlin W 57, BiilowsfraGe ta? 1 
( \ 'M\rt\i - Original Tram 

U-i :i-ua : )y lilJi^K UNIVERSITYQF MICHIGAN 




ANDRE ERNEST MODESTE GRETRY 

f 24. September 1813 

Lithographic von Belliard nacb dera Gcmilde von Robert LeRvre 



XIII 




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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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0- /?UH4u C/Uju Inigd^iL /iaU/~s£iL &my*ty<L </a /is 
IfcfAW JfcZfyn^ 4h outrage* ^aM^Tu^ 

(faUMW f frit a^ /tywrtu a//)r v> la/nw- A^. ^^ 
fd^*-^ cjo tctxf) fu^tt^6<j^» /n*m cA^y frm*'; 



HHJ /%MU*/-/)qi 




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SCHLUSS EINES BRIEFES VON A. E. M. GRfcTRY AN BEAUMARCHAIS 



XIII 




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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




HECTOR BERLIOZ 

# II. December 1805 

Lithographic von Kriehubcr 1845 



XIII 







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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




MAX REGER-bOSTE 
Von Blanc* Ehrlich 



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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




FRANZ XAVER WITT 
t 2, December 1888 



XIII 




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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Hofmielier Qvhr, Hir»ch, Mlirtcbtn, pboi. 



HANS VON BBONSART 
+ 3 + November 19(1 



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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



DIE MUSIK 

HALBMONATSSCHRIFT MIT 
BILDERN UND NOTEN 
HER AUSGEGEBEN VON 

KAPELLMEISTER 
BERNHARD SCHUSTER 



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HEFT 6 • ZWEITES DEZEMBER-HEFT 
13. JAHRGANG 1913/1914 

VERLEGT BEI 
SCHUSTERS LOEFFLER- BERLIN W 



•■: :-, CiOO0k* 



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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Es waltet la Jeder Zeit eia geheimes BBndnis verwaadter Ge later. 
SchlieGt, die ibr zuaamroengebBrt, den Kreis fester, dafi die Wahr- 
heit der Kuitst immer klorer leuchte, Qberall Freude and Segen 

yerbreitend* 

Robert Scbuminn 



INHALT DES 2. DEZEMBER-HEFTES 

W I LI BALD NAG EL: Vom Auadrucke dea Natlonalen tu. dcr 
Muaik 

RICHARD SPECHT: Guatev Mahler als Operadirefctor 

LA MARA: Eiuo Nachleae ungedruckter Wagner- Brief o 

EDGAR ISTEL: Die Not der BuhnenkompoaisteD 

BESPRECHUNGEN (BGcfaer and Mualkalien) Refferenten: 
Richard H. Stein, W J Helm Altmann, Albert Leitzraann, Otto 
Holtenberg, Carl Rorich, Hago Schtemuller, F* A, GelQJer 

KR1T1K (Operund Konzert): Amsterdam, Berlin, Braunecbveig, 
Breslau, Budapest* Dresden, Frankfurt a* M, Grai, Halle a. &, 
Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Kdln, Kopenhagen, Leipzig, 
Mahu, Mtinchen, Nttniberg, Paria, Prag, St + Petersburg Wlen, 
Zurich. 

ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

KUNSTBE1LAGEN: Girstav Mahler, drel Biider aus den Knaben- 
undjunglingajahreu; Gufitav Mahler und vein Sell vager Arnold 
Rose*; Mahler mil eeinem Tocbterchen auf aelaem frQberen 
Landbesitz (Maieruigg am Wfrtheraee); Mahler auf der fiber- 
fthrt von Amerike; Mahler in der Hofoper; Mahler am Schreib- 
tlscb; Mahler 1m Foyer derHotoper; Guatav Mahler, Amster- 
damer Photographic; Gustar Mahler, Karlkamr von Burkardt; 
Totenmaske Gustav Mahler*, abgeformt von Carl Moll; Titel- 
blatt des eraten Tetla von Mahler* Lied von der Erde; Erate 
Ptrtiturseite dea eraten Teils von MahlersLicd von der Erde. 

QUART ALSTITEL mm 4a Band der MUS1K 

NACHR1CHTEN: Neue Opera, O pern repertoire, Konzerte, 
Tageachronf k, Totenachau, Verachiedenea, Aua dem Verlag 

ANZEtGEN 



DIE MUSIK enchdnt monatHch xwehnaL 
Abonnemeotapreia Mr dai Quartal 4 ML 
Abonaemeiitsprela rar dco Jabrgaog 1-5ML 
Praia dea etozeinen Hcftea 1 MIl Vlertel- 
|ahr»elnb*iiddeckeQ a 1 Mk, Sanunel- 
kastea for die Kunetbeitagea dea gameo 
Jahrganga 2,50 ML Abonnemsnta darch 
|ede Buch- uad MntlkaLfeabandlung, fflr 
klelae Plltw oboe Buchhfeidler Scrag 
durcn dte P«t 



Generalvertretung ftlr Frank rcich, 
Belgian und En gland: Albert Gutmann* 

ParJe, 106 Boulevard Sa!Dt*GeraiaJn 

Allrfnlge bacon IndleHaelw VertretUDg far 

England and Kolonleen; 

Breltkopr & Hirtel, London, 

54 Great Marlborough Street 

rar A m er I ka: Brdtkopf & Hine^NewYork 
rar Frankrelch: Coatallat & Co,, Parla 






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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



VOM AUSDRUCKE DES NATIONALEN 
IN DER MUSIK 

VON PROFESSOR DR. WILIBALD NAGEL IN ZURICH 



Volkstiimlich und national sind nicht unter alien Umstanden gleich- 
wertige und iibereinstimmende Begriffe. Wir sehen Melodieen, die 
kein Zeichen einer nationalen Grundfarbe an sich tragen, von Volk 
zu Volk wandern und in der Fremde heimisch werden. Was ihnen die 
Verbreitung sichert, ist ihre leichte Verstandlichkeit. In Frankreich hat 
sich das Seckbacher Lied furchterlichen Angedenkens, in Deutschland der 
englische Daisy-Walzer sentimental-frecher Herkunft Biirgerrecht errungen. 
Beide tragen keine irgendwie nationale Gewandung. Sie gehoren dera 
internationalen Schmutzgeschlechte an, das der Mob ohne und mit Lack- 
stiefeln zu seinen FreudeauBerungen zu gebrauchen gewohnt ist. 

Was das Nationale in der Musik ausmacht, ist nicht eben ganz leicht 
festzustellen. Man kommt da mit allgemeinen Redensarten nicht weit. 
Kant hat einmal (in seinen „Beobachtungen liber das Gefuhl des Schonen 
und Erhabenen" 1764) den Italienern und Franzosen ein hervortretendes 
Gefuhl fiir das Schone, den Deutschen, Hollandern und Spaniern einen 
Ciberwiegenden Sinn fur das Erhabene zugewiesen. Diese allgemeine Ein- 
schatzung, die der Philosoph dann weiterhin noch ausbeutet, gilt vielfach 
auch heute noch. Wollte man aus ihr Riickschliisse auf die musika- 
lischen AuBerungen des Kunstgeistes der genannten Volker machen, so 
konnte das nicht ohne gewaltige Einschrankungen geschehen. Schon fiir 
die Musik bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts lieBe sich eine derartige 
Charakterisierung unmoglich aufrecht halten, von der Bahn ganz abgesehen, 
die die Kunst seit jener Zeit in der Epoche der Wiener Klassik und herab 
bis auf unsere Tage zu durchmessen hatte. Mozart gilt uns alien als die 
Verkorperung charaktervoller Schonheit in der Musik; der italienische 
Verismus hat mit voller Absicht gegen den eingeborenen Schonheitssinn, 
wenn auch vergeblich, realistische Wahrheit des Ausdruckes auszuspielen 
versucht; wer in den spanischen „Zarzuelas tt Erhabenheit finden wollte, 
wiirde sich lacherlich machen. 

Solche Staffelungen pflegen im allgemeinen auf Grund mangelhafter 
Kenntnis der Einzelerscheinungen zu geschehen, wenn sie nicht Resultat 
nationalen Diinkels oder traditioneller Anschauung sind. Wer wollte ernst- 
lich unternehmen, das Wesen der deutschen Musik in einen Satz zu 
bannen, wenn er sich daran erinnert, daC neben Bach Beethoven, Mozart, 
Schubert und Joh. StrauB stehen, daB Formensinn, Anmut, Schonheit und 
Erhabenheit in ihrer Kunst ein unendlich reich abgestuftes Ausdrucks- 
gebiet geschaffen haben? Mit denselben Bezeichnungen wird man aber 

21* 



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324 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

auch kiinstlerische Erscheinungen anderer Volker zu bedenken haben, 
wenn man sich auf allgemeine Charakteristiken beschranken will. Gleich- 
wohl bleibt die Grundfarbe der deutschen Musik, soweit sie echt ist und 
sich nicht eine beliebige fremde Hiille borgt, eine von der der franzosischen 
verschiedene. Sie in knappen Worten auszudrucken, erscheint unendlich 
schwer, wenn nicht unraoglich, da dies zum Teil die FShigkeit der Objekti- 
vierung der Wesenheit des eigenen Volkes zur Voraussetzung hat. Viel 
leichter ist es, gewisse volkische Idiotismen zu bestimmen, soweit sie in 
der Musik Verwendung gefunden haben. Nur in bezug auf sie sprechen 
wir heute von nationalen Schulen in der Musik. Und dieses nur in der 
des 19. und unseres Jahrhunderts. 

Man sieht: diese allgemeinen Charakteristiken sagen uns herzlich 
wenig. Wir kommen dem Begriffe des Nationalen nSher, wenn wir neben 
den einzelnen Idiotismen Tonalitat, Rhythmik, SchluOformeln usw. naher 
betrachten. Nun zeigt sich da aber eines: es lassen sich mit dem Ohre 
Unterschiede zwischen den einzelnen nationalen Weisen leicht wahrnehmen. 
Bannen wir jedoch ihre Art in Formeln, so zeigt sich kein groBer Abstand. 
Ob es sich bei diesen Verhaltnissen nicht empfehlen wurde, statistische 
Aufnahmen uber die nationalen GesSnge in der Art zu machen, daO zum 
Beispiel die einzelnen Intervalle auf die HMuBgkeit ihrer Verwendung 
untersucht, die Melodieen also in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Tone, 
vertikal, betrachtet und die Resultate mit den bisher erreichten zusammen- 
gestellt wiirden, bleibe dahingestellt. 

Volksmusik als eine Kunst, die typische nationale Eigentumlichkeiten 
im Spiegelbilde, oder die den Charakter ihres Heimatlandes in dem einen 
oder anderen Zuge aufweist, Volksmusik als Tragerin eines gewissen 
kunstlerischen RassenbewuDtseins und Kunstmusik als Produkt musikalischer 
Bildung bedeuten Gegensatze. Alle Volksmusik ist zunachst als ein- 
stimmiges Erzeugnis eines naiven kunstlerischen Mitteilungsdranges an- 
zusehen, ist AuBerung einer Gabe, die dem Menschen von der Natur als 
gliickbringendes Geschenk mit ins Leben gegeben wurde. Alle Kunst als 
bewuBte Ubermittelung inneren Lebens an die AuBenwelt hat tatige reflek- 
torische Krafte zur unbedingten Voraussetzung. Selbstredend setzt auch 
die Volkskunst allerlei voraus. 

Man kennt die Thesen iiber die Entstehung der Musik. Sicherlich 
ist die Naturnachahmung hier eine zweite Erscheinung; das primare Element 
ist vielleicht der Rhythmus der Arbeit gewesen, der anfeuernde Rufe, Formeln 
und anderes gab, das sich spater zum „Liede" verdichtete. 

Ist das biogenetische Gesetz richtig, nach dem jedes Kind die Ent- 
wickelungsreihe der Art in seinem eigenen Leben aufzeigt, so werden wir 
die Frage: Welche Kunst ist die altere, die Musik oder die bildnerische 
Darstellung durch GrifFel und Farbe? zugunsten jener beantworten miissen. 



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NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 325 



Denn in dem Augenblicke, da das Kind fur den Ausdruck „Mutter a die 
ersten Laute findet, steht es unter dem zunachst unbewufiten Zwange von 
Ton und Rhythmus. Erst wenn Dinge der AuBenwelt sich ihm als Objekte 
darstellen und zum Begriffe werden, nimmt es Stift und Farbe, utn sie nach- 
zubilden. Musik ist, wie einfach sie immer sei, Ausdruck innerer Be- 
wegung oder Erregung; jede bildnerische Tatigkeit setzt einen gewissen 
Nachahmungstrieb voraus, die Fahigkeit der Objektivierung von Mit- und 
Umwelt. Von dieser letzteren ist bei dem Kinde in seinen ersten 
Lebensauflerungen noch ganz und gar nicht die Rede. 

Wir haben keine Ursache, uns die Verhaltnisse bei den unkultivierten 
Urvolkern anders wie bei den Kindern zu denken. Man darf nicht etwa 
folgern wollen: weil uns Zeichnungen von Hdhlenbewohnern, nicht aber 
deren Lieder erhalten sind, ist die bildende Kunst dem Gesange vorauf- 
gegangen. Lieder aufzuschreiben vermochte erst eine verhaltnismaBig 
hoch entwickelte Kulturstufe. 

Jede kunstlerische Mitteilung verlangt den Zustand einer gewissen 
MuBe. Es ist wahrscheinlich, daB es Zeiten gegeben hat, in denen der 
Mensch in bestandigem Kampfe mit seiner Umwelt lebte, so daB ihm nicht 
die geringste Moglichkeit geboten war, sich irgendwie kunstlerisch zu be- 
tatigen. Diese Moglichkeit, die nach der Menschen Art Notwendigkeit 
war, Bel aber dann an die Frau, an das spielende Kind, fur die zu kampfen 
Aufgabe des Mannes war. Hatte der im Walde eine Lichtung geschlagen, 
wilde Tiere, die sein Heim bedrohten, oder andere Feinde seiner Tatigkeit 
besiegt, so mochte er wohl, besaB er einen kiinstlerischen Drang, selbst 
zum Werkzeuge greifen, um etwa seinen Kampf mit einem Baren auf dem 
Gesteine seiner Hohle darzustellen. Darin lag eine gewisse Tendenz: 
seinen Ruhm im Bilde fur die Nachwelt festzuhalten. 

Die KunstauBerungen des Kindes sind ganz und gar absichtslos; ist 
ihm die Freude an Ton und Rhythmus erst einmal erwacht, so musiziert 
es darauflos; die unsinnigsten Zusammenstellungen von Silben mussen zu 
rhythmischen Tongefiigen herhalten. Dann kommen einzelne Tone daran, 
Satze in Prosa, endlich Reimereien. Jetzt treten gewisse nachahmende 
Momente hinzu: das Kind verwertet das, was es an AuBerungen Erwach- 
sener aufgeschnappt hat. 

Daraus lassen sich gewisse Riickschlusse auf die Urrausik machen. 
Wir durfen sagen: wie die Moglichkeit, Musik hervorzubringen, dem Men- 
schen von Anfang an gegeben war (als Rhythmus, als Ton, endlich als 
entwickelte Tonreihe), so hat er sie auch ohne Frage gleich benutzt, wenn 
natiirlich auch keineswegs ausgenutzt. Die Anfange alien Musikmachens 
sind an die von der Natur direkt gegebenen, also die einfachsten physika- 
lischen Bedingungen gekniipft gewesen. Was freilich die Urmusik hervor- 
brachte, wissen wir nicht. Und auch noch die ersten bestimmten Nach- 



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326 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

richten von einer musikalischen Kunst verlieren sich im Nebel einer un- 
durchdringlichen Vergangenheit. Gestatten sie uns Riickschlusse auf die 
Urmusik? 

Das ist bemerkenswert: die altesten Tonleitern, von denen wir Kunde 
haben, ruhen auf der sogenannten Pentatonik: ein Fiinfton-Leiter-System 
findet sich im Osten, in China, Japan, in Polynesien, wie im Westen bei 
den Kelten; es ist den Naturvolkern Afrikas und Australiens vertraut, wie 
es sich bei den Griechen fand und demnach auch selbstverstandlich bei 
den ur-arischen Volkerstammen. Dem klassischen Altertume war die Kunde 
von einem untergegangenen Weltteile Atlantis, der vielleicht Europa mit 
Amerika verband, mehr als bloCe Legende. Die moderne Wissenschaft hat 
die Annahme verworfen, bis sich neuerdings wieder die Moglichkeit heraus- 
stellte, dafi der „phantastischen Hypothese a doch am Ende Tatsachen zu- 
grunde liegen konnten. Nimmt man das Vorhandensein eines solchen unter- 
gegangenen Weltteils an, so laBt sich das Auftreten gleicher Sagen und 
Legenden hiiben und driiben ebensoleicht erklaren, wie auch eine etwaige 
gleichartige Urmusik. Aber der Annahme einer Wanderung von Volks- 
stammen in westlicher Richtung bedarf es wenigstens mit Bezug auf den 
zweiten Punkt gar nicht. Wie wir schon sagten: die Musik im ursprung- 
lichen Stadium ist liberall insofern die gleiche gewesen, als ihr Tonumfang 
iiberall der von der Natur selbst gegebene war. Die verschiedene Art der 
Beschaftigung der Volker freilich hat eine Verschiedenheit der Weisen 
bedingt. 

War die Fiinfton-Leiter die alteste? Ist sie ein Naturprodukt, ist sie 
Resultat der Theorie? Wie geschah die Anwendung der Tone? All das 
sind Fragen, die wir nicht bestimmt beantworten konnen. Die alteste uns 
bekannte, d. h. aus der Tradition ubermittelte Leiter war bei den Griechen 
vor Terpander (ca. 675 v. Chr.) in Gebrauch; sie zeigte diese Form: 
d e g a h d e, d. h. um die Zentrale a lagern sich nach Hohe und Tiefe 
zwei Quintenreihen. Wie man sieht, entbehrt diese Reihe der Halbtone. 
Waren diese der praktischen Musik wirklich fremd? Auch hier fehlt uns 
die Moglichkeit zu einer klaren Antwort. Wir konnen anch nicht unbedingt 
sagen, daC die halbtonfreie Pentatonik der diatonischen Pentatonik und 
Heptatonik zeitlich voraufgegangen sein miisse. Deshalb sind auch zwin- 
gende Riickschliisse, etwa aus der japanischen Musik, die die drei Systeme 
kennt, unmoglich. A priori sind wir wohl geneigt, die Enharmonik, wie 
wir sie aus der griechischen Musik kennen, d. h. die Zerlegung eines 
Halbtones in zwei Vierteltonschritte, fur ein Produkt der spekulativen Theorie 
zu halten. Sie ist es in der Tat, und doch kennt auch die Musik un- 
zivilisierter Volker die gleiche, unserem modernen Tonsysteme fremde 
Tonteilung. 

Angenommen, es gab eine, nicht aufgeschriebene Urmusik, die bei 



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tV v UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 327 

den Volksstammen der Erde insofern gleich war, als ihr Tonumfang durch 
die Natur bestimmt war: wodurch haben sich die einzelnen Abtonungen 
vollzogen, die aus der Einheit eine nach nationalen, ethnographischen 
Eigentumlichkeiten gefarbte Vielheit der Erscheinungen machte? Einmal, 
wie schon betont, durch die verschiedene Art der Beschaftigung der Volker, 
die Beschaffenheit der Lander (Gebirge, Kiiste, flaches Land), das Klima. 
Aber das erklart bei weitem nicht alles, vor allem das eine nicht, daC es 
Volker mit ausgesprochenem Dur-Sinne, andere mit gleich stark ausgepragtem 
Moll-Emp6nden gibt. 

Eine moderne Theorie scheidet die Rassen, je nachdem sich in ihnen 
mannliche oder weibliche Charaktereigenschaften mehr oder weniger stark 
geltend machen. Nach den, iibrigens keinesfalls unbedingt geltenden Ver- 
erbungsgesetzen konnten im Verlaufe langer Entwickelungsreihen sich die 
einen oder andern immer mehr vorgeschoben und die KunstauCerungen 
im Dur- oder Mollsinne beeinfluBt haben. Aber sind diese ein den beiden 
Geschlechtern eignendes Moment ihrer Wesenheit? Wir erkennen den 
Slawen einen stark entwickelten Mollsinn zu, den Germanen entspricht das 
Durgeschlecht. Beides bezieht sich, was wohl zu beachten ist, nur auf 
die Volkskunst, nicht auf das bewuBte kiinstlerische Schaffen. Das Kind, 
das den naiven Standpunkt der Volksmusik vertritt, empfindet bei uns 
Germanen durchaus im Dursinne; ein Mollakkord ist ihm, wenn seine 
Bildung in der Musik erst beginnt, etwas HaBliches, seinem Wesen nicht 
Entsprechendes. Im Laufe der musikalischen Erziehung verwischen sich 
diese Grenzen durchaus. Offenbar haben die Tongeschlechter in der Kunst- 
musik eine ganz andere Bedeutung als die, der Musik ein fur allemal eine 
feststehende Grundfarbe zu geben. Wir konnen die Frage hier ins ein- 
zelne hinein nicht verfolgen. 

Wie wir schon hdrten: alle seine Lebensbedingungen beeinflussen die 
Kunst eines Volkes auch schon in deren AnfMngen. Ein kriegerisches Volk 
hat eine andere Musik als ein Ackerbau oder Viehzucht treibendes; das 
Lied des Seemannes ist von dem des Bergbewohners verschieden; die 
nordische Kunst ist ernster, gemessener als die sinnenfrohe des Siidens, 
die unter lachendem Himmel erwuchs. Die Tonsetzer brauchen fur den 
Ausdruck des Pastoralen fast stets die gleiche Tonart, trotzdem die Tonhohe 
sich im Laufe der Jahrhunderte geandert hat. Nicht dasselbe ist der Fall, 
wenn es sich etwa um die Schilderung des wogenden Meeres und seiner 
Attribute oder um anderes dahin gehorendes handelt. Woher riihrt diese 
Erscheinung? Wir wissen es nicht. War sie in den ersten Zeiten der 
nationalen Scheidung bereits vorhanden? 

Diese Scheidung konnte selbstredend erst eintreten, nachdem die 
Volker seflhaft geworden waren und sich eine ihr Leben beeinflussende 
Grundart der Beschaftigung herausgebildet hatte, d. h. nachdem sie Acker- 



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328 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

bauer, Fischer usw. geworden waren. Aber aus diesen Fruhzeiten fehlen 
uns jegliche Dokumente der musikalischen Kunst. Und selbst da, wo die 
Volker zuerst ins Licht klarer geschichtlicher Forschung treten, bedeuten 
die wenigen Dokumente, sofern sie uberhaupt diesen Namen verdienen, 
herzlich wenig. Was sagt es uns am Ende, daC die griechisctaen Ton- 
geschlechter mit den Namen der einzelnen Volksstamme bezeichnet wurden? 
Gar nichts. Oder wer wollte sich herausnehmen, aus dem dorischen Ton- 
geschlechte Wesensziige der Dorier abzuleiten? Uns fehlt die Fahigkeit, 
die alte Musik asthetisch erschopfend zu werten; das wiirde auch dann 
nicht viel anders sein, wenn wir mehr altgriechische Musikstticke besaOen. 
Der Unterschied zwischen den griechischen Tongeschlechtern ist ein so 
groBer, daO die Namengebung keine vollig zufallige gewesen sein kann. 
Die Griechen waren kein in einem einzigen Staatswesen vereintes und 
zentralisiertes Volk; jeder Stamm besaC seine eigenen Volksweisen, deren 
tonaler Grundlage sich die der Begleitung dienenden Instrumente anzu- 
passen hatten. Die Griechen empfanden die Besonderheiten dieser Gesange 
ohne alle Frage. Bei uns ist das nur in bezug auf die Tonalitat noch der 
Fall: dem lydischen Tongeschlechte entspricht unser Dur, das hypodorische 
unserem Moll, die aber beide gemein-arischem Boden entstammt sein 
diirften. Wenn dies der Fall ist, wann hat sich die Durauffassung von der 
anderen abgesondert, wodurch ist ihre Vorherrschaft im germanischen Musik- 
bewuBtsein bedingt worden? Das.sind abermals Fragen, die sich mit 
unseren Mitteln nicht zwingend beantworten lassen. 

Auf der oben angegebenen Tonreihe ruhen sowohl die altesten 
griechischen Tempelgesfinge wie auch gregorianische Weisen. Enharmonik 
und Chromatik, jene Tonsysteme, die im Laufe der Zeiten neben der reinen 
Diatonik erwuchsen, sind zunachst und in Griechenland Resultat spekulativer 
Musikbetrachtung und der Volkskunst fremd gewesen. Sie blieben wohl 
als Element der dem Drama verbundenen antiken Tonkunst aus der Kirche 
verbannt, bis die entwickelte Kunstmusik sie aufnahm. Als dies geschah, 
hatten sich die scharfen Gegensatze zwischen der kanonisch abgestempelten, 
allgemeinen kirchlichen Weise und den Erzeugnissen der nationalen Volks- 
kunst ausgeglichen oder waren iiberbruckt worden: die kirchliche Kunst 
entnahm all das, was ihr Fortschreiten, ihre Ausbildung ermoglichte, nach 
und nach der Volkskunst selbst; was sie dafiir gab, war nichts Geringes: 
das klassische Altertum kennt die Musik vorwiegend nur als Teilkunst, 
die Kirche erst liefi sie sich als Einzelkunst breit und machtig entfalten. 

Wie uns die friihen Liederhandschriften beweisen, lebten neben den 
urspriinglich kirchlichen Tonreihen auch damals unsere C-dur und a-moll 
Leitern im VolksbewuCtsein; wir durfen daraus schlieBen, daQ auch die 
friiheren Jahrhunderte sie in der Volksmusik bewahrten. In die kirchliche 
Kunstubung gelangten sie, wesentliche Kennzeichen bodenstandigen Musik- 



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D-i !i-u- :)y ViDlV^.v UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAGEL: DAS NAT10NALE IN DER MUSIK 329 

treibens, erst gegen Ende der ersten Halfte des 16. Jahrhunderts, als 
jonischer, fiinfter authentischer Ton (C-dur) und als aolischer, sechster 
authentischer Ton (a-moll). Das eine sei nur nebenbei betont, daQ es nicht 
richtig ist, im Dur das Ursprungliche, im Moll das Abgeleitete zu sehen. 
Sie bedeuten GegensStze: die Hauptdreiklange verhalten sich nur dann 
gleich, wenn sie in umgekehrter Reihenfolge der Addition ihrer Intervalle 
gelesen werden: c-e-g und a-f-d (je eine groBe und eine kleine Terz). 
Die beiden Tonreihen selbst aber verhalten sich, auch wenn die Moll- 
tonleiter umgekehrt, von der Hohe zur Tiefe, gelesen wird, nicht gleich. 
Erst eine Teilung der Mollreihe und Versetzung der Hfilften ergibt gleiche 
Intervalle. Die Mollskala e-d-c-h-a-g-f-e ist die uralte dorische Reihe, 
der phrygische Kirchenton. Erst aus der Erkenntnis, daQ die Durdominante 
der Molltonika eine Verbindung von Dur- und Mollelementen darstellt, laflt 
sich eine sichere Art der Wertung der Mollharmonik und damit auch 
nationaler Weisen schottischer und irischer, skandinavischer, tschechischer 
und russischer Weisen gewinnen. Es ist schon mehrfach darauf aufmerksam 
gemacht worden, daC vor dem Aufkommen der Mehrstimmigkeit die reine 
Mollauffassung der Melodieen iiber die Durauffassung herrschte, und daQ 
dies noch der Fall ist bei Volkern, welche die Mehrstimmigkeit nicht 
kennen oder erst spat in ihren Besitz gelangt sind, nachdem die Aus- 
bildung der Polyphonie bereits erfolgt war. 

Ist diese selbst als Bestandteil volkstumlichen Musiktreibens anzu- 
seben? Die Anfange zwei- und mehrstimmigen Singens und auch selbst 
die der Nachahmung sind schwerlich erst Resultat theoretischen Kom- 
binierens gewesen. Auf die Moglichkeit, zwei Stimmen in das Verhaltnis 
der Nachahmung zu bringen, kann die Beobachtung des Echos gefuhrt 
haben; in Terzen und Sexten eine Melodie zu begleiten, war dem Gymel 
(= cantus gemellus, Zwiegesang) eigen, der sich spfiter in den Faux bourdon, 
eine in England bereits um 1200 geiibte Art freien Diskantierens, wandelte. 
Ob diese, eine zuerst wohl ganz volkstumliche Form, ursprunglich vokal 
war, darf bezweifelt werden. 

Was zur Entstehung der kirchlichen Polyphonie fuhrte, ist aus den 
Theoretikern des friihen Mittelalters nicht zu entnehmen, es sei denn, man 
fuhre die pythagoreischen Studien, wie sie der Zeit gelaufig waren, an. 
Das erste in die Praxis umgesetzte Resultat dieser Studien, das sogenannte 
Hucbaldsche Organum, hat mit Volkskunst nichts zu tun. Es mag (das 
ganze Verhaltnis der Musiktheorie zur Volkskunst drangt zu der Annahme) 
aus dem Gefuhle der Notwendigkeit entstanden sein, dieser ein gleich- 
wertiges entgegenzustellen, das einmal das Bediirfnis des Volkes nach 
mehrstimmiger Musik zu befriedigen imstande war, ferner aber die der 
Nationalmusik charakteristischen Intervalle ausschaltete, die die kirchlichc 
Kunst ihrerseits ja auch, freilich nur allmahlich, ubernahm. 



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330 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

Wie weit eine mehrstimmige Volkskunst im ersten Jahrtausend der 
christlichen Zeitrechnung verbreitet war, laBt sich nicht sagen. Wir konnen 
auch nicht angeben, wie lange sich der Volksgesang und wo er sich in 
seiner urspriinglichen Gestalt, d. h. in der uralten Verbindung gemeinsamer 
Handlungen der Volksgemeinde, erhielt, deren Bewegungsformen (Marsch, 
Tanz, religiose Feier u. a. m.) seine eigene Ausgestaltung bestimmte. Wie 
in England, Schottland, Irland und Wales schon in keltischer Zeit eine 
unter gesetzlichem Schutze stehende Kaste der Barden bestand, die sich 
zum Teile bis ins 18. Jahrhundert hinein erhielt, so waren in Skandinavien 
die Skalden die Bewahrer altnationaler Weisen. Auch Gallien kannte das 
Bardentum, nicht aber Deutschland. Die Reste der Kunst besagen uns 
nicht viel von deren eigentlichem musikalischen Wesen, so daD wir die 
Unterschiede hochstens durch Ruckschliisse von spateren KunstauOerungen 
aus festzusetzen versuchen konnten. Allein wir tappen dabei doch bestandig 
im Dunkeln, da wir nicht bestimmen konnen, wo eine etwaige Kunstuber- 
lieferung ein reines Produkt der Volksmuse bietet. Die Kirche sah in 
aller volksmaBigen Kunstiibung ein Hindernis fur ihre eigene nivellierende 
Arbeit; so rottete sie aus, was sie nur konnte. Wie weniges aus dem 
reichen Schatze volkstiimlicher deutscher Lyrik ist durch pfaffisch blindes 
Wiiten auf uns gekommen! Und was in Deutschland geschah, wird wohl 
auch anderwarts vorgekommen sein. 

Bestimmte Anzeichen einer starken Unterscheidung im nationalen 
Sinne zeigen sich (was von uralter keltischer Kunst geredet wird, griindet 
sich nur auf allgemeine Gesichtspunkte) erst im 13. Jahrhundert, als das 
Chanson der Franzosen sich mehr und mehr in seiner scharf zugespitzten 
Rhythmik und dem eindringlichen und reizvollen Melos herausbildete. Man 
wird diese Weise bis zur friihesten Troubadourzeit zuriickversetzen durfen 
und leicht auch Unterschiede zwischen den Troubadours und den deutschen 
Minnesangern feststellen, ohne diese freilich durch regelmaBig wieder- 
kehrende Idiotismen des Ausdruckes angeben zu konnen, wie sie fur unsere 
Auffassung vom Wesen des Nationalen charakteristisch sind. Und doch 
sind derlei formelhafte Ztige schon a priori anzunehmen, um der ver- 
schiedenen Formen willen, in denen die Musik der Zeit erscheint. Doch 
kommen die lyrischen Kunstdichtungen hier weniger in Frage, als die 
Volkslieder und vor allem die zum Teile mit dem Worte verbundenen 
Tanze. Einzeluntersuchungen fehlen da noch, und auch daruber sind wir 
noch nicht im klaren, wie weit der nationale Musikjargon bei der Kunst 
der italienischen Friihrenaissance Ausdruck gefunden hat. 

Man kann bei der Entwickelung der Musik bis zum Ende des 16. Jabr- 
hunderts und weiter, abgesehen von der reinen Instrumenfalmusik, im 
ganzen drei Stromungen unterscheiden: die rein kirchliche, von der 
Polyphonie beherrschte Kunst, die das Volkslied gerne als Tenor der 



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NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 331 

Massen verwendete, eine aristokratische Gesellschaftskunst und eine volks- 
tumliche Musik, Auch diese gewann spater EinfluB auf die Oper. Die aus der 
Provence stammende Frottole bildete sich in Italien zum Madrigale urn, 
welche Form das Gesellschaftslied der Zeit wurde. Aber auf dem Wege, 
der es nordwarts fiber die Alpen fiihrte, verlor das Madrigal jegliche 
nationale Farbung: wer seine englischen und italienischen Formen z. B. 
vergleicht, wird hochstens Abweichungen im Erfindungsgrade der Ton- 
setzer feststellen, oder nach der Richtung polyphoner oder homophoner 
Vorherrschaft im Gesamtausdrucke, der haufigeren oder geringeren Ver- 
wendung des Chromas usw. Bekannte Streitfragen wie die, ob William 
Bird dem Meister von Praeneste gleichwertig sei, lassen sich schon deshalb 
nicht recht losen, weil der polyphonen Vokalkunst, wie sie sich bis zum 
Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte, der eigentliche Individualausdruck 
fehlt, vor allem auch der, welcher sich im Sinne nationaler Eigentumlich- 
keiten betatigte. Palestrina und Bird schrieben Musik fur die romische 
Kirche als Musiker, die dieser Kirche ergeben waren; ihr VolksbewuBtsein 
trat dabei nicht in Tatigkeit oder doch nur auBerhalb der kirchlichen Kunst. 
Das, woran die strenge Kunst damals experimentierte, lag gar nicht im 
Aufsuchen und Verwenden der nationalen Ausdruckskrafte; sie strebte aus 
dem Banne der kirchlich tonalen Einkreisung des Ausdruckes heraus und 
damit allerdings auch der volkstumlichen und nationalen Weise zu. Das 
muC man wohl als in erster Linie das Zeitalter Zar lino's charakterisierendes 
Moment hervorheben. Wie wenig man im 16. Jahrhundert noch daran 
dachte, im Sinne nationaler Musik zu charakterisieren, geht wohl am besten 
aus den Versuchen musikalischer Schlachtschilderungen hervor, wie sie 
Jeannequin oder Matth. Le Maistre unternahmen. Der Sieg Franz' L 
fiber die Schweizer bei Marignano wird durch rein vokale Musik dargestellt; 
Form und Ausdruck werden durch die Mittel kirchlicher Kunst bestritten. 
Wohl erscheinen einzelne, die Franzosen, Italiener und Deutschen bezeich- 
nende Rufe, aber sie bedeuten ffir den inneren Aufbau des Werkes nichts. 
Gleichviel: man erkennt doch an diesen Bestrebungen den Wunsch nach 
Nutzbarmachung folklorischer Elemente. Das ist noch mehr in der Folge- 
zeit der Fall. So in den „Cris de Paris", den w Cries of London", den 
zu musikalischen Werken zusammengefaDten Ausrufen der StraCenverkaufer, 
wie sie auch heute noch da und dort in Kabarets auftauchen. Ein weiterer 
Schritt geschah z. B. durch die englische Klaviermusik im Zeitalter der 
Konigin Elisabeth, als Bird u. A. englische Volkslieder zu Variationen- 
werken benutzten, ein Vorgehen, das auf dem Kontinente nach und nach 
lebhaften Widerhall erweckte. 

Machtige Anregung fand das Suchen, dem Ausdrucksgebiete der Ton- 
kunst neue Gebiete zu erschlieBen, auch durch die Oper. Der Einzelaus- 
druck in der Reihe der das Drama bildenden Vorgange verlangte gebieterisch 



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332 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

Wirklichkeitsnachahmung, die Erwagung ihrer Moglichkeit und deren prak- 
tische Anwendung. Wenn seit dem Auftreten der Oper, also vom 17. Jahr- 
hundert ab, die Instrumentalmusik sich gewaltig entfaltete, so gebuhrt daran 
ein Teil des Verdienstes auch der Oper. 

Aber bedurfte schon die Kunst der Landschaftsmalerei, urn sich aus 
kleinen Anfangen mit buntem Vielerlei zu einer geschlossenen Einheit urn- 
zubilden, eines langen Zeitraumes, so erst recht die mit viel feinerem 
Materiale arbeitende Musik, die jetzt die Aufgabe zu erfiillen hatte, aus 
einer immerhin vorwiegend durch die Satztechnik bestimmten Sphare in 
eine andere zu gelangen, in der es einmal gait, aufiere Erscheinungs- 
formen zu objektivieren und in musikalischera Spiegelbilde wieder erstehen 
zu lassen, sodann aber und vornehmlich die Gesetze kunstlerischen 
Schaffens zu finden, nach denen das von jeder rein technischen Neben- 
absicht freie Tonwerk zum Kiinder inneren Lebens werden konnte. Erst 
in dem Augenblicke, da dieses Ziel erreicht war, konnte auch das BewuBt- 
sein dafiir erwachen, daB in der nationalen Weise als dem Ausdrucke des 
kunstlerischen MassenbewuBtseins ein wesentliches Mittel, die Kunst zu 
bereichern, stecke. 

Der Weg der Entwickelung, den die Musik seit dem Beginne des 
17. Jahrhunderts zu durchmessen hatte, war ein langer, weiter und viel 
gewundener. Im ganzen liegt er heute klar vor unseren Augen. Wir finden 
auf ihm immer wieder AnfMnge zur Verwertung nationaler Weisen, aber 
diese geschah nur nach und nach in zweckdienlicher und bewuBter Weise. 
Oft handelt es sich nur um VortMuschung fremder Art. Das ist vor allem 
in den vielen Hofballets des 17. Jahrhunderts der Fall, in denen die Hof- 
gesellschaft in alien moglichen phantastischen Verkleidungen bei besonderen 
AnlSssen erschien. Die Sitte war schon alteren Zeitraumen gelaufig und 
erhielt sich sehr lange. Sie fand auch beim Volke Eingang, wie z. B. 
aus den von R. Eitner mitgeteilten Volksmusik-Stiicken (Monatshefte fur 
Musikgeschichte, 1882, No. 1) hervorgeht: Polnisches, Kosakenballet, 
Moskowitisches Ballet, all das sind nur Uberschriften, die fur den Charakter 
der Musik kaum etwas besagen. Ganz dieselbe Erscheinung bieten die Hof- 
ballets: mag sein, daB da und dort irgendein aus der Fremde zuziehender 
Musikant eine heimische Weise, ein Lied oder einen Tanz eingefuhrt hat, 
der Verwendung fand oder in seinen Rhythmen, seiner Form zur Nach- 
ahmung reizte — in erster Linie war fiir derartige pseudo-nationale Kunst 
die Phantasie des Schneiders oder des die Auffuhrung inszenierenden Hof- 
beamten bestimmend, der komponierende Kapellmeister hatte zur B Idee* 
des Festes die begleitende Musik zu schaffen, eine Dienstaufgabe, bei der 
er innerlich wohl nur selten stark beteiligt war. 

Die Verhaltnisse anderten sich grundsatzlich erst, als die Oper die 
nationale Weise als bewuBtes kunstlerisches Ausdrucksmittel ergriffen hatte 



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NAGEL: DAS NAT10NALE IN DER MUSIK 333 

und auch die Instrumentalmusik sie zu verwerten strebte. Den Weg 
konnen wir hier im einzelnen nicht ausfiihrlich verfolgen. Im groOen und 
ganzen bemerken wir jetzt ein Mehrfaches: Der Tondichter ubernimmt die 
nationale Weise als ein gegebenes; das geschieht in der Oper, soweit sie 
nationale Lieder verwendet; sie strebt aber noch nicht nach einem 
bestimmten und bestimmbaren Lokalkolorit im Einzelnen. Oder aber: Die 
Instrumentalkomponisten tragen in der Hauptform der Zeit, der Suite, 
Tanze verschiedenster Nationalist in wechselnder Anordnung zusammen, 
ohne im einzelnen nach Idiotismen des Ausdruckes zu suchen. Diese 
Tanzformgruppierung erreicht in der Kunst Johann Sebastian Bachs 
ihren unvergleichlichen Hohepunkt: hier sind die Tanzformen idealisiert, 
jedes volkisch begrenzten Ausdruckes entkleidet und in rein kunstlerische 
Gewandung gehullt. Oder auch: Der Tondichter tragt seine Oder seiner 
Zeit Vorstellung vom Wesen eines fremden Volkes in die Komposition, 
die dessen Art bezeichnen soil, hinein: das ergibt dann Schopfungen wie 
die kuriosen Variationen Alessandro Poglietti's (1661 — 1683), die 
W. Niemann kurzlich wieder herausgegeben hat. Man sehe die franzosische 
Variation: hier hat die konventionelle Vorstellung vom geschniegelten, 
komplimentenreichen Wesen gewaltet; die die Variation bestimmende Figur 
mag aus dem Gedanken an zeremonielle, devote Verbeugungen ent- 
standen sein. Auf jeden Fall hat die Variation nichts ausgesprochen Fran- 
zosisches, wie es uns aus Lully's Operntanzen etwa vertraut ist. Hier 
zeigt sich das Nationale — bei Lully genial anempfunden — weniger in 
einzelnen Wendungen der Musiksprache, als in der pikant und zierlich 
zugespitzten Rhythmik, wie es sich auch — als Versailler Hofton der Zeit 
— in der stellenweise auffallend starken Verwendung von Sordinenklangen 
und der scharfen Betonung der der nationalen Eitelkeit schmeichelnden 
Begriffe: Ehre, Vaterland, Ruhm usw. auCert. 

Die nationale Weise als ethnographischer Begriff, der den Gesamtaus- 
druck eines Kunstwerkes beeinflussen und moglicherweise formbildend 
wirken konnte, war mit alledem noch nicht gefunden. Nachbildungen 
fremder Formen gab es uberall, in der Violinmusik, der Chorlyrik usw. 
Uberall aber kann man bemerken, daC dies Nachahmen im wesentlichen 
auf die Form und auf Einzelheiten des Ausdruckes, die mit eigentlich 
national gefarbten Formeln nichts zu tun haben, beschrankt blieb. 

Ein Schritt vorwarts geschah durch Gluck. Indem er nachwies, was 
im Musikausdrucke nicht dramatisch sei, wurde die Bahn frei, aufzusuchen, 
worin das Wesen des Dramatischen bestehe. Dadurch wurde auch erst die 
rechte Moglichkeit geboten, das national Verschiedene in der Gegensatz- 
lichkeit seiner Musiksprache innerlich zu begreifen. Gluck selbst muDte 
es an sich erfahren, daB sein germanisches Wesen dem des Italieners wider- 
spreche. Das Deutsche in Gluck war weniger ein bestimmtes Idiom des 



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334 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

musikalischen Ausdrucks, als vielmehr das Frontmachen gegen das bloBe 
Melodisieren, es war das theoretische Abwagen und praktische Festsetzen 
des Grenzgebietes zwischen den dem Drama dienenden Schwesterkiinsten. 
Gluck hat auch nicht etwa ein griechisches Kolorit fur seine Musik- 
dramen gefunden. Aber er versuchte in den Skythenchoren einen 
besonderen volkischen Ausdruck zu schaffen, fur den er freilich kein 
direktes Vorbild hatte. 

Mit der Erwahnung des Namens Glucks haben wir den Anfang einer 
Bewegung bezeichnet, die neben einer anderen direkt in die Bildung 
nationaler Schulen im eigentlichen Sinne ausmundete. Diese andere ist 
die durch die deutsche Instrumentalmusik der Zeit begonnene Richtung, 
die in der Kunst des groflen Wiener Dreigestirns der Tonkunst ihre hocbste 
Hohe fand. Der menschlich freie Stil wurde zum Ideale alien kunstlerischen 
Bildens. DaB Lessing gegen das theatralische Pathos der Franzosen auf- 
trat, Gluck den Gedanken seiner Opernreform fafite, daB die Mannheimer 
dem vielverschlungenen kontrapunktischen Gebilde der Instrumentalmusik 
mit neuen Formen und Ausdrucksmitteln entgegentraten, die in ihrer 
innersten Wesenheit nicht nach satztechnischen, sondern nach kiinstlerisch 
freien und nach reinen Empfindungsmomenten bestimmt waren, daB in 
England der Wert der Volkskunst in den Resten der alten Dichtkunst 
zuerst erkannt wurde, dafi Rousseau seinen nicht zum wenigsten in Deutsch- 
land nachhaltigen Widerhall weckenden Ruf zur Ruckkehr nach der Natur 
iiber die Welt schleuderte: alles ist Ausdruck desselben Sehnens, aus einer 
Welt der Uberkiinstelung und des Formalismus zu rein menschlichen, all- 
gemein faCbaren Form- und Kunstbegriffen zu gelangen. John Gay's 
„Bettleroper* von 1727, Rousseau's Singspiel „Le devin du village", 
Hillers Singspiele, die opera buffa und die op6ra comique, die Hin- 
wendung Mozarts zum Singspiele, sein, Haydns und Beethovens Auf- 
greifen des Volksliedes: all das sind Marksteine der Entwickelung zu dem 
Ziele, an dem die voile Nutzbarmachung der nationalen Weise lag. Was 
die Instrumentalmusik langst erreicht hatte, Ausdruck des VolksbewuBtseins 
zu sein, das konnte die Oper erst erreichen, nachdem ihr das hofische 
Gewand abgerissen worden war. Die vergeblichen Versuche der Hamburger, 
der Karlsruher Oper usw. kennen wir. Erst muBte sich der Begriff eines 
aufierhalb der Hofgesellschaft stehenden Publikums herausbilden, erst 
muDten die Volker zum BewuBtsein des Kulturschatzes ihrer heimischen 
Weisen erwachen, ehe das geschehen konnte. 

Wenn die Instrumentalmusik die auf Verwertung des volksmaBigen 
Ausdruckes gerichteten Bestrebungen zunachst nicht weiterverfolgte, so liegt 
fiir den riickschauenden Blick des Historikers der Grund klar vor Augen: 
Hier gait es zunachst, die groBe Form der Sonate und der ihren Gesetzen 
gehorchenden Gebilde der Symphonie und des Quartettes auszubauen. 



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NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 335 

Erschien in der friiheren Oper eine Volksweise als gelegentlicher 
Einschlag, so machte sie jetzt die Hauptsache aus. Gay's Bettleroper ist 
ganz volkstumlich im Ausdrucke, vollig auf die Volksballade gegriindet, 
Hillers Weisen wurden der Ausgangspunkt der iippigen Bliitezeit des 
deutschen Liedes und wirkten im hochsten Mafle befruchtend auf Goethe 
ein, und wer, der seinen Mozart im Herzen tragt, wiiCte nicht, dafi die 
Gestalt Papagenos ganz aus der gleichen, wenn auch kleinen, so doch 
freundlichen und anrautig-lieben Sphare erwachsen ist? 

War einmal die Freude an der eigenen Volksweise erwacht, so mufite 
auch der Anteil an der fremder Volker sich regen. Und dies je starker, 
je mehr die Nationen in Verkehr unter einander traten. Handelsbeziehungen 
haben von jeher die Ein- und Ausfuhr kunstlerischer Erzeugnisse zur 
Folge gehabt. Auch die Diplomatic hat da eine gewisse Rolle gespielt, 
kriegerische Ereignisse haben Teilnahme fiir fremde Kunst geweckt. Fiir 
all das bietet die Geschichte der Musik Beispiele. Und die Musiker aller 
Lander waren von jeher untereinander gewurfelt worden und nebeneinander 
tatig gewesen. Kam nun die Erkenntnis dazu, dafi neue Ausdrucksgebiete 
erschlossen werden miifiten, sollte die Kunstentwickelung nicht stillestehen, 
traten neben die Volker alter Musikkultur neue, so war von selbst dem 
Wege die Richtung vorgezeichnet. 

Eine nicht ganz unwesentliche Unterstutzung fand diese auch dadurch, 
dafi die Vorliebe fiir fremdes Wesen einen betrachtlichen Zeitraum hindurch 
in der Wiener Zauberposse gepflegt wurde, der sich das Singspiel anschlofi, 
das komische Rollen bevorzugte. Mozart mit der „Entfiihrung a ward einer 
der Fuhrer, und auch bei Beethoven gibt es u. a. orientalische Musik. 
Man weifi, wie dann die Bassas, Wesire und Kalifen lange Jahre hindurch 
eine Theaterrolle spielten. 

Die Literatur war neben der Musik in der ganzen Angelegenheit 
einhergegangen. Seit 1742 waren walisische, schottische und irische Volks- 
weisen bekannt geworden. G. Thomson hatte ihnen ein kiinstlerisches 
Gewand zugedacht, indem er Pleyel, Kotzeluch und Beethoven zu 
ihrer Bearbeitung aufforderte. SchwedischeMelodieen folgten jenen 1814/16, 
und nun ward die Losung zur Sammlung nationaler Weisen allgemein. Die 
Bewegung ist heute noch nicht abgeschlossen. Leider wird sie oft mit 
unzureichenden Mitteln gefordert. Sie hat seit einigen Jahren auch auf 
die Weisen exotischer Volker iibergegriffen. Die grofie Bedeutung des Volks- 
liedes fiir die Kulturgeschichte wird heute nirgendwo mehr verkannt. 

Als die Bewegung ihren ersten Niederschlag in Deutschland fand 
(v. d. Hagen's „Sammlung a erschien 1807, und Silcher begann seine 
„Volkslieder a 1827 herauszugeben), war Beethoven auf der Hohe seines 
Wirkens angelangt. Nachahmen liefi sich seine ganz aus dem Inneren ent- 
stromte Kunst nicht. Neues muCte gefunden werden. Fremde Art auf- 



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336 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

zugreifen, lag, wie wir horten, in der Luft. Schon Schubert verwandte 
die auslandische Weise in anderer Form wie Beethoven, dem sie am 
Ende doch nur dazu taugte, besondere Kontrastwirkungen zu erreichen. 
Schubert ging in seinem ungarischen Divertissement auf Nacbahmung, nicht 
nur auf gelegentliche Verwendung ungarischer Volksmusik aus, er ahmte 
Zimbal-Klange und -Effekte nach und schuf dies wundervolle Werk hochster 
Kunst aus der vollen Beherrschung des fremden Kunstgeistes heraus, 
ohne dabei der eigenen Individualist das Geringste zu vergeben oder ihrer 
zu vergessen. 

Es ist eine eigentumliche Tatsache, dafi mit dem Abschlusse des 
Beethovenschen Zeitalters eine Reihe von Vdlkerschaften in den Gang der 
Musikkultur eintrat, die bis dahin der Entwickelung selbst ferngestanden, 
den Schatz ihrer eigenen Musik verborgen vor sich und der AuCenwelt gehfitet 
hatten. Die Italiener und mehr noch die Deutschen waren bis dahin ihre 
Lehrer in der Kunst gewesen. Es lag in der Natur der Sache, daB sich 
in dem Augenblicke, da ihre eigene Produktion begann und auswirts 
Beachtung fand, ihr SelbstbewuDtsein gewaltig steigern muflte. In 
Deutschland nahm man die ersten Fuhrer der Skandinavier, Tschechen, 
Russen um deswillen besonders freundlich auf, weil sie zum Teil in 
Deutschland erzogen worden waren und das eigene volkische Musikidiom 
innerhalb der Ausdrucks- und Formgrenzen der allgemeinen europfiischen, 
d. h. der deutschen Musiksprache, unterzubringen suchten. Und als deren 
Nachfahren diesen Zusammenhang zu lockern und sich auf eigene FuBe 
zu stellen wufiten, wurden sie als Fremde rasch zu „interessanten" 
Erscheinungen, die der Salondilettantismus besonders eifrig pflegte. 

Es wird immerdar ein Kulturkuriosum bleiben, daO die Hochflut der 
Begeisterung fur Richard Wagner mit der Zeit der kritiklosen Hinnahme 
der Kleinkunst Edvard Grieg's zusammenfiel! Aber auch auCerhalb 
Deutschlands gewannen sich die Skandinavier, Tschechen, Russen und 
Finnen bald Boden. DaO ihnen immer ehrliche Teilnahme entgegen- 
getragen wurde, darf bezweifelt werden; hier und da mochte der Wunsch, 
die deutsche Musik entthront zu sehen, mitspielen. 

Man wird nicht alle nationalen Schulen, die im 19. Jahrhundert auf- 
kamen, auf dieselbe Stufe stellen durfen. Ist z. B. bei Dvorak das 
nationale Wesen nur sozusagen ein Saum an der Gewandung seines zentral- 
europaischen Musikwesens, so erfolgte bei Grieg je langer je mehr die 
Absage an dieses; immer auffallender beschrankte er sich auf nationale 
Idiotismen und Floskeln. War ihm dies wirklich inneres Bedurfnis, oder 
war es die Folge einer Erkenntnis, daB seinen groflen Werken doch 
dilettantische Ziige eigneten, die ihm auf die Dauer den Ausdruck in breiten 
Formen unmoglich gemacht hatten? Ist man sich des krassen Wider- 
spruches zwischen der Ausdruckswelt seiner e-moll Sonate z. B. und den 



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NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 337 

kleinen Nippsachen, die er schuf, bewuOt, so kommt man unwillkiirlich zu 
einer solchen Annahme. Von den Russen sind einige Vertreter einer nur 
halbeuropaischen Musikanschauung, ihre Werke durchsetzen asiatische 
Barbarismen, die in ihrer monotonen Rhythmik und kakophonen Auf- 
dringlichkeit nur musikalischer Unbildung zusagen konnen oder jener 
blasierten Uberbildung, die wahllos nach dem Neuen greift, weil es neu ist. 

Ware es denkbar, dafS eine sich auf national abgegrenzte Ausdrucks- 
mittel stiitzende Kunst je eine Gefahr fur unsere eigene bedeuten konnte? 
Die Frage ist wohl schon aufgeworfen worden. Nimmt man die Moglich- 
keit des Unterganges unserer Kultur an, so darf die Frage bejaht werden, 
sonst nicht. Denn man mag in der fremden Musik allerlei Reizvolles und 
kiinstlerisch Brauchbares sehen, allgemeinen Wert besitzt sie um deswillen 
nicht, weil sie selbst sich ja in ihren Ausdrucksmitteln bescheidet, in ein- 
seitiger Weise Einseitiges pflegt. 

Ware die deutsche Musik, als sie ihre hochste Hohe erklommen, nicht 
in einen Zeitraum gefallen, in dem das Deutschtum fast nur ein theoretischer 
Begriff fiir die politische Welt war, ware nicht die Sehnsucht nach neuen, 
besseren Zeiten der Leitstern gewesen, an dem sie sich aufrichtete, sie 
wiirde wohl ein ganz und gar anderes Ansehen erhalten und nicht jenen 
groflen weltbiirgerlichen, rein menschlichen und schonen Zug gewonnen 
haben, der sie zur Musiksprache schlechtweg werden lieC. Das Beste, das 
Dauernde hat das Deutschtum bislang der Kulturwelt ja meist dann 
gegeben, wenn ihm die politischen Verhaltnisse die Bewegungsfreiheit nach 
auflen beschrankten und seinen wunderbar reichen inneren Kraften rege 
Fliigel liehen. 

Reflektorische Tatigkeit bereitete den Boden fiir die nationalen Schulen 
unserer Zeit vor. Aber diesen selbst eignet die Reflexion als vorwiegende 
Triebkraft des kunstlerischen Schaffens nur teilweise. Ganz und gar frei 
ist der erste echte Vertreter des Nationalismus in der Musik von ihr, 
Fr6d6ric Chopin. GewiD konnte das, was an seiner Kunst national ist, 
nur aus dem Gefiihle der Zusammengehorigkeit mit einem geknechteten 
Volke erwachsen, aber das geschah, der kunstlerischen Absicht, dem Grund- 
plane nach, unbewuGt. Die reflektorische Tatigkeit setzte bei Chopin erst 
ein, wenn es die letzte Hand an seine Werke zu legen gait: da wurde 
gefeilt und gereinigt, bis der Schein des leicht Hingeworfenen erreicht war. 
DaB Chopin nur zum Teil in seinen Werken einen nationalen Standpunkt 
vertritt, kann nur kurz angemerkt werden; seine Mazurken sind ohne 
Frage dahin zu zahlen, nicht auch seine Polonaisen, deren Grundrhythmus 
vielleicht auf spanischen Ursprung der Form hinweist. Wie Chopin fiir die 
polnische, hat Liszt, der seine Kunst — freilich vergeblich — weiterzubilden 
versuchte, fiir die ungarische Musik gewirkt. Das slawische Element der 
Musik zeigt sich besonders in dem iiberwiegenden elegischen Moll- 

XIII. 6. 22 



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338 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

charakter mit Anklang vornehmlich an den lydischen Kirchenton; bedeut- 
sam erscheinen auch die vielen iibermafligen Intervalle und besondere 
Rhythmen, bei Liszt dann noch der schroffe Wechsel zwischen Dur und 
Moll u. a. m. Der jungrussischen Musik eignet ein mannigfach von dem 
zentraleuropaischen abweichender Periodenbau, die Gliederung in 3, 5 oder 
7 Takte; man findet in ihr eine bedeutsame Hinwendung zur Chroma ik 
und daneben als Reste eines offenbar originaren Tonempfindens eine 
starke Liebe zum Mollgeschlechte. Daneben stoCen wir wiederum auf 
rhythmische Besonderheiten, einformige Rhythmen, die sich in endlosen 
Wiederholungen abhaspeln, melodische Eigenheiten usw. Das Besondere 
im Charakter der Volker an der Auffassung darzulegen, die sie in der 
Musik vom Naturleben auCern, wird einmal eine lohnende Arbeit sein. 
Aber nur der Musikphilologe, der dichterisches Empfinden besitzt, sollte 
sie losen. Fur die Russen bietet Tschaikowsky's Kleinkunst da ein dank- 
bares Objekt, und ein Vergleich zwischen den Russen und den Skandi- 
naviern in dieser Hinsicht wird iiberaus bezeichnende Resultate zutage 
fordern iiber das rein Musikalische hinaus, fur die Volkspsychologie. Man 
wird dann vielleicht auch zu dem Begriffe von musikalisch krankhaften 
und gesunden Volkern gelangen und als zu diesen zahlend besonders die 
Skandinavier betrachten. 

Diesen Standpunkt einnehmen, heifit nicht das, was Kjerulf, Grieg, 
Svendsen u. A. geschaffen, in Bausch und Bogen billigen. Aber jene 
Manner konnten mit anderen (die Deutschen vor allem haben bessere 
Vorbilder) Fiihrer zu groCerer Einfachheit der Tonkunst werden, voraus- 
gesetzt freilich, daO unsere Lebensbedingungen sich andern, und dann 
Propheten der Neuordnung der Dinge aufstehen, wie einst deren Beet- 
hoven einer war . . . 

Nur indirekt hangt mit der Frage, die uns hier beschaftigt, die der 
Einfiihrung der exotischen Musik zusammen, um die sich der und jener 
so heifi bemuht. Sie kann auf sich beruhen bleiben. Ich habe schon an 
anderen Stellen gelegentlich angefiihrt, daft Ganztonreihen und Vierteltone 
fur die dramatische und programmatische Musik eine Bereicherung dar- 
stellen konnen, vornehmlich, um Lokalfarben zu geben. Vierteltone in die 
reine Musik einzufiihren, erscheint mir ein ganz vergebliches Bemuhen. 
Charakteristisch sind sie nur fiir primitive Musikzustande. Die einstimmige 
Weise der scharfohrigen Naturvolker kennt sie. In der modernen, har- 
monisch bestimmten Musik wiirden sie nur das Tohuwabohu des herrschenden 
Klangwesens, das sich, je langer je mehr zu einem Klangunfugswesen entwickelt, 
vermehren helfen. Und davor behiite uns der Genius der Tonkunst . . . 

Die Welt ist voll von sonderbaren Aposteln, die alle ihre glaubigen 
Jiinger finden. Josua Kuhn wollte in Amden oberhalb des Walensees eine 
Kolonie weltuberdriissiger Menschen ansiedeln; vor kurzem haben wir den 



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NAGEL: DAS NATIONALE IN DER MUSIK 339 

Versuch einer Wiederbelebung des Wodan-Kults erlebt, und „Allvater a 
spukt immer noch in gewissen Kopfen; der eine plantscht im Wasser, der 
andere in Gebeten, der Dritte heilt die kranke Welt durch Kauen: da 
kommt vielleicht auch noch einer (Musik als Medizin, dieser uralte Scherz, 
taucht auch immer wieder wichtigtuerisch in der Tagespresse auf), der uns 
als Ideal die Musik der Fidschi-Insulaner hinstellt. Am Ende horen wir 
ihn und seine Genossen, die er ja sicherlich finden wird, noch von einem 
Musik-Hagenbeck gefiihrt: in den zoologischen Garten, als an den Orten, 
die seinen Kunstbegriffen am nachsten stehen! Warten wir den Gang der 
Dinge ruhig ab. Aber das eine sollte man doch bedenken; nicht alles, 
was im Interesse der Wissenschaft erforscht werden muB, darf in die gang- 
bare Miinze der Praxis umgesetzt werden, und jedes Ding ist bis zu einem 
gewissen Grade an seinen Ort und seine Zeit gebunden, und es kann nicht 
immer an eine andere Stelle verpflanzt werden, ohne in Gefahr zu geraten, 
seines Wesens Kern zu verlieren. 

Th. Billroth hat in seiner durch Hanslick herausgegebenen Arbeit 
„Wer ist musikalisch?" (Berlin 1895) allerlei zu unserer Frage Gehorendes 
gestreift. Die Schrift hatte wohl ihre Anfange in Briefen und mundlichen. 
Aussprachen mit Brahms, und Bemerkungen von Billroths Assistenten 
Dr. Biidinger iiber das Marschieren und Dr. von Fleischl, der etwa 
1000 italienische Volkslieder auf Tonalitat und Gliederung untersucht hatte, 
gingen ihr voraus. Derartige Arbeit sollte noch auf andere Volkslieder 
auf Tanze usw. ausgedehnt werden. Auch diirfte, wie schon gesagt, eine, 
Statistik der verwendeten Intervalle nicht fehlen, sollen wir in die Lage 
versetzt sein, das verschiedene nationale Wesen moglichst genau auf For- 
meln zu bringen. Ganz wird das freilich wohl nie gelingen, denn die 
Grenzen zwischen den einzelnen Kulturgebieten stehen nicht unvernickbar 
fest, so dafi wir z. B., wenn wir auch unsere Periodisierungsweise als die 
Norm fur unsere zentraleuropaische Musik erkennen, doch auch Ausnah- 
men, wie funftaktige Rhythmen finden usw. AuBerdem aber laBt sich das, 
was die eigentliche kiinstlerische Wirkung ausmacht, beschreibend nicht 
vollig wiedergeben. Wir konnen noch so viele iibereinstimmende Punkte 
etwa zwischen der Kunst Chopin's und der jungrussischen und ungarischen 
Musik auffinden und werden doch in jedem Zuge wieder gewaltige Unter- 
schiede bemerken, Unterschiede, die das Ohr vor dem analysierenden Ver- 
stande wahrnimmt, und die dieser schwerlich je scharf wird fixieren konnen, 
derart, dafi er den letzten Schleier vom Geheimnisse der kunstlerischen 
Wirkung hobe. Vermochte er das, so wiirden sich ja in der Tat Kunst- 
werke konstruieren lassen. Formelwesen und Mathematik aber, das wissen 
wir schon aus Eulers „Tentamen novae theoriae musicae" von 1729> 
reichen dazu nicht aus, und ein Gesondertes bleibt die Schopfung des 
Kiinstlers, ein anderes deren theoretische Betrachtung. 

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GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 

VON RICHARD SPECHT IN WIEN 1 ) 



Am 1. Mai 1897 trat Gustav Mahler sein Amt als Kapellmeister der 
/\ Wiener Hofoper an. Der Dirigent als .Star" war damals noch 
JL a. keine derart typische Erscheinung wie heute; daO man einen 
Orchesterleiter einer Primadonna gleich verwohnt, freilich auch, daB sich 
manche von ihnen auch wie Primadonnen betragen, ist eine der vielen 
unerfreulichen Errungenschaften der letzten Jahre, in denen die Neigung 
immer mehr iiberhand nimmt, die Wichtigkeit des Dirigenten in seinen 
AuBerlichkeiten ebenso zu iiberschatzen, als er vordem in seinen Inner- 
lichkeiten unterschatzt wurde. Zur Zeit, in der Mahler nach Wien kam> 
war jenen verhaltnismaCig wenigen, die sich mit Richard Wagners Kunst- 
lehre vertraut gemacht hatten, die Bedeutsamkeit des Dirigenten als Be* 
herrschers des Orchesters und der Sanger wohl aufgegangen, und Hans 
Richters ehrwiirdige, von Bayreuther Glorie umschimmerte Gestalt war 
fur sie die beste Verkorperung dieser Dirigentenart. DaB der Orchester- 
leiter im Opernhaus mehr sein musse, der dramatische Architekt, wie 
Hermann Bahr es nennt, der Beherrscher des Szenischen ebenso wie der 
Darstellung, weil im Musikdrama jeder Wortakzent, jede Geste, jede Be- 
leuchtung, jedes Biihnenbild nicht nur mit der Musik verflochten sein, 
sondern der Musik entspringen musse — das haben erst die zehn nachsten 
Jahre gelehrt. Damals war — dem sogenannten w groBen Publikum a 
wenigstens — das Engagement eines neuen Kapellmeisters bei weitem 
nicht von dem Interesse, wie etwa das einer neuen Koloraturdiva oder 
einer neuen Primaballerina. So kam es, daB Mahlers Berufung in weiteren 
Kreisen keine allzu groBe Beachtung fand; nur in jenen engeren, edleren 
Gruppen des Publikums, jener Insel von zart GenieBenden, die sich in 
jedem Biihnenhaus bildet, in dem wirkliche Kunst gepflegt wird und die 
man zwar selten beim „Prophet tt oder bei „Excelsior* entdecken, dafiir 
aber immer bei Mozarts und Wagners Werken finden wird, sah man dem 
neuen Orchesterleiter, dessen Name schon ofter als der eines der eigen- 
willigsten, fesselndsten und radikalsten Musiker und Dirigenten der jungen 
Generation aufgeflogen war, mit einiger Spannung entgegen. 

Mit weit groBerer freilich noch in den Kreisen der Biihnenkunstler 
und besonders in jenen der Hofoper selbst. Die B Mahlerlegende", die 
spaterhin so ungeheuerliche Dimensionen annahm, wurde schon damals, 
wenn auch nicht mit solcher Blutriinstigkeit wie spater, zum Schreck der 
Allzeitgemutlichen von den Bankelsangern des Kulissenklatschs getrillert. 



J ) Wir entnehmen dieses Kapitel mit Genehmigung des Verlages Schuster 
& Loeffler der soeben erschienenen Mahler-Biographie von Richard Specht. Red. 



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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 341 

Diese Legende verzerrte das Bild eines fanatisch unbeugsamen, riick- 
sichtslosen, keiner „Beziehungen tt achtenden, launenhaften, schroffen und 
nervosen Kiinstlers, der die Orchestermusiker miBhandle, die Biihnen- 
kunstler in all ihren Empfindlichkeiten und Eitelkeiten verletze und beide 
nur als Instrumente betrachte, die er tyrannisiere und bis zur Erschopfung 
anspanne — verzerrte dieses Bild zu dem eines halbnarrischen, groCen- 
wahnsinnigen Theatercaligula. Man wuBte, daB Mahler die Budapester 
Oper in kurzen Jahren aus tiefster Verrottung auf eine Hohe gerissen 
hatte, die alsbald die Aufmerksamkeit der ganzen Musikerwelt auf die 
Auffuhrungen eines bisher — und seither wieder — als abgelegenes 
asiatisches Theater betrachteten Institutes lenkte; wuBte aber auch, daB 
er von dort — wie fast von alien Buhnen, an denen er gewirkt hatte — 
in Unfrieden geschieden war; man hatte aus Hamburg immer wieder von 
Konflikten gehort, die zwischen ihm und dem TheatergroBhandler Pollini 
losplatzten; man wuBte aus seinen friiheren Zeiten, aus Kassel, Leipzig 
und Prag, mit welch verbissener Energie er seine kiinstlerischen Forde- 
rungen durchzuhalten verstand und daB er in kleinen Provinzstadten mit 
zaher List Auffuhrungen des Fidelio, des Don Juan und Wagnerischer 
Werke hintertrieben habe und lieber Operetten dirigierte, um die geliebten 
Schopfungen nicht der verruchtesten Entstellung preisgeben zu miissen. 
Was ihn doch als einen der Unbequemen verdachtig machen muBte, denen 
es um die Sache, um Ernst und um Uberzeugung ging. Man wuBte auch, 
daB er an alien Statten seines Wirkens von den meisten gehafit und nur 
von wenigen sehr geliebt worden war, und nahm sich nicht erst die Muhe 
zu untersuchen, ob diese „meisten a nicht die typisch tragen, eitlen, nur 
auf die eigene kleine Personlichkeit bedachten Vertreter des „ewigen 
Kitschs", jene wenigen nicht die paar wertvollen, ernstlich dem Werk 
dienenden, nur auf Vollkommenheit des Ganzen bedachten Kunstler waren, 
die — so wie jene anderen als die „kompakte Majoritat" — als die er- 
haltende Minoritat in jedem Theaterinstitut anzutreffen sind. Es gab nur 
ganz wenige, die aus all diesen Anzeichen einen Kunstler von heniicher 
Unduldsamkeit fuhlten, von der wundervollen Orthodoxie des Kunst- 
besessenen, dem nichts gilt als das Werk und sein inneres Gesetz; der 
sich nicht beschwichtigen Wflt, ehe er die letzten Moglichkeiten der Inter- 
pretation erobert hat, der sich nicht mit einem gefalligen Ungefahr ab- 
findet, wo eine Vollendung zu erreichen ist, dessen Reizbarkeiten nur das 
Negativ einer subtilen kiinstlerischen Empfindlichkeit und Empfanglichkeit 
bedeuten, und dessen Schonungslosigkeit im Anspannen und Uberspannen 
aller Krafte seiner Mitarbeiter am Werk eine berechtigte ist, weil er auch 
fur sich selber weder Schonung noch Bequemlichkeit kennt. Und selbst 
fur diese wenigen gab es eine Uberraschung, als sie Mahler zum ersten- 
mal am Werk sahen; weil sie sich zwar das rechte Bild seines in Sturm 



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342 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

und Flammen lodernden, niemals beruhigten Wesens gemacht batten, aber 
doch nicht wissen konnten, welcber Art denn seine Kunst sei und zu 
welchen Ergebnissen der Interpretation sie zu fuhren vermochte. 

Am 11. Mai dirigierte Mahler zum erstenmal den Lohengrin. Also 
ein Werk, das im Spielplan „stand a , wie nur wenige, dessen Wiedergabe 
gewissermaflen durch den Meister selbst sanktioniert war (wenn auch seit- 
her naturlicherweise durchaus andere Kiinstler auf der Buhne und nur 
wenige von damals im Orchester tatig waren) — und vor allem eines, in 
dem es unmoglich schien, irgendwie Neues zu enthullen, das Richtige 
anders zu zeigen, als es die Tradition festgestellt hatte. Aber es war noch 
kaum die erste halbe Stunde vergangen, als alle unter dem zwingenden 
Eindruck einer erschutternden, nie zuvor erlebten Offenbarung standen. 
Schon nach dem Vorspiel, das kaum jemals friiher in solch entmateriali- 
sierter Verklartheit, so vollkommen dieser Welt entriickt erklungen war, 
in Tonen, die gleich einem milde verzuckten Leuchten aus fremden Fernen 
zu kommen schienen, brach nach einem Augenblick ergriffenen Schweigens 
ein Jauchzen aus, wie es nur aus ungeahntem Uberwaltigtwerden zu brechen 
vermag. Und im Verlauf des Abends wurde es jedem klar, daB hier ein 
unerhorter, jeder Selbstentaufierung fahiger und zu jedem Ringen um die 
Vollkommenheit entschlossener Wille waltete, der das scheinbar langst- 
gekannte in einer Weise entschleierte, daB es wie ein ganz Neues und wie 
ein groBes Wunder wirkte. Wodurch Mahler dieses Wunder vollbrachte? 
Das Rezept ist sehr simpel : er fiihrte den Lohengrin einfach richtig auf. 
Richtig, das heiBt nicht nur: dem Buchstaben des Meisters folgend, jedem 
seiner Gebote treu gehorsam, jedes Tempo erfiillend, jeder dynamischen 
Schwebung genauen Ausdruck gebend und jedem Akzent seinen bestimmten 
Wert. Das allein w£re viel; und ist mehr, als man es auBerhalb Bayreuths 
in den meisten Auffiihrungen der groBen Kunstinstitute zu horen bekommt. 
Aber damit dieser Buchstabe im Sinn des in ihm waltenden Geistes lebendig 
werde, bedarf es eines Tiefblicks, der nur dessen achtet, was das Werk 
selbst aussagt und alles vergiBt, was Herkommen und Uberlieferung daran 
verschleierten; und eines Enthusiasmus, dem im Augenblick solchen Nach- 
schaffens nichts auf der Welt wichtiger ist, als daB jedes punktierte Achtel 
mit gleicher Vollendung und Reinheit zur Erscheinung werde wie die 
Totalitat des innersten Gedankens, auf dem das Werk ruht. Beides war 
Mahler eigen: der heilige Wahn, der nur fur die Schopfung und in der 
Schopfung lebt, deren Wiedergabe versucht werden soil; der auBerhalb 
dieser geistigen Welt nichts anderes mehr kennt und gelten lassen will, 
der nicht ruht, ehe die innere Vision, die das Werk in seinem Nach- 
schopfer weckte, ohne Makel und ohne Rest zur sinnlichen Erfullung 
wurde. Und ebenso die Juwelierfreude am Detail, am sublimen, ein- 
ordnenden Gestalten der feinsten und verstecktesten Zuge, das erst dem 



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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 343 

Ganzen den wundersamen flimmernden Glanz und tausendfaltige Lebendig- 
keit gibt. Dazu aber, zu dieser ganz selbstvergessenen, nur dem Werk 
dienenden Reinheit und Begeisterung und zu der intuitiven Sicherheit der 
nachschaffenden, stilbildenden Kraft noch eines: die Verachtung alles bloB 
GewohnheitsmaCigen und Uberkommenen, der Bequemlichkeit einer Inter- 
pretation, die mit sich zufrieden ist und ihre Berechtigung darin sieht, weil 
man es „immer so gemacht habe a . w Tradition ist Schlamperei tt , hat man 
Mahler oft sagen horen, und wer ihn an jenem Lohengrin-Abend zum 
erstenmal am Pult sah, begriff sofort, was er damit meinte, und daB dieses 
prachtvolle Wort eines seines Berufenseins gewissen, von spendender 
Phantasie des Ohrs und des Auges gesegneten Kiinstlers nicht die Hiiter 
wertvollen Besitzes treflfen sollte; sondern die Ausrede blofier Lassigkeit, 
die ihre Unkorrektheit hinter Autoritaten verschanzt. An jenem Abend 
schien alles neu: der Klang des Orchesters, das in tausendfachen Ab- 
schattierungen leuchtete, die Macht und Prazision der Chore, die zum 
erstenmal nicht einem Mannergesangverein im Kostum glichen, sondern 
die am Drama Anteil hatten; der Stil der Sanger, die sich von einem 
ratselhaften Willen gepackt und weit iiber sich emporgerissen fiihlten. Und 
dadurch auch das Drama selbst. Man fiihlte: hier war einer am Werk, 
dessen individuelles Leben erloschen und in das Leben der Schopfung hin- 
iibergestromt war, fiir die er sich in einer an Raserei grenzenden Hingabe 
darbrachte; der alles ringsum vergessen hatte und nur in das Werk ver- 
sunken war bis zu seinem tiefsten Grund; der mit der Kraft der gleichen 
Verziicktheit, die den indischen Fakir bei seiner Beschworung umfangt, 
andere an seiner Hellsichtigkeit teilnehmen lieB. Zusammenhange wurden 
klar, die friiher keiner beachtet hatte, langst Gewohntes strahlte in jung- 
fraulichem Zauber auf und wurde mit dem ganzen keuschen Reiz des erst- 
maligen und unberiihrten Empfangens genossen; man erlebte Zartheiten 
von einer verschwebenden Delikatesse, Steigerungen von einer entladenden 
und befreienden Wucht, wie es in gleicher Intensitat und Inbrunst viel- 
leicht nur von jenen gespiirt worden war, die Richard Wagner den Takt- 
stock fiihren sahen. Hier war einer, der mit Begeisterung und Verzweiflung, 
mit aufwiegelnder, ja fast erpresserischer Leidenschaft um jede Betonung 
der untergeordnetsten instrumentalen Stimme rang, dem jedes Zuriick- 
bleiben hinter der fleckenlosen Intention unertraglich war, der mit einer 
bis dahin ungehorten Beredsamkeit der Gebarde das Melos des Werkes in 
die Luft zeichnete und sein Erklingen erzwang; der jedem der Sanger das 
unbedingte Gefiihl der inneren Freiheit gab, weil er jeden scheinbar sich 
selbst uberliefl und ihn doch in Bann hielt und jeden auf eine Hohe empor- 
jagte, deren Erklimmen sich keiner zutraute. Aber man fiihlte auch, daB 
hier einer war, der nicht nur die Macht solch unermeBlicher Hingabe hatte, 
sondern auch die des Sichbewahrens; der der anderen und ihrer Zu- 



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344 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

stimmung nicht bedurfte, weil er sicher in sich ruhte; der mehr war als 
bloB der, der sich jetzt in der begliickten Trunkenheit zu verschwenden 
schien; der sich zurucknehmen konnte, urn immer wieder fur gleiche 
Ekstasen bereitzustehen. 

Sein Dirigieren, das vom ersten Augenblick an alarmiert und gefesselt 
hat, war damals durchaus anders als in seinen letzten Jahren, in denen er 
mit einer fast asketischen Sparsamkeit der Geste, mit leiser Andeutung 
wirkte und aus seiner innerlich um so bewegteren Gelassenheit nur in den 
dann unvergeBlichen, hinreiflenden Momenten plotzlichen Aufschwungs 
oder jah verwandelten Ausdrucks auffuhr, mit unbeschreiblicher Macht des 
beschworenden, gleichsam peitschenden, durch die Luft pfeifenden Takt- 
stockes. Damals aber war er von einer Beweglichkeit, die subjektiver und 
gewiC interessanter war als die spatere objektive Ruhe, aber manche vom 
Werk selbst abzulenken geeignet war; wahrend andere wieder gerade in 
der Luziditat seiner Zeichen die Musik deutlicher empfingen, weil sie jedes 
Detail nicht nur durchs Ohr, sondern auch durchs Auge erfassen konnten. 
Nur dafl Mahler niemals daran dachte, es dem Horer auf solche Art zu 
erleichtern; sondern nur an die rechte Verstandigung mit seinen Musikern, 
um derentwillen er gem jeden Spott wegen der unruhigen, iiberlebendigen 
Sprache seiner jetzt eine Melodie zartlich aufschopfenden, jetzt gleich 
einem Rapier zufahrenden, dann beschwichtigend abwinkenden und gleich 
wieder zu zornigem Niederstreich geballten Hande ertrug. Dort schienen 
sie einen kurzen Gesang aufzuscheuchen, hier wieder trieben sie heftig 
und resigniert zugleich ein allzuvordringliches Instrument ins Schweigen 
zuriick, fegten wie mit Sabelhieben durch die Kolonnen allzuschtichtem 
akzentuierender Spieler und hetzten die braven Seelen in einen Aufruhr, 
vor dem all ihre subalternen Instinkte erschraken und dessen sie doch 
ratselhaft froh wurden; und manchmal war es, bei leidenschaftlicher, aus 
der dunkelsten Tiefe hervorbrechender Melodie, als ob diese Hande, die 
jetzt gleichsam unsichtbare Faden an sich heranzogen und heranzerrten, 
den Leuten im Orchester die Musik aus dem Leibe haspeln wollten. Er 
zwang ihnen alles ab, was sie geben konnten; und mehr. Er setzte alles 
rings um sich in Flammen und Feuer. In seiner Sauerstoffatmosphare 
brannten die triibsten Nachtlichter plotzlich strahlend und taghell. (Und 
konnten es ihm nie verzeihen, daB sie dann, von ihm abgeriickt, wieder 
nur ihren schwachen Ollampchenschimmer verbreiten konnten.) Alle, 
Gebende und Empfangende, fiihlten etwas satanisch Unersattliches, etwas 
himmlisch Sehnsuchtsvolles, etwas irdisch Bildnerstarkes in diesem ganz 
aufgebrochenen, ganz Wille zur Vollendung gewordenen Menschen, der am 
eigenen Leib ein Kunstwerk ausdriickte; in machtig malender, in ruck- 
weiser und heftiger Bewegung, ja oft stampfend und zappelnd, in plotz- 
lichem erbitterten Staunen, wie es nur moglich sei, daB irgendeiner der 



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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS 0PERND1REKT0R 345 

Ausfiihrenden sich nicht ganz hingeben, nicht das Letzte schenken, nicht 
all sein Physisches mifiachten und all sein Geistiges als geringes Opfer 
fur die Seligkeit des Vollbringens hoher Musik darbringen konne. Manche 
fanden das iibertrieben, meinten auch, daB sein ganzes Gehaben, diese so 
gar nicht auf den Zuschauer berechnete, gleichsam iiberlaute und sich 
preisgebende, ungeziigelt iiberlebendige Beweglichkeit der Gebarde nicht 
in gute Gesellschaft passe, und vergaBen dabei nur, wie wenig wahrhafte 
KunstCibung und „gute Gesellschaft" miteinander zu tun haben. Die 
anderen spurten hinter all diesen oft bizarren AuBerlichkeiten blitzartig 
den groBen Kiinstler, der nicht neben dem reproduzierten Werk stand, 
sondern es ganz mit seinem Ich durchtrankte und in jenen Augenblicken 
es gleichsam neu produzierte; mehr, der die Gabe der Transfiguration 
hatte, der in diesem Moment mehr Richard Wagner als Gustav Mahler 
war, wie er spaterhin bei seinem Nachschaffen des Figaro und des Fidelio 
mit Mozarts und Beethovens Hirn zu denken und mit ihren Herzen zu 
fiihlen schien. 

Das klingt iibertrieben und ist es wohl auch, wie alles Formulierende; 
aber man wird daraus begreifen, was es denn eigentlich war, das Gustav Mahler 
als Dirigenten zu einer „Klasse fur sich a machte, zu etwas Einzigartigem, 
dem man unrecht tut, es mit anderem zu vergleichen, so wie man den 
anderen durch solchen Vergleich unrecht tut. Auf diese Dinge wird noch 
zuriickzukommen sein. Wer diesen Eindruck von Mahlers Dirigieren nicht 
hatte, mit dem wird eine Auseinandersetzung freilich ein Ding der Un- 
moglichkeit bleiben. Er ist der einzige, bei dem ich das Gefiihl hatte: 
w So muB Richard Wagner dirigiert haben"; der einzige, bei dessen Inter- 
pretationen fast immer — und nicht immer — die iibermachtige Emp- 
findung laut wurde: „Es ist so vollkommen, wie Beethoven oder Mozart 
oder Wagner es sich selber vorgestellt haben mull". Wahrend man bei 
den hochsten Leistungen der anderen fiihlt, „es ist so vollkommen, wie 
ich mir's vorstellen konnte". Nur daB die meisten eben viel lieber das 
horen, was ihrer eigenen, als das, was Beethovens Vorstellung entspricht. 
Weil die meisten nur sich, nicht den Meister suchen, der ihnen dort, wo 
er ihnen nicht gleicht, nur unheimlich und aufstorend ist. (Zur Auf- 
klarung gewisser moderner Dirigentenerfolge.) 

Dem Lohengrin folgte der Fliegende Hollander, folgte bald darauf 
Freischutz und Zauberflote. Wenige Monate nachher war Mahler definitiver 
Direktor der Hofoper, und die Macht, die er ausiibte, war so ungeheuer, 
daB sich alles im ersten Ansturm ergab, und dafi sogar die Mediokratie 
ihm ganz verfallen war. Erst geraume Zeit spater besannen sich die 
Ewiggestrigen auf sich selbst und riickten dann in doppelter Wut vor: im 
Hafl gegen einen, der sich vermafi, anders zu sein. Der Moglichkeiten 
erfiillte, die sie verneint hatten. Der sie gar nicht gefragt hatte, ob er so 



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346 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

musizieren diirfe. Der ihrer nicht zu bedurfen schien, und in dessen 
Unabhangigkeit sie die Verachtung gegen ihresgleichen fuhlten; dessen 
Beispiel ihnen unbequem, beschamend und lastig war, weil es neue MaB- 
stabe aufstellte und ihre Minderwertigkeit ad absurdum fiihrte. Dazu aber 
kam das Ressentiment gegen den, dessen Zauber sie zuerst erlegen waren: 
sie konnten es ihm nicht verzeihen, durch ihn iiberwaltigt worden zu sein. 
Unter alien, die gegen Mahler mit verkennender Schmahung, mit emporter 
Gegnerschaft, mit iiberzeugter Abneigung losgingen, waren keine giftiger, 
maBloser, entstellender, tiickischer als jene, die sich zuerst vor seiner 
Grofie geneigt hatten. Aber das kam erst spater. In Mahlers erster 
Wiener Zeit hatte der Widerspruch geschwiegen. Man hatte eine Intensitat 
erlebt, die befreiend wirkte und den Alltag tief unter sich liefl, und gab 
sich diesem schonen Gefiihl bedenkenlos hin. Erst lange nach diesem 
Rausch, in den Mahler nicht nur die wertvollen, sondern auch kleine und 
sonst gewohnlich gegen das GroBe widerspenstige Naturen versetzt hatte, 
merkte man, wie unwienerisch seine Art war, mit der er Wien erobert 
hatte ; wie fern von aller Selbstgeniigsamkeit, von der Freude am liebens- 
wiirdig Leutseligen, von aller Kunstspielerei, vor allera aber vom Kultus 
des Privat-Personlichen; wie zelotisch unerbittlich im Gehorsam gegen 
das reine und unantastbare Gebot der Kunst, wie verachtungsvoll gegen 
alles Mittelmafl des Popularen diese Art war. Man lieB sich damals alles 
von ihm gefallen. Dinge, die vor ihm keiner hatte wagen diirfen: die 
Zumutung ungekiirzter Wagnerauffiihrungen, ehrenwortlich besiegelte Ab- 
schaffung der Claque, Verfinsterung des Zuschauerraums, um zur Kon- 
zentration und zum Einstellen auf die malerische Sinnlichkeit des Biihnen- 
bildes zu zwingen; die Aussperrung der Zuspatkommenden bei strengen 
Werken; eine Erziehung des Publikums mit einem Wort, die diesen 
auBerlichen, aber organisch mit ernstlichem Kunstempfangen zusammen- 
hangenden Dingen anderes gesellte: die Achtung vor der Reinheit und 
Subtilitat der Auffuhrung einer Schopfung und das Bediirfnis nach solcher 
Reinheit wurde wachgerufen, einzig durch den hohen Ernst der wunder- 
vollen Arbeit, deren Verrichtung man zusah. 1 ) 



J ) Wie Mahler auch sonst, und, wenn es sein mufite, durch personliche Ein- 
wirkung erzieherischen EinfluB auf sein Auditorium nahm, mogen zwei hubsche 
Episoden erweisen, deren Zeuge ich war. Die eine in Hamburg: an dem Abend, 
an dem ich ihn zum erstenmal dirigieren sah. „Walkure*. Das Glockenzeichen 
rattert; im Haus wird's stiller, einzelne suchen noch ihre Platze auf, andere schwatzen. 
Ein Flustern „Ah, Mahler" gebt durchs Haus: ein kleiner, sebniger, mit heftig 
stampfendem Schritt durchs Orchester eilender Mann mit scharfem Antlitz, in dem 
etwas Leidendes und etwas hart und herrisch Entschlossenes war, kam zum Pult, 
lieB einen Augenblick lang die blitzenden Brillenglaser ins Parterre funkeln und gab 
das Zeichen zum Beginn: das Sturm- und Donnermotiv begann in den tiefen Streichern 
zu wetterleuchten. Aber noch ist Unruhe im Haus. Mahler macht ein Zeichen 



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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 347 

Es dauerte freilich nicht allzu lange, bis man sich der Gefahr dieser 
Entwienerung bewuBt wurde und bis der Chor der Rache sich zur Revolte 
sammelte. Aber wie gesagt, das kam erst spater. 



unwilliger Ungeduld; aber es will nicbt still werden. Da klopft er kurz ab, unter- 
bricht, legt den Taktstock hin und wendet sich mit verschrankten Armen ruhig zum 
Publikum: „Bitte, ich kann warten!" Totenstille, dann sturmischer Applaus und 
sofort darauf andSchtigsteRuhe und stillstes Empfangendes schmerzlichschonen Werkes. 
Ich erinnere mich noch, daB ich mir damals dachte: „In Wien konnt' er sich so was 
nicht erlauben." Man weiB seither, daB er sich auch in Wien Ahnliches „erlaubt" 
hat, und daB er es sich erlauben durfte, weil jeder fiiblte, daB dort einer saB, der 
das Recht dazu hatte und der fordern durfte, daB seine entruckte Hingebung an 
das Werk und seine Wiedergabe zumindest mit der Ruhe des Respekts, wenn schon 
nicht mit der der gleichen Hingebung miterlebt werde. 

Die zweite in Wien, als der vielgefeierte, von einem jugendlichen ^Hermann- 
bund" schwSrmerisch umringte Hermann Winkelmann Grund zu haben glaubte, gegen 
Mahler verstimmt zu sein; was fur seine sehr ungestumen AnhSnger ein AnlaB war, 
bei jeder moglichen und unmoglichen Gelegenheit fur ihren Liebling zu demonstrieren 
und ihn, wenn er sang, nach jeder Phrase durch vehementen, lauten Applaus aus- 
zuzeichnen. Wenn Leonore im Fidelio sagte: „Er hat eine Stimme, sie geht zu der 
Tiefe des Herzens," so deuteten sie's auf Winkelmann; ebenso wenn irgendeine 
andere Stelle auf ihn bezogen werden konnte, und immer, wenn der auBerordentliche 
Kunstler irgendeine Phrase gesungen hatte, prasselte storendes und stimmungs- 
zerreiBendes Handeklatschen und Scbreien mitten in die Musik hinein. Begreiflich, 
daB Mahler dies verdroB, dem die Kontinuitat der dramatischen Stimmung das 
Hocbste der Interpretation war. SodaB er eines Abends, als es wieder so zugegangen 
war und als der „Hermannbund a wieder einmal an der Buhnentur auf seinen Abgott 
wartete, plotzlich mitten unter den jungen Leuten stand, die einen Moment lang 
verdutzt zuruckwichen, dann aber in dem echten Gefuhl begeisterter Jugend in tur- 
bulente Hochrufe auf Mahler ausbrachen. Aber Mahler wehrt sie unwillig ab und 
richtet das Wort an sie: „Ich will eure Hochrufe nicht und bitte mich damit zu 
verschonen. Von einer Jugend, die keinen Respekt vor dem Kunstwerk und vor 
dem Schaffen der groBen Meister hat, will ich nicht gefeiert werden." Und als die 
Junglinge betreten schweigen, setzt er lebhaft fort: „Ihr wollt einen Kunstler ehren 
und zerstort das Werk durch euer Dazwischenrufen und -schreien. Ich verehre 
Winkelmann gewiB ganz so wie ihr, weil er ein Kunstler ist, der weiB, daB zuerst 
das Werk kommt und dann der Darsteller; daB der Sanger nur das Werkzeug im 
Dienst des groBen Meisters ist. Ich bin sicher, daB gerade Winkelmann, den ihr 
durch euren Applaus feiern wollt, aufs tiefste verletzt ist, wenn um seinetwillen die 
Stimmung zerrissen und der Fortgang des Dramas aufgehalten oder ganz zerstort 
wird. Wenn ihr am SchluB des Aktes applaudiert, oder wenn der Sanger von der 
Szene abgeht, und wenn das nicht aus toricbter Demonstration, sondern aus Be- 
geisterung geschieht, ist nichts dawider zu sagen; aber mitten in eine Szene hinein 
zu applaudieren und zu rufen, ist barbarisch, scheuBlich, unkunstlerisch und gerade 
der Jugend unwurdig, die doch kunstlerisch fuhlen sollte. Also denkt nach — und 
tut's nicht wieder!" Wendet sich und geht, wahrend jetzt der Enthusiasmus der 
Leichtbewegten losbricht und helle, sturmische Rufe „Hoch Mahler!" erklingen 
Mahler dreht sich um, lacht und sagt: „Jetzt nehme ich eure Hochrufe an. Denn 
jetzt bin ich ja von der Szene abgegangen." Die Lehre hat gefruchtet; fortan 
herrschte vollkommene Ruhe wahrend der Akte. — Bei dieser Gelegenheit mag auch 



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348 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

Etwas anderes begann sogleich: die Widerstande im Haus selbst. 
Mahler hatte sich vermessen, auf „Lieblinge a zu verzichten und wollte 
nichts von irgendwelchem Starwesen wissen. Und mehr: er hatte sich 
unterfangen zu zeigen, was ein Ensemble sei; was es bedeute, wenn ein 
Wille zum Ganzen am Werk war. So gab es sofort Aufruhr; verwohnte 
Kiinstler, wie van Dyck oder die Renard gingen zu offenem Widerstand 
iiber, urn freilich schlieBlich zu unterliegen. Aber die eigentliche Gefahr 
kam nicht von den gekrankten GroBen, sondern von den plotzlich empor- 
gehobenen „Kleinen a . DaB er unbeugsam bleiben muBte und sich seine 
Arbeit an einem ganz in Richard Wagners Geist geiibten Darstellungsstil 
nicht durch Primadonnen- und Primosignore-Launen gefahrden lassen 
durfte, war klar, und niemand bedauerte es mehr als er selber, wenn die 
kunstlerische Einsicht bedeutender Gesangsdarsteller kleiner war als ihre 
private Eitelkeit, und wenn das Institut sie verlieren muBte, statt dafi sie 
sich, vertrauensvoll und mancher seiner Schroffheiten ungeachtet, seiner 
Fiihrung iiberlassen hatten. Aber mit wahrhaften Kiinstlern hatte er 
kaum jemals wirkliche Konflikte. Das beweisen nicht nur jene heute 
einzig den Ruhm der Hofoper bedeutenden Sanger, die durch Mahler erst 
gelernt hatten, um ihre Kunst zu ringen, wie Jakob mit dem Engel, und 
alle Moglichkeiten ihrer Begabung zu entfalten. Auch jene, die ihm un- 
willig, ja oft mit Zorn und Abscheu folgten, fiihlten, was es hieB, mit 
ihm zu arbeiten, sich von ihm peinigen und unbarmherzig bis zur Er- 
schopfung alles — und mehr als alles — abverlangen zu lassen, was 
ihr Naturell herzugeben vermochte. In Theodor Reichmanns Tagebiichern 
sind derartige immerwahrend umspringende Gefiihle verzeichnet: Wut und 
Grimm gegen den Jiidischen Affen", gegen diesen frechen kleinen Kobold, 
der sich unterstand, ihn zu korrigieren, ihn zu maBregeln, ja gar zu 
anderem zu zwingen, als er zu geben gewohnt war; und das nachstemal 
werde er es sich nicht mehr bieten lassen und ihm ins Gesicht schlagen. 
Aber er laBt es sich immer wieder bieten; und nach dem unerhorten 
Erfolg der Vorstellung schreibt er in einem einzigen Jubel von dem 



erwahnt werden, dafi Mahler, der den allegorischen konventionellen Theatervorhang 
nicht vertragen konnte und dessen Gefuhl zumindest bei ernsten Werken den ein- 
fachen, in der Mitte sich teilenden, seitlich aufzuziehenden Bayreuther Samtvor- 
hang forderte, bei seiner hoheren Behorde mit seinem Wunsch nicht durchdringen 
konnte. Worauf er kurz entschlossen aus seiner Tasche den Vorhang anschaffte und 
ihn der Hofoper zum Geschenk machte. Ebenso wie er zwei Jahre vorher in Ham- 
burg die Anschaffung neuer und die Reparatur alter Orchesterinstrumente — beides 
war zur rechten Klangerzielung unbedingt notig — bei den Stadtvfctern, die das Theater 
subventionierten, nicht durchsetzen konnte und deshalb aus seinen Privatmitteln fur 
diese Verbesserung sorgte. Beide Falle waren mit empfindlichen Kosten verbunden; 
aber Mahler hat dessen nie geachtet, wenn es der Reinheit des durch seine Kunst- 
arbeit erzielten Eindrucks gait. 



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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 349 

„Gott Mahler", der ihm eine Leistung abgerungen habe, wie er sie nie 
zu geben geahnt hatte; dem man alle Krankung, alle Plage verzeihen und 
den man anbeten miisse. Hier spricht ein Aufrichtiger (wenn er auch 
immer wieder in schaumenden Zorn und freilich dann auch wieder in 
verziickte Dankbarkeit fallt); aber innerlich dachten alle wirklichen Kunstler 
des Hauses so. Weil sie den anderen Kunstler spiirten; und weil sie 
nicht nur die eigene Wandlung fiihlten, sondern schlieOlich nach allem 
Strauben und allem Bangen vor dem Wagnis des Ungewissen doch merkten, 
daB sie nicht nur zu auOerlich starkerem, sondern auch zu ganz anders 
wertvollem Erfolg gestoCen worden seien; erst fast wider Willen, dann # 
aber doch, sei es auch mit verletzter Empfindlichkeit und beleidigtem 
Selbstgefuhl vor der scheinbaren MiCachtung dessen, der sie nur als 
Instrument behandelte, mit wachsendem Glauben an den Grofleren, der sie 
fiihrte. Von den echten KCinstlern der Hofoper hat sich keiner an Mahler 
vergriffen, und nur die wenigsten haben sich nicht schliefilich mit ihm 
verstandigt. Was ihm drohte, kam von anderer Seite. Kam von ge- 
krankter Stareitelkeit und kam von der MittelmaBigkeit. 

Gewifi war bei Mahler auch etwas Trotz dabei, der gegen die „Lieb- 
linge ft ging; und nicht nur, weil er — es wurde schon gesagt — Stars nicht 
brauchen konnte; keine verwohnten Herrscher der Kulissen, nur Diener des 
Werkes. Sondern weil er sich's zutrauen durfte, zu zeigen, wie er gerade 
ohne die „gefeierten Herrschaften" seine kiinstlerische Vision zu voll- 
kommener Erfullung bringen konnte. Es war auch wirklich so, daB Mahler 
mit den GroBen zunachst gar nichts anfangen konnte. Er hat seine ersten, 
so unerhort eindrucksvollen und in atemlosem Entzucken empfangenen 
Vorstellungen fast nur mit den Sangern zweiten Ranges gemacht, die er 
sich „herrichten, zurechtbiegen", erziehen konnte. Die „GroBen a waren 
viel zu aufgeblaht von ihrer Wiirde, urn sich das von dem w kleinen Juden" 
gefallen zu lassen. Daher all die Affaren der ersten Zeit, die „Zuriick- 
setzungen", weil er sich nicht durch die festgelegte Leistung eines Lieb- 
lings den Stil seiner Auffiihrungen verderben lassen wollte. Bald aber 
zeigte sich eine andere Konsequenz. Die meisten der von ihm in die Hohe 
Gepeitschten, fur einen Abend lang von seiner stahlernen Hand Gehaltenen, 
sanken wie mit Sagespanen gefullte Puppen zusammen, wenn er sie loslieB, 
um zu erproben, wie es war, wenn sie einmal allein gehen und stehen 
sollten. Dann hatten sie eben nur wieder die unausrottbaren Gebarden 
konventioneller Dressur. Was mechanisch in ihnen wirksam werden konnte, 
war ja da. Aber was er gegeben hatte, konnte nur geistig wirksam sein. 
Und fiel deshalb gleich wieder ab, weil es nirgends haften konnte. Er 
hatte zehn Leben zu gleicher Zeit leben miissen, um alle die zu halten, 
die sein Hauch fur Stunden aus den Marionetten der Routine zu leuchtenden 
Menschen gemacht hatte. Und er wurde es oft mude. 



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350 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

Daher kam es — um diese Dinge gleich in diesem Zusammenhang 
vorwegzunehmen — , daft man vom Direktor Mahler gesagt hat, er sei 
ein Unmensch gewesen, habe Karrieren verhindert, sei rucksichtslos und 
brutal iiber Leichen hingeschritten, habe in seinem schrankenlosen Egoismus 
Existenzen aufs Spiel gesetzt und wertvolle Menschen beiseite geschoben, 
wenn sie fur ihn nichts mehr bedeuteten. Das Bild ist wahr und falsch 
zugleich. Wahr, weil Ziige von Brutalitat, Unmenschlichkeit, Riicksichts- 
losigkeit aus seinem Wesen nicht wegzuleugnen sind; falsch, weil sie un- 
richtig und in hamischer Verzerrung gesehen und eingestellt sind. Er war 
^uch als Theatermann ganz Kiinstler, wuBte nichts von Menschen, nur um 
eine Sache ; war nicht egoistisch, aber egozentrisch, wie jeder, dem es gilt, 
seinen groBen Traum zu groBer Wirklichkeit zu machen. Wenn er ein 
kiinstlerisches Ziel vor Augen hatte, sah er nicht rechts und links; ihm 
gait dann nichts, was nicht diesem Ziel und seinem Erreichen dienen konnte, 
er vergaB alle Dinge und alle Menschen, wenn sie nicht just mit der Auf- 
gabe zusammenhingen, die er sich eben jetzt gestellt hatte. Auch wenn 
diese Aufgabe nichts anderes als die Neuinszenierung einer Oper war. Er 
kannte dann nichts „Personliches a , keine „Beziehungen a , nichts Mensch- 
liches im privaten Sinn ; mit einer fanatischen Konzentration und mit 
erbarmungsloser Energie schaltete er alles aus, was ihn von seinem Ziele 
abgelenkt hatte, was ihn zu hindern oder gar seine Spannkraft zu schwachen 
drohte. Er hat in solchen Zeiten sorgenvollen Mitarbeitern im Orchester 
oft aus Eigenem geholfen; vielleicht sogar weniger aus Giite, denn seine 
Giite war anderer, kosmischerer Art und nicht auf den Spezialfall gerichtet, 
— sondern weil er das „kleine Mitleid" nicht vertrug, das ihn innerlich 
auslaugte und schwachte; vor allem aber, weil er sorgengequalte, durch 
die bedrangenden Kleinlichkeiten des Tages gehetzte und an voller Hingabe 
gehemmte Mitkampfer nicht brauchen konnte. Diese Hingabe, von der er 
selbst ganz erfiillt war, und die er sich unter Preisgeben der eigenen Ruhe, 
des Gliicks, ja des physischen Wohlbefindens abforderte, verlangte er von 
alien, die mit ihm arbeiteten; er stand knirschend und fassungslos vor 
Ratseln, wenn sich verdrossene Abspannung oder gar Auflehnung meldete, 
und wenn nicht jeder weiter willig am Werk sein wollte. Dann freilich 
konnte er rucksichtslos, ja unbarmherzig werden; konnte es ebenso sein, 
wenn er Renitenz spiirte, die sich geflissentlich von seinem brennenden, 
in Schaffenslust lohenden Willen abwandte, im dumpfen, tiickischen Trotz 
des Hergebrachten verschanzt blieb und einfach dorthin nicht mitwollte, 
wohin dieser Wille wies. Dann freilich brachte dieser ganz kindliche, in 
seinem jahen Vertrauen und seinem jahen MiBtrauen gleich unschuldige 
und giitevolle Mensch es zuwege, den Widerspenstigen, mochte er im Or- 
chester oder auf der Szene zu finden sein, durch verachtungsvollen, uner- 
bittlichen Hohn aufs furchtbarste bloBzustellen; er war imstande, den schon 



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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS OPERNDIREKTOR 351 

durch seinen grimmigen und schneidenden Verweis Aufgereizten und Zorn- 
zitternden zu zwingen, eine Stelle zwanzig-, dreiBig-, fiinfzig-, hundertmal 
wiederholen zu lassen, immer wieder durch ein boses Wort unterbrechend, 
immer wieder neuen Beginn zu fordern und nicht abzulassen, bis die Stelle 
so kam, wie er sie wollte, weil er sie innerlich so gehort hatte. Denn er 
wuBte wohl, was er tat, und seine scheinbare „Unmenschlichkeit tf und die 
„boshafte" Lust, den andern zu qualen, war nichts anderes, als was jeder 
tut, der die Welt des Theaters kennt: er ringt dem Zorn, der Verzweiflung, 
dem AuCersichsein ab, was der widerstrebenden Borniertheit oder der absicht- 
lichen Feindseligkeit in Ruhe nicht abzugewinnen ist; peitscht sie durch diese 
fast sadistische Marter iiber sich hinaus zu Leistungen, zu denen sich keiner 
fahig glaubte, und bringt sie zu Wirkungen, die dem Tobenden, zu tiefst Ver- 
letzten dann erst die Augen dariiber offnen, daB der gehaBte Dirigent dort 
droben doch besser gewuDt habe, was nottut, und daB er ihm noch fiir 
seinen auCeren Erfolg und inneres Weiterkommen zu danken habe. Nur 
daB die Kleinen, die menschlich Minderwertigen, das doch nie iiber sich 
vermochten und vermogen; bei ihnen bleibt doch der HaB, die Rachsucht des 
Beschamten obenauf. In solchen Augenblicken war Mahler wahrhaft un- 
heimlich; er konnte wirklich dasitzen wie ein boser Affe, sein Gesicht 
zuckte in tausend Teufeleien, er riB an den Nageln, der Blick seiner sonst 
so wunderbar ruhigen, braunen, nach innen schauenden Augen wurde griin- 
lich stechend wie der eines schlimmen Koboldes, sein weicher, fast frauen- 
hafter Mund in einem hamisch verzerrten Lacheln versteint, das den rechten 
Mundwinkel erschreckend tief herabzog; er hatte dann etwas beinahe 
Grauenhaftes, Drohendes und Lahmendes zugleich; nicht nur fiir die Wert- 
losen, die sich ihm aus Bosheit oder bloB aus Gedankenlosigkeit und Faul- 
heit widersetzen wollten, sondern auch fiir willige, arglose, aber schwache 
und scheue Naturen, die oft solch einen gar nicht ihnen zugedachten Blick 
auf sich bezogen, verwirrt und verzagt wurden, in Fehler gerieten, und 
nun erst recht zum Opfer seiner argen, grimmig sprungbereiten Wachsam- 
keit wurden und ganz den Faden verloren. 

Wenn er in solchen Fallen ungerecht war, so geschah es nur des- 
halb, weil er vielleicht oft zu rasch war, Feindseligkeit und Widerstreben 
vorauszusetzen, wo manchmal wirklich nur eine Verschiichterung und MiB- 
trauen gegen die eigene Befahigung da war; es gab Sfinger, die seinen Blick 
einfach nicht ertrugen, die aus dem Konzept kamen, und denen das schon 
Beherrschte entglitt, wenn ein scharfer Strahl hinter den blitzenden Brillen- 
glasern mitten auf sie zuschoB. Aber gerade die Besseren unter diesen 
waren es bald, die sich dieser gleichgewichtlosen Kleinmutigkeit schamten 
und alles taten, um durch vollige Sicherheit des Erlernens ihr kiinstlerisches 
Gewissen robuster zu machen; die sich ganz aufschlieBen lernten bis an 
die Grenze ihrer FShigkeit, ja oft, durch ein Lobeswort angespornt, zu dem 



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352 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

Mahler leicht bereit war, wenn er guten Willen und redliche Miihe fuhlte, 
iiber diese Grenzen hinaus. Und so hat er oft das Wunder vollbracht, 
auch mit Sangern mittleren Ranges unvergleichliche Vorstellungen zu 
schaffen. Er war — bei den Kleinen von den Seinen — zu herzlicber, 
ja zu ungebuhrlich iiberschwenglicher Anerkennung iramer geneigt. Bei 
den GroBen dunkte es ihn unnotig, er wuDte, daB ihrer sicher in sich 
ruhenden und sicher weiterschreitenden Kraft bloB Kopfnicken des Ein- 
verstandenseins genugende Bekraftigung war, und daB sie nicht „Auf- 
munterung", nur Bestatigung brauchten. Bei den anderen aber lieB er es 
an solcher Aufmunterung nicht fehlen, und da mochte es vorkommen, daB 
er, in jede Einzelheit des Kunstwerks verliebt, das er eben bereitete, oft 
eine Sangerin, die einen bestimmten hohen, zart angesetzten Ton, einen 
Sanger, der eine Phrase von bestimmtem Ausdruck besonders glucklich traf, 
ohne sonst jene starken kiinstlerischen Komplexe eigen zu haben, die er 
vom Gesangsdarsteller forderte, eben oft urn eines Taktes halber, den er 
besonders nachdrucklich haben wollte, mit einer Rolle betraute und sich 
dann des Lobes fur den Sanger nicht genug tun konnte, dem gerade diese 
Stelle niemand nachmachen konne. Kein Wunder, daB dann solche Buhnen- 
kiinstler, ohnedies entziindet und jeder Phantasie der Eitelkeit geneigt, 
einen solchen, im Moment oft iibertriebenen Lobspruch gleich als An- 
weisung auf die Zukunft, als einen Wechsel auf eine Laufbahn betrachteten, 
zu der sie sonst nichts fahig gemacht hatte. Und noch weniger Wunder, 
wenn sie es dann, als diese Zukunft ausblieb und ihre Laufbahn eine ihrem 
Wesen, wenn auch nicht ihrer Einbildung gemaBe wurde, an Groll, Rankune, 
Unlust zur Arbeit, ja an Feindseligkeit und Intrigen nicht fehlen lieBen. 
Was ihnen in Wien leichter wird als irgendwo anders; denn nirgends wird 
die Person des Darstellers zu solcher Wichtigkeit aufgeblaht; bestehen 
solch wirksame Biindnisse zwischen Sangern und Reportern, die in der 
Zeitung gleich mit aufgedonnerten „Affaren u bereit sind; wird Dichter oder 
Direktor, Regisseur oder Dirigent, so hoch ihr kiinstlerisches Niveau das 
des Biihnenkiinstlers iiberragen mag, so leicht dem „Liebling a gegeniiber 
ins Unrecht gesetzt, ja oft bis zur Machtlosigkeit ausgeschaltet. 

Eine solche Affare war denn auch der AnlaB fiir Mahler, von Wien 
zu scheiden, und ware dem nicht so — wir hatten ihn und sein wunder- 
voll groBes Beispiel vielleicht noch mitten unter uns. Aber auch wahrend 
der unvergeBlichen und der Erinnerung, wenn auch nicht der realen Nach- 
wirkung unverlierbaren zehn Jahre, in denen Mahler die Wiener Hofoper 
fiihrte, hat es derartiger kindischer Kulissenstiirme mehr als zuviel gegeben, 
die alle durch solch vermeintliche Zuriicksetzung oder „Wortbriiche a ver- 
anlaBt waren; durch die Folgenlosigkeit mancher gegluckten Leistung — 
aber eine Folgenlosigkeit, an der nicht Mahler, sondern das Versagen all 
der „Kehlkopfe im Kosturn" schuld war. Das waren die Karrieren, die 



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SPECHT: GUSTAV MAHLER ALS 0PERND1REKT0R 353 

Mahler vernichtete, die Existenzen, die er auf dem Gewissen hatte. Wer 
noch naher zusieht, wird entdecken, dafi es sich niemals um wahrhafte, 
vielseitig gebildete Begabung, ja kaum jemals um willensfreudige, ver- 
trauensvoll und unverzagt dem groOen Fuhrer folgende gehandelt hat. 
Keiner war bereiter als Mahler, selbst das geringfiigigste Zeichen eines 
kunstlerischen Wesens zu beachten und fdrdernd seinem Werk einzufiigen, 
das er als kostbares Erbe denen zu hinterlassen gedachte, von denen er 
sich verstanden sehen und denen er nicht nur im Geistigen und Kunst- 
lerischen, sondern auch im Technischen ein Meister, ein grofier Gebender 
sein wollte. Dafi er auch hier Enttauschung erlebte, dafi es unter diesen 
Jungern nur ganz wenige gab, denen der Kultus der eigenen geringeren 
Personlichkeit nicht wichtiger und dringender war, als das Gebot, seinen 
.heiligen Gral tt — so druckte er es selber aus — zu den anderen weiter 
zu tragen, wenn er einmal nicht mehr sei — diese vom Standpunkt der 
anderen aus menschlich begreifliche, aber ihm selber oft Stunden bitterster 
Niedergeschlagenheit bereitende Tatsache soil auch in anderem Zusammen- 
hang bedacht werden. 

Unter den bedeutenden Kunstlern, die jetzt an der Wiener Hofoper 
tatig sind und die fast durchwegs von Mahler gefunden und erzogen wurden, 
wird vielleicht mancher sein, der von stacheligen Launen, ja, mag sein, 
von grausamer Willkur des Augenblicks, aber keiner, der von Zuriick- 
setzung oder gar von einer Hemmung seiner Entfaltung zu erzahlen vermag. 
Das konnen nur die, deren Unproduktivitat vor Entfaltung sicher war. All 
diese grofien Gesangsdarsteller, die Mildenburg und die Gutheil, Weide- 
mann, Schmedes, Hesch und Mayr, aber auch andere Begabungen von 
minder hohem, wenn auch genug reizvollem Wesen werden laut bekennen, 
dafi sie das Beste, wenn nicht das Ganze ihrer Kunst der Fuhrung Gustav 
Mahlers verdanken; dafi er ihnen Bereiche erschlossen hat, von denen sie 
nichts geahnt hatten und die sie allein nie gefunden hatten; dafi er ihnen 
Moglichkeiten der Vollendung gezeigt, eine Reinheit des Stils, eine uber- 
redende und doch immer die schamhafte Keuschheit des Ausdrucks wahrende 
Macht der Entaufierung und Entruckung gegeben hat, die mit den Scham- 
losigkeiten des Theaterbetriebs nichts zu schaffen hatte, und die das 
Werden, die Arbeit des Gestaltens, das langsame Erwachsenlassen eines 
neu wiederzugebenden Werks noch mehr zu Andacht und Fest machte, 
als es dann die endgiiltige Erfiillung vor den Vielzuvielen war. Aber auch 
Mahlers boshafteste Feinde, auch jene, die von der Hoheit seiner Seele 
und dem leidenschaftlichen Fanatismus seiner nur die Schopfung ver- 
langenden und der Beschwerden der Wehleidigen nicht achtenden Kunst- 
iibung keine Vorstellung haben konnten, weil ihrem nur auf Erfolg, Vor- 
wartskommen, hohe Gage gerichteten Sinn von Anbeginn an jede derartige 
von den Eitelkeiten des Ich abgewandte, nur der Sache dienende Regung 

XIII. 6. 23 



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354 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

fremd und unverstandlich bleiben muBte — auch diese haben immer ein- 
gestehen mussen, daC die Arbeit mit Mahler, der Reichtum dieser schenkenden 
Stunden, die Fiille der Anregung und des Lernens das Hochste war, was 
sie erleben durften, und daC sie all die w Unbill a gem noch einmal ertriigen, 
wenn ihnen noch solche „Probetage a mit Mahler vergonnt werden konnten. 
Dieser „Unmensch a faszinierte alle. Sogar den Gehassigen. Um wieviel 
mehr erst den, der sich ihm ganz ergab und fur den er zum Verhangnis 
werden konnte; er war dann Hebbel gleich, hatte etwas vom „Gehirn- 
raubtier", schopfte und leerte die Menschen aus, die nicht immer Vorrat 
genug hatten, um ihn mit Mahler und an ihm zu erneuern. Er hat Menschen 
gesucht und eben dadurch auch Menschen verbraucht wie wenig andere, 
und hatte doch, wenn er nicht eben durch Niedrigkeit, Falschheit oder 
Untreue enttauscht wurde, selbst eine oft ruhrende Treue gegen solche, 
die ihm auch nur den Wahn des Verstandenwerdens gegeben hatten. Aber 
von diesen gleichfalls viel verkannten und verleumdeten Beziehungen zu 
sprechen, ist hier nicht der Ort und ist es, mit wenigen Ausnahmen, zu 
friih: die, denen er sich darbrachte und denen er Wunden schlug, sind 
noch zu nahe unter uns. 

Mahler ist vielleicht menschlich von einem nicht freizusprechen: daG 
er in seinem sachlichen Fanatismus gar kein Gefiihl fur Allzumenschliches 
hatte; daO er ganz unfahig war, sich in kleine Gesinnung hineinzudenken, 
und mehr: daC er unbarmherzig gegen sie war. Er wuCte es wohl gar 
nicht, wie tief und unheilbar er die Empfindung schwacherer und gerade 
durch ihre innere Unsicherheit verwundbarerer Menschen verletzte, und 
konnte grausam gegen solche werden, bei denen er ihres kleinlichen Eigen- 
diinkels oder auch nur ihrer kiinstlerischen Mangel halber manche Quali- 
taten des Gemuts oder des Charakters iibersah. Auch kummerte er sich 
gar nicht darum; er war immer so tief in seine Aufgabe verstrickt, dafi er 
fur Sentimentalitaten nicht Zeit zu haben glaubte, und schroff beiseite 
schob, was ihn hemmen konnte. Freilich aber: immer nur bei solchen, 
mit denen auch nicht die geringste Verstandigung moglich war. Wo er 
den Willen zur Mitfolge spiirte und Vertrauen zu seiner Fuhrung, hat er 
sich auch immer aufgeschlossen, und wenn solche Mitarbeiter auch — wie 
jeder, der mit ihm zu tun hatte — unter seinen sprunghaften Launen und 
Unberechenbarkeiten zu leiden hatten, konnte sich doch nur Verstandnis- 
losigkeit durch ihn wirklich verletzt und bis zur Unversohnlichkeit gekrankt 
fiihlen. Sicher aber, daC gerade diese MiBachtung kleiner Menschlichkeiten 
es war, die ihm unheilvoll wurde und die ihn und uns um die Vollendung 
seines Reformwerkes brachte. 



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EINE NACHLESE UNGEDRUCKTER WAGNER 

BRIEFE 

MITGETEILT VON LA MARA 



I. 

An Matteo Salvi, 

Operndirektor in Wien 1 ) 

Wien, 18. Nov. 61. 
Sehr geehrter Herr Direktor! 

Ich lese in verschiedenen Blattern, unter Anderem in der Ost- 
Deutschen Post von vorgestern, die Notiz, daB mir von der hohen k. k. 
Hoftheater-Direktion fiir meine Oper „Tristan und Isolde" ein Honorar 
als Reugeld ausgezahlt worden sei. 

Ich glaube mich nicht ohne Anspruch auf Erfolg an Sie mit der 
Bitte wenden zu diirfen, durch eine prompte Erklarung jener Behauptung 
entgegen treten zu wollen, und erwarte Ihre gefallige Anzeige davon. 

Mit groCter Hochachtung habe ich die Ehre zu verbleiben 
Ihr sehr ergebener Diener 

Richard Wagner 

II. 
An Buchhandler ? in Leipzig 2 ) 
Geehrtester Herr! 

Mit meinem besten Dank fiir die letzten Besorgungen, ersuche ich 
Sie heute mit der gefalligen Anschaffung der auf dem beifolgenden Zettel 
verzeichneten Bucher fiir mich fortfahren zu wollen. Sie wiirden mich 
sehr verbinden, wenn Sie zuvor von diesem Verzeichnisse Herrn Dr. H. 
Brockhaus Kenntnifi geben und seine Meinung iiber die von mir getroffene 
Auswahl einholen wollten; jedenfalls ware es mir lieb, wenn er bei dieser 
Gelegenheit davon benachrichtigt wiirde, daB ich auf diese Weise zur 
Selbsthilfe geschritten bin und ihn demgemaB von jeder Bemiihung in 
dieser Angelegenheit befreit zu wissen wiinsche. 

Die Zahlung wollen Sie gefalligst, nach Anzeige des Betrages an 
mich bei Gelegenheit der Sendung, in Leipzig selbst von mir zugesendet 
erwarten, da ich es leichter habe eine Zahlung an Sie dort anzuweisen, 



J ) Autograph in der Bibliothek der Accademia Santa Cecilia in Rom. 
2 ) Autograph aus dem Besitz von Frau Sofie Schubart-Czermak in Dresden. 

23* 



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356 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

als die nicht unansehnliche Vertheuerung durch die Kosten des Postvor- 
schusses zu tragen. 

Fiir den Einband der Bucher werde ich von jetzt an hier am Orte 
selber sorgen, da ich neuerdings mit einem geschickten Buchbinder mich 
zur Zufriedenheit eingerichtet habe. 

Hochachtungsvoll ergebenst 

Richard Wagner 
Luzern, Hof Tribschen, 15. Juni 1869. 

[Auf einem beiliegenden Zettel:] 

1. Weber. „Indische Studien", Berl. u. Lpz. 1848. 

(Auswahl der Bearbeitungen der „Upanishat a .) 
2. 1 ) Roth. „Zur Literatur des Veda.* Stuttg. 1846. 

3. Brockhaus. Indische Mahrchen. Aus dem Sanskrit iibersetzt. 
(Deutsch.) Lpz. 1859. (2 Bdchen.) 

(Die Ubersetzung allein. 2 Thle. 1843.) 

4. „Prabodhatschandrodaya a (deutsch iibersetzt) Konigsb. 1842 (bei 
Theile). 

5. Wilson. Indisches Theater, (deutsch iibers. von Wolff.) 2 Bde. 
Weimar 1828. 

6. Benfey. Pantschatantra. Indische Fabelsammlung. (Deutsch.) 
Leipzig 1859. 2 Bande. 

7. Lassen. „Indische Alterthumskunde.* 4 Bde. Bonn (1844 — 61). 
Bd. 1 (2. Auflage) Lpz. 1867. 

8. Saint-Hilaire. „Essai sur la philosophic S&nkhya. a Paris 1852. 

9. Colebrooke. „Essai sur la philosophic des Hindous." Franzosisch 
von Pauthier. Paris 1833. 

III. 
An die Hofoperndirektion in Wien 2 ) 

Werthester Freund ! 

Es thut mir wahrhaft leid, dafi die erste Nachricht, welche ich seit 
meinem Fortgange aus Wien von dorther erhielt, die beiliegenden Zeilen 
des Fraulein v. Siegstadt sein muBten. 

Uber die Beurlaubung dieser Dame war ich mit Herrn Direktor Jauner 
vollstandig iibereingekommen; es schien mir dies auch im Einklang mit 



') Daruber steht von fremder, vcrmutlich von Prof. Brockhaus* (Wagners 
Schwager) Hand, deren Korrektur auch an anderer Stelle sichtbar ist, eingefugt: 
w Colebrooke uber die Vedas, Qbers. von Poley." 

2 ) Autograph dieses und der folgenden 2 Briefe aus dem Besitz von Opern- 
direktor Jauner in Wien. 



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LA MARA: UNGEDRUCKTE WAGNERBRIEFE 357 

den Versicherungen des Fiirsten Hohenlohe zu stehen, welcher mir schlieClich 
von selbst das Versprechen gab, jedc erdenkliche Rucksicht auf meine 
Auffuhrungen in Bayreuth zu nehmen. Sollten dagegen dies Alles nur 
schone Worte gewesen sein? Ich wiirde fur diesen Fall annehmen, dafl 
man den Vorsatz gefafit, mich in Wien nicht wiederzusehen. — 

Eine freundliche Nachtfcht fiber den Fortgang des Lohengrin ware 
mir wohl erwunschter gewesen; ich liugne das nicht! 

Vielleicht folgt alles Gute noch nach? 

Mit den besten Gruflen 

Ihr ergebenster 

Richard Wagner 

Bayreuth, 20. Dez. 1875. 



IV. 
An Operndirektor Franz Jauner in Wien 

Geehrtester Freund! 

Wegen Mifibrauches der ihm eingeraumten Rechte, ist gegen F. die 
Klage meinerseits einem ausgezeichneten Advokaten Berlins ubergeben. 1 ) 
Es ist mir unmoglich zugleich einen Revers zu unterzeichnen, welcher ihm 
die usurpirten Rechte im allerweitesten Mafie zuerkennen wiirde. Ich 
unterdriicke den Ausdruck meiner Verwunderung iiber die vom Herrn 
Finanzprokurator mir gestellte Zumuthung, bekenne aber zugleich das Leid- 
wesen, in welches mich dieser Fall in Betreff der Direktion des k. k. Hof- 
operntheaters versetzt. Da ich unverantwortlich handeln wiirde, zu Un- 

gunsten meines und meiner Erben Vermogensstandes eine zu 

begiinstigen, mufi ich es vorziehen, ein Einschreiten der k. k. Hofopern- 
direktion, welche hierzu vielleicht gegen mich gedrangt sein durfte, abzu- 
warten, da ich zu gleicher Zeit mein Recht auf das Energischeste zu 
verfolgen gedenke 

Sie werden als zartfiihlender Mensch und Kiinstler, leicht ermessen, 
wie leid es mir thut, meinen letzten GruB aus diesem fur uns Beide so 
ergebnifireichen Jahre in dieser Weise an Sie richten zu miissen. Noch 
bleibt mir jedoch die schone Erinnerung an meinen „ Lohengrin" I 



l ) F., in Nachfolge Mesers Verleger des w TannhSuser a , stellte die Forderung, 
an den zwischen Wagner und der Wiener Opernleitung vereinbarten Tantiemen fur 
die nachkomponierten Tannhauserszenen partizipieren zu wollen. Er hatte sich, 
wahrend der ProzeB zwischen ihm und Wagner schwebte, an die Direktion der Hof- 
oper mit dem Verlangen gewandt, dali weitere Auffuhrungen des „Tannhauser a 
unterbleiben sollten, bis das Gericht gesprochen haben wurde. Doch ging die Direktion 
nicht darauf ein; auch entschied das Gericht zu Wagners Gunsten. 



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358 DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

Bitte griiBen Sie Nollet, Miiller und Frau Kupfer herzlichst von mir! 
Sie haben mir als wahrhaft gute Kinder groBe Freude gemacht. Meine 
Erkenntlichkeit fiir den Chor hoffe ich sehr ernstlich nachstens bezeugen 
zu konnen: im Betreff der von Ihnen so wiirdig zugestandenen Benefiz- 
auffiihrung bitte ich Sie nur die Direktions-Einnahme an diesem Abend 
so gering wie raoglich zu bezeichnen, wogegen ich jedenfalls auf die 
Tantieme dieser Vorstellung, so wie auf Ersatz der Reise- und Aufent- 
haltskosten durchaus verzichte. Jeden Tag, der Ihnen beliebt, bin ich 
bereit einzutreffen. 

Die herzlichsten GriiBe von Haus zu Haus von 

Ihrem 

sehr ergebenen 
Richard Wagner 
Bayreuth, Sylvesterabend 1875. 



V. 
An Operndirektor Franz Jauner in Wien 

Theuerster Freund! 

Es ergeht an Sie die Bitte, das uns verheiBene Don Juaner- (Jauner) 
Gastmahl auf 4 Uhr anzuberaumen, falls Ihnen dieB nicht unangenehm 
ist. — AuBerdem ersuche ich Sie noch urn die ErlaubniB (oder Gestattung) 
nebst dem Fiirsten Liechtenstein und Dr. Standhartner auch raeinen armen 
(sonst vernachlassigten) Freund Dr. Gustav Schonaich mitbringen zu diirfen. 

Gott wird Ihnen hierbei helfen, in welcher festen Annahme ich ver- 
harre als 

Ihr 

allezeit Musikdirektionsbeflissener 
Supernumerar- Kapellmeister 



Richard Wagner 



Wien, 3. Marz 76. 



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DIE NOT DER BOHNEN- KOMPONISTEN 

VON EDGAR ISTEL IN BERLIN-WILMERSDORF 



Die „Musik a hat im zweiten Novemberheft des laufenden Jahrganges einen 
„Aufruf zur Grundung einer Organisation von Komponisten ernster dra- 
matischer Werke" des Herrn Dr. Konta in Wien veroffentlicht und sich 
damit dankenswerterweise zum Organ einer Bewegung gemacht, die sicher 
noch weitere Kreise Ziehen wird, wenn sie wohl auch auf ganz anderer Basis, als 
Dr. Konta sich denkt, zum Ziele kommen durfte. Da Herr Dr. Konta zum SchlufJ 
Vorschlage und Rat von „Leidensgenossen a erbittet, darf ich mir wohl gestatten, 
auf Grund meiner Erfahrungen einiges zur Sache beizutragen, und ich hoffe, daQ 
meine Ausfiihrungen wiederum zum Ausgangspunkt weiterer Erorterungen werden, 
denen die „Musik a , soweit sie sich rein sachlich halten, auch weiterhin Raum 
gonnen wird. 

Der langen Rede kurzer Sinn war bei Herrn Dr. Konta folgendes, das zu 
rekapitulieren wohl nicht ganz unnotig ist: 

1. Es soil eine ^Organisation der Komponisten ernster dramatischer Werke" 
geschaffen werden. 

2. Die betreffenden Komponisten sollen zunSchst einmal, bis die Organisation 
lebt und lebensfahig ist, „auf einige Woe hen" (?!) weder Theatern noch 
Verlegern ihre Wcrke anbieten. 

3. Die Organisation soil dann „das wirtschaftliche Elend, das nach Beendigung 
eines Buhnenwerkes den Schaffenden niederdruckt, aus der Welt schaffen." 
Insbesondere: „Das Hausieren mit der neuen Arbeit soil vermieden werden, 
und der Zwang zur Verschuldung durch die auf Kosten des Kiinstlers ge- 
forderte Herstellung des Materials soil aufhoren." 

Diesen drei Punkten fiigt Dr. Konta die Bemerkung an, er hatte eine Reihe 
von Vorschlagen zu machen, wie diesen Hauptubeln abgeholfen werden konnte, 
— aber gerade die Sufterst wichtigen positiven Vorschlage, wie die gerugten Zu- 
stSnde gebessert wurden, bleiben vorlaufig Geheimnis des Herrn Dr. Konta. Fragen 
wir nun lieber gleich, ob uberhaupt diesen Ubeln abgeholfen werden konne? Dazu 
mussen wir uns die einzelnen Punkte der Kontaschen Feststellungen einmal genauer an- 
sehen. Schon der erstePunkt leidet an einem bemerkenswerten Mangel an Klarheit. Was 
heifit zunSchst: ^Komponisten ernster dramatischer Werke"? Herr Dr. Konta meint 
das doch sicher nicht so, dafi nur Komponisten blutrunstiger Texte beitreten durfen, 
wahrend Verfasser heiterer Opern nicht zugelassen werden? Bleibt also nur die 
Deutung: Komponisten, die kunstlerisch ernst zu nehmen sind. Ich vermute, Dr. Konta 
will hier gegen die von ihm nicht kunstlerisch ernst genommenen Operettenkompo- 
nisten Front machen. Nichts verfehlter als dies! Die Komponisten der „Fledermaus a 
und der „Schdnen Helena" sind sicherlich kunstlerisch ernster zu nehmen als viele 
der Kapellmeistergefolgschaft Wagners, und mir personlich wenigstens ist eine so 
entzuckend delikate Partitur wie die von Leo Falls „Lieber Augustin" ungleich 
kunstlerisch wertvoller als die Erlosungs- und Stabreim - Opern der Gegenwart. 
Mit solcher Menschenmakelei kommen wir also nicht weiter. Da sind doch die 
Literaten weit taktvoller und — gescheiter. Vor wenigen Tagen erst fand die Haupt- 
versammlung des „Verbandes deutscher Buhnenschriftsteller" in Berlin statt, eine seit 
mehreren Jahren bestehende Organisation, der rund 200 dramatische Autoren, darunter 
allerdings nur sehr wenige Komponisten — ich habe die Ehre, gleichfalls dazuzu- 
gehoren — beigetreten sind. Die Aufnahmebedingungen fur die Mitgliedschaft sind 



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360 DIE MUS1K XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 

sehr streng: der Autor muB, abgesehen davon, dafi er eine Aufnahmekommission zu 
passieren hat, mit eincm abendfiillenden Buhnenwerk an einem offentlichen Theater 
— keine Liebhaberbuhne! — in einer Stadt von mehr als 200000 Einwohnern wenigstens 
dreimal zur Auffuhrung gekommen sein. In dieser also sehr durchgesiebten Ver- 
sammlung beriet man unter anderem uber die Forderung junger Talente, die es auch 
in der Literatur auGerordentlich schwer haben, aufgefuhrt zu werden; denn es bleibt 
eben der ewige circulus vitiosus: wer nicht bekannt ist, wird nicbt aufgefuhrt, und 
wer nicht aufgefuhrt ist, wird nicht bekannt. Da sprach Hermann Sudermann 
in der Debatte ein paar prSchtige Worte, die ich hier zu Nutz und Frommen der an- 
scheinend viel weniger demokratisch gesinnten Musiker dem Sinne nach wiederhole: 
„Hier gibt es keine beruhmten und unberuhmten, keine genialen und talentierten, 
keine Ewigkeits- und Tagesschriftsteller, sondern einfach nur Kollegen: wir sind 
hier alle gleich.* Konnten wir ewig im Streit liegenden Musiker uns nicht auch 
einmal zu solcher vornehmen Gesinnung emporschwingen? Aber es ist nicht 
nur taktlos, sondern auch unklug, die Operetten- und Possenmusiker von 
vornherein auszuschliefien. Eine Organisation gegenuber den Buhnen kann nur 
dann wirklich funktionieren, wenn sie Macht und Geld ihr eigen nennt. Wie viele 
„ernste a Komponisten aber haben heute eine solche Macht und solche Einnahmen, 
daB sie den Direktoren notigenfalls ihren Willen zugunsten der weniger gesegneten 
Kollegen aufzwingen konnten? Denn darauf kommt es an: gutwillig werden 
die Buhnen niemals MiGstfinde abscbaffen! Das Deutsche TheateradreQbuch von 
1912/13 — der eben erschienene neuejahrgang 12Bt leider diese wichtige Rubrik ver- 
missen — zahlt die meistaufgefuhrten Autoren auf. Unter den lebenden „ernsten" 
deutschenOpernkomponisten finde ich nur vier und, wenn man den von einem deutschen 
Vater abstammenden Deutsch-Italiener Wolf- Ferrari dazu rechnet, funf Komponisten 
deren Auffuhrungsziffern das Mittelmafi uberschreiten. Es sind dies: d'Abert mit 362, 
Humperdinck mit 315, Kienzl mit 127, Straufi mit 443 und Wolf-Ferrari mit 134 Auf 
fuhrungen. Diese Ziffern bleiben weit hinter den Auffuhrungszahlen der groCen 
Toten — Wagner, Verdi, Bizet, Gounod, Lortzing, Mozart, Weber usw. — zuruck und 
noch viel weiter hinter denen der Auffuhrungsziffern der lebenden Operettenkompo- 
nisten, von denen nicht weniger als zwolf mit ganz ungeheuerlichen Ziffern flgurieren, 
z. B. Lehar mit 3176 und Fall mit 3168 Auffuhrungen. Und nun will ich Herrn 
Dr. Konta auch noch ein offenes Geheimnis verraten: Selbst die „Vertriebstelle des 
Verbandes deutscher Buhnenschriftsteller" macht nur deshalb so glanzende Geschafte, 
weil sie fast sSmtliche Werke von Jean Gilbert hat, dem Autor der von alien „ernsten* 
Komponisten sicher nicht sehr wertgeschatzten „Tangoprinzessin a und Shnlicher 
leichter Ware. Wie soil nun den armen „ernsten" Autoren geholfen werden, wenn 
nicht mit dem Gelde der so verachteten Unterhaltungskunstler? Gibt es eine andere 
Moglichkeit? Ich kenne keine, es sei denn, man uberrede irgendeinen Krosus, ein 
MilliSnchen oder mehr zu dem menschenfreundlichen Zwecke des Herrn Dr. Konta 
zu stiften. w Geschafte, nicht Literatur machen soil die Vertriebsstelle", wurde 
neulich unter allgemeinem Beifall in der geschilderten Generalversammlung aus- 
gerufen. „Realpolitik, nicht Gefuhlspolitik treiben", rufe ich jetzt Herrn Dr. Konta 
zu. Keine irgendwie lebensfahige Organisation wird die Opernkomponisten der 
Muhe uberheben konnen, auch ein wenig kaufmannisch geschult zu sein und sich 
um ihre eigenen Angelegenheiten zu kummern. Das wirtschaftliche Elend selbst 
konnte nur ein Almosen und Vorschiisse verteilender Verein mildern, von dem es 
aber ratselhaft bleiben wird, woher er seine Gelder beziehen soil. Wer nicht mit den 
realen Machtfaktoren seiner Zeit rechnen kann, der soil eben lieber Symphonieen statt 
Opern schreiben. Zu irgend jemandem mufl der Komponist nun schon einmal, ehe 



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ISTEL: DIE NOT DER BUHNEN-KOMPON1STEN 361 

er beruhmt und also begehrt ist, sein Werk tragen, und wem es entwurdigend erscheint, 
selbst zu Kapellmeistern und Direktoren zu fahren, der muB mindestens zu den Ver- 
legern und Agenten gehen, die zwar gerne ihre Prozente einstreichen, aber trotzdem 
alle Muhe und Arbeit dem Autor uberlassen. Komme icb nun zum Schlufi, so 
meine ich: 

1. Eine Organisation aller Buhnen- Komponisten ohne jede Ausnahme, mit 
alleinigem strengen AusschluB der Dilettanten, ist dringend notig, schon des Rechts- 
schutzes halber. 

2. Nur eine kaufrnfinnisch geleitete Vertriebsstelle kann den Komponisten ein 
entwurdigendes Hausieren abnehmen. 

3. Beide Organisationen sind bereits fertig vorhanden und braucbten nur fur 
spezielle musikalische Bedurfnisse etwas erweitert zu werden: der Verband deutscber 
Buhnenschriftsteller (Adresse: Berlin W, MotzstraBe 19) sieht ausdrucklich auch die 
Aufnahme von Buhnen - Komponisten vor, und treten diese in groBerer Zabl beu 
so wird ihnen sicher auch der entsprechende EinfluG auf die Fuhrung der Vereins- 
angelegenheiten einger2umt werden. Die vereinigten Buhnenschriftsteller und 
Komponisten aber werden eine Macht bilden, die auf unser gesamtes Theaterwesen 
einen ungleich st^rkeren Druck auszuuben vermag als die immer sehr schwer unter 
einen Hut zu bringenden und als Einzelgruppe fast einflufilosen „ernsten tt Kompo- 
nisten. Mich sollte es freuen, wenn recht viele Kollegen meinem Rate folgten, so 
daft ich in der nachsten Hauptversammlung nicht wieder der einzige Musiker bin; 
dann werden wir der Gesamtheit der dramatischen Kollegen wohl auch einmal die 
speziellen Musikerschmerzen vortragen konnen, und ich bin gewiB, wir werden bei 
der groftzugigen und vornehmen Gesinnung dieses Verbandes auch hierfur ein offenes 
Ohr finden. Vor der Eigenbrodelei einiger weniger Manner, die weder Geld noch 
Macht in die Wagschale zu legen haben, mochte ich jedoch dringend warnen. Und 
nun warte ich gerne darauf, daB dieser Vorschlag offentlich weiterdiskutiert wird. 



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BESPRECHUNGEN 



BUCHER 

70. Armin Osterrieth: Der sozialwirt- 
schaftliche Gedanke in der Kunst. 
Helwingsche Verlagsbuchhandlung, Han- 
nover. (Mk. 2.—.) 

Was der Verfasser hier in zusammen- 
hangender Form darstellt, hat er zum Teil 
bereits in der „Musik al ) und in anderen Zeit- 
schriften erortert. Man kann ihm theoretisch 
in vielen wesentlichen Punkten beistimmen und 
vor allem in der Beseitigung des Zwischen- 
handels auf kunstlerischem Gebiete das zurzeit 
erstrebenswerteste Ziel einer vernfinftigen 
p Kunstpolitik a erblicken. Ich glaube aber, daB 
in praxi durchaus nicht alles schon und gut 
werden wfirde, sobald die Kfinstler sich organi- 
sieren und ihre geschaftlichen Angelegenheiten 
selbst erledigen. Erstlich, weil es den Kfinstlern 
zumeist an kaufmSnniscber Begabung und Er- 
fahrung fehlt; und zweitens, weil Kunstler- 
organisationen, wie man weiB, fast immer zu 
Cliquenbildungen fuhren, die in materieller 
Hinsicht vielleicht keinen allzu groBen Scbaden 
anrichten, in ideeller Hinsicht aber sicberlich 
noch viel gefahrlicher sind, als die oft skrupel- 
losen Geschaftsleute, denen die Kunstler bisher 
ausgeliefert waren. — Die Lage der Schauspieler 
und der bildenden Kunstler fiberschaut der 
Verfasser mit klarem Blick; dagegen scheint er 
auf musikalischem Gebiete nicht ganz so gut 
orientiert zu sein. So weiB er z. B. gar nicht 
genug Rfihmenswertes fiber die Genossenschaft 
deutscher Tonsetzer zu sagen; aber er sieht die 
andere Seite nicht: Ffinf Jahre lang ist jeder 
Neueintretende w auBerordentliches a Mitglied, hat 
als solches weder Sitz noch Stimme in den 
Generalversammlungen, darf sogar nicht einmal 
zuhoren(!), ist aber trotzdem an alle Beschliisse 
der Generalversammlungen gebunden, denen er 
sich bedingungslos unterwerfen muB, wenn er 
nicht einen sehr wesentlichen Teil seiner Recnte 
(sogar den Anspruch auf eine Alterspension) 
verlieren will; nach diesen funf Jahren wird er 
nur dann ordentliches Mitglied, wenn die Haupt- 
versammlung ihn hierzu „ernennt a usw. usw. — 
Sehr schwierig ist die Frage des Zusammen- 
schlusses der konzertierenden Kunstler. Die 
„Beruhmten a werden nicht mitmachen wollen, 
schon deshalb nicht, weil sie es nicht notig 
haben, zudem mit ihren Agenten ganz gut aus- 
kommen und sich vor allem keine Konkurrenz 
groflziehen wollen. Ohne sie kann aber keine 
Organisation etwas Wesentliches erreichen. 
(Vgl. die Geschicke des Dusseldorfer Verbandes.) 
— Von einer rigorosen Anwendung des Stellen- 
vermittlungsgesetzes auf die Agenten verspreche 
ich mir auch nicht sehr viel. Wenn diese nur 
noch Vermittler, aber nicht mehr Unternehmer 
sein dfirfen, was ware damit erreicht? Gar nichts. 
Solange sie kapitalkraftig sind, wird man nur 
das durchsetzen, daft sie nominell nicht mehr 
als Unternehmer fungieren dfirfen; im fibrigen 
bleibt alles beim alten, — Die Agenten und 
Verleger sind fibrigens gar nicht so schlechte 
Menschen, wie die Fernerstehenden zumeist 
glauben; dali sie als Geschaftsleute Geschfifte 



>) XII, 17, S. 305 



7, S. 305 tl-^ y 

/nil :«v C jOOtflC 



machen wollen, kann man ibnen schliefilich 
nicht verdenken; dafl sie aber nur Gescbafte 
machen wollen, ist einfach nicht wahr. Un- 
zahlige junge Kunstler sind durch den sicberen 
Instinkt und die mutige Initiative der Agenten 
und Verleger zu Ruhm und Geld gekommen. 
Wen haben denn je die berfihmten Kollegen 
(StrauB, Nikisch, Weingartner usw.) gefordert? 
Fur welchen unbekannten Komponisten haben 
sich jemals berfihmte Sanger und Sangerinnen 
eingesetzt, wenn sie nicht hohe „Ehrenhonorare" 
daffir bekamen? Herr Osterrieth hat offenbar 
niemals hinter die Kulissen gesehen. — Uber- 
haupt: Das Eindringen sozial-wirtschaftlicher 
Ideen in die Kfinstlerkreise erscheint mir weniger 
wichtig als das Eindringen kunstlerischer Ideen 
in die Kreise derjenigen Kapitalisten, denen die 
Kunst vorwiegend ein Handelsartikel ist, und 
derjenigen Konsumenten, denen sie nur ein 
nebensachliches Amusement bedeutet. Wir be- 
kommen eine kfinstlerische Kultur nicht dadurcb, 
daB wir die Kunstler zu tuchtigen Geschafts- 
leuten heranbilden, sondern viel eher dadurcb, 
daB wir die Geldmenschen wieder zu dem 
machen, was sie fruher waren: zu Mazenen der 
Kunstler. Man darf nicht vergessen, dafl die 
Kunst kein unentbehrlicher Handelsgegenstand 
wie Fleisch und Brot, sondern ein Luxusanikel 
ist, dessen Absatzgebiet auch die idealste 
Organisation niemals festigen und erweitern 
kann, wenn die Liebhaber aussterben. Das isfs, 
darum handelt sich*s! Der Verfasser hofft, es 
werde sich w an der unmittelbaren Beruhrung 
und Reibung der organisierten Kunstlerschaft 
und des organisierten Kunstpublikums" der 
w Kunstgedanke a entzunden. Mit Verlaub: Das 
ist phraseologischer Unsinn, das ist argste Ver- 
kennung der Voraussetzungen und Bedingungen 
jeglicher kunstlerischen Wirksamkeit. Wir 
brauchen ausubende Kunstler, die ihre Horer im 
tiefsten Innern ergreifen, wir brauchen Kompo- 
nisten, die den Inhalt ihrer Zeit kunstlerisch zu 
gestalten verstehen, wir brauchen ein Publikum, 
das in der Kunst sich selbst, seine erhabensten 
Freuden und seine tiefsten Leiden sucht und 
wiedererkennt; aber wir brauchen nie und 
nimmer organisierte, bilanzsichere Kunst - 
produzenten und -konsumenten. Kein wahrer 
Kunstler sucht fur das, was er gibt, Eier, Butter 
und KSse, oder meinethalben Kaviar und Austern 
einzuhandeln. Er schafft nicht, um zu leben 
(am allerwenigsten, um „gut u zu leben), sondern 
er lebt, um zu schaffen. Nur die Tingeltangel- 
komponisten und die Operettenschreiber arbeiten 
fur ihren Geldbeutel und ihre Verdauung; nur 
ihre TStigkeit (die keine kfinstlerische Tatigkeit 
ist) laBt sich dem allgemeinen Wirtschaftsbetrieb 
eingliedern. Eine Operette kann ein unent- 
behrlicher Gebrauchsartikel sein; ein Streich- 
quartett ist immer nur ein Luxusgegenstand, 
fiberflussig im wirtschaftlichen Sinne. — Kunst 
ist Geschenk; sie rechnet auf Dankbarkeit, aber 
sie kann niemals mit fasten Verdiensten rechnen. 
Ein Kulturfaktor kann sie nur sein, solange es 
Mazene gibt. (Bemittelte, die zugunsten der 
Unbemittelten fur kfinstlerische Darbietungen 
mehr ausgeben, als ihnen diese wirklich wert 
sind.) Von den Gegengeschenken ist nicht zu 
reden. ^JehweiiBrWohl, der eine Kunstler wird 

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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN) 



363 



zu reich beschenkt, und der andere darbt un- 
verdient. Aber das war schon vor 1000 Jahren 
so und wird nach abermals 1000 Jahren trotz 
aller Organisationsversuche nicht anders sein. 
Quod Deus bene vortat. 

Dr. Richard H. Stein 

71. Julius Kapp; Paganini. Eine Biogra- 
phic Mit 60 Bildern. Verlag: Schuster & 
Loeffler, Berlin und Leipzig. (Mk. 5. — .) 
Es war eine sehr gute Idee des Autors, seiner 
Biographte des groBten Klaviervirtuosen des 19. 
Jahrhunderts, Liszts, eine Lebensbeschreibung 
des groBten Violinvirtuosen derselben Zeitepoche 
folgen zu lassen, um so mehr, als wegen der 
Durftigkeit der vorhandenen deutschen, auBer- 
dem auch vollig veralteten Paganiniliteratur ein 
direktes Bedurfnis nach einer solchen Biogra- 
phie unleugbar vorhanden war. Der Verfasser, 
dessen Darstellungstalent und flotte Schreibweise 
uns wieder ein sehr lesbares, auch stofflich inter- 
essantes Buch geschenkt hat, hat die groBte 
Muhe auf Herbeischaffung neuen Materials ver- 
wendet; vor allem stand ihm der handschrift- 
liche NachlaB des groBen Geigers, insbesondere 
dessen Ausgaben- und Einnahmenbuch zur Ver- 
fugung. Mit mancher Legende hat er grundlich 
aufgerSumt. So wird man jetzt nicht mehr be- 
haupten durfen, daB Paganini Berlioz aufgefordert 
babe, fur ihn ein Konzert fur Bratsche zu kom- 
ponieren; dies ist nur von Freunden Berlioz' 
aufgebracht worden, um fur diesen mehr Inter- 
esse zu erregen. Als Spender der beruhmten 
20000 Francs fur Berlioz ist die Personlichkeit 
des iiberaus geizigen Paganini auch nur von 
einem unbekannt bleiben wollenden Wohltater 
vorgeschoben worden. Wohl aber bleibt auch 
nach Kapps Forschungen die Moglichkeit ofPen, 
daB Paganini eine Zeitlang im Gefangnis ge- 
sessen hat, wenn auch die Legende, daB er dar- 
in sein Spiel auf der bloBen G-Saite ausgebildet 
habe, haltlos ist. Von den zahllosen Liebes- 
handeln des Kunstlers, dessen Leben wirklich 
ein Roman gewesen ist, berichtet Kapp sehr 
Interessantes, auch von seiner Leidenschaft fur 
das Spiel, zu dessen volliger Aufgabe er in einem 
besonders kritischen Fall ahnlich wie Wagner 
sich dann entschlossen hat. Sehr verdienstvoll 
ist die biographische Tabelle, die Zusammenstel- 
lung von Berichten beruhmter Zeitgenossen, die 
Paganini-Bibliographie und der Nachweis seiner 
zahlreichen ungedruckt gebliebenen Komposi- 
tionen. Interessant sind die mitgeteilten AuBe- 
rungen Otokar Sev6iks uber die Bedeutung Pa- 
ganini's in der Geschichte der Violine; miBver- 
standen kann darin leicht werden, was uber die 
von Paganini beliebte Umstimmung der Violine 
gesagt ist; er spielte doch tatsSchlich in D-dur, 
nie in Es-dur (wie das Orchester), wenn er seine 
Violine einen halben Ton hdher als das Orches- 
ter einstimmte. Diese Umstimmung (einen hal- 
ben Ton hoher) hat ubrigens Mozart vielleicht 
als erster in seiner Konzertante fur Violine und 
Bratsche in Es fur die Bratsche vorgeschrieben. 
Das auBerordentlich reichhaltige Bildermaterial 
enthait naturlich auch verschiedene Proben der 
Schriftzuge und Notenschrift Paganini's. Infolge 
der vornehmen Ausstattung eignet sich das Buch 
sehr gut als Geschenk fur Geiger. 

W i 1 h e 1 ny A*l t m a n n t 

:i/r?r! :v, \ lOOOl 
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D '::;]'« 



MUSIKALIEN 

72. Theodor Blumer juii.: Drei Klavier- 
stiicke. op. 30. Verlag: N. Simrock, G. m. 
b. H., Berlin und Leipzig. (Mk, 2. — .) 

73. Desire Paque : Chants intimes, suite 

poStique. op. 36. (Mk. 3.—.) — Im- 
promptu, op. 49. (Mk. 2.—.) — Huit 
morceaux. op. 56. (Mk. 3. — .) — Six 
morceaux. op. 59. (Mk. 3.— .) Verlag: 
N. Simrock, G. m. b. H., Berlin und Leipzig. 
Von den kleinen Klavierstucken Blumers 
spricht am meisten No. 3 (Rdverie) mit seinen 
rhythmischen Feinheiten an; die beiden andern 
sind sprode in der Erfindung und oberflacblich 
in der Wirkung. Paque hat zweifellos Ideen, 
weiB sie aber nicht immer formgerecht und 
wirkungsvoll zu behandeln. Am wenigsten be- 
friedigt das etwas fadenscheinige Impromptu; 
von den kleinen Stucken, die sehr ungleich- 
artig in Gedanken und Aufbau sind, sind die 
der ersten Sammlung samtlich besser als die 
der zweiten; in der Suite uberwiegen hinein- 
geheimnisste auBermusikalische Gedanken mit 
unklarer Symbolik den rein tonlichen Gehalt, 
der gering ist. 

74. Eugen Gunst: Sonate-fantaisie (f-moll) 
pour piano, op. 8. Verlag: P.Jurgenson, 
Moskau und Leipzig. (Rbl. 2. — .) 

75. Gottfried von Lingeu: Son ate fur 
Klavier in d-moll. op. 4. Odeonverlag, 
Munchen. (Mk. 5. — .) 

76. Otto Manasse: Metamorphosen fur 

Klavier. Verlag: Ries & Erler, Berlin. 

(Mk. 3.-.) 

Sehr unerfreuliche Belege mangelnder rein 
musikalischer Begabung, die sich aufs Kom- 
ponieren legt. Weder wirklich lebensfahige 
musikalische Ideen noch Gefuhl fur formale 
Behandlung und Architektonik ist vorhanden, 
dagegen macht sich ein durchaus abstraktes, 
blutleeres Tonspiel geltend, Uber Manasse's 
ungenieBbarer Komposition steht frevelhafter- 
weise der Name Bachs, dessen Tone den 
Ariadnefaden bilden, an dem man, leider erst 
nach einigen Irrfahrten, das Labyrinth ver- 
lassen kann. 

77. Hugo Riemann: Zehn Klavierstucke 
zu zwei HSnden. (Riemann-Album.) Ver- 
lag: C. F. Kahnt Nachf., Leipzig. (Mk. 1.50.). 

78. Josef WeiB: Suite in Walzerform fur 

Pianoforte, op. 40. Verlag: F.E.C.Leuckart, 
Leipzig. (Mk. 3.—.). 
Die beiden anspruchslos auftretenden, aber 
gediegene Musik leichteren Genres enthaltenden 
Hefte wird man im Unterricht mit Nutzen 
brauchen konnen. Ich hebe besonders die Suite 
hervor, der in hochst grazioser Weise Walzer- 
taktierung zugrunde gelegt ist. 

Albert Leitzmann 

79. Hans Huber: Ein Liederspiel nach 
alten Tanzliedertexten, fur Manner- 
chor, Soli und zweihandige Klavier- 
begleitung. Verlag: Max Pohl-Wohnlich, 
Basel. (Kl.-A. Mk. 3.-.) 

DerKomponisthatdenvolkstumlichenDialekt- 
versen eine musikalische Fassung, etwa im Stil 
eines modulatorisch und harmonisch gesteigerten 
Genre w Koschat tt , gegeben. Den beschrankten 
Moglichkeiten des ilf|^g^pcji|cf ^^s verleiht die 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



364 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



flotte Klavierbegleitung reichere Farben. Die 
Soli sind kurz und konnen von Vereinsmitgliedern 
ubernommen werden. Das unterhaltende Opus 
cignet sich fur muntere, interne Gesangvereins- 
veranstaltungen. 

80. Heinrich Rficklos: Zehn ausgew2hlte 
Lieder. (Einzeln Mk. 0.80 bis 1.—.) — Funf 
Lieder. (Komplett Mk. 2.—.) Verlag: Carl 
Gruninger (Klett & Hartmann), Stuttgart. 

Alles ziemlich harmlose Erzeugnisse, zur 
Befriedigung der Bedurfnisse musikalischer 
SpieBbiirger. Von den zehn Liedern sind w Mor- 
genlied* (Eichendorff), „Mittagszauber" (Geibel) 
und „Wiegenlied a (Hebbel) relativ am besten ge- 
raten. Desselben Dichters wundervolles „Gebet a 
ist geradezu erstaunlich bose musikalisch ver- 
ballhornt. — Unter den funf Liedern macht sich 
„Winter u (Arno Holz) als bestes bemerkbar. 

81. L. Seemann: Zwei Lieder. op. 9.(Mk. 1.50.) 

— Vier Lieder.op.il. (2Hefteje Mk. 1.50.) 

— Zwei Lieder. op. 12. (Mk. 2.— .) Verlag: 
Ries & Erler, Berlin. 

Diese Kompositionen enthalten manche An- 
laufe zu einer tieferen Charakteristik, aber 
keines, ob kurz, ob lang, hat des Tonsetzers 
mangelhafte Technik zu einem einheitlichen, 
wertvollen Gebilde zu gestalten vermocht. Das 
Handwerk grundlich zu erlernen, kann selbst 
einem modernen Komponisten nicht gut erspart 
bleiben. 

82. Walter Flath: Drei Lieder. Verlag: C. 

F. W. Siegel, Leipzig. (Mk. 3.—.) 
Ein etwas sufXliches Empfinden, aber doch 
poetisches Ausdrucksvermogen bekunden diese 
Lieder. In Anbetracht der einfachen Texte ge- 
bSrdet sich die Klavierbegleitung wohl zu bom- 
bastisch. Das „Wiegenlied a (aus „Frau Sorge a 
von Sudermann) durfte, von einem mit leichter 
Hone ausgestatteten Sopran vorgetragen, einer 
stimmungsvollen Wirkung am sichersten sein. 

83. Oswald K6rte: J ugend-Symphonie fur 

Klavier zu vier Hfinden, Streich- 

quartett Oder Streichorchester und 

(ad libitum) Pauken. Verlag: Ries & Erler, 

^Berlin. (Part. Mk. 3.—.) 

Uber dieses ganz od-prosaische Produkt sind 

keine Worte zu verlieren. Die liebe Jugend 

konnte sich an dieser musikalischen Kost nur 

den Geschmack und Magen verderben. 

Otto Hollenberg 

84. Friedrich Gernaheim: Konzert No. 2. 
F-dur fur Violine mit Orchester (oder 
Klavierbegleitung). op. 86. Verlag: Jul. Hein- 
rich Zimmermann, Leipzig. (Kl.-A. Mk. 6. — .) 

Das mir im Klavierauszug vorliegende Violin- 
konzert gehort mit zu den besten Erzeugnissen 
auf diesem Gebiete. Vor alien Dingen ist 
es mit ganz besonderer Freude zu begrufien, 
daft der Autor dem Soloinstrument die fuh- 
rende Rolle zuerteilt und so dem ausubenden 
Kunstler willkommene Gelegenheit gibt, seine 
Individualist sowie sein technisches Rustzeug 
in den Vordergrund zu rucken; ein Konzert 
muft in allererster Linie fur den Kunstler da 
sein und nicht fur das begleitende Orchester. 
Selbstverstandlich darf das Orchester auch nicht 
zur Riesenguitarre herabsinken. Bei aller Fein- 
heit der thematischen Arbeit hat es Gernsheim 
trefHich verstanden, den Orchesterpart zu einem 

/nil :«v C jOOtflc 



D 



.'r;!- 



sekundierenden und nicht zu einem dominie- 
renden zu machen. Das dreiteilige, klar ge- 
gliederte, aber in einem Satz auszufubrende Werk 
mufi ernsten berufenen Geigern eine willkom- 
mene Bereicherung ihrer Konzertliteratur be- 
deuten. Gewidmet ist das dankbare, verhaltnis- 
mafiig knapp gehaltene Werk Henri Marteau. 

Carl Rorich 

85. Paul Juon: Sonate fur Violoncello 
und Klavier. op. 54. Verlag: Schlesinger- 
sche Buch- und Musikhandlung, Berlin. 
(Mk. 5.—.) 

Wem die Kammermusikwerke Juons bekannt 
sind (und wer kennt sie nicht?), dem wird auch 
diese neue Cello-Sonate keine Oberraschungen 
bringen. Man findet in ihr die Schreibart des 
Komponisten in unverSnderter Form wieder. Da 
sind die Quinten und die Quarten, die dem Stil 
ein apartes, fast nationales Geprage geben, obne 
daft man mit Bestimmtheit sagen kann, welcher 
Nation sie angehoren; da sind die harmonischen 
Ausweichungen, die im Moment so frappieren, 
im Grunde genommen aber ganz selbstverstand- 
lich klingen; da ist vor allem die eindringliche 
melodische Sprache des Violoncells, das, bis in 
die hochsten Regionen gefuhrt, immer gesang- 
voll bleibt und in jahem Wechsel von zarten 
Stellen bis zu heftigen Ausbruchen wildester 
Leidenschaft aufsturmt. Also ein Werk voller 
Leben, voll Farbe, voll Temperament. Gedrangt 
und knapp in der Form, niemals langweilig, 
aber auch selten an die klassischen Formen der 
Kammermusik gemahnend. Keine Nachahmung, 
sondern ein Stuck eigenen Lebens. Das ist es 
auch, was dem Werke seinen Wert gibt. 

Hugo Schlemuller 

86. Gottfried Rndinger: „Marchenstunde*. 

Acht Klavierstucke. op. 1. Wunderhorn- 
verlag, Munchen. (Heft I und II je Mk. 1 80.) 
Aus Grofimutters Erzahlungsschatz stammen 
diese musikalischen Marchen keinesfalls, dazu 
mangelt ihnen die Naivitat, das ursprungliche 
Gefiihl, die Ungezwungenheit in Erfindung und 
Ausdruck. Die Sucht, „apart a zu schreiben, 
tritt auf Schritt und Tritt zu deutlich hervor^ 
als daft man einen ungetrubten GenuB haben 
konnte. Die Stucke des zweiten Heftes halte 
ich durchweg fur besser als die des ersten. 
No. 6 w Anmutig bewegt" zeigt am klarsten und 
ohne Brimborium die Begabung des Tonsetzers^ 
dem man nur den Rat geben kann, in Zukunft 
sich einer moglichst einfachen Schreibweise zu 
befleiftigen. Auch No. 7 „Langsam und aus- 
drucksvoll" verrat Erfindung und Empfindung, 
tritt aber schon wieder zu groQspurig auf. Es 
ist das wahre Ungluck unserer jungen Kom- 
ponisten. da(J sie kein rechtes Augen- oder viel- 
mehr OhrenmaB mehr haben. Wenn sie Marchen 
erzahlen wollen, werden sie schon sehr kom- 
pliziert und scheuen angstlich jede volkstumliche 
Wendung. Auch bei Rudinger ist der Einflufl 
der Impressionisten unverkennbar, vielleicht 
spielt sogar ein wenig auch Arnold Schonberg 
hinein, dessen Rucksichtslosigkeiten dem jungen 
Geschlecht begreiflicherweise sehr imponieren. 
Das sehr lebhafte Stuck No. 8 ist im Grunde 
nur eine Etude, wird aber, gut gespielt, eine 
hubsche Wirkung tun. R A GeifiIer 

Original from 
UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRITIK 



OPER 

OERLIN: Es tut wohl, von dem wild-westlichen 

" Puccini, der auf niedere Instinkte zielt, zu 

jenem anderen der „Manon Lescaut" zuruck- 

zukehren. Und es ist nur billig, daB das 

Deutsche Opernhaus, dem wir jene pein- 

licbe Bekanntscbaft zu danken haben, nun fur 

ein Werk das Wort ergreift, das immer wieder 

vor dem Opernmassengrab gerettet werden mufl. 

Wir konnen nun Puccini's Entwickelung uber- 

schauen; wir wissen, daB wir neue Aufschliisse 

von ihm nicht zu erwarten haben. Alles Eigene 

ist karikierend-stereotyp geworden, alles ist er- 

starrt; die Sonne geht fur ihn unter, aber sie 

beleuchtet, verklart uns die Vergangenheit. Man 

bat Puccini's „Manon tt anno 1908 in Gregors 

„Komischer Oper" scheitern sehen. Es war die 

Zeit, wo einc auf das Besondere lossteuernde 

Bubne den Kampf gegen musikalischen Chau- 

vinismus zu fubren hatte. Alles Romanische, 

soweit es nicht als felsenfestes Dauerwerk ab- 

gestempelt war, wurde heftig befehdet. Haben 

die Zeiten sich gewandelt? So viel ist gewiB, dafi 

man sich nun willigerden Reizen dieser „Manon" 

ergibt, und daB ein Deutsches Opernhaus sich 

in den Augen der gutburgerlichen Abonnenten 

durch ihre Aufnahme in den Spielplan nicht 

untreu wird. Freilich ist zu wiederholen, daB 

bierzulande in den Auffuhrungen ecbt-roma- 

niscber Werke immer nur ein Ungefahr zu 

erreichen ist. Die fremde Kultursphare ver- 

leugnet sich nicht, und die deutsche Ubersetzung, 

diesmal von Ludwig Hartmann, entzieht der 

Phrase den Boden, dem sie entsprossen ist, die 

Luft, in der sie atmet. Man weiB, daQ diese 

„Manon a uns einen Vorgeschmack der „BohSme a 

gibt. Da ist jene zwar gefuhlsenge, aber 

schmeichelnde Lyrik, oft durch den Einklang 

von Stimme und Instrument gehoben; da ist 

Milieu, mit den aus der veristischen Werkstatt 

stammenden Mitteln gemeistert; da ist auch der 

Zug zum Aparten, Leiterfremden, aber die Un- 

sicherheit eines noch nicht flugge Gewordenen 

gibt ihm jenes Mali, das wir spater vermissen. 

Allerlei geschieht: es wird getrunken, gelacht, 

geliebt, entfuhrt, verhaftet, ausgewandert. Aber 

schon hier versagt dem Dramatiker die Hand, 

und das reizende Genrebild muli uns die 

mangelnde Entwickelung der Romanvorgange 

ersetzen. So ist Puccini; so entziickend hilflos, 

wie es sein Konkurrent Massenet, in dem die 

inneren Hemmungen fehlten, niemals sein 

konnte. Man muB von der Auffuhrung im 

Deutschen Opernhaus mit Hochachtungsprechen. 

Lyrik und Milieu treffen auf Versta*ndnis. Jene 

sich in ihrem Wesen zu erschlieflen, mtiht sich 

mit bemerkenswertem Erfolg Ignaz Waghalter, 

ein begeisterter und begeisternder Fuhrer des 

Orchesters, von hastigem Atem, und immer 

bereit, die Phrase zu unterstreicben. Der 

Apparat hat sich vervollkommnet, der Klang sich 

verfeinert. Das Milieu findet seine starkste Stutze 

in allem Dekorativen, in das prachtvolle Be- 

leuchtungseffekte hineinspielen, und man wird 

an den Lilaschein, der uber der Einode des 

letzten Aktes schwebte, noch lange zuruck- 

denken. Hertha Stolzen berg hat sich seelisch 

zu differenzieren. Das Schwergewicht* hat der 

n'inli/r?:! :v,- V ilX)0 

n 



Komponist nach der Seite der liebenden Manon 
geruckt. Die hochbegabte und kluge Kunstlerin 
erreicbt hier ebenso jenes Ungefahr wie im 
Gesang, der schon durch das deutsche Idiom 
gebunden ist. Alexander Kirch ner als des 
Grieux ist zunSchst schwerfSlliger als gewdhn- 
lich, laBt aber spater (III. Akt) die lyrische Phrase 
wirkungsvoll anschwellen. Die Episodenfiguren 
(Jacques Bilk als Lescaut, Eduard Kandl als 
Steuerpfichter, Gustav Werner als Student, 
Joseph Plaut als Balletmeister) sind teils gut, 
teils nicht storend; der Chor halt sich tuchtig, 
und die Regie des Direktors Hartmann be- 
wa"hrt sich. Diese Auffuhrung ist zwar von 
Germanismen nicht frei, wirkt aber angenehm, 
und wird dem Werk hoffentlich neue Sympathieen 
werben. Adolf WeiBmann 

ORAUNSCHWEIG: Die politischen Ereignisse 
"spiegelten sich im Hoftheater wieder, das 
mehrere glanzende Vorstellungen bot. Der 
Herzog-Regent Johann Albrecht bestimmte fur 
seinen Abschied „Lohengrin a . Fiir den Einzug 
des Herzogspaares war am ersten Tage der 
dritte Akt der „Meistersinger* bestimmt. Dort 
half unser ehemaliger und zukunftiger Helden- 
tenor O. Hagen (Frankfurt a. M.), hier 
J. Decker (Koln) aus. Am zweiten Tage ge- 
staltete sich die „Maienkonigin tt zu einer sinn- 
bildlichen Huldigung der Kaisertochter. Fur 
seinen Geburtstag wunschte sich der Herzog 
den „Barbier von Sevilla" mit d'Andrade als 
Gast. Auflerdem ist bemerkenswert Kienzls 
^Evangelimann" mit einer glfinzenden Leistung 
von J. Decker und eine gegenteilige des 
„k5niglichen* Sangers Funck (Berlin) als Sieg- 
mund („Walkure a .) „Oberst Chabert a errang 
dank den Leistungen von Albine Nagel und 
Hans Spies grofien Erfolg. Ernst Stier 

BRESLAU: Der Erfolg von Mussorgsky's 
Zaren-Oper „Boris Godunow" und unge- 
wohnlich hauflge Erkrankungen im Personale 
bewirkten, daB in der Novitatenarbeit des Stadt- 
theaters eine ISngere Pause eintrat. In die Lucke 
wurden eine Reihe von Anstellungsgastspielen 
fur die kommende Spielzeit eingeschoben. Eine 
ganze Anzahl von Baritonisten muhte sich um 
den „Fliegenden Hollander", und ein viertel 
Dutzend von Heldentenoren bekSmpfte den 
grimmen Biterolf und den tugendsamen Wolfram 
im SSngerkrieg. Von ihnen alien durfte niemand 
das Engagementsziel erreicht haben, zumal unter 
den drei Gast-Tannhausern reichte keiner an 
Trostorff heran, der sich ubrigens demnachst 
wieder, nach langerer Unterbrechung, unserer 
Oper nutzlich machen wird. Mehr Gluck war den 
beiden Gasten eines w Barbier**-Abends be- 
schieden. Herr Rudow vom Hoftheater in 
Munchen war ein Figaro, der nur seine allzu 
groBe Beweglichkeit abzulegen braucht, um uns 
fur die Dauer herzlich willkommen zu sein, und 
Tinka Wesel aus Brunn zeigte ein Rosinchen 
von den gewinnendsten stimmlichen, darstelle- 
rischen und personlichen Eigenschaften. Das 
nachste Gastereignis in der Oper ist das zwei- 
malige Erscheinen des russischen Baritonisten 
Baklanoff, der den Rigoletto und den Godunow 
singen wird. Leider gastiert Herr Baklanoff 
nicht auf Engagement, trotzdem wir ihn brauchen 

unnten. OriqTKafl^i Freund 

1 ■ UNIVERSITY OF MICHIGAN 



366 



DIE MUS1K XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



D LJDAPEST: Der kunstlerische Regenerierungs- 
" prozefi der Koniglichen Oper, den nach den 
Verheerungen der letzten Jahre der Ara M6szaros 
Regierungskommissar Graf B£nffy glucklich in 
die Wege geleitet hatte, scheint wieder ins 
Stocken zu geraten. Mit Beginn dieser Saison 
ist Georg Anthes aus dem Verbande des In- 
stitutes geschieden, der ungarische Meisterbariton 
Michael Tak£ts ist uns durch einen jahen Tod 
entrissen worden — uberall klaffen bedenkliche 
Liicken, die der wunschenswerten Aufrollung 
des Repertoires im Wege stehen. Wir haben 
keinen Wagnertenor, keine dramatische Prima- 
donna, keinen ersten Bassisten, so dafJ von 
ernster Seite bereits die den Kunstchauvinisten 
noch immer heikle Frage aufgeworfen wurde, 
die Buhne der Koniglich Ungarischen Oper auch 
deutsch singenden Kunstlern zu offnen* Dem 
heimischen Ensemble zumindest die Mdglichkeit 
des Novitatenstudiums zu sichern, wurde eine 
Anzahl italienischer Sanger engagien, die indes 
mit Ausnahme des kiinstlerisch intelligenten 
Baritonisten Parvi von Publikum und Kritik 
samtlich abgelehnt wurden. Fur den Geist, in 
dem zurzeit die Gesamtarbeit im Opernhaus 
geleitet wird, spricht der Umstand, daft der Neu- 
einstudierung der „Traviata a die funffache 
Anzahl der Proben zugewendet wurde, als jener 
des „RosenkavaIier". Das letztgenannte Werk 
verschwand dann auch wieder nach der zweiten 
Reprise aus dem Repertoire, brachte indes der 
Theaterleitung den nicht weiter benutzten Gewinn, 
in Herrn Szende, einem jugendlichen Anfanger, 
der die Partie des Ochs in zwei Wochen er- 
lernte, den musikalischesten Sanger des En- 
sembles entdeckt zu haben. Als Novitat wurde 
bisher bloft das Meisterwerk Suppers, die ko- 
mische Oper „Boccaccio a , mit vielem Gluck 
in den Spielplan eingestellt. Der melodische 
Reichtum, die rhythmische Anmut, der Geist und 
Witz der Musik wirkten mit dem alten, un- 
geminderten Reiz, und da auch die von Kapell- 
meister Abrdnyi geleitete Auffuhrung — um 
die sich namentlich die Damen Domotor, 
Medek, Berts, Ambrus und Varadi, die 
Herren Hegedus, Dalnoki, KertSsc, Gabor 
verdient machen — einer kunstlerischen Nobili- 
tierung der „Operette u gleichkam, so ist dem 
Theater fur die Saison zumindest ein Zugstiick 
gesichert. Das UbermaB der Arbeitszeit wurde 
der mit minutidser BedSchtigkeit vorbereiteten 
Verdi-Feier gewidmet. In Abstanden von 
drei bis vier Wochen bekamen wir die „Traviata a , 
das von Kapellmeister Lichtenberg prachtig 
einstudierte, nur in den weiblichen Soli unzu- 
ISnglich interpretierte ^Requiem" und als die 
kunstlerische Hauptleistung der Saison die neu- 
inszeniene, neustudicrte „Aida" zu horen. Im 
Mittelpunkte der „Traviata u -Auffuhrung stand die 
virtuose, in bluhender Schonheit der Stimme 
leuchtende Violetta der Frau Sdndor, die einige 
Tage spater durch das Auftreten eines Weltstars 
in der gleichen Partie noch eine kunstlerische 
Rangerhohung erfuhr. Mit einer Verspatung 
von zehn bis funfzehn Jahren erschien die be- 
riihmte Koloraturdiva des Metropolitan-Opera- 
House, Luisa Tetrazzini, als Violetta auf der 
Buhne unseres Opernhauses. Noch immer eine 
der besten, stimmlicb hervorragendsten Koloratur- 
sangerinnen unserer Zeit, aber nichts weniger 

n-iVVf::! r«Y C jOOtflc 



als eine Sensation, kaum eine groCe Individualist. 
Ihre glanzende Virtuositat entbehrt jener stilisti- 
schen Authentizitat, die wir etwa an der Kunst 
der Barrientos bewundern; die Tetrazzini bringt 
die Noten, aber bei weitem nicht alien Geist, 
Stil und Adel des Kunstwerkes. Eine gut kon- 
servierte, noch immer prachtige Stimme, eine 
blendende Kehlfertigkeit sichern der Kunstlerin 
zweifellos die Bewunderung der Massen, der 
sich der scharfer und tiefer Horende nur mit 
Vorbehalten anschlieBen kann. Einer Bubnen- 
illusion zumal steht die kleine, uberkomplette 
Erscheinung der Diva hindernd im Wege. — 
Der neuerworbene Dirigent Egisto Tango, der 
bisher einige italienische Opern effektvoll re- 
touchiert hatte, gab uns mit der Neustudierung 
der w Aida" Gelegenheit, seiner kunstlerischen 
Individualitat mit einem erschopfenden Urteil 
naher kommen zu konnen. Er ist ein fanatischer 
Arbeiter, ein geistvoll nervoser Ziseleur, ein 
spekulativer Effektvirtuose, zuweilen auch ein 
feiner Stimmungskunstler, aber kein Dirigent 
von grofiem Zug. Es mangelt ihm vor allem 
an schwungvollem Pathos, an der innerlich er- 
greifenden Mitteilsamkeit; sein Feuer ist kalt, 
sein Temperament hart, seine Erregungen fliefien 
aus den Nerven, nicht aus der Seele. Immerhin: 
Herr Tango hat zumindest einen ehernen Ar- 
beitswillen und vermag seine stilistische Ein- 
seitigkeit anziehend zu gestalten. So gab es 
auch in der „Aida* neben vielem Verfehlten, 
melodisch Oberstiirzten, rhythmisch Zerdehnten 
auch Stellen von schonem Stimmungszauber und 
impetuoser Kraft. Vor allem aber in dem Rha- 
dames des Herrn Kornyei, dem Amonasro 
des Herrn R6zsa zwei gesanglich wie dramatisch 
bewunderungswurdige Prachtgestaltungen , die 
mit der warmbeseelten Aida der Frau Medek 
den sturmischen Erfolg der Reprise entschieden. 

Dr. Be*la Di6sy 

DRESDEN: Eine vollstandige Neuinszenierung 
und -einstudierung von Richard Wagners 
„Tannhauser a reihte sich an die voraus- 
gegangenen szenischen Neugestaltungen des 
„Ringes*, der w Meistersinger a und des „Lohen- 
grin* wurdig an und bekundete wieder den 
ernsten Willen der Theaterleitung, mit dem 
ganzen Aufgebot aller Mittel der modernen 
Buhnenkunst das Kunstwerk in einen neuen, 
schonen und vornehmen Rahmen zu fassen. 
Um so seltsamer ist es, dafi die mafigebenden 
Stellen sich nicht vor dem Zwiespalt gehutet 
haben, der dem echten Wagnerjunger die Freude 
an dem Gebotenen einigermaflen truben mulite: 
die musikalische Leitung stellte einerseits den 
ursprunglichen Schlufl des Werkes wieder her 
und bemiihte sich auch sonst, den Absichten 
des Meisters gerecht zu werden — die Regie 
andererseits trug kein Bedenken, sich fiber aus- 
driickliche Vorschriften des Dichterkomponisten 
hinwegzusetzen, wozu sie auch beim besten 
Willen und hochsten Konnen sich meiner Mei- 
nung nach nie das Recht anmafien darf. Ein 
Beispiel nur sei hier angefuhrt: die Dekoration 
des Venusbergs ist ganz in lila gehalten, nur 
von oben fallt ein roter Schein auf das Rune- 
bett, auf dem Tannhauser ziemlich behaglich 
liegt, wahrend Venus am FufJende sitzt. Wider- 
spricht schon diese Gruppierung der ausdruck- 
lichen Vorschrift Wagners, so ist die Glut seiner 

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UNIVERSITYOF MICHIGAN 



KRITIK (OPER) 



367 



Venusbergmusik in der weiteren Gestaltung des 
Buhnenbilds nicht im geringsten zum Ausdruck 
gebracht. Durch vielfaltige Schleier sah man 
nur tief im Hintergrunde einige Gestaltcn sich 
im Reigen oder in gemessenen Bewegungen 
drehen; der ganze sinnliche Taumel fehlte; 
dieser Venusberg sah einem Tochterpensionat 
verzweifelt ahnlich. Auf meinen in der Tages- 
presse gemachten Vorhalt erschienen bei der 
dritten Auffuhrung einige Faune und Nymphen 
auf der Vorderbuhne, aber die Sache sah immer 
noch zahm genug aus. Die Dekoration des 
zweiten Aktes, die genau nach dem Original des 
Wartburgsaals gemalt ist, erschien mir etwas 
zu eng und gedruckt und durch die vielen Stufen 
verbaut, ist aber an sich wunderschon. Die 
Fruhlings- und vor allem die Herbstlandschaft 
waren im Ganzen wie in alien Einzelheiten 
Meisterleistungen des Hoftheatermalers Alten- 
kirch, die Spielleitung von d'Arnals brachte 
viele feine und wirksame neue Nuancen und 
Leon Fan to hatte Kostume entworfen, die 
sicherlich ganz stilecht und historisch treu sind, 
mir aber teilweise zu plump in Muster und 
Schnitt erschienen. Ais groBten kiinstlerischen 
Vorteil der Neueinstudierung, in der ubrigens 
alle landlauflgen Striche aufgemacht waren, 
mdchte ich die Wiederherstellung des alten 
Schlusses bezeichnen, den Wagner seiner Zeit 
in Dresden nur mit Rucksicht auf die allgemeine 
Verstandlichkeit der Endszene abgeandert hat. 
Jetzt, nachdem die Handlung des Werkes aller 
Welt genau vertraut ist, brauchen wir die Leiche 
Elisabeths sowie den Anblick des wieder grunen- 
den Heilsstabes nicht mehr. Ein Totenglocklein 
kundet von der Hohe der Wartburg her Elisabeths 
Hinscheiden, das Tannhauser aus Wolframs 
Munde erfahrt, Venus wird nicht mehr sichtbar, 
sondern das Morgenrot des neuen Tages wird 
zur Erzielung einer visionaren Wirkung (also 
doch rot, nicht lila!) ausgenutzt, der Chor der 
jungeren Pilger kundet hinter der Szene das 
Wunder des griingewordenen Stabes und im 
seligen BewuBtsein derErlosung hauchtHeinrich, 
von Wolfram sanft gehalten, seine Seele aus. 
Die Wirkung ist tief und rein und frei von 
allem Theatralischen, und der Horer wird mit 
ungetrubter seelischer Bewegung entlassen. Ich 
kann deshalb alien Buhnen nur dringend raten, 
bei einer Neueinstudierung des „Tannh§user a 
diesem ursprunglichen und so ganz Wagnerischen 
SchluB wieder zu seinem Rechte zu verhelfen. 
Die musikalische Gesamtleistung war unter 
Schuchs meisterlicher Fuhrung hervorragend 
schon. In den Hauptpartieen zeichneten sich 
Eva Plaschke-v. d. Osten, Elena Forti, Fritz 
Vogelstrom, Walter Soomer und Georg Zott- 
mayr aus. F. A. Gei filer 

GRAZ: Die Grazer Stadtverwaltung hat den 
artistischen Leiter des Theaters Julius 
Grevenberg weiter auf seinem Poslen belassen 
und behait die Buhnen in eigener Regie. (Wozu 
eigentlich dann eine„Neuausschreibung u erfolgte, 
die 60 Bewerbungen, darunter Manner von Rang 
und Namen, zum Ergebnis hatte, ist zum 
mindesten ganzlich unverstandlich.) Der Spiel- 
plan liiBt nach wie vor viel zu wunschen ubrig 
und wies bis zum letzten November keine 
Neuheit auf. Ein Gastspiel der Wiener Volks- 
opernsangerin Marie Ranzenberg als Dalila 



D'::j"«i,-'L 






und Amneris bereitete dank den hervorragenden 
sangerischen und schauspielerischen Qualitaten 
des Castes um so hoheren GenuB, als wir selbst 
uber keine brauchbare Altistin verfiigen. In 
„Tiefland a gastierte der Wiener Hofopernsanger 
Georg Maikl mit auBergewohnlichem Erfolg als 
Pedro. Auch der heimische Tenor Willy Tosta 
wufite sich in dieser Partie viele Anerkennung 
zu ersingen, desgleichen Fanny Pracher als 
Martha. An Neueinstudierungen erschienen „Der 
Freischutz" und „Die Stumme von Portici", die 
beide darunter litten, daB es dem lyrischen 
Tenor Harry Schurman n, einem jungen Sanger 
mit groBen technischen Vorzugen, an der notigen 
Durchschlagskraft der Stimme mangelt. „Die 
Meistersinger von Nurnberg" erschienen mit 
Fritz Schorr als gutem Sachs, Julius Martin 
als charakteristischem Beckmesser, Josef von 
Manovarda als prachtigem Pogner, Willy 
Tosta als jugendfrischem Stolzing und Rosine 
Fortelni als schon singendem Evchen. Eine 
„Troubadour u -Vorstellung verdient wegen des 
Kuriosums Erwahnung, daB drei Manricos 
sangen: ein Herr Bocchesi als Gast, der im 
zweiten Akt plotzlich die Arbeit einstellte, Re- 
gisseur KoB, der fur ihn aus der Kulisse her- 
aus den Akt zu Ende sang, und Harry Schiir- 
mann, der dann die ubrigen Akte vollendete. 

Dr. Otto Hodel 
LJALLE a. S.: Was die „Tristan"-Auffuhrung 
** bereits verriet, best3tigte die „Tannhauser a - 
Vorstellung zur Genuge: wir haben in Hermann 
Hans Wetzler, unserm ersten Kapellmeister, 
in der Tat eine kunstlerische Kraft gewonnen, 
die auf unser Musikleben von weitgehendem 
Einflusse werden konnte, wenn es gelange, sie 
auf langere Zeit an Halle zu fesseln. Unter 
seiner Leitung ist der Verdi-Zyklus vom „Rigo- 
letto" uber den w Troubadour tt hinweg bis zur 
„Aida* in Szene gegangen. Leider hat man aus 
mir unbekannten Grunden weder den „Othello tt 
noch den wFalstaff*, der hier noch nie ilber die 
Bretter gegangen ist, in den Ring aufgenommen. 
Hier bietet sich der Direktion eine Gelegenheit, 
eine Dankesschuld dem italienischen Meister 
gegenuber abzutragen. Martin Frey 

LIAMBURG: Bereits vor Wochen wurde an 
** dieser Stelle bei der Erorterung der Ham- 
burger OpernverhSltnisse darauf hingewiesen, 
daB Felix Weingartner zurzeit den Rest seiner 
Verpflichtungen gegen das Hamburger Stadt- 
theater absolviere. Nunmehr haben auch die 
ortlichen Erwagungen uber diese Tatsache, die 
seit langem feststand, begonnen, und sie werden 
je nach der Bedeutung, die man der Opern- 
dirigententatigkeit Weingartners aus kunstle- 
rischen oder aus kunstpolitisch taktischen Grun- 
den beimiBt, in der Tagespresse mit mehr oder 
weniger Leidenschaftlichkeit gefuhrt. In der 
Hauptsache allerdings mit der angebrachten 
minderen Leidenschaftlichkeit. Die Frage, was 
Weingartner in der kurzen Zeit seiner mannig- 
faltig unterbrochenen Wirksamkeit fur unsere 
Stadttheater-Oper hat bedeuten konnen und hat 
bedeuten wollen, kann ausgeschieden werden, 
denn eines darf man, ohne Weingartner irgend- 
wie damit zu nahe zu treten, wohl aussprechen: 
Weingartner ist im Grunde seines Wesens ein 
unopernhafter Mann, das Theater liegt ihm in 
der Verastelung seines Kunstbetriebes nicht be- 

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368 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



sonders gut. Nacheinander hat Weingartner 
begehrte Theaterkapellmeisterpositionen in Ham- 
burg, Konigsberg, Mannheim, Berlin, Wien und 
zuletzt wieder in Hamburg inne gehabt. In 
keiner dieser Stellungen hat er sich so wohl ge- 
fuhlt, dali er sie dauernd hatte bekleiden mogen, 
in keiner dieser Stellungen hat er kunstlerisch 
fundamental und organisatorisch — wie etwa 
Mahler in Wien — gewirkt. Wenn Weingartner 
abends ans Pult tritt, um eine Oper zu dirigieren, 
kann man sich in der Mehrzahl der Falle sicher- 
lich eine Erhebung uber das Niveau der All- 
taglichkeit versprechen, denn seine Anwesenheit 
ist schon ein Stimulans, und sein Einflufl auf das 
Orchester versagt niemals. Aber die stete, vor- 
bereitende musikalische Kulturarbeit, die omi- 
nosen Theaterproben, die ein Werk in seiner 
musikalisch-dramatischen Total i tat scharf ab- 
grenzen und stilistisch festlegen, ist heute weniger 
denn je Weingartners Lieblingsbeschiftigung. 
Und die UnzutrSglichkeiten, die mit einem kom- 1 
plizierten Repertoirbetrieb verknupft sind, ver- 
stimmen ihn, berauben ihn gelegentlich auch 
der rechten Schaffensfreude. So fuhlt er sich 
am wohlsten als Gastdirigent, der, selbst eine 
Ausnahmestellung bekleidend, auch mit Aus- 
nahmevoraussetzungen umgeben wird. Man wird 
das alles ohne weiteres begreifen konnen, aber 
eben darum auch den EntschluB Weingartners, 
sich vom Hamburger Stadttheater zu trennen, 
keineswegs als Vorboten des kunstlerischen Zu- 
sammenbruches und katastrophaler Erscbei- 
nungen betrachten konnen. Denn an dem kunst- 
lerischen Gesamtbild, an der Art des Betriebes, 
an Besetzungs- und Engagementsfragen wird da- 
durch nichts geandert; um so weniger, als anzu- 
nehmen ist, daB auch Weingartner spaterhin als 
gefeierter Cast am Dirigentenpult der Hamburger 
Oper mit der ihm gebuhrenden Wertschatzung 
zu begriiBen sein wird. Die Loewenfeldsche 
Neuinszenierung des „Ringes a hat mit einer von 
Selmar Meyrowitz sehr groBzGgig und drama- 
tisch zugespitzten Auffuhrung der w G6tter- 
dammerung" ihr Ende erreicht. Die beiden 
mittleren Abschnitte dirigierte Weingartner: die 
w Walkure a ohne Striche, den „Siegfried u mit 
den erw&hnten Kurzungen. Alles das: die 
Teilung zwischen zwei Dirigenten, die Abwechs- 
lung von gestrichenen und strichfreien Auf- 
fuhrungen innerhalb desselben Zyklus ist schon 
an sich ein Beweis da fur, daft Weingartner nicht 
den Ehrgeiz besessen hat, der Hamburger Oper 
denStil seiner Personlichkeit aufzupragen. Hatte 
er sich sonst den ersten „Ring a , den wir in 
wurdigem szenischen Rahmen erlebten, teilweise 
nehmen lassen konnen? Dr. Loewenfelds In- 
szenierung der „G6tterdammerung tt erwies sich 
als eine kunstlerische GroBtat, auf deren vor- 
bildliche und nachahmenswerte Bedeutung als 
einer Wiedergeburt des Nibelungen-Dramas aus 
dem Geiste Wagners und der Wagnerschen 
Musik mit allem Nachdruck hingedeutet werden 
darf. Loewenfeld, der selbst von Haus aus 
Musiker ist, ist in der Tat die Erfullung einer 
lang gehegten Sehnsucht, denn in ihm vereinigen 
sich in der glucklichsten Weise musikalische 
Kenntnisse mit seltenen dramaturgisch nach- 
schopferischen Fahigkeiten. Er ist nicht Dekora- 
teur, sondern wirklich Inszenator allergroBten 
Stiles. 



In der Neuen Oper gab es in einer von 
Moris szenisch recht konventionell angefaBten 
„Freischutz a -Auffuhrung markante Eindrucke, 
die auf Dr. Gohlers prononzierte Dirigenten- 
eigenart zuruckzufuhren waren. Im ubrigen ge- 
nugten groBstadtischen Anspruchen in dieser 
Vorstellung nur einigermaflen die Vertreterinncn 
der Damenpartien, wfihrend auf dem Glatteis 
der Weberschen Gesangsanforderungen die 
Herren eine etwas kligliche Figur machten. 
Zum zweiten Male wahrend ihres erst kurzen 
Daseins hat die Neue Oper sich veranlaBt ge- 
sehen, ihre Eintrittspreise zu ermiBigen, um bei 
der Konkurrenz des Kinos und der im allge- 
meinen flauen Konjunktur Publikum herbeizu- 
locken. Ob diese MaBregel den gewunschten 
Erfolg haben und der Neuen Oper eine solide 
finanzielle Basis geben wird, bleibt abzuwarten. 

Heinrich Chevalley 
UANNOVER: In der Koniglichen Oper fand 
** A. Kaisers Musikschauspiel B Stella maris" 
eine freundliche Aufnahme. Die Hauptrollen waren 
bei Gertrud Kappel und den Herren ter Meer 
und Fleischer gut aufgehoben;der musikalische 
Teil der durchweg als recht gelungen zu bezeicb- 
nenden Erstauffuhrung lag in Herrn Gilles, der 
szenische Teil in Herrn Derichs' Handen. Or- 
chester, Chor und Ballet standen auf der Hobe 
ihrer Aufgaben. — Von den vielen in letzter Zeit 
stattgefundenen Probegastspielen verlief das der 
Soubrette Mathilde Schuh aus Nurnberg bei 
weitem am gunstigsten; es fuhrte zum Engage- 
ment. Mine Oktoberhatten die Opernfreunde die 
Freude, den Wiener Heldentener Leo Slezak 
als Radames zu horen. L. Wuthmann 

l/'ARLSRUHE:EinaufvierAbendeberechnetes 
**- Richard StrauB-Fest brachte unter des 
Komponisten Leitung die Bubnenwerke w Rosen- 
kavalier", „Ariadne a und „Elektra". Straufi' 
Kunstlerpersonlichkeit ubte einegroBe Anziebung 
auf das Publikum aus, und sowohl der Ton- 
dichter wie der Dirigent StrauB war Gegenstand 
lebhafter Ovationen. Die genannten Werke, von 
Fritz Cortolezis sorgsam vorbereitet und in 
den einzelnen Partieen fast durchweg sehr gut 
besetzt, erfuhren bei der Begeisterung, mit der 
alle Mitwirkenden und nicht zuletzt unser treff- 
liches Hoforchester am Werke waren, Wieder- 
gaben von machtigster, nachhaltigster Wirkung. 
StrauB* musikalische Fuhrung lieB manche 
Partieen der hier bereits bekannten Werke in 
neuem, interessantem Lichte erscheinen, und wie 
er Solisten, Chor und Orchester ein unbedingt 
verlfifilicher Fuhrer war, der mit leichter, sicherer 
Hand nach Wunsch und Willen alles herausholte, 
so erhielt jedes der vorgefuhrten Werke eine 
stark personliche Note. Von den Mitwirkenden 
nennen wir Beatrice Lauer-Kottlar als prach- 
tige, gesanglich und darstelierisch gleich vor- 
zugliche Marschallin, Franz Rohas famosen 
Lerchenau, Mary Rudys Zerbinetta, die leicht- 
flussig und sicher die balsbrecherischen Kolora- 
turen sang, und Zdenka Mottl-FaBbenders 
damonische, durch die Gewalt der Darstellung 
und des gesanglichen Ausdrucks packende und 
erschiitternde Elektra. Franz Zureich 

l/'OLN: Die erste diesjahrige Auffuhrung von 
*** Wagners Nibelungen-Tetralogie hat unter 
Gustav Brechers stilvoller Leitung eine Reihe 
sehr schoner Eindrucke gezeitigt. Neben den ner- 



D'::j"«i,-'L 






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KRITIK (OPER) 



369 



vorragenden Gestaltungen Modest Men zin sky's 
<Siegmund und Siegfried) und von Alice Gusza- 
lewicz (Brunnhilde) boten auch Karl Giesen 
{Fafner, Hunding und Hagen), Friedrich Braun 
<Wotan), Wanda Achsel (Freya und Gutrune), 
Berta Grimm-Mittelmann (Fricka) und Sophie 
Wolf (Sieglinde) hdcbst scbatzbare Leistungen. 
Fritz R6monds Inszenierung hat ausgezeich- 
nete Bilder geschaffen Paul Hiller 

KOPENHAGEN: Mit einer Neueinstudierung, 
Aubers „Stummer a , begniigte sich das Kgl. 
Theater bisher. Obrigens schlug deralte Treffer 
noch einmal ein, flott in Szene gesetzt und mit 
H e ro 1 d als Masaniello, eine Partie, die ihm nicht 
besonders gut liegt. William Be h rend 

LEIPZIG: Unsere Theaterdirektion stellt schon 
seit lSngerer Zeit Joan Man6ns „Act6 a als 
Opernneuheit in Aussicht; doch muBte sie 
wegen Indisposition des Tenors Jager auf un- 
bestimmte Zeit verschoben werden. So ware 
nur einer Neueinstudierung der „WeiBen Dame 4 * 
zu gedenken, worin der bereits engagierte Hans 
Lifimann die gute Meinung uber seinen Tenor 
noch bekraftigte, ferner des Gastspiels Carl 
Perrons, der als Hans Hciling und Hollander 
uberragende darstellerische und gesangliche 
Leistungen bot und naturlich sehrgefeiert wurde. 
Nun uns Herr Urlus wieder nach Amerika 
entfuhrt worden ist, half Adolf Loeltgen aus 
Dresden mit ebenso jugendlicher Stimme wie 
Erscheinung als Tannhauser aus; ihm stand 
Priska Aich aus Dortmund, die fur das schei- 
dende Frl. Marx auf Anstellung gastiert, als in 
vieler Beziehung anmutige Elisabeth gegenuber. 
Die Engagementsfragen losen sich langsam, aber 
sicher. Wie vorauszusehen war, wurde inzwischen 
Jean Miiller fur das erste BaBfach verpflicbtet; 
ob freilich Frl. Aich die unsere sein werde, 
steht noch auf einem andern Blatt. 

Dr. Max Unger 
R4AINZ: Schon kurzlich wurde an dieserStelle 
*** auf das erfolgreiche Erstauftreten von Betty 
M artel, einergeborenenMainzerin, hingewiesen. 
Als Santuzza, Aida und Grafin im „Figaro a er- 
brachte sie inzwischen weitere Beweise ihrer 
vielversprechenden dramatischen Beanlagung. 
In Johanna GeiBler wurde dem Soubrettenfach 
ein herzerfrischendes, urwiichsiges Talent zu- 
gefuhrt, das fur das heitere Genre in Operette, 
wie in Oper die gliicklichsten Attribute mitbringt. 
Josef Vogl hat den gewagten Sprung vom Bari- 
ton zum Heldentenor ohne den geringsten 
Schaden fur sein metallisches Organ uberstanden. 
Uber die prachtvolle Baritonstimme Josef 
Groenens herrscht nur eine Meinung ruckhalt- 
loser Bewunderung und aufrichtiger Freude, in 
die sich leider das Bedauern mischt, daB dieser 
Singer, gleich unserem intelligenten, stimm- 
gewandten Bassisten Otto Stock, von einer 
unsererbesserfundierten Nachbarbuhnen entfuhrt 
werden diirfte. Die Hauptschaffenskraft aller 
beteiligten Faktoren richtet sich zurzeit auf das 
Studium von Wagners „Parsifal tt . 

Leopold Reichert 
MUNCHEN: Paul von Klenau's lyrische 
*** Oper „Sulamith" hat an unserer Hofbuhne 
ihre Urauffubrung erlebt. Das Werk dialogi- 
siert Bruchstucke der Herderschen Ubersetzung 
des „Hohen Liedes". DaB ein Musiker von 



feinem Empfinden auf diesen Stoff vej-fiel, Qber* 

XIII. 6 n:i !!,r?r: :v, C lOOOlC 

(V 



rascht weniger als der Mangel an der Gegen- 
vorstellung, was aus solchem Stoff werden muB, 
wenn er zur Oper wird. Die Munchener Auf- 
fuhrung hat es gezeigt: Brodersen als Salo- 
mon, Frl. Perard-Petzl als seine kSnigliche 
Geliebte — vom Standpunkt des Theaters aus 
gesehen, vortrefflich; aber wer kann diesen 
Gestalten gegenuber den Standpunkt des Theaters 
einnehmen wollen? Klenau hat das nicht ge- 
wollt und nicht bedacht. Seine Partitur ist eine 
Meisterleistung bluhenden, transparenten Or- 
chestersatzes, und die vornehme Diktion zeigt 
in jedem Takt, wie heilig ernst er seine Auf- 
gabe genommen hat. In seinem Bestreben, 
durch eine Art musikalischer Exotik die Distanz 
der altbiblischen Sphare herzustellen, hat er sich 
der Ausdrucksweise Debussys mehr genahert, 
als ihm der Ehrgeiz zu hochster OriginalitMt 
hatte erlauben durfen. Denn daB Klenau ein 
starkes, selbstSndiges Talent ist, hat eines seiner 
Kammermusikwerke gezeigt, das wir in der 
vorigen Saison hier bewundert haben. Nichts- 
destoweniger verdientes das Werk, wegen seiner 
farbigen Schonheit und Feinheit, den Weg uber 
die Buhnen Deutschlands zu machen. Denn 
man darf nicht vergessen, daB nach dem MaB- 
stabe gemessen, den ich hier an „Sulamith a 
angelegt habe, eben nur noch Pfltzner und 
Debussy als wahrhaft originelle dramatische 
Komponisten iibrig bleiben. Bruno Walter 
hat das Werk ausgezeichnet einstudiert und 
geleitet. Alexander Berrsche 

DARIS: Eine traurige Kunde fur alle Pariser 
* Musikfreunde war es, daB sich Gabriel 
As true genotigt sieht, seine Opernvorstellungen 
in dem von ihm gegrundeten und am 30. Marz 
eroPPneten Theatre des Champs Elys6es ein- 
zustellen. Die allgemeine Pariser Theaterkrisis 
lastete besonders schwer auf dieser neuen 
Grtindung, die ohne jede Subvention der Be- 
horden den Kampf gegen drei subventionierte 
Opernbuhnen aufnahm. Eine vorzugliche Er- 
neuerung von Berlioz* „Benvenuto Cellini", eine 
neue, dem Original moglichst getreue Bearbeitung 
von Webers „Freischiitz tt , die Einfuhrung in 
Paris der modernen Opern „Penelope a von 
Faur^ und w Les trois Masques'* von Lara waren 
die Haupttaten dieser Direktionsfuhrung, denen 
sich in wenig Wochen Wagners „Parsifal a in 
deutscher Sprache hatte anschlieBen sollen. Die 
letzte und sehr bemerkenswerte Leistung des 
Hauses Astruc war die erste Auffuhrung in 
franzosischer Sprache von MussorgskPs Haupt- 
oper „Boris Godunow". Der Erfolg war sehr 
groB, obschon in der Titelpartie der beruhmte 
Russe Schaliapin durch den bisher unbekannten 
Bariton Giraldoni nicht vollstandig ersetzt 
werden konnte. Noch im letzten Fruhjahr 
schwankte man im gleichen Opernhaus bei den 
russischen Auffuhrungen in der Auswahl der 
Bilder des in dramatischer Beziehung wenig 
zusammenhangenden Werkes. Man gab ab- 
wechselnd Vorstellungen mit dem polnischen 
Furstenhof und mit der Herberge an der pol- 
nischen Grenze. In der franzosischen Auf- 
fuhrung hat die Volksszene mit dem Entenlied 
der Wirtin und dem urwiichsigen Lied des be- 
trunkenen Monchs mit Recht den Sieg behalten 
uber das konventionelle italianisierende Liebes- 
duett des falschen-JDemetrius mit seiner pol- 

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370 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



nischen Braut Marina. Was in der Partie des 
Zaren Boris fehlte, wurde ubrigens durch die 
vorzuglichen Leistungen der Baritone Albers 
und Boyer in den Partieen des Chronisten 
Pimen und des Mdnches Warlaan ersetzt. Auch 
die jugendfriscbe Stimme des Tenors Tirmont 
klang erfreulicher als die des russischen Tenors 
des letzten Fruhjahrs. Die Altistin Thovenet 
war sehr gut in der Partie der Herbergsmutter 
und noch besser in derjenigen der Amme der 
Zarenkinder. Die angenehmste Uberraschung 
war aber, daft Astrucs franzosische Chore 
mindestens ebensogut sangen und spielten wie 
die vielgeruhmten russischen Chore. Die Volks- 
szenen machten daher auch einen machtigen 
Eindruck. Keines der drei andern Opernhauser 
von Paris ware augenblicklich imstande, eine 
solche Chorleistung zu bieten. Alle Zuhorer 
waren daher einstimmig in dem Bedauern, daft 
das Unternehmen Astrucs wegen ungenugender 
Einnahmen verschwinden muft, Felix Vogt 

PRAG: Der zweite Teil des Verdi-Zyklus, der 
die Opern „Maskenball tt , „Rigoletto*, „Othello tt 
und „FaIstafY" umfaftte, stand unter einem gunsti- 
geren Stern als der erste. Scampini sollte 
glanzen, aber sein Glanz verblich nur zu bald, 
dafur ging BaklanofPs Ruhm strahlend auf. 
Baklanoflf ist ein Sanger von geradezu idealen 
Mitteln. Was singen heiftt, kann man aus seinem 
Munde horen. Aber sein echtes Kunstlertum 
zeigt sich nieht so sehr darin, daB er die ihm 
von einer giitigen Vorsehung verliehene Stimme 
gepflegt und gehegt hat, — das tun ja schlieBlich 
andere auch, — sondern daB er Empfinden fiir 
die kiinstlerische Bedeutung des Ensembles hat 
und nie selbstherrlich darauf bedacht ist, sich 
in den Vordergrund zu stellen. Dazu durchdringt 
er mit scharf bohrendem Geist das Wesen jeder 
einzelnen Rolle und bringt auch in italienischen 
Opern einen man mochte schon sagen musik- 
dramatischen Zusammenhang heraus, an dem 
man sonst achtlos vorubergegangen ist. Eine 
Neueinstudierung von Rossini's „Wilhelm Tell 44 
hat zwar die Leistungsfahigkeit unseres En- 
sembles wieder in schonstem Lichte gezeigt, 
aber trotzdem nicht dariiber hinwegtauschen 
konnen, daB dieser „Tell a ein Ungst iiberholtes 
Spiel ist. Als Walter Stolzing gastierte der Recke 
Erik Schmedes aus Wien. Bei ausverkauftem 
Hause und unter beispiellosen Ovationen gastierte 
Alfred Piccaver von der Wiener Hofoper, der 
im vorigen Jahre noch unser war, als Rudolf in 
„Boheme a , in einer Rolle also, die er vordem 
ich weiB gar nicht wie oft hier gesungen hatte. 

Dr. Ernst Rychnovsky 
VORICH: Als Gast des Stadttheaters trat der 
" Tenor Giuseppe Russitano von der Mai- 
lander „Scala tt in „Rigoletto" und „Aida tt auf. 
Der schon ziemlich bejahrte Sanger verfugt uber 
eine weiche, feingeschulte Stimme, doch mangelt 
es ihr nun an Tragweite. Von selten anzu- 
treffender GroBe ist die Stimme der Sopranistin 
Emmy Kriiger. Ihre Amneris war eine wunder- 
volle Leistung. Dr. Berthold Fenigstein 

KONZERT 

A MSTERDAM: Die bedeutendsten Geniisse der 
" jetzigen Saison danken wir Gustav Mahler, 
dessen „Lied von der Erde** und „Kindertoten- 



D 'iijli 



i :v, C iOoqIc 



lieder" die Hauptereignisse der vergangenen 
Monate bildeten. Mengelberg, der einer der 
ersten war, die Mahler aufzufuhren wagten, ist 
noch jetzt ein eifriger Apostel des Meisters. Fur 
das „Lied von der Erde** hatte er sich der iWit- 
wirkung Frau Cahier's und des Munchener 
Tenors Otto Wol f versichert. Beide Solisten, 
herrlich von dem Concertgebouw-Orchester 
unterstutzt, gaben eine Glanzleistung zu ge- 
nieBen. Die „Kindertotenlieder" wurden von 
Messchaert derartig interpretiert, daB sich am 
Ende das Publikum, das den Concertgebouw- 
saal uberfiillte, wie ein Mann erhob, um dem 
gottbegnadeten Sanger zu huldigen. Weitere Neu- 
auffuhrungen waren bei Mengelberg die dritte 
Symphonie von Bruckner, bei Kapellmeister 
Cornelis Dopper zwei Lieder mit Orchester- 
begleitung, komponiert von Jeanne Beyermann 
(von Frl. Repelaer van Driel gesungen) und 
bei Kapellmeister Evert Cornelis eine Sym- 
phonie „Moscou a des franzosischen Komponisten 
Charles Tournemire. — Von Solisten hatten 
wir bisher Elly Ney, die das B-dur Konzert 
von Brahms spielte, Aino Ackt£ mit der 
SchluBszene der „Salome**, den spanischen 
Geiger Man6n mit der Laloschen Rbapsodie 
espagnole und den Klavierspieler Egon Petri 
mit dem dritten Beethovenschen Konzert. 

Chr. Freijer 

BERLIN: Am BuBtag fuhrte Siegfried Ochs 
mit seinem Philharm onischen Chor die 
Matthaus- Passion auf, und zwar wie im ver- 
gangenen Jahre ohne jede Kurzung; vormittags 
den ersten Teil, abends den zweiten. Uber die 

j schnelle Temponahme des ersten Klagechores, 
der dadurch an Kraft des Ausdruckes, an 
Stimmung verlor, uber die Auffassung der 
Chorale wfiren dieselben Bedenken zu auBern, 
wie bei der ersten Auffuhrung im vergangenen 
Winter. Sonst aber hatte man auch wieder eine 
wahre Freude an der lebendigen Ausgestaltung 
des Ganzen, an den dramatisch bewegten Volks- 
choren, an dem Glanz und der Klangschonbeit 
der groBen SchluBchore in beiden Teilen. Eine 
ganze Schar Solokrafte war fiir diese Auffuhrung 
gewonnen worden: Johannes Messchaert fur 
den Christus, Matthaus Roemer fur den Evan- 
gelisten; fur den Sopran die Damen Noorde- 
wier - Reddingius und Anna Kaempfert, 
fur den Alt Emmi Leisner und Lula Mysz- 
Gm einer. Ein junger Tenor, George Meader, 
fiel vorteilhaft auf durch die bluhende Frische 

I des Organs. 100 Knabenstimmen aus dem 
Koniglichen Domchor (Hugo Rudel) sangen den 

! cantus firmus im ersten Chor; am Klavier 
wirkte Max Seiffert, an der Orgel Bernhard 

I Irrgang. Dem groBen Apparat all dieser 

! Krafte ebenburtig zur Seite stand die Leistung 
des Philharmonischen Orchesters mitihren treff- 

I lichen Solisten. — Am Totensonntag gab es in 
der Singakademie ein neues Werk zu horen. 

1 Dort fuhrte Georg Schumann „Das Tranen- 
kruglein" auf, das er nach einem Gedicht 
von Hermann Erler gescbaffen hat. Der Tenor 
erzahlt, wie sich die Mutter trostlos um den 
Tod ihres Kindes abharmt. Um Mitternacht, 
wahrend aus der nahen Kirche das Volk ein 

I altes Weihnachtslied anstimmt, erscheint das 
Kind unter dem Christbaum der Mutter, in der 

! Hand das Kruglein, in dem es der Mutter 

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KRITIK (KONZERT) 



371 



TrSnen gesammelt hat. Beide werden zum 
SchluB von Engeln zum Himmel geleitet. Die 
alte Volkssage ist zu einem ganz eigenartigen 
Kunstwerk ausgestaltet. Der Musiker hat Klavier, 
Orgel und Harfe, zu denen spater nur sparsam 
ein kleines Orchester hinzutritt, zu interessantcn 
Klangmischungen verwertet, die fast ubersinnlich 
wirken. In ergreifendem Gegensatze zu dem 
intensiv herben Jammer der Mutter steht dann 
der Weihnacbtschor, zu dem eine alte Kirchen- 
weise verwcndet ist, ein kunstvolles und doch 
einfach gehaltenes Gebilde von schonster Klang- 
wirkung. Wie dann das Kind erscheint, der 
Jammer der Mutter sich lost, der alles Irdische 
abstreifende Engelchor beide zum Himmel hebt, 
das weifJ die Musik uns wirklich glaubhaft zu 
machen. Die marchenhafte Stimmung, die gleich 
anfangs angeschlagen wird, verlaBt uns keinen 
Augenblick; das Ganze schwebt visionar an dem 
Ohr voriiber. Auf das „Tranenkriiglein a folgte 
das Requiem von Mozart, an dessen Ausfuhrung 
sich Elfriede Goette, Emmi Leisner, George 
A.Walter und J. von Raat z-Brockmann 
als Solisten neben dem Chor der Singakademie 
und dem Philharmonischen Orchester beteiligten. 
Die Herren Eschke und Irrgang, der eine am 
Klavier, der andere an der Orgel, Otto Muller 
an der Harfe losten ihre Aufgabe in dem 
Schumannschen Werke mit feinstem Verstandnis. 
In Mozarts Requiem bewahrte die Singakademie 
ihren altbegrundeten Ruf als trerTlich diszi- 
plinierter Chorverein, — Im 3. Symphonieabend 
der Koniglichen Kapelle dirigierte Richard 
StrauB die drei Ouvertiiren zu „Genoveva u 
von Schumann, zu ^Beatrice und Benedikt tt von 
Berlioz und die Tragische von Brahms, ferner 
die Serenade fur Violoncellosolo mit Streich- 
orchesterbegleitung von Robert Volkmann, in 
dem Hugo Dechert durch die Schonheit der 
Tongebung erfreute, zum SchluB die Haupt- 
nummer des Programms, seinen „Zarathustra a .— 
Zwei StrauB-Abende bereiteten auf die StrauB- 
Woche im Opernhause vor: Nikisch brachte als 
Neuheit im 4. Philharmonischen Konzert das 
festliche Praludium fur groBes Orchester, in 
dem aber dem Tondichter herzlich wenig Neues 
eingefallen ist, dann das Violinkonzert op. 8, 
ein Jugendwerk voll reicher melodischer Er- 
findung, klassisch geformt, das Alfred Witten- 
berg sehr geschmackvoll und tonschon vortrug, 
endlich die „Domestika tt , das letzte Glied in der 
langen Kette der StrauBschen symphonischen 
Dichtungen. — Ebenfalls in der Philharmonie 
fand der Richard-StrauB-Abend statt, den Hugo 
Riidel an der Spitze des verstarkten Konig- 
lichen Opernchores veranstaltet hat. Mit 
der schon fruher aufgefuhrten 16stimmigen 
Hymne fur a cappella-Chor „Jakob a begann das 
Programm, mit der neuen Deutschen Motette, j 
ebenfalls fur lBstimmigen gemischten Chor, 
a cappella und vier Solostimmen, schloB es. . 
In beiden zeigt sich der Tondichter als Meister 
in den kontrapunktischen Kunsten, ein Thema 
in immer neuen Wendungen zu kuhnstem 
architektonischen Aufbau zu verwerten. Was 
in beiden Stucken einem Chor an Schwierig- 
keiten in der Intonation zugemutet wird, steht 
wohl einzig in der Chorliteratur da; auch an , 
die Leistungsfahigkeit der Soprane nach der j 
Hone werden fast unmogliche Anfoj-derungenr 

(V 



gestellt. Selbst die Rudelsche Disziplin ver- 
sagte an einigen Stellen bei den Sopranen. Als 
Gesamtleistung floBte die Ausfuhrung der 
Hymne wie der Motette die hdchste Be- 
wunderung ein. Zwischen ihnen wurden noch 
Mannerchore (auch a cappella) „geistlicber 
Maien" und „Lied der Freundschaft* gesungen. 
Dann erschien StrauB selber auf dem Podium, 
um „Tod und Verklarung" und ein paar Lieder 
fur Sopran mit Orchesterbegleitung zu diri- 
gieren, die Frau Andrejewa von Skilondz 
vortrug. An beiden Straufiabenden wurde der 
Tondichter mit endlosem sturmischen Beifall 
bejubelt. — Daran fehlte es auch nicht, als 
Jose Vianna da Motta mit Begleitung der 
von Busoni dirigterten Philharmoniker Mozarts 
Klavierkonzert in Es, das in g von Sgambati, in 
F von Saint-Saens und die Lisztsche spanische 
Rhapsodie in der Busonischen Bearbeitung 
spielte. Kraft, Elastizitat, vollendete Meister- 
schaft in den verwegensten technischen Kunsten, 
erstaunliche Ausdauer sind dem Pianisten nach- 
zuruhmen, dessen kunstlerische Eigenart mich 
stets wieder an Tausig erinnert, an dessen 
stahlerne Herrschaft uber den Flugel. 

E. E. Taubert 
An der Spitze des Philharmonischen Or- 
chesters erschien Leo Blech, um klarzulegen, 
wie sehr ihm Beethovens Eroica ans Herz ge- 
gewachsen ist. Der zweite Teil des Programms 
bestand aus Fragmenten von „Oberon a und 
„Tristan a ; hervorragend mitbeteiligt war dabei 
Melanie Kurt, deren prachtvoller dramatischer 
Sopran auch im Konzertsaal dank ihrer groBen 
Schulung und Vortragskunst aufs schonste zur 
Geltung kommt. — Das 2. Orchesterkonzert Max 
Fiedlersgestaltetesichzu einem groBen Triumph 
fur diesen ausgezeichneten Dirigenten, von dem 
man selbst die verwickeltsten Stellen des „Helden- 
lebens tt von StrauB aufs klarste und eindringlichste 
zu horen bekommt. Das Philharmonische Or- 
chester,dessen erster Konzertmeister Thornberg 
die schwierigen Violinsoli ausgezeichnet spielte, 
ging auf jeden Wink Fiedlers mit groBter Hin- 
gabe ein und spielte auch mit besonderer Freu- 
digkeit dessen noch ungedruckte Ouverture, ein 
ganz famoses Werk, dessen Hauptthema aus- 
gesprochenen Lustspielcharakter sowohl in der 
Erftndung als Instrumentation hat, wfihrend das 
zweite Thema in Wohllaut schwelgt. In dieser 
prachtig gearbeiteten, in einer glanzvollen Coda 
gipfelnden Ouverture ist kein toter Punkt, alles 
lebt und blunt darin, kurz sie kann, wenn sie 
gedruckt ist, darauf rechnen, von jedem Orchester 
standig gespielt zu werden. Solist in diesem 
Fiedlerschen Konzert war Mischa El man, der 
mit dem Brahmsschen Konzert groBe Ehre 
einlegte. — Auf das groBe Geigentalent Nora 
Duesbergs aus Wiendarf nach hal tig hingewiesen 
werden; ihr Ton ist selbst in den hochsten Lagen 
edel und groB, ihr Vortrag des Tschaikowsky- 
schen Konzerts (Bluthner-Orchester) war in jeder 
Hinsicht vortrefflich. — Das Brusseler Quar- 
tett entzuckte seine erfreulicherweise endlich 
sehr gewachsene Zuhorerschaar, in der die Frei- 
billetler fehlen, mitSchuberts a-moll, Schumanns 
A-Dur und Brahms' B-Dur, einer Zusammen- 
stellung, wie sie schoner gar nicht gedacht werden 
kann. — In dem Programm des vortrefFlichen 
SevSik-Quartett s^ata^mhczw jschen Mozarts 

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372 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



d-moll und Beethovens G-Dur der noch unge- 
druckte dreisitzige Zyklus „Lebenslenze a fur 
Streichquartett und Klavier op. 5 von dem jungen 
Prager V. Stepin, der selbst vortrefflich den 
Klavierpart ausfuhrte, recht merkwurdig aus. 
Sicherlich fehlt es ihm nicht an Fantasie, auch 
nicht an genialen Einfallen, aber seine Freude 
an fortwahrenden Dissonanzen und an der rein 
willkurlichen Aneinanderreihung von meist sehr 
gesuchten, ja bizarren Gedanken wirkt gar zu 
verstimmend. — Henri Marteau bildet mit 
seinen jungen Quartettgenossen bereits ein 
so ausgezeichnetes Ensemble, daft sogar Beet- 
hovens a- moll schon eine direkt weihevolle, 
technisch selbstverstUndlich vollendete Wieder- 
gabe findet. Statt der Bachschen Ciacona, die 
Marteau wieder einmal vortrug, hatte ich aber 
auf dem mit Beethovens e-moll beginnenden 
Programm lieber noch ein Quartett gesehen. — 
Das Meistertrio Artur Schnabel, Carl Flesch 
und Jean Gerardy begeisterte mich wieder ein- 
mal in hohem Grade, besonders als es Tschai- 
kowsky's Trio spielte. — Recht jung sind noch 
Ricardo Vines, ein feiner Pianist, Mariano 
Perello, ein solider Geiger, und J. Pedro 
Mares, ein temperamentvoller Violoncellist, die 
das Trio aus Barcelona bilden und uns mit 
Beethoven D-Dur, Schumann g-moll und Dvorak 
f-moll recht annehmbar aufwarteten; ein Trio 
eines spanischen Komponisten bekamen wir 
leider nicht zu horen. Wilhelm Altmann 

John Petersen veranstaltete mit dem Aka- 
demischen Chor und den Philharmonikern 
eine Auffiihrung der „Jahreszeiten a . Sie liefl 
ernstes Streben und fleifiiges Studium erkennen 
und nahm, abgesehen von der Neigung des 
Dirigenten zu breiten Zeitmafien und einer etwas 
spieBburgerlichen Gesamtauffassung, einen im 
grofien und ganzen befriedigenden Verlauf. Den 
stfirksten Eindruck des Abends vermittelte die 
Mitwirkung Messchaert's, neben dem die Ver- 
treter der Hanne und des Lucas (Marta Thanner 
und Pancho Kochen) begreiflicherweise einen 
schweren Stand hatten. — Der Pfannschmidt- 
scheChor (Dirigent: Heinrich Pfannschmidt) 
machte Berlin am Bufttag mit dem Oratorium 
„Quo vadis? a fur Soli, Chor, Orchester und 
Orgel von Felix Nowowiejski bekannt. Eine 
nicht gerade erfreuliche Bekanntschaft. Den 
Komponisten leitete bei der Wahl und musi- 
kalischen Behandlung des Stoffes (den drama- 
tisch-theatralischen Szenen liegt der vielgelesene 
Roman von Henryk Sienkiewicz zugrunde) ofPen- 
bar der Gedanke, ein Werk zu schaffen, das sich 
weniger an einen beschrankten Kreis von Kunst- 
kennern als an das grofie Publikum wendet. 
Eine Art Volksoratorium also. Die hohe Zahl 
von Auffuhrungen, die sein Werk in vielen 
Stadten des In- und Auslands bereits erlebt hat, 
spricht fiir die Richtigkeit dieser Annahme. 
Weniger allerdings fur die Wahrheit des alten 
Wortes, daft fur das Volk das Beste gerade gut 
genug sei. „Quo vadis" ist die Arbeit eines ver- 
sierten Musikers, der eine ganze Menge, bei- 
nahe zu viel, gelernt hat und sich vor allem 
auf alles Technische, im Chor- wie im Or- 
chestersatz, glanzend versteht. Er weifi mit 
routinierter Hand Steigerungcn aufzubauen, ob- 
wohl ihn das fortwahrende Schielen nach dem 
Effekt ein Massenaufgebot an aufierlichen Mitteln 

n'::]":!/r?r! :v,- V fOOQI'C 

(V 



mit wirklich innerer Kraft des oftern verwechseln 
lafit. Nowowiejski ist in alien Arten des Stils so 
gut zu Hause, dafi er leider keinen eigenen be- 
sitzt. Seine Tonsprache entbehrt zu sehr krif- 
tiger Individualist, urn einen Abend lang fesseln 
zu konnen. Das Ganze ist mehr ein Triumph 
kompositorischer Gewandtheit, als der Nieder- 
schlag uberzeugenden Kiinstlertums; weit mebr 
an- und nachempfunden, als aus tiefster Seele, 
aus innerstem Zwang geboren. Als eine Talent- 
probe wird man „Quo vadis" naturlich gern 
gelten lassen, es aber ebenso naturlich ablebnen, 
dieses Oratorium mit dem Tinelschen „Franzis- 
kus" z. B. in einem Atem zu nennen. Die Auf- 
fiihrung liefi mit Ausnahme der vortrefflichen 
Chorleistungen und der Sopranistin Elsa Laube 
infolge der Unzulanglichkeit des Berliner Kon- 
zerthaus-Orchesters und der mSnnlichen Solisten 
manches zu wunschen ubrig. — Eine neue 
Kammermusik - Vereinigung stellte sich vor, 
das Berliner Streichquartett: Gertrud 
Steiner-Rothstein (1. Violine), David Hait 
(2. Violine), Kurt Lietzmann (Bratsche) und 
Fritz Becker (Cello). Zur Wiedergabe aus dem 
Manuskript kam ein Streichquartett in e-moll 
des so fruhzeitig aus dem Leben geschiedenen 
Erich J. Wolff. Man hat dem Andenken des 
ausgezeichneten Begleiters und feinsinnigen 
Lyrikers mit dieser Vorfuhrung wahrlich keinen 
Dienst erwiesen: es ist eine schwache Studien- 
arbeit, unbedeutend in der Thematik, reizlos in 
der Verarbeitung. Eine Hauptschuld an dem 
ungiinstigen Eindruck tragt uberdies die Aus- 
fiihrung. Was sorgrdltige Durchfeilung, Feinheit 
der Abschattierung und Sauberkeit der Intonation, 
kurz was kultiviertes Zusammenspiel anbelangt, 
lafit diese neue Vereinigung mit dem priten- 
siosen Namen vorlaufig so gut wie alles zu 
wunschen tibrig. Das Programm verzeichnete 
noch Regers op. 74. Willy Renz 

Robert Kothe trug in seinem letzten Konzert 
eine ganze Reihe alter Volksgesange zur Laute 
zum ersten Male vor. Der ausverkaufie 
Beethoven-Saal bejubelte wie alle Darbietungen 
des Kiinstlers auch diese neuen Gaben. — 
Karen Bjerlow ist eine tuchtige Pianistin, die 
Beachtung verdient. Sie besitzt eine gute aus- 
geglichene Technik, einen kraftigen Anschlag, 
auch ist ihr Vortrag nicht ubel, der jedoch unter 
einer augenscheinlichen Nervositat litt. Von den 
Klavierstiicken von Victor Bendix, die zum 
ersten Male in Berlin gespielt wurden, konnte 
nur das Menuett durch guten Satz und das 
Volkslied durch etwas aparte Erfindung inter- 
essieren. — Zwei echte Musiker — Walter 
Meyer-Radon (Klavier) und Richard Kroemer 
(Violine) — hatten sich zu einem Sonatenabend 
zusammengetan; beide besitzen so ziemlich alles, 
was man hierzu benotigt. Man konnte daher 
auch nur reine Freude an den Darbietungen 
dieser beiden noch sehr jungen Kunstler baben 
und mud die grofiten Hoffnungen auf sie setzen. 
— Bianca del Vecchio (Klavier) ist zwar noch 
ein Kind, besitzt jedoch jetzt schon fast die 
reife Technik eines Erwachsenen. Hoffentlich 
wird aus dem begabten Kinde noch eine echte 
Kunstlerin. — Maria Seret-van Eyken gehort 
schon seit mehreren Jahren zu unseren be- 
liebtesten Altistinnen. Auch an ihrem letzten 
Liederabend. erfreute sie ihre zahlreichen Zu- 

Uriqinal from 
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KRITIK (KONZERT) 



373 



borer durch ihre kraftige und klangvolle Stimme. 

— Lorle MeiBner hat entschieden Anwartschaft 
darauf, in die Reihe unserer allerersten Konzert- 
sSngerinnen aufgenommen zu werden. Was ich 
zu horen bekam, wurde von ihr fast vollendet 
vorgetragen. Die gut geschulte Stimme ist von 
selten schdnem Wohlklang, und der Vortrag fein 
durchdacht, ein wenig an den Julia Culps er- 
innernd, die sie jedoch an Kraft der Stimme 
ubertrifft. Max Vogel 

Waclaw Kochanski, ein eher tuchtiger 
als auBergewohnlicher Geiger, unternahm es, 
seinem Publikum nur mit Violin-Soli (Bach-Reger- 
Abend) zu dienen. Er entledigte sich seiner sehr 
schwierigen Aufgabe zwar nicht ubel, aber immer- 
hin nicht so, daB man ihm das Experiment noch 
einmal anraten konnte, zumal reine Violin- 
Soli so gut wie immer mehr Kunststueke als 
vollgultige, erbauende Kunst darstellen. — Im 
1. Abonnementskonzert der Herren Florian Zajic 
und Heinrich Grunfeld brachte Lula Mysz- 
GmeineralsSolistin sechs Liedervon Schumann 
zum Vortrag und bewies damit abermals, wie 
sie jedem Komponisten auf die ihm eigenste 
Weise gerecht wird. Im Brahms-Quartett op. 25 

— mit Ossip Gabrilowitsch am Klavier und 
Hans Hasse (Bratsche) — wurde leider viel 
gekratzt, so daB man beim besten Willen zu 
keinem rechten GenuB gelangen konnte. — Betty 
Tennenbaum (Geige) spielte mit gut musika- 
lischem Temperament die Konzerte a- moll von 
Dvorak und h-moll von Saint-Saens. Nament- 
lich die langsamen Satze habe ich selten so ein- 
dringlich-innig spielen horen. Ihre Mitwirkende, 
die Hofopernsangerin Margarete Strauch, kann 
sehr viel, aber ihre technischen Fahigkeiten ver- 
fuhren sie zu erzwungenen Kunsteleien; in 
kleinen Liedern wirkt sie am besten. — Anne- 
marie Monti, deren Material recht angenehm 
wirkt, sang sonst leider so wenig anziehend, dafi 
man um so mehr Aufmerksamkeit dem starken 
Talente des jungen Felix Robert Mendelssohn, 
der mitwirkte, zuwandte. Dieser junge Cellist 
nimmt es heute bereits mit vielen Tuchtigen 
seines Faches auf und durfte sen on nach wenigen 
Jahren in die erste Reihe einrucken. — 5. Klavier- 
abend von Edouard Risler. Das wichtigste Stuck 
des Abends war die B-dur Sonate op. 106 von 
Beethoven, die „Hauptsonate tt sozusagen. Trotz 
der herben, stillen Beseelung, die ihr Risler zu- 
teil werden lieG, und trotz des eminenten Spiels 
kam die eigentliche poetische Idee nicht rein, 
eben nicht leidenschaftlich genug heraus. Den- 
noch fiihlte man uberall: hier ist einer der drei, 
vier Leute, die diese „groBe Philosophie" ver- 
mitteln durfen. — Bei Therese und Willy Bar- 
das (Gesang und Klavier) kann man schon mehr 
als von einem auBerordentlichen Nachwuchs 
sprechen. Namentlich der Pianist sucht mit 
seinen klugeroberten technischen Mitteln Feinstes 
(Beethoven c-moll Sonate op. Ill) nachzuempfin- 
den, was ihm oft erstaunlich gelingt. Auch die 
Sangerin, ein schoner, satter Alt, bietet zur Ge- 
nuge Bemerkenswertes, das auf ihren Namen 
merken heifit. Arno Nadel 

Die Pianistin Else Gipser ware den Ersten 
in res Faches beizuzahlen, wenn die poetische 
Ausdeutung der Kunstwerke auf derselben Stufe 
stunde wie ihre Technik. Diese ist bewunderns 
wert, aber viele Stellen bei Ctyopfn upd Liizt 



[J :i;i/ ? j:! :>Y Citf (Wf i 



klangen trocken und nicht restlos ausgeschSpft. 

— Einen groBen kiinstlerischen Erfolg erspielte 
sich der junge Geiger Roderick White. Sein 
edler Ton voll Gefuhl und Wfirme wird durch 
eine bedeutende Technik unterstutzt und echtes 
Musikertum offenbart sich aus alien AuBerungen. 

— Albert Spalding (Violine) und Coenraad 
V. Bos (Klavier) gaben einen Sonatenabend 
mit klassischem Programm. Beide rechtfertigten 
durch ihre gediegenen Leistungen wieder den 
Ruf ihres ausgezeichneten Namens. — Der 
Hauptvorzug der Mezzosopranistin Fredy Juel 
ist ihr hervorragendes Vortragstalent. Die an 
sich hubsche Stimme ist nicht ganz ausgeglichen 
und klingt manchmal etwas flach. — Im BuB- 
tagskonzert vom Orchester des Deutschen 
Opernhauses unter Leitung von Ignatz Wag- 
halter erlebten vier BuB- und Betlieder von 
E. von Reznicek ihre Urauffuhrung. Sie 
machten, vom Baritonisten Werner En gel ge- 
sungen, einen tiefen und nachhaltigen Eindruck. 
Sie zeichnen sich durch Einfachheit der Kon- 
zeption und wahre Empfindung aus und sind 
von einem wunderbar klingenden instrumentalen 
Gewande umgeben. Wladyslaw W a g h a 1 1 e r 
spielte das Violinkonzert von Brahms mit sicherer 
Erfassung des Stiles. — Ein GenuB war das 
Konzert der Geigerin Isolde Menges mit dem 
Bluthner-Orchester. Sie ist in jeder Beziehung 
eine berufene Kunstlerin,von dernoch vielGroBes 
zu erwarten ist. Lyell-Tayler ist ein tuch- 
tiger Kapellmeister, der in unsere deutsche Musik 
nur etwas zu viele Nuancen hineinbringt. — 
Der Ton des Pianisten Nino Rossi ist noch zu 
wenig kultiviert, sein uberscharfes forte verdirbt 
ihm viel. Sein musikalisches Talent ist sonst 
bedeutend. — Die Altistin Maria Freund sang 
„Die Winterreise** von Schubert. Ihr Vortrag 
zeugt von hoher musikalischer Intelligenz und 
warmer Empfindung. Die Stimmkultur, be- 
sonders die Atemtechnik, steht nicht auf so 
hoher Stufe. — Angenehme Eindrucke nahm 
man auch aus dem Klavierabend von Magda 
von Hattingberg mit. Man mochte nur 
wunschen, daB sie bei ihrer groBen Begabung 
etwas mehr aus sich herausginge. — Der Ber- 
liner Arzte-Orchester-Verein veranstaltete 
unter Mitwirkung der Chor-Vereinigung Berliner 
Arzte sein 1. Konzert. Der lnstrumentalkorper 
ist gut besetzt und enthalt nur wenige Berufs- 
musiker. Die Erste Symphonie Beethovens unter 
Leitung von Max G run berg war noch etwas 
zu hoch gegriffen. Sauberkeit, PrSzision und 
Dynamik lieBen da noch manches zu wunschen 
ubrig. Chor und Orchester wurden dann von 
dem begabten Kurt Singer geleitet. Auch hier 
flel der Mangel aller Nuancierung auf. — Als 
besonders nach der musikalischen Seite hin 
tuchtiger Cellist stellte sich J. Pedro Mar6s 
vor. Schnelle Passagen lieBen noch den letzten 
Schliff vermissen. Emil Thilo 

Eine Fulle kostlicber Genusse gewahrte die 
vornehme Gesangskunst von Edyth Walker. 
Die Stimme klingt im forte, besonders in der 
Hohe schon oft scharf, im piano hat sie ihre 
alte SuBigkeit bewahrt, und hier war es, wo die 
Sangerin stets die tiefstgehenden kiinstlerischen 
Eindrucke erzielte, so in dem reizend-anmutigen 
Vortrag franzosischer Chansons, so in Liszts 
„Mignon a , Brah&1qu'l|^i|c(ircgrtJ a usw. Von 

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374 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



Gustav Brecher wurde sie ganz meisterhaft be- 
gleitct. — Anni Ritters dicker und ausgiebiger 
Mezzosopran wies in der Mittellage schon 
haufig Spuren von Ubermudung oder unrichtiger 
Behandlung der Stimme auf. Zu einem un- 
gestorten GenuB kam es, da gelegentlich auch 
Intonationsschwankungen sich einstellten, nicht, 
auch ware ein nuancierterer Vortrag recht 
wunschenswert gewesen. — Licco Amarspielte 
mit dem von Max Wachsmann geleiteten 
Bliitbner-Orchesterdas Violinkonzertvon Brahms 
und zog sich im aligemeinen befriedigend aus 
der Affare. Seine Technik bedarf noch der Glatte 
und absoluter Sicherheit; der GroBe der Musik 
wurde er nur in bescheidenem Mafle gerecht. — 
Im wesentlichen dieselben Eindrucke wie fruher 
erweckte der Liederabend von Minna Weidele; 
wieder konnte man sich an der intelligenten 
Art zu singen und ihrem musikalischen Ver- 
standnis erfreuen. Stimmlich schien sie an 
diesem Abend nicht besonders gunstig disponiert, 
dagegen gab sie sich ersichtlich Muhe, dem Vor- 
trag groBere Wiirme zu verleihen, was ihr auch 
des ofteren gelang. — Mit Gluck fiihrte sich die 
Trio-Vereinigung Edith Voigtlaender, Hans 
Bottermund und Adolf Miiller ein. Das Zu- 
sammenspiel war sauber und zeugte von HeiBigen 
Studien. Beethovens Es-dur Trio op. 3 gab den 
KunstlernreichlichGelegenheit, sich einzeln und 
im Ensemble vorteilhaft zu bewahren. Unein- 
geschranktes Lob verdient Angelika Rum m el, 
deren Organ sich nach der Tiefe zu ausgedehnt 
zu haben scheint, und die in der Tongebung 
diesmal die erfreulichsten Wandlungen zum 
Besseren aufwies. — Elise Waldmann besitzt 
eine hohe Sopranstimme von kleinem Volumen, 
aber sehr lieblichem, klarem Timbre. In der 
beneidenswerten Lage, sich auf den Tonen um 
h 3 herum behaglich wiegen zu konnen, erzielte 
sie mit allem, was hierauf zugeschnitten war, 
schone Wirkungen. Weniger gut ist es zurzeit 
noch um ihre Kehlfertigkeit bestellt; hier war 
vieles recht verwischt, und ihr sogenannter 
Triller loste sich ofter in eine Art starken Bebens 
auf. — Constantin N ottaras violinistische F2hig- 
keit ist zurzeit noch nicht besonders entwickelt. 
Fur Mozarts A-dur Konzert fehlte ihm Sauber- 
keit in der Tongebung und der Technik. Etwas 
besser lag ihm die blendendere Schreibart des 
d-moll Konzerts von Wieniawski. — Im Voll- 
besitz ihres herrlichen Organs und ihrer hohen 
Kunst erzielte Ella Gmeiner durch die hin- 
reiBende Warme und Gestaltungskraft ihres Vor- 
trags ttefgehende Wirkungen. Sie vereinigt in 
ihrer Art der Reproduktion alle Vorzuge der gut 
geschulten, in Atem und Tongebung untadelhaften 
Konzertsfingerin mit dem lebendigen Erfassen 
und der Vortragsw2rme der Buhnenkunstler. 
Ludwig W. Spoor zeigte sich als hervorragender 
Techniker und geistvoller Begleiter. — Mattia 
Battistini'sStimmeklingtnochimmerfrischund 
bluhend, wie die eines Junglings. Bewunderns- 
wert ist die Leichtigkeit seiner Tongebung. Wie 
Leuchtkugeln schweben die Tone daher, elastisch, 
unbehindert durch irgendwelchen Zwang. Hand 
in Hand damit geht eine vollendete Atemfuhrung 
und glanzvolle Technik. Battistini ist heute eine 
interessanteSpezialitat; Herzund Gemutkommen 
bei ihm nicht auf die Kosten, wohl aber das 
Ohr, das im Wohllaut^des schanen Organs 

(V 



schwelgt, wenn es dafur auch die vielen AuBer- 
lichkeiten der Manier und die Leere der Musik 
mit in Kauf nehmen muB. Hans PleB, der sich 
als Dirigent mit der Leonoren-Ouverture No. 3 
recht ungunstig eingefuhrt hatte, lied als Kom- 
ponist eines Scherzos fiir Orchester zwar leid- 
liches Beherrschen des HandwerksmaBigen, aber 
wenig Erfindungsgabe und wenig eigene Gedanken 
erkennen. Als Begleiter war er besser am 
Platz. — Eine schone, besonders in der hohen 
Lage wohlklingende Sopranstimme, aber wenig 
Kunst zeigte Emmy Nawrath. Die Stimme 
steckt fast durchweg bei mittleren Starkegraden 
im Hals, und infolgedessen flackert fast jeder 
Ton; ruhige Tone erscheinen nur im AfTekt des 
forte. Der Vortrag fiel meist befriedigend aus. — 
Dora Bern steins angenehmer und besonders 
in der hoheren Mittellage wohlklingender Sopran 
wurde viel groBere Wirkungen erzielen, wenn 
die Sfingerin durch unerbittliche Atemstudien 
Ruhe in der Tongebung erlangen mSchte. Jetzt 
flackert alles und setzt hie und da sogar die 
Intonation in Frage. Der Vortrag zeugt von 
musikalischem Erfassen und wurde ebenfalls 
viel lebendiger und klarer wirken, wenn er nicht 
durch jenen Kardinalfehler beeintrachtigt wurde. 

E mil Liepe 
Der Putschsche a cappella-Gesang- 
v ere in bot unter Leitung seines Dirigenten 
Martin Grabert Chorgesange von Ecker, Haupt- 
mann, Schein, Reinecke, Kauffmann („Am Meer", 
op. 19, mufite wiederholt werden) und Grabert. 
Die stimmlichen Qualitaten des Chors hatten 
anscheinend unter der damals schlechten Witte- 
rung zu leiden, denn bedenkliche Rauheiten und 
Intonationsschwankungen durften bei einem gut- 
geschulten Chor nicht vorkommen. Technisch 
gelang manches recht gut. Die mitwirkende 
Sopranistin Mary Mora von Goetz sang u. a. 
ein prachtiggelungenesLiedGraberts„Ganymed ft . 
Weiterhin steuerte das Ehepaar Otto und Lucy 
Nikitits einige kammermusikalische Beitrage 
bei, die freundliche Aufnahme fanden. — Agnes 
Frid richowicz (am Klavier: CoenraadV. Bos), 
absolvierte ein wodernes Programm; u. a. sang 
sie Wagners Wesendonk-Lieder, deren groBe 
Poesie aber recht wenig erschopft wurde. Manches 
gelang immerhin so gut, daB man auf die Zu- 
kunft seine Hoffnungen setzen kann. — Elsa 
Dankewitz sang, von James Simon stimmungs- 
voll und exakt begleitet, ebenfalls (und erfreu- 
licherweise) „Moderne Lieder". Ihre umfang- 
reiche Stimme klingt wohltimbriert, auBer in 
der Hohe, die leicht einige Scharfe (vielleicht 
ist dies zuviel gesagt) annimmt. Auch das mezza 
voce, das stellenweise recht gut gelang, muB 
noch mehr kultiviert werden. Ebenso sollte der 
Vokalisation groBere Sorgfalt zugewandt werden. 
— Elsa Op pier hatte sich mit dem Organisten 
Ludwig Schmidthauer vereinigt. Die Stimme 
der Dame ist sehr sympathisch, ihr Vortrag wohl- 
durchdacht. Man konnte warmer noch bei ihrem 
Singen werden, wurde die Aussprache noch sorg- 
faltiger. Der „Orgelschlager tt hat total „moderne 
Form". Bach und Reger (als reiner Kontra- 
punktiker) ist nichts fur ihn. Eine recht ge- 
schickte Transsknption: „Ah, vieni o Flora** aus 
Haydns „Jahreszeiten a brachte er mit viel Ver- 
standnis zu Gehor. Seine Glanzleistung war 
die Ers^t| r jSvm^fif)|n4 | e | - | - | von F. A. Guilmant. Fur- 

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KRITIK (KONZERT) 



375 



wahr eine respektable Leistung. Manual- und 
Pedaltechnik erwiesen sich als durchaus zu- 
verlSssig, und registrationstechnisch leistcte 
Schmidthauer mitunter Hervorragendes. Nur 
hatte er sich weniger der Walze bedienen durfen. 
Das Kolorit wird dadurch leicbt stereotyp. Auch 
seine Manier zu staccatieren gefallt mir nicht. 
Ein Orgelstaccato darf keinesfalls k 1 a v i e - 
ristisch klingen. Man muB stets bedenken, 
daB man nicht „anschlagt*, sondern(durch Tasten- 
druck) Ventile offnet und schlieBt. — Lissy 
Bottcher hatte in Carl Schaeffer einen 
Klavierpartner gefunden. Ihre Stimme ist noch 
zu wenig ausgeglichen. Mitunter klingt nicht 
ubel, was sie singt, aber der Mangel jedweden 
rassigen Empfindens verleidete mir ein langeres 
Verweilen. Der Pianist muB sich technisch und 
musikalisch noch bedeutend vervollkommnen, 
will er nicht in dem heiBen Rennen unsrertasten- 
meisternden Welt ein klaglicbes Fiasko erleiden. 
— Die Pianistin Else Burger ist technisch 
bereits weiter gefordert. Doch muB sie, um 
dauernd fesseln zu konnen, in Zukunft bemuht 
sein, die Harte ihres Anschlages grundlich zu 
revidieren. — Das 4. Konzert Edouard Rislers 
war wiederum ein pianistisches Ereignis. Wie 
dieser Meister alle Raffinements der Anschlags- 
und Pedaltechnik beherrscht, wie er den inneren 
Gehalt der Kompositionen mit kunstlerisch 
vollendeter Manier zum Vortrag bringt, wie er 
es versteht, jenen geheimnisvollen Konnex 
zwischen sich und dem Publikum herzustellen, 
der notwendige Bedingung ist fur eine tief- 
gehende beiderseitige Empfindungseinigkeit, das 
ist einfach fabelhaft. — Ein Pianist, der viel 
verspricht, ist Ignatz Tiegermann, der mit 
dem Bluthner-Orchester unter der Direktion 
Leonid Kreutzers konzertierte. Die Konzerte 
in c von Rachmaninoff, in e von Chopin 
und in g von Saint-Saens wurden von ihm mit 
technischer Prazision gespielt. Weniger mit 
rhytlimischer; hier erlaubte er sich zu starke 
Rubato-Tempi, die manieriert klangen und den 
Gesamteindruck nicht unwesentlich beeintrach- 
tigten. Sein Anschlag ist besonders im f und ff 
viel zu hart. — An kammermusikalischen Ver- 
einigungen horte ich das Trio der Herren 
Romuald Wikarski (Klavier), Albert Stoessel 
(Violine) und Alexander Schuster (Violoncello), 
das Ungarische Streichquartett und das 
Pariser Capet-Quartett. Erstere musizierten 
in hochst erfreulicher Weise, mit ausgeglichener 
Nuancierung und mustergiiltiger Phrasierung. 
Nur muBten sie sich befleiBigen, mit groBerer 
Innerlichkeit zu spielen. Die Ungarn sind 
bei uns bereits sehr geschatzt wegen ihres 
warmblutigen Spiels. Bei diesem gediegenen 
Ensemble war denn auch eine aus dem Manu- 
skript erstmalig gespielte „Kleine Suite fur 
Streichquartett** in F von Nikolaus Radnai gut 
aufgehoben. Sie erspielten ihr einen annehm- 
baren, wohlverdienten Erfolg. Das funfsatzige 
Werk macht einen durchaus guten Eindruck. 
Ein PrSludium beginnt und ein diesem ahn- 
liches, will sagen verwandtes Postludium be- 
schlieBt die Suite, deren weitere Satze aus einem 
zierlichen, effektvolien „Menuett a , einer „Aria a 
mit vornehm gefuhrtem Melos und charakteristi- 
scher harmonischer Grundfarbung und einem 
temperamentvollen, sehr witzigeir ^"Scherzo" tje- 
D':::i':l-'uij : )v l lOOQIl 



stehen. Eingerahmt wurde diese Novitat durch 
C. Francks D-dur und Beethovens Es-durQuartett, 
op. 74, die beide hervorragend schon zu Gehor 
kamen. Die Franzosen veranstalteten einen 
Beethoven-Abend, an dem sie die opera 18/5, 95 
und 131 zu vollendetem Vortrag brachten. Warum 
allerdings die thematischen J /io des ersten Satzes 
aus op. 95 wie ft klingen sollen, ist mir unklar. 
Das thematische Bild wird dadurch keineswegs 
deutlicher, im Gegenteil. Im ubrigen aber machten 
die vier Kunstler ihrem beruhmten Namen alle 
Ehre, und es ist jedesmal ein Vergniigen, zu 
horen, mit welcher Objektivitat sie unseren 
deutschen Meister interpretieren. Manche Kol- 
legen mogen sich an ihnen darin ein Beispiel 
nehmen. Carl Robert Blum 

Lily von M£rkus zeigte an ihrem Klavier- 
abend reiches Konnen, das ihr in musikalischer 
wie technischer Beziehung in hohem Mafie zur 
Verfugung stand. Die Sonate f-moll von Brahms 
ware mir in breiterer Auffassung lieber gewesen. 

— Joseph Schwarz gab einen wohlgelungenen 
Chopin-Abend. Er ist eine gesund musikalische 
Natur, die noch mehr der Reife bedarf. Etwas 
Einschrankung in bezug auf Schnelligkeit der 
Tempi brachte ihm Vorteil. — Mena Nechans- 
ky (Topfer) spielte vortrefflich. Die Wiedergabe 
der Waldstein-Sonate war groB und mannlich. 

— Max Heineken verliert sich zu sehr ins 
Detail, und dies wird leider zur Manier. Ein 
Mehr- Herausgehen und kraftigeres Zufassen 
waren ihrem Klavierspiel giinstiger. — Adolphe 
Borchard gab einen Etudenabend; Clementi, 
Chopin, Rubinstein, Saint-Saens, Liszt. Obwohl 
die Wiedergabe ein sehr gutes Gelingen hatte 
und dem Pianisten reiche Ehre brachte, ware es 
dennoch besser, wenn Clementi und Rubinstein 
ferngeblieben waren. — Edmund Sch mid spielte 
u. a eine Sonate d-moll op. 4 von Waldemar 
Schmid, die dem Pianisten reiche Gelegenheit 
gab, sein Konnen zu zeigen. — Hans Baer steht 
noch in den Anfangerschuhen; vielleicht daB 
jahrelanges Studium ihn zur Kunst erziehen 
kann. — Kurt Paur ist reifer geworden. Sein 
ernstes Streben ist nicht zu verkennen. Etwas 
groBere Auffassung und mehr Mitgehen des 
Innern wurde aus ihm einen Werdenden machen. 

— Josef Lhevinne spielte fein Klavier. Ob 
diese Feinheit fur ein op. 81a und op. 109 von 
Beethoven ausreicht, bestreite ich, da die innere 
GroBe und Gestaltungskraft, die wir an unseren 
GroBen gewohnt sind, fehlt. Hanns Reiss 

Conrad Ansorges treue Gemeinde — von 

dieser muB auch einmal gesprochen werden — 

hat sich wahrend der letzten Jahre in ihrer Zu- 

sammensetzung nicht geandert: Vorn im Saal 

wurdige, meist schon ergraute Leute, in stummer 

Erwartung vor Beginn des Vortrags, dem sie 

dann regungslos mit geschlossenen Augen zu- 

horen; hinten im Saal eine Anzahl fragwurdiger 

Kunstlertypen mit Notenbuchern; nirgends w Frei- 

beuter 44 , andererseits auch wenig Eleganz, zudem 

fast gar keine Auslander. Niemand stort den 

andern; zwischen den Satzen einer Sonate wird 

| nicht geklatscht; der Beifall am Schlusse ist stets 

! herzlich, aber nie sturmisch; Zugaben werden 

; weder gefordert noch gewahrt; kurzum, dieses 

I Publikum ist sympathiser]. Ein unsichtbares 

Band verbindet alle Anwesenden untereinander 

, und jeden EinzelnCi^prj iqnjit| ^^fr<j^^nstler auf dem 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



376 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



Podium. Der freilich ist nicht mehr ganz der- 
selbe wie ehedem. Aus dem „Poeten am Kla- 
vier" scheint mir immer mehr ein grublerischer 
Denker zu werden. Eine Alterserscbeinung, der 
man sich nicht freuen kann. — Gleich ihm 
spielte auch Ossip Gabrilowitsch die Path£- 
tique-Sonate. Daft diesem gewandten musika- 
lischen Weltmanne nur der auftere Aufbau ge- 
lingen wiirde, war vorauszusehen. Besser liegen 
ihm die Chopin'schen Etuden. Hier vermag er 
sein eminentes techniscbes Konnen glanzvoll 
zu entfalten und seine Horer durch eleganten, 
schwungvollen Vortrag zu begeistern. Er kann 
alles, was Ansorge nicht kann, aber es fehlt 
ihm dessen Innerlichkeit. — Auch TbSophil 
Demetriescu ist ein rassiger Klavierspieler; 
aber an Gabrilowitsch reicht er in keiner Hin- 
sicht heran. Recht ubel waren seine Kadenzen 
zu Beethovens G-dur Konzert; sie fielen stili- 
stisch ganz aus dem Rahmen (nota bene: Stil- 
reine Kadenzen brauchen durchaus nicht immer 
langweilig zu sein). — Ein Klavierabend von 
W. G a m a 1 6 j a zeigte den Konzertgeber als 
einen gewandten Tonsetzer und nicht unbegabten 
Klavierspieler. Daft er technische Mangel durch 
ubermaftigen Pedalgebrauch zu verschleiern 
suchte, gereichte seinen Darbietungen nicht zum 
Vorteil. — Uber den ersten Liederabend des 
Kotzoltschen Gesangvereins ist nur das 
eine zu sagen, daft dieser Verein gut daran tate, 
die Kritik nicht zu bemiihen und statt des ehr- 
wiirdigen Saales der Singakademie ein beschei- 
deneres Lokal zu wahlen, so lange er selbst bei 
einfachen kleinen Chorliedern einen halben oder 
gar ganzen Ton herabrutscht und weder im 
Stil noch im Ausdruck groftstadtischen Anforde- 
rungen genugt. — Nicht sehr erhebend verlief 
auch ein Konzert des Geigers M. Fibere. Der 
junge Kunstler spielte mit warmer, aber schwach- 
licher Tongebung zumeist einen Viertelton hoher 
oder tiefer als das Orchester, und ein arger 
Eklat wurde nur dadurch verhiitet, daft eine vom 
Publikum kaum bemerkte Repetition etlicher 
zwanzig Takte (des letzten Satzes der Schotti- 
schen Phantasie von Bruch) den Solisten wieder 
in Konnex mit dem Orchester brachte. Alle 
Achtung vor der Schlagfertigkeit der Kapelle 
und ihres Dirigenten Edmund v. Strauft. — 
Der zweite Kammermusikabend des Klingler- 
Quartetts bot eine Novitat, ein Streichquartett 
von Karl Klin gler: Wohllautende, aber indiffe- 
rente Musik nach klassischem Rezept; in for- 
maler Hinsicht aufterordentlich geschickt gear- 
beitet, jedoch ohne wertvollen Inhalt. Die Vor- 
fiihrung dieser Epigonenarbeit war um so un- 
notiger, als das Klingler-Quartett der sonstigen 
zeitgenossischen Produktion keinerlei Interesse 
entgegenbringt. Im ubrigen sei noch konstatiert, 
daft die Interpretation des B-dur Quartetts 
(op. 67, No. 3) von Brahms ganz wundervoll und 
uber jede Kritik erhaben war. 

Richard H. Stein 
Der Charlottenburger Lehrergesang- 
verein sang zum erstenmal unter seinem neuen 
Dirigenten Emil Thilo. Das Konzert machte 
einen sehr guten Eindruck, und die Vervoll- 
kommnung, die Thilo schon in dieser kurzen 
Zeit e*rzielt hat, ist aller Ehren wert. Besonders 
nach seiten eines schonen piano sowie auch 
nach seiten der lang entbjehrten DiSjZiplin waren 

C 1 



grofle Fortschritte unverkennbar, so daft man 
dem Verein unter Thilos Leitung wohl eine 
gute Zukunft voraussagen darf. Marix Lo even- 
so hn spielte mit schonem Ton, aber nicht 2u- 
reichender Technik einige Cellostiicke, deren 
Zusammenstellung allerdings nicht eben viel 
Geschmack verriet. — Vernon d'Arnalle, der 
mir als guter Klavierspieler bekannt war, zeigte 
sich als sehr mittelmaftiger Sanger. Seine Stimme 
hat weder in der Hone noch in der Tiefe Resonanz, 
und die Mitte nimmt er zu often. — Umgekehrt 
ist es bei Marie Lydia Gunther, deren Mittel- 
lage nicht klingend genug ist; das fallt um so 
mehr auf, als ihre Hone strahlend und schon 
klingt; sie hat aber viel gelernt, und ihre Atem- 
fuhrung verdient ein besonderes Lob. — Jane 
Tetzel-Highgate weift mit ihrer hubschen, 
fasteinwandfreigebildeten Stimme nichts Rechtes 
anzufangen. Sie singt langweilig und spricht keine 
Konsonanten; aufterdem sang sie nur schottische, 
irische und englische Volkslieder; ich lernte 
daraus wieder einmal schatzen, was fur eine 
ungeheure markige Kraft und Vielseitigkeit doch 
in unserem deutschen Volkslied steckt. — Mar- 
gret Bletzer, nachdem sie eine anfangliche Be- 
fangenheit uberwunden hatte, entwickelte sich 
uberraschend gut. Ihre Stimme ist voll und 
klingend, ihr Vortrag temperamentvoll und mu- 
sikalisch. Nur muft sie sich huten vor Aus- 
sprachefehlern wie: bebondon statt bebenden. 
Schuberts „Du bist die Ruh a vertragt aber am 
Schluft nicht so viel Portamento. — Bei den ver- 
schiedenen Liederabenden wirkten mit Sandra 
Droucker, deren Klaviervortrage nicht eben 
sehr farbenreich oder temperamentvoll waren, 
und Marie Bergwein, die sehr gut begleitete, 
der aber bei der Chopin-Sonate recht bedenkliche 
Gedachtnisfehler unterliefen. 

Max Burkhardt 
Peter von der Osten-Sacken muft vollig 
indisponiert gewesen sein. Anders waren seine 
Leistungen schwerlich diskutabel. Nicht uner- 
wahnt seien die sehr ansprechenden und mit 
feinem Stilgefuhl gearbeiteten Lieder von L. 
Schutz, der personlich am Flugel fungierte. — 
Natalie AktzSry entrollte ein ganzlich inter- 
nationales Programm, sang mit Verve und Ele- 
ganz russische, franzosische und italienische 
Lieder. Aber nicht ein deutscher Laut „entflob 
dem Gehege ihrer Zahne a . Hubsche Stimme 
und geschmackvolle Singweise bewies sie jeden- 
falls, ebenso wie ihr Begleiter M. J owanowitsch 
Verstandnis und Konnen. — Martha Schley 
war es mit ihrem Liederabend wohl weniger 
darum zu tun, als nachschaffende Kunstlerin 
zu brillieren, wie den Beffihigungsnachweis einer 
vertrauenswurdigen Gesangspadagogin zu er- 
bringen. Das ist ihr im groften ganzen scbliefi- 
lich auch gelungen, wenngleich nicht verkannt 
werden soil, daft das Organ als solches der Zeit 
fuhlbar tributpflichtig geworden ist. Scharfen, 
hauptsUchlich in den Bruchtonen (e, f) und Un- 
reinheiten an exponierter Stelle gab es haufig 
genug. Alexander Neumann am Flugel waltete 
feinfuhlig und hilfsbereit. — Elsa Kaulich konnte 
die sympathischen Eindrucke, die sie besonders 
mit Cornelius' Weihnachtsliedern und Gesangen 
von Kamillo Horn usw. hinterliefi, fur die Zukunft 
noch mehr vertiefen, wenn sie bei Vermeidung 
allzuhell^rTongebunc in der Hohe die tiefere 

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KRITIK (KONZERT) 



377 



Mittellage gekraftigt haben wird. Im ubrigen 
vereinigt sich bei ihr Qualitat der Mittel mit 
ehrlichcm Konnen. Besonders erfreulich wirkt 
der schlichte und poesievolle Vortrag unter 
ganzlicbem Verzicbt auf effektbascherische Aus- 
drucksposen. Die guten Intentionen wurden von 
Wilhelm Scholz pianistisch wirksam unterstutzt. 
— Als Liedersangerin fehl am Ort scheint 
Augusta Scbacht zu sein. Sie kann allenfalls 
einmal eine brauchbarehocbdramatischeSSngerin 
werden,auf jeden Fall ist ihr aber eine griindliche 
Reform ibrer Gesangskultur dringend zu raten. 
Dieses schon von Natur aus zwar voluminose 
aber etwas robuste und wenig biegsame Organ 
entbehrt noch stark des Schliffes und muC auf 
Grund ernster Studien zu Resonanz und Trag- 
fShigkeit erzogen werden. — Einen gut aus- 
geglichenen Mezzosopran von dunklem, warmem 
Timbre hatte Hilde Ellger ins Treffen zu fuhren. 
Ihre durchweg sympathischen Gesangs- und 
Vortragsmanieren bedurfen nur noch in tech- 
nischer und asthetischer Hinsicht einiger Re- 
touchen, so die Beseitigung der nicht ungefahr- 
lichen Schulteratmung und eine etwas lichtere 
Farbengebung in der Mittellage. Allein der 
Gesamteindrucklaftt eine hoffnungsvolle Prognose 
zu, und der mehr lyrische Teil der Geschmack 
und Stilgefuhl verratenden Liedfolge zeigt heute 
schon eine erfreuliche Reife. An beiden Abenden 
leisteten die Herren Coenraad V. Bos und Otto 
Bake Vorzuglicbes. — Schade war es um Helene 
Gunther, denn ihre Stimme ist wohl konser- 
viert und tonlich richtig gebildet, aber ich 
habe eine derart ungenugende Sprachbehandlung, 
ja eine anscheinend prinzipielle Elimination alles 
Sprachlichen aus dem Gesang noch niemals 
gehort. Die Dame hatte statt Dichtungen von 
Goethe, Geibel usw. ebensogut japaniscbe 
Solfeggien zum „Vortrag a bringen konnen. Reine 
Freude konnte man an den pianistischen 
Leistungen Fritz Lindemanns haben. — Auch 
Elisabeth Saatz hat die Meisterregeln nicht 
beizeiten gelernt, was bei ihren herzlich un- 
bedeutenden Mitteln doppelt notig gewesen ware. 
So konnte sie in keiner Weise vor der Offent- 
lichkeit bestehen. Eduard Behms Begleitung 
dokumentierte reife Kiinstlerschaft. 

Rudolf Wassermann 
DRAUNSCHWEIG: Aus der Musikflut taucben 
"nur wenige bemerkenswerte Konzerte auf: 
zwei der Hofkapelle unter Richard Hagel, 
eins mit Margarete Siems, das andere mit 
Telemaque Lambrino als Cast. Die Kammer- 
musik wird von der „Trio-Vereinigung tt (E. K a s e - 
litz, W. Wachsmuth, E. Steinhage) und 
dem „Verein fur Kammermusik" vertreten, den 
A. Bieler nach Riedels Tod mit Frl. E. Knoche, 
den Mitgliedern der Hofkapelle Miihlfeld, 
Daume und Giemsa neubildete. Unser Solo- 
cellist Bieler verband sich mit Paul Aron 
(Berlin) zu Sonatenabenden. E. K n o c h e brachte 
sich mit einem Klavierabend, K. Gorn mit 
einem Orgelkonzert im Dom in empfehlende 
Erinnerung. Der Besuch aller Konzerte ist 
schwacb, das muGten sogar Burm ester und 
Lamond schmerzlich erfahren. Der Gesang- 
verein „Franz Abt" unter Heger gestaltete 
ein Konzert zum „Hugo-Kaun- Abend", der 
dem Komponisten viele Verehrer erwarb und ihm 
personliche Ehruneen eintrug. yriTs.uStjer T 

Li'inli/r?:: :)y\ iOOvK 

O 



l^RESLAU: Das 3. Abonnementskonzert des 
" Orchestervereins brachte die Symphonie 
No. 3 Es-dur von Schumann in tadelloser Aus- 
fuhrung. Als Neuheit horten wir den „Lebens- 
tanz a fur grofles Orchester von Deli us, ein 
Werk, das trotz guter Ausfuhrung nur mafliges 
Interesse erregte. Karl Fried berg spielte das 
c-moll Konzert von Beethoven und die Sym- 
phonischen Variationen von CSsar Franck in der 
ihm eigenen musikalisch-plastischen Art. Das 
4. Abonnementskonzert wurde von der Sing- 
akademie veranstaltet und bescherte uns als 
erste Nummer eine sehr interessante alte Neu- 
heit, namlich die Trauer-Ode auf das Ableben 
der Gemahlin Augusts des Starken von Bach. 
Die Auffuhrung erfolgte in Anlehnung an die 
Bearbeitung von Ph. Wolfrum. An Stelle des 
Originaltextes von Gottsched war die Umdichtung 
von W. Rust gewahlt worden. Das alte Werk 
machte dank der sehr sorgsamen Vorbereitung 
durch Dohrn einen geradezu vorzuglichen Ein- 
druck und war auch denen, die sonst Bach gut 
zu kennen vermeinen, eine angenehme Ober- 
raschung. In dem anschliefXenden Deutschen 
Requiem von Brahms wurden die Soli von Luise 
Hirt (Sopran), Agnes Leydhecker (Alt), Anton 
Kohmann (Tenor) und Alfred Kase (Bali) ge- 
sungen. Der zum Tenor kunstlich hinauf- 
geziichtete Bariton Kohmann und die Altistin 
Leydhecker vokalisierten so dunkel, daB ein 
grolier Teil der Wirkung verloren ging. Un- 
getriibten GenuQ dagegen bereitete der sehr 
wohlklingende und biegsame Sopran von Luise 
Hirt und der glanzend geschulte BaB von Alfred 
Kase. — In dem Benefizkonzert fur das Stamm- 
orchester des Breslauer Orchestervereins sang 
Minnie Nast mit grolJem Erfolge eine Arie aus 
„Tosca" von Puccini. — Der 2. Kammer- 
musikabend wartete auf mit je einem Streich- 
quartett von Tschaikowsky (D-dur op. 11), 
Schubert (G-dur) und Haydn (D-dur). — Der 
Dirigent der volkstiimlichen Mittwochkonzerte 
Hermann Behr brachte, reizend ausgefeilt, die 
Balletsuite „Der Nuliknacker" von Tschaikowsky 
und die Symphonie No. I von Schumann. Elsa 
GlaB-Sant sang eine Anzahl fremdliindischer 
und deutscher Volkslieder nach dem Satz von 
H. Reimann. Mit dem Klavierkonzert No. 1 
von Brahms und einer Anzahl Solostucke von 
Chopin hat sich der Pianist Richard Buhlig 
recht gut in Breslau eingefuhrt. — Von 
solistischen Veranstaltungen seien erwahnt der 
glanzend verlaufene Klavierabend von Alfred 
Hoehn und der erfolgreiche Liederabend von 
Elena Gerhardt. In einigem Abstand davon 
rangieren die Liederabende von Margarete Kluge, 
Else J a e h n , das Konzert des russischen Cellisten 
Pokrowsky, sowie die Konzerte von Franz 
v. Vecsey und Raoul v. Koczalski. 

J. Schink 
pvRESDEN: Das 2. Hoftheaterkonzert der 
" SerieBverliefohneNeuheit,gababerHermann 
Kutzschbach Gelegenheit, sich mit der Inter- 
pretation von Beethovens 8. Symphonie als Kon- 
zertdirigent von starker Eigenpersonlichkeit zu 
zeigen. Solist war Willy Burmester, der mit 
Paganinrs Violinkonzert D-dur jenen sagenum- 
wobenen Zaubergeiger in technischer Beziehung 
noch uberpaganinierte, aber mit allseinerglitzern- 
jden, funkelnden ©rtqisi-ldtfrulidht zu Herzen 

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378 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



sprach. — Im2. Philharmonischen Konzert 
erzielte Frieda Langendorff freundlichen Er- 
folg, wurde aber durch Moriz Rosenthal, der 
seit langen Jahren Dresden gemieden hatte und 
nun die Horer durch seine grofiere, reifere und 
vielseitigere Kunst hinrifi, in den Schatten gestellt. 
— Die Robert Schumannsche Singaka- 
<lemie fuhrte mit einer Wiedergabe des„Messias a 
ihren neuen Dirigenten Edwin Lindner ein, in 
dem das dramatische Element ziemlich stark zu 
sein scheint, wShrend er im Oratoriumstil noch 
nich-t ganz heimisch ist. Doch verriet sich eine 
Personlichkeit, deren Entwickelung zu beobachten 
interessant sein wird. — Johanna Lohr erwarb 
sich als Pianistin von grofler Technik, musika- 
lischem Verstandnis und schonem Anschlag auf- 
richtige Wertschfitzung; in Mary Gleisberg hat 
Dresden eine sehr stimmbegabte und im Vortrag 
anmutige junge Sopranistin gewonnen; Franz 
v. Vecsey erbrachte abermals den Beweis dafdr, 
daft aus dem ehemaligen Wunderknaben jetzt ein 
Geiger von hohem, solidem Konnen und pracht- 
voller Kraft und Naturlichkeit geworden ist. Ein 
Abend des Briisseler Streichquartetts ver- 
mittelte Genusse, die in ihrer Art einzig sind. In 
dem Musiksalon von Bertrand Roth kam Max 
Trapp mit eigenen Kompositionen zu Worte, 
von denen eine Cellosonate und ein Klavier- 
quartett e-moll als Beweise eines erfreulichen, 
wenn auch noch nicht ganz geklarten Talentes 
gelten konnten. F. A. Geifiler 

CRANKFURT a. M.: Man hat eine grolie Uber- 
* raschung erlebt. Ludwig Rottenberg, den 
man als ungewohnlich feinsinnigen und tempera- 
mentvollen Dirigenten kannte, ist mit einer Reihe 
von Gesangen in einem Abend der „Gesellschaft 
fur Ssthetische Kultur" als Komponist vor die 
Offentlichkeit getreten. Diese Lieder sind aus 
einem pldtzlichem eruptiven Zwang heraus ent- 
standen und haben mit dem, was man so ge- 
meinhin Kapellmeistermusik nennt, nichts zu 
schaffen. Die charakteristischsten Gesange sind 
wohl die Lieder nach Heinrich Heine. Es ist be- 
kannt, dafS Schubert und Schumann nureinemTeil 
des Heineschen Geistes gerecht geworden sind: 
der ironische Zug fehlt ihnenund mufitebei ihnen, 
den Romantikern, fehlen. Der ist nun uberden 
Einfluli E. T. A. Hoffmanns hinweg durch Gustav 
Mahler in die Musik eingefuhrt worden. Diese 
Zeitstimmung greift Rottenberg auf und kom- 
poniert Gedichte, die dem Durchschnittsgehirn 
unkomponierbar scheinen. Mit einem ganz 
merkwurdig sicher treffenden Ausdruck kurzer 
Motive, mit den Mitteln aparter Rhythmik und 
Harmonik weiB Rottenberg musikalische Stim- 
mungsbilder von einer plastischen traumsatten 
Vision hinzustellen, wie das nur einem Musiker 
gelingt, der mit der instinktiven Sicherheit das, 
was ist, fuhlt. Dabei nirgends Genrekunst, 
nirgends eine kleinliche Ausmalung von Neben- 
sachlichem. Die Gesamtstimmungaller Gesange 
birgt eine ungluckliche unerfullte Sehnsucht mit 
dem leisen Unterton tragischen Schmerzes in 
sich. Die Vielseitigkeit und Differenzierung 
dieser Gefuhlsregungen ist erstaunlich. Vor 
allem: es sind Gesange von einer eigenen 
musikalischen Physiognomic Der Baritonist 
Karl RehfufJ interpretierte die Gesange mit 
dem Komponisten am Flugel in ganz ausge- 
zeichneter Weise. — Eiji Schuberjt-Abend des- 

C.V 



D'::j"«i,-'L 



selben Singers, der die Mullerlieder in zyklischer 
Form sang, machte auf seine starke Begabung 
zum Vortragskunstler wiederum aufmerksam. 
In Hermann Zilcher hatte er einen wunder- 
vollen Begleiter. Adolf Rebner, der Primarius 
des fruheren Rebnerquartettes, hat neue Quartett- 
kollegen gefunden: Emil Hauser, Walter 
Kunkel und Gerald Maas. Das neue Rebner- 
Quartett fuhrte sich gleich beim ersten Abend 
sehr vielversprechend ein. In dem glanzenden 
Zusammenspiel fiel namentlich der ruhige Cellist 
mit seiner wundervollen Tongebung auf. Aucb 
das Quartett der Herren Walther Davisson, 
Ludwig Keiper, Ludwig Natterer und Her- 
mann Keiper brachte an seinem ersten Abend 
eine musikalisch sehr beachtenswerte Leistung 
zu Gehor. Der Neebsche Mannerchor fuhrte 
Fritz Volbachs neues Mannerchorwerk vom 
„K6nig Laurin** sehr beifallswurdig auf. Das 
Werk mit seinem Streben nach popularen 
Wirkungen gefiel sehr. Die Baritonpartie sang 
Herr Geifie- Winkel, der auch zwei bubscne 
Orchestergesange des tuchtigen Vereinsdirigenten 
Rudolf Werner (Siegen) vortrug. Aus der 
Reihe der Liederabende verdient Frau Neu- 
gebaue r-Ravoth, die mit Coenraad V. Bos 
klassische und moderne Lieder sang, vor allem 
erwfthnt zu werden. Carl Fried berg lieO sich 
wieder in der Stadt seiner fruheren Wirksamkeit 
horen; zu seinem Klavierabend war leider nur 
wenig Publikum erschienen. Karl Werner 
LIALLE a. S.: Das 2. Konzert der Theater- 
** kapelle unter Wetzlers Leitung war Berlioz 
und Straufi gewidmet und brachte die Sympbonie 
phantastique und „Till Eulenspiegel" als Haupt- 
werke, wahrend Prof. Winderstein an die 
Spitze seines zweiten Programmes Brahms* D-dur 
Symphonie gestellt hatte. Als Solisten wirkten 
dort Franz Steiner, hier Paul Scbmedes 
mit. — Einen bedeutenden kunstlerischen wie 
finanziellen Erfolg hatte die Dessauer Hof- 
kapelle unter Franz Mikoreys Leitung zu 
verzeichnen. Wenn man auch mit der Programm- 
aufstellung nicht gerade einverstanden sein 
konnte — auBer der Faust-Ouverture und dem 
Siegfried-Idyll kamen nur Opernvorspiele zum 
Vortrag — , so war es doch einmal interessant, 
die musikalische Entwickelung Wagners an der 
Hand der Ouvertiiren, die ziemlich treu in der 
historischen Folge zur Ausfuhrung gelangten, zu 
verfolgen. Die mitwirkende Kammersangerin 
Gura-Hummel konnte mit den funf Wesen- 
donk-Gesangen keine tieferen Wirkungen aus- 
losen. — Einen nachhaltigen Eindruck hinter- 
liefi die Auffuhrung von Brahms' w Deutschem 
Requiem", das von der Robert Franz-Sing- 
akademie unter der alles belebenden Leitung 
von Alfred Rahlwes in seltener Schonheit er- 
strahlte. Ebenso packend und ergreifend kam 
die Bachsche Kantate „Wer weiB wie nahe mir 
mein Ende a zur Wiedergabe. Der Chor und die 
Solisten Eva Bruhns, Frau Prof. Sch m idt und 
Dr. Wolfgang Rosenthal boten Ausgezeicb- 
netes. — Ganz und gar in seinen Bann zu 
zwingen gelang auch dem Kl ingle r-Quartett, 
das aufier Haydn und Beethoven in der Mitte 
Karl Kl ingle rs Streichquartett in fis-moll als 
Urauffuhrung in seltener Vollendung bot. 
Das Werk ist seiner aufieren und inneren Ge- 
staltun^ nach pine vollendete Schopfung, ein 

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KRITIK (KONZERT) 



379 



kontrapunktisches Meisterwerk, das fur die Zu- 
kunft des noch jungen Tondichters sehr viel 
erwarten laBt. Wenn der Komponist den Schlufi 
des langsamen Satzes einer Umarbeitung unter- 
ziehen wollte, wurde das Quartett entschieden 
noch gewinnen. Die skalenartige Partie be- 
deutet nach meinem Empfinden den einzigen 
toten Punkt in den vier SStzen. Hier lafJt die 
sonst starke Empfindung etwas nach. — Das 
Wille-Quartett lieft in seinen zwei Abenden 
solistisch seltener zu hdrende Instrumente zu 
Worte kommen: im 1. Konzerte wirkte die Oboe 
in einem Mozartschen Werke mit und in dem 
2. Abend brachte das Horn-Trio in Es-dur von 
Brahms eine stark fesselnde Abwechselung. 
Beide Instrumente wurden von Mitgliedern des 
Leipziger Gewandhauses musterhaft gespielt: 
Alfred Gleiftberg (Oboe), Arno Rudolph 
(Horn). — Von den Solisten interessierte unser 
Publikum der LautensSnger Kothe sehr stark 
Er hatte einen vollen Saal und sturmische Hul- 
digungen zu verzeichnen. Ein starkes Klavier- 
talent lernten wir in Jascha Spiwakowski 
kennen, der seinen Weg machen durfte, wenn 
er sich erst die erforderliche Vertiefung ange- 
eignet hat. Auch auf Verbesserung der Ton- 
qualitat mufi er noch seine Aufmerksamkeit 
lenken. Martin Frey 

UANNOVER: Im letzten Abonnements- 
" konzert der Koniglichen Kapeile (Gille) 
ersang sich die Altistin Hoffmann-Onegin 
einen erneuten unbestrittenen Erfolg; Beethovens 
„Siebente" und StrauB' „Festliches Praludium" 
rahmten als wurdig interpretierte Orchester- 
nummern die Soli ein. Das BuBtagskonzert der 
Musik-Akademie (Josef Frischen) befaBte 
sich mit einer Wiederholung von Bossis „Das ver- 
loreneParadies", die Gesellschaftder Musik- 
freunde (Leimer) veranstaltete im Festsaal des 
neuen Rathauses ein solennes Festkonzert, und 
das 1. Lutter-Konzert bestand lediglich aus 
Orchestervortragen der „Meininger tt unter 
Reger, mit Regers „Bocklin a -Suite als inte- 
ressanter Novitat. — Von den vielen Solisten- 
konzerten ist das Jubilaumskonzert unseres ein- 
heimischen Pianisten Emil Evers besonders 
namhaft zu machen, der damit den Tag festlich 
beging, an dem er vor 30Jahren zum erstenmal 
hier offentlich auftrat. — Kammermusik-Abende 
unseres Riller-Quartetts, des Kltngler- so- 
wie des Sevoik-Quartetts, verschiedene 
Liederabende (Frieda Hempel, Lauenstein, 
e tutti quanti) vervollstandigen das kaleidoskop- 
artige Bild unseres Konzertlebens. 

L. Wuthmann 
l^ARLSRUHE: Im Verlauf einer „StrauB- 
**> Woche" dirigierte Richard StrauB neben 
verschiedenen seiner Buhnenschopfungen auch 
ein Orchesterkonzert von nur eigenen Kompo- 
sitionen. An Orchesterwerken kamen auBer der 
hier wohlbekannten sinfonischen Dichtung „Don 
Juan" die neueste Schopfung, das „Festliche 
Praludium" fur Orchester und Orgel, sowie 
„Salomes Tanz" zu Gehor. Letzterer fand als 
cbarakteristischer Ausschnitt der hier noch un- 
bekannten „Salome a -Musik mit den schillernden 
und glitzernden musikalischen Farben, den 
orientalischen Motiven und eigenartigen Rhyth- 
men den starksten Beifall. Das „Praludium a 
ist naturlich mehr als eine bloBe Qelelenheitsv 

n 



komposition und durfte bei seiner auBerordent- 
lichen Wirkungsfahigkeit bald die Runde durch 
unsere Konzertsale machen. Kammersanger 
Buttner sang mit sonorer Stimme und guter 
Erfassung des Inhalts und lebendigem Vortrag 
zwei Lieder fur Bariton, und Hofopernsangerin 
Lorentz-Hollischer steuerte ebenfalls zwei 
Straufische Gesange ( w Verfuhrung a und „Gesang 
der Apollopriesterin**) bei. StrauB wurde sehr 
gefeiert. — Aus der grofien, fast ubergroOen 
Zahl der Solistenkonzerte erwShnen wir den 
ersten Kammermusik-Abend der Pianistin Hedwig 
Diefenbacher, die sich im Verein mit dem 
Hegner-Quartett nicht nur als feinfuhlige 
Kammermusikspielerin, sondern auch als vor- 
zugliche Solospielerin von hervorragenden tech- 
nischen und musikalischen Qualitaten erwies. 
Klavierabende veranstalteten ferner T. Lam- 
brino und K. Friedberg, den wir zu den aller- 
ersten Vertretern seines Instruments zahlen. 
Nicht minderen Erfolg hatte der Geiger Karl 
Flesch, der mit seinem meisterlichen Spiel das 
Publikum entzuckte. Der Bachverein brachte 
im 27. Konzert eine wohlgelungene Auffuhrung 
von Mendelssohns „Paulus u , die ebenso die 
Tiichtigkeit und Zuverlassigkeit des Chorkorpers 
wie die hervorragenden kunstlerischen Fahig- 
keiten seines Leiters, Hofkirchenmusikdirektors 
Brauer erkennen lieB. Franz Zureich 

l/'OLN: Als erste Darbietung des 3. Gurze- 
**- nichkonzerts horte man in Urauffuh- 
rung Heinrich Zollners neueSymphonie d-moll 
mit dem Titel „Im Hochgebirge", des Tonsetzers 
Dritte. Grundlegend fur den Gedankengang des 
Werks waren Eindrucke, die Zollner bei seinem 
jungsten Verweilen in den Graubundner Alpen 
hatte, und so spiegelt die Musik in nicht minder 
phantasievoller als warmherziger Weise Natur 
und Stimmungen wider, dazwischen finden im 
Scherzo auch die lustigen Spukgestalten der 
Alpenteufel und -feen recht originelle Schil- 
derung. Mit offenen Augen und empfindsamem 
Herzen hat der Komponist in der Wunderwelt 
der Hochalp einen Tempel der Natur gefunden, 
und darin konnte auch Andacht dem Kunstler 
nicht fehlen, die in feierlich-dankbaren Tonen 
zu uns spricht. Die thematische Entwickelung 
bringt viel des Interessanten; blumenprangende 
Taler und eisige Hohen regten den Tonsetzer 
zu vielfarbig wechselnder Instrumentierungs- 
kunst an, wahrend die nur auf gewissen kurzen 
Strecken ein wenig nachlassende Erfindung sich 
im allgemeinen durch kernige Frische und die 
sympathisers Kraft des Naturlichen auszeichnet. 
Fritz Steinbach hat sich der Neuheit mit aller 
Hingebung angenommen, und so gab es eine 
prachtvolle Ausfuhrung, die dem Komponisten 
nirgends etwas schuldig blieb und dem Audi- 
torium das Werk in schonster Beleuchtung zeigte. 
Zollner war Zeuge seines schonen Erfolgs und 
wurde mit Steinbach. zusammen herzhaft akkla- 
miert. Die erstmalig hier erscheinende treffliche 
Pianistin Tina Lerner erzielte mit Griegs a-moll 
Konzert und Solostucken sturmischen Beifall, 
und das Orchester exzellierte unter Steinbach 
weiter mit Regers Ballet-Suite und der Ouverture 
zu Berlioz' w Corsar". — In der Musikalischen 
Gesellschaft hatten sich jungst der jugend- 
iiche Pianist Hans Bruch und die Mezzo- 
Isopranistin Anna Hafiteioprirtawipfiniat Aufnahme 

1 ■ UNIVERSITY OF MICHIGAN 



380 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



zu erfreuen, dann waren es die Silngerin Char- 
lotte Lohr-Jager und der Pianist Paul 
Schramm, die bei einem gemeinsam ver- 
anstalteten Abend recht ungleich abschnitten, 
letzterer durch Auffassung und Technik sehr 
gut, erstere wegen noch riickstandiger kunst- 
lerischer Kultur weit minder vorteilhaft. — Bei 
einer von der Kolner Singakademie unter 
Josef Mullers (Eschweiler) ruhmlicher Leitung 
gebrachten Auffuhrung von Schumanns „Paradies 
und Peri" zeichnete sich Cecile Vain or als 
Peri, deren hohe Lage sie in bestem Stile be- 
herrscht, in erfreulicher Weise aus. 

Paul Hiller 

KOPENHAGEN: In drangender Fulle sind die 
Konzcrte gleich in den ersten Saisonmonaten 
gekommen. Namentlich gab es eine Flut von 
fremden Garten, gewiB mehr als Kopenhagen 
zu konsumieren vermochte. Meistens handelte 
es sich um Solistenkonzerte und unter diesen 
wieder am haufigsten um Kiinstler, die schon 
vorher unsere Hauptstadt erfreut hatten. Von 
Chor- oder Orchesterkonzerten fanden verhfilt- 
nismaBig wenige statt; in diesem Punkt laBt das 
Kopenhagener Musikleben uberhaupt manchen 
Wunsch offen. Von den Gasten behaupteten 
sich in erster Reihe wohl Ignaz Friedman, 
Julia Culp,John Forsell, Ludwig Wullner und 
Josef Pembaur; von jungeren oder weniger 
gekannten ernteten Lorbeeren der Orgelmeister 
Straube, der Geiger Telmanyi und die 
Sangerin Susan Metcalfe, nach ihnen die 
Pianisten Egon Petri und Paul Schramm und 
der Geiger Spalding. Eigenartig warder Grieg- 
Abend, an dem die greise Frau Nina Grieg am 
Klavier Lieder des verstorbenen Meisters be- 
gleitete (gesungen von Frau M. Lendrop). — 
An der Spitze der Orchesterkonzerte stand ein 
von S a fonof fin seiner bekanntenArt geleitetes, 
mit dem hier zum ersten Male spielenden Lh6- 
vinnealsSolisten. (MitdemCellistenBelousoff 
zusammen gab Safonoff spater einen Beethoven- 
Sonaten-Abend, ohne als Pianist besonders zu 
begeistern.) Im „Musikverein a fuhrte Neruda 
zum ersten Male Sgambatis klangvolles, frei- 
lich etwas nach „Gelegenheit tt schmeckendes 
Requiem, auf. — Carl Nielsen dirigierte im 
ersten „Kapellkonzert tt altere Werke und fuhrte 
die finnische S&ngerin Liljequist ein. — Die 
jungen Kiinstler Peder Gram als Dirigent und 
A. Stoffregen am Klavier dagegen machten 
mit Neuigkeiten bekannt, u. a. mit Regers „Lust- 
spielouverture" und L. GlaB' groBer „Klavier- 
Fantasie" mit Orchester, die in klanglicher und 
harmonischer Hinsicht ganz modern anmutet. 
Auchdie w Brusseler", die leidernichtganz unter 
dem gewohnlichen Andrang des Publikums eine 
Reihe ihrer schonen Abende einleiteten, brachten 
eine dSnische Neuheit: ein Quartett von Hakon 
Borresen, das mit flotter und sicherer Hand- 
schrift, die freilich etwas Personlichkeit vermissen 
l&Bt, geschrieben ist. William Behrend 

I EIPZIG: Im 5. Ge wandhauskonzert ver- 
*-* mittelte unser empfindungs- und verstandes- 
kniftiger Operndirektor Otto Lohse an Stelle 
des beurlaubten Gewandhauskapellmeisters 
Schuberts selten gespielte funfte Symphonic in 
B-dur und Mozarts Maurerische Trauermusik 
mit starker Einfuhlung in zwei der musikalisch- 
sten Musiker. Pablo Casals zeigte sich in 

! :«vl iOOOK" 
(V 



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Haydns Cellokonzert und einer Bachschen Suite 
von neuem am starksten nach der Seite des 
weichen sangreichen Tones und der spielenden 
Oberwindung des Technischen. Den folgenden 
Abend leitete Nikisch in uberragender Weise 
ein mit Draesekes Symphonia tragica, die ein 
Standwerk unserer groBen Orchester zu werden 
verdient. „Hektors Bestattung", von L. Wullner 
mit Botho Sig warts nicht sehr personlicher, 
aber vornehmer Orchestermusik vorgetragen, 
hinterlieB starke Eindrucke. — Als Hauptwerk 
fur sein Philharmonisches Konzert batte 
Winderstein August Scharrers d-moll Sym- 
phonic „Per aspera ad astra", ein gemafligt 
modernes Werk, das flott gezeichnet und vor- 
trefflich instrumentiert ist, aufs Programm ge- 
setzt. AuBer den Geschwistern Sutro, die 
Mozarts Es-dur Konzert fur zwei Klaviere, im 
langsamen Satz am besten, fur Mozart aber 
vielleicht etwas zu notengetreu spielten, wirkte 
als sehr sympathischer Vermittler Mozartschcr 
und vor allem Schubertscber Gesange Franz 
Steiner mit. — Zu einer wahren Beethoven- 
feier gestaltete sich der Abend, den Felix 
Weingartner mit dem wohldisziplinienen 
Bluthner-Orchester und dem einheimischen 
G. Havemann (Violinkonzert) dem Meister 
widmete. — Von den beiden BuBtags-Chorkon- 
zerten kann hier nur der innerlich belebten 
Wiedergabe der Hohen Messe durch den Bacta- 
verein (Karl Straube) gedacht werden; unter 
den Solisten ragten besonders der Sopran (Frau 
v. Rappe) und der Tenor (Herr Globerger) 
hervor. — Einen groBen kunstlerischen Erfolg 
erspielte sich von neuem das Bohmiscbe 
Streichquartett in seinem Schubertabend. 
Catharina Bosch vermittelte mit kraftiger Auf- 
fassung Sonaten von Brahms, Beethoven und 
ihrem temperamentvollen Begleiter Julius Weis- 
mann (fis-moll, op. 47), und der hier auch schon 
vorteilhaft bekannte Cellist August Bieler ent- 
lockte seinem Instrument eine warme Tonfulle. 
Einem lieben elfjahrigen Jungen von Geiger 
wunschten wir als Weihnachtsgeschenk siatt 
einer neuen Violine ein paar Schlittschuhe. Im 
ubrigen kehrten von Pianisten mehr als genug 
ein; hier konnen nur die spielerisch elegante 
Magda v. Hattingberg, die kraftvolle Mena 
Nechansky, der technisch glatte Joseph 
Lh € vinne, unser feinfuhliger Joseph Pembaur, 
der urmusikalische Edwin Fischer und Emil 
Sauer — hier genugt der bloBe Name — er- 
wahnt werden. Dr. Max Unger 

MUNCHEN: Gustav Mablers dritte Symphonie 
in d-moll erlebte unter Bruno Walter im 
2. Abonnementskonzert des Hoforchesters 
eine ganz vorzugliche Auffuhrung, die mir frei- 
lich trotz ihrer Vorzuge diese Art von Musik 
um nichts naher brachte. Das Altsolo sang die 
Hofopernsangerin Luise Wilier, die Chore 
Damen des Lehrergesangvereins und Knaben 
des Wilhelmgymnasiums. Der Dirigent Heinrich 
Laber, der zusammen mit der Pianistin Amelie 
Klose konzertierte, brachte gleich zwei sympho- 
nische Neuheiten: die Symphonie in A-dur, 
op. 134 (Giocosa) von Hans Huber, frische, gut 
klingende, aber nicht eben sehr „symphonische* 
Musik, und „Lucifer a , eine Tondichtung (nach 
Paul Althoff) von dem Munchner A. Albert Noeltc, 
I eine s^jigijt|^^|cpj^Ji^entprobe; dazu Julius Weis- 

UNIVERSITYQF MICHIGAN 



KRIT1K (KONZERT) 



381 



manns Klavierkonzert in B-dur, das mich etwas 
enttauscht hat. Im Neuen Orchesterverein, 
der von Hermann Zilcher geleitet wird, spielte 
Felix Berber die „Skizzen aus dem Orient", 
op. 18(Violine mit Orchester) von dem Dirigenten, 
ein farbenschones und dankbares Werk. Der 
mitwirkende Frauenchor Hans Schobers sang 
a cappella-Stucke von Jan Ingenhoven und Hein- 
rich K. Schmid und ermdglichte die Auffuhrung 
von Hector Berlioz' „Ophelias Tod* (op. 18 No. 2) 
und der Schumannschen Frauenchore (aus op. 69, 
91 und 114), die Hans Pfitzner mit einer eigen- 
artig genialen Orchesterbegleitung versehen hat: 
ganz im Geiste der Schumannschen und ganz 
mit den Ausdrucksmitteln seiner eigenen Ro- 
mantik. Aus den Volks-Symphoniekonzerten 
<Paul Prill) ware eine Auffuhrung von Ernst 
Boehes „Insel der Kirke" und der (zum „Ido- 
meneo* gehorigen) Szene und Rondo Fur Sopran 
und Orchester mit obligatem Klavier (Marie 
Peregrinus) zu erwahnen. Boehe selbst, der 
ietzt als Hofkapellmeister in Oldenburg wirkt, 
stellte sich als ganz prSchtiger, wenn auch in 
der Auffassung nicht immer ganz schlichter 
Orchesterdirigent vor mit einem Beethoven- 
Abend, an dem Eduard Bach hochst beifalls- 
wurdig das Klavierkonzert in Es-dur spielte. — 
Auf dem Gebiete der Kammermusik machte den 
weitaus st3rksten Eindruck — einer der starksten, 
die ich iiberhaupt jemals auf diesem Gebiete 
gehabt habe — die unbeschreiblich vollendete 
Art, wie die Boh men das wundervolle D-dur 
Quartett von C6sar Franck spielten: da fuhlte 
man sich wirklich einmal wieder bis zum Himmel 
erhoben. Das Stuttgarter Wendling-Quartett, 
das in die Reihe der allerersten Kammermusik- 
vereinigungen vorgeriickt ist, erfreute mit Max 
Regers op. 109 (Es-dur). Das Pariser Capet- 
Quartett ist sicher ersten Ranges, aber seine 
Beethoven-Interpretation ist doch ausgesprochen 
romanisch, alles derbere Zugreifen vermeidend, 
bei der Kantilene (namentlich die Primgeige) 
in einer Weise „schmelzend", die uns un- 
beethovenisch vorkommt. Der Tonkunstler- 
V ere in erwarb sich das Verdienst, uns mit 
einer interessanten Klavier-Violoncellosonate von 
Paul Juon (op. 54) und dem erstaunlich unver- 
altet wirkenden Klavierquartett in f-moll des 
Prinzen Louis Ferdinand von Preufien bekannt 
zu machen. (Mitwirkend: die Herren Sieben, 
Vollnhals, Hegar und Schmid-Lindner.) 
Ebenda sang J. Schweitzer Gesange nach Ge- 
dichten Hebbels von Karl Pottgiefier. Die prach- 
tige Klavier-Violoncellosonate Hans Pfitzners 
spielten sowohl Elisabeth Bokmayer und Giu- 
seppina Prelli als auch Julius Klengel und 
Fritz v. Bose. Die beiden letzteren brachten 
in ihrem Konzert auch einige eigene Kom- 
positionen; ebenso ein anderer Violoncellist: 
Anton Prokrovsky, den T. Romanoff be- 
gleitete. Ein ideales Zusammenmusizieren 
brachte der Sonaten- Abend von Ernst von 
Dohndnyi und Henri Marteau,gipfelnd in dem 
Vortrag der Brahmsischen d-moll Sonate. Franz 
von Vecsey, der ein tadelloser, aber nicht 
gerade fortreifiender Geiger geworden ist, gab 
ein zweites Konzert. Eine Auffuhrung des Handel- 
schen „Saul B durch die Konzertgesellschaft fur 
Chorgesang unter Eberhard Schwickerath war 
erfreulich, ohne gerade zundend zu wirken. Von 

n'::]":!/r?r! :v,- V fOOQ 

(1 



den Solisten war das Ehepaar Felix und Adri- 
enne von Kraus seiner Partnerin Eva Bruhn 
und Anton Kohmann betrachtlich uberlegen. — 
Pianisten: Edouard Risler bot mit Liszts 
Klavierbearbeitnng der Phantastischen Sym- 
phonie von Berlioz eine uberragende pianistische 
und interpretatorische Leistung. Wanda Lan- 
dowska entzuckte mit der ungemein feinsinnigen 
Wiedergabe des Mozartschen Es-dur Konzertes, 
Kochel No. 482. Gottfried Gals ton absolvierte 
von seinem grofien Zyklus mit starkstem Erfolge 
die beiden Bach und Beethoven gewidmeten 
Abende. Wahrend Conrad Ansorge als aus- 
gesprochene pianistische und musikalische Per- 
sonlichkeit auch mit einem nurauf vielbetretenen 
Wegen sich ergehenden Programm zu inter- 
essieren vermochte, suchte Ernst Riemann 
Lorbeeren auf dem Felde des Liszt-Kultus. Ignaz 
Friedman zeichnete sich als Chopin-Spieler 

j wieder besonders aus. Hochst genuBreich war 

'der Abend Artur Schnabels. Eine nicht blen- 
dende, aber anziehende Erscheinung lernte man 
in dem Schotten John Petrie Dunn kennen. 
Vielversprechend ist der junge Aurelio Giorni, 
erwahnenswert etwa noch Georg von Lalewicz, 
Friedrich Hackel und Marie Gabriele Lesche- 
tizky. — Gesang:Beruhmtheiten wie LeoSlezak 
und Tilly Koenen fanden ein begeistertes 
Publikum. Bertha Williere trat fur franzosi- 
sche Komponisten ein, leider mit nicht ganz 
geniigendem Konnen; Margarete Bum (Mezzo- 
sopran) zusammen mit Johannes K 6 h 1 e r (Tenor) 
fur Lieder und Duette von K. Ansorge, H. K. 
Schmid, P. Thaler und K. Weigl. Durch den 
sympathischen Ludwig Sinn horte man Gesange 
von Heinrich Schalit, durch BertaManz solche 
von Gustav Mahler, Josef Marx, R. von Prohdzka, 
DvoMk, Robert Kahn und Alfred Schattmann. 

Jener erfreute sich der pianistischen Mitwirkung 
August Schmid-Lindners, diese der violinisti- 
schen des Dresdner Konzertmeisters Rudolf 
Bartich. Julius Runger gab zusammen mit 
Mariska Aldrich die „Liebesnachte a von 
Alexander Ritter, allein Lieder von R. Selnj, 
Max Mahler und Clemens von Franckenstein. 
DiegleicheAufmerksamkeiterwiesdemMunchner 
Hoftheater-Intendanten Elisabeth Desler. Mit 
Anerkennung ist noch Margarete Closs zu 
nennen. Ein Altwiener Musik-Abend (Alfons 
Blumel und Genossen) war glucklicher in der 
Idee als gelungen in der Ausfuhrung. In einem 

| „Laute und Lied** gewidmeten Abend brachte 
Heinrich Scherrer auch Kinderlieder eigener 
Komposition, von Else Hoffmann schdn vor- 
getragen. Hanns in der Gand war wieder 
am erfolgreichsten mit seinen Schweizer Volks- 
liedern und Jodlern. Rudolf Louis 

NORNBERG: Aus der Hochflut von Konzerten 
kann hier nur das Wichtigste kurz erwUhnt 
werden. Der Philharmonische Verein hatte 
die Leitung seines Oktober-Konzerts Bruno 
Walter (Munchen) ubertragen, der an der Spitze 
unsereseinheimischen Orchesters die Euryanthe- 
Ouvertiire, das Siegfried-Idyll und die Sympho- 
nieen in Es von Mozart und B von Schumann 
ungeheuer schwung- und stilvoll herausbrachte; 
im November-Konzert sang als Ersatz -Solist 
Anton van Rooy, wehmutige Erinnerungen an 
die Verganglichkeit alles Schonen auslosend. 
Einen um so grofleren.ungetrubten Genuft brachte 

Original from 
L UNIVERSITY OF MICHIGAN 



382 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



im Pri vatmusikverein John Forsell, dessen 
gleich wundcrvolle Stimme und Sangeskunst 
wahre Beifallssturme ausloste, besonders mit 
nordischen Liedern; auch das Brusseler 
Streichquartett hatte zu Beethoven, Haydn 
und Tschaikowsky schon vorher seinen ge- 
wohnten Kreis aufmerksamer, dankbarer Zuhorer 
um sich vereint. — Karl Hirsch's Privatchor 
sang prachtvoll abgetonte a cappella-Chore, und 
der Verein fur klassischen Chorgesang 
brachte unter Hans Dorners Leitung die 
„Chrislnacht a von Hugo Wolf und die f-moll- 
Messe von Bruckner, beide im gesanglichen Teil 
vollkommen, im Orchestralen der Messe weniger 
befriedigend. — Von Solisten waren zu horen 
Edith Walter, OttilieMetzger, Anna Kampfert, 
Bertha Morena, Heinrich Knote, Leo Slezak 
usw. Max Reger fesselte ungemein als Bc- 
gleiter zu Violinvortragen Heinrich Labers, 
ebenso Karl Fried berg, der mit seinem reich- 
begabten Schuler Hans Bruch Werke von Bach, 
Reger u. a. auf zwei Klavieren spielte, und Sieg- 
fried Wagner, der eigene Opernbruchstucke 
dirigierte. Dr. Steinhardt 

DARIS: Eine neue Symphonie ohne Programm, 
* die sich anhoren lafit und auch das grofie 
Publikum nicht langweilt, ist auch in Paris eine 
grofie Seltenheit geworden. Es ist Chevillard 
gelungen, eine solche dem Konzert Lamou- 
reux einzuverleiben. Der bisher unbekannte 
Urheber heifit Georges Brun. Seine Symphonie 
in e-moll enthalt die vier ublichen Satze. Un- 
gewohnlich ist, daB auch der zweite Satz, das 
Adagio, vorwiegend in Moll gehalten ist, aber 
gerade dieser Satz ist besonders stimmungsvoll, 
wShrend die thematische Arbeit des ersten 
Satzes etwas sprungweise geblieben ist. Das 
Scherzo wirkt gut als Gegensatz, obschon es an 
sich wenig originell ist, aber der schwache 
Punkt wird durch das Finale gebildet, dessen 
Hauptthema theatralisch vulgar ist. Immerhin 
kehrt auch das Motiv des ersten Satzes hier 
wieder und gibt dem Finale wieder einigen Halt. 
Eine ansprechende Neuheit des Konzerts Lamou- 
reux war auch das von einem Idyll des Theo- 
krit ausgehende kiirzere Orchesterstuck von 
Raoul Brunei „L'Oaristys a . — Ziemlich ahnlich 
in Anlage und Ausfuhrung war auch bei 
C olonne-Pierne* die gefallige Neuheit von 
Marcel Gran d jany, n La jeune Tarentine", nach 
einem Gedichte von Ch6nier. — Mit der Oper 
des Theatre des Champs Elys£es sind leider 
auch die damit verbundenen Nouveaux 
Concerts eingegangen. Das letzte dieser 
Konzerte war besonders interessant, denn das 
Symphonische Orchester von Madrid 
war eigens nach Paris gekommen, um sich in 
klassischen und modernen Sachen horen zu 
lassen. Der Dirigent Arbos imponierte durch 
seine sichere Leitung und fand auch als Kom- 
ponist zweierTanzstiicke fur Geige und Orchester 
Gefallen. Die„Catalonia"des verstorbenen Albe- 
niz, die in Paris schon bekannt war, hinterlieft 
den st&rksten Eindruck der modernen spanischen 
Werke. Neben ihm sind Turina und Casas 
zu nennen. — Ein junger italienischer Komponist, 
Giulio Mathis-Flocco, vereinigte selbst ein 
Orchester von neunzig Musikern, um sich als 
Dirigent zu erproben. Er wufite sich in Beet- 
hovenschen Symphoniesatzen und in Wagner- 

C 1 



fragmenten nicht ganz zu behaupten, aber 
berechtigten Beifall erntete er in der zum 
erstenmal in Paris gegebenen Orchestersuite 
„Iris" von Mascagni. In einer kleinen italie- 
nischen Rhapsodie eigener Erfindung zeigte 
Mathis-Flocco wenigstens in rhythmischer Be- 
ziehung eine gewisse Frische. — Camille Saint- 
Saens gab im Saale Gaveau zu einem wohl- 
tatigen Zwecke sein letztes Konzert in Paris, 
entwickelte aber trotz seiner achtundsiebzig 
Jahre noch eine solche Fingerfertigkeit und 
Frische des Vortrags, dafi niemand an dieses 
Jetzte Mai" glauben will. Der Altmeister 
spielte das gleiche Klavierkonzert in B-dur von 
Mozart, das er als Knabe im Jahre 1846 in 
seinem ersten Konzert vorgetragen hatte. Als 
Organist wagte er sich an die fiufierst schwierige 
Phantasie Liszts fiber den Choral des Pro- 
pheten heran, und auch dieses sehr lange Stuck 
bewaltigte er scheinbar muhelos. — Das 
Amsterdamer Streichquartett Zimmer- 
man n liefi sich mit gutem Erfolg horen in 
Quartetten von Schubert und Brahms und dem 
nicht sehr bedeutenden, aber angenehmen 
Quartett des modernen Hollanders Ingen- 
hoven. — Die Soci6t6 Philharmonique 
nahm ihre Konzerte mit den altbewahrten Kraften 
Ysaye, Casals, Pugno, Cortot, Dumesnil 
und Frau Mysz-Gmeiner wieder auf, ohne 
in ihren Programmen etwas wesentlich Neues 
zu bieten. — Eine dankenswerte Neuerung boten 
dagegen die 12 Konzerte Yvette Guilberts, 
die die Slteste franzosische Gesangsmusik sowohl 
ernster als komischer Richtung mit Talent wieder 
aufleben lafit. Felix Vogt 

ST. PETERSBURG: Alexander Siloti hatte 
fur sein erstes Abonnementskonzert ein Pro- 
gramm aufgestellt, das von seinem idealen 
Streben reichlich Zeugnis gab; es stand im 
Zeichen Bachs und Beethovens. Ilona Durigo 
hatte den solistischen Teil ubernommen und 
sang seelen- und verstandnisvoll Arien Bachs 
und Lieder von Astorga, Rosa, Caldara und 
Durante. Im zweiten Konzert traten als Solisten 
auf der hier noch unbekannte ausgezeichnete 
Pianist Percy Grainger mit dem a-moll Konzert 
von Grieg und die besonders in Wagnerrollen 
bedeutende Buhnensangerin Felia L i t v i n n e 
(funf Gedichte von Wagner). Auf dem orchestralen 
Programm war als Novitat eine „Bottnische 
Suite" des jungen finnischen Komponisten Toivo 
Kuula vertreten, die durch ihre originelle 
Eigenart in bezug auf Instrumentation einen 
kiinstlerischen Genull bereitete und dem diri- 
gierenden Autor reichlichst gespendeten Beifall 
brachte. Scriabins „Poeme de rExtase", von 
Siloti interpretiert, beschlofi dieses ICO. Abonne- 
mentskonzert des energischen Liszt- Schulers. 
Die allgemeinzugSnglichen Siloti - Konzerte 
scheinen auch schon voile Hauser zu machen, 
das bewies jedenfalls der Tschaikowsky-Abend 
mit dem hochbegabten Leonid Kreutzer am 
Dirigentenpult (Ouverture w Romeo und Julia* 
und Symphonie VI) und Siloti als unvergleich- 
lichem Interpreten des b-moll Konzerts. Rach- 
maninow's e-moll Symphonie bildete die Haupt- 
nummer des ersten popularen Siloti- Konzerts, 
in dem der Pianist W. Bujukli in Liszts Es-dur 
Konzert eine seiner Individualist nicht gerade 
enteegejjkomme,nde Wahl getroffen hatte; dem 

uriqinal from 
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KRITIK (KONZERT) 



383 



Vortrage mangelte die geistige Freiheit. Einen 
durchaus sympathischen Eindruck machte Frau 
Erdeli mit der Introduktion und Allegro fur 
Harfe und Orchester von Ravel. — Auch 
Kussewitzki eroffnete seinen Zyklus mit 
einem streng klassischen Programm: Handel 
(concerto grosso in d), Mozarts g-moll und 
Beethovens c-moll Symphonie. MargareteSiems 
machte im allgemeinen den Eindruck einer 
wohlgebildeten SSngerin, doch konnte man ihren 
Mozart-Vortr3gen wenig Geschmack abgewinnen. 
Des 100. Geburtstages Verdi's wurde mit einer 
vollendeten Auffuhrung des Requiems feierlichst 
gedacht. Kussewitzki an derSpitze seines illustren 
Orcbesters, der beriihmte Archangelsky- 
Chor und vier Kunstler der Hofoper haben 
sich durch die hervorragende Wiedergabe des 
Werkes groBes Verdienst erworben. — Die 
Musikhistorische Gesellschaft des Grafen 
Scheremetew begann unter Mitwirkung ein- 
heimischer Solisten und unter Chessin's 
Leitung einen Zyklus franzosischer Musik. — 
Zu gleicher Zeit eroffnete auch das Hof- 
orchester seine groBangelegten Konzerte „Die 
Entwickelung der russischen Musik" mit er- 
lauternden VortrSgen des Kritikers A. Koptiaew 
und unter Direktion von Wan rl ich und 
Belling. — Die KammersSngerin Maria Dolina 
wird in mehreren Konzerten „Das europaische 
Lied vom XII. Jahrhundert bis zur Gegenwart" 
schildern. Im schon stattgefundenen ersten 
dieser Konzerte boten die Instrumentalvortnige 
der Rigaer Kunstler H. Kreutzburg (Orgel) und 
Jean du Chastain JKlavier) reichhaltige Ab- 
wechselung. Aus der Uberfulle der sonstigen Ver- 
anstaltungen seien u. a. erwahnt: die Beethoven- 
Abende des Streichquartetts Garpf, die 
Konzerte derSoci6t6 de concerts d'lnstru- 
ments anciens, der Geigerin Margarete Ber- 
son, des Cellisten Joseph Malkin, der Pianisten 
Wladimir Drosdow, Artur Lemba, Alexander 
Seiliger, die Liederabende von Ilona Durigo, 
Felia Litvinne (Siloti am Klavier), Elena Ger- 
hardt (Nikisch am Klavier), ein Abend flnnischer 
Tonkunst der S2ngerin Dagmar Parnas und 
des Pianisten Kosti Webanen. 

Bernhard Wendel 

WIEN: Einige belanglose, ein paar anregende 
NovitMten und zwei, die eingehender be- 
trachtet werden sollen und es bei gelegener Zeit 
wohl auch werden. Mit diesem Vorbehalt eine 
Ubersicht dieser neuen Werke unter Verschwei- 
gung der irrelevanten. An der Grenze steht Joan 
ManSns „Juventus", ein symphonisch gedich- 
tetes concerto grosso fur zwei Geigen, Klavier 
und Orchester, unter Weingartner von den 
Philharmonikern, dem Komponisten, Prof. 
Prill und Herrn Nin (als kuhl elegantem Ver- 
treter des Klavierparts) unter dem Beifall eines 
Publikums aufgefuhrt, das so wahllos geworden 
ist, daB es ihm einmal passieren konnte, sogar 
einem wertvollen Werk zu applaudieren. Was 
man diesmal nicht behaupten kann. Ich gehore 
nicht zu den Pedanten, die ein „Programm" als 
Zuchtrute des Tondichters ausniitzen; mag es 
stimmen oder nicht, tief oder unsinnig sein — 
wenn nur gute Musik dazu gemacht wird, die 
die Worte in Vergessenheit bringt. Aber diese 
bier: anfangs flach und schlieBlich breit, durch 
und durch voll SGBlichkeit. In dieser tonenden 



D'::j"«i,-'L 






Darsteliung eines Ktinstlerlebens, in seinem 
jugendlichen Suchen nach idealem Ausdruck^ 
zuerst bei der bosen Moderne, dann bei den 
bravenEpigonen (denn alsAbglanzder„Klassiker a 
wird hoffentlich nicht einmal der Komponist 
diesen hubschen, artigen, weichlich gesungenen 
Andantesatz ausgeben wollen!) — und schlieB- 
lichem Sichselbstfinden wird ein armes, diinnes 
kleines Motiv derart zu Tode gehetzt, dafi man 
aus Menschenfreundlichkeit zwar hoffen mag, 
dali der Tondichter nicht sich selbst in diesem 
Thema symbolisiert hat, aber dafi bei der drei- 
hundertsten Wiederholung dieses unabanderlicb 
gleichen, wenn auch oft vergroBerten, umge- 
kehrten, verkleinerten, niemals aber entwickelten 
Motivs schlieBlich auch die Menschenfreundlich- 
keit zum Teufel geht und daB alles Gerechtig- 
keitsgefuhl aufgeboten werden muB, urn den oft 
reizvollen Klang, einige gegluckte Episoden (der 
schon erwahnte Andantesatz, eine capriziose 
spanische Tanzmelodie und manche geistreiche 
Wendung) nachdriicklich festzustellen und im 
ubrigen das Werk dorthin zu stellen, wohin es 
gehort: zu den vielen ahnlichen der kompo- 
nierenden Virtuosen. — Eine zart schwermutige, 
in dammerigen Pastellfarben gehaltene, von 
schonerEinheitdertraurigversonnenenStimmung 
erfullte Symphonietta von Paul Graener, ein 
keck zufahrendes, von heller Musizierfreude er- 
fulltes, frisch und dreist instrumentiertes, nocfr 
in Schumannscber und Wagnerscher Sprache 
redendes, aber von beflugelter Energie getragenes 
Vorspiel zu einem Ritterstuck von Bernhard 
Paumgartner hat Nedbal jungst mit seinem 
immer reinere Hohen erreichenden Ton- 
kunstlerorchester zum ersten mal vorgefuhrt. 
— Artur Schnabel und Carl Flesch, diese 
idealen Kammermusiker, zwei Seelen und ein Ge- 
danke beim Musizieren, haben jungst Erich Wolf- 
gang Korngolds Geigensonate zur Wiener Erst- 
auffuhrung gebracht. Die neuen Werke des ge- 
nialen Junglings wirken doppelterfreulich, weil sie 
nicht mehr das Unheimliche haben, das darin 
lag, daB es ein Kind war, das diese fast visionaren, 
mit elementarer Gewalt hervorbrechenden Klange 
offenbart hatte; und weil der schone Weg offen 
daliegt, den diese auBerordentliche Begabung 
sicher und unbeirrt beschreitet. Es ist der Weg 
zur Musik; zur Einfachheit bei aller Vielfalt der 
Harmonik und der thematischen Kombination. 
Erich Korngold hat so vieles ganz gewonnen, 
daB er nicht mehr so viel zu wagen braucht; 
und wenn er fruher in jugendlichem Ubermut 
zu fragen schien: warum soil ich ruhig gehen, 
wenn ich laufen oder gar springen kann? — so 
geht er jetzt, die Fulle seiner Musik wie in 
einem edlen GefaB vor sich hintragend, gerade- 
aus seinem Ziele zu und pfliickt im Voriiber- 
gehen, wenn ihn manchmal eine seltsame Klang- 
mischung, ein kiihner Ubergang lockt. Un- 
glaublich ist wieder die Einheit der Thematik, 
die Kontinuitat des inneren Singens, die ge- 
schmiedete Form. Unter den vier Satzen, dem 
ersten mit seinem schonen Gesangsthema und 
der spukhaft beunruhigenden Episode des Mittel- 
teils, dem turbulent hinsturmenden Scherzo, 
und einer dem reizenden Trio vorangehenden, 
in verschobenen Rhythmen huschenden ge- 
spenstigen — „Szene", hfltte ich fast gesagt, die 
beinahe Peter Schlemihl, vom eigenen Schatten 

]' Original from 

- UNIVERSITY OF MICHIGAN 



384 



DIE MUSIK XIII. 6: 2. DEZEMBERHEFT 1913 



bedringt, vor Augen bringt, dem aus dem „Herzen 
des Herzens" herausgesungenen Adagio, mochte 
ich doch fast dem vierten Satz den Preis geben, 
in seinen duftigen,leichtschwebendenVariationen, 
die derart zum Organismus zusammenwachsen, 
dafl man die intermittierende Gliederung gar 
nicht fiihlt. Der SchluB in seinem Verhauchen, 
ein Zwiegesang des Hauptthemas und dem des 
ersten Satzes ist von ruhrender Schonheit. Wird 
man das Fremdartige, das jeder neuen Tonsprache 
eigen ist, uberwunden und das zwingend Logische 
dieser Musik empfunden haben, dann wird erst 
das nicht w gewollte", sondern w gewordene" Neue 
dieser Erscheinung ganz gefuhlt werden. — Ober 
die Preiskomposition der Gesellschaft fur Musik- 
freunde, die„Fruhlingsfeier a von Carl Pro bask a, 
mochte ich erst sprechen, wenn die haBlichen und 
mit widerwartiger Perfidie gefiihrten Kampfe um 
das Werk verklungen sein werden und ein 
ruhiges Wort vernehmbar sein wird. Das durch- 
aus ernst zu nehmende, im Chorsatz Eigentiim- 
liches anstrebende und vieles erreichende, gewifi 
eklektische, harmonisch oft willkurliche, auf 
Brahmssche Erbschaften viel nichtverstandlich 
Modernes und auch befremdend Opernhaftes 
propfende Werk ist in seiner respektablen Technik, 
in der Erfindung einiger stark gefuhrter, polyphon 
interessanter Chore und einiger schon kolorierter 
orchestraler und vokaler Stimmungsbilder an 
sich eines Preises sicherlich nicht unwert. 

Richard Specht 
7 U RICH: Im2. Abonnementkonzert spielte 
^ Maurice Dumesnil mit vollendeter Technik 
und grofier Eleganz Liszts Es-dur Klavierkonzert. 
GrofJen Eindruck machte durch ihren Gehalt 



und die glanzvolle Instrumentation Hermann 
Bischoffs E-dur Symphonic AIs weitere 
Novitat bot das Tonhalleorchester im 3. Konzert 
unter Andreae in prachtiger Wiedergabe die 
Tondichtung von Delius „In a Summergarden". 
Das Werk, das so meisterhaft impressionistisch 
die schwule Stimmung eines Sommertages cha- 
rakterisiert, ist den Lesern der „Musik" von 
deutsche Auffuhrungen her bekannt. Am selben 
Abend erfreute Altmeister Messchaert durch 
eine Haydnsche Arie und mehrereSchubertlieder. 
Das 4. Konzert vermittelte uns die wertvolle Be- 
kanntschaft des jungen Geigers Joseph Szigeti; 
ist sein Ton auch noch nicht durchwegs rein, 
so sind doch der im ubrigen schone, weiche 
Klang und die exakte Technik Iobend anzu- 
erkennen. Unter den Geigern, die in letzter 
Zeit in Zurich hauflger auftreten, erw5hne ich 
Georg Herbst (weiche Gesanglichkeit des 
Tones, absolute Reinheit und sichere Technik). 
Aus dem erfolgreichen Konzert der Lehrer- 
vereinigung des stadt. Konservatori ums 
sei hervorgehoben, daQ der ausgezeichnete 
Pianist P. O. Mockel funf Klavierstiicke Cyril 
Scott's spielte; beim einmaligen Anhoren dieser 
rein und bis ins auQerste impressionistischen 
Kompositionen hatte man freilich den Eindruck, 
nur das ^Caprice** verdiene seinen Titel. Eben- 
falls von Scott waren zwei Stucke, fur deren 
Wiedergabe sich unser Primgeiger de Boer mit 
P. O. Mockel vereinigte. In einem Extrakonzert 
der Tonhalle entzuckte ein Meister des Klavier- 
spiels, Rudolph Ganz, hauptsachlich mit Kom- 
positionen von Chopin. 

Dr. Berthold Fenigstein 



ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN 

Das Bruchstiick aus Richard Spechts neuem Mahler-Werke illustrieren wir durch eine 
Anzahl meist unbekannter Gustav Mahler-Bilder, samtlich dem erwahnten Buch 
mit Erlaubnis des Verlages Schuster & Loeffler entnommen. 
Auf drei Abbildungen aus Mahlers Knaben- und Jungli ngsjahren lassen wir 
ein schones Photo folgen, das den Kunstler in der Blute seiner Jahre zusammen mit seinem 
Schwager Arnold Ros6, dem Konzertmeister der Wiener Hofoper und Primarius des seinen 
Namen tragenden Quartetts, zeigt. Die reizvollen Amateuraufnahmen der nachsten zwei Blatter, 
die hier zum erstenmal der Offentlichkeit vorgelegt werden, belauschen den Meister in den 
wenigen Augenblicken der Rune, die der Unermiidliche sich gonnte: den Direktor im Foyer 
der Wiener Hofoper und, von besonderer Intimitat, das Duo mit seinem Tochterchen, 
den auf der Ruckreise von Amerika Befindlichen, wie den am Schreibtisch von der Arbeit 
Aufschauenden. Das scharfgeschnittene Gesicht Mahlers war von besonderem Reiz fur Kari- 
katuristen, deren mehrere denn auch mit Erfolg ihre Kunst erprobt haben; eine besonders ge- 
lungene Zetchnung Burkardts legen wir unsern Lesern hier vor. Von der Totenmaske haben 
wir bereits eine Ansicht en face gezeigt; die hier reproduzierte Profllaufnahme wirkt noch 
packender. AIs Handsch riftproben des Meisters endlich bringen wir das Titelblatt des w Liedes 
von der Erde**, sowie die erste Partiturseite dieser Tonschopfung. 



Nachdruck nur mit besonderer Erlaubnis des Verlages gestattet 

Alle Rcchte, insbesondere das der Obersetzung, vorbehalten 

Fur die ZurQcksendung unvcrlangter oder nicht angemel deter Manuskripte, falls ihnen nicht geoQgend 

Porto bcillcgt, Qbcrnimmt die Redaktion keine Garantic. Schwcr leserliche Manuskripte werden ungepr&ft 

zuruckgesandt. 

Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster 
Berlin W 57, BulowstraBe 107 1 
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UNIVERSITVOF MICHIGAN 






GUSTAV MAHLER 
Aus den Kiuben- und Juaglingsjihren 






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GUSTAV MAHLER 
UNO SEIN SCHWACER ARNOLD ROSfi 



XIII 




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MAHLER MIT TOCHTERCHEN 

auf seinem fruhcren Landbesitz 
(Milernigg *m Worthersee) 



MAHLER 

AUF DER OBERFAHRT 

VON AMERIKA 




MAHLER IN DER WIENER HOFOPER 






XIII 




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MAHLER AM SCHREIBTISCH 





MAHLER 1M FOYER DER HOFOPER AMSTERDAMER PHOTOGRAPHIE 



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GUSTAV MAHLER 

Karikatur von Burkirdt 



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GUSTAV MAHLERS TOTENMASKE 

Abgeformt von Carl Moll 



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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



TITELBLATT DES ERSTEN TEILS VON MAHLERS LIED VON DER ERDE 



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ERSTE PARTITURSEITE DES ERSTEN TE1LS 
VON MAHLERS LIED VON DER ERDE 






XIII 




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6 UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAMEN- UND 
SACHREGISTER 

ZUM I. QUARTALSBAND DES DREIZEHNTEN 
JAHRGANGS DER MUSIK (1913/14) 



dair Abtco 111. 

Abeodroth, Hermann, 313. 

Abert, Hermann, 171. 

Abonnementskonzerte (Aachen) 
305. 

Abonnementskonzerte (Berlin) 
377. 

Abonnementskonzerte (Genf)3 1 3. 

Abonnementskonzerte (Hanno- 
ver) 379. 

Abonnementskonzerte (MOnchen) 
380. 

Abonnementskonzerte (Riga) 191. 

Abonnementskonzerte (StraO- 
burg) 255. 

Abonnementskonzerte (Weimar) 
320. 

Abonnementskonzerte (ZQrich) 
191. 384. 

Abranyi, Emil, 366, 

Franz Abt-Liedertafel (Braun- 
schweig) 377, 

Abweger, Jac, 319. 

Achscl, Wanda, 303. 369. 

Ackte, Aino, 244. 370. 

Adler, Guido, 164. 169. 

Agostini, P., 174. 

Ahlquist 205. 

Aich, Priska, 304. 369. 

Aichinger, Gregor, 174. 

Akademieen, Musikalische (MOn- 
chen), 318. 

Akademie, Musikalische (Mann- 
heim), 253. 

v. AkimofT, Gregor, 319. 

Aktze>y, Natalie, 316. 319. 376. 

AlabiefT, Alexander, 307. 

Albeniz, I., 382. 

Albers, Henri, 238. 370. 

d'Albert, Eugen, 182. 186.241. 
245. 247. 268. 308. 309. 310. 
360. 

Albert, Heinrich, 111. 191. 

d' Albert, Hermine, 241. 

Alberti, Werner, 63. 

Albini 111. 

Albisi, Abelardo, 247. 

Aldricb, Mariska, 238. 381. 

Alexander Friedrich, Landgraf 
v. Hessen, 191. 

Alfermann, Marianne, 179.300. 

Allen, Perceval, 302. 

Altenkirch, Otto, 367. 



Althoff, Paul, 380. 
Alvincz (General) 268. 
Amar, Licco, 186. 374. 
Ambros, August Wilhelm, 137. 
Ambrus (Sftngerin) 366. 
Ammermann, Wilhelm, 188. 
Amstad, Marietta, 191. 252. 
Andersen, H. Chr., 173. 
d'Andrade, Francesco. 243. 365. 
Andreae, Volkmar, 191, 384. 
Andrejewa-Skilondz, Adelaide, 

243. 300. 371. 
Ann6eTheatrale (Paris) 135. 143. 
Ansorge, Conrad, 186. 319. 375. 

376. 381. 
Anthes, Georg, 366. 
Arbos, Fernandez, 382. 
Archangelsky-Chor 383. 
Arensen, Heinz, 64. 
Arlberg, Hjalmar, 316. 
d'Arnalle, Vernon, 319. 376. 
d'Arnals, Alexander, 367. 
Arndt, Manha, 187. 312. 
Arndt-Ober, Margarete, 234. 235. 

243. 245. 
Arnold von Bruck 174. 
Arnoldson, Sigrid, 177. 
Aron, Paul, 311. 377. 
Arzte-Orchesterverein, Berliner, 

373. 
Aschaffcnburg, Alice, 313. 
Ascher, Leo, 180. 
Astorga, Emanuele, 382. 
Astruc, Gabriel, 369. 370. 
Atterberg, Kurt, 128. 
Attilio 318. 

Auber, D. E., 13. 369. 
Auer, Hans, 191. 
v. Aucr, Leopold, 247. 
August der Starke 377. 
Aumann-Lindn^r, Martha, 250. 
Austin, Ernest, 317. 
Aye, Ernst Alfred, 246. 
Bach, Anna Magdalena, 1 10. 
Bach, Eduard, 381. 
Bach, Joh. Christoph, 110. 
Bach, Joh. Seb., 104. 105. 106. 

109. llOfT (Das 2. kleine B.- 

Fest in Eisenach). 113. 1 16. 

123. 124. 165. 168. 172. 183. 

185. 186. 187. 188. 190. 191. 

218. 219. 225. 226. 242. 246. 

247. 248. 250. 253. 255. 259. 



260. 262. 292. 296. 307. 308. 

309. 310. 311. 312. 313. 315. 

317. 318. 319. 323. 333. 363. 

372. 373. 377. 378. 380. 381. 

382. 
Bach, K. Ph. E., 104. 105. 106. 

109 247. 
Bach, Wilhelm Friedemann, 122. 

233. 318. 
Bach-Gcsellschaft,Neue,l 10.1 12. 
Bach-Verein (Heidelberg) 314. 
Bach-Verein (Karlsruhe) 379. 
Bach-Verein (Leipzig) 380. 
Bach-Verein(Wflrttembergischer) 

319. 
Bache, Paulus, 249. 
Bachenheimer, Theo, 315. 
Backhaus, Wilhelm, 186. 248. 

251. 254. 313. 316. 319. 
Bader, Willy, 301. 
Baer, Hans, 375. 
Bagrinowski, Michael, 180. 
Bahr-Mildenburg, Anna, 353. 
Baistrocchi 6. 
Bakaleinikow 242. 
Bake, Otto, 184. 247. 312. 377. 
Baklanow, Georg, 181. 365. 370. 
Balakirew, Mili, 126. 255. 
Baldner, Max, 249. 
Balokovicz, Zlatko, 182. 
Band, Erich, 319. 
Bandler, Rudolf, 240. 
Bariffy, Graf, 366. 
Bantock, Granville, 189. 
Barbieri, Nini, 32. 
Barby, Gerda, 176. 302. 
Bardas, Therese, 373. 
Bardas, Willy, 1 25. 1 88. 1 9 1 . 373. 
Barezzi 6. 34. 
Bargiel, Woldemar, 229. 
Barinowa, Marie, 309. 
Barnay, Lolo, 250. 
Barrientos, Maria, 366. 
Barth, Richard, 229. 
Bflrtich, Rudolf, 251. 308. 381. 
Barton, Pepa, 255. 
Bartram, Elisabeth, 179. 
Basevi, A., 33. 
Bassermann, Florence, 313. 
Bassermann, Hans, 123. 124.313. 
Bastionelli 191. 
Battistini, Mattia, 14. 374. 
Bauer, Frida 235. 

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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



II 



NAMENREGISTER 



Bluer, Hirold, 317. 

Baum, Karl, 236. 

Baumer, Cecil, 317. 

v. BauQnern, Waldemar, 307. 

Bax, Arnold, 190. 

Beaumarchais 320. 

Beaumont (Librettist) 33. 

Bechstein 186. 

Becht, Ella, 124. 

Becker, Carl, 253. 

Becker, Fritz, 372. 

Becker, Fr., 124. 

Becker, Gottfried, 300. 

Becker, Dr. (Kapellmeister), 300. 

Beer, Otto, 239. 

van Beethoven, Johanna, 148. 

van Beethoven, Karl, 148. 149. 

150. 151. 152. 
van Beethoven, Ludwig, 62. 109. 

113. 116. 123. 124. 125. 126. 

127. 132. 147ff (Briefe B.s 

an Bernard, Hoffmann, Steiner 

& Co. und Schindler). 163. 

168 170. 171. 186. 187. 188. 

190 191. 201. 204. 218. 219. 

225. 226. 227. 228. 240. 242. 

243. 247. 248.249. 250. 251. 

252. 253. 254. 255. 256. 260 

264. 265. 266. 267. 268. 279ff 

(B. und Bremen). 290. 291. 

292. 305. 306. 307. 308. 309. 

310. 311. 312. 314. 315. 316. 

317. 318. 319. 323. 334. 335. 

336. 345. 371. 372. 373. 374. 

375. 376. 377. 378. 380. 381. 

382. 383. 
Behm, Eduard, 183. 185. 246. 

306. 307. 309. 310. 377. 
Behr, Hermann, 250. 377. 
Behrend, Max, 180. 
Beidler, Franz, 253. 
Beicr, Franz, 314. 
Beines, Carl, 319. 
Bekker, Paul, 170. 
Belliard 320. 
Belling (Dirigent) 383. 
Bellini, Vincenzo, 3. 4. 8. 27. 49. 
Bellwidt, Emma, 255. 
Belousoff, E., 380. 
Benda, Georg, 244. 
Bender, Paul, 313. 318. 
Bendix, Viktor, 372. 
Benedict, Carl Siegmund, 295. 
Benfey 356. 

Benincori, Angelo Maria, 241. 
Bennett, John, 250. 
Berber, Felix, 253. 3 1 5. 3 1 8. 38 1 . 
Berend, Fritz, 254. 
Berger, Rudolf, 235. 
Berger, Wilhelm, 309. 
Berger-Rilba, Isa, 245. 316. 
Bergh, Rudolf, 187. 254. 
Bergmann, Hans, 304. 
Bergwein, Marie, 376. 



Berio 67. 

Berlioz, Hector, 28. 213. 311. 

312. 317. 320 (Bild). 363. 

369. 371. 378. 379. 381. 
Bernard, Carl, 149. 150. 
Bernstein, Dora, 374. 
Berson, Margarete, 245. 383. 
Berthold, Martha, 185. 
Berts (Sftngerin) 366. 
Betzak, Anni, 254. 
Betzler, Gertrud, 319. 
Beyer, Heinz, 123. 
Beyermann, Jeanne, 370. 
Bieler, August, 377. 380. 
Bienstock, Heinrich, 318. 
Bierbaum, Otto Julius, 123. 
Bildungsverein, Kruppscher,3l 3. 
Bilk, Jacques, 365. 
Billroth, Theodor, 339. 
Bird, William, 331. 
Birkigt, Hugo, 253. 
Bischoff, Fritz, 239. 255. 
Bischoff, Hermann, 384. 
Bitter 309. 
Bittner, Julius, 303 („Der Aben- 

teurer M .UrauffQhrungin Koln). 
Bizet, Georges, 1 1. 26. 177. 300. 

316. 360. 
Bjerlow, Karen, 372. 
Blackmore, John J., 126. 
Blanchet, Emile, 313. 
Blfttter fdr Kirchenmusik, Flie- 

gende, 286. 
Blech, Leo, 234. 240. 242. 243. 

295. 371. 
Blechmann, Hansi, 308. 
Bletzer, Margret, 376. 
Bleyle, Karl, 175. 
BlOchlinger 148. 149. 
Blodek, Wilhelm, 304. 
Blum, Carl Robert, 163. 
BIQmel, Alfons, 381. 
Blumer jun , Theodor, 187. 363. 
BlQmle, Josef, 185. 191. 316. 
BlQthner-Orchesterl24. 126. 127. 

242. 243. 245. 246. 307. 308. 

309. 371. 373. 374. 375. 380. 
Bobrick, Anna, 182. 
Bocchesi (Sanger) 367. 
BOcklin, Arnold, 252. 
Bodanzky, Arthur, 237. 253. 
Bodenstedt, Friedrlch, 70. 
Boehe, Ernst, 381. 
Boehm-van Endert, Elisabeth, 

235. 308. 315. 
Boennecken, Lucie, 177. 236. 
Boepple, Paul, 190. 
de Boer, Willem, 384. 
Boerne, Ludwig, 207. 
B/Jhme (Verleger) 291. 
Bohnke, Emil, 187. 
Boieldieu, F. A., 68. 179. 254. 

300. 
Boito, Arrigo, 19. 21. 29. 67. 



69. 79. 81. 82 83. 84. 85. 

86, 87. 88. 89. 90. Wl. 93. 

95. 96. 97. 99. 100. 101. 128. 
Bokmayer, Elisabeth, 381. 
Bolz, Oskar, 176. 
Bonaparte, Napoleon, 268. 
Borchard, Adolphe, 375. 
Borck, Helene, 250. 
Borodin, Alexander, 180. 3 19. 
BGrresen, Hakon, 380. 
v. Borscht, Dr., 128. 
Borwick, Leonard, 229. 
v. Borzestowski, Gertrud, 253. 
Bos, Coenraad V., 31 1. 315. 373. 

374. 377. 378. 
Bosch, Katharina, 307. 38a 
v. Bose, Fritz, 316. 381. 
Bosetti, Hermine, 237. 243.318. 
Bossi, Enrico, 127. 379. 
Botscharow, Michael, 180. 
BGttcher, Georg, 308. 
BOttcher, Lissy, 375. 
BOttcher, Robert, 235. 
Bottermund, Hans, 309. 374. 
Boucardt (Sanger) 48. 
Bouilly 131. 
Boyer (Sanger) 370. 
Brahms, Johannes, 35. 109. 123. 

124. 125. 126. 127. 164. 175. 

182. 185. 186. 188. 189. 190. 

191. 229. 232. 240. 241.242. 

244. 245. 246. 247. 248. 249. 

250. 251. 252.253.292. 306. 

307. 309. 312. 313. 315. 316. 

317. 318.319.339. 370. 371. 

373. 374. 375. 376. 377. 378. 

379. 380.381. 382. 384. 
Brahms- Verein, Berliner, 307. 
Brand, Geza, 240. 
Brandenburg, Arthur, HI. 112. 
Brandes, Gertrud, 185. 
Brauer, Max, 379. 
Braun, Carl, 64. 251. 
Braun, Friedrich, 179. 369. 
Braunfels, Walter, 251. 253. 304 

( v Ulenspiegel u . UrauflTQhrung 

in Stuttgart.) 
Braunroth, Ferdinand, s. Toten- 

schau XIII, 1. 128. 
Brecher, Gustav, 179.302.303. 

368. 374. 
Breitenbach, F. J., 190. 
Breitenbach, J. (Sohn), 190. 
Breitenfeld, Richard, 177. 
Breitkopf& Hartel 131.219.260. 

263. 295. 
Bremner, Ernst, 187. 
Brentano, Franz, 121. 149. 
Breuer, Hans, 240. 
Breuning, Gunna, 249. 
Brian, Havergal, 317. 
Bridge, Frank, 190. 
Brieger, Eugen, 240. 
Brinkmann, Rudolf, 177. 236. 



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C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAMENREGISTER 



III 



Brockhaus, Hermann, 355. 356. 

Brode, Max, 253. 

Brodersen, Friedrich, 237. 369. 

Brola, Jeanne, 303. 

BrOII, Robert, 126. 254. 

Broman, Natanael, 245. 

Brflmme, Otto, 319. 

v. Bronsart, Hans, 230. s. Toten- 

schau XIII, 5. 320 (Bild). 
Bronsgeest, Cornelis, 234. 243. 
Brown, Eddy, 185. 247. 
Browne, Alwyn, 125. 
Bruch, Hans, 379. 382. 
Bruch, Max, 123. 125.229.230. 

240. 252. 306. 312. 317. 318. 

376. 
Bruckner, Anton, 122. 164. 168. 

182. 188. 240. 242. 243. 250. 

255. 291. 305. 313. 314. 315. 

370. 382. 
Bruger- Drews, Margarete, 178. 
Bruhn, Eva, 184 319. 378. 381. 
Brun, Georges, 382. 
Brunei, Raoul, 382. 
BQchter (Kapellmeister) 181. 
Buck, Rudoir, 306. 
BOdinger, Dr., 339. 
Buers, Willy, 178. 
Buhlig, Richard, 125. 253. 312. 

377. 
Bujukli. W., 382. 
Bukofzer 296. 
v. BQlow, Hans, 19. 259. 260. 

262. 268. 320 
BQltemann, Walter, 176. 
Bum, Margarete, 381. 
Bunte, Wilhtlm, s. Totenscliau 

XIII, 2. 
Bunzel, Lotte, 188. 
Burger, Else, 375. 
Burkardt (Zeichncr) 384. 
Burkhard (Kapellmeister) 305. 
Burmeister, Richard, 248. 
Burraester, Willy, 186. 309.320. 

377. 
Busch, Fritz, 305. 
Busoni, Ferruccio, 125. 126. 

190 320. 371. 
Butterworth, George, 189. 
BQttner, Max, 379. 
Buxtehude, D etrich, 111. 
Byron, Lord, 7. 9. 
Caccini, Giulio, 108. 
Cahier, Charles, 243. 306. 318. 

370. 
Cahnbley-Hinken, Tilly, 190. 

252. 305. 315. 
Calace, Enzo, 183. 
Caldara, Antonio, 382. 
Cammarano (Librettist) 10. 13. 

28. 38. 
Camoens, Luiz, 199. 
Campa<nola (Singer) 238. 
Capet-Quartett 375. 381. 



Caponsacchi, Marguerite, 183. 

a cappella-Chor, Duisburger, 1 10. 

acappella-Gesangverein, Putsch - 
scher, 374. 

Carreno, Teresa, 317. 

Carriere, Paul, 308. 318. 

Caruso, Enrico, 14. 181. 236. 
304. 

Casadesus, Henri, 241. 

Casadesus, Marcel, 241. 

Casals, Pablo, 191. 306. 307. 
313. 317. 318. 380. 382. 

Casas (Komponist) 382. 

Caslova, Marie, 125. 

Catterall, Arthur, 190. 

del Cavaliere, Emillo, 108. 

Cavalli, Francesco, 169. 

Cerny (Tlnzerin) 301. 

Cesbron (Singerin) 300. 

Chabrier, Emanuel, 230. 

Chamberlain, H. St, 113. 

Charpentier, Gustave, 302. 303. 

du Chastain, Jean, 383. 

Chatham, William Pitt, 191. 

Chausson, Ernest, 246. 250. 308. 
319. 

Cheatham, Kitty, 191. 

Chewier, Andre*, 382. 

Cherubini, Luigi, 68. 131 ft* 
(Ch.s „Wassertrager a ). 187. 
190. 

Chessin, Alexander, 383. 

Chevillard, Camille, 254. 382. 

Chitz, Dr., 163. 

Chop-Groenevelt, Coeleste, 251. 

Chopin, Frederic, 109. 125. 126. 
168. 183. 184. 185. 186. 1S7. 
188. 190. 202. 213. 219. 241. 
245. 247. 248. 263. 309. 310. 
31*1. 312. 313. 315. 316 337. 
373. 375. 376. 377. 381. 

Chor,Akademischer(Berlin),372. 

Chor, Gemischter (Wilmcrsdorf), 
182. 

Chor, Pfannschmidtscher, 372. 

Chor, Philharmonischer (Berlin), 
240. 370. 

Chor, Philharmonischer (Bre- 
men), 312. 

Chor, Victorscher (Bremen), 187. 

Chorgesangverein, Zehlendorfer, 
307. 

Chorverein (Baden-Baden) 306. 

Chorvereinigung Berliner Arzte 
373. 

Christian II., KOnig v. Dane- 
mark, 202. 

Chrysander, Friedrich, 286. 

Cimarosa, Domenico, 3. 

Clairmont, Eva, 177. 

Classical Concert Society (Lon- 
don) 317. 

Cl6ment (Sftnger) 313. 

Clementi, Muzio, 375. 



Clewing, Carl, 250. 
Closs, Margarete, 319. 381. 
Clutsam, G. H., 317. 
Coates, Eric, 189 317. 
Colebrooke, Henry Thomas, 356. 
Coleridge-Taylor, Samuel, 314. 
Colonne-Konzerte 254. 382. 
Concertgebouw-Orchester 370. 
Concerts Modernes(Luzern) 190. 
Concerts populaires (BrQssel) 

312. 
Conrad, Waldemar, 308. 
Corelli, Arcangelo, 116. 
Cornells, Evert, 370. 
Cornelius, Frieda, 236. 
Cornelius, Peter, 182. 249. 376. 
Cornell, Louis, 191. 
Cortolezis, Fritz, 179. 188.368. 
Cortot, Alfred, 305. 382. 
Costa, Franz, 302. 
Couperin, Francois, 172. 186. 
Crabbe, C. A., 317. 
Crancy, Willy, 245. 
Crancy-MOller, Helene, 245. 
Crome, Fritz, 184. 245. 309. 
Cronbcrger, Wilhelm, 176. 
Cruvelli, Sophie, 45. 
Cui, Cesar, 180. 220. 
Culbertson, Sascha, 125. 188. 
Culp, Julia, 183. 250. 256. 312. 

315. 318. 319. 373. 380. 
de Curzon, Henri, 320. 
Cuypers, H , 318. 
Czerny, Karl, 109. 165. 
Dachs, Prof., 307. 
Dahlke-Kappes, Minna, 312. 
Dahmen, Charlotte, 304. 
v. Dalen, Hugo, 185. 
Dalnoki, V., 366. 
Damaew, Wassili, 180. 
v. Dameck, Hjalmar, 241. 
Damman, Hedwig, 250. 
Dankewitz, Elsa, 374. 
Dante 23. 67. 
Danza, Lorenzo, 314. 
Daquin, Louis Claude, 186. 
Dargomijschki, Alexander, 220. 

225. 
Daudet, Alphonse, 300. 
Daumas (Sftngerin) 254. 
Daume, Karl, 377. 
David, Ferdinand, 229. 
Davisson, Walther, 378. 
Dawidow, Albert, 310. 
v. Debicka, Hedwig, 238. 
Debogis, Marie-Louise, 255. 315. 
Debussy, Claude, 171. 184. 186. 

189. 190. 206. 247. 254. 306. 

308. 314. 318. 319. 369. 
Dechert, Hugo, 371. 
Decker, Jacques, 176. 365. 
Dehmel, Richard, 205. 308. 313. 

315. 
Debmlow, Hettha, 182. 247. 

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C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



IV 



NAMENREGISTER 



Delflco, Melchlorre, 64. 128. 
Dclius, Frederick, 187. 189. 254. 

306. 317. 377. 384. 
Demetriescu, Theophil, 376. 
Denkmfiler der Tonkunst in 

Osterreich 169. 
Densz (Sflngerin) 314. 
Denys, Emmy, 184. 
Denys, Thomas, 127. 184. 
Denzler, Robert, 190. 
Derichs, Mathieu, 368. 
D^saymard, J., 230. 
Desler, Elisabeth, 381. 
Dessau, Bernhard, 244. 
Dessoir, Max, 161. 
Destinn, Emmy, 63. 241. 243. 

301. 312. 
Destouches, Andr6 Cardinal, 

241. 
Deutsch, Ludwig, 191. 
Deutsch, Piet, 245. 
Deutsches Theater, Neues (Prag), 

238. 
Devilliers, Marcel, 241, 
Diabelli & Co. 266. 
Diedel-LaaQ, Gertrud, 176. 
Diefenbacher, Hedwig, 379. 
Diestel, Meta, 319. 
Dietz, Justus, 293. 
Dillmann, Alexander, 255. 320. 
Direnberger, Else, 250. 
Dit-Beraneck, Lilly, 239. 
Dittersdorf, Karl, 305. 
DGbereiner, Christian, 111. 
Doepner, Gerta, 245. 
Doepner, Use, 245. 
Dohrn, Georg, 127. 250. 377. 
v. Dohnanyi, Ernst, 183. 186. 

190. 317. 318. 319. 381. 
Dolina, Maria, 383. 
DOmotOr, J., 366. 
Donahue, Lester, 318. 
Donizetti, Gaetano, 3. 4. 8. 43. 

303. 
Donndorf, Peter, 319. 
Dopper, Cornelis, 370. 
Dorda, Martha, 127. 
DorfmQller, Franz, 254. 
Dorlay, Georges, 317. 
Dorner, Hans, 382. 
Dost, Walter, 313. 
Draeseke, Felix, 154. 163. 166. 

167. 181. 226. 247. 252. 380. 
Draghi, A., 169. 
Dramsch, Gustav, 181. 
Draper, Charles, 317. 
Draper, Paul, 318. 
van Dresser, Marcia, 177. 
DrOscher, Georg, 300. 
Drosdow, Wladimir, 383. 
Droucker, Sandra, 319. 376. 
Drugulin, W., 233. 
Drusiakina, Sophia, 180. 
Du Locle 16. 



Dubinski, Wladimir, 180. 
v. Dubiska, Irene, 183. 
Duesberg, Nora, 250. 371. 
Dukas, Paul, 305. 
Dumas (PSre), Alexandre, 11. 
Dumesnil, Maurice, 313. 382. 

384. 
Duncan, Elizabeth, 226. 
Duncan, Isadora, 226. 
Dunhill, Thomas, 190. 
Dunn, John Petrie, 381. 
Dupaty (Librettist) 300. 
Duparc, Henri, 318. 
Durand & Fils 174. 
Duranowski (Geiger) 210. 
Durante, Francesco, 382. 
Durigo, Ilona K., 190. 191. 311. 

382. 383. 
Duveyrier 44. 

Dux, Claire, 123. 242. 247. 
Dvorak, Anton, 182. 202. 229. 

252. 253. 305. 307. 309. 315. 

317. 336. 372. 373. 381. 
van Dyck, Ernest, 305. 348. 
Dyck, Felix, 244. 254. 
Easton, Florence, 178. 179. 

302. 
Ebel, Arnold, 172. 
Ebert, Alfred, 147. 
Ebner, Adalbert, 319. 
Ebncr, Joseph, 191. 
Ecker, Karl, 374. 
Eckhold, Richard, 302. 314. 
Eg6nierT, Franz, 124. 
Egidi, Arthur, 125. 185. 247. 
Ehrlich, Bianca, 320. 
EibenschQtz, Jose, 252. 
v. Eichendorff, Joseph Frhr., 

122. 364. 
Eisele, Anny, 316. 
Eisenberger, Severin, 191. 312. 
Eisner (Sflngerin) 238. 
Eitner, Robert, 287. 332. 
Elb, Margarete, 176. 
Elfenbein, Erna, 254. 
Elgar, Edward, 189. 190. 241. 

317. 
Elisabeth, KOnigin v. England, 

99. 331. 
Ellger, Hilde, 309. 377. 
Elman, Mischa, 242. 317. 371. 
Engel, Vika, 240. 
Engel, Werner, 235. 373. 
Engelhard, Leonor, 63. 176. 
Engell, Birgit, 63. 190. 
Englerth, Gabriele, 240. 
Erb, Karl, 318. 
v. Erdberg, Matthias, 244. 
Erdeli (Harfenistin) 383. 
v. Erdody, Marie Grflfin, 147. 
Erhard, Eduard, 178. 
Erler, Hermann, 370. 
Erler-Schnaudt, Anna, 127. 191. 

245. 315. 



Ernst, Alfred, 124. 186. 
Ernst, H. W., 317. 
Ertel, Paul, 172. 
Eschke, Max, 307. 371. 
Esterhazy, FOrst, 152. 
Euler, Leonhard, 339. 
Euripides 165. 
L' Europe Litte>aire 213. 
Evers, Emil, 379. 
van Eweyk, Arthur, 249. 253. 
Faber, Joachim, 236. 
Fabian, Georg, 181. 
Fflhrmann, Hans, 172. 312. 
Fall, Leo, 359. 360. 
Faltin, Richard, 195. 
Fanger, Otto, 177. 237. 
Fanto, Leon, 367. 
Farina, Carlo, 218. 
Fasch, Joh. Friedrich, 218. 
Faure, Gabriel, 185. 317. 318. 

319. 369. 
Favre, Walter, 237. 
Fay, Maud, 237. 
Feart, Rose, 238. 
Federhof-MOller, Fanny, 247. 
Feinhals, Fritz, 304. 
Feldser, Alexandra, 306. 
Felmy, Max, 237. 
Fenten, Willy, 367. 
Fergusson, George, 182. 
Feus, F. J., 208. 
Feuchtinger, Prof., 246. 
Feuerlein, Ludwig, 319. 
Feuermann, Sigmund, 255. 

317. 
Fibere, Michael, 376. 
Fickenscher, A., 308. 
Fickler, Martha, 314. 
Fidelmann, Sam, 309. 
Fiebig, Hugo, 126. 
Fiebiger, Erna, 237. 
Fiedler, Max, 241. 242. 314. 

371. 
Fink, Heinrich, 218. 
Fink, Marie, 303. 
Filippi, Filippo, 98. 
Fischer, Edwin, 240. 254. 311. 

318. 380. 
Fischer, Franz, 181. 
Fischer, Karl, 318. 
Fischer, Richard, 182. 240. 
Fischer, Wilhelm, 164. 
Fischer-Maretzki, Gertrud, 315. 
Fitger, Arthur, 205. 
v. Fladung, Irene, 304. 
Fleisch, Maximilian, 313. 
Fleischer, Arthur, 368. 
v. Fleischl, Dr., 339. 
Flesch, Carl, 182. 187. 188. 242. 

253. 310. 313. 316. 318.319. 

372. 379. 383. 
Floch, Paula, 235. 
Flonzaley-Quartett 242. 252.253. 

315. 317. 



D'::j"«i,-'L 






Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAMENREGISTER 



v. Flotow, Friedrich Frhr., 177. 

291. 
Flury, Alfred, 190. 
FOnO, Johannes, 177. 
Forchhammer, Ejnar, 177. 240. 

313. 
Foerstel, Gertrude, 127. 128. 

178. 305. 
Foerster, J. B., 318. 
Forkcl, Joh. Nikolaus, 270. 
Forsell, John, 380. 382. 
FGrster, August, 164. 
Fortelni, Rosine, 177. 367. 
Forti, Elena, 367. 
Fortner-Halbaerth, Bella, 236. 
Foster, Muriel, 252. 
Franchetti, Alberto, 236. 
Franck, Cesar, 190. 191. 242. 

249. 253. 254. 255. 310. 375. 

377. 381. 
v. Franckenstein, Clemens, 381. 
v. Frankenberg, E., 176. 
Frankfurter, Walter, 231. 
Franz I., Konig v. Frankreich, 

331. 
Robert Franz-Singakademie 378. 
Freid, Sara, 254. 
Fremdenblatt, MQnchener, 287. 
Fremstad, Olive, 180. 
Freund, Maria, 373. 
Frey, Adolf, 306. 
Frey, Erwin, 184. 
Frey, Martin, 172. 
Freye, Martha, 245. 
Freytag, Gustav, 69. 70. 
Fridrichowicz, Agnes, 308. 374. 
Fried, Oskar, 123. 
Fricdberg, Karl, 242. 253. 310. 

315. 377. 378. 379. 382. 
Friederici, Daniel, 250. 
Friedland, Martin, 188. 
Friedman, Ignaz, 316. 380. 381. 
Friedrich der GroQe 106. 124. 
Friedrichs, Emma, 185. 
Friedrichs-Bohmer, Henriette, 

124. 
FrieB, Pauline, 318. 
Frigora (Kapellmeister) 300. 
v. Frimmel, Theodor, 148. 149. 

150. 
Frischen, Josef, 308. 379. j 

Froberger, Johann Jakob, 218. | 

259. 
Froding 205. 

Froehlich, Louis, 313. I 

Frohlich, Alfred, 235. 
Frommer, Paul, 237. 
Frostick, Percy, 314. 
Fuhrmeister, Fritz, 243. 
FOllgrabe, Georg, 185. i 

Fumagalli, Angelo, 190. 
Funck, Werner, 365. 
Funk, Georg, 182. 307. 
Funk, Therese, 187. 



FQrstner, Adolph, 357. 358. 
Furtwflngler & Hammer 125. 
v. Gabain, Anna, 247. 
Gabor (Singer) 366. 
Gabrilowitsch, Ossip, 241. 318. 

373. 376. 
Gade, Niels W., 164. 195. 199. 
Gaertner, Otto, 250. 
Gaertner, Walter, 179. 
Gales, Weston, 188. 253. 
Gallen, Axel, 196. 
Gallo, Antonio, 44. 45. 46. 
Gallone, Carlo, 318. 
Gallus, Jacobus, 110. 174. 299. 
Galston, Gottfried, 254. 320. 

381. 
Gamaleja, W., 376. 
in der Gand, Hanns, 381. 
Ganz, Rudolph, 306. 313. 384. 
Garden, Mary, 238. 
de Garmo, Harry, 303. 
Garpf Quartett 383. 
Gaul, Alfred Robert, s. Toten- 

schau XIII, 2. 
Gauntier, Margarete, 180. 
Gay, John, 334. 335. 
Gedeonow (Theaterdirektor) 180. 
Geibel, Emanuel, 364. 377. 
GeiOe-Winkel, Nicolas, 378. 
GeiOler, Johanna, 369. 
Gellert, Ludwig, s. Totenscbau 

XIII, 1. 
Gentner-Fischer, Else, 313. 
GeorTroy, Ch., 128. 
Georgesco, Georges, 186. 307. 
G6rardy, Jean, 310. 372. 
Gerber, P., 296. 
Gerhardt, Elena, 181. 244.251. 

318. 377. 383. 
Gerhftuser, Emil, 304. 
v. Gerlach, Arthur, 235. 236. 
Germer, Heinrich, 264. 265. 
Gernsheim, Friedrich, 252. 307. 

315. 364. 
Gerstmann, Erna, 245. 
Gesangverein, Kotzoltscher, 376. 
Gesangverein, Rflhlscher, 251. 
Gesellschaft der Musikfreunde 

(Berlin) 241. 
Gesellschaft der Musikfreunde 

(Hannover) 379. 
Gesellschaft der Musikfreunde 

(Wien) 384. 
Gesellschaft, Musikalische 

(Koln), 252. 315. 379. 
Gesellschaft, Musikhistorische 

(St. Petersburg), 383. 
Gesellschaft, Philharmonische 

(Johannesburg), 314. 
Gewandhauskonzerte 315. 316. 

380. 
Gewandhaus-Quartett 316. 
Ghislanzoni, Antonio, 17. 128. 
Giemsa, Konrad, 377. 



Gieseking, Walter, 188. 
Giesen, Karl, 303. 369. 
Gille, Karl, 368. 379. 
Gilly, Dinh, 301. 
Gilow, Mathilde, 307. 
Gindra, Therese, 124. 
Giorni, Aurelio, 316. 381. 
Gipser, Else, 315. 373. 
Giraldoni (Bariton) 369. 
Gischler, Hermann, 312. 
Gitarrequartett, MOnchner, 191. 
Gittelson, Frank, 246. 
Glaeser, John, 221. 235. 
GlaD, Louis, 380. 
GlaQ-Sant, Elsa, 311. 315.377. 
Clazounow, Alexander, 190. 242. 

254. 319. 
Gleisberg, Mary, 378. 
GleiDberg, Alfred, 379. 
Gliere, Reinhold, 317. 
Glinka, Michael, 180. 
Glinz, Helene, 308. 
Globerger, August, 380. 
Gluck, Chr. W., 116. 125. 169. 

178. 181. 182. 237.. 276. 278. 

288f (Ergflnzungen' und Be- 

richtigungen zu Wotquenne's 

Thematischem Verzeichnis der 

G.'schen Werke). 333. 334. 
Gmeiner, Ella, 374. 
Gmeiner, Luise, 320. 
Gmeiner, Rudolf, 254. 308. 
GmQr, Rudolf, 303. 
Goddard, James, 240. 
Godowsky, Leopold, 190. 297. 
Goedecke, Leberecht, 242. 
Goethe, J. W., 27. 39. 85. 113. 

114. 118. 132. 165. 175. 227. 

284. 290. 292. 295. 305. 306. 

335. 377. 
Goette, Elfriede, 124. 371. 
Goetz, Hermann, 28. 
v. Goetz, Mary Mora, 124. 185. 

307. 374. 
Gohler, Georg, 178. 236. 316. 

318. 368. 
Goldfisch, Edmund, 250. 
Goldmark, Carl, 27. 183. 251. 

316. 
Goldschmidt, Paul, 252. 318. 
Gollanin, Leo, 124. 244. 
Gollmer, Frieda, 178. 
Gollrich, Josef, 237. 
Golowanow, N., 307. 
van Gorkom, Jan, 179. 
Corn, Kurt, 377. 
Gorter, Albert, 180. 190. 
Gosnell, Vivian, 250. 
Gossec, F. J., 131. 
Gothia (Graz) 188. 
Gotthard, Karl, 179. 
GottschedJohannChristoph,377. 
Gotz, Karl, 3 15. 
Goudimel, Claude, 233. 



D'::j"«i,-'L 



C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



VI 



NAMENREGISTER 



Gounod, Charles, 27. 360. 
Grabcrt, Martin, 374. 
Gridener, Hermann, 296. 297. 
Graener, Paul, 383. 
Gragniani 191. 
Grainger, Percy, 189. 382. 
Gram, Peder, 380. 
Grandjany, Marcel, 382. 
Gregor, Hans, 239. 365. 
Greif, Martin, 318. 
Greis, C., 176. 
Gr6try, A. E. M., 131. 228. 

270 ff (G.). 314. 320 (Bilder). 
Grevenberg, Julius, 367. 
Grieg, Edvard, 191. 195. 197. 

198. 204. 206. 314. 336. 338. 

379. 380. 382. 
Grieg, Nina, 380. 
Grimm, Gebrflder, 279. 
Grimm-Mittelmann, Berta, 369. 
Grobke, Adolf, 304. 
Groenen, Josef, 369. 
Groll, Lotte, 308. 316. 
Gruder-Guntram, Hugo, 221. 

235. 
GrQnberg, Georg, 311. 
GrQnberg, Max, 373. 
GrOnfeld, Heinricb, 244. 373. 
Gschrey, Richard, 254. 
Guilbert, Yvctte, 382. 
Guiimant, Alexandre, 374. 
v. Guines, Henog, 240. 
Gfllzow, Adalbert, 242. 
Gumpel, Erna, 297. 
GQnther, Klara, 310. 
GOnther, Helene, 377. 
GQnther, Marie Lydia, 319. 376. 
GQnther, Martha, 313. 
GQnzburg, Mark, 252. 311. 
Gura-Hummel, Annie, 378. 
GQrzenich-Konzerte 252. 315. 

379. 
GQrzenich-Quartett 315. 
Gustavson (Geiger) 313. 
Guszalewicz, Alice, 369. 
Gutheil-Schoder, Marie, 353. 
Guttmann, Alfied, 230. 
Guttmann, Wilhelm, 307. 308. 

309. 
Gutzmann 296. 
Gutzmann, Elisabeth, 126. 
Haas, Engelbert, 184. 
Haas, Joseph, 253. 
Haas, Robert, 255. 
Habeneck, F. A., 211. 
Hickel, Friedrich, 381. 
Hadwiger, Alois, 301. 
Haehnel, Willy, 308. 
Hafcren-Waag, Lilli, 234. 
Hagedorn, Gottfried, 236. 
Hagel, Richard. 377. 
Hagen, Adolf, 226. 
v. Hagen, Elis, 170. 
v. d. Hagen, Fr. H., 335. 



Hagen, Otfried, 176. 365. 
Hagenbeck, Karl, 339. 
Hagin, Heinricb, 63. 
Hahn, M. R , 230. 
Habn, Reynaldo, 190. 
Hahn, Uta, 311. 
Haile, Eugen, 173. 248. 
Hait, David, 308. 372. 
Haievy, J. E. F., 63. 64. 
Hallama, Felicitas, 301. 
Haller, Marta, 245. 
Hallwachs, Karl, 244. 
Halvorsen, Johan, 242. 
Hamm, Adolf, 306. 
Hammer, Birgcr, 245. 
Hftndel, G. F, 104. 109. 111. 

112. 165. 168. 172. 184. 218. 

232. 241. 242. 243. 254. 259. 

312. 313. 314. 315. 318. 381. 

383. 
Hftnsel, Rudolf, 187. 
Hansen, Christian, 181. 
Hansen, Paul, 64. 235. 301. 
Hanslick, Eduard, 7. 68. 80. 96. 

339. 
Hansmann, Richard, 166. 167. 
HardorfP, Anna, 379. 
Harrison, Beatrice, 245. 
Harrison, Jules, 190. 
Hartmann, Georg, 235. 300. 
Hartmann, Joh. Peter Emil, 195. 
Hartmann, Ludwig, 365. 
Hartwig & Co. 64. 
Hany, Hamilton, 189. 
Harwood, Basil, 189. 
Hasse, Hans, 373. 
Hasse, Joh. Adolf, 289. 
Hasse, Karl, 172. 
HaQler, Hans Leo, 111. 250. 
HaQler, Walter, 254. 
v. Hatiingberg, Magda, 373. 380. 
| Hauptmann, Moritz, 143. 144. 
| 374. 

v. Hausegger, Siegmund, 243. 
I 252. 306. 307. 314. 
j Hauser, Emil, 378. 
Havemann, Gustav, 380. 
Haydn, Joseph, 168. 172. 188. 

191. 218. 240. 242 245. 248. 

250. 251. 255. 277. 284. 285. 

287. 305. 314. 315. 318. 334. 

374. 377. 378. 380. 382. 384. 
Haym, Hans, 251. 
Hebbel, Friedrich, 167. 172. 225. 

354. 364. 381. 
Heber, Richard, 249. 
Heberlein, Richard, 254. 
Hebler 79. 
Hecke, Otto, 124. 
Hecker, Sigmund, 235. 
Hedberg 205. 
Hedler, Richard, 235. 
Hedmond (Singer) 303. 
Hedmondt, J., 316. 



Heese 124. 

Hegar, Friedrich, 187. 306. 307. 

318. 381. 
Hegedds, Fr., 366. 
Heger, Robert, 181. 377. 
Hegner, Anna, 255. 
Hegner-Quartett 379. 
Hegyesi, Lotte, 319. 
Heifetz, Jascha, 126. 
Heim, Margarete, 308. 
Heim, Melitta, 235. 
Helms, Dora, 316. 
Hein, Paul, 305. 306. 
Heine, Heinricb, 308.318.378. 
Heineken, Max, 375. 
Heinemann, Alexander, 245. 
Heinemann, Ernst, 167. 
Heinemann, Hans, 312. 
Heinricb, Prof, 305. 
Heintzsch 111. 
Heise, Peter, 164. 202. 
Heitzmann 296. 
Helger, Otto, 304. 
Helmboltz, Hermann, 160. 
Hem meter, Hildegard, 254. 
Hempel, Frida, 183. 379. 
Henessy, Swan, 311. 
Henke, Waldemar, 63. 
Hensel, Heinricb, 63. 315. 
Henze, Hermann, 243. 
Herberger, Thea, 188. 
Herbst, Geog, 384. 
Herder, Joh. Gottfried, 1 18. 369. 
Hering, Curt, 112. 
Hermann, Agnes, 255. 
Hermann, Amalie, 254. 
Hermann, Paul, 250. 
Herold, Wflhelm, 369. 
Herpen, Charlotte, 311. 
Herrmann, C, 316. 
v. Herzogenberg, Heinrich, 229. 

230. 
Hcsch 353. 

HeO, Ludwig, 241. 248. 
HcD, Otto, 181. 237. 
HeO-Quartett 249. 
HeO, Willy, 249. 
Heuberger, Richard, 188. 
Heumann, Maria, 185. 
HeuO, Alfred, 159. 160. 231. 
Hewitt, Maurice, 241. 
Heyer, Hanna, 191. 
Hey I, Nelly, 181. 
Hielscher, Hans, 127. 
Hielscher, Paul, 127. 
Hignard, A., 230. 
Hildebrand, Camillo, 182. 183. 
Hill, Tilia, 315. 
Hiller, Joh. Adam, 334. 335. 
Hillcr, Ferdinand, 213. 294. 
Himmel, F. H., 246. 
Hindermann, Paul, 191. 
Hinze-Reinhold, Anna, 248 318 
Hinze-Reinhold, Bruno, 248. 31 8. 



D'::j"«i,-'L 



C iOoqIc 



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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAMENREGISTER 



VII 



Hirsch, Karl, 382. 
Hirschberg, Ludwig, 307. 
Hirt, Luise, 377. 
Hochheim, Paul, 176. 235. 
Hock-Quartett 187. 
Hochn, Alfred, 254. 255. 377. 
v. HoeQlin, Franz, 318. 
Hof- und Domchor, Kgl. (Ber- 
lin), 241. 253. 307. 370. 371. 
Hofbauer, Rudolf, 239. 
Hoffmann, Baptist, 243. 300. 
Hoffmann, Else, 381. 
Hoffmann, E. T. A., 149. 293. 

378. 
Hoffmann - Ontfgin, Lilly, 315. 

379. 
Hofkapelle (Braunschweig) 377. 
Hofkapelle (Dessau) 378. 
Hofkapelle (Karlsruhe) 188. 
Hofkapelle (Meiningen) 312. 379. 
Hofkapelle (Stuttgart) 319. 
Hofmann, Friedrich, 188. 
v. Hofmannsthal, Hugo, 240. 
Hofmeier-Hoffes, Elisabeth, 191. 
Hofoper (Dresden) 176. 
Hofoperntheater, K. K. (Wien), 

239. 
Hoforchester(Manchen)253 318 

380. 
Hoforchester(St. Petersburg) 383. 
Hoftheaterkonzerte (Dresden) 

187. 250. 377. 
Hoftheaterkonzerte (Wiesbaden) 

256. 
Hohenemser, Richard, 131. 
v. Hohenlohe-SchillingsfQrst, 

Chlodwig FOrst, 357. 
Holland, Ruby, 310. 
Holz, Arno, 364. 
Homer 116. 
Hopf, Fritz, 315. 
Hopf, Hermann, 253. 
Hopffer, Bernhard, 229. 
Hopkins, Blowden, 314. 
Hoppen, Rudolf, 315. 
Horaz 116. 
Horder, Kite, 187. 
Horn, Kamillo, 376. 
v. Hornbostel, Erich, 230. 
van Horst, Erik, 178. 
Hoy, Emmy, 238. 
v. d. Hoya, Amadeo, 298. 
Hoyer, Karl, 296. 
Huber, Hans, 187. 312. 313. 

316. 380. 
Huberman, Bronislaw, 251. 253. 

256. 313. 316. 319. 
Hucbald 329. 
Huff, Elfriede Lotte, 182. 
H Offer 170. 
Hugo, Victor, 9. 10. 29. 50. 

254. 318. 
Hummel, Joh. Nep., 104. 107. 

109. 



Hummelsheim, Anton, 235. 
Humperdinck, Engelbert, 179. 

240. 253. 254. 360. 
Hunold, Erich, 236. 
Huth, CUre, 187. 
Hutt, Robert, 176. 177. 
Ibach 123. 
Ibsen, Henrik, 199. 
Iken, Karl Jacob Ludwig, 280. 

283. 
Imbert, Hughes, 171. 
d'Indy, Vincent, 190. 301. 318. 
Ingenhoven, Jan, 256. 381. 382. 
Ipolyi, Laszlo, 309. 
Ippolitow-lwanow, M., 307. 
Iracema-Brdgelmann, Hedy, 304. 
Irrgang, Bernhard, 110. 240. 

370. 371. 
Isaak, Heinrich, 218. 
Isler, Ernst, 306. 
Issatschenko (Sftnger) 181. 
Ivogfln, Marie, 304. 
Jadlowker, Hermann, 63. 234. 

236. 243. 247. 302. 306. 
Jaeger, Walt, 123. 
Jaehn, Else, 377. 
Jaenicke, Kite, 236. 
Jahn, Otto, 150. 
Janin, Jules, 215. 216. 
Janscn (Sangerin) 178. 
Janssen, Max, 250. 
Jansson, Greta, 236. 
Jaques-Dalcroze, fimile, 248. 
Jflrnefelt, Armas, 206. 
Jftrnefelt, Arvid, 201. 
Jftrnefelt, Eero, 196. 
v. Jauner, Franz, 356. 357. 
Jeannequin, Clement, 331. 
Jelinek, Franz, 242. 
Jelmoli, Hans, 191. 
Jeritza, Mizzi, 239. 
Joachim, Joseph, 229. 230. 247. 

253. 262. 298. 
Jocosi 192. 
Johann Albrecht, Herzog zu 

Mecklenburg, 369. 
John, Theodor H., 247. 
Jonas-Stockhausen, Ella, 124. 

245. 316. 
Jongen, Joseph, 249. 
Josephson, Walter, 110. 
Josephson 206. 
Journal des D6bats 215. 216. 
Jowanowitsch, M., 376. 
Juel, Fredy, 373. 
Juon, Paul, 318. 364. 381. 
Kaehler, Willibald, 249. 319. 
Kaempfert, Anna, 241. 251. 370. 

382. 
Kaempfert, Max, 187. 313. 
Kaesser, Lulu, 123. 
Kahn, Robert, 182. 183. 184. 

186. 242. 308. 311. 381. 
Kaiser, Alfred, 235. 236. 368. 



Ka)anus, Robert, 195. 196. 
Kalbeck, Max, 85. 86. 87. 91. 

92. 93. 96. 240. 
Kalinnikow, Wassili, 305. 307. 
Kalischer, Alfred Christlieb, 148. 

149. 150. 152. 279. 280. 
Kallenberg, Siegfried Garibaldi, 

318. 
Kalt, Pius, 313. 
Kamienska, Linda, 253. 
Kammermusikvereinigung der 

KGniglichen Kapelle (Berlin) 

242. 
Kammermusikvereinigung, Neue 

(Mflnchen), 191. 
Kflmpf, Karl, 249. 309. 
Kander, Hugo, 124. 
Kandl, Eduard, 365. 
Kant, Imanuel, 323. 
Kapelle, Kgl. (Berlin), 240. 306. 

371. 
Kapelle, Kgl. (Dresden), 312. 
Kapelle, Kgl. (Hannover), 379. 
Kapelle, Kgl. (Kassel), 314. 
Kapelle, Stftdtische (Mainz), 190. 
Kaphun-Aronson, Vera, 311. 
Kapp, Julius, 256. 363. 
Kappel, Gertrud, 368. 
Karg - Elert, Sigfrid, 247. 254. 

315. 316. 318. 
Karl der GroDe 108. 
Karlowicz, Mieczyslaw, 309. 
Kartasz, Wilhelm, 191. 
Kaschowska, Felicia, 245. 
Kase, Alfred, 315. 377. 
Kaselitz, E., 377. 
Kassowitz, Lilly, 304. 
Kastalsky, Alexander, 307. 
Kastner, Emerich, 170. 
Kauffmann, Fritz, 188. 244. 374. 
Kaufmann, Hans, 123. 
Kaulich, Elsa, 376. 
Kaun, Hugo, 125. 183. 185.248. 

249. 251. 307. 377. 
Kayser, Ph. Chr., 227. 
Keiper, Hermann, 378. 
Keiper, Ludwig, 378. 
Keller, Hans, 180. 
Keller, Otto, 147. 
Keller (Kammermusiker) 315. 
Kellert, BrQder, 191. 
Kerekjarto, Duci, 306. 
Kelly, F. S., 317. 
Kertesz (Sftnger) 366. 
Kerntler, Jeno, 124. 
Kessissoglu, Angelo, 319. 
Kewitsch, Willi, 308. 
Kiefer, Heinrich, 318. 
Kiel, Friedrich, 309. 
Kienlechncr, Karl, 245. 
Kienzl, Wilhelm, 239. 360. 

365. 
KieO, August, 235. 
KieDlich, Alexander, 309. 



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VIII 



NAMENREGISTER 



KieOling, M., 111. 

Kjerulf, Halfdan, 191. 195. 338. 

KirchenchOre, katholische (StraB- 

burg), 255. 
Kirchheff, Walther, 235. 240. 

253. 314. 
Kirchner, Alexander, 123. 235. 

365. 
Kistler, Cyrill, 286. 
Kistner, Fr., 218. 
KiO, Johanna, 256. 
Kivi 205. 

Klein, Johanna, 256. 
Klein, Max, 240. 
Kleinholz, Hans, 245. 
v. Kleist, Heinrich, 249. 
v. Klenau, Paul, 369 („Sulamith. u 

UrauffQhrung in MQnchen). 
Klengel, Julius, 381. 
Klengel, Paul, 187. 254. 
Klengel, Geschwister, 318. 
Klimt, Gustav, 192. 
Klindworth, Karl, 263. 268. 
Klingler, Karl, 110. 111. 247. 

376. 378. 
Klingler-Quartett 188. 248. 376. 

378. 379. 
Klose, Amelie, 316. 380. 
Klose, Friedrich, 182. 315. 316. 

318. 
Kloss, Erich, 295. 
Kluge, Margarete, 377. 
Knappertsbusch, Hans, 236. 
Knoch, Ernst, 235. 236. 
Knoche, Emmi, 377. 
Knote, Heinrich, 382. 
Knflmann, Josef, 126. 
Knupfer, Paul, 63. 234. 306. 
Kobelatzky-Illyna, Lydia, 313. 

315. 
Koch, Friedrich E., 244. 
Koch, Johann, 120. 
Kochanski, Waclaw, 373. 
v. Kochel, Ludwig Ritter, 191. 

314. 381. 
Kochen, Pancho, 183. 372. 
Kocholl, Olga, 188. 
v. Koczalski, Raoul, 183. 187. 

188. 377. 
Koczirz, A., 169. 
KOhler, Johannes, 381. 
Kohler, W., 121. 
Koenen, Tilly, 125. 241. 246. 

319. 381. 
Koenenkamp, Reinhold, 246. 
Koenig, Hermann, 190. 
Koerner, Julie, 304. 
KoeDler, Hans, 240. 249. 
Kohmann, Anton, 313. 377. 381. 
Konta, Robert, 359. 
Konzerte, Philharmonische (Ber- 
lin), 181. 241. 306. 371. 
Konzerte, Philharmonische (Bre- 
men), 312. 



Konzerte, Philharmonische (Dres- 
den), 251. 378. 
Konzerte, Philharmonische 

(Hamburg), 252. 
Konzerte, Philharmonische (Leip- 
zig), 380. 
Konzertgesellschaft (Elberfeld) 

251. 
Konzertgesellschaft fGr Chor- 

gesang (MOnchen) 127. 381. 
Konzerthaus, Wiener, 255. 
Konzerthaus-Orchester, Berlin, 

372. 
Konzertverein, MQnchner, 127. 

191. 253. 318. 
Konzertverein, Stfldtischer (Lu- 

zern), 190. 
Konzertvereinigung des Kaiser- 

Wilhelm- Gedftchtniskirchen- 

chors 309. 
Koptiaew, A., 383. 
Kopylow, A., 298. 
Korner, Theodor, 175. 
Korngold, Erich Wolfgang, 190. 

242. 318. 383. 
KOrnyei, B., 366. 
Koschat, Thomas 363. 
Koschitz, Nina, 180. 
KoD, Karl, 367. 
Kothe, Robert, 254. 255. 319. 

372. 379. 
Kottmayr, Gabriele, 254. 
KOtschke, Hans, 318. 
Kotzeluch, Leopold Anton, 335. 
Krlhmer, Christian, 176. 236. 
Kramm, Hugo, 186. 
Kranz, Naum, 242. 
Krasselt, Rudolf, 123. 
Kraus, Ernst, 183. 234. 
v. Kraus, Felix, 253. 381. 
v. Kraus - Osborne, Adrienne, 

381. 
Kraus-Sonderhoff, Irmgard, 309. 
Krause, Clara, 308. 
Krausescher Frauenchor, Clara, 

308. 
Krause, Max, 176. 
KrauO, Margarete, 126. 
KrauO, Max, 191. 245. 
Krebs, Joh. Ludwig, 313. 
Krebs, Maria, 183. 
Kreisler, Fritz, 186. 190. 247. 

312. 315. 317. 
Kremser, Eduard, 307. 
Kretzschmar, Hermann, 1 12. 170. 

231. 
Kreutzburg, H., 383. 
Kreutzer, Conradin, 127. 305. 
Kreutzer, Leonid, 186. 254. 308. 

316. 375. 382. 
Kriehuber, Josef, 256. 320. 
Kris, Emeric, 309. 
Kroeber-Asche, Lili, 316. 
Krocmer, Richard, 307. 372. 



Kroll, Franz, 260. 
Kronacher, Else, 314. 
Krug-Waldsee, Josef, 253. 
Krflger, Emmy, 370. 
Kruis, Josefa, 185. 
Kruse, Georg Richard, 98. 235. 
Kru9e, Johann, 229. 
Kryzanovsky, J., 182. 
KQchler-Weilibrod, Emmy, 320. 
KQhling (Karamermusiker) 315. 
Kuhn, Josua, 338. 
Kuhnau, Johann, 112. 259. 
KQhner, Konrad, 263. 264. 
Kullak, Theodor, 229. 
Kun, Cornelius 176. 
Kunkel, Walrer, 378. 
Ktlnneke, Eduard, 301 (.Coeur 

AQ a . UrauffOhrung in Dres- 
den). 
Kupfer (Sflngerin) 358. 
Kurhauskonzerte (Wiesbaden) 

256. 
Kurkapelle (Wiesbaden) 12S. 
Kursaal Orchesier (Luzern) 190. 
Kursch, Richard, 308. 
Kurt, Mclanie, 63. 64. 315. 371. 
Kurth, E., 169. 
Kussewitzki, Sergei, 190. 383. 
Kutzschbach, Hermann, 302. 

312. 377. 
Kuula, Toivo, 382. 
Kwast-Hodapp, Frida, 183. 
van Laar, Louis, 308. 316. 
Laber, Heinrich, 316. 380. 382 
Lachmannski-Schaul, Helene, 

126. 
Lachner, Franz, 294. 
Lagenpusch, Felix, 64. 235. 
v. Lalewicz, Georg, 310. 381. 
Lalo, Edouard, 242. 370. 
Lamartine 68. 
Lambertz, Peter, 126. 191. 
Lambrino, T£16maque, 320. 377. 

379. 
Lamond, Frederic, 186. 248. 306. 

316. 318. 377. 
Lamoureux- Konzerte 254. 382. 
Landauer, Gustav, 181. 
Landeck, Max, 236. 
Landeg, Paul, 319. 
Landmann, Arno, 253. 
Landowska, Wanda, 104. 107. 

111. 112. 186. 381. 
Lange, Elisabeth, 124. 
Lange, Hans, 251. 313. 
LangendorfT, Frida, 63. 249. 378 
Langheinrich, Franz, 122. 
Lapelletrie (Sanger) 238. 
Laporte (Impresario) 211. 
de Lara, Isidore, 238. 369. 
Lassen, Christian, 356. 
Lasso, Orlando, 174. 309. 
Lattermann, Theodor, 63. 127. 
Latzko, Ernst, 304. 



D 'iijli 



i :v, C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



N AMEN REGISTER 



IX 



Laube, Elsa, 372. 
Laubenthal, Rudolf, 111. 112. 
Laudien, Max, 300. 
Lauenstcin, Carl Ludwig, 309. 

379. 
Lauer-Kottlar, Beatrice, 179. 

368. 
v. Lauff, Joseph, 243. 
Laugs, Robert, 63. 
Lauprecht-van Lammen, Mientje, 

251. 313. 
Laurischkus, Max, 250. 307. 

312. 
Lauweryns (Kapellmeister) 301. 

312. 
Lavigna (Kapellmeister) 6. 
Le bedew, Konstantin, 180. 
Leclair, Jean Marie, 253. 
v. Ledebur, Karl Frhr., 304. 

s. Totenschau XIII, 5. 
Lederer-Prina, Felix, 18.*. 
Leech- Carreras (Geigerin) 313. 
van Leeuwen, Ary, 247. 
Lefevre, Robert, 320. 
Leffler-Burckard, Martha, 234. 
Lehar, Franz, 360. 
Lehmann, Lilli, 171. 
Lehrergesangverein, Apoldaer, 

319. 
Lehrergesangverein, Berliner, 

241. 306. 
Lehrergesangverein, Bremer, 1 87. 

255. 
Lehrergesangverein, Charlotten- 

burger, 376. 
Lehrergesangverein, Eisenacher, 

319. 
Lehrergesangverein, Jenaer, 319. 
Lehrergesangverein , Kasseler , 

314. 
Lehrergesangverein, MOnchner, 

318. 
Lehrergesangverein, Weimarer, 

319. 
Leimer, K., 379. 
Leisinger, Berta, s. Totenschau 

XIII, 3. 
Leisner, Emmi, 316. 370. 371. 
Leitzmann, Albert, 147. 
Lekeu, Guillaume, 189. 
Lemba, Artur, 383. 
Lendrop, M , 380. 
Lendvai, Erwin, 312. 
v. Lengyel, Ernst, 248. 
Lenn6, Alice, 313. 
Lenska, Auguste, 177. 
Lenzewski, Gustav, 124. 
Leonard, Gustav, 308. 
Leoncavallo, Ruggiero, 238. 
Lerner, Tina, 379. 
Leroy, Marie, 305. 318. 
Leschetitzky, Marie Gabriele, 

381. 
Leschetizky, Theodor, 255. 



Leschke, Hans, 235. 
Lessing, G. E., 27. 248. 
LeQmann, Eva, 110. 111. 240. 
Lesueur, J. F., 131. 
Leuer, Hubert, 190. 240. 
Leupold, A. W., 172. 
Levertin 205. 

Levi, Hermann, 164. 179. 230. 
Levin, Gustav, 191. 
Levis 49. 

Leydhecker, Agnes, 377. 
Lhevinne, Joseph, 249. 375. 380. 
Lh6vinne, Rosina, 249. 
Lhdtsky, B., 316. 
Lichtenberg, E., 366. 
Lie, Jonas, 199. 
v. Liechtenstein, Fflrst, 358. 
Lieban, Julius, 235. 
Lieberson, S., 308. 
Liebert, Else, 176. 
Liebeskind, Josef, 289. 
LiebstSckl, Hans, 237. 
Liederkranz, Berliner, 249. 
Liedertafel (Luzern) 190. 
Lietzmann, Kurt, 372. 
Liljequist (Sfingerin) 380. 
Lincke, Paul, 301. 
Lindberg, Helge, 319. 
Lindberg, Oskar, 128. 
Lindemann, Fritz, 182.310.377. 
Linden, Arlette, 243. 
Linden, Suzanne, 243. 
Lindner, Edwin, 256. 378. 
Lindsay, V., 315. 
Ling, Elsa Meta, 182. 
Lipmann, Max, 237. 
Lipowskaja, Lydia, 181. 
Lissauer, Fiitz, 308. 
LiOmann, Hans, 303. 369. 
Liszt, Franz, 109. 113. 124. 

127. 163. 165. 166. 168. 185. 

186. 188. 195. 208. 213. 225. 

226. 231. 241. 248. 252. 287. 

292. 295. 303. 311. 313. 314. 

315. 320. 337.338. 363. 371. 

373. 375. 381. 382. 384. 
Litolff, Edition, 263. 
Litvinne, Felia, 181. 382. 383. 
Llobet, Miguel, 319. 
Lloyd (Pianist) 314. 
Loeffler, Charles M., 312. 
Loeltgen, Adolf, 369. 
Loevensohn, Marix, 243. 245. 

308. 316. 376. 
Loevensohn- Konzerte 249. 
Loevensohn-Quartett 249. 
Loewe,Carl, 171. 250. 305. 311. 
Loewe, Margarete, 183. 
Loewenfeld, Hans, 178. 236. 302. 

368. 
Loh-Konzerte (Sondershausen) 

128. 
Lohmann, August, 315. 
LOhr, Johanna, 378. 



LGhr-J§ger, Charlotte, 380. 
Lohse, Otto, 181. 304. 380. 
London Symphony Orchestra 

317. 
Lflnnrot, Elias, 196. 
Lordmann, Peter, 235. 
Lorentz-HOllischer, Marie, 379. 
Lorey-Mikorey, Carola, 254. 
Lortzing, Albert, 63. 180. 235. 

360. 
Lotze-Holz, Marie, 255. 
Louis Ferdinand von PreuDen, 

Prinz, 124. 381. 
Louys, Pierre, 237. 
LOwe, Ferdinand, 127. 255. 318. 
L6we, Johann Heinrich, 279. 

285. 
Luboschutz, Lea, 190. 
LdboschQtz, Geschwister, 190. 
Ludwig, August, 311. 
Ludwig, Otto, 79. 88. 
Ludwig, Valentin, 183. 
Lully, Jean Baptistc, 333. 
LuOmann, Adolf, 240. 
LOtschg, Waldemar, 307. 
Lutter, Heinrich, 379. 
v. LOttichau 291. 
Luzio, Alessandro, 103. 
Lwowsky 307. 
Lyell-Tayler (Dirigent) 373. 
Lyne, Felicie, 303. 
Maas, Gerald, 378. 
Mac Dowell, Edward, 317. 
Maclennan, Francis, 178. 
Madin, Viktor, 240. 
Madrigalchor des Berliner Kgl. 

Akademischen Instituts fflr 

Kirchenmusik 111. 
Maeterlinck, Maurice, 197. 201. 
Maffei 15. 28. 32. 
Mahlendorff, Dina, 239. 
Mahler, Gustav, 127. 128. 183. 

189. 243. 255. 256. 305. 306. 

318. 340ff (G. M. als Opern- 
direktor). 368. 370. 380. 381. 
384 (Bilder). 

Mahler, Max, 319. 381. 

Mahn, Stephan, 174. 

Maikl, Georg, 127. 367. 

Le Maistre, Mattheus, 331. 

Malatesta, Anna, 318. 

v. Malfatti, Therese, 147. 

Malherbe, Charles, 230. 

Malibran, Maria, 68. 

Malkin, Joseph, 383. 

v. Maltzew, Katharina, 230. 

Manasse, Otto, 363. 

Mane", Annie, 123. 

Man6n, Joan, 125. 252. 254. 

319. 369. 370. 383. 
Mang, Karl, 237. 
Mfinnerchor, Neeb'scher, 378. 
Mfinnergesangverein (Grazer) 

188. 



D 'iijli 



i :v, C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAMENREGISTER 



Mlnnergesangvcreln (StraBburg) 

255. 
Mannst&dt, Franz, 256. 
v. Manoff, August, 179. 
v. Manovarda, Josef, 177. 367. 
Manz, Berta, 255. 308. 381. 
Manzoni, Alessandro, 15. 22. 

128. 
Marcel- Weingartner, Lucille, 179. 

241. 
Marcello, Benedetto, 3. 
Marchesi, Mathilde, s. Toten- 

schau XIII, 6. 
Marck, Luise, 235. 
Marcoux (Sanger) 238. 
Mares, J. Pedro, 372. 373. 
Marte de Lisle (Sftngerin) 238. 
Marienhagen, Otto, 123. 
Marientheater (St. Petersburg) 

181. 
Mario (Sanger) 300. 
Markowitz, Georg, 177. 
Markowsky, August, 240. 
v. Mdrkus, Lily, 375. 
Marpurg, F. W., 106. 
v. Marmont, Thea, 187. 
Marmontel, J. F., 273. 
Marschner, Heinrich, 31. 179. 
Martel, Betty, 180. 369. 
Marteau, Henri, 123. 182. 186. 

249. 252. 364. 372. 381. 
Marteau-Quartett 186. 248. 307. 

319. 
MartienQen, C. A., 112. 
Martin, Julius, 367. 
Martin, Karlheinz, 177. 
Martinelli (Sftnger) 301. 
Martini, J. P. E., 131. 
Martini, Padre, 172. 272. 
Martucci, Giuseppe, 316. 
Marx, Joseph, 187. 188. 249. 

250. 381. 
Marx, Mizi, 369. 
Marx, Paul, 127. 
Mascagni, Pietro, 382. 
Massenet, Jules, 300. 365. 
Mathieu, Theodor, 238. 
Mathis-Flocco, Giulio, 382. 
Mattheson, Johann, 106. 
Mauke, Wilhelm, 309. 
Maurice, Pierre, 248. 
Mayer-Mahr, Moritz, 244. 
Mayr, Richard, 353. 
Mayrhofer, Robert, 160. 
Meader, George, 370. 

zu Mecklenburg-Strelitz, Herzog 

Georg Alexander, 315. 
Medek, A., 366. 
ter Meer, Max, 368. 
Me-hul, E. N., 131. 
Meier, Hans,*,253. 
MeiOner, Lorle, 373. 
Melanin, Erkki, 206. 
Melcer, Henryk, 187. 



Melms, Hans, 239. 
Melzer, Josef, 250. 
Mendel, Else, 123. 
Mendelssohn, Arnold, 187. 254. 
Mendelssohn, Felix Robert, 310. 

373. 
Mendelssohn Bartholdy, Felix, 

27. 226. 229. 241. 253. 294. 

312. 318. 319. 379. 
Menges, Isolde, 247. 373. 
Mengelberg, Willem, 317. 370. 
Menou (General) 210. 
Menzinsky, Modest, 179. 303. 

369. 
M6r£, Charles, 238. 
Merelli (Impresario) 7. 
Merikanto, Oskar, 206. 
Merrem, Crete, 302. 
Mersenne, Marin, 109. 
Mery 16. 

Meser (Verleger) 357. 
Messager, Andr6, 238. 
Messchaert, Johannes, 250. 255. 

370. 372. 384. 
AlcDner, Georg, 254. 
Meszaros, Emerich, 366. 
Metastasio, Pietro, 288. 289. 
Metcalfe, Susan, 380. 
Methfessel, Albert Gottlieb, 285. 
Metz, Adolf, 187. 255. 
MetzdorfT, Richard, 182. 
Metzen, Sophie, 313. 
Metzgcr-Latterraann,Ottilie, 127. 

382. 
Meyer, Eduard, 319. 
Meyer-Radon, Walter, 125. 372. 
Meyerbeer, Giacomo, 12. 16.31. 

49. 51.89. 177. 220. 242.243. 
Meyerowitz, Felix, 183. 
Meyrowitz, Selmar, 178. 302. 

368. 
Michaelis, Hans, 182. 245. 319. 
Michaelis, Mclanie, 245. 319. 
Michailowa, Helene, 180. 
Micheli, GebrQder, 320. 
Mikorey, Franz, 182. 301. 309. 

378. 
Mittasch, Susanne, 187. 
Mlynarski, Emil, 317. 
Mockridge, Louise, 184. 
Mockridge, Whitney, 184. 
Moest, Rudolf, 251. 
v. Mojsisovics, Roderich, 311. 
MOckel, P. O., 187. 384. 
Monaldi, Gino, 27. 28. 30. 50. 

52. 97. 
Monatshcfte fQr Musikgeschichte 

332. 
Moniuszko, Stanislaus, 124. 
Monnaie-Oper 301. 
Monsigny, Pierre Alexandre, 273. 
Monteverde, Giulio, 64. 
Monteverdi, Claudio, 253. 
Monti, Annemarie, 373. 



Montua, Otto, 311. 

Moodie, Alma, 182. 

Moog, Willi, 303. 

Moor, Charles, 237. 

Moor, Emanuel, 305. 318. 

Moos, Paul, 159. 

Morena, Berta, 253. 319. 382. 

Moret 319. 

Morike, Eduard (Kapellmeister), 

63. 64. 235. 301. 
Moris, Maximilian, 178. 236. 
Morse, Earl William Frederick, 

310. 
Mosebach, Hilde, 123. 124. 
Mosenthal, S., 28. 
Moser, Andreas, 229. 298. 
Mosschuchin (Sftnger) 181. 
da Motta, Jos6 Vianna, 371. 
Mottl, Felix, 182. 314. 
Mottl-FaDbender, Zdenka, 181. 

368. 
Mouquet, J., 185. 
Mozart, Leopold, 104. 107. 109. 
Mozart, W. A., 6. 22. 68. 104. 

107. 116. 118. 123. 124. 125. 

127. 144. 167. 168. 172. 177. 

179. 180. 183. 186. 187. 188. 

191. 218. 227. 235. 237. 238. 

240. 242. 246. 248. 249. 250. 

251. 252. 253. 254. 255.265. 

272. 277. 285. 291.302 304. 

305. 307. 310. 313. 314. 315. 

316. 317. 318. 319. 323.334. 

335. 345. 360.363.371.374. 

379. 380. 381. 382. 383. 
Mozart, W. A. (Sohn), 109. 
Mozartgemeinde, Berliner, 307. 
Mozartgemeinde, MQnchen, 318. 
Mozartverein, Dresdner, 312. 
Muck, Karl, 234. 
MOhlbauer, Franz Xaver, 306. 
MQhlfeld, Hans, 377. 
MOller, Adolf, 374. 
MQller, Auguste, 235. 
Mailer, Elise, 280. 284. 
Mailer, Jean, 303. 369. 
MOller, Josef, 380. 
MOller, Otto, 371. 
MOller, Wilhelm, 248. 254. 
MOller, Wilhelm Christian, 279. 

280. 284. 285. 
MOller (Sftnger) 358. 
MOller-Barneck, Friedrich, 308. 
Mailer-Raven, Fritz, 239. 
MOHer-Reichel, Therese, 179. 
MOller-Sollner 296. 
MQnnich-ProDl, Frida, 319. 
Munsterhjelm, Erik, 197. 
MOnzer, Georg, 231. 
MOnzersdorf, Theodor, 311. 
Musica sacra 286. 287. 
Musikakademie (Hannover) 379. 
Musikfest (Leeds) 189. 
Musikverein (Kopenhagen) 380. 



D 'iijli 



C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAMENREGISTER 



XI 



Musikvercln, Sta"dtlscher(DQssel- 

dorf), 251. 
de Musset, Alfred, 68. 
Mussorgsky, Modest, 180. 181. 

220 f („Boris Godunow". 

Deutsche UrauffQhrung in 

Breslau). 311. 319. 365. 369. 
Myers, Charles S., 159. 
Mysz-Gmeiner, Lula, 244. 254. 

305. 308. 313. 319. 320. 370. 

373. 
Nagel, Albine, 176. 365. 
Nagel, Wilibald, 168. 170. 
Nast, Minnie, 302. 377. 
Natterer, Ludwig, 378. 
Naumann, Ernst, 168. 
Naumow, N., 313. 
Nawrath, Emmy, 374. 
Neberich (Weinhindler) 149. 
Necbansky-Topfer, Mena, 375. 

380. 
Nedbal, Oscar, 124. 383. 
Neeter, Philipp, 182. 
Neglia, Fr. Paolo, 178. 
NeitzeJ, Otto, 249. 251. 301. 
Nering, Agnes, 124. 
Neruda, Franz, 380. 
Neubner, Ottomar, s. Totenschau 

XIII, 2. 
Neudarffer-Opitz, Julius, 243. 

319. 
Neufeldt, K., 188. 
Neugebaucr, Helmuth, 187. 
Neugebauer-Ravoth, Kate, 244. 

316. 378. 
Neuhaus, M., 169. 
Neumann, Alexander, 245. 311. 

315. 376. 
Neumann, Ellen, 244. 
Neumann, Franz, 240. 
Ney, Elly, 190. 256. 370. 
Niccollni 241. 

Nicode, Jean Louis, 229. 312. 
Nicola i, Otto, 22. 28. 30. 98. 

99. 100. 101. 102. 
v. Niedeck, Margarete, 236. 
Niedermayr, Otto, 241. 
Nielsen, Carl, 380. 
Niemann, Martha, 124. 
Niemann, Walter, 172. 294. 295. 

333. 
Niering, Wilhelm, 177. 
Nietzsche, Friedrich, 102. 
Nikel, Otto, 125. 188. 
Nikisch, Arthur, 181. 189. 241. 

251. 252. 253. 306. 314. 315. 

316. 317. 362. 371. 380. 383. 
Nikitits, Lucy, 374. 

Nikitits, Otto, 374. 
Nin, Joaquin, 383. 
Nivell, Paula, 308. 
Noelte, A. Albert, 380. 
Nohl, Ludwig, 152. 
Nollet (Singer) 358. 



Noordewier-Reddingius, Alida, 

250. 306. 370. 
Norden, Juanita, 124. 
Noren, Heinrich G., 245. 312. 

313. 316. 319. | 

Noren-Gjertsen, Signe, 312. 316. ; 
Norman, Ludwig, 195. 
Nottara, Constantln, 374. 
Nouveaux Concerts (Paris) 382. 
Novaoek, Rudolf, 186. 
Novak, J. V., 182. 
Novak, Vitezlav, 182. 
Nowowiejski, Felix, 372. 
Nuitter (Librettist) 33. 
NQQle, Wilhelmine, 126. 
OberhofTer 287. 
y. Oberleithner, Max, 237. 
Obsner, G. E., 313. 
Ochernal, Karl Friedrich, 285. 
Ochs, Siegfried, 229. 240. 370. 
Oderwald-Lander, Karen, 237. 
Ohlhoff, Elisabeth, 184. 249. 
Ohmann, Fritz, 160. 
d'Oisley, Maurice, 303. 
Oksanen 205. 
Olenin, Peter, 180. 
v. Oliva 149. 
On6gin, Eugen, 315. 
Onken (Kammermusiker) 315. 
Oper, FranzOsische (Antwerpen), 

300. 
Oper, GroBe (Paris), 238. 
Oper, Kgl. (Budapest), 366. 
Oper, Kgl. (Hannover), 368. 
Oper, Neue (Hamburg), 236. 

302. 368. 
Oper, Vlimische (Antwerpen), 

300. 
Opernhaus, Deutsches (Char- 

lottenburg), 63. 123. 235. 300. 

365. 373. 
Opernhaus, Kgl. (Berlin), 235. 

243. 300. 
v. Opieiiski, Henryk, 244. 245. 
Opplcr, Elsa, 374. 
Oratorienverein (Neukolln) 182. 
Orchester, Philharmonisches 

(Berlin), 123. 124. 182. 183. 

240. 242. 251. 307. 370. 

371. 
Orchester, Philharmonisches 

(Leipzig), 315. 316. 
Orchester, Stfldtisches (Baden- 
Baden), 305. 
Orchester, Stfldtisches (Magde- 
burg), 253. 
Orchestcrverein (Breslau) 250. 

377. 
Orchesterverein, Neuer (MOn- 

chen), 381. 
Ordenstein, Heinrich, 188. 
Orlandi (Librettist) 232. 
Ossian 199. 
Ossipow, Wasslli, 180. 



v. d. Osten-Sacken, Peter, 191. 

376. 
Osterrieth, Armin, 362. 
Ostwald, Wilhelm, 153. 
v. Othegraven, August, 188. 
Otten, Else, 314. 
Otto, Julius, 176. 
de Pachmann, Wladimir, 317. 
Pacius, Friedrich, 195. 
Paganini, Nicolo, 207 ff (P. in 

Paris und London). 252. 256 

(Bilder). 315. 363. 377. 
Palestrina, G. P., 3. 23. 174. 

287. 309. 331. 
Palmgren, Selim, 206. 
Panis (Sangerin) 301. 
Panzner, Karl, 251. 285. 
Paque, D6sir*, 296. 363. 
Parbs, Margarete, 246. 
Pardy, Armand, 236. 
Parker, Robert, 302. 
Parnas, Dagmar, 383. 
Parry, Hubert, 189. 
Parvi (SAnger) 366. 
Pascolato, Alessandro, 34. 35. 
Pataky, Hubert, 184. 312. 
Patorni, Regina, 241. 
Pauer, Ernst, 172. 
Pauer, Max, 251. 319. 
Paul, Adolf, 201. 202. 205. 
Paumgartner, Bernhard, 383. 
Paur, Kurt, 375. 
Pauthier 356. 
Pecz, Kathinka, 301. 
Pellegrini, Alfred, 319. 
Pelz, Hans, 188. 
Pembaur, Josef, 251. 254. 296. 

308. 380. 
Penkert, Max, 160. 
Pennarini, Alois, 181. 
Perard-Petzl, Louise, 237. 318. 

369. 
Peregrinus, Marie, 184. 381. 
Perello, Marianne, 372. 
Pergolese, G. B., 3. 272. 278. 
Perinello, Carlo, 7. 52. 97. 
Peroux- Williams, Alice, 244. 

251. 
Perron, Carl, 302. 303. 369. 
Peter, W., 314. 
Peters, C. F., 291. 
Petersen, John, 372. 
Petofi, Alexander, 173. 
Petri, Egon, 186. 187. 255. 370. 

380. 
Petri, Helga, 183. 251. 
Petri- Quartett 187. 312. 
Petrowa-Swanzewa, Vera, 180. 
PetschnikorT, Alexander, 191. 253. 
Petschnikoff, Lili, 191. 
Petzet, Walter, 186. 
Pfannschmidt, Heinrich, 372. 
Pfeilschneider, Hertha, 301. 
Pfltzner, Hans, 179. 239. 254. 



D 'iijli 



C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



XII 



NAMENREGISTER 



255. 295. 313. 314. 316. 318. 

369. 381. 
Philharmonic (Hamburg) 252. 
Philharmonic (KOnigsberg i. Pr.) 

253. 
Philharmonic, Tschechischc 

(Prig), 255. 
Philharmoniker (Wien) 256. 383. 
Philip, Achille, 254. 
Philipp, Robert, 63. 
Philippi, Maria, 246. 251. 254. 

305. 306. 
Piastro, M., 308. 
Piavc 7. 13. 16. 28. 30. 31. 39. 
Piccaver, Alfred, 239. 370. 
Pierne, Gabriel, 254. 382. 
Piltz, Erna, 124. 191. 
Piotrowski, Waclaw, 244. 
Pisendel, Georg, 186. 
Pitoni, G. O., 250. 
Piit, Percy, 317. 
Piuk, F. X., 148. 149. 
Pizzi, Italo, 29. 98. 99. 
Plamondon, Charles, 255. 
Plaschke, Friedrich, 63. 176. 
Plaschke-v. d. Osten, Eva, 63, 

176. 367. 
Plaut, Joseph, 365. 
PlcO, Hans, 374. 
Pleyel, Ignaz, 335. 
Plotnikow, Eugen, 180. 
Poensgen, Mimi, 181. 
Poerner, Josef, 239. 
Poglietti, Alessandro, 333. 
Pokorny, Hans, 238. 
Pokrovsky, Anton, 308. 377. 

381. 
Polacco (Kapellmeister) 301. 
Poley 356. 

Pollak, Egon, 176. 177. 236. 
Pollhcim, Mira, 248. 
Popowa, Eugenie, 180. 
Poppen, Hermann, 314. 
Porges, Maurice, 125. 188. 
Poschner, Agnes, 236. 
Pott, Emil, 318. 
Pott, Therese, 252. 
PottgieOer, Karl, 381. 
Pougin, Arthur, 52. 
Powell, John, 244. 
v. Pozniak, Bronislaw, 123. 
Pracher, Fanny, 177. 367. 
Practorius, Michael, 250. 
Preite (Kapellmeister) 238. 
Prelli, Giuseppina, 381. 
PreD, Joseph, 182. 316. 
PreO, Michael, 307. 
Pretzsch, Karl, 251. 
PreuD, Arthur, 240. 
Prieger, Erich, s. Totenschau 

XIII, 6. 
Prill, Emil, 240. 242. 
Prill, Karl, 383. 
Prill, Paul, 191. 253. 318. 381. 



Privatchor (NQrnberg) 382. 
Privatmusikvercin (NQrnberg) 

382. 
Prochnewski-Petzhold, Marga- 
rets, 245. 
Procop6, Hjalmar, 201. 
Prohaska, Carl, 384. 
v. Proh*zka, Rudolf, 381. 
Promenade Concerts (London) 

189. 317. 
Proske, Karl, 286. 
Provesi 6. 

PrQwer, Julius, 127. 221. 235. 
Puccini, Giacomo, 26. 60. 119. 

179. 180. 221. 236. 239. 240. 

300. 302. 304. 365. 377. 
Pugno, Raoul, 241. 244. 382. 
Purcell, Henry, 186. 
Quantz, J. J., 104. 105. 
Queen's Hall Orchestra 316. 
Quidde, Margarete, 318. 
Quinlan, Thomas, 302. 303. 
Quintan Opera Company 302. 

314. 
Raabe, Peter, 320. 
v. Raatz-Brockmann, Julius, 24 1 . 

244. 371. 
Rachmaninoff, Sergei W., 307. 

319. 375. 382. 
Radnai, Nicolaus, 375. 
Raffael 165. 248. 
Rahlwes, Alfred, 378. 
Rahm-Rennebaum, Julia, 312. 
Rahner, Hugo, 188. 
Rains, Leon, 303. 
Ramann, Lina, 226. 
Rameau,Jean Philippe, 123. 172. 

318. 
Ramrath, Conrad, 252. 
Ranzenberg, Marie, 367. 
Rappe, Signe, 380. 
Rasch, Hugo, 254. 
Rau, Elsa, 308. 
Raucheisen, M., 309. 
Ravel, Maurice, 190. 308. 383. 
Rebner, Adolf, 378. 
Rebner-Quartett 378. 
Reclam jun., Philipp, 98. 
Reemy, Maria, 312. 
Reemy, Tula, 312. 
Regcr, Max, 125. 127. 172. 174. 

182. 185. 187. 189. 191. 219. 

243. 247. 248. 252. 253. 295. 

296. 306. 309. 311.312. 313. 

314, 315. 320 (Bild). 372. 373. 

379. 380. 382. 
RehfuB, Karl, 254. 378. 
Reichardt, Joh. Friedrich, 136. 

227. 246. 
Rcichenbach, Egon, 235. 
Reichert, Johannes, 309. 
Reichmann, Theodor, 348. 
Reichner-Feiten, Anna, 311. 
Rcichwein, Leopold, 239. 



Reimann, Heinrich, 377. 
Reimers, Paul, 183. 
Reinecke, Carl, 374. 
Reinhardt, Delia, 235. 
Reinhardt, Max, 179. 
ReiOiger, K. G., 291. 292. 
Reitz, Robert, 111. 112. 186. 

253. 316. 
Rembt, Paul, 124. 
R6mond, Fritz, 303. 369. 
Renard, Marie, 348. 
Renner, Karl, 303. 
Renner, W.. 320. 
Renz, Willy, 270. 
Repelaer-van Driel, Jacoba, 

370. 
Rettich, Richard, 318. 
Reubke, Julius, 185. 
ReuO-Belce, Luise, 181. 
Reutcr, Fritz, 304. 
v. Reuter, Florizel, 317. 
Revue Musicale 210. 
v. Reznicek, E. N., 306. 
Rheinberger, Joseph, 226. 
Ricordi & Co., G., 34. 41. 42. 

44. 97. 162. 
Richards, Max, 177. 
Richter, Eugen, 312. 
Richter, Hans, 164. 189. 226. 

317. 
Richter, Kurt, 316. 
Richter, Franz Xaver, 313. 
Riedel, Hermann, s. Totenschau 

XIII, 3. 377. 
Riedel- Verein 316. 
Riem, Friedrich, 285. 
Riemann, Ernst, 253. 381. 
Riemann, Hugo, 217. 218. 232. 

233. 263. 264. 266. 267. 268. 

289. 
Riemann, Robert, 160. 
Riemenschneider, Georg, s.Toten- 

schau XIII, 2. 
Ries, Hubert, 298. 
Ries, Louis, 8. Totenschau 

XIII, 3. 
v, Riesemann, Oskar, 221. 
Rigo, Lebret & Cie. 128. 
Riller-Quartett 379. 
Rimsky-Korssakow, Nikolai, 127. 

180. 190. 220. 221. 311. 312. 

317. 
RingstrOm, Axel, 310. 
del Rio, Giannatasio, 149. 
Rio, Giuseppe, 235. 
Risler, Edouard, 248. 310. 311. 

313. 319. 373. 375. 381. 
Ritter, Alexander, 381. 
Ritter, Anni, 374. 
Ritter, Rudolf, 304. 
Rittmann, Karl, 239. 
Roeder, Carlotta, 240. 
Roemer, Matthfius, 127. 251. 

370. 



■■---■■ n 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAMENREG1STER 



XIII 



Roesgen, Marguerite, 313. 
v. Roessel, Anatol, 185. 191. 316. 
Roha, Franz, 179. 368. 
R6hr, Hugo, 237. 
Rohr, Katharina, 303. 
Romagnoli, Ettore, 165. 
Romani 40. 49. 
Romanoff, T, 381. 
Romberg, Andreas, 285. 
Rontgen, Julius, 229. 
van Rooy, Anton, 244. 253. 381. 
Ropartz, Guy, 254. 318. 
Rosa, Salvator, 382. 
Rose, Arnold, 384 (Bild). 
Rose\ Eduard, 242. 
Ro?£-Quartett 242. 255. 314. 

317. 
ROseler, Marcella, 301. 
Rosenthal, Archy, 317. 
Rosenthal, Moriz, 190. 253. 315. 

378. 
Rosenthal, Wolfgang, 378. 
Rossi, Ernesto, 19. 
Rossi, Nino, 373. 
Rossini, Gioacchino, 3. 4. 8. 27. 

49. 67. 68. 179. 302. 370. 
R6Dle, Gabriele, 319. 
Roth, Bertrand, 313. 378. 
Roth, Rudolf, 356. 
Rothschild, Fritz, 187. 
Rottenberg, Ludwig, 177. 251. 

378. 
Rottscher, Eva, 245 
Rouard (Sflnger) 301. 
Rousseau, Jean-Jacques, 114. 275. 

334. 
Rozsa, L., 366. 
Rubinstein, Anton, 260. 375. 
Rubinstein, Josef, 294. 
RQckward, Fritz, 307. 
RQdel, Hugo, 240. 243. 253. 

307. 370. 371. 
RQdiger, Hans, 302. 
RQdinger, Gottfried, 171. 253. 

364. 
Rudolph, Arno, 379. 
Rudolph, Otto, 178. 
Rudorff, Ernst, 229. 230. 
Rudow, Karl, 365. 
Rudy, Mary, 236. 398. 
Rueff, Rolf, 191. 
Rummel, Angelika, 311. 374. 
Runeberg 195. 205. 206. 
Runge, Gertrud, 237. 
Runge, Woldemar, 221. 235. 
RQnger, Julius, 318. 381. 
Russitano, Giuseppe, 370. 
Rust, Wilhelm, 377. 
Rutz, Clara, 161. 
Rutz, Josef, 161. 
Rutz, Ottmar, 161. 230. 
Rydberg, Victor, 205. 206. 
Ryken (Komponist) 300. 
Rywkind, Josef, 111. 112. 308. 



Saal, Alfred, 182. 319. 

Saatz, Elisabeth, 377. 

Sachs, Curt, 104. 105. 

Sachse, Leopold, 63. 

Sachse-Oper 63. 

Sack, Sophie, 310. 314. 

Sacke, Selma, 314. 

Safonoff, Wassili, 247. 249. 317. 

380. 
Saint-Hilaire 356. 
Saint-Safins, Camille, 123. 172. 

177. 182. 186. 191. 202. 234. 

245. 253. 254. 305. 314. 371. 

373. 375. 382. 
Sakrewskaja, Martha, 180. 
Salenius, R., 178. 
Saleski 316. 
Salvatini, Mafalda, 176. 
Salvi, Matteo, 355. 
Salvini 19. 

Sammartini, G., 252. 
Samuel (Sanger) 302. 303. 
Saridor, E., 366. 
van de Sandt (Pianist) 305. 
Sftngerbund, Schlesischer, 126. 
Sangerbund, Steirischer, 188. 
Sangerverein, Berliner, 307. 
de Sarasate, Pablo, 314. 
Sarsen, Ellen, 311. 
Satz, Cacilie, 186. 319. 
Satz, Else, 186. 319. 
Sauer, Emil, 155. 247. 254. 310. 

319. 380. 
Scampini, Augustino, 238. 370. 
Scarlatti, Domenico, 172. 218. 

259. 318. 
Schacht, Augusta, 377. 
Schachtebeck, H., 316. 
Schacko, Hedwig, 251. 
Schaeffer, Carl, 375. 
Schfifer, Dirk, 190. 
Schaichet, Alexander, 252. 
v. Schaik, Rudolf, 304. 
Schaliapin, Fedor, 220. 369. 
Schalit, Heinrich, 381. 
Scharrer, August, 251.306. 380. 
Scharwenka, Xaver, 124. 
Schattmann, Alfred, 381. 
Schauer-Bergmann, Martha, 127. 
Schaum, Emmy, 126. 
v. Scheele-MQller, Ida, 300. 
ScheidI, Theodor, 304. 
vom Scheidt, Julius, 179. 303. 
vom Scheidt, Robert, 176. 236. 
Scheidt, Samuel, 218. 
vom Scheidt, Selma, 310. 320. 
Schein, Joh. Hermann, 111. 218. 

374. 
Scheinpflug, Paul, 183. 249. 
Schelling, F. W.J., 165. 
Schelle, Seraphine, 316. 
Schemelli, Georg Christian, 110. 
Schenk, Peter, 181. 
Schennig, Emil, 254. 



Scheremetew, Graf, 383. 
Schering, Arnold, 160. 
Scherrer, Heinrich, 381. 
Schick-Nauth, Paula, 313. 
Schidenhelm (Pianist) 313. 
Schiedmayer 185. 
Schiffner, Johannes, 256. 
Schiller, Friedrich, 7. 9. 12. 16. 

28. 29. 47. 52. 81. 113. 114. 

115. 290. 295. 
Schillings, Max, 227. 239. 304. 

316. 319. 
Schindler, Anton, 151. 152. 170. 

279. 283. 284. 
Schink, Alfred, 237. 
Schink, Josef, 192. 
v. Schirach, Carl, 304. 
Schitteler, Ludwig, 122. 
Schkolnik, Ilja, 245. 316. 
Schlemmer 152. 
Schley, Martha, 376. 
Schlotke, Julius, 187. 
Schmalstich, Clemens, 246. 308. 
Schmedes, Erik, 353. 370. 
Schmedes, Paul, 251. 316. 378. 
Schmid, Anton, 288. 
Schmid, Edmund, 375. 
Schmid, Heinrich Kaspar, 254. 

381. 
Schmid, Waldemar, 375. 
Schmid -Lindner, August, 191. 

318. 381. 
Schmidt, Felix, 241. 306. 
v. Schmidt, Hetta, 307. 
Schmidt, Kate, 245. 
Schmidt, Leopold, 68. 
Schmidt, Paul, 185. 
Schmidt (Sangerin) 378. 
Schmidtborn, Lydia, 184. 191.. 
Schmidthauer, Ludwig, 374. 375. 
Schmidt-Held, Else, 244. 
Schmieter, Georg, 235. 
Schmuller, Alexander, 182. 315. 
Schnabel, Artur, 182. 187. 242. 

253. 310. 372. 381. 383. 
Schnabel-Behr, Therese, 253. 
Schneevoigt, Georg, 191. 
Schneider, Walter, 177. 
Schnitzler, Artur, 240. 
Schober, Hans, 381. 
Scholander, Lisa, 314. 319. 
Scholander, Sven, 314. 319. 
Scholz, Wilhelm, 183. 185. 377. 
SchOnaich, Gustav, 358. 
Schonberg, Arnold, 163. 164. 

189. 242. 315. 317. 364. 
Schopenhauer, Arthur, 309. 
Schorr, Fritz, 177. 367. 
Schott, Ottilie, 304. 
Schramm, Hermann, 177. 236. 
Schramm, Paul, 124. 188. 247. 

308. 311. 318. 319. 380. 
Schreiber, Gottlieb, 308. 
Schreker, Franz, 243. 



D 'iijli 



C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



XIV 



NAMENREG1STER 



Schrems, Joseph, 286. 
Schrey (Kapellmeister) 300. 
Schroeder, Alfred, 183. 318. 
Schroder, Carl, 179. 303. 
Schroder, O., 187. 
Schroth, Karl, 303. 
Schrotb, Max, 246. 
Schubart-Czermak, Sofie, 355. 
Schubert, Franz, 51. 123. 124. 

126. 127. 161. 168. 191. 240. 

242. 243. 244. 246. 248. 250 

251.254. 255. 291. 305. 306. 

311. 312. 315. 317. 318. 319. 

323.336. 371. 376. 377. 378. 

380. 382. 384. 
Schubert, Kurt, 126. 
Schubert, Oskar, 241. 
Schuch, Benno, 241. 
v. Schuch, Ernst, 176. 251. 312. 

367. 
Schuh, Mathilde, 368. 
SchOUer, Eduard, 301. 
Schultz, Heinrich, 63. 
Schultz, Johann, 120. 
Schulz, J. P. A., 246. 
Schulz - Dornburg, Richard, s. 

Totenschau XIII, 4. 
Schumacher, Hildegard, 315. 
Schumann, Camillo, 112. 
Schumann, Georg, 1 1 1. 1 12. 187. 

241. 246. 309. 370. 371. 
Schumann, Robert, 127. 144. 

168. 175. 184. 187. 205.229. 

240. 242. 246. 248. 261. 294. 

306. 310. 311. 312. 315.317. 

319. 371. 372.373.377.378. 

380. 381. 383. 
Robert Schumannsche Sing- 

akademie 378. 
Schumann-Trio 309. 
Schunck, Elfriede, 318. 
SchQnemann, Georg, 124. 
Schuricht, Karl, 128. 251. 256. 
SchQrmann, Harry, 177. 367. 
Schuster, Alexander, 375. 
Schuster, Stephanie, 183. 
Schuster & Loeflfler 207. 256. 

339. 384. 
SchQtt, £douard, 175. 
SchQtz, Heinrich, 110. 174. 
SchQtz, Helene, 316 
SchQtz, L., 376. 
SchQtzendorf, Guido, 301. 
SchOtzendorf, Gustav, 255. 
Schuyer, Ary, 313. 
Schwarz, Franz, 178. 
Schwarz, Josef, 313. 375. 
Schwarz (Pianist) 251. 
Schwedler, Maximilian, 111. 
Schwegler, Gustav, 234. 
Schweitzer, J., 381. 
Schwendy, Otto, 254. 
Schwers, Paul, 104. 106. 107. 
Schwickerath, Eberhard, 381. 



Scott,Cyr», 187.1 90.254.255.384. 

Scriabin, Alexander, 189. 316. 
382. 

Scribe, Eugene, 13. 44. 220. 301. 

Seelig, Otto, 314. 

Seemann, Lorenz, 318. 

Seemann (Verleger) 218. 

Seiffert, Max, 111. 124. 370. 

Seifriz, Max, 298. 

Seiliger, Alexander, 383. 

Seitz, Friedrich, 319. 

Seitz, Ludwig, 177. 188. 

Sekles, Bernhard, 177. 251. 253. 

Selnj, R., 381. 

Sembach, Johannes, 241. 253. 
| Semet, Th., 230. 

Senaill6, Jean Baptiste, 125. 

Senfl, Ludwig, 218. 

Senftleben, Johannes, 307. 

Sengstack, C., 176. 

Senius, Felix, s. Totenschau 
XIII, 3. 

Seret-van Eyken, Maria, 372. 

Servator, Edmond, 184. 

Servieres, Georges, 230. 

Sevoik, Otokar, 298. 363. 
I Sevdik-Quartett 315. 316. 371. 
379. 

Seydel, Irma, 123. 

Seyer, Friedrich W., 192. 

Sgambati, Giovanni, 227. 318. 
371. 380. 

Shakespeare, William, 7. 9. 19. 
27 ff (Verdi und Sh. I: .Mac- 
beth* 4 ; II: Briefe Ober „Konig 
Lear"). 67 fF (Verdi und Sh 
SchluQ). 114. 189. 205. 206. 

Sibelius, Jean, 195ff (J. S. und 
die finnische Musik). 

Siebeck, Robert, 119. 120. 

Sieben, Wilhelm, 122. 191. 381. 

Sieben-Quartett 191. 

Siegel, Rudolf, 182. 246. 

Siegert, A. Hanna, 301. 

v. Siegstftdt, Frl., 356. 

Siems, Margarete, 377. 383. 

Sienkiewicz, Henryk, 372. 

Sievers, Eduard, 161. 

Sievert, Hans, 256. 

Sigwart, Botho, 318. 380. 

Silcher, Friedrich, 335. 

Siloti, Alexander, 290. 382. 383. 

Simon, James, 245. 374. 

Sinding, Christian, 125. 191.204. 
245. 

Singakademie (Berlin) 241. 370. 

Singakademie (Breslau) 377. 

Singakademie (Koln) 380. 

Singer, Edmund, 298. 

Singer, Kurt, 373. 

SinigagHa, Leone, 312. 

Sinn, Ludwig, 381. 

Sistermans, Anton, 308. 

Sitt, Hans, 307. 



Sittard, Alfred, 185. 

Sizes (Sfinger) 238. 

Skibicki 124. 

v. Skopnik, Eva, 312. 

Slezak, Leo, 177. 237. 240. 253. 

306. 307. 314. 368. 381. 382. 
Smetana, Friedrich, 315. 
Smetana, Dr., 150. 
Smithson, Harriet, 213. 215. 
Smyth, Ethel, 190. 
Sobolewski 253. 
Soci6t6 de concerts d' instruments 

anciens (Paris) 241. 383. 
Society, Musical (Johannesburg), 

314. 
Soci6t6 Philharmonique (Paris) 

382. 
SOderman, August, 195. 
Solera 7. 13. 37. 
Soot, Fritz, 176. 
Somma, Antonio, 13. 28. 29. 34. 

35. 36. 37 ff. 53. 
Sommer, Charles, 244. 
Sommerstorff, Otto, 243. 
Sonnenthal, Adolf, 84. 
Sonntag, Marguerite, 311. 
Soomer, Walter, 176. 303. 367. 
Soot, Fritz, 302. 
Sormann, Alfred, s. Totenschau 

XIII, 2. 
Spalding, Albert, 373. 380. 
Specht, Richard, 339. 384. 
Spencer, Eleanor, 190. 
Speranski, Nicolai, 180. 
Spezia (Sfingerin) 45. 
Spiering, Theodore, 246. 306. 
Spies, Hans, 303. 365. 
Spitta, Philipp, 229. 230. 
Spitzner 187. 
Spiwak, Juan, 301. 
Spiwakowski, Jascha, 379. 
Spoel, Arnold, 171. 
Spohr, Louis, 109. 123. 144. 314. 
Spoliansky, Lisa, 186. 
Spontini, Gasparo, 4. 
Spoor, Ludwig W., 374. 
Strltz, Carl, 181. 
Straube, Karl, 127. 155. 156. 

157. 255. 310. 380. 
Strauch, Margarete, 373. 
v. StrauB, Edmund, 234. 246. 

255. 376. 
StrauO, Franz, 232. 
StrauO, Johann, 51. 323. 
StrauO, Richard, 26. 98. 127. 

167. 174. 181. 184. 188. 189. 

190. 191. 232.234. 239. 24a 

241. 243. 244. 252. 255. 256. 

294. 300. 303. 305. 306. 307. 

313. 314. 316.317. 318.319. 

360. 362. 368.371. 378.379. 
Strawinsky, Igor, 317. 
Streicher, Nanette, 280. 
Streichquartett, Berliner, 372. 



D 'iijli 



C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAMENREGISTER 



XV 



Strelchquartctt, Bohmisches, 305. 

380. 381. 
Streichquartett, BrQsseler, 242. 

314. 318. 319.371. 378. 380. 

382. 
Streichquartett,DQsseldorfer,251. 
Streichquartett, KOnigsbcrger, 

253. 
Streichquartett, MQnchner, 253. 

318. 
Streichquartett, St. Petersburger, 

190. 242. 313. 315. 
Streichquartett, Stuttgarter, 182. 
Streichquartett, Ungarisches, 375. 
Strepponi, Giuseppina, 128. 
StiickroJt, Curt, 301. 
Striegler, Kurt, 250. 
Strindberg, August, 202. 
Stronck-Kappel, Anna, 312. 316 
Stadthalle-Orchester (KOnigs- 

berg i. Pr.) 253. 
Stadttheater (Hamburg) 236. 302. 

368 
Staegemann, Waldemar, 1 76. 302. 
Stamitz, Johann, 285. 
Stamitz, Karl, 122. 186. 
Standhartner, Josef, 358. 
Stange, M., 246. 
Stapeifeldt, Martha, 240. 
Starcke, Friedricb, 149. 150. 
Starke, Ottomar, 176. 
Starzer, Josef, 288. 
Stavenhagen, Bernhard, 313.314. 
Stebel, Paula, 187. 
StefTani, Agostino, 232. 233. 
Stehmann, Johannes, 182. 
Stein, Paula, 177. 
Steinbach, Fritz, 252. 253.315. 

317. 379. 
Steinbrflck, K., 316. 
SteinbrQck, Meta, 316. 
Steiner, Franz, 378. 380. 
Steiner, Robert, 319. 
Steiner & Co., S. A., 150. 
Steinhausen, F. A., 231. 298. 
Steiner-Rothstein, Gertrud, 372. 
Stelnhage, E., 377. 
Stengel 124. 
Stendhal 68. 
Stenz, Arthur, 251. 
Stepan, V., 372. 
Stephan, Rudi, 182. 
Sternfeld, Richard, 170. 
Stiles, Vernon, 179. 
Stock, Herbert, 236. 
Stock, Otto, 369. 
Stockmarr, Johanne, 317. 
Stoeber, Emmeran, 253. 
Stoeber, Georg, 318. 
Stoessel, Albert, 249. 325. 
StofTregen, Alexander, 380. 
St6hr, Richard, 245. 
Stolz, Susanne, 178. 
Stolzenberg, Hertha, 235. 365. 



Storm, Theodor, 122. 
Sudermann, Hermann, 360. 364. 
Sulzer, Julius, 164. 
v. Suppe, Franz, 363. 
Suter, Hermann, 306. 
Sutro, Emilie, 191. 380. 
Sutro, Ottilie, 247. 313. 
Sutro, Rosa, 191. 247. 313. 

380. 
Svardstrflm, Valborg, 253. 
Svendsen, Johan, 195. 230. 

338. 
Swedenborg, Emanuel, 204. 
Synodal -Chor, Moskauer, 307. 
Symphoniekonzerte (Basel) 306. 
Symphoniekonzerte (Dresden) 

312. 
Symphoniekonzerte (Halle) 188. 
Symphoniekonzerte (K6nigsberg 

i Pr.) 253. 
Symphonieorchester (Madrid) 

382. 
Symphonieorchester, Rigaer, 191. 
Szanto, Theodor, 317. 
Szende (Singer) 366. 
Szigeti, Joseph, 312. 384. 
v. Szkilondz, Adelaide, 190. 
Szymanowski, Karol, 187. 310. 
Tadolini (Sflngerin) 103. 
Takats, Michael, 366. 
Tanejew, Sergei, 190. 242. 315. 
Tango, Egisto, 366. 
Tartini, Giuseppe, 125. 128. 186. 
Tauber, Richard, 176. 302. 
Taubert, E. E., 184. 318. 
Taubmann, Otto, 306. 
Tausig, Karl, 371. 
Tavastjerna 205. 
Taylor 296. 
Telmanyi, Emil, 380. 
Tenger 170. 

Tennenbaum, Betty, 373. 
Teonsa, Marie, 181. 
Terpander 326. 
Tetrazzini, Luisa, 366. 
Tetzel-Highgate, Jane, 376. 
Teyte, Maggie, 305. 
Thaler, P., 381. 
Thanner, Marta, 372. 
Thayer, A. W., 132. 150. 
Theatre de la Monnaie 214. 
Theatre des Champs Elys6es 

238. 369. 
Theater fur Musikdramen (St. 

Petersburg) 181. 
Theile (Verleger) 356. 
Thibaud, Jacques, 315. 317. 
Thiel, Carl, 110. 111. 
Thiele, Rudolf, 231. 
Thiele, Walter, 182. 
Thienhaus, Hugo, 244. 
Thilo, Emil, 376 
ThomAn, Stefan, 186. 
Thomas, Ambroise, 27. 



Thomas-San Galli, Wolfgang A., 

170. 
Thom6, Francis, 190. 
Thompson, John, 309. 
Thomson, George, 335. 
Thornberg, Julius, 371. 
Thornton, Edna, 302. 303. 
Thovenet (Sfingerin) 370. 
Thuille, Ludwig, 123. 254. 311. 

318. 
Tiegermann, Ignaz, 245. 316. 

375. 
i Tiersot, Julien, 134. 
Tinel, Ed*ar, 255. 372. 
Tirmont (Sanger) 370. 
Tittel, Bernhard, 240. 
Tflmlich, Richard, 320. 
Tonhalleorchester (ZQrich) 384. 
Tonhalle-Pavillonkonzert (ZQ- 
rich) 191. 
Tonkflnstlerkonzerte (Frankfurt 

a. M.) 187. 313. 
TonkQnstlerorchester, Wiener, 

383. 
TonkQnstlerverein (MQnchen) 

381. 
TonkQnstlerverein (StraBburg) 

255. 
Topelius 195. 205. 
Torchiana, Andr6, 185. 
Torrefranca, Fausto, 118. 
Tosta, Willy, 177. 367. 
Tournemire, Charles, 370. 
v. Toussaint, Clodia, 184. 
Tovey, Francis, 229. 
Trapp, Max, 244. 249. 308. 378. 
Triesch, Irene, 306. 
Trio, Dresdener, 251. 
Trio aus Barcelona 372. 
Trio, Osterreichisches, 318. 
Trio, Russisches, 182. 
Trio, Stuttgarter, 319. 
Triovereinigung, Braun- 

schweiger, 377. 
Tromlitz 109. 
Trostorff, Fritz, 235. 
Tschaikowsky, Peter, 127. 185. 

189. 198. 202. 204. 205. 241. 

247. 250. 300.307. 312. 314. 

315. 316. 318. 338. 371.372. 

377. 382. 
Tubb, Carrie, 317. 
Turgenjew, Iwan, 244. 
Turina, Joaquin, 382. 
Uhland, Ludwig, 240. 
Uhr, Charlotte, 236. 
Ulrich, Bernhard, 311. 
Unkenstein, B., 111. 187. 
Urbanek, Mojmir, 254. 
Urlus, J., 240. 369. 
Van Neste, Alphons, 243. 
VAradi, M., 366. 
Vally, Andr6e, 238. 
Valnor, C6cile, 315. 380. 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



XVI 



NAMENREGISTER 



Valori, FOrst, 67. 

Varcse (Singer) 32. 

del Vecchio, Bianca, 372. 

v. Vecsey, Franz, 307. 316. 319. 

377. 378. 381. 
Vcrband der konzcrtierenden 

KOnstler Dcutschlands 123. 

124. 126. 168. 184. 185. 188. 

191. 244. 245. 
Verband Deutscher Musikkritiker 

228. 
Verdi, Giuseppe, 3 ff (V. geb. 

10. Oktober 1813). 27 ff (V. 

und Shakespeare I: „ Macbeth 4 *; 

II : „Briefe Qber K5nig Lear**). 

50fT(V.sdramatischeTechnik). 

64(Bilder). 67 ff (V. u. Shake- 
speare, SchluB. Ill: Othello; 

IV:FalstarT). 119. I28(Bilder). 

162 (Taschenpartituren V.- 

scher Werke). 163. 176. 177. 

178. 179. 180. 190. 192(Bild). 

234. 235. 236. 237. 238. 239. 

240. 256 (Bild). 290. 291. 

300. 301. 304. 312. 318. 319. 

360. 367. 370. 383. 
Verein der Musikfreunde (Ham- 
burg) 188. 
Verein fflr Kirchengesang (Frank- 
furt a. M.) 313. 
Verein fflr klassischen Chor- 

gesang 382. 
Verein fflr klassische Kirchen- 

musik (Stuttgart) 319. 
Verein, Kaufmftnnischer (Magde- 
burg), 253. 
Verein, Neuer (Mflnchen), 318. 
Verein, Philharmonischer (Nflrn- 

berg), 381. 
Vereinigung fflr alte Musik, 

Deutsche, 318. 
Vereinigung fflr moderne Kam- 

mermusik, Berliner, 243. 249. 

308. 
Vereinigung KOlner Kammer- 

musikfreunde 252. 
Verheyden (Komponist) 300. 
Viardot, Pauline, 184. 
Victori, Abb6, 255. 
Vierne, Louis, 310. 
Victor, Gertrud, 125. 
Victor, Hilde, 125. 
Vietor, Otto, 312. 
Vieuxtemps, Henri, 123. 190. 

246. 306. 
Vigna, Cesare, 14. 15. 44. 45. 

46. 48. 
Vilmar, Emma, 63. 
Vincent fSfinger) 305. 
Vines, Ricardo, 372. 
Violin, Mischa, 123. 
Viotti, Giovanni Battista, 305. 
Vitali, Giovanni Battista, 309. 
Vittoria, Lodovico, 174. 



Vivaldi, Antonio, 112. 172. 

187. 
Vogel, Niel, 112. 
Vogeler, Heinrich, 237. 
Vogelstrom, Fritz, 176. 367. 
Voghera, Tulio, 303. 314. 
Vogl, Josef, 369. 
Vogrich, Max, 242. 
v. Voigtlaender, Edith, 247. 249. 

374. 
Vokalquartett, Berliner, 240. 
Vokalquartett, Breslauer, 250. 
v. Volborth, Eugen, 305. 
Volker, K., 173. 
Volkmann, Robert, 254. 371. 
Volkschor (Frankfurt a. M.) 313. 
Volkschor „Union tt (Frankfurt 

a. M.) 313. 
Volksoper (Wien) 240. 
Volks-Symphoniekonzerte (Mfln- 
chen) 191. 
Volkstheater Nikolaus II. (St. 

Petersburg) 181. 
Vollmoeller, Karl, 179. 
Vollnhals, Ludwig, 381. 
Voltaire 9. 45. 114. 273. 
de Vries, H. W , 308. 
Wachsmann, Max, 127. 374. 
Wachsmuth, W., 377. 
Waghalter, Ignatz, 365. 373. 
Waghalter, Wladislaw, 123. 373. 
Wagner, Arnold, 310. 
Wagner, Emil, 318. 
Wagner, Richard, 4. 14. 15. 16. 

17. 21. 23. 24. 25. 26. 27. 

28. 29. 31. 33. 36. 51. 52. 

53. 62. 68. 96. 97. 102. Il3ff 

(Zu R. W.'s 100. Geburtstag. 

SchluO). 121. 123. 127. 143. 

162. 163. 164. 166. 167. 170. 

177. 180. 181. 188. 190. 195. 

206. 220. 225. 226. 229. 230. 

231. 232. 234. 240. 241. 253. 

255. 271. 276. 277. 278. 287. 

290. 291. 292. 293. 294. 295. 

301. 302. 304. 305. 306. 309. 
312. 313. 314. 315. 316. 320. 
336. 341. 343. 345. 348. 355ff 
(Eine Nachlese ungedruckter 
W.-Briefe). 359. 360. 363. 
366. 367. 368. 369. 374. 378. 
382. 383. 

Wagner, Siegfried, 239. 382. 
Wagner-Verein (Graz) 188. 
Wahrlich, Hugo, 383. 
Walcker, Paul, 155. 157. 
Waldmann, Elise, 374. 
Walker, Edith, 180. 253. 256. 

302. 314. 318. 373. 382. 
WallnOfer, Adolf, 318. 
Wallner, Leonore, 187. 254. 
Walter, Bruno, 180. 237. 253. 

304. 318. 369. 380. 381. 
Walter, Elsa, 308. 



Walter, George A., 185. 305. 

307. 371. 
Walter, Raoul, 254. 
Waller, Rose, 308. 

v. Waltershausen, Hermann W., 

304. 318. 
Walther, J. G., 106. 
Wambach, £mile, 300. 
v. Wangenheim, Frhr., 176. 
Wappenschmitt, Oskar, 311. 
Warjagin, Sergei, 311. 
Warwick-Evans, C, 317. 
Waschow, Gustav, 235. 
Wasailenko, Sergei, 317. 319. 
Watson (Impresario) 214. 215. 
Watson, MiQ, 215. 
Waterman, Adolf, 310. 
Weber, Albrecht, 356. 
v. Weber, Carl Maiia, 109. 118. 

127. 135. 138. 139. 179. 186. 

187. 241. 250. 262. 270.272. 

292. 293. 319. 360. 369. 
v. Weber, Max Maria, 139. 
Weber, Miroslav, 318. 
Weckerlin, Jean Baptiste, 305. 
Wecksell 205. 

Wedekind-Klebe, Agnes, 235. 
Wehanen, Kosti, 383. 
Weidele, Minna, 184. 374. 
Weidcmann, Friedrich, 353. 
Weidt, Lucy, 190. 
Weigl, Karl, 381. 
Weil, Hermann, 304. 
Weill, Rudolf, 235. 
Weinbauin, Paula, 247. 
Weindel, Otto, 236. 
Weingarten, Paul, 316. 
Weingartner, Felix, 178. 191. 

236. 241. 253. 256. 301. 302. 

308. 315. 316.362. 367. 368. 
380. 383. 

Wcinreich, E., 316. 
Weisbach, Hans, 319. 
Weismann, Julius, 244. 307. 

318. 380. 
v. Weis-Ostborn, Julius, 188. 
WetB, Josef, 307. 316. 
WeiDenborn, Hermann, 110. 

111. 244. 
Wellesz, Egon, 169. 243. 
Wellmann, Friedrich, 284. 
Wendel, Ernst, 187. 241. 255. 

285. 312. 
Wendling, Carl, 182. 319. 
Wendling-Quartett 182. 319. 

381. 
Werner, Gustav, 247. 365. 
Werner, Rudolf, 378. 
Werner-Jensen, Paula, 110.245. 
Wesel, Tinka, 365. 
Wesendonk, Mathilde. 378. 
WeDbecher 188. 
Wessely-Quartett 317. 
Wetz, Richard, 187. 254. 316. 



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C iOoqIc 



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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NAMENREGISTER 



XVII 



Weizel, Hermann, 160. 
Wetzler, Hans Hermann, 177. 

188. 367. 378. 
Wever, Franzi, 185. 
Wever, Max, 185. 
Weyersberg, Bruno, 124. 
While, Roderick, 373. 
Whitman, Walt, 189. 
Widmann, Josef Victor, 28. 
Wieland, Chr. M., 166. 
Wieniawski, Henri, 186. 374. 
Wiesike, Lillian, 240. 
Wietrowetz, Gabricle, 186. 
Wikarski, Romuald, 245. 375. 
Wildner, Milly, 314. 
Wilhelmj, August, 229. 
Wilhelmi, Julius, 221. 
Wilhelmi, Maximilian, s. Toten- 

schau XIII, 1. 
Wilks, Nonnan, 312. 
Wille-Quartett 379. 
Wilier, Luise, 304. 380. 
Williams, Artur, 247. 308. 
Williams, Gwendolyn, 247. 
Williere, Bertha, 381. 
Wilson, Horace Hayman, 356. 
Winderstein, Hans, 315. 316. 

378. 380. 
Winkelmann, Hermann, 347. 
Winsel, Louis, 191. 
Winter, Hans, 124. 
Winterberg, Robert, 236. 



Witt, Franz, 286 f (F. W.). 320 

(Bild). 
Wittekindt, Dora, 246. 
Wittenberg, Alfred, 250. 371. 
v. Woikowsky - Biedau, Viktor, 

244. 245. 300. 301. 
Woiku, Petrescu, 310. 
Wolf, Hugo, 122. 184. 185. 188. 

244. 246. 248. 249. 250. 252. 

311. 312. 356. 382. 
Wolf, Otto, 370. 
Wolf, Sophie, 369. 
Wolf, Wilhelm, 318. 
Wolf, William, 168. 
Wolff, Erich J., 173. 183. 230. 

244. 315. 318. 372. 
Wolff, Hildegard, 319. 
Wolff, Werner, 235. 
Wolf- Ferrari, Ermanno, 176. 

237. 254. 301. 360. 
Woiffheim, Werner, 161. 
Wolfram v. Eschenbach 163. 
Wolfrum, Philipp, 314. 377. 
Wolschke, A., 111. 
v. Wolzogen, Elsa Laura, 250. 

254. 
Wood, Henry, 189. 190. 316. 

317. 
WOrl, Georg, 128. 
Worska (Sflngerin) 254. 
Woskow, Erika, 248. 
Wotquenne, Alfred, 288. 289. 



WOllner, Ludwig, 248. 256. 314. 

318. 380. 
Wunderwald, Gustav, 123. 
Yeats, W. B., 190. 
Ysaye, Eugene, 24 1 . 305. 3 1 2.382. 
Zador, Desider, 302. 
v. Zadora, Michael, 126. 
Zajic, Florian, 373. 
Zarlino, Gioseffo, 331. 
Zee, Nicola, 238. 
Zelenka 242. 
Zemanek, Wilhelm, 255. 
v. Zemlinsky, Alexander, 238. 
Ziegenhein, Josef, 240. 
Ziegler, Benno, 304. 
Ziegler, Carl, 178. 
Ziegler, Franz, s. Totenschau 

XIII, 4. 
Ziegler, Walter, 308. 316. 
Zilcher, Hermann, 254. 308. 

313. 318. 319. 378. 381. 
Zimbalist, Efrem, 186. 
Zimin, Sergei, 180. 
Zimmermann, Emmy, 64. 235. 
Zimmermann-Quartett 382. 
Zlotnicka, Meta, 308. 
Zobel, Alfred, 127. 
Zollner, Heinrich, 379. 
Zollner, Karl, 127. 
v. Zopoth, Johann, 235. 
Zottmayr, Georg, 367. 
Zscherneck, Georg, 310. 316. 



REGISTER DER BESPROCHENEN BOCHER 



BeitrSge zur Akustik und Musik- 
wissenschaft. Herausgegeben 
von Carl Stumpf. 7. Heft. 230. 

Benedict, Carl Siegmund: Richard 
Wagner, sein Leben inBriefen. 
295. 

Erlfluterungen zu Franz Liszts 
Symphonieen und symphoni- 
schen Dichtungen. Heraus- 
gegeben von Alfred HeuD. 231. 

v. HOpflingen - de Lyro, Irma: 
Renaissance der Gesang- und 
Sprechkunst. 295. 

Joachim, Johannes, und Moser, 
Andreas : Briefe von und an 
Joseph Joachim. 3. Bd. 229. 

Kapp, Julius: Paganini. Eine 
Biographic. 363. 



Kastner, Emerich: Bibliotheca 

Beethoveniana. 170. 
Kleemann, Hans: Beitrage zur 

Asthetik und Geschichte der 

Loeweschen Ballade. 171. 
Klocke, Erich: Richard Wagners 

„Parsifal u an der Hand des 

Textbuches erklftrt. 121. 
Niemann, Walter: Die Musik 

seit Richard Wagner. 294. 
Osterrieth, Arrain: Der sozial- 

wirtschaftliche Gedanke in der 

Kunst. 362. 
R6v6sz, Geza: Zur Grundlegung 

der Tonpsychologie. 121. 
Schultz, Detlef: Heilkraft des 

Gesanges. Mazdaznan-Harmo- 

nielehre. 169. 



Servieres, Georges: Emmanuel 
Chabrier. 230. 

Siebeck, Robert: Joh. Schultz. 
(Publikationen der I. M. G., 
Beihefte, 2. Folge, No. XII.) 
119 

Steinhausen, F. A.: Die physio- 
logischen Fehler und die Urn- 
gestaltung der Klaviertechnik. 
2. Aufl., bearbeitet von Lud- 
wig Riemann. 231. 

Studien zur Musikwissenschaft. 
I. Heft. (Beihefte der Denk- 
mfller der Tonkunst in Oster- 
reich.) 169. 

Torrefranca, Fausto: Giacomo 
Puccini e l'opera internazio- 
nale. 119. 



REGISTER DER BESPROCHENEN MUSIKALIEN 

Bach, Wilh. Friedemann: Vier I Siciliano fQr Oboe, Fagott und I brecht, zerreilit, ihr schnCden 
Sonaten fQr zwei Floten. (Neu- Cembalo. (Neuausgabe von Bande." Aria per Soprano 
ausgabe von R. Tillmatz.) — | A. Beer-Walbrunn.) — „Zer- 1 con Organo e corno obligate 

II 



D'::j"«i,-'L 






Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



XVIII 



REGISTER DER BESPROCHENEN MUSIKAUEN 



(Hcrausgcgebcn von Ludwig 
Schirteler.) 122. 

Bachmann, Alberto: Sonate pour 
Piano. 297. 

Berke, Emil: Sechs Gesfinge fOr 
eine Singstimme. 122. 

Bleyle, Karl: op. 25. Prome- 
theus." Fflr Mftnnerchor und 
groQes Orchester. 175. 

Blumer jr., Theodor: op. 30. 
Drei KlavierstQcke. 363. 

Bortkicwicz, Sergei: op. 16. Kon- 
zert (B-dur) fQr Klavier und 
Orchester. 298. 

Bruckner, Anton: Intermezzo. 
Ein nachgelassener Streich- 
quintettsatz. 122. 

BrOggemann, Ernst: op. 5. Drei 
leichte Sonaten fQr Violine in 
der ersten Lage und Klavier. 
298. 

Debussy, Claude: Preludes pour 
Piano. 2me livre. 171. 

Denkmller der Tonkunst in 
Bayern. XI. Jahrgang. Bd. 2. 
Ausgewfihlte Werke von Ago- 
stino Steffani. Herausgegeben 
von Hugo Ricmann. 232. 

Denkmller der Tonkunst in 
Osterreich. XX. Jahrg. I.Teil. 
40. Bd. Jacob Handl: Opus 
musicum, IV. Teil. 299. 

v. DohnAnyi, Ernst: op. 23. Drei 
StQcke fur Klavier. 232. 

Ebel, Arnold: op. 19. „DieWeihe 
der Nacht. a Kantate far Ba- 
riton- (oder Alt-) Solo, ge- 
mischten Chor und groOes 
Orchester. 172. 

Ehrenbcrg, Carl: op. 16, 17, 18. 
Gesfinge. 121. 

Ertel, Paul: op. 27. Quatre im- 
pressions de la Suisse. Suite 
pour le piano. 171. 

Ffthrmann, Hans: op.41.Streich- 
quartett. 172. 

Flath, Walter: Drei Liedcr. 364. 

Frey, Martin: Rund urn Bach. 
Fflnfzehn Meistersfitze fflr Kla- 
vier zu zwei Hflnden, aus 
Bachscher Zeit. Ausgewfihlt 
und fQr den Unterricht be- 
zeichnet. 172. 

Gernsheim, Friedrich: op. 86. 
Konzert No. 2 F-dur fQr Vio- 
line mit Orchester. 364. 

Grfldener, Hermann: Erstes Lie- 
derheft. 296. 

Gunst, Eugen: op. 8. Sonate- 
Fantaisie pour Piano. 363. 

Haas, Joseph: op. 23. Ein Krfinz- 
lein Bagatellen fQr Oboe und 
Klavier. 171. 

Haile, Eugen : Lieder fQr eine 



Singstimme mit Klavierbeglei- 
tung. 173. 

Hasse, Karl: op. 10. Suite in 
e-moll fflr Orgel. 172. 

Hermann, Hans: op. 53a. Sieben 
Duette far zwei Singstimmen 
und Klavier. — Lieder. 231. 

Horn, Kamillo: op. 62, 63, 64. 
Lieder und Ges&nge. Liebes- 
weisen. 122. 

v. d. Hoya, Amadeo: Moderne 
Lagenstudien fQr Violine. 298. 

Hoyer, Karl: Einleitung, Varia- 
tionen und Fuge fiber den 
Choral: Jerusalem, du hoch- 
gebaute Stadt" fQr Orgel. 296. 

Huber, Hans: Ein Liederspiel 
nach alten Tanzliedertexten, 
fQr Mftnnerchor, Soli und zwei- 
hlndige Klavierbegleitung. 
363. 

Jaques-Dalcroze, Emile: Zehn 
Lieder. 231. 

Juon, Paul: op. 54. Sonate fQr 
Violoncello und Klavier. 364. 

Kallenberg, Siegfried Garibaldi: 
Vier Sonette nach Dante Ga- 
briel Rossctti fQr eine Sing- 
stimme und Klavier. 171. 

Karel, Rudolf: op. 6. Slawisches 
Scherzo-Capriccio f. Orchester. 
232. 

Kopylow, A.: op. 32 und 33. 
3Cme c t 4*me Quatuor pour 
2 Violons, Alto et Violoncelle. 
298. 

KOrte, Oswald: Jugend-Sym- 
phonie fQr Klavier zu 4 Hln- 
den, Streichquartett oder 
Streichorchester und Pauken. 
364. 

KQchler, Ferdinand: Praktische 
Violinschule. 298. 

Lange, Kurt: Drei Gesflnge. 174. 

Leichtentritt, Hugo: Geistliche 
Frauenchflre alter Meister. 
174. 

Leupold,A.W.: op.8. Passacaglia 
fQr Orgel. 172. 

Levy, Heniot: op. 6. Sonate fQr 
Pianoforte und Violine. 297. 

Liepe, Emil: op. 32. Vier Ge- 
sfinge fQr mittlere Stimme. 
121. 

v. Lingen, Gottfried: op. 4. So- 
nate fQr Klavier. 175. 

Manasse, Otto: Metamorphosen 
fQr Klavier. 363. 

Mraczek, J. G.: Quintett Es-dur 
fQr Klavier, zwei Violinen, 
Bratsche und Violoncell. 122. 

Niemann, Walter: op. 26. Deut- 
sche Lfindler und Reigen fQr 
Klavier. 172. 



Noren, Heimch G.: op. 45. 

Zwei Geinge mit Klavier 

oder Orcaester. 122. 
Pflque, Desir£: op. 57. Zehn 

Kompositionen fQr Orgel. 296. 

— Sieben Lieder fQr eine Sing- 
stimme und' Klavier. 297. 

— Compositions pour Piano, 
op. 36. Chants intimes. Suite 
po6tique.— op. 49. Impromptu. 

— op. 56. Huit morceaux. — 

— op. 59. Six morceaux. 
363. 

Pembaur d. J., Joseph: Marien- 
lieder fQr eine Singstimme und 
Klavier. 297. 

Ravel, Maurice: Valses Nobles 
et Sentimentales pour orche- 
stre. 174. 

Riemann, Hugo: Zehn Klavier- 
stQcke zu 2 Hftnden. 363. 

ROcklot, Heinrich: Zehn aus- 
gewihlte Lieder. FQnf Lieder. 
364. 

RQdinger, Gottfried : op. 1 . „Mfir- 
chenstunde". Acht Klavier- 
stQcke. 364. 

— op. 5. Sechs Sinnsprflche 
aus „Des Angelus Silesius 
CherubinischerWandersmann" 
fQr eine Singstimme und Kla- 
vier. 171. 

Saint-Sagns, Camille: op. 139. 
Valse gaie pour le piano. 
171. 

Sammlung musikalischer Ein- 
blattdrucke. 233. 

Schruid, Heinrich Kaspar: op. 17. 
FQnf Gedichte fQr eine Sing- 
stimme und Klavier. — op. 20. 
Kleine Lieder fQr eine Sing- 
stimme und Klavier. 297. 

SchQtt, Edouard : op. 94. Pages 
gracieuses. Quatre morceaux 
pour piano. 175. 

Seemann, L. : op. 9. Zwei Lie- 
der. — op. 11. Vier Lieder. 

— op. 12. Zwei Lieder. 
364. 

Spoel, Arnold: 25 Solfeges fQr 
mittlere Stimme mit Klavier- 
begleitung. 171. 

Steffani, Agostino, s. Denkmiler 
der Tonkunst in Bayern. 

Stojanovits, Peter: op. 15. Kla- 
vierquartett. — op. 16. Kla- 
viertrio. 297. 

Weifl, Josef: op. 40. Suite in 
Walzerform fQr Pianoforte. 
363. 

Wendel, Ernst: op. 13. „Das 
Reich des Gesanges". FQr 
Mfinnerchor und Orchester^ 
175. 



D 'iijli 



i :v, C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



REGISTER DER BESPR. ZEITSCHR1FTEN- UND ZEITUNGSAUFSATZE XIX 



Wernicke, Alfred : op. 36. „Mee- 
resbrandung*. Ballade fGrMln- 
nerchor und Orchester. 174. 



Wickenhaufler, Richard: op. 72. j Wolff, Erich J.: op. 26. SechsGe- 
Zehn kleine Tonbilder far i dichte J. P. Jacobsen's fflreine 
Klavier. 157. | Singstimme u. Pianoforte. 173. 



REGISTER DER BESPROCHENEN ZEITSCHRIFTEN- 
UND ZEITUNGSAUFSATZE 



Aders, Egon: Richard Wagner 

und die Gegenwart. 117. 
Bauckner, Artur: Richard Wag- 
ner als Mensch. 1 15. 
Beer, August: Richard Wagner. 

117. 
Behrend, William : Wagner und 

Dflnemark. 164. 
BeOmertny, Marie: Alexander S. 

Dargomyszsky. 225. 
Bie, Oscar: Richard Wagner und 

das Volk. 116. 
Bloch, Josef: Moderne Violin- 

pfidagogik. 228. 
— Ober den Fingersatz auf der 

Violine. 227. 
Bloch - Wunschmann, Walther: 

Hebbels Verhflltnis zur Musik 

und zu Musikern. 225. 
Bolte, Theodor: Liszt als Orgel- 

komponist. 225. 
Brandes, Friedrich: Felix Drae- 

seke f. 226. 
BQlow, Paul: Vom Bayreuther 

Festspielzettel. 293. 
Cahn-Speyer, Rudolf: Zur Text- 

frage von Mozarts „DonJuan tt . 

167. 
Conrad, Michael Georg: Richard 

Wagner. 115. 
Conze, Johannes: Zur Wieder- 

einfflhrung der SchnabelflOte. 

293. 
Crome, Fritz: Peter Heise. 164. 
Daffner, Hugo: Felix Draeseke 

f. 166. 
Dinnreuther, Edward: Musika- 

lische Ornamentik. 168. 
Dillmann, Alexander: Zura 

Schaffen Richard Wagners. 

114. 
Dittmer, Eugen : Kino und Oper. 

167. 
Ehlers, Paul: Richard Wagner. 

114. 
Ehrenhaus, Martin : RichardWag- 

ners w Heldenoper* „Siegfrieds 

Tod u in ihrem Verhflltnis zur 

splteren n G6tterdftmmerung M . 

166. 
Erckmann, Fritz: Lieder und 

Balladen aus Island. 226. 
Frey, Martin: Ober metrische 

Interpretationskunst. 225. 
Graf, Max: Arnold Schflnbergs 

Basso continue 163. 



Guttmann, Oscar: Etwas vom 

Walzer. 166. 
Hatzfeld, Joh. H.: Richard Wag- 
ner. Nachdenkliches zu sei- 

nem 100. Geburtstage. 115. 
Hayek, Max: Richard Wagner, 

der Mensch. 1 14. 
Heinemann, Ernst: „Sprach- 

schOnheiten" der klassischen 

Opern. 291. 
Heller, Leo: William Wolf. 168. 
HeuO, Alfred: Das Volk im 

Drama. 226. 
Honold, Eugen: Publikum, werde 

hart! 225. 
Hflbner, Otto R.: Die Musik als 

Erzieherin. 166. 
Hynais, C.: Ein unbekannter 

Symphoniesatz von Anton 

Bruckner. 291. 
Istel, Edgar: Goethe und J. F. 

Reichardt. 227. 

— E. T. A. Hoffmanns „Undine tt 
als „Kunstwerk der Zukunft*. 
293. 

Kaiser, Georg: Adolf Hagen. 

226. 
Koch, Matthius: Tonsatzlehre. 

167. 

— Ein Gang zu den Quellen 
der Sprache. 225. 

Koch, Max: Richard Wagner. 

118. 
Kohut, Adolph: Aus den musi- 

kalischen Erinnerungen eines 

alten TonkOnstlers. 293. 
KOlnische Volkszeitung: Richard 

Wagner. 116. 
Kraus, H.: Vom Musikerlehrling 

zum Musikdirigenten. 292. 
La Mara: Beethovens WeihekuD. 

292. 
LeOmann, Otto: Erinnerungen an 

das Berliner Musikleben vor 

50 Jahren. 292. 
M., W.: Richard Wagners Werk. 

Seine Bedeutung und die 

Grenzen seiner Geltung. 1 18. 
Meier-WOhrden, M.: Ernst Nau- 

mann. 168. 
Meyer, Semi: Die Psychologie 

dermusikalischen Obung. 168. 

225. 
du Moulin-Eckart, Richard Graf: 

Richard Wagner und das 

deutsche Volk. 1 14. 



Nagel, Wilibald: Schule und 

Musik. 168. 
Neue Zeitschrift fQr Musik: 

Hans Richter. 226. 

— Isadora Duncan und ihre 
Schule. 226. 

Osterrieth, Armin : Der Verband 

der konzertierenden Kflnstler 

Deutschlands und seine auOer- 

ordentliche Hauptversamm- 

lung in Berlin. 168. 
Petzet, Walter: A. E. M. Greuy. 

228. 
Pisling, Siegmund: Musikalische 

Fiktionen. II. 163. 
PlaO, Ludwig: Was die Ge- 

schichte der Posaunen lehrt. 

167. 
Pohl, Luise: Erinnerungen an 

Felix Draeseke. 167. 
Prufer, Arthur: Zur 100. Wieder- 

kehr von Richard Wagners 

Geburtstag. 113. 
PrQmers, Adolf: Offentliche 

Musiken anno 1787. 167. 
Redhardt, Willy: C. M. von 

Webers erste Polemik. 292. 
Reichelt, Johannes: Richard 

Wagner und sein Kollege 

ReiDiger. 291. 
Rentsch, Arno: Felix Draeseke f. 

163. 
Rieaenfeld, Paul: Schelling ale 

Musikphilosoph. 165. 

— Alte italienische Sinnbilder 
der Musik. 225. 

Sander, Hjalmar G.: Wer ist 

musikalisch? 163. 
Scherber, Ferdinand: Hans 

Richter. 164. 

— Eine unbekannte Episode 
aus Anton Bruckners Leben. 
164. 

— Verdi und die Wiener Kritik. 
291. 

Scheyer, Moritz: Kurkapellen. 

227. 
Schlegel, Artur: Ist Musik 

Luxus? 291. 
Schflnemann, Georg: Richard 

Wagner in unserer Zeit. 113. 
Schwartz, Heinrich: FOr den 

Klavierunterricht. 168. 
Schwers, Paul: Berlin als Musik- 

feststadt. 202. 
Segnitz, Eugen: Wieland. 166. 
II* 



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Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



XX 



REGISTER DER BESPR. ZEITSCHRIFTEN- UND ZEITUNGSAUFSATZE 



Signale fOr die musikalische 
Welt: Ein Notschrei zur Ver- 
sicherungspflicht der Musik- 
lehrer. 228. 

— Zwei Briefe Verdi's. 291. 

— Das Wiener Konzerthaus. 
291. 

Siloti, Alexander: Neuemetrische 

Auslegung in Beethovens 

Siebenter. 228. 
Soonik: H. E.: Unsere Noten- 

schrift und ihre Reformer. 

163. 
Spanuth, August: Ein drittes 

Tongeschlecht? 163. 

— Neue Methoden im Musik- 
betrieb. 164. 

— Musik unter freiem Himmel. 
227. 

— Der Verein der Unverein- 
baren. 228. 

— Die Konzertierenden und ihre 
Agenten. 228. 

— Das KonzertQbel. 290. 

— Zur Verdi-Kritik. 291. 
Spiro, Friedrich: Verdi und sein 

Volk. 163. 

— Ein Beethoven-Fund. 163. 

— Eine Auferstehung. 165. 

— Verdi und Goethe. 290. 



Springer, Hermann: Bach-, Beet- 
hoven-, Brahms-Autographen 
in der Berliner Kgl. Bibliothek. 
292. 

Steinitzer, Max: Mehr Achtung 
vor dem geistigen Eigentum. 
165. 

— Zu Silotfs metrischer Aus- 
legung des Scherzos in Beet- 
hovens Siebenter. 290. 

Stolzing, Josef: Richard Wagner 

und die deutschen Freiheits- 

kriege. 1 1 3. 
Storck, Karl: Zum Neubau des 

Kgl. Opernhauses in Berlin. 

165. 

— Zum Tode eines Idealistcn. 
166. 

— Hebbel und Wagner. 167. 

— Unser Opernspielplan. 293. 
Stradal, August: Die „Tech- 

nischen Studien" Franz Liszts. 
165. 

— Erinnerungen an Anton 
Bruckner. 168. 

— Die erstenjugendwerke Liszts. 
226. 

Tiessen, Heinz: Die reine Wir- 
kung der StrauOischen Pro- 
gramm-Symphonie. 167. 



Unger, Max : Zu Giovanni Sgam- 
bati's 70. Geburtstag. 227. 

Volbach, Fritz: Ober die Or- 
chesterbesetzung Bachscher 
Werke. 165 

— Zwei akustische Studien. 293. 
Walter, H.: Mehr musikalische 

Bildung auf unseren h&heren 
Schulen! 163. 

— MSngel des Gesangsunter- 
ricbts. 293. 

Walzel, Oskar: Richard Wagner 

und wir. 113. 
Weingartner, Felix: Verdi, der 

Begrflnder der modernenSpiel- 

oper. 290. 
WeiOmann, Adolf: Beethoven in 

Berlin. 292. 
Wirth, Moritz: Die dekorativen 

und maschinellen Erforder- 

nisseder Nibelheimszene. 225. 

— Die zweite Speerszene. Eine 
unbekannte Szene im „Rhein- 
gold". 293. 

de Witt, Wilhelm: Vom Volks- 
lied in Niedersachsen. 168. 

Woltereck, K.: Goethe und 
Wagner. 292. 

Zeller, Prof.: Schuie und Musik. 
168. 



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Original from 
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DIE 




MUSIK 



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HALBMONATSSCHR1FT 

JVUTBILDERN UND 

NOTEN 




HERAUSGEGEBEN VON 

KAPELLMEISTER 
BERNHARD SCHUSTER 



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VERLAG SCHUSTER tf LOFFLERBERLINW-57 
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G. Sgambati's Werke 

in d c r Offcntlichkeit 

REQUIEM 

GROSSE MESSE fir ftmnbckteo Dior, Baritno-Solo uad Orrfceiter. — Kkvitrftatrag rur Ai*iAt 
L • 1 1 1 • A u f f 6 h r w bqio: AmitTt5>m r Stockholm, So»i1 T D<KtT»<trt t H*U*< Rdtig 
Milrnr, Pforihatm, Q«r«, Ation*, P«rHn. TflfrlRfft, Ebr»wH»» llfUfttcftwij. SHrtt- 
flirt, Worn, U«Qftft«. M>frn»t»r t Mymw»gii>, ■"fVfl»_i L L»tpilfl, Oim»»jflc* t KM***, WrfltZ 

KAMMER-MUSIK 

Op. 1 t QUINTETT io f inell HOmer, 2 Vielbc* Viola, Cdlo) Siimnm 12L— 

Op. & 2, QUINTETT in B dur (KUrar, 2 Vidian. Viol* Ctlb) Stiawi*** 15.— 

Op, 17, QUARTET! (2 Violbcc, VioU, Cello) , Pkrtitar Z— 

StimtMtt IL— 

*Mffl»fdhft wen fatt *lmlHch»n n»mh»H»rt Kifnmtrmm<^V^r<INflunfl>lL 

KLAVIER-KONZERT 

Op. 15. g moll mil Ordiesler ... . Fiftitiir 750 

Ordiciter-Sttnunea 9. — 
Klavirr (mit lutteriegiom x we item KUvier) &— 

iangtt* Atttffihninfl la dl»*»r Sitton durch Vlimnji MoHi, 

KLAVIER-WERKE 

Op, 14. GAVOTTE in as moll ..♦.♦.. 130 

Diesclbe ericichtert in g moll 1.25 

Op. IS, Vier KUvitnjlGcke : 

1 Preludio 1.50, 2. VeccKio Mionetto I JO, 3, Ncaui 1.50, 4. Tocc*U X— 

Op, 31. 5- NOCTURNE . ■♦ . . 50 

Von EniM SatiT In will flo»f IQQ Kotiitrltn Q»§pi«tt. 



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RICHARD WAGNER 

SEIN LEBEN IN BRIEFEN 

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■:■ die wertYollnen, fUr die Erkrnmni* iter fncniebllcb kiinatlrna.iVen Peeedoiiebkeli do JAeWf* brMFftdrr* 

. BrirTe- Solcbe, d*e elnrn Efnbllck la dfe Htu jptsiadlcn *on Wupm Inntrtm l_tb*n gt » 

tritrden n«*orcuf i : *Jch liehc nJchr Brlefr, «iic mm wle fin KuftYertuartont- Lei ikes nacbicJilifftn knnn. Bin len 

tftpfindrtttig vnll. mill* dltee icn Brief »l!c1n ItftJRMBCfl*, tenrfrb Winner tinmjJ in elnt Schwei'.cr Sivcfce 

I ropftadung voile d b BrJeft, In die Rich die fuiit Seele den MeiiTer* rati Jer ibm elgetifa Wkniir und Leiden* 

■I J-n dm Intuli dieter £iimniiun£. Sir «ind i:*imnol&fi*ch flttrdntt und (Kflicilf n : In dit teefti 

H*j)prtb*chnlm von Wifnen Leben INI3 \%\2, m->-\M% l*«f--lftNi. IfcVl-- :*M. 1A64 -JA £& Jedrm 

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Richard Wagner fiber Parsifal. &£«?% ZJSSTS^S^ ZVL *Z 

gcataLh und alt erliuternden Anmerkungen veraehen von Edwin Lindner, Geneftei i M. t febundea 5 



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kaum oder nur ganz kurz vorWeihnachten 

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ist von aojrrofier besonderer Bedeutung* daft ihr etwaa Uwei tit ches anhaft' 
Bekkers Werk nidit c in, son d cm tcHlrchthtn d i a BeetW - 

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Diflitklik kctner von urn aJIcn, die wtr dtr Feder * 
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Bekkert ..Becthoverj" hedeutet den l\% ist rin hit: 

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„ w Tin* der BockofORter 

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A. GO EDI CUE, op. 21- KUvier-Oulntett 

S. IW. TAHEJEW, op 30 „ 

G. CATOIRE, op. 23- Streich Quartett 

H. RIMSKY-K0RS3AK0W, Slrekh Sextet! 

V1QL1HE UUP KLAVIER i 

9. I*. TANEJEW, op. 28, Kf»H2»rt Suite 
KLAlllER-AUSZOCEt 

A.SKRJABIH, op 60. Promotheat (2Iliv. 4 h.) 
I. STRAVINSKY, Pr-trtischka (BiHett, 4k) 
Le Sacreduprlntemp* ., 



H. MEDTNER, op 23 Vter lyriitho Frtfiiuflto 
op 25 No 1 o 2 Sonitrn 

op m 

op 27. 
A. SXR/ABIN, op 63 

<H* 64* 
op, 59. 
op 61. 
•p. 63 



Vltr Mrcnrn 
Sonata Ba Hade 
S«ehst« Sonata 
Slebofito Sonne 
7wf-i Ktavlftf* 
Poeme-Noctume 
DeuM Poemoi 



LIEOER FOR EINE StHGSTIMWE 
ual KLAVIERi 

G- CATOIRE, op 22. Six Paeiiei 

N. MJA5K0WSKY, Am GipiUui." DfilStOeae 

1. STRAVINSKY, Troti Poiili da li lyrtqia 

japomifo 
S. IV. TANEJEW, op. 33. Fflnf Gedichtn 
„ „ op 34- Sii»bon Gpdlcbtc 

Br. S.TOLSTOY, op 3 ZchriSchoUiiche Ueder 
0p.4.Sl*b*n 



IV 



Konzert Bureau EHIL GUTMAHH, Berlin 19 35 



0* in* bv H* 



Anna Erler-Schnaudt 

Herzogl. Meriting. KammersSngerin ; Altistin 



■agdeburger Generalart*ciga)ri Fran Erler-Schnaudt's prl&ntjgar Alt. ibre 
babe Sangesktinat und ihre ernste Auffit«tti| fandrn rtteke frcirdige Wflrffigung, 
Man scbmeletieJte ihr unJ dem Kom pants ten tchlieBlieb doch cine Wkdcr- 
holung ab. 

Magdcburger Z«itungi Nun trat der Gesang ku dem Orcticuter mil einer 
ecMcn Altatlmme, wle lie so aetten lit. Frtu ErJcr-Scnnaudt form re *An die 
Hoffnung* nil inren mflchtigcn Mitteln ?u slier mMiikallich-dtciiteriacbefi Elnljelt, 
die tfefen Elndruck hinttrliefc. Aucb die frlgenden Ueder fanden wkder in der 
Geiatigssolistin ein« firfifle, die Ihre taefanittcheit ScJvwiertgkeitfln batiegte uad ihre a 
Gehalt erg rQndete. Man wlrd den pempflsen KontrabaB-Kiang ihrer Stimm* so rasch 
nieht vergessen. 



Karl QJildbrunn 



Tenor 



Karl WUdbrunn erfreute durch eelne horrliche Tenarsirmme nil stark barilanafer 
FIrbung das Publifcum in ho hem Mi Be, so daft bedauert wurde, dafl er nur 
vler Gesinge mm beaten gcben feonnte; mit diesen enieite er einen un- 
bestrittenen Effolg. ScMackenfrei Kind wohfyabildet kommen seine Tone an unaer 
Ohr, und man viraimmt Schfinei In schflntter Osrbietung. Tonalldunf, Ktengfarbe, 
Textaueiprache and Vortrag ajnd bei dam Singer la prlchtlger Wefae verelnlg t und 
machen «eln Single lit einem relnen Genusae. 



Bertha Hanz 



Bay ritche StaavtHaitungi Bertlia Man/., wekhe bcretts vtderom, so auth in 
Berlin, recht atireavelle Erf alga crcielre, 1st aueh in den Spalten dteser Zeiiung 
action im gGnstigcn Sinnc genannt worden. Sk trug die Gesfinge mit feint torn 
Verat&ndnle und In toohem Grade imiBikaliach, mlt Geerhmack, Anmut und eehr feinem 
Empfmden vor. Brahms* ^Stlndcnen* t. B* war ein KabinetfistOck. 



laai-laao EHIL GUTMANN ml BERLIN (0 35 «"■"■"" 

Telegram me: Konxcrtgutmanrt — Telepbon: Unit Ltttzour 4047 und 4lt2, 



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esse der Musiker. — Wcrkverzeichnfsse auf Verlangent 



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von Ernst von Schuch und Giacomo Minkowski 

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Gesangliche und darstellerische Ausbildung Fur 
Oper und Konzert bis zur Qffentliehkeitsrdfe 



Prospekte und schrtftllche AuskunFre durch das S 

Dresden-A n Bergt 



VIJI 



t der Meiaterschule fifr Gesxng, 



NACHRICHTEN und ANZEIGEN zur JVIUSIK" XJII/6 



NEUE OPERN 

Francesco Malapierl: ^Canoasa*, das bei 
dem Operawettbewerb der Stadt Rom unter 
55 elngereichten Opcm mtt dem Preia aua- 
gezelcbnete Werk, wird Mitte Jinuar am 
Costanzl-Theater in Rom zur Uraufflihrung 
gelangen. 

Italo Montemcxii: w Die feme Prin* 
zessin*, Text uacb Edmond de Rostand's 
Scbaosplel glelchen Namena. 

Ignmtz WaghalUr: w Ma n d rago la a , komlsche 
Oper, nach der Komfidie Paul Egers, soil 
im nichsteo JHonat am Deutsche n Opernhaus 
in Chartottenburg Ihre UraulTuhning erleben. 

OPERNREPERTOIRE 

Frankfort a. 0+: Die Operette ,DIe Angst 
vor der Ebe 4 von E. N. von Reznlcek ging 
mm Stadttheater mit stark* m Erfolg in Szene, 

Lauchatadt: Die Festspiele im Juni 1014 
bringen — zur Erinncruog an aeincn 200. Ge- 
burtstag — Glucks B Orpheus* in eincr Neu- 
bearbeitung von Hermann Abert, « 

KONZERTE 

Berlin: Die Berliner Liedertafcl (Cbor- 
meister Max Wiedemann) unternimmt In det 
Zelt vom 22. Februar bjs 15. Mftrz 1914 eine 
Konzertreiae nach Agypten. Die Fahrt 
geht Gber Base] (Konzert Im Munater), Genua, 
Neapel nach Kairo. Dort atnd zwei Kon- 
zerte in der Oper dea Khedive und ein Garten* 
konzert vorgesehen. Die Ruckfabrt erfolg t 
aaf dem Lloyddampfer *Schleswi£* durcb d" 
Adrlatische Meer. In Venedtg und auf der 
Rtickreise in Muachen aind eben rails gcaang- 
liebe Veranstalrungen vorgesehen. An der 
Fahrt nehmen 300 Mttglleder tell, je xur 
HaJfte ausubende und ffirdernde. 

Dtteseldorf: Im Auastellungajahr 1915 wird in 
der zwelten Juniwoche ein Beethoven -Feat 
stattflnden. Es aind fltaf Abende zu volks- 
tumlichen Preisen vorgeaehen. 

Hof; Der Chorverein Liederkranz Hof ver- 
anstaltete Endc November eine Au Huh rung 
des Bruchschen „Lied von der Glocke*. Lei- 
tung: K, G- Scbarschmldt, So listen: Martha 
Schauer-Bcrgmami', Alma Schubert; Karl Lud- 
wig Lauenatetn; Max RothenbGcber. Or- 
cheater: Stadtmusik-Kapelle. Orgel; Adolf 
Kolb. 

TAGESCHRONIK 

Die *verschollene B Wagner-Partlrur. 

Von Herrn Dr. Edgar Istel wird unsge&chrieben: 

Ein musikaliscbea Ammenmlrchen von der bis- 

tier verachoHenen und nun wfeder glucklicb in 

Mottls NachlaB aufgefundenen Origin at partitur 

ler ersten Wagnerschen Oper j.DieHocbzeit" 

vurde den glftubigen Lesern einiger deutscher 

ttusikzeitungen aufeetiscnt und aucb prompt von 

jebr verbreiteten Tageazeitungen — sogar vom 

.Berliner TagebUtt* — nacfagedruckt. leb braucbe 

Jen Lesern der v Musik*» die meine ausfubrltehe 

Studio im 2. Mirzheft 1910 kennen, wobl nicbt erst 

tu veralchern, daB die Partitur nicbt verschollen 

«r, aondern woblbehutet beira Munchener 

Amlquar Ludwig Rosenthal rubte* und dad Felix 



HofltefftFUll 







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Bedeutende 

Orchester-Qerke 

aus dem 

Verlage von Ries & Erler in Berlin W 1 5. 

Walter Braunf els, Op. 20. „Serenade" 

fflr kleines Orchester. 

— Op. 22. Carneval8-0uvert0re zu E. T. A. 
Hoffmanns „Prinzessin Brambilla", fQr 
groOes Orchester. 

Siegmund von Hausegger, „Barba- 

ro88a." Symphonische Dichtung in drei 
S&tzen, fflr groDes Orchester. 

— Dionysische Phantasie. Symphonische 
Dichtung, fflr groOes Orchester. 

— „Wieland der Schmied." Symphonische 
Dichtung, fflr groQes Orchester. 

Hans Pfitzner, Op. 17. OuvertQre zu 
Kleist'8 K&thcben von Heilbronn. 

— Op. 20. OuvertOre zu „Das Christ-Elfleln". 

Weihnachtsmlrchen. 

Geerg Schumann, Op. 54. „Leben8- 
freude", OuvertQre fQr groOes Orchester. 

Die Preise des AuffGhrungsmaterials 
unterliegen besonderer Vereinbarung. 




Officier der franzosischen Akademie I 
der schonen Kiinste, 
Dozent der Musikasthetik an der 
Berliner Humboldtakademie. 

Heue Adresse : 

Bcrlln-Wllmersilorf , aiwKt mrw n 

Telephon: Amt Pfalzburg 686. 

HarmoDlelehre * Kontraponkt • Komposition 

Instrumentation. 

VorUereitung zum musiholischen 
=== Doktorat. = 

Fur Auswartige: 
Korrektur von Kompositionen. 



Mottl der Letzte gewesen w3re, der 20000 Mk. 
fur dies Manuskript hatte ausgeben wollen und 
konnen. Der einzige Umstand, der den Namen 
des beruhmten Dirigenten mit der Partitur ver- 
knupft, ist die Versteigerung des Werkes zu- 
sammen mit einigen im Nachlali von Mottl ge- 
fundenen anderen Dingen. 

Wagnerian a. (Eine Wagner - Reliquie; 
Wagnerfreie Programme.) Es wird uns aus Buda- 
pest geschrieben: Da man heutzutage alte Hute 
ersteht, die Wagner getragen, und Taschentucher 
sammelt, die der Meister benutzt hat, mochte 
ich mir erlauben, auf eine nicht ganz wertlose 
Reliquie hinzuweisen, die es wert w§re, daG 
man sie fur das Wagner-Museum in Eisenach 
erwirbt, bevor sie der Vergessenheit an- 
heimfallt. Als ich beuer einen Besuch auf dem 
„Grunen Hugel" in der ehemaligen Villa Wesen- 
donk in Zurich machte, fuhrte mich die gegen- 
w&rtige Besitzerin, Frau Rieter-Bodmer, liebens- 
wurdig durch die geweihten Raume des Hauses, 
wo Wagner bei dem Ehepaar Wesendonk gluck- 
liche Stunden verbrachte, wo er im Jahre 1855 mit 
Liszt dessen 44. Geburtstag feierte und in 
der akustisch gunstigen Vorhalle durch ein 
kleines Orchester mit Beethovenschen Stucken 

der Villa die musikalische Weihe gab (1858) 

Am Ende des Besuches bemerkte die nicht zur 
Wagner-Gemeinde z&hlende Dame, daB sich noch 
ein Schreibpult, das Wagner benutzte, auf dem 

— Dachboden befinde.. Das Stuck, aus der Zeit 
seines Schweizer Aufenthaltes stammend, auf 
dem die Hand des Meisters gerubt und er viel- 
leicht mit der goldenen Feder geschrieben, die 
er durch seine Freundin Mathilde erhielt, ware 
wahrlich wert, dem unwurdigen Dasein, obgleich 
an historischer Statte, entrissen zu werden. Die 
Besitzerin war nicht abgeneigt, die Reliquie zu- 
gunsten eines wohltStigen Zweckes zu entauBern. 

— Die wagnerfreundliche Schweiz, die heuer die 
erste „Parsifal a -Auffuhrung deutscher Zunge 
herausbrachte, bot mir in dem nabeliegenden 
Bern folgende Uberraschung. Im w Berner 
Fremdenblatt" vom 12. Juli dieses Jahres fand 
ich die auf das Repertoire der Gartenmusik am 
Schanzli beziigliche Anzeige: „Auf Reklamationen 
mehrerer Anti-Wagnerianer teilt die Konzert- 
direktion mit, dafi nun bis auf weiteres wagner- 
freie Programme zur Auffuhrung gelangen, wor- 
auf die Freunde reiner Unterhaltungsmusik 
aufmerksam gemacht werden." Also geschehen 
im Wagner-Zentenarjahr 1913. 

Vergessene Kompositionen Richard 
Wagners zu Goethes „Faust*. Derl.Januar 
1914 wird nicht nur eine Flut von Auffuhrungen 
und Neuausgaben des „Parsifal* und der anderen 
zehn Musikdramen Richard Wagners mit sich 
bringen, sondern auch jene Werke aus fruher 
Jugendzeit ans Licht schaffen, die bisher in den 
Archiven der Verleger vergraben waren. So 
werden, wiegemeldetwird, Kompositionen Richard 
Wagners zu Goethes „Faust" im Januar er- 
scheinen, die er in der PariserZeit komponierte. 
Es ist bekannt, dafi sich Richard Wagner in 
seiner Pariser Zeit so intensiv mit Goethes 
„Faust a beschaftigte, dafi er den Gedanken einer 
grofien „Faust a -Symphonie faBte, von der freilich 
nur ein jetzt als „Eine Faustouverture* 4 bekannt 
gewordener Satz vollendet wurde. Weniger be- 
kannt diirfte dagegen sein, dafl der junge Meister 
II 



D'::j"«i,-'L 






Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



daraals auch einige GesSnge aus „Faust* in 
Musik setzte: die Lieder des Meptaisto „Es war 
einmal ein Konig" und das Standchen, und 
Branders Lied von der w Ratt' im Kellerloch 44 . 
Diese Lieder lassen in der Scharfe der Dekla 
mation den spateren Dramatiker erkennen; die 
Begleitung ist mandolinenhaftgehalten, geht aber 
doch durch ausfuhrlichere Harmonisierung fiber 
die Moglichkeiten dieses Instruments hinaus, 
und sie sind von einer Keckheit derStimmung, 
die sehr in Widerspruch zu der Trostlosigkeit 
seiner damaligen Lage steht. 

Vorbereitungen zum Gluck-Jubilaum. 
Schon jetzt werden fur die 200jahrige Jubelfeier 
von Clucks Geburtstag am 2. Juli 1914 umfang- 
reiche Vorbereitungen getroffen. Einen besonders 
groBartigen Zuschnitt wird die Ehrung in Paris 
aufweisen, wo ja der deutsche Meister 1773 bis 
1775, sowie 1777 weilte und „Orpheus a , „Alceste a , 
„Armida a , namentlich aber seine „Ipbigenie in 
Aulis" zur Auffuhrung brachte. In der musi- 
kaliscben Kaiserstadt Wien, in der Gluck als 
Kapellmeister am kaiserlichen Hoftheater seit 
1748 einen 25 jahrigen, nur zeitweise durch Reisen 
unterbrochenen Aufenthalt nahm und seit 1779 
seinen standigen Ruhesitz bis zu seinem Tode 
batte, plant man, dem hervorragenden Refor- 
mator der Oper ein wurdiges Denkmal zu er- 
richten, zu dem am 2. Juli 1914 der Grundstein 
gelegt werden soil; an der Spitze des vorbereiten- 
den Komitees steht Karl Goldmark. 

Aus dem Leben einer groBen Ge- 
sangspadagogin. Manuel Garcia, Pauline 
Viardot, Mathilde Marchesi — nun ist auch die 
Letzte dieses weltberuhmten Dreigestirns am 
Gesangshimmel dahingegangen, die Frankfurter 
Patriziertochter, die als Signora Marchesi neben 
dem vor siebenjahren verstorbenen Manuel Garcia 
den Ruhm genofi, als die groftte Gesangsmeisterin 
der Welt zu gelten. 87 Lebensjahre lagen hinter 
ihr, als sie jetzt, in dem Londoner Heim ihrer 
Tochter Blanche, dem Rufe des Todes folgte, 
87 Jahre, von denen sieben Jahrzehnte eine 
luckenlose Kette unermudlicher aufopfernder 
Arbeit und reicher groBer Erfolge wurden. Dem 
jungen Frankfurter MSdchen, der kleinen Tochter 
des reichen Kaufmannesjohann Friedrich Grau- 
mann, war es nicht an der Wiege gesungen 
worden, dafl sie dereinst ihre liebste Freude, ihre 
Neigung zur Musik, zu ihrem Lebenserwerb 
machen muBte. Aber Mathilde Graumann zllhlte 
kaum 17 Lenze, als das Schicksal mit rauher und 
doch im letzten Ende wohlmeinender Hand in 
ihr Leben eingriff. Ihr Vater verlor durch un- 
gluckliche Spekulationen sein Vermogen, und 
eines schonen Morgens muBte das verwohnte, in 
Sorglosigkeit erzogene junge Madel der Not- 
wendigkeit ins Auge sehen, sich selbst sein Da- 
sein zu zimmern. Die schonen Tage, die sie in 
der Frankfurter Oper in der Loge der Rothschilds 
oder im Konzertsaal Musik genoB und die groBten 
Kunstler ihrer Zeit horen durfte, waren voruber. 
Es lag nahe genug, daB sie, das ungewohnlich 
musikalische Geschopf und die gluckliche Be- 
sitzerin einer bezaubernden Stimme, zuerst daran 
dachte, die Musik und den Gesang zu ihrem 
Berufe zu machen, aber die Angehorigen straubten 
sich gegen den Gedanken, ein Mitglied der alt- 
angesehenen Frankfurter Patrizierfamilie fur Geld 
in der Offentlichkeit singen zu horen, und so 



» ii^— im— nil— im— im— im— nn< 



8 



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entstand der Plan, sie nich Wieo, zu rhren Tanten, 
zu scbicken, wo ste bleiben eollte, bis sicb in 
irgenrfeiner vomchmen dsterreicbiscben Familie 
vfelleichr cine passende Stelle als Gesellschaftcrin 
oder Erzieberin gefunden haben wurde, Aber man 
ermSglichte es Matbilde docb, ibrc muslkalincben 
Studlen dabei fortzusetzen. Ktin G cringe re r at« 
Otto Nicolal, damals bescbeldener Kapellmeister 
am Klrnlnertor- Theater, ward ihr Lefarcr, und 
Im Fruhjahr 1844 trat der musikalische Sch5pfcr 
der „Lustigen Weiber von Windsor* an seino 
SchQIerta mit dem Vorschleg beran, seine Lebens* 
geflhrtin zu werden* Matbilde lehnte ab, kehrte 
nacb Frankfurt zurGck, und nun gelang ea ibr, 
von den El tern die Erlaubnis zu erwirkco, in 
Paris bei Garcia Ibre gesangliche Erzlchung 
zu vollenden. Nur das Geld fehltc; es durcb 
eigene Arbeit zu crobern, war Ibr Entscblull und 
ihr Ztel, Sie begann Ges&ngstunden zu ceben, 
debuticrte crrolgreicb in cinem Komerte, das die 
Bruder Helimesberger gaben, Felix Mendelssohn 
wurde auf sie aufmerksam, aorgte, daB sie za dem 
NiederrheiniscbenMusikfestEmMaHd45engagiert 
wurde, er selbst studiertc mlt ihr ihre Rollen; und 
nun war das Eis gebrochen. in kurzer Zeit hatte 
sie genug erspart, urn die Obereiedelung nacb 
Paris wagen zu ktinnen. Garcia war entzuckt von 
der ungewGbnllchen Begabung seiner neuen 
Schfilerin, und Matbilde war kaum 21, als der 
Meister sie zu seiner Vertreterln best elite, Was 
fo1gt t geb5rtderMusikgeschicbtean:ihreTriuii]phe 
auf dem K on zert podium und ihre noch grfDeren 
und bedeutungsvolleren Triumphe als Pldagogin 
der GesangskunsL Batd wurde Mathilde, die 
durch Ibre Ebe mlt dem Bariton March eft i aus 
einem Frlulein Graumann zur Signora Marches! 

geworden war, die beste Freuntiin und zugleich 
die gr5Qte Rival in von Pauline Viardot. In 
London* in Wieu, in KflJo nnd schlie&lich in 
Paris ward sie Fuhrerin und Mittelpunkt eines 
Kref&es begeisterter Schulerlnnen, und alle, di« 
durch sie den V eg zur Beruhmtheit fanden, be- 
trauern nicbt nur die Kunstlerin und die Lebrerin, 
aondern aucb einen seitenen, groQangelegteo 
Menschen. 

Versteigerung von Musiker-Auto- 
grapben. Aug London wird berichtet: Auf der 
kurzlich bei Sotheby abgebaltenen Versteigerung 
von Handschrlften beruhmter Musiker erzieiten 
einige Stucke ungew^bnHcb bofae Prelse. Die 
hochste Ebrung brachte die Welt der Autograpben- 
sammler dem Andenken G lucks dar: ^xr eln 
drei Folio&eiten umTassendes Manuskript, das 
sua Vien vom 31. Dezember 1769 datiert ist, 
wurden 4400 Mk. bezablt. Etn einseiiiger Brier 
Scbuberta erzielte 1000 Mk n eine Seite von 
Bach 500 und vier Seiten von Beethoven 
900 Mk. Dagegen zahlte der Liebbaber eines 
Briefea von Gounod an Auber nur 15 Mk. Eln 
Schretben von Mendelssohn, das von einem 
Musikfest bandelt und sich mit der Frage be- 
sch&ftigt, nb aucb die Orgel verwendet werden 
kdnne, wurde mit 160 Mk. bezablr, und das 
Originalmanuskript von Meyerbeers Lied v Der 
Garten des Hercens* eriielte 168 Mk. Fur einen 
Brief von Bizet an Fontenay t in dem der 
Schfipfer der ^Carmen" einen v pracbtroIlen 
Tenor* einfuhrt, legte ein Sammler 20 Mk, an, 
und cbensovie) erzielte ein an Monaldi ge- 
ricbteter Brief Mascigni's, Drei St it en 



IV 






Onqinal from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Gustav Bosse Verlag, Regensburg. 



Soeben erschien: 



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Zehn Jahre in Anhalt. 

Gesammelte Aufsatze aus Erlebnissen, Anregungen und Studien 



von 



Arthur Seidl. 



Lexikon-Format, VIII und 736 Seiten. Von diesem Buche wurden 150 Exemplare mtt der 

Ingeborg-Antiqua nach Entwurf von Prof. F. W. Kleukens-Darmstadt auf feinem Hadern- 

papier in Schwarz, Gold und Blau gedruckt, mit dem Bilde Herzogs Fried rich II. von 

Anhalt in Mattdruck und mit ausgemalten Initialen geschmuckt. 

Preis : 

fur das in Japankarton broschierte Expemplar M. 30. — , 

fur das mit der Hand in Halbpergament gebundene Exemplar M. 45.—. 



Chopin's, an seinen Verleger gerichtet, mit 
einigen Passagen aus seiner ^Tarantella", wurden 
auf 400 Mk. bewertet. Das Originalmanuskript 
von Sir Edward Elgar's „Cockaigne", das 
1 10 Seiten umfaftt, faod fiir 380 Mk. einen Lieb- 
haber, und ein vier Seiten Janger Brief von 
Anhur Sullivan wurde von einem Sammler fur 
40 Mk. erstanden. — Im Antiquariat von Leo 
Liepmannssohn in Berlin wurden Ende 
November Musiker-Manuskripte aus dem Besitz 
des Barons Andre* Caccamisi-Marchesi versteigert. 
Ein vollstandiges Musikmanuskript von Beet- 
hovens „Quartetto No. II**, von der Hand eines 
Kopisten geschrieben, aber mit eigenhandiger 
Widmung des Komponisten, kam auf 1900 Mk. 
zu stehen. Es war die bisher unveroffentlichte, 
ursprungliche Fassung von Beethovens Streich- 
quartett op. 18 No. 1, die er seinem Freunde 
Karl Ferdinand Amenda gelegentlich dessen 
Aufenthaltes in Wien, wahrscheinlich bei der 
Trennung, schenkte. Die eigenhandige Widmung 
des Komponisten am Kopfe der ersten Geigen- 
stimme lautet: „Lieber Amenda! Nimm dieses 
Quartett als ein kleines Denkmal unserer 
Freundschaft. So oft Du Dir es vorspielst, 
erinnere dich unserer durchlebten Tage, wie 
innig gut Dir war und immer sein wird Dein 
wahrer und warmer Freund Ludwig van Beet- 
hoven. Wien, 1799, am 25. Juni." Ein Skizzen- 
blatt mit Noten zu einem Beetbovenschen 
„Kanon" und bandschriftlichen Bemerkungen 
von der Hand des grofien Tonsetzers wurde 
mit 750 Mk. und ein anderes Notenmanuskript 
von Beethovens Hand, bezeichnet als „Sinfonia" 



und „Rondo", mit 525 Mk. , bezahlt. Fernery 
wurde ein aus dem Anfang des Jahres 1812 
stammendes Skizzenblatt desselben Kunstlers 
mit Entwiirfen zur Siebenten Sympbonie und 
zu den „Ruinen von Athen" fiir 380 Mk. verkauft. 

Der Heilige Synod und der „Parsifal". 
Die oberste kirchliche Behorde Rufilands, der 
Heilige Synod, der sich mit aller Entschieden- 
heit gegen eine Auffuhrung des ^Parsifal" in 
Petersburg gewandt und das Werk fiir RufJland 
verboten hatte, wird nun doch nachgeben miissen. 
Wie der „Guide Musical" mitteilt, hat der Zar 
selbst Einspruch erhoben und den Heiligen Synod 
veranlafit, seine Entscheidung zuruckzunehmen. 
Die heftigen Verfolgungen des Wagnerschen 
Weihefestspieles sind verstummt, und „Parsifal" 
wird in Petersburg sogar zwei Darstellungen er- 
leben. Das Werk soil im Volkshaustheater und 
im Operntheater aufgefiihrt werden. 

Schubert- Geden ktafel in Wien. Am 
19. November, dem 85. Todestage Franz Schuberts, 
wurde eine vom Wiener Mannergesangverein er- 
richtete Gedenktafel am Hause No. 3 der S3ulen- 
gasse im 9. Bezirk, in dem Schubert vom Jahre 
1801 an mehrere Jahre gewohnt hat, enthullt. 

Ernennungen und A u szeich n u ngen. 
Dem Kapellmeister des Stadtischen Orchesters 
in Nordhausen a. H. Gustav Muller ist der 
Titel KoniglicherMusikdirektor verliehen worden. 
— Eugdne Ysaye wurde vom Konig von Belgien 
zum Hofkapellmeiser ernannt. — Eugen d 'Al be rt 
hat vom GroCherzog von Oldenburg den Titel 
Hofrat erhalten. — Der Kaiser von Osterreich 
hat dem in London lebenden Pianisten Richard 



D'::j"«i,-'L 






Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Nenigkeiten aus dem Verlag von 

MaxBrockhaus in Leipzig: 

i. Die Braut 
von Corinth 

(Goethe) fiir Deklamation mit durch- 
gehender Klavierbegleitung von 

Max Steinitzer 

3 Mark. 

2. Passacaglia 
und Fuge 

im vierfachen Kontrapunkt fiir Streich- 
quartett von 

Bernhard Sekles, op. 23 

Kleine Partitur 50 Pf. n. 
Stimmen 4 Mark n. 

Anfftthrungen in Frankfort, Berlin, 
Leipzig und Dresden im Januar. — 

Sekles' neuestes Werk wird Von alien 
Quartettvereinigungen freudigst begriifit 
werden; der kurzen Spieldauer (1 1 Min.) 
wegen wird sich leicht ein Platz daftir 
in den Programmen finden lassen. 



Leo Llepmannssolin, Antiqaariat 
Berlin SB, Bernburserstr. 14. 

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Autographen 

Muslker: Wertvolle Briefe und Manuskripte 
von Beethoven, Berlioz, Chopin, Graun, Haydn, 
Liszt, Ldwe, Mendelssohn, Paganlnl, Rossini, 
Spohr, Verdi, Wagner, Weber. AuOerdem: Die 
Freiheltskriege und das napolconische Zeitalter. — 
Historische Autographen: Fiirsien, Staatsmanner, 
Militars, Politiker, Sozialistcn, Geistliche Wurden- 
tniger. — Deutsche und auslandische Schriftsteller: 
Dichter, Philosophen, Gelehrte und Naturforscher. — 
Bildende Kunstler und Schauspielcr. — Stammbucber. 
(774 Nummern, darunter groGc Seltenhelten.) 

Katalog mit Faksimiles gratis und franko. 



Epstein das Ritterkreuz desFranz-Josefs-Ordens 
verliehen. 

TOTENSCHAU 

Am 18. November f in London, 87 Jahre alt, 
Mathilde Marchesi, die hervorragendste und 
beruhmteste Gesanglehrerin des vorigen Jahr- 
hunderts. Zu ihren Schulerinnen geboren u. a.: 
Gabrielle KrauB, Zelia Trebelli, Emma Nevada, 
Klementine Schuch-Proska, Antoinette Sterling, 
Etelka Gerster, Rosa Papier, Emma Calve\ 
Nelli Melba, Emma Eames, Sybil Sanderson. 
(Vgl. die Notiz „Aus dem Leben einer groOen 
Gesangspadagogin" in der Tagescbronik.) 

Am 27. November f in Bonn, im Alter von 
64 Jahren, der bekannte Bach- und Beethoven- 
Forscber Dr. Erich Prieger. Der Verstorbene 
hat sich durch verschiedene Veroffentlichungen, 
u. a. fiber die Lukaspassion von Bach, einen 
angesehenen Namen als Musikschriftsreller 
erworben. Durch sein opferwilliges Eintreten 
rettete er im Jahre 1897 die groBe zum Ver- 
kauf stehende Autographensammlung Artaria 
fur Deutschland. Einem warmherzigen Nachruf 
Marie v. Bulows in der „Frankf. Ztg.* ent- 
nehmen wir das Folgende: „Er *rar ein Aufspurer 
mehr als ein Sammler grotter Manuskripte von 
eminenter Bedeutung; mit seinem Namen ist die 
Geschichte der Handschriften von Beethovens 
Pastorale und der Neunten verknupft: beide 
Werke hat er rechtzeitig unter groften Mfihen 
und unter Aufgebot eines Vermogens fur Deutsch- 
land zu sichern gewuBt, indem er sie personlich 
kaufte, als fur uns die Gefahr bestand, diese 
nationalen Kostbarkeiten an England und Amerika 
zu verlieren. Ein Idealist vom reinsten Wasser, 
hatte er dabei keinerlei personliche Nebenab- 
sichten; Ehrfurcht und Liebe fur die Meister 
waren seine einzige Triebfeder. Diese allein 
bewog denvollkommenunabhSngigen Mann, seine 
Kraft und Begabung auf diese Weise in den 
Dienst der Musen zu stellen. So entstand in 
jahrzehntelanger, muhevoller Arbeit zunachst 
durch die Beschaffung verstreuter Blatter und 
dannderen Durcharbeitung, endloses Vergleichen, 
Prufen eine Wiederherstellung der verschollenen 
Partitur von Beethovens erster Fassung des 
,Fidelio', als ,Leonore* im November 1805 in drei 
Auffuhrungen ,zu Grabe getragen 4 und nach 100 
Jahren an der Berliner Kgl. Oper nach Priegers 
Partitur wieder zu Gehor gebracht. Nur Fach- 
genossen und Kenner der oft unentzifferbaren 
Beethovenschen Handschriften wie der Ge- 
schichte des Werkes — ein wahres Schmerzens- 
kind seines Schopfers — konnen ermessen, was 
solches Unternehmen zu bedeuten hatte. . . .* 
„Aber nicht nur Werken der Alten, langst Ge- 
storbenen erwies er solche Liebesdienste, seine 
tatkraftige Hilfe gait ebensosehr den Lebenden; 
junge unbekannte Kunstler wurden unterstutzt, 
geleitet, Fuhlung mit ihnen behalten, ihre Werke, 
wenn hoffnungsreich, gedruckt, sie wurden in 
Schutz genommen vor Ausbeutung durch ge- 
schaftsmaBig vorgehende Arbeitgeber Oder ehr- 
geizige Streber. . .* 



SchluB des redaktionellen Teils 

Verantwortlich: Willy Renz, SchOneberg 



VI 



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B Der EvaugeHrotun 11 , Opcr von Wilbelm 
Klenzl, erlebte im 23* November die 100. Auf- 
f&hruitg am Hamburger Stndttbeater. 

Helnrtcb Z5 liners Dritte Sym phonic (»Tm 
Hochgebirge") bat direkt nach der Kolner Ur- 
auffubnmg nttnmebr such la Osterreicb, und 
Ewar am 23. November la Unz a. D. unter 
August Gollerlcfaa Leitung dnen gro&en Erfolg 
emingefi. 

Der ausgezefchnete Gelger Robert Politic 
aus Geaf bat im vorigea Monat dne uberaus 
erfolgreicbe Konzerttonrnee durcb Kan ad a 
beendet 

Der Junge boebbegabte Pianist Ernst von 
Lengyel absolviert zutzeit eln Tournee durcb 
die Hauptstidte [(aliens und batte in Malland^ 
Genua, Bologna usw. groGe kunsderlscbe Erfolge 
in verzeiebneu. 

Palms von Pasztbory, die bekannte 
Gefgerln, bat kiirzHcb in cineni Abonnements- 
konzertunter MusikdirektorHammacbers Leitung 
in Trier mlt Mozart und Bacb einen durcb- 
acblagenden Erfolg erzielt. 

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einen Kunatsalon eingerlcbtet der ausscbliefl- 
lich GetnlldCj Bilder, Photos, Bnaten, Statuettes, 
Plaketten uaw, musikaliscber Beriihmtbeitcn 
zeigt. Der Salon, elnzig suf dleaem Spezlai- 
geblete tn Berlin, bletet auflerdem mrzeit eine 
AaastellungwertvoNer Originate von Mrs. Barron, 



Willi Bitborn, M, van Eykeu, Ft mm, Herbert 
GBtx, Max Scbdlboru, Weimar u* a. Der sotbeu 
erscbLenene relchbaltig Hluatrlerte Katalog wird 
auf Wunacb koatenlos zugesaodL 



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Sinding: Berceuse — Sjogren: Phantasie- 
stuck — Wieniawski: Legende — Fini 
Henriques: Religioso, Andante — Novacek: 
BulgarischerTanz Nr.5 — Raff: Cavatina. 
II. Tschaikowsky: S^r^nade melancolique — 
Fini Henriques: Muckentanz — Novacek: 
Dudelsack — Sinding: Alte Weise — 
Vieuxtemps: Reverie —J. M.Weber: Marsch 
aus „Miniatursuite a — Halvorsen: Fete 
nuptiale rustique. 
III. Sinding: Fete — Sinigaglia: Intermezzo — 
Sauret: Nocturne — Halvorsen: Elegie — 
Jean Meyer: Mazurek de Salon — Novacek: 
Bulgarischer Tanz Nr. 8. 



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Wagner und 
die Tierwelt 

geh. I Mk., geb. 2 Mk. 



Das KoiiimtBifii 



Kchnlo der jcesamt. MiiMlk- 
tlicorlo. Lehrmetho<ie Ru*tin 
Wissenschaftl. Unterrichtsbriefe 
verb, mit brieil. Fernunterricht. 
Redigiert von Prof. C. Ilzlg. 
Dsm Work bletet das gesamte 
ruusiktheoretischeWissen, dat an 
einem Konservatorium gelehrt 
wird. so dass jeder praktiach 
Musiktreibende aich die Kennt- 
nisse anoignen kann, die zu einer 
hSheren musikal. TUtigkeit und 
zum vollen kiinstlerischen Ver- 
st&ndnis grosserer Musikwerke, 
wie auch zum Komponieren, 
Instrumentieren, Partiturlesen, 
Dirigieren bef&higen. 
54 Llolcrunjfon a 00 PI. 
Bequeme monati. Teilzahltingen. 
Aiii»lcbtnncnduiij?en oline 
liaulzwang- bereitwllllgMt. 
GIUdz. Erfolge. — Begclatcrte 
DankMolirelben towle aus- 
Ittbrllcbe Pronpekte gratia. 



Bonness & Hachfeld, 

Potsdam, Postfach 76. 

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Phanomenale Bearbeitung der 
weltberiihmten RAFF'schen 

CAVATINE 

flirrip^5ina mitobligaterVioline 
1UI VJCCZxIUg und Klavier- (oder 

Orgel-)Begleitung zum Konzertvortrag 

bearbeitet von J. J. NOVOTNY. 


Im Xenien-Perlag zu Eeipzig 

nx Itleinad)^iDels: 

Cine 
BaptcutJ) f aJjrt 

Oejeftet: m. 2.- 6ebunden: m. 3.— 


EDITION M.U. 2- M. 

Dicse geniale Kombination der menschlichen Stimme mit 
der Violinc, wo die grofiartige Melodic hier miteinandcr 
wcchselt, sich wieder zu einem machtigen Aufschwung 
emporhebt, und der Effekr durch die ergreifenden Worte 
noch unterstutzt wird, wlrkt unbescbreibbar. Solche ge- 
diegene, wertvolle und dabei im boehsten Grade dankbarc 
Vortragsnummer ist seit dem Gounodschen ,Ave Maria* 4 
nicht am Musikalienmarkte erschienen. Eignet sich gleich- 
falls furs Konzertpodium wie fur Kirchenfcste. 

Zu beziehen durch alle Musikalienhandlungen 

Gegen Voreinsendung des Betrages libersendel 

Kammer-Musikalienhandlung 

Mojmir Urbanek in Prag 

Konzertsaal „MOZARTEUM u 


^\as Bum ID fine Sammlung con Driefru fines Baqreutb* 
1 1 pllgers, der mu frobem mute und marmem herzen 
Kr zum Ring des ntbelunnen nam der feftTpteWadt Qf< 
fahren ID und der fernen 6eltebten allrs, mas cr flebt 
und Ddrt, denKt und fuijlt, mtttetlt. 2ugletm tn das Bum 
elne CinfUbrung tn Rlmard DJagnrrs IDerK. Ketne oblrKtio* 
mllTensmdftlime Crorterung. fondern eln fubleKttoer Bus* 
dru& oon Cmpflndungen. Durm frine poetlfcbe Beflaltuny 
rolrd der Stoflf lebendtg geraamt, und eln boher dimtfrtfmer 
Relz Itegt in dem IneinanderKltngen und Oerfmlungensein 
zmeler madniger Seelenbrroegungen, einer berzltmen llebr 
und rlner itefen CrgrifTenbelt durm das IDerk fines groBen 

marines. 
In fmliiftifr, uornebmer form bleten dlefe Brtefe frlne, 
klare, Uebensmtlrdlge Randbr mrrKungen zu Rlmard IDagnrrs 
Rlno-feflfplel. Cdjter Danrrutber 6eift durtbroebt diese 
Berimte der iDunderoollfn Pllgerfabrt. Cln bum ooll lauterer 
hrrzlttbhrlt, dem aum fernerflebfnde, denen zu den ruelbf' 
nunden tn die fenfPteMadt zu pilgern ntmt oergdnnt 1(1, 
Ibr Intereffe nldjt oerfagen Kdnnen. 6eW' und gemtitsrelme 
Scbildrrungen, getautbt In die lufi und laune gebobener 
fenfpleintmmung! 


1 1 CTT Ml* vt J U L. K APP 

■■■^^^^H ■ Dritte Auflage geb. Mk. 7.50 



IK 



D'::j"«i,-'L 



C iOoqIc 



Original from 
UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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Die Musik seit 
Richard Wagner 



Von 

WALTER NIEMANN 

Geheftet 5 M., gebunden 6 M. 



Per Biicherwurm bringt folgende Kritik: 

„Ein ausgezeichnetes Orientie- 
rungsbuoh fur alle, die sich ein 
Bild von der musikalischen Ent- 
wioklung seit derRomantik machen 
wollen. Bemerkenswert ist die 
seltene Vollstandigkeit des mit 
staunenswertem Wissen zusammen- 
getragenen Materials und die 
Klarlegung der allgemein kultu- 
rellen Zusammenhange . " 



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Soeben erschien die 4. Auflage 

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Schuster &Loeff ler, Berlin W 



^ : 



mil 



r< i iiiitiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiittiiiiiititiiiiiitiiiiiiiiitiiitiiiiiiiiiiiiiiiiffiiiiiiitiititiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiBiiifffltiiiitir^ 

X 



( , t.vnL'- Ongina from 

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D A (~* I_J Biographic von Andre 
I-Jj-Vwl 1 Pirro. Herausgegeben von Dr. 
Bernhard Engelke. Mit 40 Bildern. Geheftet 
5 M., gebunden 6 M. 

„Eines der vortrefflichsten Bach - Biicher 
unserer Zeit." Wicsbadener Tagblatt. 

BEETHOVEN ^T^VS 

S c h i n d 1 e r. Neudruck mit Erganzungen 
und Erlauterungen von Dr. Alfr. Chr. Ka- 
lischer. Mit 5 Bildern. Geheftet 12 M., 
gebunden 14 M. 

„SchindIers Biographie wird audi weiterhin 
die Grundlage der Beethoven - Forschung 
bleiben, etwas vom Geist Beethovens spridit 
daraus; sie ist von unschatzbarem Wert." 

Badische Neueste Nachrichten. 

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Wilhelm von Lenz. Neudruck des I.Teils: 
Das Leben des Meisters, herausgegeben von 
Dr. Alfr. Chr. Kalischer. Geheftet 4 M., 
gebunden 5 M. 

M Das geniale, phantasievolle Buch zeichnet 
sich durch tiefstes Eindringen in den Geist 
Beethovens aus." National-Zeitung. 

BEETHOVEN™;::;^ 

trage zur Geschichte des Kiinstlers und Men- 
schen in vier Banden von Dr. Alfr. Chr. 
Kalischer. Mit 7 Bildern. Geheftet je 
5 M., gebunden je 6 M. 

„Jeder dieser vier bedeutungsschweren 
Bande ist eine unschatzbare Fundgrube." 

Deutsche Weihnacht. 

RRAHMS Biographie von J. A. 
DI\/AniVlO Fuller. Maitland. 
Deutsche Ausgabe von A. W. Sturm Mit 
150 Bildern. 4. Auflage. Geheftet 4 M., ge- 
bunden 5 M. 

„Der erfahrene Musiker und kenntnisreiche 
Historiker gab ein Buch von ruhigster Sach- 
Iichkeit." Allgemeine Zeitung. 



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L,10Z^1 KaoD. Mit 



e von Dr. Julius 
pp. Mit 109 Bildern. 3. Auf- 
lage. Geheftet 6 M., gebunden 7.50 M. 

„Nicht eine, sondern die Liszt-Biographie, 
auf die wir alle langst warteten." 

Breslauer Zeitung. 



Mn7ADT Brevier von Fried- 

mKj£*/-\]\i rich Kerst Mit 7BiU 

dern. 2. Auflage. Geheftet 3 M. f gebunden 4 M. 
„Der ganze sonnige Zauber, der uns aus 
Mozarts Musik entgegenweht, liegt auch iiber 
seinen Worten, die uns zur klaren Erkenntnis 
seiner Personlichkeit dienen." 

Berliner Neueste Nachrichten. 

SCHUMANNS.'d"iV.S 

Mit 8 Bilden. Geheftet 3 M., gebunden 4 M. 

„Der Musiker mufi das Buch lesen und 

immer wieder lesen, denn hier ist alles einzig 

in seiner Art." Der Tag. 

QTP ATTQQ Biographie von Dr. 
OII\/AUOJ Max Steinitzer. Mit 
56 Bildern. 4. Auflage. Geheftet 5 M., ge- 
bunden 6 M. 

„Eine ungemein fesselnde Biographie, die 
auf einer hohen Wertstufe steht ! Ausstattung 
und Illustrationen sind erstklassig." 

Breslauer Zeitung. 

WAfiNFR Biographie von Dr. 
W/-\VJ1NCI\ Julius Kapp. Mit 120 
Bildern. 10. Auflage. Geh. 5 M., geb. 6 M. 
„Ein Werk, das an Wohlfeilheit und Voll- 
standigkeit alle bisherigen Biographien iiber- 
trifft. Ein Meisterwerk." 

Berliner Tageblatt. 



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phie von Dr. Julius Kapp. Mit 40 
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6. Auflage. Geheftet 3 M., gebunden 4 M. 
„Ein ausgezeichnetes, mit grower Sorgfalt 
und in elegantem Stil geschriebenes Buch." 

Die Musik. 



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Georg Kaiser. Mit einem rortrat. Ge- 
heftet 12 M., gebunden 14 M. 

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Publikationen der Neuzeit." Der Tag. 

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WWL.r Decsey. Mit 70 Bildern. Ge- 
heftet 12 M., gebunden 14 M. Auch in vier 
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„Schlechthin die klassische Biographie 
Hugo Wolfs." Munchener Post. 



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Berlin SW. Gegrundet 1850. Bernburgerstr. 22a— 23. 

Zweiganstalts Charlottenburg, Kantstrasse 8 — 9. 

Frequenz im Schuljahr 1910/1911: 1319 SchQler, 127 Lehrer. 

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Komposition bei Wllhelm Klatte. Sonderkurse liber Aathetik und Literatur be] J. C. Lllftztlg. 

Elementar-Klavier- u. Violinschule fur Kinder vom 6. Jahre an. Inspektor: Gustav Pohl. 

Beginn des Schuljabrs 1. September. Eintritt Jederzelt. Prospekt und Jahresberichfe koitenfrel durch daa Sekretariat. 

Sprechzeit 11 — 1 Uhr. 



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Gesamte Theorie der Musik. Instrumentierungen. 



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Tel.: Kurfiirst8149. — Sprechzeit: 2-4 Uhr. 



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Charlottenburg, WielandstraBe 31 



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Klara KusKe 

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Charlottenburg / SSKW.S 



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Telephon: Amt Steinplatz 11784. 



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Stimmbildung und Kunttgeiang 

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Nassauisehe Str. 16 a (6artenh.). Tel.: Amt 
Uhland (3828). Sprechzeit: 3 bis 4 Uhr. 



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(speziell Tonbildung Mallinger-Metbode) 
Sprech«tunde12-1 Tel.: Amt Stpl. 10651. 



Anfragen erbeien an meinen Sekretar 

Theo Reimer, Berlin- Wilmersdorf, 

Prinz-Regenten-SlraQe 1*394 

Telegramm-Adresse: Ktinstlergruppe 

oder Konzertdirektion Leonard, Berlin, 

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Vida Llewellyn 



= PIANISTIN = 

Berlin, Lutherstr. 33 in 

Tel.: Kurfurst 7427 (von Kierski). 



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Konzert Mcisttwhilc fSr Geigcnnntcrrkbt 

= Metbode: Goby Eberhardt == 

BERLIN-WILMERSDORF 

Prinz-Regenten-StraBe 104. Sprechstunde 1—2. 



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Dr. Arttinr Sperant Berlin W, Bambergerstr.41 ' 

Lefcnrflr Stlmublldaag / Itilleaiactae Sehila — Tel.: Nollcndorf 1592 — Sprechstunde It — I Uhr„ 

Helens Olchmann - Oost ANNIE NAliE dram) 



U*der* mid OrtiariensintGrlo (Sopnn)* Berllll-Frledenail, 
K«iMnllc«0. Spncfaraodc 1^2. Tdephon : PfUibui «37. 



Kinitri miri 0>«Min. — Cbufettubufg, NiefrabrMAlkJTB, 



#s Derbanii Jteulfcfier Orchcfter-u XhDr-frifcr ^ 



Bdjonten,1Jerein«Ti itfra mental ftrnia^-u^Chor^Qenfm durthwito 



efpvneintficfrcs 



JUimtwrg 



notfigeiotefeft* 



Dcr UorObende: fTenLTTleifler, Qoffeapcifmeiften 



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CHOPIN 

Von ADOLF WEISSMANN 



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Biographie mit 34 Bildern 
Geheftct 5 Mark, gebunden S Mark 



beurteilte aoeben die BRESLAUER ZEITUNG: »Iat die Bezticbnung ,Da« Bucb des 
Jabrea' das bGchste Lob, das wir elnem Verke aus inbaltlicben und stilistiacben Grunden 
apenden fcdnnen, iat in dfeser Bezeicbnung das Urteil ausgesprocben, daQ wir ea in 
Aufrcgung laaen, mit HeiBbunger vcracbJangen, dann von neuem in tbra biatterten nnd 
viederum aein Sklave wurden, dann iat dieses ,8ucb dea musifcliterarUchen 
Jabrea* Weill manna ,Chopin 4 , Das Bucb wurde m elner Hterariacben Tat, 
sein Sti I zu einem Poem. Jem steben wir Chopin nlber denn je, und Wei&mann 

danken wirtl* Paul Mittmaon, 



SCHUSTER & LOEFFLER 

BERLIN W 57 



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ft 



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■ : :. T CiOOOk* 



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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Konzertdirektlon Hermann (Dolf f 

BERLIN W 35, FlottwellstraBe I 

Telegramm-Adresse: Musikwolff, Berlin -*- Telephon: Amt „Lutzow a No. 797 und 3779. 



Kammersangerin 

Anno Erler-Schnoudt 

Neuesie Erfolge: 

Bonn, 13. November 1913. Reger-StrauQ-Abend (Prof. Grtiters). 

Generalanzelger I Mit dem ihr zugeeigneten Gesang „An die Hoffnung* bewies Frau Anna Erler-Schnaudt 
aufs neue, daO sie geradezu unerreichbar ist in dem Vortrag Regerscher Kompositionen. Und dal) so Regers 
Kunst nicht nur auf die wenigen Auserwahlten wirkt, zcigt uns der eminente Beif all, den die Sangerin erntete. Im 
dritten Teil gab sie uns noch drei Lleder von Richard Straufl. Und noch mehr vielleicht als bei dem Orcbestergange 
kamen hierbei die reine Tongebung. der Wohllaut ihrer Stmme und das Erfassen der rechten Slimmung zur Geltung. 

Leipzig, 19. November 1913. H-moll-Messe J. S. Bach (Thomaskirche, Prof. Straube). 

Tageblatt: Am hochsten entwickelt erwies sich unfraglich die eminente gesangliche, stimmliche und 
musikalische Befahigung Anna Erler-Schnaudts, deren herrlicher Alt und ausgereifte Vortragskunst vielleicht zu dem 
Bedeutendsten gehoren, dem man auf dem kirchenmusikalischen Gebiete heute begegnen kann. 

DUsSOldorf, 21. November 1913. Lehrergesangverein (Prof. Buths). 

Dusseldorffer Zeitung: Frau Erler-Schnaudt gab wleder reife und reiche Proben ihrer Kunst. Nicht 
nur in technischer Hinsicht ist ihre Stimme von htichster Vollendung, sondern dahinter steht eine Persbnlichkeit, 
die etwas zu geben hat. Jedes kleine Lied gestaltete sie zu einem lebendigen Kunstwerk. und mit der tiefen Quell- 
kraft ihres Alt sang sie sich in die Herzen ihrer Htirer hinein. Weich und voll, gleichmaBig gerundet im forte wie 
im piano und herrlich in seiner Modulationsfahigkeit war der Ton. Bald war er wie in Trauer getaucht, wie in 
dem Schubcrtschcn Liede „Die Liebc hat gelogen*, bald k'ang in ihm ein goldiger Humor, wie in der reizenden 
Morickeschen „Storchenbotsehafi u . Dann wieder ist die Stimme beseelt von religitiser Weihe, wie in dem Liede von 
StrauB: „Ruhe meineSeele*. Die Heinesche Friihlingsfeier in der groOan;igen Strauiischen Komposition war getragen 
von orgiast'scher Lust. Den tiefsten Eindruck hat aber die „Allmacht" von Schubert: GroB Ist Jehova, der Herr! in 
ihrer erhabenen GrbQe und Gewalt gemacht. Rcicher Beifall lohnte der Kiinstlerin, die dafur mit einer Zugabe dankte. 



Ernest 

Hutcheson 

Pianist 

konzertiert 1913-14 
auf dem Kontinent. 



Fur den Rcklameteil : Schuster & Locffler, Berlin W. XVI Druck von Herrosi & Ziemsen, G.m.b.H., Wittenberg. 



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mit der neucn v oils land i$rcn Wiederherstdhie# des Rczitatifs und 
:: :: Lametito der Arianne von Claurfio Monteverdi xi vl 



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zur Musikgeschichte 

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XHBEB MAJESTAT DEB KAIBEBIN UND kONIGIH 

BEINEB K AISERL. UND KdNIGL, HOHEIT DEB KBONPBINSSN 

8EINEK MAJESTAT DE3 KAIBERB TON BTJBBLAND 

IHREB MAJESTAT DEB KAISEB1N FBIEDBICH 

SE1NEB MAJESTAT DEB K0NJGS VON ENGLAND 

BEINER MAJESTAT DEB KONIGS EDUABD TOST ENGLAND 

1HBEB MAJEBTAT DEB KONIGIN ALEXANDRA VON ENGLAND 

SEINER MA JEST AT DEB Koalas TON PTALIEN 

SEINER MAJESTAT DEB KlONiQB VON 8PANTKN 

BEOTEB MAJESTAT DEB XaNIGB VON BOllJLWIM 

BEINER MAJEBTAT DES KONIGS VON W0RTTEMBEBO 

IHREB MAJESTAT DUB KONIQIN VON 8CHWBDEN 

IHEEB MAJEBTAT DEB KONIGOT VON NOBWEOEN 

innER KdNIGL. HOHEIT DEB FBIKZEBBIN FRIEDRICH KARL VbN FBEbBBKN 

SEINEB KONIGL, HOHEIT DEB FRINZEN LUDWIG FEBDINAND VON BAYERN 

BEINER KfiNlGL. HOHEIT DEB HERZOGS VON BACHBENCQBtJRG-GOTH A 

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Ftlgren d*AII*erl: Mir aufrichtlger Freudc ergrelPe icb die Gelegcnhek, Ihnen von ttcuem meine BewunieruT 
Otoer Ibre hcrrlichcn FlQgcl aus/udrOckcn. kh bin mir hewussr, demciben clncn mchi unbedcutenden Toil merit 
Erfol^c zu verdanken. Ton, Spiclarf und Dauerhaftlgkelt babe icb nocli bel keinera andcrea Incrrumcntc in 
VoriuglEcbkeir vcredoigl gefunden* wle bd den Ihrigco und kh hoffc, mfch bci meiaen ferneren K-on^ertrcUeh ateti 
Fid gel bedlcnen zu dQrfen. 

IVrruecIo II. llfiHonl: Erit bci mcincm Londoner Rectrili hatte Icb cino ersdi«pfende Gele&cehej, 
den BfcDhstflfl-FiQfccln bekannt zu wcrden. Diesel ben haben in ledcr Htnikbt alien meinen Intenrianeo eater 
Angettcbts der hdcnsicn mir auTeflegten Aufgaben de# Vonrtga und der Technlk. wle lie man Program m urn 
bedeutet dmi elnen aussernr denUkhen firfolg fOr dk Beclisteinschen Instrument &mm unb&ttreitfa&re VorTliglrobkwh 

prelim, nlr zu rjroitcr Freude gerelcht. 

Tere«» I'vi-rftiio: Die Beehstein-PianDs, die Ecb auf alien metnen europHltchen Konierr-Totirnc 
apklen du VergnQgen hatte, sind du Ideal von Vollkoramcnheit, und der KQnuler, der dell Vorzujj bat, ale ju 
lino shh In der Tat irttuliercn, Fs i*t das Insirumcnr, wrkhct illen tnderen voraua den Antprflcbcu einea K 
enifcpriciit und ihm dazu verhiilt, tile Effekte des To net und dea Antehtigftf zu errklcn, die er ru er 
Mcinc Bewunderung fOr die Bechsreln^Pianoa iat unbegrcnit. 

I^Copultl GodowKky: Fs lit mir eta wihrea HerzrnKhcdarfnifi, Ihncn meine unbc^renrir Brwund^ 
md Begeifterune far Ehre so herrllchen Ensfrumrnte hiermlt iUKdrucken zu kOnnen. Die Scbonhnt und uncr^ili 
dnduiatiDnillhlgkelt dei Tones, aowie die auaierorden filch ■□■cnehEne Spietan beHbigen den Kua&tter, daa 
vas er im Grundc des Her/ens fQhlt. Mlf cincm Wurte, dit BftOhltain-liistrumenS iat und nlelfat dtt Vi 
■Ut [deal dea KQnttiirt. 

SopUtc !lf enter: Bech-atofn ^ der KoniR ailcr Ptinofortebiuet. 

Arlitr N*linnl*el; Bci alien Bechileinacben Ensirumenten hibe Icb die glekhe unertchftpflkhe r^Jle, 

die Sclidnheit und fifi|ende Tnefkblgkeii des Tcn-s, die glekhe AnpfcaauniaFlbigfteJt an jegliche Art dea AntcJilafea 

ind der Tecbnik, die glekhe nie vers»|cnde ZuveHisal£kelt, kurz iHe Jene VerzOte In unObertroffeatcBi Mmm v 

p,rfundcn. die keirven W^unteb des Spielers unbefriedlgt laasen. jedea Inirrumeat dteser Kunatwerkatart, dai def 

PtanEat andeniwo £u iplelen hn f vfrd jhnr so vertraut eracbeinei i ^* t ^Sn", den er bei akb iu Hau»e 

nd tiebgevorineti hat 

li limrd Stratum: lch bilte din Beohttcdmchftir inatrumprrte fur die lohoDttBi iid ftlafuliilgitn 4vW 

trlifirtl H'n^tior: Die Bechneinscbcn Pianos alod toneflde Wnbltaten fflr die mitiElallacba Wajf.